Parti colonial français und deutsche Kolonialbewegung

„Parti colonial“ und „Kolonialbewegung“ sind die jeweils gängigen Bezeichnungen für die französische und die deutsche Koloniallobby, das heißt die Gesamtheit der in unterschiedlichen Vereinigungen mit vorrangig propagandistisch-ideellem und weniger pekuniär-geschäftlichem Interesse organisierten „Coloniaux“ oder „Kolonialisten“, das heißt der Personen, die sich in der einen oder anderen Form für die koloniale Sache und die jeweiligen Kolonialreiche interessiert und eingesetzt haben, sei es als Forschungsreisende, Kaufleute, Journalisten, Politiker, Geldgeber oder bloße Sympathisanten. Der Beitrag vergleicht Parti colonial und Kolonialbewegung in allen wesentlichen Aspekten: Ursprung, Entwicklung und Ende, Organisationsstruktur, soziale Zusammensetzung, numerische Stärke, Führungspersonal, parteipolitische Ausrichtung, Motive, Zielsetzungen, Wirkungsmöglichkeiten, Einfluss auf Erwerb und Verwaltung der Kolonien, Bedeutung für die Außenpolitik.[...]

Parti colonial français und deutsche Kolonialbewegung

Von Peter Grupp

„Parti colonial“ und „Kolonialbewegung“ sind die jeweils gängigen Bezeichnungen für die französische und die deutsche Koloniallobby, das heißt die Gesamtheit der in unter­schiedli­chen Vereinigungen mit vorrangig propagandistisch-ideellem und weniger peku­niär-geschäftlichem Interesse organisierten „Coloniaux“ oder „Kolonialisten“, das heißt der Personen, die sich in der einen oder anderen Form für die koloniale Sache und die jewei­ligen Kolonialreiche interessiert und eingesetzt haben, sei es als Forschungsrei­sende, Kaufleute, Journalisten, Politiker, Geldgeber oder bloße Sympathisanten. Der Beitrag vergleicht Parti colonial und Kolonialbewegung in allen wesentlichen Aspekten: Ur­sprung, Entwicklung und Ende, Organisationsstruktur, soziale Zusammensetzung, nume­rische Stärke, Führungspersonal, parteipolitische Ausrichtung, Motive, Zielsetzun­gen, Wirkungsmöglichkeiten, Einfluss auf Erwerb und Verwaltung der Kolonien, Bedeu­tung für die Außenpolitik. Parti Colonial und Kolonialbewegung sind Epiphänomene der übergreifenden europäischen Expansionsbewegung und weisen dementsprechend zahlrei­che grundsätzliche Gemeinsamkeiten auf. Die unübersehbaren Unterschiede, die aller­dings nicht überbetont werden dürfen, gehen auf die jeweiligen nationalen politischen und gesellschaftlichen Umfelder und Strukturen zurück.

« Parti colonial » et « Kolonialbewegung » sont les termes couramment employés pour désigner le lobby colonial français et le lobby colonial allemand, soit l’ensemble des « coloniaux » ou des « Kolonialisten » regroupés dans les diverses associations qui s’étaient donné pour mission de défendre l’idée coloniale au sens large bien plus que des intérêts financiers particuliers ; autrement dit, toutes les personnes qui s’intéressaient à la chose coloniale et aux empires coloniaux et s’en sont fait les promoteurs d’une ma­nière ou d’une autre, qu’il s’agisse d’explorateurs, de scientifiques, de commerçants, de journalistes, de mécènes ou de simples sympathisants. L’étude est une comparaison de ces deux mouvements à plusieurs niveaux : dans le temps (origine, évolution, disparition), au plan de l’organisation, de la composition sociale, des effectifs, des cadres, de l’orientation politique, des motifs et finalités, de la marge de manœuvre réelle, de l’influence sur la conquête et l’administration coloniales, du rôle en politique étrangère. L’un comme l’autre, le parti colonial et le Kolonialbewegung ont été des épiphénomènes d’un mouvement d’expansion coloniale européen bien plus vaste : ils présentent donc des caractéristiques communes. Pourtant des différences visibles, que l’on ne saurait toute­fois exagérer, ont subsisté qui renvoient à des contextes politiques et sociaux nationaux distincts.

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Ende des Jahres 1906 lancierte Eugène Étienne, der chef incontesté des franzö­sischen Parti colonial, Pläne zur Gründung einer Ligue Coloniale Française (LCF). Diese sollte die in eine Vielfalt von Organisationen zersplitterte französi­sche Koloniallobby zusammenfassen, um deren Schlagkraft und Einfluss zu erhö­hen. Als Vorbild diente die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) mit ihrer zahl­reichen Mitgliedschaft, die in einer ganzen Reihe von Artikeln der Pariser Tages­zeitung Dépêche Coloniale, dem Organe quotidien des Possessions françaises d’outre-mer et Pays de Protectorat, das Étienne als Sprachrohr diente und das er für seine Kampagne eingespannt hatte, stark herausgestrichen wurde. Das Unter­nehmen Ligue Coloniale ist indes recht kläglich gescheitert, der Parti colonial blieb zersplittert, und sowohl in den französischen Kolonialkreisen als auch in der Wissenschaft hat sich die Vorstellung festgesetzt, dass es einen fundamentalen Unterschied zwischen deutscher und französischer Koloniallobby gegeben habe, ohne dass jedoch jemals ein systematischer Vergleich angestellt worden wäre.[1] Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass trotz unleugbarer Unterschiede die Gemeinsamkeiten größer gewesen sind als bislang angenom­men. In einer ersten Bilanz soll dieser Befund im Folgenden vorgestellt werden.[2]

Um Missverständnissen vorzubeugen, zunächst eine Definition, wie sie auch dem größten Teil der einschlägigen Literatur zugrunde liegt: Als Parti colonial bzw. Kolonialbewegung wird die jeweilige Koloniallobby bezeichnet, das heißt die Gesamtheit der in unterschiedlichen Vereinigungen mit vorrangig propagan­distisch-ideellem und weniger pekuniär-geschäftlichem Interesse organisierten „Kolonialisten“ oder coloniaux. Letztere sind die Personen, die sich in der einen oder anderen Form für die koloniale Sache und die jeweiligen Kolonialrei­che interessiert und eingesetzt haben, sei es als Forschungsreisende, Kaufleute, Jour­nalisten, Politiker, Geldgeber oder bloße Sympathisanten. Wichtig ist das Vor­handensein einer conscience coloniale, das heißt dass das Interesse des Betreffen­den der Kolonialexpansion insgesamt gegolten hat und dass das Enga­gement umfassend gewesen ist und nicht nur aus einer partikularen oder individu­ellen Interessenlage hergerührt hat. Dies schließt die Mehrzahl der Siedler, der Ver­waltungsbeamten, der in den Kolonien stationierten Militärs wie auch der Wissen­schaftler oder Geschäftsleute aus, die in bestimmten Kolonien tätig gewe­sen sind, ohne dass sie durch das Phänomen „Kolonialismus“ als solches näher berührt worden wären. Selbstverständlich aber gehören zahlreiche Angehö­rige der hier genannten Personengruppen auch in den uns interessierenden Kreis. Die Koloni­allobbys waren allerdings keine klar umrissenen und festgefügten Organi­sationen, die Übergänge zu anderen Interessengruppen blieben fließend, die Rän­der frans­ten aus und die Abgrenzungen sind damit bisweilen problema­tisch. Dies gilt vor allem für die reinen Wirtschaftsunternehmungen. Im Einklang mit der Hauptströ­mung in der Forschung werden sie hier nicht als Teil der organi­sierten Kolonial­lobby verstanden, obwohl sie bei der einen oder anderen Unteror­ganisa­tion durchaus als korporatives Mitglied auftauchen können. Auch waren zahlrei­che Mitglieder des Parti colonial und der organisierten Kolonialbewegung natür­lich gleichzeitig Mitglieder in allgemeinen Wirtschaftsverbänden.[3]

In Frankreich wurde und wird die uns interessierende Interessengruppe durchgängig als Parti colonial bezeichnet – wobei der Begriff erstmals 1894 be­legt zu sein scheint[4] –, während in Deutschland der Ausdruck „Kolonialpartei“ sowohl von den Zeitgenossen als auch in der Forschung nur ausnahmsweise ver­wandt wird.[5] Dies sollte allerdings nicht dazu verführen, mit semantischer Spitzfin­digkeit über das Begriffspaar „Parti colonial – Kolonialbewegung“ zu spekulieren und daraus tiefschürfende Folgerungen abzuleiten, so reizvoll dies auf den ersten Blick auch scheinen möchte. Mutmaßungen über den Charakter der beiden Gruppierungen aufgrund der Gegenüberstellung von „Partei“ und „Bewe­gung“ dürften unweigerlich zu üblen Fehldeutungen führen.

Vergleicht man den französischen Parti colonial und die deutsche Kolonial­bewegung, so fallen zunächst beträchtliche Unterschiede ins Auge, sowohl hin­sichtlich des historischen Hintergrunds vor dem sie entstanden sind, als auch in bezug auf Lebensdauer, Organisationsstruktur und Mitgliedszahlen, wobei die wesentlichen Charakteristika der beiden Lobbys im Übrigen über die gravierende Zäsur des Jahres 1919 hinaus, als Deutschland aufhörte Kolonialmacht zu sein, während Frankreich seinen Kolonialbesitz noch wesentlich vergrößern konnte, weitgehend erhalten geblieben sind. Zwar reichen sowohl in Frankreich als auch in Deutschland die Ansätze der Koloniallobby in die erste Hälfte des 19. Jahrhun­derts zurück – die Pariser Société de Géographie, in deren Räumen der Parti colo­nial später seine wichtigsten Veranstaltungen durchführen sollte, ist bereits 1821 gegründet worden, und in Deutschland hat es Auswanderungs- und Kolonisati­onsvereine bereits vor 1848 gegeben. Während sich die Dinge in Frankreich aber kontinuierlich weiterentwickeln konnten, stoppte das Scheitern der Revolution von 1848 die Entwicklung in Deutschland jäh für rund 40 Jahre.[6] Der Parti colo­nial entstand zudem vor dem Hintergrund einer mehr als zweihundertjährigen ruhmreichen Tradition, während die Kolonialbewegung in Deutschland nur an isolierte, zudem meist gescheiterte, obschon später nostalgisch verklärte Projekte anknüpfen konnte.[7] Unmittelbar nach dem deutsch-französischen Krieg von 1870/71 kam es zunächst weder in Deutschland noch in Frankreich zu spektakulä­ren Expansionsbewegungen; Frankreich konzentrierte sich auf die Überwindung der materiellen Folgen der Niederlage und Deutschland wandte sich dem inneren Reichsausbau zu. Dennoch gab es in Frankreich an die Vorkriegszeit anknüpfende deutliche, vorerst meist auf Einzelinitiativen beruhende und von der Peripherie ausgehende Ansätze zu weiterer Expansion; so in Indochina mit Francis Garnier oder in Afrika mit Savorgnan de Brazza – um nur zwei der bekanntesten Pioniere zu nennen. Ab Ende der 70er Jahre wurde dann aber auch von Seiten der Regie­rung unter dem Impuls der Ministerpräsidenten Léon Gambetta[8] und Jules Ferry massiv zur forcierten Wiederaufnahme der Kolonialexpansion gedrängt, während Reichskanzler Otto von Bismarck weiterhin sehr zurückhaltend blieb. Gerade die Niederlage gegen Deutschland und deren intellektuelle Verarbeitung war für die Belebung der kolonialen Diskussion in Frankreich sehr wichtig, da die Hinwen­dung zu den Kolonien als Ausweg aus dem allgemein so schmerzlich empfunde­nen Niedergang dargestellt werden konnte und somit ein zusätzliches wichtiges prokoloniales Element in die Debatte eingeführt wurde.[9] Mittelfristig wirkte somit der Krieg von 1870/71 im Hinblick auf die Kolonialexpansion in Frankreich be­schleunigend, in Deutschland eher retardierend. Den Hauptschub zur Expansion gab dort die nationale und hier am Ende des Gründerjahrzehnts die wirtschaftlich-soziale Krise. Die wichtigsten Organisationen der deutschen Kolonialbewegung entstanden in den Jahren 1878 bis 1888, die des Parti colonial etwas zeitversetzt von 1890 bis 1893. Der Parti colonial konstituierte sich also vor dem Hintergrund eines bereits existierenden sehr bedeutenden Kolonialreichs und im Anschluss an einen in der jüngsten Vergangenheit vorausgegangenen beträchtlichen Expansi­onsschub, der den Scramble for Africa und die Expansionsbewegung des Zeit­alters des Imperialismus einleitete; die deutsche Kolonialbewegung formierte sich dagegen bereits zu einem Zeitpunkt, da das Reich noch keinerlei überseeischen Besitz erworben hatte.

Trotz des unterschiedlichen historischen Hintergrunds gleichen sich die Argumente, die in der Expansionsrhetorik jeweils ins Feld geführt wurden, in erstaunlichem Maße: die Wichtigkeit wirtschaftlicher Zukunftssicherung durch die Erschließung von Absatzmärkten und Rohstoffquellen, die Notwendigkeit, den Konkurrenten zuvorzukommen, der Wunsch zur Teilnahme an den zivilisato­rischen Aufgaben Europas, das Bestreben, soziale Konflikte nach außen abzulei­ten, die Betonung des nationalen Prestiges. Lediglich der Hinweis auf die Aus­wanderung, der in Deutschland bereits seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine dominierende Rolle gespielt hatte, taucht auf französischer Seite unter den prokolonialen Gesichtspunkten nicht auf, was angesichts der völlig anderen demographischen Entwicklung leicht verständlich ist. Unter der Oberfläche der Rhetorik gibt es allerdings deutliche Unterschiede. Einen Hauptimpetus der fran­zösischen coloniaux bildete, wie dies die Forschung überzeugend herausgearbei­tet hat, ein nicht ökonomisch bestimmtes Motivationsbündel:[10] Nationalismus, Prestige, das rayonnement de la France, der Gedanke der mission civilisatrice – nicht von ungefähr ist immer wieder die Rede von den Gesta Dei per Francos. Der Verweis auf wirtschaftliche Notwendigkeiten dagegen diente häu­fig nur dazu, diese stark emotionale Argumentation rational abzustützen.[11] Bezeich­nenderweise lebte die wichtigste wirtschaftlich orientierte Gruppierung des Parti colonial, die Union Coloniale Française, nach dem Zweiten Weltkrieg als Comité Central du Rayonnement français fort; auch ist bemerkenswert, dass die Alliance Française und deren dezidiert republikanisch-laizistisches Pendant, die Mission laïque, die zahlenmäßig stärksten der in den Bereich des Parti colonial gehörenden Gruppierungen waren. Unbeschadet fehlender konsequenter prakti­scher Umsetzung war das koloniale Denken der coloniaux doch stark von der humanistischen und in der Tradition von 1789 stehenden Assimila­tion geprägt. Letztere gab es in Deutschland kaum in Ansätzen. Hier überwog auf strikte Trennung gerichtetes, rassistisch bestimmtes Denken. Zwar wurde auch hier von den zivilisatorischen Aufgaben Europas geredet und wohl sollte am deutschen Wesen die Welt genesen, aber dies war kein der mission civilisatrice vergleichbarer tief verwurzelter Gedanke und vieles blieb bloße Rhetorik, wie dies umgekehrt in Frankreich eben für die wirtschaftliche Argumentation gegolten hat. Ziel war viel weniger Verbreitung deutscher Kultur, deutscher Sprache und deut­schen Geistes als wirtschaftliche und militärische Machtsteigerung mit dem Ziel des so sehnsüchtig erstrebten Weltmachtstatus. Die französischen coloniaux ihrerseits trösteten sich angesichts der ihrer Überzeugung nach viel größeren deutschen wirtschaftlichen Erfolge bisweilen mit dem Gedanken, die Deutschen exportierten zwar mehr und erreichten eine größere Klientel, aber Frankreich spreche die Eliten an und exportiere seine civilisation; häufig stellten sie der Quantität der camelote allemande die Qualität der französischen Exportprodukte entgegen, der Massenware die Luxusgüter – eine solche Argumentation wäre auf deutscher Seite kaum möglich oder denkbar und auch nicht befriedigend gewesen. Der Gegensatz war, etwas vereinfacht, Prestige durch civilisation gegen Prestige durch Wirtschaftskraft.

Mit dem Ende des französischen Kolonialreichs starb im Wesentlichen auch der Parti colonial. Das Comité de l’Afrique Française und das Comité de l’Asie Française, zwei der wichtigsten Gruppierungen überhaupt, lösten sich 1959 bzw. 1955 auf. Nur ganz wenige Organisationen überlebten mehr recht als schlecht, zum Teil nach Fusionen, unter anderem Namen und mit neuer Zielsetzung wie die Union Coloniale[12] oder unter Lösung von der Kolonialthematik, die nicht ihr ur­sprüngliches und nie ihr zentrales Anliegen gewesen war, wie im Fall der Socié­té de Géographie und der Alliance Française. Unter den wirklichen Neugründun­gen des Parti colonial aus der Blütezeit des Kolonialismus ist die Anpassung am bes­ten bei der Société de l’Histoire des Colonies Françaises gelungen, die heute als Société Française d’Histoire d’Outre-Mer eine nicht unwichtige wissenschaftli­che Institution darstellt, zu der es leider keinerlei deutsches Pendant gibt, was der wis­senschaftlichen Erforschung des Kolonialismus hierzulande zweifellos abträg­lich ist.

Ganz anders war die Entwicklung in Deutschland, wo die Kolonialbewegung mit dem Verlust der Kolonien nach dem Ersten Weltkrieg in eine neue sehr aktive Phase eingetreten ist und in ihrem Kampf gegen die koloniale „Schuldlüge“ ein neues und überaus dankbares Betätigungsfeld gefunden hat. Die Ablehnung des Versailler Vertrags war im Grunde das einzige Band, das das deutsche Volk in den Jahrzehnten nach dem Weltkrieg über schärfste Gegensätze hinweg geeint hat; da der verhasste Vertrag auch die Abtretung der Kolonien verlangt hatte, wurden alle Deutschen durch Versailles in völlig unreflektierter Weise zu Koloni­alfreunden, egal wie sie vorher zum Kolonialismus und speziell zum deutschen Kolonialreich gestanden haben mochten. Bemerkenswert ist dabei, dass nun in Deutschland die koloniale Forderung häufig stärker als Sache der Ehre, des Prin­zips und des Prestiges als der wirtschaftlichen Notwendigkeit gesehen wurde. Damit tun sich Parallelen zur Lage in Frankreich nach der Niederlage von 1870 auf.[13] Während der Parti colonial langsam dahinsiechte, ähnelte das Ende der deut­schen Kolonialbewegung einer Supernova, als sie sich nach der Gleichschal­tung durch die Nationalsozialisten im Reichskolonialbund nochmals ungeheuer aus­dehnte, um kurz darauf zu einem Nichts zu zerplatzen.

Große Unterschiede zeigen sich zunächst in der Struktur von Parti colonial und Kolonialbewegung. In Deutschland gab es mit der Deutschen Kolonialgesell­schaft eine eindeutig dominierende Organisation. Konkurrenzgründungen vor dem Ersten Weltkrieg wie der Deutsche Kolonialbund oder der Deutschnationale Kolonialverein haben nie reüssiert, Spezialgesellschaften wie die Marokko-Ge­sellschaft oder die Deutsche Gesellschaft für Eingeborenenschutz haben nur ein Schattendasein geführt, und eine ganze Reihe von Organisationen stellen sich bei näherer Betrachtung als Filialen und Tochtergesellschaften der DKG heraus – so das Kolonialwirtschaftliche Komitee oder das Togo-Komitee. Nach dem Ersten Weltkrieg, als die interne Konkurrenzsituation angesichts des geringen prakti­schen Stellenwerts der Kolonialfrage und der kolonialen Agitation wesentlich entschärft war, nahm die Zahl der Kolonialorganisationen im weiteren Sinne und deren Fluktuation zwar stark zu, dennoch behielt die Deutsche Kolonialgesell­schaft weiterhin eindeutig ihre dominierende Stellung. Bald nach ihrer Gründung verfügte sie über Hunderte von Ortsgruppen und überspannte damit das ganze Land. Aus französischer Sicht erschien sie als mächtige, straff geführte Massen­organisation mit beträchtlichem Einfluss. Diese Interpretation ist angesichts der Situation in Frankreich verständlich: Mindestens 60 Organisationen können dort identifiziert werden – das sind sicher gut dreimal soviel als in Deutschland bes­tenfalls zu ermitteln sind. Noch wichtiger ist indes, dass es nie eine eindeutig füh­rende Gesellschaft gegeben hat. Über die Jahrzehnte hinweg lassen sich durch­gehend mindestens drei gleichrangige Hauptorganisationen herausheben, die von besonderer Bedeutung gewesen sind: Das Comité de l’Afrique Française, das Comité de l’Asie Française und die Union Coloniale Française, wozu noch der parlamentarische Groupe colonial hinzuzurechnen wäre. Diese Zersplitterung ist seitens der französischen coloniaux immer bedauert worden, und neben dem ein­gangs genannten Versuch mit der Ligue Coloniale hat es 1903 mit der Grün­dung der Action Coloniale et Maritime zumindest einen weiteren, ebenfalls kläg­lich gescheiterten Versuch zur Schaffung einer Sammlungsbewegung oder Dach­orga­nisation gegeben.[14]

Groß sind zunächst auch die Unterschiede bei den Mitgliedszahlen. Die Ge­samtheit der engagierten coloniaux ist insgesamt auf gerade einmal 5.000 bis höchstens 10.000 Personen geschätzt worden. Comité de l’Afrique und Comité de l’Asie waren bewusst elitäre Gruppierungen mit zwischen 30 und 120 einander kooptierenden Mitgliedern und Förderkreisen von 1.000 bis 1.500 Personen, die sich gegenseitig zudem noch beträchtlich überlappten. Auch die Union Coloniale hatte kaum mehr als 1.000 Mitglieder. Die übrigen Gruppierungen waren meist noch kleiner. Selbst die Organisationen, die ausdrücklich Massengesellschaften sein wollten wie die Ligue Coloniale Française und die Action Coloniale et Mari­time, brachten es gerade einmal auf 1.000 oder 2.500 Mitglieder. Lediglich die Alliance Française, die aber doch nur sehr partiell zum Parti colonial zu rechnen ist, konnte 30.000 Mitglieder aufweisen. Demgegenüber mussten die Zahlen der Deutschen Kolonialgesellschaft beeindrucken: Bereits ihre Vorläufer wie der Centralverein für Handelsgeographie, der Westdeutsche Verein, der Deutsche Kolonialverein oder die Gesellschaft für deutsche Kolonisation wiesen jeweils zwischen 2.000 und 12.000 Mitglieder auf. Bei der Gründung im Jahre 1887 um­fasste die DKG 15.000 Personen, die noch vor der Jahrhundertwende auf 20.000 anwuchsen und bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs auf über 40.000 anstie­gen. Selbst der Frauenbund der DKG zählte 1914 über 18.000 Mitglieder. Nach dem Krieg sank die Zahl ab, jedoch nie unter 20.000, und der gleichge­schaltete Reichskolonialbund blähte sich 1938 auf 1 Million Mitglieder auf, die bis zur Ein­stellung seiner Aktivitäten Anfang 1943 gar auf 2,1 Millionen anwuch­sen.[15]

Dies ist aber doch nur der erste Blick. Vergleicht man die Organisationen der Kolonialbewegung mit wirklichen Massengesellschaften, nehmen sich die Zahlen nicht mehr so stolz aus. So verfügte der 1898 gegründete Deutsche Flottenverein bereits nach einem Jahr über 250.000 Mitglieder, und bei Kriegsbeginn erreichte er über 1,1 Millionen. Damit relativieren sich die Dinge beträchtlich[16], und die Ansicht, der Parti colonial habe aus kleinen elitären Organisationen, die deutsche Kolonialbewegung dagegen im Wesentlichen aus einer potenten Massengesell­schaft bestanden, erweist sich als optische Täuschung. Die Deutsche Kolonialge­sellschaft konnte bei ihren Bemühungen, politischen Einfluss auszuüben, ebenso wenig wie der Parti colonial auf das schiere zahlenmäßige Gewicht ihrer Mit­gliedschaft bauen, musste vielmehr wie dieser andere und subtilere Strategien suchen.

Im Übrigen überrascht es angesichts der unterschiedlichen Strukturen des deutschen Kaiserreichs und der französischen Republik nicht, dass der Parti colo­nial im Wesentlichen eine Pariser Angelegenheit gewesen ist und nicht wie die deutsche Kolonialbewegung – trotz der herausragenden Bedeutung der Berliner Sektionen – ein dichtes organisatorisches Netz über das ganze Land gelegt hat. Die wichtigsten Organisationen des Parti colonial verfügten mit Ausnahme der atypischen Société de Géographie über keine regionalen Gliederungen, und nur in wenigen Provinzstädten wie in den Hafenstädten Marseille und Bordeaux oder in Nancy wurden mit den dortigen Instituts Coloniaux eigenständige Organisationen gegründet.

Die von ihm selbst stets beklagte Zersplitterung des Parti colonial hatte aller­dings keineswegs nur Nachteile. Innerhalb der Koloniallobby gab es sowohl in Deutschland als auch in Frankreich ein breites Meinungsspektrum. Vereinfacht kann von den Anhängern einer nationalistisch oder einer ökonomisch motivierten Expansion gesprochen werden; den einen ging es um Prestige und Ehre, den anderen um mise en valeur und Profit; die Moderaten suchten die Zusammenar­beit mit den Regierungen, die Radikalen stellten sich gegen diese; es gab sehr unterschiedliche geographische Präferenzen – manche interessierten sich vorran­gig für Schwarzafrika oder den Maghreb, andere konzentrierten sich auf Asien, Ozeanien, den Mittleren Osten, Ägypten oder, unter dem Vorzeichen des infor­mellen Imperialismus, auf Südamerika. Dies führte zu permanenten Konflikten hinsichtlich der Prioritäten und Strategien. In Deutschland mussten diese Kon­flikte im Wesentlichen innerhalb der DKG ausgetragen werden.[17] Einerseits hatte dies häufigen Wechsel beim Schwerpunkt der Agitation zur Folge. So kümmerte sich die Deutsche Kolonialgesellschaft zwischen 1890 und 1900 sukzessive um die Antisklavereibewegung und den Helgoland-Sansibar-Vertrag, um Kamerun und die Flottenpropaganda, um Siedlungspolitik in Südwest-Afrika und in Brasi­lien; um Mozambique, Samoa und Kiautschou. Andererseits musste auf die inter­nen Meinungsunterschiede Rücksicht genommen werden, um niemanden zu verprellen und Sezessionen, zu denen es besonders in der Konstituierungsphase der Bewegung gekommen war, zu vermeiden.[18] Besonderes Konfliktthema, das bereits in den unterschiedlichen Ausrichtungen von Deutschem Kolonialverein und Gesellschaft für deutsche Kolonisation, die sich zur DKG zusammenge­schlossen hatten, angelegt gewesen war, war die Frage, in welchem Maße man sich an konkreten wirtschaftlich ausgerichteten Projekten beteiligen sollte. Diese Meinungsvielfalt und die Suche nach einem gemeinsamen Nenner führte insge­samt zu einer recht gemäßigten und meist betont regierungskonformen Grundhal­tung, während radikalere Abspaltungen sich nie wirklich durchzusetzen ver­mochten. Die DKG war mithin keineswegs hardie et provocante, wie die Dépêche Coloniale 1907 anlässlich ihrer Kampagne zur Gründung der Ligue Coloniale Française gemeint hatte[19]; sie wurde in dieser Hinsicht bei weitem, wie sich u.a. auch in der Agadir-Krise deutlich zeigen sollte, vom Alldeutschen Ver­band übertroffen.[20]

Ganz anders in Frankreich. Der Parti colonial bestand aus zahlreichen Spe­zi­alorganisationen, die sich jeweils vorrangig eines bestimmten Themas annahmen, der mise en valeur in der Union Coloniale, Afrikas im Comité de l’Afrique, Ozea­niens im Comité de l’Océanie Française, der Baumwollindustrie in der Associa­tion Cotonière Coloniale oder auch der historischen Aufarbeitung der Kolonialge­schichte in der Société de l’Histoire des Colonies Françaises.[21] Dennoch handelte es sich um kein isoliertes Nebeneinander, vielmehr bestand eine extrem enge personelle Verquickung der Organisationen untereinander, von der nur sehr we­nige ausgenommen waren. Eine Handvoll von nur etwa 200 Personen, unter denen wiederum etwa 50 ganz besonders herausragen, hat den Parti colonial weitgehend dominiert. Gab es in Deutschland mit der DKG eine führende Organi­sation, so in Frankreich mit Eugène Étienne eine dominierende Persönlichkeit – von seinen Freunden bisweilen als „Notre Dame des Coloniauxbezeichnet.[22] Er allein ge­hörte 19, das heißt einem Drittel aller Organisationen an; von den ge­nannten 200 Aktivisten gehörten 85 zu jeweils mindestens 5 verschiedenen Verei­nigungen. Dies Geflecht erlaubte es den führenden coloniaux, unterschiedliche Prioritäten zu setzen, wenn nötig, taktisch getrennte Wege zu gehen, die Konflikte zu begrenzen und dabei die Schlagkraft der einzelnen Organisationen in Spezial­fragen zu bewahren. Auch in Deutschland dürfte es insgesamt nicht wesentlich mehr wirk­lich aktive Kolonialisten gegeben haben, auch hier gab es Mehrfach­mitglied­schaften, wenn auch keineswegs im gleichen Ausmaß wie in Frankreich, doch war die Gliederung eher vertikal, indem die Führungspersonen einzelne Ortsgruppen der Hauptorganisation hinter sich brachten, während sie in Frank­reich komplette Einzelorganisationen aus dem horizontalen Spektrum als Haus­macht beherrsch­ten. Die Koordination indes war in Deutschland schwieriger, da Entscheidungen, die die Deutsche Kolonialgesellschaft als Ganze binden sollten, in den satzungs­gemäßen Gremien auf nationaler Ebene gefällt werden mussten, während Koordi­nierungsmaßnahmen innerhalb des Parti Colonial auf der persön­lichen Ebene der Chefs oder Leader ohne Kontrolle durch Ausschüsse, Vorstände und Vollver­sammlungen abgesprochen werden konnten. Dies geschah meist in informellen ad hoc zusammengestellten Grüppchen oder Klüngeln. Man sprach zuweilen vom „parti où l’on dîne“, und nicht von ungefähr hat die zunächst unter dem Namen Déjeuner du Maroc, dann als Déjeuner Étienne bekannte Gruppie­rung eine nicht unwichtige Rolle bei der Weichenstellung der französischen Marokkopolitik gespielt.

Weniger Unterschiede gab es bei der sozialen Zusammensetzung der deut­schen und französischen Koloniallobbys, bei den angestrebten Zielen und den eingesetzten Mitteln. Trotz unterschiedlicher Gesellschaftssysteme – hier Monar­chie, dort Republik – dominierte jeweils die Mittelklasse: Bildungsbürgertum, Angehörige liberaler Berufe, Offiziere, Kaufleute, kleine und mittlere Unterneh­men, Schifffahrtsinteressenten. Der Hochadel war in Deutschland vor allem in repräsentativen Führungspositionen stärker vertreten, fehlte aber auch beim Parti colonial nicht. Schwerindustrie und Bankkapital waren nur am Rande beteiligt – in Deutschland immerhin etwas mehr als in Frankreich, – und wenn überhaupt, dann vor allem schwerpunktmäßig bei einzelnen Projekten, vor allem des Eisen­bahnbaus.[23] Die prominenten Namen gehörten in Deutschland zu Wirtschaft, Wis­senschaft und Adel, in Frankreich eher zu Politik, Diplomatie und Verwal­tung. Arbeiter fehlten hier wie dort. Das politische Spektrum, aus dem sich die Koloni­alisten rekrutierten, entsprach jeweils den die Regierungsmehrheiten tra­genden Parteien und war in Deutschland stärker nach rechts verschoben. Vor 1918 fehlte in Deutschland der bedeutende Block der Sozialdemokratie, teilweise aus prinzi­pieller Ablehnung, vor allem aber, weil sie grundsätzlich vom normalen bürgerli­chen Leben und der Mitarbeit in dessen Vereinigungen und Vereinen weitgehend ausgeschlossen war.[24] Auch im Parti colonial war die extreme Linke nur sehr schwach vertreten, dagegen hatten die radicaux, die sich anfangs unter Georges Clemenceau heftigst gegen die von Jules Ferry verfolgte Politik der kolonialen Expansion gewandt hatten, sich relativ bald mit dieser ausgesöhnt und waren, einmal an der Regierung, zu deren stärkster Stütze geworden und entspre­chend stark im Parti colonial vertreten. Die Rechte war in Deutschland stärker repräsen­tiert als in Frankreich, wo vor allem die nationalistisch-monarchistischen Gruppen zu stark auf Elsass-Lothringen fixiert waren, um das Bemühen um die Kolonien, das den Gedanken der Rückgewinnung der verlorenen Provinzen in den Hinter­grund zu drängen drohte, nicht geradezu als nationalen Verrat auszulegen. Letzt­lich aber handelte es sich in beiden Ländern bei den Koloniallobbys im Wesentli­chen um Notablenvereine, die sich als überparteilich verstanden.

Eine herausragende französische Besonderheit, die im Wesentlichen auf die Unterschiedlichkeit der politischen Systeme und parlamentarischen Strukturen zurückzuführen ist, war die Existenz eines parlamentarischen Flügels des Parti colonial. Dieser zeitweise sehr wichtige Groupe colonial de la Chambre war eine parteienübergreifende, stark fluktuierende, wenig durchorganisierte, 1892 gegrün­dete Vereinigung von Abgeordneten, die am Empire colonial, seiner Expansion und seiner mise en valeur interessiert war, von Étienne geführt wurde und die für die politische Durchsetzung der Ziele des Parti colonial von herausragender Bedeutung gewesen ist. Vor 1914 hat es dergleichen in Deutschland nie gegeben; erst 1925 wurde im Reichstag eine Interfraktionelle Koloniale Vereinigung ge­gründet, die aber angesichts der Tatsache, dass die koloniale Frage in der Weima­rer Republik stets theoretisch geblieben ist und nie in praktische Politik gemündet hat, in ihrer Bedeutung mitnichten mit dem Groupe colonial verglichen werden kann.

Nach dem Ersten Weltkrieg blieb die Struktur der Führungsgruppen zwar weitestgehend unverändert, doch ist eine deutliche Verbreiterung der Basis der Mitgliedschaft zu beobachten. Rein zahlenmäßig in Frankreich, wo der Beitrag, den die Kolonien durch die Stellung von Soldaten geleistet hatten, gewürdigt wurde und durch die Aufnahme der Kolonialgeschichte in den Schulunterricht im Jahre 1925 eine breite conscience coloniale in der Bevölkerung geschaffen wurde; hinsichtlich des Rekrutierungsspektrums in Deutschland dadurch, dass auch die zuvor weitestgehend antikolonialistische Sozialdemokratie den Raub der Kolonien durch Versailles anprangerte und damit das koloniale Lager beträchtlich ver­stärkte. Franzosen wie Deutsche beklagten litaneihaft das fehlende Kolonial­bewusstsein ihrer Landsleute. In beiden Ländern war das Interesse für die Kolo­nien und ihre innere Entwicklung per se in der Tat gering, ging kaum über gele­gentliche Neugier für das Exotische, wie es sich exemplarisch anlässlich der Kolonialausstellungen darstellte, hinaus. In Frankreich wurde die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit nur erregt, wenn das nationale Prestige dadurch beein­trächtigt schien, dass europäische Rivalen ins Spiel kamen, so England im Falle Siams und Faschodas oder Deutschland im Fall Marokkos[25], und auch in Deutsch­land wurden die Kolonien im Wesentlichen als Aushängeschild des Weltmacht­status in Wertschätzung gehalten. Bemängelt wurde das geringe Interesse und vor allem das mangelhafte materielle Engagement der Wirtschaft, des Bank- und Industriekapitals. Deutsche wie französische Kolonialisten kritisierten, dass zu häufig die Investitionen nicht in die eigenen Besitzungen gelenkt wurden, sondern anderen Staaten zugute kamen, etwa wenn das französische Kapital vornehmlich nach Russland oder die deutsche Auswanderung nach Amerika ging. Hier wie dort war die finanzielle Unterstützung der Kolonialorganisationen durch die Wirt­schaft gering und damit herrschte meist Ebbe in den Kassen.

Die Ziele der Koloniallobbys waren fast identisch: Erweiterung des bestehen­den Kolonialbesitzes, Abwehr fremder Ansprüche, mise en valeur der Kolonien, Popularisierung der Kolonialreiche. Die konkreten Forderungen ähnelten sich ebenfalls: Ausbau von Infrastruktur und Verwaltung, Vergrößerung und Moderni­sierung der Flotte, Bau von Eisenbahnen und Häfen, Subventionierung von Dampferlinien, Vergabe von Konzessionen für Kolonialunternehmungen, Maß­nahmen zur Einführung neuer Kulturen wie Baumwolle – vor allem zur Abwehr der amerikanischen Dominanz –, Kakao, Kaffee oder Kautschuk. Die Aktions­mittel waren dieselben: Organisation und finanzielle wie propagandistische Unter­stützung von Expeditionen – anfangs zur Erweiterung des jeweiligen Besitzes, später zur Erkundung und Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung –, Presse­arbeit, Veranstaltung von Vorträgen und von Kolonialkongressen, bei denen man sich bemühte, die Teilnehmerschaft über den eigenen Kreis hinaus stark auszu­weiten; so nahmen am deutschen Kolonialkongress von 1910 126 Gruppen teil, also fast zehnmal mehr als zur eigentlichen organisierten deutschen Kolonialbe­wegung zu zählen sind. Gemeinsam waren schließlich auch die Illusionen über Wert und Entwicklungsperspektiven der Kolonien. Beiderseits des Rheins träumte man vom Eldorado, von unerschöpflichen Rohstoffquellen und riesigen Absatz­märkten, wobei die Illusionen auf französischer Seite, gerade weil das wirtschaft­liche Engagement und mithin der wirtschaftliche Sachverstand der Kolonialenthu­siasten geringer war, sich noch ausgeprägter als in Deutschland darstellten.

Die am schwierigsten zu beantwortende Frage ist die nach Art und Umfang des Einflusses, den die kolonialen pressure groups auszuüben vermochten. Dabei kann es nicht ausreichen, wie es häufig geschieht, Schlussfolgerungen aus bloßen Mitgliederlisten und darin eventuell auftauchenden bekannten und berühmten Namen zu ziehen. Bloße Mitgliedschaft sagt nichts über den Grad des Engage­ments innerhalb der Organisation aus – gerade die Träger klingender Namen aus Industrie und Wirtschaft hielten sich mit der tatsächlichen finanziellen Unterstüt­zung teilweise extrem zurück. Gleichzeitige personelle Präsenz in Kolonialorgani­sationen, Wirtschaftsunternehmungen, Verwaltungen oder Regierungsstellen be­deutet nicht automatisch, dass die jeweiligen Aktivitäten sich vermischt hätten und zu Einflussnahme genützt worden wären. Dies müsste jeweils für den Einzel­fall konkret nachgewiesen werden. Das Augenmerk ist daher weniger auf die all­gemeinen Mitgliederlisten, Ehrenvorstände oder Vorstände zu richten, sondern zuallererst auf die Geschäftsführenden Ausschüsse, die Sekretäre und die Chefre­dakteure der kolonialen Presseorgane. Hier wird man dann feststellen, dass die Hauptarbeit in den meisten Verbänden häufig von Personen geleitet worden ist, die eher aus dem zweiten Glied der Politik und Gesellschaft stammten.[26]

Zudem sind persönliche Beziehungen zwar wichtig, doch müssen strukturelle und institutionelle Voraussetzungen hinzukommen. Grundsätzlich muss auch der Einfluss beim Erwerb der Kolonien und bei deren weiterer Entwicklung unter­schieden werden. Eine Hauptbedingung dafür, dass sich den Lobbys Einfluss­möglichkeiten eröffneten, war in beiden Ländern gleichermaßen gegeben: das mangelnde öffentliche Interesse an Kolonialfragen. Andere strukturelle Gegeben­heiten unterschieden sich dagegen beträchtlich. So bot das französische Regie­rungssystem einerseits grundsätzlich günstigere Voraussetzungen. Die Kabinetts­disziplin und die Stellung des Ministerpräsidenten war schwach, wichtige Ent­scheidungen konnten von einzelnen Ressorts und Ministern oft sehr selbständig getroffen werden. Damit ergaben sich Punkte, wo Interessengruppen gezielt an­setzen konnten.[27] In Deutschland gab es mit dem Reichskanzler dagegen nur einen straff führenden Minister, und an der Spitze der Reichsämter standen weisungsge­bundene Beamte. Während in Frankreich der Außenminister, etwa Delcassé, ohne viel Rücksicht auf Kabinett und Ministerpräsident agieren konnte, war in Deutschland der Reichskanzler auch der eigentliche Chef des Auswärtigen Amts. Andererseits gab es in Frankreich vorübergehend bereits 1881 unter Gambetta und endgültig seit 1883 unter Ferry ein Unterstaatssekretariat für die Kolonien, das 1894 zu einem eigenen Ministerium aufgewertet wurde, sowie eine gut ausge­baute staatliche Kolonialverwaltung, während in Deutschland das Reichskolonial­amt erst 1907 geschaffen wurde und Kolonialfragen zuvor im Auswärtigen Amt in der in der Amtshierarchie weit hintenanstehenden Kolonialabteilung bearbeitet worden waren und der Staat insgesamt, getreu Bismarckschen Traditionen und angesichts des geringen Interesses der meisten Kanzler an Kolonialfragen, wenig aktiv war.

Aus dieser Sachlage ergibt sich, dass der Parti colonial im Zuge der Kolonial­expansion großen Einfluss auf die französische Außenpolitik hat nehmen können. Der Faschoda-Zwischenfall geht auf sein Konto, und seine Rolle bei der Entste­hung der Entente Cordiale ist ebenso wichtig wie bei der Hinwendung Frankreichs zu Marokko.[28] Der Einfluss der Koloniallobby auf die außenpolitischen Aspekte der Kolonialpolitik in Deutschland ist dagegen verschwindend gering. Trotz Carl Peters, Adolph Woermann oder Franz Adolf Lüderitz wären keine afrikanischen Kolonien erworben worden, wenn Bismarck dies nicht zu dem gegebenen Zeit­punkt aus außen- oder innenpolitischen Gründen für opportun gehalten und eine klare Entscheidung, ganz aus freien Stücken, getroffen hätte. Die weiteren koloni­alexpansiven Unternehmungen von Peters, etwa in Witu, wurden dann auch ener­gisch gestoppt, als Bismarck dies aus übergeordneten außenpolitischen Gründen für angebracht hielt. Marchand hätte unter deutschen Verhältnissen seinen Marsch auf Faschoda keinesfalls so unkontrolliert durchführen können wie tatsächlich geschehen. Niemals hätte die deutsche Koloniallobby eine Faschoda-Krise provo­zieren können.

Während der Parti colonial die französische Politik nach Marokko geführt hat, war die Rolle der Deutschen Kolonialgesellschaft in dieser Frage, wie sich im Verlauf der Agadir-Krise deutlich zeigt, nur marginal. Der Sprung nach Marokko war eine Entscheidung allein der Regierung, die sich dazu für die propagandisti­sche Unterstützung im Übrigen nicht an die betuliche DKG, sondern an den wesentlich aggressiveren Alldeutschen Verband wandte, sich aber auch von die­sem niemals das Heft aus der Hand hat nehmen lassen und die Angelegenheit stets unter Kontrolle gehabt hat.[29] Die Kolonialgesellschaft dagegen hat in der Affäre keine Rolle gespielt und ist nicht einmal in ihrem internen Meinungsbildungspro­zess zu einem klaren Ergebnis gekommen.

Anders stellt sich das Bild dar, wenn man den Blick auf die Beeinflussung der inneren Angelegenheiten der Kolonien richtet. In Frankreich war die Kolonial­verwaltung im Vergleich zur übrigen französischen Verwaltung zwar von wesent­lich geringerer Qualität, aber immerhin gab es so etwas wie eine staatliche Kolo­nialpolitik. In Deutschland dagegen wurde bis zu den Dernburgschen Reformen im Jahre 1907, um es milde auszudrücken, stark improvisiert, und vieles blieb sich selbst überlassen. Sowohl die französischen wie die deutschen Lobbyisten konn­ten im Windschatten des kolonialen Desinteresses beträchtlichen Einfluss aus­üben. Die Wege unterschieden sich aber. Der Parti colonial wirkte durch Einwir­kung auf die bestehenden Institutionen, auf die Beamten des Kolonialministeri­ums und auf die Gouverneure in den Kolonien, von denen jeweils viele zu seinen Mitgliedern zählten, oder durch die Angehörigen des Groupe colonial auf das Parlament. In Deutschland hingegen füllte die Kolonialgesellschaft zumindest vor 1907 ein institutionelles Vakuum, in dem sie als Expertengremium fungieren konnte und ihr Richtlinienkompetenzen zuwuchsen, die eigentlich in die Zustän­digkeit eines Kolonialministeriums gehört hätten. Letztlich dürften die überfor­derten Beamten in der Kolonialabteilung des Auswärtigen Amts bisweilen froh gewesen sein, die DKG zur fachlichen Beratung überhaupt zur Verfügung gehabt zu haben. Im Übrigen entsprach diese Situation durchaus der ursprünglichen Kon­zeption Bismarcks, wonach die Kolonien Sache der Privatinitiative und nicht des Staats zu sein hätten.

Direkte Kontakte zwischen Parti colonial und der deutschen Kolonialbewe­gung hat es durchaus gegeben. Allerdings war das Interesse aneinander unter­schiedlich stark ausgeprägt. Das Hauptaugenmerk der deutschen Kolonialisten hat auf kolonialem wie weltpolitischen Gebiet stets England gegolten. Dieses war Vorbild und Hauptrivale, und seine Weltmachtstellung wollte man zumindest er­reichen, während Frankreich seit 1871 etwas von oben herab betrachtet wurde. Auch für den Parti colonial war England der koloniale Hauptgegner und dies so sehr, dass gelegentlich ein vorsichtiges Zusammengehen mit Deutschland ange­dacht wurde – etwa unter dem Außenminister Gabriel Hanotaux[30] oder durch Étienne im Jahre 1907.[31] Hinsichtlich der Großen Politik aber stand doch der Sie­ger von 1870/71 stärker im Vordergrund als England. Insgesamt war damit Deutschland für die coloniaux viel wichtiger als es Frankreich für ihre deutschen Kollegen gewesen ist; dies natürlich umso mehr, nachdem mit den Marokkokrisen der kontinentale Gegner sich auch noch als ernsthafter kolonialer Rivale entpuppt hatte. Umgekehrt gab die extreme Rechte ihren prinzipiellen Antikolonialismus auf, nachdem Deutschland sich auch in Marokko als Konkurrent erwiesen hatte und nicht mehr die Gefahr bestand, dass über die Verfolgung kolonialer Ziele die Bedrohung durch den östlichen Nachbarn nicht mehr genügend beachtet würde. Immerhin hat der Parti colonial aus seiner spezifischen kolonialpolitischen Optik heraus lange Zeit gegenüber Deutschland eine deutlich positivere Haltung einge­nommen als die große Mehrheit der Franzosen.

Diese unterschiedliche Einstellung der deutschen und französischen Koloni­allobbyisten führte dazu, dass die Anregungen zu den wechselseitigen Kontakten fast ausschließlich von der französischen Seite ausgegangen sind. Eine Episode ist besonders aufschlussreich und interessant. Die den Parti colonial dominierende Gruppe um Eugène Étienne hat einen ganz wesentlichen Anteil an der Wendung in der französischen Außenpolitik gehabt, die 1904 zur Entente Cordiale geführt und die letztlich durch den Parti colonial selbst ausgelöste Faschoda-Krise auch wieder beendet hat. Es kann nun beobachtet werden, dass der gleiche Kreis, nach­dem er durch seine Aktionen mit zu der Entstehung der deutsch-französischen Krise um Marokko beigetragen hatte, um 1907 herum versucht hat, analog zum erfolgreichen Vorgehen im englisch-französischen Konflikt einen Ausgleich her­beizuführen und dazu eben auch die Kontakte zu den deutschen Kolonialkrei­sen zu mobilisieren. Im Gegensatz zu 1904 sind Étienne und seine Freunde in diesem Fall jedoch angesichts des völlig verschiedenen weltpolitischen Kontextes ge­scheitert.[32] Dies zeigt aber auch, dass der außenpolitische Einfluss des Parti colo­nial seine deutlichen Grenzen gehabt hat und nur zum Tragen hat kommen kön­nen, wenn die strukturellen Rahmenbedingungen seinen Zielsetzungen güns­tig gewesen sind. Gleichzeitig ist es ein Indiz dafür, dass sowohl für Deutschland als auch Frankreich im wechselseitigen Verhältnis die Kolonialfrage aufs Ganze ge­sehen von durchaus nachrangiger Bedeutung gewesen ist. Als nicht überraschen­des Fazit mag festgehalten werden, dass der französi­sche Parti colonial und die deutsche Kolonialbewegung jeweils Epiphänomene der übergreifenden europäi­schen Expansionsbewegung gewesen sind und dass sie sich daher auch vielfach ähneln; dass hingegen die Unterschiede, die zweifellos zwischen ihnen bestanden haben, im Wesentlichen auf die unterschiedlichen nationalen politischen und ge­sellschaftlichen Umfelder und Strukturen zurückge­führt werden können.



[1] An Literatur zum Thema können hier nur die wirklich grundlegenden Titel genannt werden, die allesamt schon älteren Datums sind: Brunschwig, Henri, Mythes et réalités de l’impéria­lisme colonial français 1871–1914, Paris 1960; Pierard, Richard V., The German Colonial Society, 1882–1914, Diss.phil., Iowa State University 1964 (Ms); Schmokel, Wolfe W., Dream of Empire. German Colonialism, 1919–1945, New Haven 1964; Hildebrand, Klaus, Vom Reich zum Weltreich. Hitler, NSDAP und koloniale Frage 1919–1945, München 1969; Girardet, Raoul, L’idée coloniale en France 1871–1962, Paris 1972; Andrew, Christopher M.; Grupp, Peter; Kanya-Forstner, A. S., Le Mouvement colonial français et ses principales per­sonnalités, 1890–1914, in: Revue française d’histoire d’outre-mer, 229 (1975), S. 640–673; Grupp, Peter, Deutschland, Frankreich und die Kolonien. Der französische „Parti colonial“ und Deutschland von 1890 bis 1914, Tübingen 1980; Andrew, Christopher M.; Kanya-Forstner, A. S., The Climax of French Imperial Expansion, 1914–1924, Stanford 1981; Grün­der, Horst, Geschichte der deutschen Kolonien, Paderborn 1985. Dort jeweils auch umfang­reiche weitere Literaturangaben.

[2] Die folgenden Bemerkungen beziehen sich weitgehend auf die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg. Dies geschieht zum einen, weil hier nur begrenzter Raum zur Verfügung steht, zum anderen aber, weil Vergleiche für die Jahre danach relativ wenig aussagen, da sich die Situation da­durch stark verändert hatte, dass Deutschland infolge des Versailler Vertrags im Gegensatz zu Frankreich keine Kolonialmacht mehr gewesen ist und die beiden Koloniallobbys sich mit völlig unterschiedlichen Ausgangslagen konfrontiert sahen. Einige kursorische Ausblicke werden daher genügen.

[3] Siehe als eines der jüngsten Beispiele für die diesbezügliche Diskussion Brötels Ausführun­gen über die Société d’Économie Industrielle et Commerciale, die auch in Westafrika und Südostasien aktiv gewesen ist und zahlreiche Mitglieder des Parti colonial in ihren Reihen ge­führt hat; Brötel, Dieter, Frankreich im Fernen Osten. Imperialistische Expansion und Aspi­ration in Siam und Malaya, Laos und China, 1880–1904, Stuttgart 1996, S. 143ff.

[4] Brunschwig (Anm. 1), S. 111; natürlich ist dies kein exaktes Gründungsdatum. Der Parti colonial ist ja nicht als solcher „gegründet“ worden, sondern hat sich nach und nach heraus­gebildet. Das erstmalige Auftauchen des Begriffs ist aber deutliches Zeichen dafür, dass ein­zelne Rinnsale zu diesem Zeitpunkt bereits zu einem beträchtlichen Strom angeschwollen waren.

[5] In Frankreich und vor allem in der französischen Kolonialpresse ist dagegen durchgängig in deutlicher Anlehnung an die heimischen Verhältnisse vom Parti colonial allemand die Rede.

[6] Die im letzten Viertel des Jahrhunderts vorgebrachten Begründungen für die Notwendigkeit einer deutschen Kolonialpolitik finden sich fast alle bereits in der Zeit vor 1848: der Hinweis auf das nationale Prestige, die Betonung der Dringlichkeit der Schaffung von Marinestütz­punkten durch die Verfechter einer deutschen Flotte, die wirtschaftliche Argumentation in der freihändlerischen Version seitens der Kaufleute der Hansestädte und in der schutzzöllneri­schen seitens der Merkantilisten um Friedrich List, sowie – für Deutschland stets besonders charakteristisch – der Hinweis auf den Bevölkerungsüberschuss und die Notwendigkeit einer Lenkung der Auswanderung.

[7] Die mittelalterliche deutsche „Ostkolonisation“ steht in einer anderen Traditionslinie und ist auch von den deutschen Koloniallobbyisten meist nicht im Zusammenhang mit der Kolonial­expansion des 19. Jahrhunderts gesehen worden.

[8] Schon am 07.04.1872 führte Gambetta in einer Rede in Angers aus, Frankreich müsse, um den ihm gebührenden Platz einzunehmen, über seine Grenzen hinaus wirken; Girardet (Anm. 1), S. 43.

[9] Girardet (Anm. 1), S. 66.

[10] Siehe Brunschwig (Anm. 1), dessen Thesen nie widerlegt worden sind.

[11] Andrew; Kanya-Forstner (Anm. 1), S. 25: „It is essential, however, to distinguish the eco­nomic rationale with which Ferry and others sought to justifie expansion, from the nationalist motives which made them colonialists in the first place.“ Siehe auch Girardet (Anm. 1), S. 81ff.

[12] Die Union Coloniale Française wurde zunächst in Comité Central Français pour l’Outre-Mer umbenannt und bestand danach als Comité Central du Rayonnement français weiter.

[13] Esche, Jan, Koloniales Anspruchdenken in Deutschland im Ersten Weltkrieg, während der Versailler Friedensverhandlungen und in der Weimarer Republik (1914–1933), Diss., Ham­burg 1989.

[14] Der Mangel an Koordination zeigt sich u.a. auch bei mehreren Versuchen des Parti colonial, während des Ersten Weltkriegs ein gemeinsames Kriegszielprogramm zu erarbeiten; Grupp, Peter, Le „parti colonial“ français pendant la Première Guerre mondiale. Deux tentatives de programme commun, in: Cahiers d’Études Africaines, 54 (1974), S. 377–391.

[15] Schmokel (Anm. 1), S. 32.

[16] Die Ligue Coloniale Française fusionierte 1921 mit der Ligue Maritime Française, die 1913 über 26.000 Mitglieder verfügt hatte, zur Ligue Maritime et Coloniale; die neue Gesellschaft kam dann auf die Mitgliederzahl in der Größenordnung von Hunderttausenden, wobei aller­dings immer genau hingesehen werden muss. Um 1930 zählte sie über 100.000 Mitglieder, gab aber die Zahl von 700.000 an, indem große Mengen von Schulkindern mitgezählt wur­den, Andrew; Kanya-Forstner (Anm. 1), S. 249.

[17] Siehe zur Sprengwirkung, die die Agadir-Krise innerhalb der DKG ausübte: Grupp, Peter, Die Deutsche Kolonialgesellschaft in der Agadirkrise 1911, in: Francia 7 (1979), S. 298ff.

[18] Zu den Spannungen und Spaltungen siehe Pierard (Anm. 1), passim; speziell S. 287ff. zur Zwangsarbeit, S. 323ff. zur Flottenfrage.

[19] Dépêche Coloniale am 26.12.1906; Leitartikel anlässlich der Reichstagsauflösung wegen der Ablehnung des Nachtragshaushalts für die Bekämpfung des Aufstands in Südwestafrika. Die DKG hat gerade in dieser Frage keineswegs eine führende Rolle gespielt; diese fiel ganz dem Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger zu.

[20] In dieser Krise zeigt sich beispielhaft, wie schwierig die Entscheidungsfindung innerhalb der satzungsgemäßen Gremien der DKG gewesen ist und wie sie häufig zu Paralyse und Untätig­keit geführt hat; Grupp (Anm. 17), S. 292: „Sie hat keineswegs agitatorisch zum Eingreifen in Marokko gedrängt, sich dann unentschlossen über Monate hin zu keiner konkreten Aktion aufraffen können, hat endlich nur widerstrebend dem Druck des Präsidenten folgend und viel zu spät die Unterorganisationen zur Tat aufgerufen, hat den Gang der Verhandlungen nie be­einflussen können, ist nur zögernd imstande gewesen, ein Urteil über den die Krise abschlie­ßenden Vertrag zu fassen und hat letztlich die vollzogenen Tatsachen unter platonischem Protest hingenommen.“

[21] All diese Organisationen verfügten über eigene Presseorgane, die sich dann dem jeweiligen Spezialthema widmen konnten. Die DKG dagegen ging den Weg, unter ihrer Ägide eine ganze Reihe von Spezialorganen herauszugeben. Zur Presse des Parti colonial vgl. Grupp (Anm. 1), Anhang 2.

[22] Andrew; Kanya-Forstner (Anm. 1), S. 24.

[23] Als Beispiel für die Erörterung der Rolle der Wirtschaft im Parti colonial aus jüngster Zeit siehe Brötel (Anm. 3).

[24] Gründer (Anm. 1), S. 63ff.

[25] Andrew; Kanya-Forstner (Anm. 1), S. 30.

[26] Siehe als Beispiel Grupp (Anm. 17), S. 296f. Dieser Aspekt wird häufig in der einschlägigen Literatur nicht ausreichend beachtet. Siehe dazu Abrams, Lawrence; Miller, David, Who Were The French Colonialists? A Reassessment of the Parti colonial 1890–1914, in: The Historical Journal XIX (1976) 3, und die Erwiderung von Andrew, Christopher M.; Kanya-Forstner, A. S., French Business and the French Colonialists, in: The Historical Journal XIX (1976) 4, S. 981–1000. Siehe auch Bendikat, Elfi, Organisierte Kolonialbewegung in der Bismarck-Ära, Brazzaville 1984. Hier fällt eine deutliche Diskrepanz zwischen der Auflis­tung großer Namen bei gleichzeitiger Feststellung nur geringen oder ganz fehlenden Einflus­ses auf. Konzentrierte Beschäftigung mit einer Einzelorganisation führt bisweilen zu einer Art von perspektivischer Blindheit, wenn die Bedeutung der „Helden“, d.h. der gerade behandel­ten Organisation, übertrieben wird; so etwa bei Pierard (Anm. 1). Bereits Schmokel (Anm. 1), S. 14ff. und 194, hat andeutungsweise auf die Gefahren hingewiesen, die Bedeutung der Gruppen und der Agitation zu überschätzen, wenn aus verengter Perspektive alle irgend er­reichbaren Hinweise, Daten und Namen zusammengetragen werden.

[27] Zu den Beispielen Faschoda und Marokko siehe Andrew; Kanya-Forstner (Anm. 1), S. 23. Siehe auch den Beitrag von Arnim Heinen über die cabinets ministeriels in diesem Band.

[28] Andrew, Christopher M., Théophile Delcassé and the Making of the Entente Cordiale, Lon­don 1968; Michel, Marc, La Mission Marchand 1895–1899, Paris 1972.

[29] Dies schließt natürlich nicht aus, dass ihre Politik aufs Ganze gesehen in dieser Angelegenheit völlig verfehlt gewesen ist. Im Übrigen war die Zusammenarbeit mit der gemäßigten Ham­burger Unternehmensgruppe um Max Warburg am intensivsten; Grupp (Anm. 17), S. 295f.

[30] Siehe zu Hanotaux’ Bemühen, die deutsche Unterstützung in der Ägypten-Frage zu erreichen, Grupp, Peter, Theorie der Kolonialexpansion und Methoden der imperialistischen Außenpo­litik bei Gabriel Hanotaux, Bern 1972; auch Guillen, Pierre, L’Expansion 1881–1898 (Collec­tion Politique Étrangère de la France 1871–1969), Paris 1985.

[31] Grupp, Peter, Eugène Étienne et la tentative de rapprochement franco-allemand en 1907, in: Cahiers d’Études africaines 58 (1975), S. 303–311.

[32] Wie Anm. 31.

Für das Themenportal verfasst von

Peter Grupp

( 2007 )
Zitation
Peter Grupp, Parti colonial français und deutsche Kolonialbewegung, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1423>.
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