Deutsche Drehbuchautoren in Hollywood (1933-1945)

Zur Zeit des Nationalsozialismus flohen zahlreiche Schriftsteller und Drehbuchautoren aus Deutschland in die USA. Manche von ihnen konnten in letzter Minute mit einem rettenden Visum einreisen. Die Erfahrungen der europäischen Exilautoren in den Vereinigten Staaten waren dann allerdings widersprüchlich. Wer in Hollywood, dem Zentrum der amerikanischen Filmindustrie landete, realisierte rasch, dass seine aus Europa mitgebrachten Vorstellungen von Beruf, geistiger Arbeit und individueller Autorschaft in der großbetrieblich organisierten Kulturindustrie der amerikanischen Westküste wenig galten. [...]

Deutsche Drehbuchautoren in Hollywood (1933—1945)[1]

Von Juliane Scholz

Zur Zeit des Nationalsozialismus flohen zahlreiche Schriftsteller und Drehbuchautoren aus Deutschland in die USA. Manche von ihnen konnten in letzter Minute mit einem rettenden Visum einreisen. Die Erfahrungen der europäischen Exilautoren in den Vereinigten Staaten waren dann allerdings widersprüchlich. Wer in Hollywood, dem Zentrum der amerikanischen Filmindustrie landete, realisierte rasch, dass seine aus Europa mitgebrachten Vorstellungen von Beruf, geistiger Arbeit und individueller Autorschaft in der großbetrieblich organisierten Kulturindustrie der amerikanischen Westküste wenig galten. Selbst weit herumgekommenen und erfahrenen Drehbuchautoren wie Alfred Neumann (1895, Lautenburg, Westpreußen—1952, Lugano) fiel es mitunter nicht leicht, sich auf die geschäftlichen, sozialen und kulturellen Gepflogenheiten der amerikanischen Studios einzustellen. Die Arbeit in der amerikanischen Filmindustrie war für etablierte europäische Literaten eine Grenzerfahrung, die sich mit ihrem bisherigen Arbeitsalltag und Selbstverständnis nicht deckte. Das zeigen die Briefe von Alfred Neumann aus dem Jahr 1941, in denen er dem an der Ostküste lebenden deutschen Freund Hermann Kesten über seine Erfahrungen im kalifornischen Exil berichtete.[2]

Alfred Neumann hatte Kunstgeschichte studiert und danach in München als Dramaturg und in Berlin als freier Schriftsteller gearbeitet. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten konnte er wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner politischen und künstlerischen Auffassungen seine literarischen Werke und Drehbücher in Deutschland nicht mehr veröffentlichen bzw. realisieren. Aufgrund der rassisch und politisch motivierten Nichtaufnahme in die obligatorischen Berufsverbände für Schriftsteller und Filmschaffende (der Reichsschrifttumskammer bzw. Reichsfilmkammer), waren seine beruflichen und publizistischen Möglichkeiten in Deutschland seit 1933 erheblich eingeschränkt. Er emigrierte deshalb nach Italien, wo er unter anderem mit Thomas Mann zusammenarbeitete. Als aufgrund des Hitler-Mussolini-Paktes ab 1938 die Spielräume für deutsche Emigranten auch in Italien enger wurden und das faschistische Italien sich aktiv an der Verfolgung der Juden beteiligte, emigrierte Neumann über Zwischenstationen in Südfrankreich im Jahr 1941 mit einem der begehrten emergency visa nach Hollywood, wo er in der Nachbarschaft Thomas Manns wohnte.

Neumann verkaufte die Veröffentlichungs- und Aufführungsrechte an seinen Werken in andere Länder; die Verfilmungsrechte für seine Romane, Dramen und Erzählungen wurden von Filmgesellschaften in Frankreich und den USA erworben. Er war schon vor seiner Ankunft in die USA ein international erfolgreicher Schriftsteller und Drehbuchautor. Insofern waren die Voraussetzungen für eine erfolgreiche dauerhafte Tätigkeit in Hollywood vergleichsweise günstig. Seine Briefe aus Hollywood zeigen, dass er sich dort als professioneller Drehbuchautor durchsetzen konnte. Er drückt darin aber auch seine Verwunderung über bestimmte Rollen-, Funktions- und Beziehungsmuster im Studiosystem Hollywoods aus. Seine Interpretation war dabei durch Einstellungen und Erfahrungen, die er in Deutschland und Europa erworben bzw. gemacht hatte, bestimmt. Zentral war die Erwartung, dass der Inhaber eines geistigen Berufs einen sehr weitgehenden Anspruch auf Individualität und subjektive Kreativität in der Gestaltung und Bearbeitung seiner Werke hat. Gerade weil damals in den Diktaturen Europas der Anspruch auf individuelle und professionelle Autonomie brutal verletzt wurde und die Flüchtlinge ihr Festhalten daran mit Repression, Vertreibung und Flucht bezahlen mussten, waren manche Emigranten in Fragen der beruflichen und künstlerischen Autonomie des Individuums besonders empfindlich. Neumann konnte davon ausgehen, dass der Adressat seiner Briefe, sein Freund Hermann Kesten, der in Deutschland Lektor beim Kiepenheuer-Verlag gewesen war und sich im amerikanischen Exil für die Beschaffung sogenannter affidavits (Bürgschaften) für verfolgte europäische Künstler engagierte, seine Prinzipien verstand — und teilte. Im Folgenden sollen die Erfahrungen und Erwartungen emigrierter Kultur- und Filmschaffender anhand der Geschichte erfolgreicher und frustrierter deutscher Drehbuchautoren in den USA dargestellt werden.

Als erstes muss dabei erwähnt werden, dass in Deutschland und anderen europäischen Ländern der Drehbuchautor vielfach ein kreativer ‚Heimarbeiter‘ war, der seine Zeit und Arbeit im Wesentlichen selbst einteilte, sein Werk allein schuf und nur bei gelegentlichen Drehbuchsitzungen mit dem Produzenten und Chef-Dramaturgen enger kooperierte. Oft war zudem die Funktion des Drehbuchschreibens noch nicht verselbständigt; das heißt sie wurde zusammen mit anderen Funktionen wie der Regie, der Kameraführung oder der Produktionsleitung ausgeübt. Das vergleichsweise informelle und personalisierte europäische Produktionssystem kontrastierte mit dem stärker ausdifferenzierten, formalisierten und streng hierarchischen System der US-Studios, wo die Drehbuchautoren in einem eigenen story department untergebracht waren und unter ständiger Aufsicht diverser Vorgesetzter und einflussreicher boss-producer standen. Bürotür an Bürotür klackerten Schreibmaschinen über die langen Flure. Die kreativen Köpfe arbeiteten, meist ohne es zu wissen, am selben Film oder Dialogfetzen wie der Kollege zwei Räume entfernt. Autoren aus Europa waren über die fabrikähnliche, arbeitsteilige Struktur, den rationalisierten Produktionsprozess und die Erfahrung von Teamarbeit und kollektiver Autorschaft verblüfft und irritiert. Ihnen erging es ähnlich wie einige Jahre zuvor — in der Weltwirtschaftskrise — denjenigen amerikanischen Schriftstellern und Dramatikern, die New York und die wenigen anderen Kultur- und Medienzentren an der amerikanischen Ostküste verlassen hatten, um ihre Karriere in Hollywood fortzusetzen.

Die Drehbuchautoren in den großen Studios waren angehalten, ihre Arbeitszeit von neun bis fünf Uhr in einem Büro auf dem Studiogelände abzusitzen und pro Woche zehn bis fünfzehn Seiten Drehbuchmaterial abzuliefern. Einzig der Output zählte. Ob das Drehbuchmaterial verfilmt wurde oder nicht, spielte keine Rolle, denn die großen Studios sammelten und horteten Ideen, Skizzen und Optionen für Theaterstücke und Novellen, um diese zu gegebener Zeit zu verwerten. In Hollywood verblassten traditionelle berufliche Ansprüche — etwa auf individuelle schöpferische Tätigkeit, freie Wahl der Ausdrucksmittel, künstlerische Autonomie und Kontrolle des Gesamtwerks. Nur wenige Drehbuchautoren konnten dem Produzenten selbst Vorschläge unterbreiten. Die meisten erstellten im Angestelltenverhältnis, an der Seite mehrere Kollegen und unter erheblichem Zeitdruck, drehfertige Bücher. Die rationalisierte Studioproduktion brauchte realisierbare Drehbücher, die von Spezialisten wie Gagautoren, Dialogautoren oder auch script doctors, die Filme von überflüssigen Charakteren und Handlungssträngen befreiten, bearbeitet wurden. Wer einen unbefristeten Vertrag mit einem Studio erhielt, schrieb exklusiv für seine Firma und die hauseigenen Stars. Neben der funktionalen Spezialisierung des Drehbuchautors gab es die Spezialisierung für bestimmte Genres und einzelne Darsteller. In dieser Tretmühle war es nicht ausschlaggebend, ob der Autor in seinem Heimatland ein angesehener Literat gewesen war. Nur einige wenige Drehbuchautoren wurden wie berühmte Schauspieler hofiert. Die Entlohnung der angestellten Autoren erfolgte in der Regel wöchentlich. Grundsätzlich verdienten Drehbuchautoren in Hollywood recht gut. Bessere Konditionen erhielten jedoch nur etablierte und erfolgreiche Filmautoren.

In diesem Produktionssystem fand sich 1941 Alfred Neumann nach seiner Ankunft in Kalifornien wieder, der den im Angestellten- oder Auftragsverhältnis tätigen Hollywood-Drehbuchschreiber als „Scheinfigur der Schweinwelt“ bezeichnete. Der writer sitze die vorgeschriebene Arbeitszeit für 100 Dollar Wochenlohn ab und schreibe Texte, von denen die meisten weder gelesen noch verfilmt würden. Alfred Neumann reflektierte so über die Risiken und Enttäuschungen beim Wechsel vom einem Arbeits- und Berufssystem zum anderen bzw. von „Europa“ nach „Hollywood/Amerika“. Er verlor, selbst bei der Beschreibung seiner eigenen Erfolge, nicht aus den Augen, dass das Hollywood-System wenige Stars und viele geistige „Brotarbeiter“[3] brauchte. Viele dieser Flüchtlinge aus Europa mussten deshalb im Gastland auch ihre beruflichen Ansprüche relativieren. Die damals auch in Deutschland und Europa öfter beschworene ‚Proletarisierung der geistigen Arbeit’ schien sich in den Hollywood-Studios zugespitzt zu haben.

In Neumanns Bericht über die büroartige Arbeitsweise des wirtschaftlich unselbständigen angestellten Drehbuchschreibers begegnet uns die Kritik an der Herrschaft und Entfremdung im Großbetrieb und an der Kommerzialisierung der modernen kapitalistischen Kultur in Verbindung mit einer gewissen Skepsis gegenüber Amerika. Der Verfasser reflektiert dann aber auch grundsätzlicher über Formen der Regulierung geistiger und künstlerischer Arbeit, die Organisation von Medien- und Kulturunternehmen und die Verberuflichung und Entberuflichung informations- und symbolverarbeitender Tätigkeiten. Zur Debatte stand die Frage, wieweit sich individualistische Begriffe von Professionalität, Kreativität und Autorschaft und der Anspruch auf Autonomie unter den Bedingungen der hochgradig konzentrierten und großbetrieblich organisierten Massenkulturindustrie aufrecht erhalten ließen. Quer dazu verliefen die Spannungen zwischen dem Eigenen und Anderen — in diesem Falle amerikanischen und europäischen Eigenarten der Filmindustrie. Diese wurden vielfach als Entwicklungsunterschiede begriffen, womit dann auch unterschiedliche Auffassungen von Beruf und Kultur begründet wurden.

Die Bewertung der Arbeit und Stellung des Hollywood-Drehbuchautors durch Emigranten wie Neuman erfolgte im Rahmen eines sehr viel weiter reichenden deutsch-amerikanischen und europäisch-amerikanischen Kultur- und Gesellschaftsvergleichs; und vor dem Hintergrund eines längerfristigen wechselseitigen transatlantischen Kulturtransfers. Seit den 1920er-Jahren waren fast fünfhundert Filmschaffende aus Deutschland in die neue Welt gekommen. In den 1930er-Jahren war der Beruf des Drehbuchautors oft der einzig mögliche und lohnende Beruf für Filmexilanten, da die Studios bereits über einen festen Stab von Technikern, Kameramännern, Regisseuren sowie Schauspielern verfügten. Die Konkurrenz unter den seit 1938 vermehrt eingewanderten Drehbuchautoren war erheblich. Fünfzig, das heißt etwa zehn Prozent der deutschen Filmemigranten hatte diese Tätigkeit schon im Herkunftsland hauptberuflich ausgeübt; sie hatten dabei entweder ganze drehfertige Bücher oder Ideen und Exposés für Filmstudios geliefert. Die überwiegende Mehrheit schaffte es auch in den USA, dass ihre Stoffe oder Bücher letztendlich auf der Leinwand realisiert wurden.[4] Erfolgreiche Drehbuchautoren wie Neumann entwarfen mit den Autorenteams und einem englischsprachigen Dialogautor an der Seite Handlungsideen und Originaldrehbücher. Meist spezialisierten sie sich auf ein Genre. Sie waren bereit und fähig, sich an neue Arbeitsbedingungen und Anforderungen anzupassen und die Produktionspraxis Hollywoods und deren Genrekonventionen zu übernehmen und weiterzuentwickeln. Manche nahmen die US-Staatsbürgerschaft an.

Auch wenn ihr Einkommen und Ansehen nicht mit dem großen, bereits etablierten Autorenstars wie Vickie Baum, Billy Wilder oder Felix Jackson (früher: Joachimson) vergleichbar war, die sich schon in den 1920er-Jahren einen Namen gemacht hatten, war Hollywood für die Mehrheit der deutsch-amerikanischen Drehbuchautoren weder die in Literatenkreisen immer wieder zitierte „Hölle“ noch ein „Unglück“. Drehbuchautoren wie Jan Lustig oder Alfred Neumann verdienten gut und bekamen relativ schnell unbefristete Festanstellungen. Alfred Neumann erhielt nach seiner Ankunft in Los Angeles erst einmal einen sogenannten charity-Vertrag, der ihm 100 Dollar Wochenlohn und die befristete Anstellung bei einem Filmstudio sicherte. Nach einem Jahr wurde er von Warner fest engagiert. Die Erfahrung vieler glückloser ausländischer Autoren, die ohne Arbeitsvertrag da standen und nach sechs Monaten nach Mexiko ausreisen mussten, um von dort erneut in die Vereinigten Staaten einzureisen, blieb ihm erspart. Seine Gage entsprach derjenigen erfahrener US-Filmautoren. 1945 wurde er für seine literarische Vorlage zum Film None Shall Escape (1944) für den Oscar nominiert.

Neumann gehörte zu den Erfolgreichen und Integrierten. Seine Skepsis gegenüber der ‚Kommerzhölle Hollywood‘ unterschied sich allerdings nur graduell von derjenigen zahlreicher eingewanderter Schriftsteller und Theaterautoren, die im amerikanischen Exil nicht mehr an ihre Erfolge im Heimatland anknüpfen konnten und zur großen Gruppe der beruflich erfolglosen und sozial und kulturell nicht integrierten europäischen Emigranten gehörten. Manche Schriftsteller und Dramatiker, die sich als Drehbuchautor in Hollywood versuchten, kamen damit nicht zurecht. Alfred Döblin bezeichnete seine Erfahrungen im Büro einer Filmgesellschaft als Sitzhaft; es gäbe nur zwei Arten von Autoren, nämlich solche, die im Fett und solche, die im Dreck sitzen.[5] Nach seiner Zeit bei Metro-Goldwyn-Mayer(MGM) bekam er für kurze Zeit Arbeitslosenunterstützung, danach war er wie viele andere auf die Unterstützung durch Angehörige der Exil-Community angewiesen. So wurden Franz Werfel und Döblin zeitweilig durch ein Komitee von Liesl Frank (der Ehefrau des Schriftstellers Bruno Frank, die später Jan Lustig heiratete) finanziell unterstützt. Manche von ihnen hielten sich vorübergehend nur dank der Hilfe von Gönnern und Freunden oder des Verkaufs von Optionsrechten an ihren Romanen über Wasser.

Zur Gruppe der Autoren, die Drehbuchaufträge als „Brotarbeit“ übernahmen, gehörten neben Alfred Döblin unter anderen auch Bertolt Brecht und Lion Feuchtwanger. Als teils haupt-, teils nebenberuflich tätige Drehbuchautoren litten diese darunter, dass sie ihre selbstbestimmte literarische Tätigkeit einschränken mussten oder erst nach Arbeitsschluss ausüben konnte. Sie kamen mit der Arbeitsorganisation bzw. den damit verbundenen Anforderungen und Zumutungen in Hollywood schlecht zurecht. Ihre Arbeit als Drehbuchautor sahen sie deshalb als Mittel zum Zweck und lästiges Übel; als etwas, das sie von ihren eigentlichen literarischen Aufgaben, ihrer künstlerische Kreativität und Berufung abhielt. Für sie war die Zeit in Hollywood eine Durststrecke ohne hervorstechende künstlerische Schöpfungen und wirtschaftlichen Erfolg, eine Erfahrung des Verlusts an Status und Prestige. Ein Großteil von ihnen kehrte nach dem Krieg schnell nach Europa zurück.

Für den Misserfolg von Drehbuchautoren in Hollywood waren keineswegs in jedem Fall bloß mangelhafte Englischkenntnisse verantwortlich. Einige Studios waren an guten Originalfilmideen und Stories so sehr interessiert, dass sie den deutschsprachigen Filmautoren erfahrene englischsprachige Dialogautoren zur Seite stellten. Eine größere Hürde stellte für das Gros der deutschsprachigen Drehbuchautoren ihre fehlende Erfahrung mit der in Hollywood praktizieren Teamarbeit dar. Aufgrund ihrer Sozialisation in den gebildeten Mittelschichten oder im Bildungsbürgertum waren sie an vergleichsweise feste professionelle Hierarchien und berechenbare, quasi-ständische sozio-kulturelle Standards gewöhnt. Als Angehörige der europäischen Bildungs- und Kultureliten hatten sie einen sozialen Habitus, der sich mit den informellen und egalitären Umgangsformen an der Westküste mitunter ebenso wenig vertrug wie mit den klaren geschäftlichen Hierarchien und funktionalen Kooperationsbeziehungen der großbetrieblich organisierten Kultur- und Medienproduktion Hollywoods. Die Gruppe deutschsprachiger Filmkünstler war andererseits aber auch so groß, dass sich ein gewisses Eigenleben mit besonderen Treffpunkten und Geselligkeiten, Solidaritätsbeziehungen und Rivalitäten entwickelte.

Aufgrund des sich verschärfenden Konkurrenzdrucks versuchten manche Autoren, sich auf bestimmte Spezialitäten zu konzentrieren. Die einen verkauften Optionen auf Romanideen und Kurzgeschichten an Filmstudios, andere verfassten fertige Drehbücher. Nach dem Kriegseintritt der USA und der Mobilisierung der amerikanischen Filmindustrie für nationale Propagandazwecke entwickelte sich im Dunstkreis deutscher Filmexilanten schließlich ein sehr vielversprechendes neues Genre, nämlich der Anti-Nazifilm.[6] Dieser übernahm und variierte Motive, Konventionen und Ausdrucksformen anderer erfolgreicher Genres. In ihm ging es nicht unbedingt um die historische Detailgenauigkeit eines Kostümfilms. Im Mittelpunkt stand vielmehr eine Liebesbeziehung oder ein aktionsreicher und spannungsgeladene Handlungsstrang. Die Autoren, Regisseure und Schauspieler waren oftmals deutschsprachige Verfolgte des Nazi-Regimes. Die Geschichte des Anti-Nazifilms zeigt, dass die Emigranten durchaus eigene künstlerische Vorstellungen und Ideen in US-Filmen einträglich platzieren und europäische Erfahrungswelten nach Hollywood transferieren konnten.

Der Einstieg der geflüchteten deutschen bzw. deutschsprachigen Drehbuchautoren in die amerikanische Filmwirtschaft wurde grundsätzlich dadurch erleichtert, dass sich die Technik sowie die Methoden und Ausdrucksformen des Films jeweils rasch international verbreiteten und universell anglichen, also oft nur graduell unterschieden. Nicht erst seit den späten 1930er-Jahren trugen Emigranten dazu bei, dass der Film zu einem nationale Grenzen überschreitenden Kultur- und Unterhaltungsgut und zu einer weltweit handelbaren Ware wurde. Hollywood produzierte für den Weltmarkt. Deutschland war nach dem Ersten Weltkrieg einer der großen Märkte für amerikanische Filme geworden. Damals wurden die wirtschaftlichen und künstlerischen Verflechtungen zwischen den beiden Filmländern intensiviert; das größte deutsche Filmstudio, die UFA, produzierte in Zusammenarbeit mit den amerikanischen Famous Playersin den 1920er-Jahren eine Reihe von Lubitsch-Filmen nach dem amerikanischen Studioprinzip. Bis zum Beginn des Tonfilms hatten sich bereits einige deutschsprachige Filmkünstler in den USA etabliert.

Manche der Exilautoren der Zeit zwischen 1933 und 1945 verfügten über kulturelle Kompetenzen, professionelle Fähigkeiten und Erfahrungen im Filmgeschäft, die sich auf ihre Aufstiegschancen in Hollywood günstig auswirkten. Nicht jeder empfand den Druck, wöchentlich etwas abliefern zu müssen und in Teams zu arbeiten, als Hindernis für die Kreativität. Einige Filmautoren zogen die in Hollywood praktizierte Arbeitsteilung und Kooperation vor und akzeptieren die starke Macht des Produzenten, der eine effiziente, kalkulierbare sowie schnelle Fertigung des Endprodukts auf hohem qualitativem Niveau zu gewährleisten beanspruchte. Die Rücksprache mit Produzenten und die Zusammenarbeit in Autorenteams strafften in Hollywood den Arbeitsablauf und verkürzten die Kommunikationswege. Tatsächlich stand die großbetriebliche Organisation aber in einem klaren Spannungsverhältnis zur berufsförmigen Regulierung und zum Kult des individuellen Schöpfers und Autors. Deshalb fanden Immigranten wie Neumann in Hollywood das Fehlen ausgeprägter individueller Gestaltungs- und beruflicher Statusansprüche, wie sie das aus Deutschland kannten, so bemerkenswert.

Dagegen fällt auf, dass Alfred Neumann in seinen Schilderungen über die Arbeitswelt der amerikanischen Drehbuchautoren nicht auf die Ansätze zur Herausbildung eines professionellen und gewerkschaftlichen Bewusstseins unter den angestellten oder in einem Werkauftragsverhältnis beschäftigten Autoren einging. Tatsächlich intensivierten die amerikanischen Drehbuchautoren damals ihre Anstrengungen, sich aufgrund der ausgeübten Tätigkeit und der erbrachten Leistungen und Werke als Profession darzustellen und ihre Funktionen und Rechte als Arbeitnehmer und Urheber in der hochgradig konzentierten Medien- und Kulturindustrie zu stärken. Seit den 1930er-Jahren strebte die Screen Writers Guild[7]die Verbesserung der Stellung der Drehbuchautoren an. Anfang der 1940er-Jahre konnte sie einen kollektiven Vergütungsvertrag (Minimum Basic Agreement) mit den Studios aushandeln und den Berufszweig zu einem closed shop erklären, in dem die Mitgliedschaft im gewerkschaftsartigen Berufsverband obligatorisch war. Die vertraglichen und arbeitsrechtlichen Aspekte wurden seit 1942 detailliert vom Berufsverband Screen Writers’ Guild geregelt. Dadurch war die Stellung der amerikanischen Drehbuchautoren in einigen Hinsichten sehr viel stärker als diejenige ihrer Kollegen im damaligen Europa. Bis heute verfügen die Drehbuchautoren in kaum einem europäischen Land über die gleiche organisatorische Geschlossenheit, ein ähnliches berufliches Sonderbewusstsein und eine so starke Machtposition in der Aushandlung von Arbeits-, Anstellungs-, Vergütungs- und Copyrightbedingungen wie in den USA. In der großbetrieblich organisierten amerikanischen Kulturindustrie wurden Werte wie individuelle Kreativität und berufliche Autonomie den Zielen des Unternehmens untergeordnet, gleichzeitig bildeten sich aber auch neue Formen von Professionalität, Kreativität und Autorschaft heraus.

Im Vergleich zur Hölle des Krieges und des nationalsozialistischen Terrors in Europa, und zur Situation derjenigen europäischen Filmschaffenden, die an ihren professionellen Idealen festhielten und sich nicht zu willfährigen Dienern rassistischer und totalitärer Regimes machten, war die Rolle und Stellung des angestellten Drehbuchautors (screen writer) in Hollywood durchaus erträglich. Die in der Exilforschung oftmals vorgetragene These der Hollywood-Hölle[8] wirkt vor diesem Hintergrund zumindest im Falle der professionellen Drehbuchautoren und der hier behandelten Zeit nicht besonders überzeugend.



[1] Essay zur Quelle: Alfred Neumann als Drehbuchautor in Hollywood. Briefe an Hermann Kesten (1941). Die Druckversion des Essays findet sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 61—68, Band 2 der Schriftreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.

[2] Vgl. Auszüge aus den Briefen von Alfred Neumann an Hermann Kesten vom 13.August 1941 und vom 25. Dezember 1941, aus: Kesten, Hermann, Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933—1949, ungekürzte Aufl., Frankfurt am Main 21973, S. 151—153.

[3] „Brotarbeit“ nannte Brecht seine Arbeit am Film „Hangmen Also Die“; vgl. Brecht, Bertold, Arbeitsjournal. 1938—1955, Berlin 1977, S. 289.

[4] Vgl. Horak, Jan-Christopher, Fluchtpunkt Hollywood. Eine Dokumentation zur Filmemigration nach 1933, erw. u. korrigierte Aufl., Münster 21986, S. 46—154.

[5] Vgl. Brief von A. Döblin an Kesten vom 12.3.1943, in: Kesten,  Deutsche Literatur im Exil, S. 179f.

[6] Herausragende Beispiele des Genres „Confessions of a Nazi Spy“ aus dem Jahr 1939 und „Hangmen Also Die“ aus dem Jahr 1943. Brecht hatte mit Regisseur Fritz Lang für letzteren Film die Originalstory und große Teile des Drehbuchs entworfen.

[7] In Deutschland hatte sich 1919 der Verband Deutscher Filmautoren gegründet, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten allerdings in den Zwangsorganisationen der Reichsfilmkammer aufging.

[8] Vgl. Asper, Helmut G., Hollywood-Hölle oder Paradies? Legende und Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Exilautoren in der amerikanischen Filmindustrie, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch Bd. 10 (1992) , S. 187—199.



Literaturhinweise

  • Asper, Helmut G., Hollywood-Hölle oder Paradies? Legende und Realität der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Exilautoren in der amerikanischen Filmindustrie, in: Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch Bd. 10 (1992), S. 187—199.
  • Brecht, Bertolt, Arbeitsjournal. 1938—1955, Berlin 1977.
  • Gumprecht, Holger, "New Weimar" unter Palmen. Deutsche Schriftsteller im Exil in Los Angeles, Berlin 1998.
  • Horak, Jan-Christopher, Fluchtpunkt Hollywood. Eine Dokumentation zur Filmemigration nach 1933, erw. u. korrigierte Aufl., Münster 21986.
  • Kesten, Hermann, Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933—1949, ungekürzte Ausg., Frankfurt am Main 21973.
  • Schwartz, Nancy Lynn, The Hollywood Writer's Wars, New York 1982.

Alfred Neumann als Drehbuchautor in Hollywood. Briefe an Hermann Kesten (1941)[1]

1.

Von Alfred Neumann

                                                                                         Hollywood, California

                                                                                          13. Aug. 1941

Lieber Hermann Kesten,

[…]

Ich bin schon lange genug hier, um aus dem Freiheits-Frühlingsrausch heraus und in eine kühlere Betrachtung der Dinge hineingeraten zu sein. Das Resultat ist ziemlich sonderbar, zumal es ja eine Scheinwelt ist, auf die man den kühlen Blick richtet. Und die Sache wird ziemlich kompliziert, wenn man bemerkt, daß man – ganz wie von ungefähr – zu so etwas wie einer Potenz dieser Scheinwelt geworden ist, nämlich eine Scheinfigur der Scheinwelt. Die charity[2] die einen hergebracht hat, und die $ 100.- Wochenlohn, die sie vergibt, haben sich zu einem vitiosen Kreis verschweißt, dergestalt, daß sich die unsichtbaren Götter der charity in der Office nur den 100-$-Mann sehen, der eben deshalb zu nichts nütze sein kann, weil er nur $ 100.- in der Woche kriegt. Und da hierzulande – hierzufilmlande – eine geradezu organische Leseangst grassiert — so als ob die Lese-Organe, oder wenn man boshafter noch sein will, die Lese-Kenntnis fehlten, tut man sich bei 100-$-Charity nun gar keinen Zwang an. Also: man ist zwar – aus ursprünglich mildtätigem Grunde – als writer angestellt und wird dafür gezahlt, aber das, was man beruflich und vertraglich schreibt, wird nicht gelesen. Man hört und sieht nichts mehr von dem, was man abgeliefert hat – man hört und sieht überhaupt niemanden.

Man sitzt seine Zeit ab, Tag für Tag, und arbeitet natürlich für sich; aber da ich wohl gerne hinter dem Schreibtisch sitze, hinter dem eigenen, und durch die Bürozeit und ihre stille Sinnlosigkeit irritiert bleibe, ist noch nicht allzuviel für die eigene Arbeit herausgekommen. Bei alledem bleibt natürlich der Blick kühl genug, um festzustellen, daß eine leerlaufende charity immer noch besser ist als gar keine.

[…]

Seien Sie und Ihre Frau herzlichst gegrüßt von der meinen und Ihrem alten

                                                                                          Alfred Neumann

2.

Von Alfred Neumann

                                                                                          Hollywood, 25. Dez. 1941

Lieber Hermann Kesten,

[…]

Von uns ist zu melden, vor allem, daß es meiner Frau wieder ausgezeichnet geht. Ferner, daß ich im November höchst überraschend ein big assignment von Warner’s bekam, das heißt einen regelrechten Auftrag für einen Bette-Davis-Film, sogar in Zusammenarbeit mit einem der Boss-Producers. Das bedeutet natürlich durchaus nicht, daß ich nicht mit den Märziden[3] auf die Straße fliege wie alle anderen, und es würde den Hinauswurf nur mit besonderer Bitternis verbrämen, dieweil ich meine schönen Tage von ½ 9 bis 4 Uhr im Studio zu verbringen habe, ob ich nun für besagten Boss nicht mehr Mr. Neumann, sondern »dear Alfred bin«. Und die merde[4], die ich innerhalb dieser schönen Tagesstunden zu fabrizieren habe, bedrückt natürlich die anständige Werkhälfte des Tages zum mindesten zeitlich und nervlich.-viel wichtiger ist es aber, daß ich mit Macmillan einen Generalvertrag geschlossen habe, der dort weitermacht, wo mir der Knopf abgerissen ist — also zunächst jene Friends of the People[5] bringend, die bisher nur in England erschienen sind und deren schlechte Übersetzung ich gerade revidiere. So braucht mich mein Märzstündlein nicht mehr gar so bange machen.

Also dann hinein ins Neue Jahr, das vielleicht zum Neuweltjahr wird! Ihnen und Ihrer Frau die alte Freundschaft der meinen und Ihr

                                                                                          Alfred Neumann


[1]Auszüge aus den Briefen von Alfred Neumann an Hermann Kesten vom 13. August 1941 und vom 25. Dezember 1941, aus: Kesten, Hermann, Deutsche Literatur im Exil. Briefe europäischer Autoren 1933—1949, ungekürzte Aufl., Frankfurt am Main 21973, S. 151—153. Eine Druckversion der Quelle findet sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 68—71, Band 2 der Schriftreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.

[2] Bezieht sich auf die Wohltätigkeit der US-Filmstudios, den Emigranten als letzte Rettung Ein-Jahres-Verträge anzubieten, um deren Einreise in die USA zu ermöglichen.

[3] Mitte März.

[4] Frz.: Mist.

[5] Altertümlich für Volksfreund. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Veröffentlichungspolitik des britischen Verlages Macmillan, dessen Dependance in den USA zuerst etablierte und erfolgreiche Autoren veröffentlichte.


Für das Themenportal verfasst von

Juliane Scholz

( 2012 )
Zitation
Juliane Scholz, Deutsche Drehbuchautoren in Hollywood (1933-1945), in: Themenportal Europäische Geschichte, 2012, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1564>.
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