Das "Staatslexikon" von Rotteck und Welcker (1834-1843) und Fragen der Erziehung

Das „Staatslexikon” wurde die Bibel der vormärzlichen Liberalen genannt. Ein Grund für die seltene Heranziehung des „Staatslexikons“ als Quelle ist möglicherweise seine mangelnde Objektivität – die jedoch genau seine Stärke ist! Es macht von vornherein, offen und mit voller Absicht Propaganda für Liberalismus. Behandelt werden hier die Artikel „Kleinkinderschulen“ von Karl Buchner, „Schulwesen, Volksschulen“ von Georg Friedrich Kolb sowie „Schulen (Mittelschulen)“ von Anton Baumstark. An diesen Artikeln soll exemplarisch verdeutlicht werden, wie sich die Autoren des „Staatslexikons“ mit ihrer Wirklichkeit auseinander setzten, welche Reformvorschläge sie machten und welche praktischen Informationen sie den Benutzern des „Staatslexikons“ zur Hand gaben, nicht nur um sie einschlägig zu informieren, sondern um sie zu befähigen, ganz im Sinne des idealen aktiven Staatsbürgers an einschlägigen Debatten in den Landtagen teilzunehmen.[...]

Das „Staatslexikon“ von Rotteck und Welcker (1834–1843) und Fragen der Erziehung

Von Fritz Taubert

Das „Staatslexikon” wurde die Bibel der vormärzlichen Liberalen genannt. Ein Grund für die seltene Heranziehung des „Staatslexikons“ als Quelle ist möglicherweise seine mangelnde Objektivität – die jedoch genau seine Stärke ist! Es macht von vornherein, offen und mit voller Absicht Propaganda für Liberalismus. Behandelt werden hier die Artikel „Kleinkinderschulen“von Karl Buchner, „Schulwesen, Volksschulen“ von Georg Friedrich Kolb sowie „Schulen (Mittelschulen)“ von Anton Baumstark. An diesen Arti­keln soll exemplarisch verdeutlicht werden, wie sich die Autoren des „Staatslexi­kons“ mit ihrer Wirklichkeit auseinander setzten, welche Reformvorschläge sie machten und welche praktischen Informationen sie den Benutzern des „Staatslexikons“ zur Hand gaben, nicht nur um sie einschlägig zu informieren, sondern um sie zu befähigen, ganz im Sinne des idealen aktiven Staatsbürgers an einschlägigen Debatten in den Landtagen teilzunehmen.

On a dit du Staatslexikon (Encyclopédie de l’État) qu’il fut la bible des libéraux du « Vormärz ». C’est sans doute parce qu’il manque d’objectivité que le Staatslexikon est rarement utilisé comme source. Or, ce manque d’objectivité constitue précisément sa force ! Dès le début, il fait ouvertement la propagande du libéralisme. Seront traités ici les articles sur les écoles maternelles (Karl Buchner), le système scolaire et les écoles primaires (Georg Friedrich Kolb) ainsi que les écoles secondaires (Anton Baumstark). Ils constituent un exemple de la manière dont les auteurs du Staatslexikon abordent la réalité, des propositions de réforme qu’ils formulent, ainsi que des renseignements pratiques donnés aux utilisateurs, non seulement pour les informer correctement, mais aussi pour leur permettre de prendre part aux débats du temps dans les Landtage, conformément à l’idéal du citoyen engagé.

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Ein Historiker hat das „Staatslexikon“[1] einmal die Bibel der vormärzlichen Libe­ra­len genannt, und über die Bedeutung dieses merkwürdigen Dokuments sind sich alle Autoren einig, die sich mit dieser Periode beschäftigt haben. Schon die Zeitge­nos­sen waren dieser Ansicht: So galt nach Robert von Mohl das Staatslexi­kon „in weitem Kreise fast als ein politisches Orakel“.[2] Und dennoch existieren rela­tiv weni­ge Untersuchungen, die sich direkt mit diesem „Bestseller“ befassen, und das Staats­lexikon, dessen Erscheinen sich fast über die ganze Vormärzzeit nach der fran­zö­sischen Revolution von 1830 erstreckt – erste Ausgabe von 1834–1843, zwei­te Auflage fast direkt danach, ab 1845 – wird selten als Quelle heran­gezo­gen, nicht zuletzt auch für die Geschichte des Erziehungswesens, die uns hier interessiert.[3]

Der Initiator der Enzyklopädie war Friedrich List (1789–1846), der bekannte Unternehmer, Wirtschaftsautor und Eisenbahnpropagandist; allerdings trat er nach Querelen mit Carl Theodor Welcker als Redakteur und Herausgeber bald aus dem Unternehmen aus. Die beiden Hauptredakteure waren die Freiburger Professoren Carl von Rotteck (1775–1840) und Carl Theodor Welcker (1790–1869). Beide waren Juristen, der erste Autor einer der meist gelesenen Weltge­schichten der Zeit („Allgemeine Geschichte“, 1812–26), der zweite Rechtstheo­retiker. Beide waren ab 1831 Abgeordnete im Badischen Landtag und gaben in der kurzen Periode ohne Pressezensur in Baden von März bis Juli 1832 die libe­rale Tageszeitung „Der Freisinnige“ heraus, die nach Wiedereinführung der Zen­sur alsbald verboten wurde. Beide wurden ab Oktober 1832 mit Unterrichtsverbot belegt. Welcker wurde nach Rottecks Tod 1840 Alleinherausgeber des Staatslexi­kons. Er war ab 1848 Abgeordneter in der Paulskirche, wo er 1849 den Antrag auf Verabschie­dung der kleindeutschen Verfassung einbrachte.

Einer der Gründe aus denen das Staatslexikon als Quelle recht selten herange­zogen worden ist, ist seine ausufernde Unübersichtlichkeit und seine Fülle an Autoren. Offenbar störte die Zeitgenossen die Unübersichtlichkeit kaum. Hin­sichtlich der Autoren achteten Rotteck und Welcker darauf, dass neben ihnen selbst (beide zusammen immerhin ca. 300 Artikel) die fähigsten Köpfe der vor­märzlichen Opposition zu Wort kamen. So verfasste den Leitartikel über „Libera­lismus“ nicht einer der beiden Herausgeber, sondern Paul Achatius Pfizer (1801–1867), einer der bedeutendsten liberalen Staatsrechtler der Zeit. Der Autor des Artikels „Demokratie“ – ein Phänomen, dem die Hauptredakteure, konstitutio­nelle Monarchisten, mit großer Skepsis gegenüberstanden – war Marxens Freund Wilhelm Schulz, ein verfolgter und emigrierter Demokrat. Er verfasste übrigens auch den Artikel über die „Lancaster-Schulen“. Zur Bildung des mittlerweile zu großen Teilen lesekundigen Bürgers zum liberalen, aufgeklärten, mündigen Bür­ger (das sind für die Autoren Synonyme) war das Beste also gerade gut genug – Polemik gegen die Verteidiger des Metternichschen Status quo war stets will­kommen! Demgemäß ist möglicherweise ein Grund für die seltene Heranziehung des Staatslexikons als Quelle seine mangelnde Objektivität – die jedoch genau seine Stärke ist. Das Staatslexikon macht von vorn herein, offen und mit voller Absicht Propaganda für Liberalismus. In der Einleitung wird der Zweck der Enzy­klopädie durch die Feder Rottecks ganz klar:

[…] möglichste Verbreitung oder Allgemeinmachung gesunder politischer Ansichten und Richtungen unter allen Classen der Gesellschaft. […] Dahin also gehe die Richtung der politi­schen Lehre, […] alle der verständigen Beurtheilung fähige oder zu solcher Fähigkeit mit Erfolg heranzubildende Bürger zur klaren Erkenntniß dessen, was Noth thut und was wirk­lich in Frage steht, zu führen und dadurch sie alle in Stand zu setzen, die Rechte und Pflich­ten aus­zuüben, welche ihnen in der Eigenschaft als active Bürger eines constitu­tio­nel­len Staates oder überhaupt als mündige […] Bürger eines Rechtsstaates zustehen. (I, XVII)

Das Lexikon will also laut Rotteck ein „Handbuch zur politischen Volksbe­leh­rung“ sein[4]; eine Art „Schulungsreader“ für Männer der Öffentlichkeit, nicht zu­letzt Politiker:

Der nicht wissenschaftlich Gebildete […] wird, wenn es etwa darauf ankömmt, über irgend­eine Frage des politischen Lebens, z.B. bei einer landständischen Verhandlung, seine zäh­lende Stimme zu geben, oder die von einer Kammer oder von einzelnen Deputierten genom­mene Richtung zu beurtheilen, schon durch das Studium der einzelnen betreffenden Artikel oft hinreichend (oft wenigstens zur Noth) darüber belehrt sein, zu dem Behufe nämlich, um der Discussion oder den vorgetragenen Gründen für und wider vorbereitet und mit Verständ­niß zu folgen und sonach mit Überzeugung abstimmen oder die ihm vorliegenden Abstim­mungen und Beschlüsse beurtheilen zu können. (S. XIX)

Das Staatslexikon ist demnach ein Instrument der Erwachsenenbildung ohne Anspruch auf Objektivität, jedoch mit einem klar ausgesprochenen Ziel: Verände­rung des aktuellen Zustandes, in dem die Autoren sich befanden. Es handelt sich um das vormärzliche Deutschland mit ca. 40 Staaten, einem schwerfälligen und mit wenig Legitimität ausgestatteten Bundestag in Frankfurt am Main, ein Deutschland, das letztlich vom Kabinett des Fürsten Klemens Metternich von Wien her autokratisch und für unsere Autoren unerträglich unmodern beherrscht wurde: Keine deutsche Nation, keine Verfassung, Weiterbestehen des Absolutis­mus – für die Autoren des Staatslexikons steht Deutschland im aufgeklärten Euro­pa geradezu als politisch hinterwäldlerisch da, vor allem im Vergleich zu Frank­reich und England.

Hinsichtlich des Erziehungswesens selbst sind die Forderungen im Staatslexi­kon angesichts der Fortschritte auf diesem Sektor, vor allem im Schulwesen Preu­ßens, nicht immer unbedingt neu bzw. originell.[5] Die Autoren der einschlägigen Artikel fassen das Bestehende zusammen, üben Kritik oder äußern Zustimmung. Originell ist hingegen die Perspektive: Relative Kürze und Konzision der Dar­stellung (keiner der einschlägigen Artikel hat den ausufernd redseligen Welcker zum Autor), Praxisorientierung – auch im Hinblick auf die zitierten Werke und Argumente gegnerischer Autoren, das heißt derer der „Reaction“ – können sämt­lich unter einem Blickwinkel gesehen werden. Das Ziel einer im Sinne des Staatslexikons richtigen Erziehung ist nicht nur die konkrete Ausbildung fähiger Beamter bzw. Staatsdiener im weitesten Sinne – nach Scheidler, „Universitäten“, müssen diese Staatsschulen sein, weil sie Staatsdiener im weitesten Sinne, also auch Mediziner, ausbilden (XII, 633)[6] –, sondern Ausbildung aller Staats­ange­hö­ri­gen zu mündigen Bürgern. Dementsprechend ist der Kreis der Adressaten dieser Artikel erweitert auf die virtuellen mündigen Bürger selbst, er beschränkt sich nicht nur auf Experten der Materie. Dies entspringt logisch dem Zweck des Staatslexikons, das eben nicht eine objektive Darstellung des Beste­henden sein will, sondern ein Instrument zur Liberalisierung der deutschen Ein­zelstaaten in Hinsicht auf eine liberale Staatsform in einer deutschen Nation. Bür­ger müssen gebildet werden, die dieser Staatsform genügen können, und dies immer aufs Neue. Die Absicht, hierauf hinzuwirken, finden wir in allen Artikeln, die sich mit der Problematik Erziehung befassen.

Ohne auf die Grundsatzartikel „Bildung“ (Rotteck, II, 513–526) und „Päda­gogik“ (Scheidler, X, 427–448) einzugehen, die einer ausführlichen Untersu­chung bedürften[7], beschränke ich mich hier auf die Ausführungen der Autoren, die sich mit den praktischen Erziehungs- und Bildungsmitteln der Schulen befas­sen. Aus Raumgründen nicht beachtet werden der Artikel über „Universitäten“ (Scheidler, XII, 621–640), über Spezialinstitutionen wie die polytechnischen Schulen[8] sowie einzelne Erziehungsexperimente der Art der Lancaster’schen oder Fellenberg’schen Schulen, die mehr oder weniger parallel zu Pestalozzis Experi­menten zu sehen sind – und teilweise auch im Staatslexikon behandelt werden.[9] Ich folge bei der Darstellung einem Schema, das Rotteck in „Bildung“ zwar als nicht sehr brauchbar für die Staatswissenschaften bezeichnet, aber teilweise doch benutzt; es handelt sich um die „Vergleichung der Völkerzustände mit den Alters­perioden des einzelnen Menschen“, wobei auch „bei ein und demselben Volk, je nach Classen oder Ständen, verschiedene Altersstufen der Bildung zu erkennen sein“ mögen. (II, 514) Ich untersuche also die Mittel zur Erziehung, die das Staatslexikon für den virtuellen mündigen Bürger vorsieht, nach Altersstufen.

Um das Ziel, einen zum aktiven politischen Leben fähigen Bürger zu errei­chen, muss früh angefangen werden. Und so finden wir im Staatslexikon vom Kindergarten (hier heißt es „Kleinkinderschulen“) bis zur Universität alle Erzie­hungsinstitute, die auf die Zeitgenossen gekommen waren und als Mittel zur Bil­dung eingesetzt werden konnten. Beginnen wir mit dem Kindergarten. „Klein­kinderschulen“nennt Karl Buchner seinen Artikel. (VIII, 235–240)[10] Beispielhaft erscheint hier das, was das Staatslexikon so brauchbar für die Zeitgenossen machte. Nicht nur wird erklärt, wozu ein Kindergarten dient, nämlich zur Bewah­rung von Kindern, deren Eltern sich tagsüber nicht immer um sie kümmern kön­nen, und keineswegs als Armenanstalt oder Waisenhaus. Es wird dem Leser auch vorgeführt, wie ein Kindergarten auszusehen hat, welche Organisationsform er haben, wie er finanziert werden und in welchem Alter was und wie es gelernt werden soll. Ähnlich wie heute in Frankreich wird die Institution ganz laizistisch und egalitär gedacht: konfessionslos, es soll keinen Unterschied zwischen sozia­len Schichten geben, auch uneheliche Kinder müssen ohne Diskriminierung auf­genommen und behandelt werden:

Überall wird wohl – und mit Recht! – keine Rücksicht darauf genommen, zu welchem Glau­ben sich die Eltern bekennen, und ob die Kinder eheliche oder uneheliche sind. (VIII, 236)

Der Lehrstoff selbst sollte nicht allzu anspruchsvoll sein und sich in Leibes­übungen, auch wohl Singen und Erzählen erschöpfen, aber „nicht im Sturm­schritte, sondern fast nur spielend.“ Erst die Größeren sollen konkret auf die Schule vorbereitet werden; letztlich ist diese Art von Kindergarten heute in Frank­reich wohl am ehesten realisiert, in der école maternelle, die mutatis mutandis durchaus diesem Muster der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ent­spricht. (VIII, 237) Angesichts des Zwecks des Staatslexikons wird der Autor danach noch konkreter; dem Leser, das heißt nach Vorwort Rottecks dem An­wender der Enzy­klopädie, werden für eine eventuelle Nutzung in einer öffentli­chen Debatte nun weitere, auch ökonomische Argumente zur Hand gegeben.

Die Öffnungszeiten der Kinderbewahranstalten sollen nach Saison variieren (Der Kindergarten öffnet im Winter um 7 h, im Frühjahr um 6 h, im Sommer um 5 h, Schließung mit einbrechender Nacht), die Mahlzeiten dürfen nicht zu karg sein: Die Kinder bekommen „um die Mittagszeit ein kräftige Suppe bis zu ihrer Sättigung, außerdem aber in angemessenen Zwischenräumen – etwa dreimal – ein Stück Brod.“ (VIII, 238) Die Finanzierung solcher Einrichtungen hängt von den Berechnungsparametern ab, die der Autor dem Benutzer zur Hand gibt: die Bedarfskosten umfassen neben dem Gehalt für Lehrer und Hauswirtin sowie der nach Anzahl der Kinder nötigen Gehilfinnen den materiellen Verbrauch, der genau aufgeschlüsselt wird (etwa Brot, Butter, Heizmaterial usw.).[11] (VIII, 238) Hierbei ist jedoch ein soziales Moment zu berücksichtigen, nämlich die Kosten für die Benutzer der Kindergärten. Dem Autor schwebt vor, dass diese Anstalten entweder durch private Stiftungen oder durch die Öffentlichkeit getragen werden sollen. Demgemäß können die Preise gering gehalten werden. Sogar konkrete Beispiele führt Buchner an: So kosten etwa in Darmstadt die Kinderbewahran­stalten pro Tag zwei Kreuzer, seit 1836 sogar von Januar bis Mai nur einen Kreu­zer.[12] Angesichts solcher Präzision ist es nicht verwunderlich, dass berichtet wird, dass in der konstituierenden deutschen Nationalversammlung von 1848 das Staatslexikon „beinahe in jedes Abgeordneten Hand war und sein Inhalt bei den Debatten […] oft wörtlich von der Rednerbühne laut wurde“.[13] Der mündige Bürger zeigt sich, nach Ansicht der Autoren des Staatslexikons, in der Praxis – Engels hätte gesagt: „Der Pudding beweist sich im Essen“.

Georg Friedrich Kolb[14] übernimmt die nächste Etappe der Ausbildung mit dem Artikel „Schulwesen, Volksschulen“ (XII, 44–62) und leitet sofort mit dem Interesse eines Staates ein, ein ordentliches Erziehungswesen zu fördern: die Er­ziehung schafft das Glück der künftigen Familien, darüber hinaus der Gemein­den und dadurch letztlich auch das Wohl der Staaten, „indem dieses sich vor allem Anderen auf die moralische, intellectuelle und materielle Tüchtigkeit seiner Bür­ger, der Gesammtmasse seiner Angehörigen stützen […] muß.“ (XII, 45) Die Schule ist nämlich „nicht blos der Gemeinde, sie ist auch wesentlich des Staats wegen vorhanden.“ (XII, 52) Da der Staat mündige Bürger braucht, um zu funkti­onieren, muss die Ausbildung zu solchen bereits in der Volksschule beginnen; die Schulrealität muss dem Ziel entsprechen. Soll ein Bürger frei, freisinnig, das heißt liberal agieren, wo er auch steht, müssen die Kinder ein solches Verhalten bereits in der Schule lernen, ihre Behandlung kann keine gegenteilige zu dem sein, was sie später werden sollen:

Die Kinder sollen in den Schulen nicht zu einem Sklaventhum abgerichtet, sondern vielmehr zu ihrem künftigen Berufe als Bürger vernunftgemäß organisirter Staaten herangebildet wer­den. Die gegen sie zu beobachtende Behandlungsweise muß also von vorn herein eine andere sein, als jene der westindischen Negerkinder leider allerdings ist. Aber auch abgesehen davon, soll das Schulhaus nie in ein Zuchthaus sich verwandeln. (XII, 58)

Dagegen soll die Schule darauf vorbereiten, dass die zukünftigen Bürger auch auf den Geschmack kommen, sich weiterzubilden, sie soll „in den Kindern die Lust und Liebe zu selbsteigener fernerer Ausbildung erwecke[n] und be­lebe[n]…“ (XII, 57).[15] In diesem Sinne soll der Unterricht nicht allzu theoretisch gestaltet werden, die erlernten Kenntnisse müssen angewendet werden, wozu sich vor allem die Naturwissenschaften bestens eignen.[16] Auch das konkrete Umfeld ver­gisst der Autor nicht, das Schulgebäude selbst soll von außen „nicht ge­schmacks­widrig, aber auch keineswegs prunkvoll“ sein, innen geräumige, helle, gesunde Räume beinhalten, im Winter nicht zu kalt sein, die Kinder dürfen nicht der Zug­luft ausgesetzt werden, sollen hingegen in den Unterrichtspausen (nach jeder Unterrichtseinheit) etwa 10 Minuten Zeit zum „Herumtummeln im Freien“ be­kommen. (XII, 52)

Im Zusammenhang mit der allgemeinen Tendenz des Staatslexikons, die Macht der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart anzuprangern[17], vor allem die der katholischen Kirche als Gegenpol zu einem Liberalismus, der sich als Erbe der Aufklärung versteht, wird zwar in den meisten einschlägigen Artikeln das Christentum als moralische Einrichtung durchaus befürwortet, für nötig erachtet und begrüßt, hingegen ein konkreter Einfluss der Kirche auf die Bildung der künftigen Bürger als negativ betrachtet.[18] Dementsprechend dürfen nach Kolb die Schu­len kein „Anhängsel der Kirche“ sein und logischerweise dürften Konfes­sions­schulen eigentlich nicht existieren. Die Gründe hierfür sind nicht nur ideolo­gisch in dem Sinne, dass der Einfluss der Kirche zurückgedrängt werden soll, son­dern auch praktisch-materiell: Wenn man die Schulen, die bisher konfes­sions­ge­bunden sind, zusammenlegt, wird das Unternehmen nicht nur billiger für alle Be­teiligten, sondern auch effizienter als wenn Reformierte, Katholiken, Luthe­raner und Juden eigene Schulen unterhalten. Die angestellten Lehrer können bes­ser und vor allem gleich bezahlt werden; da die Lehrerausbildung staatlich und konfessionslos zu sein hat, wird Einheitlichkeit des Unterrichts gewährleistet. Der durchaus als berechtigt erachtete Religionsunterricht kann innerhalb der Schulen getrennt vorgenommen werden. (XII, 49–51)

Ist nun ein Schüler fähig – denn nur die Fähigkeit zählt, nicht die soziale Her­kunft, da Schulgeld für öffentliche Schulen außer Spezialschulen grundsätzlich nicht erhoben werden soll –, so soll er auf eine weiterführende Schule gehen, mit der sich Anton Baumstark[19], ein protestantischer Gymnasiallehrer aus Freiburg be­fasst: „Schulen (Mittelschulen)“ heißt sein Artikel, und die Unterteilung zwi­schen Schule und Universität ist durchaus vergleichbar mit der im zeitgenössi­schen Frankreich, denn das Gymnasium und die Universität gehören zu ein und dem­selben Bildungszweig; der Hauptunterschied liegt zwischen Real- bzw. Bürger­schulen[20] einerseits und andererseits Literar- oder Gelehrtenschule, ge-

trennt in Gymnasium und Universität.[21]

Nach einer historischen Einleitung, in der Baumstark wie andere Autoren gegen den Einfluss der katholischen Kirche auf die Humanwissenschaften pole­misiert[22], führt der Autor in die Bedeutung der Gelehrtenschule ein: Sie dient, natürlich, der Ausbildung einer „zur Erreichung des Staatszweckes nöthige[n] Elite der Staatsbürger“ (XII, 18), das heißt liberaler Staatsdiener. Aus diesem Grunde muss neben dem Lernstoff auch hier „die staatsbürgerliche Erziehung für die Gegenwart“ stattfinden (XII, 16). Eben deswegen finden sich in der Reaktion Gegner dieses Schultyps – wie er von dem liberalen Autor verstanden wird –, da die griechischen und römischen Autoren, Hauptgegenstand der Lehre, „republikanische Freiheit athmen“ und „von republikanischem Geiste und Leben erfüllt sind“, was reaktionären Monarchisten in ihrem Hang zur „Volks-Verfinste­rung“[23] keineswegs zuträglich erscheinen kann (XII, 17).[24] Das künftige Mitglied der staatlichen Elite – das mag heute, da der Spezialist gefragt ist, erstaunlich klingen – soll humanistisch gebildet sein; demgemäß ist der Artikel von Baum­stark ein Plädoyer für das, was man bis heute das humanistische Gymnasium nennt – ohne dass die von dem Autor erstrebte Realität viel damit zu tun hätte:

Studium des classischen Altertums […] zum Zwecke und in der Weise […] geistiger Befrei­ung […] und stete Betrachtung der rein menschlichen Seite des Alterthums in religiöser, sitt­licher und politischer Beziehung. […] bei der Auswahl sämmtlicher Schulauctoren wird dahin gestrebt, daß dieselben in ein gutes Verhältnis zu den Realien und Wissenschaften treten, die in einem Gymnasium gelehrt werden müssen. (XII, 30)[25]

Neben den neueren Sprachen, besonders der französischen, soll jedoch vor allem der Literatur-Unterricht direkt auf die künftigen Aufgaben des Staatsdieners hinzielen:

Das Poetische […] als Anregung und Entwickelung der produktiven Kraft des Zöglings in Rede und Schrift, gegründet auf den mit vorzüglicher Berücksichtigung der Bildung zum öffent­lichen freien Vortrage zu ertheilenden Unterricht in der deutschen Sprache und Litera­tur. […] Durch das Ganze herrscht der Grundsatz, daß die Bildung des Menschen und künfti­gen Staatsbürgers mit der Bildung des Gelehrten in der wissenschaftlichen Erziehung eines und desselben Individuums unzertrennlich verbunden werde. (XII, 30f.)

Der junge Mensch, der später als mündiger Bürger im Sinne des Staatslexi­kons im Idealfall einem liberalen Staat als Diener zur Verfügung stehen wird, soll allerdings keinesfalls im althergebrachten Stil zum Duckmäuser oder Streber er­zogen werden; darauf weist die Passage im Artikel hin, in der Baumstark sich mit den Sitten der Jugend befasst. Er ist der Meinung, dass die Schule hier den Eltern nicht vorgreifen soll und kann, dass sie jedoch keinesfalls einem nostalgi­schen Sittenkanon nachhängen, sondern sich vielmehr dem Zeitgeist beugen sollte:

Der Geist unserer Zeit billigt Dinge in den Sitten der Jugend, welche von früheren Generatio­nen nur misbilligt wurden […] Kurz die Begriffe, was unter Zucht […] zu verstehen sei, haben sich im Fortgange der Zeit und Bildung sehr verändert. Von diesem Gesichtspunkte muß also auch die alte, längst abgedroschene Klage beurtheilt werden, die häufig von älteren Personen und krankhaften Repristinatoren[26] geistlichen und weltlichen Standes gemacht wer­den, daß die Jugend […] ausgelassener sei, als sie selbst ehemals gewesen. (XII, 33)

Der Gymnasialprofessor Baumstark ist also durchaus modern, sogar im heuti­gen Sinne, vor allem wenn er Kritik am zeitgenössischen Zustand des Erzie­hungswe­sens übt. Er moniert unter anderem die überbordende Fülle an Stoff auf dem Gymnasium und den Mangel an Stringenz in den Unterrichtsplänen:

Die Schlechtigkeit der Methode zeigt sich […] in dem Übermaße des classischen Unterrichts, ein Misstand, dessen Vermeidung, ohne Schwächung des eigentlichen Elements dieser Anstalten, zu den schwierigsten Problemen der philosophischen Pädagogik und Didaktik gehört. (XII, 26) […] in allzu großer philologischer Gründlichkeit, Spitzfindigkeit und Mikrologie bei der Schullectüre […], bei welcher durch Einseitigkeit und Pedanterei […] nicht nur oft die reale Seite des Altertums unerläutert, sondern auch der Zögling geistig ungebildet bleibt. (XII, 27)

Die in den Gymnasien herrschende „Zersplitterung und das Mengselwesen”[27], welche im Grunde jede kohärente Reform des Schulwesens unmöglich machen, haben laut Baumstark leider in der Schulverwaltung nach wie vor interessierte Anhänger, nicht zuletzt auf kirchlicher Ebene:

[Eben diese realistisch-humanistische Mengselei] Diejenige des puren Schlendrians, welche veraltete Schulformen gern unverbessert fortdauern läßt und aus stagnierendem Stabilitäts­sinne nicht blos ihre Beibehaltung vorsieht, sondern auch ihre Repristination verlangt. Die mit ihr verwandte jesuitische, welche, dem Anscheine nach den classischen Studien vorzugsweise ergeben, die Freiheit der inneren Entwicklung zu hemmen sucht und nicht blos alte Sprachen und Mathematik, sondern selbst die Poesie und Geschichte zu schmählichen Geistesfesseln umformt. (XII, 29)

Es muss dem gemäß nicht nur der Unterricht auf die künftige Funktion des ge­bildeten Bürgers ausgerichtet werden, sondern auch die Schulverwaltung selbst hat eine Neuordnung bitter nötig, nicht zuletzt, damit fähiges Lehrpersonal zur Verfügung steht. Oberste Leitschnur für den Autor ist auch hier wieder die völlige Zurückdrängung des kirchlichen, vor allem katholischen Einflusses.[28] Um unabhän­gige Lehrer auszubilden, die mündige Bürger heranziehen sollen, darf die Schulverwaltung nicht von einer nicht-staatlichen Organisation abhängen – hier ist natürlich die katholische Kirche gemeint[29]; sie soll hingegen ausschließlich aus Fachleuten bestehen, das heißt aus dem Korps der Lehrerschaft selbst rekrutiert werden. Baumstark konkretisiert die Aufgaben einer solchen Behörde. Die „Schulräthe“ als Kontrollorgane erstellen Pläne über äußere Gestaltung der Anstalten, Schulpläne, führen „autoptische Visitationen“ durch, „vorausgesetzt, daß solche nicht Vergnügungsreisen oder das Diätenmachen und die Cultivierung der chinesischen Krankheit zum Zwecke haben.“ (XII, 36) Die Schulräte aller­dings müssen selbst nicht nur, das versteht sich, liberal sein und damit von der Organi­sation jede Form von „Jesuitismus und Macchiavellismus” fernhalten, son­dern auch selbst im „Geist der Wissenschaft und des ungefesselten Fort­schrit­tes” han­deln.

Solches Aufsichtspersonal kann verständlicherweise nur aus einer Lehrer­schaft hervorgehen, deren Mitglieder selbst aufs Beste an den Universitäten aus­gebildet sind, erst nach einer Staatsprüfung angestellt werden dürfen, dann jedoch als Beamte ordentlich versorgt werden müssen. Dies nicht zuletzt deswegen, weil der Staat nur so davon ausgehen kann, dass seine Lehrer, die er auf der Basis des Vertrauens beschäftigt, dieses nicht missbrauchen; denn eine genaue Kontrolle der Lehrertätigkeit ist nicht möglich:

Die rechte Behandlung der einmal angestellten Lehrer ist deshalb umso wichtiger, weil der eigentliche Kern der Thätigkeit dieser Classe öffentlicher Diener weder erzwungen noch genau controlirt werden kann. […] Liebevolle, wahrhaft durch Ideen begeisterte Hingebung ist erste und letzte Bedingung ihrer segensreichen Thätigkeit. Diese aber in dem Herzen des Schulmannes zu erregen und gegenüber allen Verleidungen und Verbitterungen in ihm zu er­halten, ist die größte, heiligste und schwierigste Pflicht der Behörde. (XII, 37f.)

Einerseits die Forderung, der Staat müsse seine Lehrer im weitesten Sinne ordent­lich und vertrauensvoll behandeln, andererseits die Forderung an eben diese Lehrer, das Bildungsziel nicht aus den Augen zu verlieren, und zwar von der untersten Volksschule an – so wurde im Vormärz, vor über 150 Jahren, eine ideale Erziehung gesehen:

[Fatal wäre das] Vergessen des Verhältnisses der Gelehrtenschule zur untersten Volksschule, wodurch […] der Charakter der Anstalt einseitig und die staatsbürgerliche Erziehung ver­nachlässigt wird. (XII, 29) [Denn] durch das Ganze herrscht der Grundsatz, daß die Bildung des Menschen und künftigen Staatsbürgers mit der Bildung des Gelehrten in der wissen­schaftlichen Erziehung eines und desselben Individuums unzertrennlich verbunden werde. (XII, 31)

Erziehung des Menschen zum mündigen Bürger in einem Staat, der sein Lehrper­sonal optimal einsetzt und behandelt, dieses Ideal des liberalen Staatslexi­kons aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kann wohl auch noch im 21. Jahr­hundert gelten. Selbstverständlich wurden von den Autoren der Artikel über das Erzie­hungswesen alle erreichbaren Quellen und auch konkreten Beispiele heran­gezo­gen. So wird häufig Preußen als relativ fortgeschrittenes Land, die dort reali­sierten Schulreformen werden mit kritischem Wohlwollen zitiert. Jedoch scheint das nicht deutschsprachige Ausland, vor allem England, die USA und insbeson­dere Frankreich auf diesem Sektor für die Autoren nicht vorrangig als Beispiel gegolten zu haben. Wissenstransfer – sowohl positiv als auch negativ, in dem Sinne als bestimmte Phänomene explizit nicht als Vorbilder anerkannt werden – verläuft hier eher „innerdeutsch“, obwohl das Staatslexikon im Allgemeinen internationales Geschehen nicht nur wahrnimmt, sondern auch verarbeitet.

Politisch haben die meisten Autoren vor allem zu Frankreich eine zwiespäl­tige Beziehung, ja geradezu eine Art Hassliebe.[30] Einerseits ist durchaus noch die Bewunderung für die große Revolution zu finden, verbunden mit dem Entsetzen über die Terreur. Andererseits verbergen die Autoren nicht ihren Hass auf Napoleon – er schlägt nie in Verachtung um –, gegen den die Bewunderung für die französische Nation als solche und ihre reformerischen Leistungen hervorge­hoben wird. Ferner wird die Restauration nach 1818, in vollem Bewusstsein für die eigene desolate Situation in Deutschland, oft nachgerade schadenfroh kom­mentiert, kontrastiert mit dem Neid auf die – vordergründigen – Erfolge des fran­zösischen Volkes beim Kampf gegen dieselbe, besonders in der Juli-Revolution von 1830. Die Hassliebe zu Frankreich macht sich selbst in einigen der Artikel zu dem ansonsten hierzu wenig ergiebigen Bildungs- und Erziehungswesen bemerk­bar, die Bezugnahme auf das westliche Nachbarland erscheint häufig als ein nega­tiver Spiegel. So schreibt Rotteck im Grundsatzartikel „Bildung“, nicht ohne auf die Lage in Deutschland Bezug zu nehmen:

„[N]amentlich der geniale Despot Napoleon [hat] ein unübertreffliches Vorbild aufgestellt, wie man mittelst der Conscriptionsgesetze ein Volk von Soldaten, und mittels einer kaiserli­chen Universität, eines kaiserlichen Katechismus und eines gegen die Presse gerichteten Ter­rorismus ein Volk von Knechten erziehen könne. Zwar seinen Plan zum Ende zu führen, war ihm durchs Verhängniß versagt; aber er hinterließ verführerische Lehren, und schon die Restauration hat ihn […] darin nachgeahmt, daß sie in ihrem und der Emigration dynastischen und aristokratischen Interesse sich zum Versuche berechtigt glaubte, ob nicht durch gleichen Preßzwang, sodann durch jesuitische Schulen, durch Missionarien und frères ignorantins, eine durch die Schule der Revolution gegangene Nation sich wieder zum mittelalterlichen Aber­glauben und Sklavensinn zurückführen lasse. Ähnliche Mittel des Heiles für Privilegium und Legitimität schlägt Herr Haller, auch Adam Müller und Görres, und mit ihnen – öffentlich oder heimlich, aufrichtig oder schlau – noch manch anderer Staatsmann und Schwärmer der Reactionspartei vor […].“ (II, 518f.)

Frankreich fungiert hier als Beispiel dafür, wie vordergründige Bildungsar­beit, etwa die Gründung von Universitäten und Schulen, in einem nicht liberalen poli­tischen Umfeld in ihr Gegenteil ausarten können, in unserem Falle bis hin zur „Volks-Verfinsterung“.[31] Ähnlich argumentiert Georg Friedrich Kolb in seinem Artikel über „Schulwesen, Volksschulen“ bei seiner Forderung auf „Ausdehnung des Unterrichts auf alle Classen des Volkes, im Gegensatze zur Beschränkung desselben auf die Angehörigen einzelner bevorrechtigter Stände“:

„Aus abscheulichen Rücksichten des schmählichsten Egoismus sind die Anhänger einer gewissen Partei sorgsam dahin zu wirken bemüht, daß ja nicht zu viel Licht in die unteren Classen dringe[32], damit deren Angehörige nicht, wie man es zu nennen beliebt, zu gescheidt, nicht zu aufgeklärt, zu unterrichtet werden. […] Das französische Volk, welches die ärgsten Gewaltthaten während der Revolution beging – war es nicht gerade, so zu sagen, ausschließ­lich durch Mönche und dergleichen Leute, war es nicht durchgehends in Unwissenheit und Aberglauben erzogen worden?“ (XII, 45f.)[33]

Wohlgemerkt war der Autor kein Feind der Revolution, er erstrebte wie die ande­ren Autoren des Staatslexikons eine völlige Umwälzung des politischen Lebens in Deutschland, das heißt letztlich eine Revolution, und folgerichtig nahm er aktiv an der von 1848 teil. Gern wird Frankreich historischer Fehlentwicklun­gen bezichtigt, so etwa dessen, verhängnisvolle Tendenzen des – an sich durchaus zu begrüßenden – Christentums in Europa eingeführt, sowie das altgermanisch libe­rale Wesen der Staats- und Rechtsverfassung zugunsten eines abzulehnenden „undeutschen“ Systems verdrängt zu haben. Karl Hermann Scheidler argumen­tiert im Artikel über die Universitäten:

„Fast gleichzeitig mit dieser Hierarchie [Kirche dem Staat übergeordnet, F.T.] entstand das ursprünglich aus Frankreich stammende, keineswegs ächtgermanische Lehnswesen, durch welches die alte deutsche Freiheit auf viele Jahrhunderte unterdrückt ward.“ (XII, 624)[34]

Kurz danach jedoch finden wir die Preisung der Pariser Universität (etwa XII, 627f.), die die erste und beste Europas gewesen sei und noch heute neben jeder Konkurrenz bestehen könne, und selbstverständlich erwähnt Friedrich August Walchner[35] im Artikel über „polytechnische Schulen“ gleich zu Anfang mit Bewun­derung die französische École centrale des travaux publics, die zur École polytechnique wird, und die École centrale des arts et manufactures. (XII, 40) Auch der Autor des Artikels „Kleinkinderschulen“, Karl Buchner, be­handelt Frankreichs salles d'asyle auf über einer halben Druckseite als leuchten­des Beispiel, nicht ohne zu erwähnen, dass unter anderem die Kindersterblichkeit in den „niederen Volksclassen“ aufgrund dieser Einrichtung deutlich zurückge­gangen sei. (VIII, 238f.)

Einen besonderen Platz im Staatslexikon nimmt der Artikel „Frankreich“ ein, geschrieben von einem französischen Freund Rottecks, Marie-Philippe Aimé de Golbéry, einem Colmarer Abgeordneten in der Pariser Assemblée Nationale (bis 1848).[36] Golbéry ist mit seinem Land oft mehr als kritisch, unter anderem auch in dem Abschnitt über das französische Erziehungswesen seiner Zeit.[37] Das einzige, was der Autor gelten lässt, sind die „Forschungseinrichtungen“ der Zeit und die Bibliotheken, wie zum Beispiel das Institut, das Collège de France oder auch das „Observatorium“, das „naturhistorische Museum“, „die Vorlesungen über die orientalischen Sprachen“, die „Schule von Chartres“ (sic!, ein Druckfehler, ge­meint ist die École des Chartes, F.T.). In der Schulbildung der Franzosen liegt nach Golbéry trotz der Verbesserungen nach der Juli-Revolution noch sehr viel im Argen, vor allem in der Grundausbildung:

„Ausgezeichnet durch alle Gaben des Geistes, reich an Entdeckungen und Fortschritten in den Natur- und mathematischen Wissenschaften, bietet diese Nation das wunderbare Schau­spiel aufgeklärter Höhen der Gesellschaft, großer Geister und niederer Classen, die im ersten Unter­richte sehr zurück sind. Nichts ist gewöhnlicher, als Leute anzutreffen die weder lesen noch schreiben können.“ (V, 150)

Wissenstransfer ist nach dem Autor eher in der Richtung Deutschland–Frank­reich zu erhoffen:

„Der höhere Unterricht beschäftigt sich wieder zu sehr mit der lateinischen Sprache, und den­noch steht er auch in dieser Beziehung bei Weitem den deutschen Gymnasien nach. […] Noch viel gerechterer und bitterer Tadel wäre über die hohen Schulen zu führen. Besonders die Vorlesungen der Rechtsschulen sind sehr mangelhaft; kaum werden die Institutionen ge­lehrt, und die Kenntnis der Pandekten wird gar nicht gefordert. […] Was die philosophische Facultät betrifft, so wird sie fast nur als eine Vorbereitung zu den beiden genannten [scil. Jura und Medizin, F.T.] betrachtet.“ (ebd.)

Dennoch wollte der Freiherr von Golbéry die Hoffnung nicht aufgeben, seine gebildeten Landsleute würden hinfort auch Errungenschaften außerfranzösischer Wissenschaft und Kunst rezipieren:

„Das neunzehnte [scil. Jahrhundert, F.T.] hat die Kenntnisse im Allgemeinen erweitert, und jetzt weiß man in Frankreich, daß die Wissenschaft nicht zwischen den Pyrenäen und dem Rheine eingeschlossen ist, und daß die Literatur sich nicht innerhalb der Mauern von Paris concentriert.“ (V, 151)

Angesichts eines solch weißen Flecks auf der Landkarte des europäischen Bil­dungswesens, dargestellt von einem Mitglied der Grande Nation selbst, ist es nicht verwunderlich, dass Frankreich für die Autoren der Artikel über das Erzie­hungswesen kein Gegenstand profunderer Debatten war.



[1] Staatslexikon. Encyclopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände. In Verbin­dung mit vielen der angesehensten Publicisten Deutschlands hg. von Carl von Rotteck und Carl Welcker, 1. Aufl., Altona 1834–1843; neue durchaus verbesserte und vermehrte Aufl. redigiert von Hermann von Rotteck und Carl Welcker, Altona 1845–1848; mit einer Einlei­tung zum Neudruck von Hartwig Brandt, Frankfurt am Main 1990 (S. 5–62). Diese zweite Auflage ist die hier benutzte, hinfort in den Anmerkungen: Staatslexikon. Die Be­legstellen finden sich zumeist direkt im Text in der Form: XII, 40 für 12. Band, S. 40.

[2] Zit. n. Zehntner, Hans, Das Staatslexikon von Rotteck und Welcker. Eine Studie zur Geschichte des deutschen Frühliberalismus, Jena 1929, S. 94; s.a. Flitner, Andreas, Die politi­sche Erziehung in Deutschland. Geschichte und Probleme 1750–1880, Tübingen 1957, der die Bedeutung des Staatslexikons folgendermaßen würdigt: „Und es ist tatsächlich ein sol­ches Volksbuch geworden, vielleicht gerade durch seine lexikalische Form, die bei den tägli­chen Lebensanlässen zur Informationssuche einlud und von konkreten Einzelfragen zu poli­tisch-grundsätzlichen hinführte. Im aufgeklärten Bürgertum Süddeutschlands ist dieses Lexi­kon wohl das verbreitetste Profanwerk überhaupt gewesen und hat als allgemeines Arsenal libe­raler Gedanken und Begriffe jahrzehntelang gedient.“ (S. 122).

[3] Nach Botzenhart, Manfred, Baden in der deutschen Revolution 1848/49 (in: Oberrheinische Studien II, Karlsruhe 1973) „war das in den 1830er Jahren entstandene ‚Staatslexikon‘ von Rotteck und Welcker zur großen Enzyklopädie des deutschen Liberalismus geworden“ (S. 67). Botzenhart erwähnt in Anm. 25, S. 69, eine „umfangreiche Literatur […] zum ‚Staatslexikon‘“. Die Literatur ist so umfangreich nicht. Dies ist zu entnehmen der letzten wahrhaft umfangreichen Untersuchung zum Staatslexikon von Igelmund, Claudia, Frankreich und das Staatslexikon von Rotteck und Welcker. Eine Studie zum Frankreichbild des süd­deutschen Frühliberalismus, Frankfurt am Main 1987, die im Literaturverzeichnis seit 1900 genau vier Titel direkt zum Staatslexikon angibt. Nur zwei Beispiele für den Grad der Unbe­kanntheit dieser Quelle seien hier genannt: In Jeismann, Karl-Ernst; Lundgreen, Peter (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. III: 1800–1870. Von der Neuordnung Deutschlands bis zur Gründung des Deutschen Reiches, München 1987, zitiert der Autor des Artikels „Medien” (S. 379ff.), Wolfgang von Ungern-Sternberg, unter Lexika, Fachliteratur, Populärwissenschaft zwar Rotteck's Allgemeine Geschichte (S. 392), nicht jedoch das Staats­lexikon. In Oberrheinische Studien 17, Zwischen Staatsanstalt und Selbstbestimmung. Kirche und Staat in Südwestdeutschland vom Ausgang des alten Reiches bis 1870, Stuttgart 2000, behandelt Joachim Maier das Thema Kirche und Schule. Auseinandersetzung um Schulform und geistliche Schulaufsicht in den konfessionell gemischten Staaten (S. 268–293). Er er­wähnt die entsprechenden zeitgenössischen Artikel des Staatslexikons kein einziges Mal, obwohl die Diskussion, die er schildert, dort übersichtlich und konzis dargestellt wird.

[4] Flitner (Anm. 2), S. 122.

[5] Siehe hierzu die konzise Einleitung zu einer anderen Problematik (das deutsche Erziehungswe­sen von 1890–1945) in Gandouly, Jacques, Pédagogie et enseignement en Allemagne de 1800 à 1945, Strasbourg 1997, S. 23–58. Gandouly schildert auch kurz das Scheitern der Forderungen nach einer liberalen Erziehung nach 1849 (S. 52). Ausführlicher zur politischen Erziehung im 19. Jahrhundert das ältere Werk von Andreas Flitner (Anm. 2), der den Theoretiker des Erziehungssystems, Ernst Münch, Autor eines Pamphlets mit dem Titel „Die Freiheit des Unterrichts“ (Bonn 1829), erwähnt, in dem dieser den Primat des Staates für das Erziehungswesen postuliert, wie die späteren Autoren des Staatslexikons (S. 112f.)

[6] Zu Karl Hermann Scheidler habe ich leider keinerlei biografische Angaben gefunden. Zehnt­ner (Anm. 2) gibt zu ihm keine biografische Notiz, er erscheint auch nicht in den Badischen Biographien, hg. von Friedrich von Weech, Karlsruhe 1881. Flitner (Anm. 2) erwähnt ihn S. 124 als Mitarbeiter Rottecks, ohne jedoch näher auf seine Biografie einzugehen.

[7] „Erziehung“ von Rotteck (IV, 499–503) greift den Artikel „Bildung“ nur erneut auf und bringt nichts wesentlich Neues.

[8] „Schulen, polytechnische“: Artikel von Friedrich August Walchner 1799–1865; 1823 Privatdo­zent in Freiburg; seit 1825 (Gründung der polytechnischen Schule zu Karlruhe) Pro­fessor dort. Mehrere Schriften und Bücher über Mineralogie etc. (Badische Biographien, hg. von Friedrich von Weech, Zweiter Theil, Karlsruhe 1881)

[9] „Hofwyl“ (Fellenberg’sche Pädagogik, Scheidler, VII, 112–127), „Lancaster’sche Schule“ (Wilhelm Schulz, VIII, 452–456). Erstaunlich ist das Fehlen Pestalozzis im Staatslexikon.

[10] Auch zu diesem Autor habe ich nichts Biografisches finden können.

[11] Der Jahresverbrauch beträgt bei täglich 65 Kindern: „7700 Pfund Brod, 720 Pfund Fleisch, 160 Pfund Butter, 200 Pfund Salz, 1800 Pfund Weißbrod, 7 Simmer Mehl [Simmer ist ein frü­he­res deutsches Trockenmaß, leider ziemlich unpraktisch, denn es beträgt laut Brockhaus 1975 zwischen 12,5 und 113 l], 20 Pfund Talglichter, 14 Schoppen Brennöl [Schoppen, süd­deutsch: 1/4 Maß = ungefähr 1/2 Liter], 15 Buch Fensterpapier, 26 Aufwischlappen, 28 Stück Sei­fe, 18 Reiserbesen, 11 Stecken Scheitholz [Stecken nicht eruierbar], 20000 Stück Torf… und natürlich das Gehalt des Lehrers sowie der Aufseherin und ihrer drei Gehilfinnen.“ (VIII, 238).

[12] Aus welchem Grunde der Preisunterschied zwischen den beiden Saisonen besteht, war dem Be­nut­zer im 19. Jahrhundert hoffentlich einleuchtender als es dem Autor dieser Anmerkung ist.

[13] Zehntner (Anm. 2), p. 94.

[14] Georg Friedrich Kolb, Statistiker und Publizist, 1808 (Speyer) –1884 (München ), als Bürger­meister von Speyer 1848 in der Paulskirche.

[15] Da die Schulpflichtigkeit auf das Alter von 13 bis 14 Jahren beschränkt werden soll, soll danach jedoch wünschenswerterweise Fortbildung in Form von Abendkursen organisiert wer­den. (XII, 56).

[16] Dies wird im Übrigen auch für die polytechnischen Schulen gefordert vom Autor des Artikels Friedrich August Walchner: „praktische Geometrie auf dem Felde […] arbeiten im chemi­schen Laboratorium, in der Gyps- und Holzmodelirwerkstätte, in einer Bauhütte […] Excur­sionen und kleinere Reisen Behufs naturhistorischer Beobachtungen und Untersuchungen […], zum Besuch industrieller Anlagen“ usw. (XII, 42).

[17] Zum Antiklerikalismus im Staatslexikon siehe Anm. 33.

[18] In diesem Zusammenhang wird als Negativbeispiel häufig sowohl das ancien régime in Frankreich genannt als auch die Reaktionszeit nach der Wiedereinsetzung der Monarchie, nicht zuletzt aus dem Grund, weil hier nach Meinung der liberalen Autoren ein Rückschlag des Fortschritts zu verzeichnen ist. (siehe etwa Rotteck, „Bildung“, II, 518f., 525; Kolb, „Schul­wesen, Volksschulen“, XII, 46)

[19] Badische Biographien (Anm. 8), S. 48–52: Anton Baumstark (1800–1876). Erst seit 1830 fest angestellt an einem Freiburger Gymnasium, daneben Lehrbeauftragter an der Universität dortselbst. Mitarbeiter auch an anderen Enzyklopädien. Auf S. 52 als Autor im Staatslexikon erwähnt. Baumstark ist im Übrigen Autor nur dieses einzigen Artikels. Sein Anti-Katholizis­mus erklärt sich aus seinem Schicksal als Protestant, der unter der Reaktion in dem re-katholi­sierten Schulwesen Badens nach seinem Universitätsexamen nicht angestellt wurde.

[20] Real- bzw. Bürgerschulen werden im Staatslexikon nicht behandelt, obwohl stets darauf hin­ge­wiesen wird. Eine Erklärung findet sich vielleicht bei Reble, Albert, Geschichte der Päda­gogik, 14. Aufl., Stuttgart (1951) 1995, der schreibt, dass in Preußen zu Anfang des 19. Jahrhunderts nur wenige Lateinschulen zu reifeprüfungsberechtigten Gymnasien „erhöht“ werden. Die anderen „wurden nun oft in Bürger- oder Realschulen umgewandelt.“ (S. 247) Seit der ersten Regelung für Entlassungsprüfungen von diesen Realschulen 1832 haben diese immer größere Erfolge (S. 268). Das kollidiert anscheinend mit dem idealistischen Gymnasi­umsbegriff im Staatslexikon; wahrscheinlich werden sie deshalb nicht oder nur nebenher er­wähnt, zumal die alten Sprachen auch für die polytechnischen Schulen gefordert werden (siehe Anm. 27). Baumstark gesteht den Realschulen immerhin eine gewisse Existenzbe­rechtigung zu, da sie die eigentlichen Gelehrtenschulen entlasten, unter der Bedingung, dass auch hier „die staatsbürgerliche Erziehung für die Gegenwart“ stattfindet (XII, 16), dann allerdings: „‚Bei äußerlicher Trennung dennoch innere Einheit und Freundschaft der literari­schen und der Realschulen‘, dies sei unser Losungswort.“ (XII, 26).

[21] In Frankreich diente die Universität bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hauptsächlich zur Abnahme des baccalauréat, war also dem lycée direkt verbunden.

[22] Das griechische Ideal wurde laut Baumstark verdrängt durch das „unselige Mönchthum“, wobei zugegeben werden muss, dass das „heidnische“ klassische Wissen im Schoß der Kir­che weiterlebte – ohne deren Verdienst, denn hier wurde nur gelehrt, was „in den Pfaffen­kram paßte […] und jeder andere Unterrichtsgegenstand […] wurde, wie Philosophie und das La­tein, so verkuttet und verpfafft, daß man sie nicht mehr erkannte.“ (XII, 15).

[23] Rotteck, in: „Bildung“ (II, 525).

[24] Kolb, der Autor des Artikels „Schulen, Volksschulen“, warf der Reaktion vor, einen mög­lichst geringen Teil der Bevölkerung zu höherem oder gar zum Basiswissen zulassen zu wol­len (siehe XII, 45).

[25] Baumstark steht mit dieser Forderung nach einer umfassenden humanistischen Bildung nicht allein. Auch der Autor (siehe Anm. 11) des Artikels „Schulen, polytechnische“, ist der Mei­nung, dass deren „Zöglinge“, bevor sie diese besuchen, vom Gymnasium kommen sollen, woher sie eine wissenschaftliche „humane“ Vorbildung mitbringen, v.a. in den alten Spra­chen. (XII, 43) Der Autor dieser Zeilen ist im Übrigen selbst ein Produkt des „humanisti­schen“ Gymnasiums, er hat das Abitur 1971 im PISA-heiligen München absolviert.

[26] Von „Repristination“: Wiederherstellung von etwas Früherem.

[27] „Es gibt Lectionsplane, nach denen in der Woche 15–20 Dinge in einer Classe nebeneinander vorgenommen werden, z.B. drei lateinische Schriftsteller (und noch mehr) neben einander und eben soviele Griechen; Geschichtsschreiber, Redner, Philosophen vermischt mit den heterogensten Dichtern; daneben die Grammatik beider Sprachen; außerdem Englisch und Fran­zösisch; ferner eine Menge von Wissenschaften: Geografie, Geschichte, reine und ange­wandte Mathematik, Physik, Naturgeschichte, Chemie, Alterthumskunde. So Etwas gränzt an Unsinn.“ (XII, 29).

[28] Gottfried Keller (1819–90) schildert in seinem autobiografischen Bildungsroman „Der Grüne Heinrich“ die Übergangszeit zwischen rein kirchlichem und reinem Fachlehrkörper: „Das Übel lag aber hauptsächlich in den Übergangszuständen der Schule selbst, da die Lehrer­schaft noch aus alten Teilen, nämlich unbeschäftigten Theologen der Landeskirche, die aus Liebha­berei oder Bedürfnis alle möglichen Lehrfâcher zu übernehmen gewöhnt waren, und aus neuen durchgebildeten Fachlehrern bestand und daher keine gleichmäßige und in einan­der greifende Lehrweise hervorbrachte. Jene Theologen verfuhren nach alten Gewohnheiten, per­sônlichen Launen, sprangen von den Gegenständen ab, wenn es ihnen beliebte, und behan­delten alles mehr als Dillettanten, während die weltlichen Berufslehrer wiederum ganz ver­schiedene Manieren und Methoden handhabten […].“ (Der grüne Heinrich, geschrieben 1854/55; hier benützte Ausgabe: Berlin 1894, S. 161).

[29] Rotteck hatte in seinem einleitenden Artikel über „Bildung“ eben aus dem Grunde der Vermei­dung kirchlichen Einflusses auf die Schulen bereits die Frage gestellt, ob ein eigenes Erziehungsministerium sinnvoll sei, und diese Frage verneint: „Aber soviel ist klar, daß […] ein eigenes Ministerium des Unterrichts, so wie es gegenwärtig in Frankreich besteht, im Fall einer abermaligen Restauration oder auch nur im Fall einer völligen Hinneigung Ludwig Phi­lipp’s zu den Restaurationsprincipien (die nicht zu den Unmöglichkeiten gehört), ein gefährli­ches Werkzeug der Volks-Verfinsterung werden könnte, zumal wenn es mit jenem der geistli­chen Angelegenheiten vereint oder gar in geistliche Hände gelegt würde.“ Er hielt es für zweckmäßiger, dem Innenministerium das Erziehungswesen anzugliedern. (II, 525).

[30] Zum Frankreichbild im Staatslexikon ausführlich und nuanciert Igelmund (Anm. 3).

[31] Siehe Anm. 29.

[32] Johann Nestroy benützt in seiner Posse „Freiheit in Krähwinkel“ dasselbe Bild, wenn er einen als Metternich verkleideten Revolutionär (Name: Eberhard Ultra) auftreten lässt. Der falsche Metternich spricht: „Die Nacht war immer das Element meines Wirkens. Die Großen der Erde sind Sterne, folglich können sie nur dann leuchten, wenn’s finster ist. In der Sonne der Freiheit verlischt das Sternengeflimmer, drum darf man sie nicht zu lange leuchten las­sen.“ (Johann Nestroy, Gesammelte Werke, Bd. 5, Wien 1962, S. 122).

[33] Zur Problematik von Kirche und Staat, v.a. im Südwesten Deutschlands im frühen 19. Jahrhun­dert: Fenske, Hans, Staat, Gesellschaft, Kirchen. Südwestdeutschland im ersten Drit­tel des 19. Jahrhunderts, in: Oberrheinische Studien 17 (Anm. 3). Er schreibt zusammenfas­send: „Im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts war das Meinungsklima für die Kirchen dann ungünstig, wenn ihre Verhaltensweisen nicht als modern genug erschienen. Das traf die katho­lische Kirche mehr als die evangelische…“ (S. 104). Eine systematische Untersuchung zum Antiklerikalismus der Liberalen im Vormärz steht meines Wissens noch aus.

[34] Vgl. hierzu auch die Artikel von Pfizer, „Folter“ und Mittermaier, „Handelsgerichte“ u.a. im Staatslexikon.

[35] Siehe Anm. 8.

[36] Marie-Philippe Aimé Golbéry (1786–1854). Einleitende Anmerkung zu seinem Artikel (Bd. V, S. 93–156) in der zweiten Ausgabe des Staatslexikons: „Dieser Artikel wurde der Redaction von dem berühmten Verfasser desselben in französischer Sprache eingesendet und auf Veranlassung der Redaction ins Deutsche übersetzt. Wir geben jetzt den Artikel unverän­dert und tragen in einem Zusatzartikel die seit 1837 erfolgten Veränderungen (von Welcker, F.T.) nach“. Nach Zehnter (Anm. 2), ist der Artikel von K. J. A. Mittermaier übersetzt wor­den.

[37] Bd. V, S. 149–151.

Für das Themenportal verfasst von

Fritz Taubert

( 2007 )
Zitation
Fritz Taubert, Das "Staatslexikon" von Rotteck und Welcker (1834-1843) und Fragen der Erziehung, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1442>.
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