Akklimatisierung Die Umformung europäischer Landschaft als Projekt im Dienst von Wirtschaft und Wissenschaft, 1850-1900

Am 31. Mai 1859 trat eine Gruppe gleich gesinnter Männer zusammen und gründete ein Central-Institut für Akklimatisation in Deutschland zu Berlin, eine Institution, „in der Pflanzen und Thiere, die nicht unserm Vaterlande angehören, heimisch gemacht werden“ sollten. Diese Männer waren nicht die ersten, die diese Idee verfolgten, aber sie gehörten zu ihren frühesten Vertretern. Mit Recht konnten sie sich als Vorreiter einer breiteren Entwicklung fühlen. Unverhohlen hofften sie, als Avantgarde in einem allgemeinen Fortschritt hin zu einer moderneren, produktiveren und politisch machtvolleren Gesellschaft zu wirken. Dabei waren sie einerseits eingebettet in eine breitere europäische Bewegung, spiegelten andererseits aber auch spezifisch deutsche bzw. preußische Verhältnisse wider. [...]

Akklimatisierung. Die Umformung europäischer Landschaft als Projekt im Dienst von Wirtschaft und Wissenschaft, 1850-1900[1]

Von Iris Borowy

Am 31. Mai 1859 trat eine Gruppe gleich gesinnter Männer zusammen und gründete ein Central-Institut für Akklimatisation in Deutschland zu Berlin, eine Institution, „in der Pflanzen und Thiere, die nicht unserm Vaterlande angehören, heimisch gemacht werden“ sollten. Diese Männer waren nicht die ersten, die diese Idee verfolgten, aber sie gehörten zu ihren frühesten Vertretern. Mit Recht konnten sie sich als Vorreiter einer breiteren Entwicklung fühlen. Unverhohlen hofften sie, als Avantgarde in einem allgemeinen Fortschritt hin zu einer moderneren, produktiveren und politisch machtvolleren Gesellschaft zu wirken. Dabei waren sie einerseits eingebettet in eine breitere europäische Bewegung, spiegelten andererseits aber auch spezifisch deutsche bzw. preußische Verhältnisse wider.

Der Ausdruck Akklimatisierung wurde im Zuge der Entwicklung der Biologie als Leitdisziplin der Naturwissenschaften im 18.Jahrhundert geprägt. Etwa ein halbes Jahrhundert lang, zwischen ca. 1850 und 1900 nahm das Thema einen wichtigen, wenn auch häufig diffusen Raum im öffentlichen Diskurs ein. Im Detail verstand man darunter unterschiedliche Dinge, aber als gemeinsamer Nenner bezeichnete Akklimatisierung den erfolgreichen langfristigen Transfer von Biota (Pflanzen, Tiere oder Menschen) von einem Ort zum anderen, meist, jedoch nicht immer, zwischen dem europäischen und außereuropäischen Raum, immer jedoch zum Vorteil der – europäischen – Akteure. Die Bewegung fand ihren Ausdruck vorrangig in Vereinen, die sich ebenso als wissenschaftliche wie patriotische Einrichtungen sahen und aktiv um Mitstreiter bemühten. Den Anfang machte die französische Société Zoologique d‘Acclimatation 1854 in Paris, die bereits nach wenigen Jahren um die 2600 Mitglieder zählte. Ihr folgten nur wenige Jahre später zwei deutsche Gesellschaften: 1856 der Akklimatisationsverein für die königlich-preußischen Staaten und 1859 das Central-Institut für Akklimatisation in Deutschland. Kurz darauf gründeten sich ihre Entsprechungen in Großbritannien, 1860 die Acclimatisation Society of the United Kingdom in London sowie die Acclimatisation Society in Glasgow. Aber auch Palermo, Moskau, New York, Sydney und viele andere Städte hatten kurz darauf ihre Akklimatisierungsvereine. 1900 waren es über 50.[2]

Diese Vereine konstruierten ein wissenschaftliches Projekt aus einem Phänomen, das im Prinzip so alt war wie die Menschheit. Wenn Menschen und Völker wanderten, taten sie das nicht allein, sondern nahmen schon immer die Tiere und Pflanzen mit, die sie nutzten und in ihrer neuen Umgebung weiter nutzen wollten. Mit der Entdeckung der Neuen Welt durch die Europäer erreichte diese Bewegung eine neue Dimension, für die Alfred Crosby den Ausdruck des Kolumbianischen Austausches geprägt hat. In dessen Verlauf eroberten europäische Nutztiere die Neuen Welten und begannen dort die Landschaft zu dominieren, so dass Rinder und die ihnen zugehörigen Cowboys zum mythischen Inbegriff der nordamerikanischen Kultur, Schafe zum Sinnbild der australischen Wirtschaft wurden. Im Gegenzug verbreiteten sich Mais in Süd- und Kartoffeln in Nordeuropa und hatten dort einen maßgeblichen Anteil daran, dass sich die europäische Bevölkerung ab dem 18.Jahrhundert deutlich vermehrte. Was lange Zeit als völlig „normale“, unreflektierte Verhaltensweise praktiziert worden war, erhielt im 19. Jahrhundert eine neue Qualität. Angesichts einer zunehmenden Verwissenschaftlichung aller Lebensbereiche, eines Nationalismus, der sich mit Kolonialismus und Großmachtstreben verband, sowie eines wissenschaftlichen Rassismus und eines zivilisatorischen Missionsgedankens wurden auch Gräser, Bienen und Esel zu Trägern komplexer ideologischer Inhalte.

In Frankreich und Großbritannien war die Akklimatisationsbewegung ein integraler Bestandteil kolonialer Machtentfaltung. Angestoßen von dem französischen Siedlungsprojekt in Algerien, das nach geeigneten landwirtschaftlichen Grundlagen für eine französisch ausgerichteten Agrarproduktion auf afrikanischem Boden suchte, sowie von den Erfordernissen einer britischen Kolonialwirtschaft zwischen dem Vereinigten Königreich und Australien, in dem das Schaf allein den Bedürfnissen einer wachsenden Siedlerpopulation nicht mehr gerecht wurde, suchten Vertreter des Kolonialgedankens nach Möglichkeiten, einer „wissenschaftlich“ geleiteten Suche nach wirtschaftlichen Lösungen. In Frankreich wurde dieser Faktor nach dem Verlust der Zuckerrohrplantagen auf dem unabhängig gewordenen Sainte Domingue (Haiti) besonders akut. Gleichzeitig versuchten Akklimatisierungsvereine aber auch die biologischen Ressourcen des wachsenden Kolonialreiches mittels systematischer Anbauversuche im eigenen Land nutzbar zu machen. Dieses ökonomische Motiv verband sich mit einer politischen Facette. In den Gärten und Feldern der Akklimatisierungsorganisationen wurden die Produkte der fernen Kolonien durch experimentellen Anbau ausgestellt und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Akklimatisierungsvereine dienten somit als wichtige Bindeglieder zwischen der Metropole und den fernen Kolonien. Metaphorisch wie physisch verankerten sie die Präsenz des einen in der Erde des jeweils anderen. Besonders in Großbritannien spielten botanische Gärten dabei eine wichtige Rolle. Ihre Zahl wuchs von acht bei der Amtsübernahme von Königin Victoria im Jahre 1837 auf über hundert zum Zeitpunkt ihres Todes, von denen sich die Hälfte in Indien und Australasien befanden.[3]

In Deutschland gab es zunächst einmal keine solche koloniale Einbettung. Auf der politischen Tagesordnung der 1850er Jahre standen nicht koloniale Machtentfaltung, sondern die Gründung eines deutschen Staates und die nationale Selbstfindung. Entsprechend bedurfte bereits der Standort der Central-Institutes, Berlin, einer Rechtfertigung: “[...] denn für unser gesellschaftliches Leben, für unsere Intelligenz finden wir Deutsche wohl unbestritten den Schwerpunkt in Berlin.“[4] Damit war als politischer Subtext ein Beitrag zum Aufbau eines Nationalstaates bereits ausgedrückt. Vor diesem Hintergrund sind auch die übrigen genannten Zielsetzungen einzuordnen: die Sicherung der Ernährung der Bevölkerung, die Befreiung von außenpolitischen Abhängigkeiten, die Stärkung der materiellen und geistigen Größe des Volkes. Damit verschmolzen ökonomische, politische und kulturelle Ansprüche zu verschiedenen Teile eines gefühlten Gesamtprojektes Fortschritt.

Tatsächlich waren die Ziele nicht aus dem Nichts gegriffen. Angesichts des deutlichen Bevölkerungsanstiegs in Europa im Allgemeinen und Preußen im Besonderen, wo sich die Anzahl der Menschen innerhalb eines Jahrhunderts ungefähr verdoppelte, stellte die Frage der Ernährung eine reale Herausforderung dar. Diesem Problem begegnete man durch tiefgreifende Umstrukturierungen der Landwirtschaft: eine deutliche Erweiterung der Anbauflächen, insbesondere durch großflächige Trockenlegungsprojekte in verschiedenen Teilen Preußens (weniger in anderen Teilen Europas), eine Produktivitätssteigerung vorhandener Agrarflächen durch verbesserte Anbaumethoden und die Nutzung von organischem und synthetischem Dünger, wachsende Getreideimporte und nicht zuletzt eine Änderung der Anbauprodukte. Darunter fielen vor allem eine zunehmende Substituierung von Getreide durch Hackfrüchte, vorrangig Kartoffeln, aber auch Rüben. Von dort bis zur systematischen und experimentellen Einführung exotischer Feldfrüchte war der Weg nicht mehr weit.

Politisch war diese verbesserte Ernährungsbasis der Bevölkerung naturgemäß mit der Stärkung des gesamten Volkes und seines Staaten verbunden, was in diesem Fall nicht einfach zu definieren war. Inmitten der Kontroverse um die „deutsche Frage“ besaß ein – zumindest indirektes - Bekenntnis zur gesamtdeutschen Nation einen zugleich nationalistischen und antiautoritären Charakter. Damit setzte sich das Central-Institut von Beginn an in Gegensatz zum 1856 gegründeten Akklimatisationsverein für die königlich-preußischen Staaten. Nach außen getragen wurde jedoch der Unterschied der Methode, indem das Central-Institut für sich in Anspruch nahm, Akklimatisierung nicht nur theoretisch zu betreiben, sondern in praktischen Feldversuchen. 1863 verschmolzen beide Vereine zum Akklimatisationsverein in Berlin.

Damit knüpfte das Institut an die übergreifende Verwissenschaftlichung des Umgangs mit der natürlichen Umwelt an. Bereits seit dem 17. Jahrhundert durchsuchten selbsternannte Naturforscher und Pflanzenjäger ferne Regionen nach unbekannten, potentiell nützlichen, schönen oder wissenschaftlich interessanten Pflanzen. Allein Alexander von Humboldt soll von seinen Reisen nach Südamerika über 6.000 Pflanzen mitgebracht haben.[5] Etwa zur gleichen Zeit machte sich Pehr (Peter) Kalm, ein Schüler von Carl von Linné, auf, um Amerika nach potentiell nützlichen Pflanzen für die Einbürgung in und wirtschaftliche Stärkung von Schweden abzusuchen.

Die Mitgliedschaft des Central-Institutes spiegelte diese multifunktionale Ausrichtung wider. Anders als in Großbritannien, wo Vertreter des Landadels und ihre privaten Volieren, Menagerien und Gärten eine wichtige Rolle spielten, kamen die Mitglieder der deutschen Organisation aus einer breiteren sozialen Mischung. 1862, dem Jahr vor der Fusion, besaß der Verein 129 Mitglieder aus folgenden Berufsgruppen: 31 Kaufleute, 27 Akademiker (darunter viele Geisteswissenschaftler), 13 Gärtner bzw. Agrarexperten, 10 Ärzte, 7 Bankiers und 14 Vertreter verschiedener Berufe (darunter viele Beamte im Staatsdienst). Diese Zusammensetzung blieb bis das nächste Jahrzehnt hindurch erstaunlich stabil. Interessanterweise lebten neun dieser Mitglieder außerhalb Deutschlands, als Leiter oder Mitarbeiter bei Handelsniederlassungen, Akademiker, Diplomaten und ähnliches. Diese Verbindungen waren wichtig, denn Mitglieder oder Förderer im Ausland stellten eine unverzichtbare praktische wie auch ideelle Unterstützung dar. Sie suchten und entsandten auf eigene Initiative Pflanzen, Samen und Ableger. Wie die meisten Akklimatisationsgesellschaften verfügte das Central-Institut stets nur über begrenzte finanzielle Mittel, so dass es auf den privaten Enthusiasmus aus der Bewegung angewiesen war. Zu den Partnern im In- und Ausland gehörten neben Privatpersonen botanische und zoologische Gärten, Pflanzen- und Tierzüchterverbände, Handelsorganisationen, Studienakademien, Museen, Landwirtschaftsbehörden und Bibliotheken. Daneben waren die wichtigsten Partner Akklimatisationsvereine in anderen Ländern, vor allem der ursprüngliche Verband in Paris, mit dem der Berliner Verein die intensivsten Kontakte verband, aber auch diejenigen in Nizza, London, Palermo, St. Petersburg, Tiflis und Bosten. Mit diesen Einrichtungen tauschte man Publikationen, Erfahrungsberichte und Samen aus. Diese wechselseitige Unterstützung beinhaltete die politische Ambivalenz der Arbeit. Bei aller nationalistischen Motivation waren die Aktivitäten gleichzeitig auch einem pragmatischen Internationalismus verpflichtet. Diese innere Widersprüchlichkeit war unproblematisch, solange nationale und internationale Zielsetzungen miteinander in Einklang zu bringen waren.

Die ersten Jahre machten die Aktivitäten des Vereins das vergleichsweise problemlos möglich. Im Zentrum standen die praktischen Versuche im Anbau mit Pflanzen und – zu einem weit geringeren Maß – in der Zucht einiger Tierarten. Für den Anbau stand von 1860 bis 1868 ein institutseigenes Versuchsfeld nahe dem Gefängnis Moabit zur Verfügung. Diese Regelung war äußerst vorteilhaft, da die Häftlinge kostenlose Feldarbeit leisteten. Eine ähnliche Konstellation gab es zeitgleich in Algier, wo der Erzbischof die Arbeitskraft von Kindern aus den kirchlichen Waisenhäusern der Umgebung anbot. So enthielt die Arbeit trotz ihres philanthropischen Anspruchs immer wieder Elemente sozialer Ausbeutung. Daneben fand ein Großteil des experimentellen Anbaus jedoch auf den privaten Grundstücken der Mitglieder statt. Dafür stellte der Verein im Frühjahr Samen und Setzlinge zur Verfügung, die auf Wunsch verschickt wurden. Die Ergebnisse dieser Pflanzungen wurden auf monatlichen Treffen besprochen und, neben wissenschaftlichen Berichten auswärtiger Experten, in einem vierteljährlichen Mitteilungsblatt veröffentlicht. Zudem präsentierten Mitglieder die durch Akklimatisierung gewonnenen Erzeugnisse in einer jährlichen Ausstellung in Berlin.

Der Schwerpunkt der Tätigkeiten der britischen und französischen Vereine lag in erster Linie auf Tieren und Pflanzen aus ihrem tropischen Einflussbereich. In England etwa waren aufwändige Abendessen mit Gerichten aus exotischen Zutaten ein Instrument, mit dem der dortige Verein sein Anliegen zu propagieren suchte. So enthielt ein solches Abendessen im Juli 1862 Suppen aus Vogelnestern, Seegurken und Semolina, sowie Gerichte mit chinesischem Lamm, Känguruschinken, syrischem Wildschwein, Braten vom Axishirsch und Hondurastruthahn, und dazu Yams, Süßkartoffeln und Algengelee. In Berlin musste man sich deutlich bescheidener geben. Zur Verteilung und privaten Anpflanzung angeboten wurden vorrangig fremdländische Varianten ansonsten bekannter Nutzpflanzen, darunter Bohnen, Erbsen, Mais, Hafer, Hirse, Gerste, Roggen, Kartoffeln, Kürbis, Kohl, Salat, Gurken und Klee. Auch wenn einige dieser Arten, wie Mais und Kürbis, nicht europäischen Ursprungs waren, so waren sie im 19. Jahrhundert doch längst keine Exoten mehr auf deutschen Feldern. Erstaunlich ist eher die Sortenvielfalt innerhalb dieser Arten. Das gilt insbesondere für Kartoffeln, die ab Mitte der 1860er Jahre das Pflanzenangebot zunehmend dominierten und von denen beinahe 100 Sorten in allen Farben, Formen und Kocheigenschaften getestet wurden. Dieser Fokus spiegelte einerseits sicherlich das landwirtschaftliche Umfeld wider, das, wie erwähnt, aufgrund zunehmender Getreideimporte eine Umstellung auf Hackfrüchte wie Kartoffeln förderte. Andererseits mag sich hier bereits der beginnende Niedergang mit seinen finanziellen Restriktionen niedergeschlagen haben. Dafür spricht unter anderem, dass die Zunahme der Kartoffelsorten mit einer Reduzierung insgesamt vertretener Pflanzenarten einherging: 1872 waren es wenig mehr als Bohnen, Erbsen, Gerste, Hafer, und eben Kartoffeln.

Was dieses Projekt an Exotik vermissen ließ, kompensierte es durch vergleichsweise großen Erfolg. Viele der amerikanischen, asiatischen oder auch nur skandinavischen Bohnen und Getreidesorten gediehen auf deutschen Äckern recht gut. Dagegen setzten sich Versuche mit ausgefalleneren Sorten wie dem nordamerikanischem „wildem Reis“ (botanisch eigentlich kein Reis) nicht durch.

Soweit Tiere in dem Programm überhaupt vorkamen, basierten sie auf den Ressourcen und Initiativen von Privatleuten. Zu den Projekten, die aufmerksam und teilweise hoffnungsvoll verfolgt wurden, gehörte die Angoraziege. Sie war aufgrund der äußerst feinen Mohairwolle, die sie produzierte, ein ästhetisch wie auch ökonomisch attraktives Projekt, reagierte allerdings sehr empfindlich auf kaltes und feuchtes Klima. So gab es einige begeisterte Züchter wie den König von Württemberg und den preußischen Kronprinzen, die es sich leisten konnten, reinrassige Angoraziegen als Liebhaberei oder Statussymbol zu halten. Langfristig heimisch wurde sie in Deutschland nie. Auch Versuche, durch Einkreuzung weniger empfindlicher Sorten eine Akklimatisierung unter Wahrung der Wollqualität zu erreichen blieben nicht wirklich überzeugend. Noch komplizierter waren wiederholte Bemühungen der Seidenproduktion, da sie gleich eine doppelte Akklimatisierung verlangten, die der Seidenraupen wie auch die der Maulbeerbäume, so dass ein Erfolg in einem Fall noch nicht den Erfolg des eigentlich Projektes garantierte. Und sowohl von Seidenspinnern wie auch von Maulbeerbäumen gab es zahlreiche Unterarten, die nicht alle gleich gut miteinander auskamen. Vergleichsweise am erfolgreichsten waren Versuche mit eher hausbackenen Arten wie Honigbienen und Geflügelsorten. Dass ehrgeizigere Projekte gerne unternommen worden wären, wenn die finanziellen und logistischen Möglichkeiten denn gegeben gewesen wären, lässt sich aus den Themen erahnen, zu denen die vierteljährlichen Mitteilungen regelmäßig Berichte enthielten. Das Interesse erstreckte sich beispielsweise auf andernorts durchgeführte Versuche mit verschiedenen Eselsorten, Alpakas, Antilopen, Yaks und der Cocapflanze.

Auch der wissenschaftliche Anspruch war nur schwer durchzuhalten. Zunächst war erwartet worden, dass die meisten Mitglieder mit zugeschickten Samen Versuchsanpflanzungen vornehmen und diese dann nach einem vorgegebenen Schema dokumentieren sollten. Ein vorbereitetes Formular verlangte eine Beschreibung des Pflanzgrundes, genaue Datierungen der Aussaat, der einzelnen Kultivierungsmaßnahmen, sowie der Wachstumsstadien, Blüte, Fruchtreife und Ernte. Zudem waren eine Beschreibung der Erntemenge und -qualität und allgemeine Einschätzungen gefordert, um damit eine möglichst breite und vergleichbare Datenbasis zu erhalten. Diese Vorstellung erwies sich rasch als illusorisch, da viele Mitglieder überhaupt nicht auf zugesandte Samen reagierten. Daher gingen die Organisatoren dazu über, Samen nur auf ausdrücklichen Wunsch zu versenden. Aber selbst das erbrachte nur ansatzweise die erwünschten Informationen. 1861 wurden von 124 angebotenen Samensorten nur 23 auf Aufforderung verschickt. Darüber gingen sieben Berichte ein, von denen wiederum nur zwei die erwünschte Form mit den vorgegebenen Eintragungen enthielten. Zugegebenerweise verbesserte sich die Qualität der Mitwirkungen in den folgenden Jahren, erreichte aber nie den eigentlich erstrebten wissenschaftlichen Standard.

Bei seiner Arbeit erhielt der Akklimatisationsverein die Unterstützung durchaus illustrer und einflussreicher Persönlichkeiten. Unter den Ehrenmitgliedern befanden sich mehrere preußische Landwirtschaftsminister, der Kronprinz Friedrich Wilhelm, Prinz Friedrich Karl von Preußen, Graf Ernst II von Sachsen-Coburg-Gotha, der russische Großherzog Nikolai Nikolajewitsch, König Ferdinand von Portugal, Prinz Friedrich der Niederlande und auch Reichskanzler von Bismarck. Abgesehen davon, dass die Namen der Sache das Aussehen offizieller Anerkennung verliehen, brachten die Kontakte auch manche praktischen Vorteile mit sich. So brachte die Ehefrau von Friedrich Wilhelm, eine Tochter von Königin Viktoria, manchmal Material von dem englischen Akklimatisationsverein in London mit. Von Seiten des Landwirtschaftsministeriums kamen gelegentlich kleinere finanzielle Zuwendungen, und ein Teil der Samen- und Pflanzenlieferung wurde kostenlos von Konsulaten über den diplomatischen Postweg verschickt. Die existierende aber begrenzte Unterstützung wurde sichtbar, als 1868 das Versuchsfeld wegen Umstrukturierungen in Moabit aufgekündigt wurde. Ein Jahr später stellte das Landwirtschaftsministerium ein 15 Hektar großes Gebiet zur Verfügung, allerdings ohne Arbeitskräfte, so dass das Feld kaum nutzbar war. Danach konnten Anpflanzungen auf Gut Düppel stattfinden, dem Privatgrund von Prinz Friedrich Karl von Preußen, einem Neffen des späteren Kaisers Wilhelm I. Dieses Angebot war die vorläufige Rettung des Vereins, zumal auch ein königlicher Gärtner mit zum Arrangement gehörte, aber es hatte auch Nachteile. Der Sandboden brachte keine guten Anbauergebnisse, und die Lage am äußeren Rand von Berlin machte eine effektive Öffentlichkeitsarbeit schwierig bis unmöglich. So galt diese Regelung als eine Übergangsmaßnahme, während der Verein ein geeignetes, repräsentatives Gartenstück suchte.

Diese Bemühungen wurden durch den deutsch-französischen Krieg 1871 unterbrochen, der Mitglieder und Regierungsstellen ablenkte. Vorübergehend drohte er auch, das labile Gleichgewicht zwischen nationalistischer Zielsetzung und internationalistischer Kooperation zu stören. Die bleibende Bedeutung des internationalen Momentes lässt sich jedoch daran ablesen, dass die Akklimatisations-Gesellschaft in Paris im Januar 1871, nach erfolgtem „Bombardement von Paris durch die deutschen Truppen [...], einem dem Völkerrecht wie auch den einfachsten Begriffen von Humanität widersprechenden Act“, keineswegs alle Verbindungen zum Berliner Verein löste sondern lediglich diejenigen deutschen Prinzen und Souveräne, die am Krieg beteiligt waren und als Protektoren im Berliner Akklimatisationsverein genannt waren, aus den eigenen Listen zu streichen. Mit den Privatpersonen wurde im Interesse des wissenschaftlichen Austausches jedoch die Verbindung gehalten.[6] In Berlin war man dagegen zunächst weniger großmütig. In einem Glückwunschtelegramm gratulierte der Verein dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm für seinen Beitrag zu einer Situation, in der der „Erbfeind deutscher Nation niedergeworfen und ihm ein Frieden diktirt ist, den zu brechen ihm niemals wieder gelingen kann.“[7] Tatsächlich aber scheint diese Rhetorik eher ein Versuch gewesen zu sein, Unterstützung in einflussreichen Kreisen zu gewinnen. Derweil gingen die Kontakte zwischen Deutschland, Frankreich und anderen Staaten ohne greifbare Veränderung weiter. 1872 begann der Berliner Verein ein Versuchsprojekt zur Einführung französischen Trüffels, während die Pariser Gesellschaft ihren Mitgliedern die vom deutschen Verein herausgegebene Zeitschrift besonders empfahl. Angesichts sowohl des zunehmend nationalistischen Klimas in Europa wie auch der implizit nationalen Zielsetzung der Akklimatisationsbewegung ist diese Kontinuität bemerkenswert. Tatsächlich ist der bewegungsimmanente Internationalismus der Akklimatisationsbewegung bislang noch nicht hinreichend erforscht.

Es waren wohl nicht vordergründig politische Gründe, die zum Niedergang der Akklimatisationsbewegung in Berlin führten. Verantwortlich waren zunächst einmal praktische Umstände: das Fehlen einer stabilen Finanzgrundlage, insbesondere eines zentral gelegenen Gartens. Diese Problematik hing jedoch naturgemäß damit zusammen, dass sich die Hoffnungen der Organisatoren auf eine rasche Ausweitung des Vereins nicht erfüllten. Zwar traten immer wieder neue Mitglieder ein, diese wurden aber durch Ausfälle versterbender älterer Mitglieder kompensiert. Die Anzahl natürlicher Mitglieder blieb relativ konstant bei etwa 270. Dagegen stieg die Zahl assoziierter Einrichtungen an, was zwar möglicherweise das Ansehen stärkte aber bei weitem nicht ausreichte, Akklimatisation als gesellschaftliche Aufgabe zu etablieren. Damit entsprach die Entwicklung in Deutschland dem europäischen Trend. Im Unterschied zu den USA, wo die aktive Suche nach und Einführung von ausländischen Biota noch für mehrere Jahrzehnte Teil der Regierungsarbeit blieb, führte eine Kombination von fehlenden Finanzmitteln und perzipierter Erfolglosigkeit zu dem allmählichen Niedergang der Bewegung in der Alten Welt.[8] Auch in Deutschland konnte die Notwendigkeit oder auch nur der deutliche Nutzen der Aktivität nicht hinreichend bewiesen werden, und so gelang es nie, Akklimatisation zu einer von einer breiten Öffentlichkeit getragenen Massenbewegung zu machen. Damit war ein Kernziel der Arbeit nicht erreicht.

Zweifellos hing die fehlende Massenwirksamkeit der Aktivitäten damit zusammen, dass ihre Notwendigkeit oder auch nur ihr Erfolg wenig greifbar blieben. Tatsächlich schien nur ein Teil der Akklimatisierungsversuche erfolgversprechend, und paradoxerweise vorrangig solche mit wenig fremdländischen Pflanzen, die lediglich Varianten bereits vorhandener Feldfrüchte und somit vergleichsweise geringen Zusatznutzen versprachen. In den 1870er Jahren, also noch vor dem Aufbau eines deutschen Kolonialsystems, verlieren sich die Spuren des Akklimatisations-Vereins.

Das bedeutet jedoch nicht, dass die Bewegung als solches endete. Vielmehr scheint es, als habe sie sich in zwei Richtungen aufgeteilt. Auf der einen Seite entwickelte sich die Suche nach einer verbesserten Pflanzenproduktivität in eine systematische, laborgestützte Pflanzen- und Tierforschung, die insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg in zahlreichen Universitäten und Instituten ihren Aufstieg nahm. Hier interessierte nicht die Herkunft sondern ausschließlich die voraussichtliche Produktivität einer Nutzpflanze bzw. eines Nutztieres. Auf der anderen Seite konzentrierte sich Akklimatisation auf die Frage der menschlichen Akklimatisation, d.h. der Frage danach, inwieweit weiße Europäer, oder, in späterer Diktion, Mitglieder der „nordischen Rasse“ in den Tropen (über-)leben könnten, ohne dabei ihre vorausgesetzte rassische Überlegenheit zu verlieren. In dieser Form hatte die Akklimatisationsfrage bis zum Zweiten Weltkrieg einen wichtigen Anteil am Kolonialdiskurs in Deutschland. Beide Formen waren für die national-sozialistischen Expansionsbestrebungen relevant und wurden entsprechend in den 1930er und 1940er Jahren gefördert, hatten mit den Zielen des Berliner Akklimatisations-Vereins jedoch nur noch wenig gemein.

Faktisch hat die Akklimatisierungsbewegung die materielle europäische Landschaft wenig verändert. Das gilt für Preußen bzw. das Deutsche Reich, wo die Bewegung in einer wenig exotischen Variante Form annahm, ebenso wie für England und Frankreich mit ihren kolonialen Konnotationen. Im Geistesleben der Zeit nahm der Diskurs jedoch einen breiten Raum ein als Projektionsfläche nationaler Ambitionen im Gewand eines neuen bürgerlichen Wissenschaftshabitus. Er existierte, solange für diese Funktion einer Fusionierung wissenschaftlicher, politischer, wirtschaftlicher und ideologischer Ansprüche ein Bedarf bestand. Anschließend löste er sich auf und hinterließ lediglich durch seinen Eingang in die nachfolgenden Auseinandersetzungen seine Spuren. Die Akklimatisation ist ein Beispiel für Vergänglichkeit gesellschaftlicher diskursiver Bedürfnisse.



[1] Essay zur Quelle: F. W. Voigt, Ueber die Nothwendigkeit und den zweckmäßigsten Betrieb der Akklimatisation, Einleitende Betrachtungen bei der Gründung des Central-Instituts für Akklimatisation in Deutschland (31. Mai 1859); [Auszüge].

[2] Siehe die Auflistung in Lever, Christopher, They Dined on Eland. The Story of the Acclimatisation Societies, London 1992, S.193-4.

[3] Osborne, Michael A., Acclimatizing the World: A History of the Paradigmatic Colonial Science, in: MacLeod, Roy (Hg.), Nature and Empire: Science and the Colonial Enterprise, Osiris, 15 (2000), S.135-151.

[4] Siehe die Quelle zum Essay: Voigt, F. W.: Ueber die Nothwendigkeit und den zweckmäßigsten Betrieb der Akklimatisation (1859), S. 3.

[5] Hücking, Renate, Von Pflanzenjägern und Biopiraten, in: Hielscher, Kej; Hücking, Renate, Pflanzenjäger, 3.Auflage, München 2007, S. 9.

[6] Vermischtes, in: Zeitschrift für Akklimatisation, IX (1871), S.133.

[7] Verhandlungen des Akklimatisations-Vereins in Berlin, Bericht über die Situation des Vorstandes vom 22. Dezember 1870, in: Zeitschrift für Akklimatisation, IX (1871), S.94.

[8] Fairchild, David, The World was my Garden. Travels of a Plant Explorer, Reprint, Miami 1982. Hinsichtlich Europa, siehe Osborne, Acclimatizing.



Literaturhinweise:

  • Crosby, Alfred, Ecological Imperialism, Cambridge 1986.
  • Fairchild, David, The World was my Garden. Travels of a Plant Explorer, Reprint, Miami 1982.
  • Grosse, Pascal, Turning native? Anthropology, German Colonialism and the Paradoxes of the „Acclimatization Questions,“ 1885-1914, in: Penny, H. Glenn; Bunzl, Matti (Hgg.), Worldly pvincialism: German Anthropology in the age of empire, Ann Arbor 2003, S.179-197.
  • Lever, Christopher, They Dined on Eland. The Story of the Acclimatisation Societies, London 1992.
  • Osborne, Michael A., Acclimatizing the World: A History of the Paradigmatic Colonial Science, in: MacLeod, Roy (Hg.), Nature and Empire: Science and the Colonial Enterprise, Osiris, 15 (2000), S.135-151.

F. W. Voigt, Ueber die Nothwendigkeit und den zweckmäßigsten Betrieb der Akklimatisation, Einleitende Betrachtungen bei der Gründung des Central-Instituts für Akklimatisation in Deutschland (31. Mai 1859); [Auszüge][1]

[Früherer Titel der Quelle: Ueber die Nothwendigkeit und den zweckmäßigsten Betrieb der Akklimatisation (1859)]

Wie wichtig es für die Entwicklung nicht nur unserer industriellen und ökonomischen Verhältnisse, sondern unseres gesamten Kulturlebens ist, Erzeugnisse aus fremden Zonen und Welttheilen, sie mögen der Pflanzen- oder Thierwelt angehören, auf den heimischen Boden überzusiedeln, bedarf hier wohl keiner näheren Auseinandersetzung, da es schon anderweitig oft genug überzeugend nachgewiesen worden ist. Man denke nur daran, daß z.B. die Kartoffel jetzt das Hauptnahrungsmittel von Millionen Menschen, erst aus der neuen Welt bei uns eingeführt worden ist, daß sie Heimath der meisten unserer Getreidearten und Obstbäume in weiten Fernen liegt und auch unsere Hausthiere ursprünglich ganz andere Länder bewohnt haben! Mit jeder Pflanze, mit jeder Frucht, mit jedem nutzbaren Thiere, dessen Einführung uns gelingt, ist ein Schritt weiter zur Emanzipation des Vaterlandes von der Fremde gethan. Jeder neue Same, den wir dem Schoße der Erde mit der Hoffnung anvertrauen, daß er uns Früchte bringen werde, hilft uns bei Lösung der schweren aber unabweisbaren Aufgabe, das vaterländische, materielle und geistige Leben von allen hemmenden und bedingenden Schranken, von aller fremden Abhängigkeit zu befreien. Die Mannigfaltigkeit der Bodenerzeugnisse und der in den Dienst der Menschen eingeführten Thiere kann niemals zu groß werden; welche Mühe und Arbeit, welche Opfer und Kosten, wie viele getäuschte Hoffnungen wir auch daran setzen müssen, diese Mannigfaltigkeit herbeizuführen: der unermeßliche Vortheil, den wir endlich daraus erzielen, überwiegt doch bei Weitem alle noch so großen anfänglichen Schwierigkeiten und Nachtheile. Wie entziehen uns immer mehr den zufälligen Einflüssen der Witterung, der Mißernten und Unglücksfälle aller Art. Je größer der Kreis der Produkte ist, die in einem Lande gezogen werden können, und je billiger die Herstellung derselben bewirkt wird, desto sicherer, sorgenfreier und bildungstüchtiger wird das Gesammtleben des Volkes sein.

Von einem so ernsten Gebote der Sorge für das Wohl der Mit- und Nachwelt geleitet, ist zunächst in Paris ein Verein unter dem Namen Société impériale zoologique d’acclimatisation zusammengetreten, welcher sich die Verwirklichung dieser Besprechungen zur Aufgabe gestellt hat. Aus diesem heraus und als dessen Filiale ist darauf der Akklimatisations-Verein für die königl. Preußischen Staaten in Berlin ins Leben gerufen worden. Daneben hat sich endlich in neuester Zeit unser Central-Institut für Akklimatisation in Deutschland in Berlin gebildet. Die Erreichung des gleichen Zieles mit den vorher genannten Vereinen, aber die Absicht, dasselbe auf einem anderen ihrer Ueberzeugung nach erfolgreicheren Weg zu verwirklichen, hat eine kleine Anzahl Männer bewogen am 20.März d.J. zusammenzutreten und die selbstständige Gründung des Central-Instituts für Akklimatisation zu beschließen. Schon durch den für die neue Stiftung gewählten Namen wollten sie andeuten, daß die Thätigkeit derselben eine vorzugsweise praktische sein solle, daß sie somit thatsächlich die Akklimatisation betreibe und Nichts dem guten Willen oder den Händen Anderer (welchen es nur gar zu oft an andauerndem Interesse, an Zeit oder an gehöriger Sachkenntnis mangelt) überlassen werden dürfe, was das Institut selbst ins Werk zu setzen im Stande ist.

[...]

Eine für unser gemeinnütziges werkthätiges Unternehmen kleine Anzahl von Männern; die von dem nicht zu verkennenden Zeitgemäßen und Nützlichen unseres Beginnens durchdrungen war, begründete diese Anstalt, „in der Pflanzen und Thiere, die nicht unserm Vaterlande angehören, heimisch gemacht werden sollen, wenn es dem unzertrennlichen Schwesterpaare, Theorie und Praxis, Wissenschaft und Kunst gelingt, allmäßig die Ungunst von Klima und Ernährung für die erste Generation weniger fühlbar zu machen, durch Erreichung möglichst annähernder Zustände und durch allmäßige Gewöhnung an diejenigen Zustände, die zu beseitigen außer unserer Macht liegt.“

Es drängen sich uns hierbei unwillkürlich folgende Fragen auf:

  1. Liegt ein Bedürfnis überhaupt vor, in unserer Heimath noch fremde Pflanzen und Thiere einzuführen?
  2. Für den bejahenden Fall; auf welche Art und Weist ist der Zweck am schnellsten und sichersten für das Wohl des allgemeinen Ganzen, so wie für die speziellen Zwecke des Vereins zu erreichen?
  3. Welche Mittel und Wege giebt es, das Gelingen von Pflanzenkulturen so wie die Anzucht und Eingewöhnung von Thieren möglichst zu sichern?
  4. Wie erreichen wir für ein solches Unternehmen, daß nach allen Seiten hin beleuchtet, sich als zweckmäßig und segenbringend erweisen wird, allgemeine Theilnahme und warum finden wir so oft Gegner in Männern, in denen man nur Beförderer vermuthen sollte?

[...]

Der größte Segen, der uns durch die Intelligenz unserer Landwirthe geworden ist, beruht ja eben darin, daß dieselben von jeher bemüht waren, sei es im eigenen, sei es im allgemeinen Interesse, ihre Produkte zu vervielfältigen und zu vervollkommnen. Es fand daher seit dem Beginn des Ackerbaues eine stete Akklimatisation, also eine Heimischmachung, ein Angewöhnen an Klima und sonstige natürliche Verhältnisse der Heimath für die meisten unserer Kulturpflanzen und Hausthiere statt. Wir würden keinen Weizen, Gerste, Roggen, Hafer, Kartoffeln haben, wenn dieselben nicht aus andern Ländern eingeführt worden wären; der Nutzen, den wir hierdurch für die Ernährung von Menschen und Thieren erlang haben, ist wohl so groß, daß wir es jetzt für eine Unmöglichkeit halten würden, ohne dieselben sein zu können. Wer kann noch den Erfolgen, die die Einführung nur dieser angeführten Getreidearten und der Kartoffeln gehabt hat, gegen fernere Versuche in dieser Hinsicht sein? Können erneute Versuche dieser Art nicht noch möglicherweise überraschendere Resultate zur Folge haben, deren Tragweite noch großartiger sein kann? Haben die Jahre 1857 und 1858, in denen die meisten unserer Gras- und Futterpflanzen wegen zu großer Hitze und Dürre theils gar nicht aufgingen, theils nach dem Aufgehen vertrockneten oder nur einen sehr spärlichen Ertrag lieferten, nicht ernstlich genug gemacht, uns nach solchen Gras- und Futterpflanzen umzusehen, die mehr Wärme und größere Dürre ertragen können, als unsere, bis dahin gebräuchlichsten Pflanzen dieser Art es im Stande waren?

[...]

Es hat die Einführung von Pflanzen und Thieren schon seit den ältesten Zeiten bei allen Völkern, die Ackerbau trieben und feste Wohnsitze hatten, stets mehr oder weniger stattgefunden; die größtmöglichste Ausbildung derselben ist bedingt durch die Intelligenz eines Volkes, ist für dasselbe das beredteste Zeugnis seiner innern Macht und seiner geistigen Größe.

[...]

Will man ferner irgend eine Sache zum guten Fortgang bringen, so muß man die Arbeit, die man selbst noch thun kann, nie von Anderen erwarten.

Die Wahrheit dieses Satzes bestimmte uns, die Versuche mit Pflanzen und die Erfahrungen dabei selbst zu machen und zu sammeln, um so die dadurch erhaltenen Resultate zum allgemeinen Besten bekannt zu machen; wir hielten uns daher auch Alle für überzeugt, durch die Errichtung eines eigenen Feldes das vorgesteckte Ziel am sichersten, schnellsten und besten zu erreichen. Für dieses Frühjahr bestellten wir Felder von über 6 Morgen Flächeninhalt mit einigen 60 verschiedenen fremdländischen landwirthschaftlichen Garten- und Handelspflanzen. Wir haben die große Freude, daß fast alle jeden an sie gemachten Ansprüchen entsprechen dürften.

[...]

Dieses werkthätige Handeln des Vereins wird wohl das wirksamste Mittel sein, das vorgesteckte Ziel zu erreichen, denn wir warten nicht auf Arbeit und die Beobachtung Anderer allein, sondern arbeiten und beobachten selbst und benutzen die Erfahrungen Anderer, um uns dieselben zur Bestätigung und zur Richtschnur dienen zu lassen, so wie wir auch den der Wahrheit nicht angemessenen Mittheilungen entgegen treten werden, um dadurch vor Nachtheil zu warnen.

[...]

Die Klasse der einseitig Gebildeten endlich weist mit einem sehr klug sein wollenden Lächeln eine Betheiligung deswegen zurück, weil sie selbst Mangel leiden an gediegenem eigenen Wissen, von sich auf Andere schließend, fremdem Wissen und Urtheil daher mißtrauend und in der Furcht den bis jetzt ängstlich gewahrten äußern Schein von Klugheit für den Fall, daß irgend etwas, bei dem sie sich betheiligen, nicht so einschlagen könnte, einzubüßen, bezeichnen sie es als ein thöricht eitles Beginnen und weisen ihre Betheiligung daran zurück.

Wie haben für das beste und wirksamste Mittel gegen diese Uebelstände den thatsächlichen Beweis und die einem Jeden zugängliche Gelegenheit, sich durch eigene Anschauung ein eigenes Urtheil bilden zu können, gehalten; daher wählten wir zu unserem Akklimatisationsfelde ein Feld, das zwar in Hinsicht der Güte des Bodens zu den schlechteren gehört, durch seine Lage aber nur durch eine Omnibuslinie bequem zu erreichen ist, das durch ein unmittelbar dabei sich befindendes Kaffeehaus den Besuchenden jede Bequemlichkeit, Annehmlichkeit und Erholung durch schattige, anmuthige Promenaden gewährt; wir vertrauen daher dem gesunden, guten Sinn und dem durch Beobachtung geschaffenen Urtheile unseres deutsches Volkes, und sind von seiner regen Theilnahme und wirksamsten Unterstützung eines solchen gemeinnützigen Unternehmens überzeugt.


[1] Einleitende Betrachtungen. Gründung des Central-Instituts. Sitzung vom 31. Mai 1859. Herr F. W. Voigt, Ueber die Nothwendigkeit und den zweckmäßigsten Betrieb der Akklimatisation, in: Mittheilungen des Central-Instituts für Akklimatisation in Deutschland zu Berlin, Redigiert von Dr. L. Buvry, No.1, Juli 1859, S. 1-4.


Für das Themenportal verfasst von

Iris Borowy

( 2009 )
Zitation
Iris Borowy, Akklimatisierung Die Umformung europäischer Landschaft als Projekt im Dienst von Wirtschaft und Wissenschaft, 1850-1900, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1493>.
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