Die Entdeckung der Lüneburger Heide als „schöne Natur“

Johann Andreas de Lüc (1727-1817), eigentlich Jean André de Luc, stammte aus Genf. Er war Meteorologe und Geologe; er prägte den Begriff Geologie und war mit Jean-Jacques Rousseau bekannt. Er wurde als Honorarprofessor an die Universität Göttingen berufen, also an die Hochschule des Kurfürstentums Hannover. Die hannoverschen Kurfürsten trugen zugleich die Königskrone von Großbritannien; de Luc berichtete also seiner Landesherrin, wenn er der Königin von Großbritannien Briefe schrieb. Das Schreiben dieser Briefe war offenbar seine wichtigste Dienstaufgabe. Sie wurden in mehreren Bänden gedruckt. [...]

Die Entdeckung der Lüneburger Heide als „schöne Natur“

Von Hansjörg Küster

Johann Andreas de Lüc (1727-1817), eigentlich Jean André de Luc, stammte aus Genf. Er war Meteorologe und Geologe; er prägte den Begriff Geologie und war mit Jean-Jacques Rousseau bekannt. Er wurde als Honorarprofessor an die Universität Göttingen berufen, also an die Hochschule des Kurfürstentums Hannover. Die hannoverschen Kurfürsten trugen zugleich die Königskrone von Großbritannien; de Luc berichtete also seiner Landesherrin, wenn er der Königin von Großbritannien Briefe schrieb. Das Schreiben dieser Briefe war offenbar seine wichtigste Dienstaufgabe. Sie wurden in mehreren Bänden gedruckt.[1]

De Luc unternahm 1776 eine Reise nach Celle (von ihm wurde die Stadt „Zell“ geschrieben) und durch die Lüneburger Heide. Er gab das damalige Bild der Lüneburger Heide sicher recht zutreffend wieder. Man reiste durch schier endloses, offenes und dünn besiedeltes Land, in dem Heidekraut weit verbreitet war. Das Land wurde von Heidschnucken beweidet. Hin und wieder wurden die Heideflächen abgebrannt. Danach keimten junge Heidekrautpflanzen umso besser empor. Sie werden besonders gern von Heidschnucken gefressen.

Die Entstehung und Geschichte der Lüneburger Heide schätzte de Luc dagegen falsch ein. Er hielt die Heide für jungfräuliche Natur und stellte sogar Überlegungen an, auf der Grundlage einer Untersuchung der Bodenauflage ermitteln zu können, wie alt dieses Land sein könnte; der hier wiedergegebene Text wurde um den etwas langatmigen Abschnitt gekürzt, in dem davon die Rede ist. De Luc verkannte, dass das Land keineswegs jungfräulich war, sondern seinen Charakter im Verlauf einer lange zurückreichenden Übernutzung angenommen hatte.

Bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts galt die Heide als verrufen. Dies ist einem kurzen Text des Frankfurters Zacharias Conrad von Uffenbach zu entnehmen. Er kam im Januar 1709 „über die übel beschriene Lüneburger Heide. Ich hatte mir eingebildet, sie seie deswegen so berufen, weil man so wenig Orte und Bequemlichkeit darauf fände; allein der Weg an sich ist verzweifelt böse, und machen die viele Herzens- und Kopfstöße, so man bekommt, daß man ihrer nicht leicht vergißt. Dann erstlich hat diese Heide viele Hügel und Unebenen. Zweitens ist sie sonderlich um diese Zeit des Jahres und im Herbste grundlos und dannenhero lauter tiefe Gleisen. Drittens macht auch das Wilde und Unkraut, so darauf wächset und harte Wurzeln hat, daß es sehr ungleich und verdrießlich darauf zu fahren ist.“[2] De Luc deutete die Heide anders als Angehörige früherer Generationen positiv und war mutmaßlich der erste, der die Heide als eine schöne Landschaft bezeichnete.

Die Entdeckung von schöner Natur als Landschaft ging entscheidend von der Schweiz aus, von dem Land also, aus dem de Luc stammte. In der Schweiz hatte man bereits am Beginn des 18. Jahrhunderts schöne Landschaften beschrieben. Genau an der Wende des 17. zum 18. Jahrhundert hatte Johann Jakob Scheuchzer 189 Fragen zu den besonderen Eigenheiten der Schweiz formuliert.[3] Zu diesen Fragen wurden bald Antworten formuliert. Johann Jakob Scheuchzer schrieb selbst eine Art Landeskunde der Schweiz.[4] Er wirkte damit auf zahlreiche andere Autoren ein. Einer von ihnen war Johann Georg Sulzer, der Scheuchzers Werk über die Schweiz neu herausgab[5], der aber vor allem als Verfasser einer „Allgemeinen Theorie der Schönen Künste“ bekannt wurde.[6] Das Alpengedicht von Albrecht von Haller aus dem Jahr 1729 wurde zur vielleicht berühmtesten Verherrlichung der Schweiz aus dem 18. Jahrhundert.[7] Und in Jean-Jacques Rousseaus „Julie oder die neue Héloïse“ bildet die Schweizer Gebirgslandschaft die Kulisse.[8]

Die Auseinandersetzung mit Landschaft wurde im 18. Jahrhundert gewissermaßen zu einem „Exportartikel“ der Schweiz. Sulzer wurde an den preußischen Hof berufen, Rousseau ging nach Paris. Albrecht von Haller wurde Professor an der Universität Göttingen. Von dort aus unternahm er Exkursionen in die Lüneburger Heide und in den Harz. Viele Deutsche, darunter Johann Wolfgang von Goethe, ließen sich durch die Werke von Haller nicht nur zu einer Reise in die Schweiz animieren, sondern sie bestiegen ebenso wie der Schweizer die höchsten Höhen des Harzes. Zwei weitere Schweizer, Anton Graff und Adrian Zingg, kamen 1766 an die Dresdener Akademie. Sie entdeckten auch an der Elbe schöne Landschaft, die sie schwärmend „eine Schweiz“ nannten. Fortan sprach man von Böhmischer und Sächsischer Schweiz.[9]

Etwa zur gleichen Zeit wandelten sich die Ideale der Parkgestaltung in Deutschland, und zwar im Zusammenhang mit dem politischen Umschwung, den der Siebenjährige Krieg mit sich brachte. Hatte zuvor vor allem ein französischer Einfluss bestanden, der zur Pflanzung einer geordneten Natur in den Parkanlagen geführt hatte, wandte man sich nach dem Krieg in vielen deutschen Ländern eher dem englischen Vorbild des landschaftlich gestalteten Parks zu. Besonders deutlich wird dies bei der Betrachtung auf einander folgender Parkgestaltungen im Fürstentum Anhalt-Dessau: 1757, am Anfang des Siebenjährigen Krieges, wurde die Gestaltung des formalen Französischen Gartens in Mosigkau abgeschlossen, nach 1763, als der Krieg zu Ende gegangen war, begann die Schaffung von Parkanlagen im englischen Stil, vor allem in Wörlitz.[10]

Nur wenige Jahre später entdeckte Jean-André de Luc die Schönheit und angebliche Ursprünglichkeit der Lüneburger Heide und ihrer Natur. Dort traf er Bauern, die er mit den „ersten Menschen“ verglich; sie können als „edle Wilde“ im Sinne von Rousseau aufgefasst werden. Solche Menschen waren zur etwa gleichen Zeit von James Cook, Johann Reinhold und Johann Georg Forster in der Südsee entdeckt worden.[11]

Die neue Sicht auf die Lüneburger Heide wurde von den Zeitgenossen de Lucs sofort aufgenommen. Anders als heute wurde sein Werk im späten 18. Jahrhundert offenbar viel gelesen, und zwar unter anderem von seinem Göttinger Professorenkollegen Christoph Meiners. Er reiste 1788 durch die Heide. Ebenso wie de Luc ist seine Beschreibung positiv geprägt: „Auf den zuerst genannten Haiden trifft man bald kleines Haide-Gesträuch, bald einzelne Bäume, und bald regelmässige Reihen von Bäumen an, die man nicht selten als eine Schutz-Wehr gegen die Einbrüche, oder Ueberschwemmungen des Flug-Sandes gepflanzt hat. Hier sieht man Haide-Kraut schneiden oder aufladen, und dort schon in Plaggen aufgethürmet. Hier heben sich Oerter in grosser Ferne hervor, und dort verschwinden andere wieder, die man eine Zeitlang gesehen hatte. Selbst die Abwechslungen des Bodens, die aus den verschiedenen Farben und Mischungen von Sand und Moor entstehen, können das Auge des Aufmerksamen eine Zeitlang beschäfftigen. Noch unterhaltender sind die häufigen Lagen von Kiesel-Steinen, von kleinern und grössern Granit-Stücken, die in einer unbeschreiblichen Mannichfaltigkeit von Formen und Farben ausgestreut sind, und von denen man mit Gewissheit annehmen kann, daß sie in unbestimmlichen Zeiten von Bergen, die vielleicht hunderte von Meilen entfernt sind, abgebrochen worden. […] Nichts ergötzt auf der Reise durch die Haiden zwischen Hannover und Bremervörde mehr, als der Anblick der wohlgebauten, oder wenigstens reinlichen und wohlhabenden Oerter […]“.[12] Meiners war vielleicht der erste, der erkannte, dass die Steine in der Heide von andernorts stammten. Jahrzehnte später wusste man, dass diese „Findlinge“ von eiszeitlichen Gletschern aus Nordeuropa dorthin geschoben worden waren.

Ein Jahr später als Christoph Meiners kam der dänische Dichter Jens Baggesen durch die Heide: „Die völlig neue Natur – so verschrien sie im übrigen ist – verlockte mich zu näherer Bekanntschaft. Überhaupt ist es seit meiner Kindheit einer meiner Herzenswünsche gewesen, einmal eine Wüste zu durchwandern. Eine solche Gegend ohne Höhen, also auch ohne Täler, ohne wilde oder zahme Laubgewächse, ohne Seen, ohne Bäche, ohne Zeichen von Bebauung, läßt sich mit einem Folianten vergleichen, der aus lauter leeren Blättern besteht. […] Je weiter ich in meiner Wüste vordrang, um so angenehmer und interessanter wurde sie. Freilich entdeckte mein äußeres Auge nichts als Heidekraut und hier und da einzelne verkümmerte Nadelbäume – alles um mich herum dehnte sich als unabsehbare schwarzgraue, nackte Fläche aus. Doch um so mehr Besonderheiten schwebten in tausend ungestörten Phantasien an meinem inneren Auge vorüber. [...]als plötzlich die ganze Szene in einem gewöhnlichen Staub- oder Sandrauch aufging!“[13]

Auch da ist der positive Blick auf die Heide zu erkennen: Man sah die Lüneburger Heide mit neuen Augen, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in der Folgezeit auch in Frankreich. Immer wieder kamen Franzosen in die Gegend und beschreiben sie sehr detailgetreu.[14] Möglicherweise hatten sie die französische Originalausgabe des Buches von de Luc gelesen. Vor allem aber machte sich in Deutschland der „romantische Blick“ auf die Heide breit, zunächst beispielsweise bei Annette von Droste-Hülshoff. An der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert wurde Hermann Löns mit seinen Verklärungen der Heidelandschaft hochberühmt.[15] Die Verherrlichung der Lüneburger Heide führte in Deutschland dazu, dass sie immer wieder als Inbegriff einer „schönen Natur“ gesehen wurde und gesehen wird, ebenso wie in den benachbarten Ländern, in denen es ebensolche Heidelandschaften gibt.[16]

Als man erkannte, dass sich die meisten bisher wenig fruchtbaren Heideflächen unter dem Einsatz von Mineraldünger zu gutem Ackerland meliorieren ließen, kauften Bürger, die von der Lüneburger Heide begeistert waren, ab 1910 das Land rings um den Wilseder Berg und sorgten für die Einrichtung eines Naturschutzparks in der Umgebung dieses höchsten Hügels im nördlichen Niedersachsen. Vorbilder für den Naturschutzpark waren Nationalparks in den USA.[17] Nach dem Bau der ersten Eisenbahnen im Gebiet setzte ein Touristenstrom unerwarteten Ausmaßes in die Lüneburger Heide ein. Massen von Ausflüglern wollten das Wunder der Heide sehen. Der Hamburger Geograph Richard Linde schrieb 1911 im Vorwort zu seinem viel beachteten Heidebuch: „Wo der Verfasser noch vor zehn Jahren wochenlang fast allein war, da drängten sich jetzt die Fremden von überall her, und zur Zeit der Heideblüte vermögen die Sonderzüge kaum die Fülle der Wanderlustigen aus den Randstädten zu bewältigen. ‚Snucken brukt wi nu nich mehr,‘ sagte neulich der alte Heidbauer, ‚nu heft wi de Hamborgers.‘ (Heidschnucken brauchen wir nun nicht mehr, nun haben wir die Hamburger).“[18] Auch der Geograph verklärte die Heidelandschaft: „Etwa zwei Stunden unterhalb Hamburgs, hinter den letzten Villen von Blankenese, erheben sich fast unmittelbar am Strome eigentümlich geformte dunkle Heidekuppen. Das Gitter am Rande des Kiefernwaldes bezeichnet die Grenze des Kulturlandes. Jenseits beginnt der Wildboden der Heide. Dort führt ein schmaler Fußpfad zwischen dem Brahm [Besenginster], Farnkraut und Eichenkratt empor. An den steilsten Abhängen ist die Heidekruste zerrissen, und nackter, gelber Sand rieselt wie aus einer Wunde des Erdbodens in langen Strähnen hervor. Eine ganz besondere Landschaft, erfüllt von dem Zauber brauner Heideeinsamkeit, öffnet sich hier oben. Das blühende Rot des Heidekrautes, das sonnige Grün des schmalen Uferlandes, der violette Wasserspiegel mit der duftverhüllten, dunstigen Ferne, darüber das lichte Gold türmender Wolkenmassen, der großartige Weltverkehr auf dem breiten Strome und hier oben die starre, ewige Ruhe bilden den reizvollsten Gegensatz.“[19] Da geht es wie bereits über einhundert Jahre zuvor sowohl um eine Naturverherrlichung als auch um die Beschreibung eines Gegensatzes zwischen Zivilisation und Wildnis, zwischen kultiviertem und unkultiviertem Land, zwischen Kultur und Natur. Der Maler Hugo Vogel malte Anfang des 20. Jahrhunderts die „Urlandschaft“ bei Hamburg mit dem Urstromtal der Elbe und der Heide an die eine Wand des Großen Festsaales im Hamburger Rathaus[20], und zwar der damals modernen Landschaft des Hafens genau gegenüber. So wurde der damals allgemein gesehene Gegensatz dargestellt: Natur auf der einen, Kultur und Technik auf der anderen Seite.

Die schöne, die verklärte Natur ist aber nicht mit der sich ständig wandelnden Natur gleichzusetzen. Natur ändert sich eigentlich unaufhörlich und bleibt nie so, wie man sie auf Erden gerne festhalten möchte. Das aber war der ausdrückliche Wunsch desjenigen Naturschützers, der schöne Natur vor dem Ausgreifen der Kultur und der Zivilisation bewahren wollte. Aus der doppelten Bedeutung von Natur resultiert bis heute ein Dilemma des Naturschutzes: Soll mit diesem Instrument die Entwicklung und der Wandel von Natur gefördert werden, oder geht es eher um die Bewahrung eines als schön empfundenen Zustandes?

Heute ist allgemein bekannt, dass die Lüneburger Heide ehemals bewaldet war. Seit Menschengedenken lebten dort Bauern, die Wälder rodeten, Äcker bewirtschafteten und Vieh weiden ließen. Wald wurde dabei immer stärker zurückgedrängt. Auf den recht mineralarmen Böden der Heide konnte sich nicht immer erneut Wald ausbilden, wenn einzelne Parzellen von den Menschen verlassen worden waren, wie dies andernorts der Fall war. Besonders stark wurden Wälder seit dem Mittelalter zurückgedrängt. Man brauchte Holz für vielerlei Zwecke, unter anderem zum Heizen in den umliegenden Städten, zum Schiffbau, auch zum Betrieb der wichtigen Lüneburger Saline. Die Art und Weise der Landbewirtschaftung verhinderte eine Regeneration von Wald. Besonders verheerend wirkte sich die Plaggenwirtschaft aus: Auf den Heideflächen wurde der Oberboden mit dem Heidekraut und dessen Wurzeln abgehoben. Diese sogenannten Heideplaggen legte man vor allem im Winter in die Ställe als Einstreu. Heideplaggen wurden dort mit tierischen Fäkalien vermengt. Im folgenden Frühjahr brachte man die Plaggen als Dünger auf die Getreidefelder. Dank der Plaggendüngung konnte man alljährlich gute Getreideernten einfahren. Einige wenige Flächen wurden auf diese Weise als Ackerland mit Mineralstoffen versorgt. Die von de Luc erwähnte Kartoffel war übrigens keineswegs „ursprünglich“ in der Lüneburger Heide. Denn die Pflanze stammte aus Südamerika und wurde erst seit dem 17. Jahrhundert zum Anbau empfohlen. Größere Bedeutung bekam die Pflanze erst in der Zeit um 1770.[21] Daher ist der Hinweis von de Luc auf den Kartoffelanbau in der Heide vielleicht einer der ältesten überhaupt.

Den anderen Flächen wurden im Lauf der Zeit fast sämtliche Mineralstoffe entzogen: Das, was zurück blieb, konnte man als „Wüste“ bezeichnen. Die Wüste war das, was den Reisenden im 18. Jahrhundert auffiel; und de Luc hatte auch erfahren, dass man Plaggen stach, wenn er schrieb: „Der Landmann, der nicht genug gutes Erdreich fand, um seine Familie zu ernähren, holte dasselbe von anderen Orten her zusammen.“ Auf den weithin vegetationslosen Flächen konnte damals kein lukrativer Ackerbau betrieben werden.[22] Unter großen Mühen gelang es stellenweise im 18., weithin dann aber im 19. und 20. Jahrhundert, die Flächen zu kultivieren – unter Erschließung von neuen Düngerquellen seit der Zeit des 1752 in Celle geborenen und dort auch lange wirkenden Agrarreformers Albrecht Daniel Thaer.[23]

Die damalige landschaftliche Situation wurde von Jean André de Luc und seinen Nachfahren als Idylle missdeutet, die einem „ursprünglichen“ Zustand entsprechen sollte. Diese Ansicht ist zwar eindeutig widerlegt, hält sich aber doch hartnäckig in der Bevölkerung. Die Ansichten von de Luc und seinen Nachfahren haben sich also sehr stark bei den Menschen festgesetzt. Generationen von Menschen kamen in die Lüneburger Heide, um sie gerade wegen ihres „ursprünglichen Charakters“ zu sehen.

Es ist aber nicht alles das „ursprünglich“ oder „Natur“, was wir dafür halten. Die Heide kann sich durch die Entscheidung von Menschen radikal verändern. Man kann die Flächen mit Mineraldünger in gutes Ackerland verwandeln. Das sollte durch Naturschutz verhindert werden. Aber der Schutz der Natur ist kein eindeutiges Ziel. Wenn man Natur schützen will, hat man vor allem die Wahl zwischen zwei Alternativen, die zu jeweils völlig unterschiedlichen Resultaten führen. Entweder lässt man „Natur Natur sein“ und greift nicht mehr in natürliche Abläufe ein. Dann „verwildert“ das Gelände: Das Heidekraut sammelt mit Hilfe von Bodenpilzen, die an seinen Wurzeln sitzen, Mineralstoffe an der Erdoberfläche. Nach einiger Zeit ist die Heide hinreichend fruchtbar, dass zuerst Gräser, dann weitere Kräuter und Sträucher, bald auch Birken und Kiefern, schließlich Eichen und Buchen sich ausbreiten. Das ist die natürliche Entwicklung, die sich einstellt, wenn man nicht mehr in die natürliche Entwicklung eingreift. Die andere Möglichkeit ist, den Charakter der „schönen Heide“ zu bewahren, die „schöne Natur“, die einer menschlichen Vorstellung, aber nicht den naturwissenschaftlichen Grundlagen entspricht. Dann muss die Heide aber eigentlich nicht nur regelmäßig mit Heidschnucken beweidet werden, sondern es ist auch eine Entnahme von Heideplaggen oder das Abbrennen der Heideflächen notwendig. Auch Letzteres wurde von De Luc beobachtet und erwähnt. Nur durch das Abplaggen und Abbrennen wird der Ansammlung von Mineralstoffen an der Bodenoberfläche wirksam entgegen gewirkt.

Die Entscheidung ist im Prinzip frei, sich für die moderne Nutzung, das Sich-Selbst-Überlassen der Fläche oder das Management einer Heide zu entscheiden. Der Gesetzgeber gibt dies bis heute nicht eindeutig vor. Wer heutige Naturschutzgesetze beachtet, bekommt nicht gesagt, ob sie zum Sich-Selbst-Überlassen der Natur anhalten oder zu deren Pflege; erst recht ist im Gesetz nicht zu lesen, dass dazu eine freie Entscheidung zu treffen ist.

Auch das ist eine Folge von Ansichten, wie sie im Text von Jean-André de Luc geäußert wurden. Diese Ansichten prägen nicht nur unser Bild und unser Verständnis der Heidelandschaft bis auf den heutigen Tag. Sie machen auch die Begriffe „Natur“ und „Naturschutz“ unklar: Wir geben nämlich vor, Natur zu schützen, wenn es uns in Wahrheit um schöne Landschaften geht.

Es muss uns klar sein: Die Heide ist in Wirklichkeit keine Natur und nichts Ursprüngliches, sondern eine Landschaft. Landschaften sind durch natürliche Prozesse, menschliche Gestaltung und Metaphern geprägt, die aus einem kulturellen Verständnis von Landschaft entspringen.[24] Solche Metaphern können „arkadisch“, „wild“, „schweizerisch“, „englisch“ oder auch „natürlich“ lauten. Es gibt sowohl den natürlichen Ablauf als auch die Metapher „Natur“. Setzt man sie wie de Luc miteinander gleich, schafft man keine Klarheit, wenn man von „Natur“ spricht, sondern stiftet Verwirrung. Bis heute ist er prägend, vor allem im Naturschutz, bei dem nicht klar gestellt wird, ob man damit natürliche Entwicklung oder eine schöne Natur schützen will. Diese Begriffsverwirrung verdanken wir Schriftstellern und Dichtern des späten 18. Jahrhunderts, unter anderem Jean André de Luc.


[1] Essay zur Quelle: Johann Andreas de Lüc [Jean André de Luc], Physikalische und moralische Briefe über die Geschichte der Erde und des Menschen an Ihre Majestät die Königin von Großbritannien (Leipzig 1781), [Auszüge].

[2] Zitiert nach Eichberg, Henning, Stimmung über der Heide. Vom romantischen Blick zur Kolonisierung des Raumes, in: Großklaus, Götz; Oldemeyer, Ernst (Hgg.), Natur als Gegenwelt. Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Karlsruhe 1983, S. 197-233, bes. S. 197.

[3] Scheuchzer, Johann Jakob, Einladungsbrief zu Erforschung natürlicher Wunderen, so sich im Schweizerland befinden, Zürich 1699. – Abdruck in: Küster, Hansjörg; Küster, Ulf (Hgg.), Garten und Wildnis. Landschaft im 18. Jahrhundert, München 1997, S. 14-31.

[4] Scheuchzer, Johann Jakob, Beschreibung der Natur-Geschichten des Schweizerlands, 3 Teile, Zürich 1706-1708.

[5] Johann Jacob Scheuchzers Natur-Geschichte des Schweitzerlandes, samt seinen Reisen über die Schweitzerische Gebürge, 2 Bde., herausgegeben und übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Sulzer, Johann Georg, Zürich 1746.

[6] Sulzer, Johann Georg, Allgemeine Theorie der Schönen Künste, 4 Bde., Leipzig 1771-1774.

[7] Haller, Albrecht von, Die Alpen, in: Versuch Schweizerischer Gedichten, Bern 1732.

[8] Rousseau, Jean-Jacques, Julie oder die neue Héloïse, Amsterdam 1761.

[9] Küster, Hansjörg, Schöne Aussichten. Kleine Geschichte der Landschaft, München 2009, S. 82.

[10] Küster, Hansjörg; Hoppe, Ansgar, Das Gartenreich Dessau-Wörlitz, München 2010.

[11] Forster, Georg, Reise um die Welt, Berlin 1778-1780 (Neuausgabe Frankfurt am Main 2007).

[12] Meiners, Christoph, Bemerkungen auf einer Reise von Göttingen nach Cuxhaven. Göttingisches historisches Magazin 2, Göttingen 1788, S. 495-539.

[13] Baggesen, Jens, Das Labyrinth oder Reise durch Deutschland in die Schweiz 1789, Leipzig und Weimar 1985, S. 114f.

[14] Unter anderem: Demolins, Edmont, La petite culture en famille-souche, le „Bauer“ du Lunebourg, Paris 1888. – Deutsche Übersetzung in: Behr, Artur (Hg.), Der Lutterhof bei Hermannsburg. Ein Bauernhof im Wandel der Zeit, Hermannsburg 2005, S. 11-54.

[15] Dazu detailliert Eichberg, Stimmung über der Heide. –Kiendl, Andrea, Reiseliteratur über die Lüneburger Heide. Vom negativen Vorurteil zum Wegbereiter des Tourismus, in: Brockhoff, Horst; Wiese, Giesela; Wiese, Rolf (Hgg.), Ja, grün ist die Heide… Aspekte einer besonderen Landschaft, Rosengarten-Ehestorf 1998, S. 157-178.

[16] Haaland, Svein, Feuer und Flamme für die Heide. 5000 Jahre Kulturlandschaft in Europa, Bremen 2003.

[17] Lütkepohl, Manfred; Prüter, Johannes, Naturschutz – Geschichte und Aufgaben im Wandel der Zeit, in: Brockhoff, Horst; Wiese, Giesela; Wiese, Rolf (Hgg.), Ja, grün ist die Heide… Aspekte einer besonderen Landschaft, Rosengarten-Ehestorf 1998, S. 217-243.

[18] Linde, Richard, Die Lüneburger Heide, 4. Aufl., Bielefeld und Leipzig 1911, Vorwort.

[19] Ebd., S. 1.

[20] (27.01.2010). Abdruck des Bildes ohne Nennung von Quelle und Künstlernamen in: Wölfle, Hugo, Hamburger Geschichtsatlas. Heimatkundliche Karten und Bilder, Hamburg 1926, S. 7.

[21] Körber-Grohne, Udelgard, Nutzpflanzen in Deutschland. Kulturgeschichte und Biologie, Stuttgart 1987, S. 143-144.

[22] Küster, Hansjörg, Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, 3. Aufl., München 1999, S. 233-238; Pott, Richard, Lüneburger Heide, Wendland und Nationalpark Mittleres Elbtal, Stuttgart 1999, S. 118-149; Haaland, Feuer und Flamme für die Heide.

[23] Panne, Kathrin (Hg.), Albrecht Daniel Thaer. Der Mann gehört der Welt. Begleitpublikation zur gleichnamigen Ausstellung im Bomann-Musem Celle zum 250. Geburtstag von Albrecht Daniel Thaer, Celle 2002.

[24] Küster, Schöne Aussichten.


Literaturhinweise:

  • Eichberg, Henning, Stimmung über der Heide. Vom romantischen Blick zur Kolonisierung des Raumes, in: Großklaus, Götz; Oldemeyer, Ernst (Hgg.), Natur als Gegenwelt. Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Karlsruhe 1983, S. 197-233.
  • Küster, Hansjörg, Geschichte der Landschaft in Mitteleuropa. Von der Eiszeit bis zur Gegenwart, 3. Aufl., München 1999.
  • Küster, Hansjörg, Schöne Aussichten. Kleine Geschichte der Landschaft, München 2009.
  • Lütkepohl, Manfred; Prüter, Johannes, Naturschutz – Geschichte und Aufgaben im Wandel der Zeit, in: Brockhoff, Horst; Wiese, Giesela; Wiese, Rolf (Hgg.), Ja, grün ist die Heide… Aspekte einer besonderen Landschaft, Rosengarten-Ehestorf 1998, S. 217-243.

Johann Andreas de Lüc [Jean André de Luc], Physikalische und moralische Briefe über die Geschichte der Erde und des Menschen an Ihre Majestät die Königin von Großbritannien (Leipzig 1781), [Auszüge][1]

Vor nicht so gar langer Zeit waren vielleicht Auerhähne und Kaninchen die einzigen Bewohner der großen niedersächsischen Plänen[2]. Die ersten Menschen, die sich daselbst niederließen, waren vermuthlich Schäfer, deren Schafe das junge Heidekraut abweideten. Zu ihren ersten Wohnungen wählten sie ohne Zweifel die fruchtbarsten, d.i. die feuchtesten Orte, wo die fruchtbare Rinde[3] durch das Wasser stark genug geworden war, um ihnen die nöthigsten Lebensmittel zu geben. Da sich aber ihre Familien vergrößerten, mußten sich die neuen Colonien auf dem dürren Sande blos mit der von der Luft abgesetzten fruchtbaren Erde begnügen. Bedürfniß ist die Mutter des Fleißes. Der Landmann, der nicht genug gutes Erdreich fand, um seine Familie zu ernähren, holte dasselbe von anderen Orten her zusammen; und so nahm dadurch sehr natürlich die Ausbrechung des Bodens ihren Anfang.

Ohne die Geschichte der Cultur dieser Länder eigentlich zu studiren, habe ich gehört, daß sie mit der Geschichte der Longobarden und Vandalen zusammentreffe, von deren Sitten und Gebräuchen man noch hie und da Spuren findet, besonders in der Mundart, nach welcher sie das Deutsche aussprechen, und in den Namen einiger Dörfer in den großen lüneburgischen Heiden. Einige Gegenden scheinen in alten Zeiten sogar volkreicher, als jetzt, gewesen zu seyn, wie man aus der Menge der Gräber schließt, in welchen sich ihre Asche in Urnen findet. Man weiß auch, daß Carl der Große viele Kriege mit den Bewohnern dieser Heiden geführt, und viele von ihnen in andere Gegenden von Europa, die er anbauen wollte, übergeführt hat. Man weiß aus der Geschichte, daß ihre Lebensart sehr hart war, daß Eicheln und Baumrinden einen Theil ihrer Nahrung ausmachten, und daß sie keine beständigen Wohnungen hatten. Ohne Zweifel kömmt aus diesen Zeiten noch eine Art von gehörnten Schafen her, die man noch Heideschnucken nennt, deren Wolle stark und grau, bisweilen ganz schwarz ist, und einen starken Handelsartikel der jetzigen Bewohner ausmacht.

Diese alten Bewohner haben sehr wenig Boden ausgebrochen; sie lebten von dem, was die Erde freywillig hervorbrachte. […] [Bd. I, S. 390-391]

Man hatte Recht gehabt, mir zu sagen, daß diese Gegenden sehr öde wären. Ich reisete oft sehr weit, ohne irgend einige Pflanzungen, außer in der größten Ferne am Horizont zu entdecken. Und, wie man mir in Zell[4] sagte, ist dies noch nichts in Vergleichung mit den Gegenden, die nach Lüneburg und Hamburg zu liegen. Diese Plänen sind in der That so groß und noch so wenig bewohnt, daß die Bauren den Boden gar nicht überall ausbrechen können, auch dies zur Verbesserung der wenigen bebauten Gegenden gar nicht nöthig haben. Also giebt es unermeßliche Räume, von welchen die Menschen noch gar nichts weggenommen haben, als was die Schafe abweideten, und etwas Brennholz von den Gesträuchen.

Man findet also hier einen Boden, der ganz unter den Händen der Natur geblieben ist. Die Grundfläche desselben ist gewiß ehemaliger Meergrund […]. Ueber diesem Meergrunde liegt eine wahrscheinlich noch unberührte Schicht fruchtbarer Erde, welche immer zunimmt, und man kann die Grade ihres Wachsthums beobachten. Sollte man also nicht hoffen dürfen, dereinst die Zeit berechnen zu können, seit welcher sie entstanden ist? […] [Bd. I, S. 397]

Ich hab das Vergnügen gehabt, neue Gräben in den Heiden ziehen zu sehen: ein Schauspiel, das für mich eben so viel war, als ob ich neue Menschen entspringen sähe. Vorzüglich bemerkte ich einen jungen Mann und seine Gattinn [sic], die mit dem größten Eifer beschäftigt waren, er, den Graben tiefer zu machen, und sie, die ausgehobne Erde hineinwärts zu werfen. Sogleich stellte sich mir die ganze Geschichte dieses Paares und seiner Nachkommenschaft dar, und ich glaubte in ihnen unsere ersten Stammeltern zu sehen. […]

Bald wird vielleicht die junge Frau ihrem Gatten den ersten Sohn geben, die kleine Pflanzung wird in die Höhe wachsen, ihre Besitzer ernähren, und der Welt eine Familie mehr verschafft haben: dies ist der Zweck der Vorsehung, durch die Vorsorge einer guten Regierung zu seiner Erfüllung gebracht!

Dies alles stellte sich beym Anblick dieses jungen Paars meiner Einbildungskraft lebhaft dar. Ich hatte schon in vielen solchen neuen Niederlassungen die Landleute fast auf allen Stufen ihres Fortgangs beobachtet, und sie immer zufrieden und glücklich, durch die Natur und oft selbst durch Hindernisse aufgemuntert gefunden. Ich erinnerte mich jetzt an dies alles, und fühlte die Wirkungen der Liebe zum Eigenthum und der häuslichen Verbindungen in ihrer ganzen Stärke.

Ich betrachtete also diese Gräben und umzäunten Niederlassungen aus einem ganz andern Gesichtspunkte, als Rousseau in seiner Abhandlung über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen, gethan hat. ‚Der erste,‘ sagt dieser, ‚der eine Gegend umzäunt hatte, der es wagte, zu sagen: Dies ist mein, und Leute fand, die einfältig genug waren, es zu glauben, ist der wahre Stifter der Gesellschaft gewesen. Wie viel Frevelthaten, Kriege und Elend hätte nicht dem menschlichen Geschlechte der Menschenfreund ersparen können, der ihm die Pfähle ausgerissen, den Graben verschüttet, und den übrigen zugerufen hätte: Hütet euch, diesem Betrüger zu glauben, ihr seyd verloren, sobald ihr vergesset, daß die Früchte allen, und der Boden niemand, gehören.‘ […] [Bd. I, S. 402-404]

Von Zell bis Lüneburg giengen wir wiederum nicht auf der Landstraße, sondern über Witzendorf durch die ödesten Heiden. Noch am 4ten reiseten wir durch Wolthausen und Offen. Hier sahe ich den Gebrauch, den man von den Heiden macht. Sie nähren Bienen und große Heerden von Heideschnucken [sic]. […]

In den wenigen Dörfern, durch die wir kamen, herrscht eine große Reinlichkeit, die aber nicht, wie in Holland, erkünstelt, sondern natürlich ist. Der hiesige Sand wird nie schmutzig, und die Heide macht überall, wo gegangen wird, dem Rasen Platz, so daß alle Fußsteige mit grünen Banden eingefaßt sind. Diese natürliche Reinlichkeit des Bodens hat Einfluß auf die Bewohner. In kothigen Dörfern beschmutzen Vieh und Menschen die Wohnungen: man gewöhnt sich daran und vernachläßigt sich. Hier hingegen geht man stets auf Sand oder Rasen, und hält sich selbst und die Häuser mit leichter Mühe reinlich. Ueberhaupt haben die hiesigen Baurenhäuser das wahre ländliche Ansehen. Sie bestehen aus einer Scheune, die an beyden Seiten offne Ställe, und am Ende eine Küche hat. Alles ist reinlich ohne Affectation, und erregt alle angenehmen Ideen des ländlichen Lebens.

Bis Witzendorf findet man noch hin und wieder Cultur; hinter diesem Dorfe aber kömmt man in das wahre Heiligthum der Natur. Gestern früh reiseten wir sechs Stunden, ohne eine Wohnung zu sehen, einige Schäferhütten und ein Wirthshaus ausgenommen, das eine junge Familie an einem Orte, wo etwas Passage ist, anzulegen gewagt hat. Man wird diesen Keim nicht ersticken lassen: er kann sich mit ein wenig Unterstützung bald in ein Dorf verwandlen. […]

Das einzige, was Menschen bey der Heide thun, ist, daß sie sie von Zeit zu Zeit abbrennen. Wenn sie hoch und holzig geworden ist, so wird ihr jähriger Trieb sehr schwach, und die Schafe finden nicht mehr viel Weide. Man brennt sie daher ab, und zwar, wenn sie wieder wachsen soll, im Frühling: wenn man sie aber ausrotten will, im Herbst, ehe sich ihre Saamen verbreiten. Man unterscheidet die in beyden Jahreszeiten abgebrannten Räume sehr deutlich. […]

Mitten in diesen Heiden liegt ein großer Wald, die Raubkammer genannt. Er war sonst sehr gefährlich: jezt aber kann man ohne Furcht hindurchreisen. Schon dies ist ein wesentlicher Vortheil der Anlegung einiger Colonien in diesen Wüsten gewesen, daß man dadurch die Continuität der weiten Räume unterbrochen hat, die sonst den Räubern zu Schlupfwinkeln dienten.

Weit hinter diesem Walde fanden wir zwey nahe aneinander gelegne Dörfer, Dehnsen und Elzen. Das letztere besteht nur aus dreyen Feuerstätten, macht aber eine reizende Insel in diesem Meere von Heiden aus. Alles ist grün und schattigt, und in den Wohnungen selbst reinlich. Aus der Wolle ihrer Schafe und dem Lein, den sie erzeugen, bereiten sie sich ihre Kleidung selbst. Die natürliche braune Farbe der Wolle dient zu Mannskleidern: für die Weiber wird die weißeste Wolle bunt gefärbt, und zum Einschuß in leinene Wersten [sic] gebraucht. Zur Speise dienen ihnen die Erdäpfel mit ihrer vortrefflichen Butter, ein Gericht, zu dem ich mich gar bald würde bequemen können. Diese Leute könnten in guten Jahren ganz von dem leben, was sie erzeugen […].“ [Bd. II, S. 262-266]


[1] Lüc, Johann Andreas de [Luc, Jean André de], Physikalische und moralische Briefe über die Geschichte der Erde und des Menschen an Ihre Majestät die Königin von Großbritannien, Leipzig 1781, Bd I, S. 390f., S. 397, S. 402ff; Bd. II, S. 262-266.

[2] Pläne = französisch „plaine“, Ebene.

[3] Gemeint ist die Rinde der Erde.

[4] Gemeint ist die Stadt Celle.


Für das Themenportal verfasst von

Hansjörg Küster

( 2010 )
Zitation
Hansjörg Küster, Die Entdeckung der Lüneburger Heide als „schöne Natur“, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2010, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1515>.
Navigation