Grenzenlos eingrenzen Koloniale Raumstrukturen der Frühen Neuzeit am Beispiel niederländisch-spanischer Konfliktfelder in Asien

Die europäische Expansion nach Asien in der Frühen Neuzeit hatte nicht nur einen komplexen Waren- und Technologietransfer zur Folge. Auch zahlreiche europäische Konflikte und die mit ihnen verbundenen Konfliktlinien bzw. -grenzen fanden ihren Weg in asiatische Reiche. Hierzu gehörte auch der Kampf um die Loslösung der niederländischen Provinzen vom spanischen Imperium und seine Einbettung in kommerzielle Rivalitäten zwischen Niederländern und Spaniern in südostasiatischen Inselreichen zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Dabei ist in besonderem Maße bemerkenswert, dass die Grundlagen für das (Miss-) Verständnis von Grenzen in unterschiedlichen Bedeutungssystemen in Europa und Asien liegen. [...]

Grenzenlos eingrenzen. Koloniale Raumstrukturen der Frühen Neuzeit am Beispiel niederländisch-spanischer Konfliktfelder in Asien[1]

Von Alexander Drost

Die europäische Expansion nach Asien in der Frühen Neuzeit hatte nicht nur einen komplexen Waren- und Technologietransfer zur Folge. Auch zahlreiche europäische Konflikte und die mit ihnen verbundenen Konfliktlinien bzw. -grenzen fanden ihren Weg in asiatische Reiche. Hierzu gehörte auch der Kampf um die Loslösung der niederländischen Provinzen vom spanischen Imperium und seine Einbettung in kommerzielle Rivalitäten zwischen Niederländern und Spaniern in südostasiatischen Inselreichen zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Dabei ist in besonderem Maße bemerkenswert, dass die Grundlagen für das (Miss-) Verständnis von Grenzen in unterschiedlichen Bedeutungssystemen in Europa und Asien liegen. Vor diesem Hintergrund liegt der Fokus dieses Beitrags auf den territorialen und machtpolitischen Grenzziehungen im Kontext regionaler Rivalitäten, europäischer politischer und kommerzieller Interessen und den Schwierigkeiten, denen sich insbesondere die Niederländer mit ihrer Handelskompanie, der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC), bei dem Versuch ausgesetzt sahen, die regionalen Wurzeln und Dynamiken politischer Autorität und Souveränität zu durchschauen. Denn die Macht eines Herrschers in den regionalen Reichen Südostasiens, die an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert erst seit kurzem islamisiert worden waren,[2] bezog sich – entgegen dem allgemeinen Verständnis in Europa – vornehmlich auf die Kontrolle über Menschen und nicht auf ein Territorium bzw. auf Land. Die Zentralität des Herrschers und seiner Herrschaftsausübung über Untertanen geht in Südostasien auf das hinduistisch-buddhistische Mandala-System zurück. Insofern besitzen territoriale Abgrenzungen in den südostasiatischen Gesellschaften nur in Einzelfällen Bedeutung, waren aber wichtiger Bestandteil der europäischen Konfliktbewältigung während der kolonialen Expansion. Die zentralen Handels- und Produktionsplätze sowie die Verteidigungsanlagen in den Molukken im frühen 17. Jahrhundert dienen in diesem Beitrag als Beispiel für die Dynamiken der europäischen Grenzziehungen in einem Gebiet, in dem die lokalen Gesellschaften bis weit in das 19. Jahrhundert hinein kaum ein Verständnis für territoriale Abgrenzungen entwickelt hatten,[3] wie semantische Fallbeispiele zeigen werden.

Neben Ambon und den Banda Inseln im Süden standen die nördlichen Inseln der Molukken Ternate und Tidore wegen des Gewürznelkenanbaus im Zentrum des Interesses bei den europäischen Handelsnationen. Ternate produzierte etwa 80.000 Pfund Nelken im Jahr, Tidore über 700.000 Pfund.[4] Über beide Inseln herrschten zu Beginn des 17. Jahrhunderts zwei mächtige regionale Sultanate, deren Dualität ein traditionelles Moment der gesellschaftlichen Einheit der Molukken war[5] und als Ausgangspunkt für europäische Frontenbildungen vor dem Hintergrund des Kampfes um Vorherrschaft und Handelsrechte angesehen werden können. Denn die europäischen Handelskompanien expandierten in Asien nicht in einem Machtvakuum. Vielmehr mussten sie die Nähe zu lokalen Fürsten und einflussreichen Agenten suchen, die Zugang zu Wissen und Ressourcen boten. Die zahlreichen Verträge zwischen Vertretern der Kompanie, die im Auftrag der Niederlande agierten, und den einheimischen Fürsten bezeugen die Entstehung eines weitverzweigten Bündnisnetzwerkes, das auch im Kampf gegen europäische Konkurrenten eingesetzt werden konnte. Der hier näher betrachtete Vertrag vom 26. Mai 1607 zwischen dem Admiral der niederländischen Flotte in Asien Cornelis Matelieff de Jonge und Sultan Muzaffar von Ternate war Teil dieser niederländischen Netzwerkbildung, dessen Verträge auf dem Grundsatz beruhte, dass der souveräne asiatische Prinz die Freiheit genießt, einen Vertrag mit einer ihm schutzgebenden Macht zu schließen. Aufgrund dieser Interpretation von Freiheit und Souveränität konnten die Niederländer ihr Handelsmonopol, das auf Handelsverträgen basierte, auch im Sinne des von Hugo Grotius verfassten „Mare Liberum“ auf den Englisch-Niederländischen Kolonialkonferenzen von 1613 und 1615 verteidigen.[6] Der Vertrag vom 26. Mai 1607 bereitete vor diesem Hintergrund einerseits die Übernahme der Kontrolle der Insel durch die Niederländer vor, indem die Ternater sie als „Gönner“ ansahen und der Admiral ihre Angelegenheiten gegenüber den Generalstaaten in den Niederlanden vertreten sollte. Andererseits zielen die ersten Paragraphen des Vertrags auf die Verteidigung der Ternater gegen die Spanier ab, bei der die Niederländer nicht nur zur Hilfe kamen, sondern auch eigene Interessen vertraten. Hierzu war es notwendig, bestehende Verteidigungsanlagen zu befestigen und so auch Begrenzungen auszubauen. Den lokalen Traditionen und Konflikten wurde dabei kaum Beachtung geschenkt und die Konflikte zwischen den Europäern rückten in den Vordergrund.


Europäische Forts auf den molukkischen Inseln Ternate und Tidore im 17. Jahrhundert

Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts gab der Sultan den Portugiesen die Möglichkeit, sich auf Ternate als Verbündeter niederzulassen. Das Fort wurde 1522 errichtet. Doch bereits 1539 gaben die Portugiesen einen ersten Versuch der Monopolisierung des Gewürznelkenhandels wieder auf. 1570 verließen die Portugiesen nach einem Aufstand des Sultans Ternate und ließen sich auf der Nachbarinsel Tidore als Verbündete des dortigen Sultans nieder. Der Sultan von Ternate aber bot den Niederländern 1599 Freundschaft an, die diese gerne annahmen. 1605 erreichte eine Flotte der Niederländer Ternate und die Truppen des Sultans griffen gemeinsam mit den Niederländern die Portugiesen auf Tidore an, die fernab von ihrem Zentrum in Goa und schwach ausgerüstet keinen ernstzunehmenden Gegner für die Koalition darstellten. Das portugiesische Fort auf Tidore wurde zerstört. 1606 traf von Manila kommend und mit dem Silber Mexikos finanziert eine spanische Flotte als Verstärkung der Portugiesen auf Tidore ein, die zusammen mit den Bewohnern Tidores und Bacans dann Ternate eroberte. Der Sultan von Ternate und sein Hof wurden nach Manila ins Exil gesandt. In Banten, einer wichtigen Hafenstadt, bedeutendem Handelszentrum Südostasiens und zeitweiligem Hauptquartier der VOC auf der Insel Java in dieser Zeit, erreichten die Nachrichten über den Angriff auf Ternate die Niederländer, die neben den Engländern hier eine wichtige Faktorei unterhielten. Die Niederländer führten unter dem Admiral und Direktor der niederländischen Ostindienkompanie Cornelis Matelieff de Jonge aus Rotterdam Verhandlungen mit den Ternatern.

Am 26. Mai 1607 wurde schließlich ein Vertrag zwischen dem Sultan von Ternate und Admiral de Jonge als Vertreter der VOC und den Niederlanden geschlossen, in dem die Verteidigung Ternates und die Rückgewinnung der von den Spaniern eroberten Gebiete vereinbart wurde.[7] Eine ins Deutsche übertragene Fassung dieses Vertrages ist dem Essay als Quelle beigefügt. Da Ternate nicht die erforderlichen Kämpfer zur Verfügung stellen konnte, änderte Matelieff seine Strategie und sah zunächst von einem Angriff auf die Spanier ab. Bereits der Vertrag sah in Artikel 1 vor, dass die Niederländer ein Fort in Melayu, in der Nähe des Palastes des Sultans errichten und dieses großzügig zur Verteidigung gegen die Spanier ausstatten sollten. Im Gegenzug akzeptierten die Ternater die Niederländer als ihre Schutzherren.[8] Doch Matelieff begnügte sich nicht mit diesem einen Fort. Er begann auf der Insel, dessen Volk zum größten Teil vor den Spaniern auf die Nachbarinsel Halmahera geflohen war, Befestigungsanlagen und Forts in der Nähe der spanischen Sicherungsanlagen zu errichten. Fort Oranje in der Nähe des Palastes des Sultans von Ternate, Fort Kalamata gegenüber dem spanischen Fort zwischen Rum und Cobo auf Tidore sowie Fort Teluko und Takome entstanden in nur wenigen Jahren auf Ternate (wie aus der beigefügten Karte ersichtlich). Außerdem wurden Fort Barneveldt auf der südlicher gelegenen Insel Bacan, Fort Nassau auf Motir und weitere Forts auf Halmahera und Tidore errichtet.[9] Die Spanier auf Tidore wurden somit von einer Kette von Forts in den Molukken umgeben. Genauer, sie wurden von niederländischen Forts eingekreist. Gleichwohl sich Tidore und Ternate in ihrem Dualismus jeweils an einen europäischen Partner wandten, wird hier nur noch inoffiziell ein Konflikt asiatischer Sultanate ausgefochten.

Der Vertrag und die Überlegungen Matelieffs offenbaren Vorstufen der später von den Niederländern verfolgten Politik der Kontrolle und Monopolisierung von Handelsrechten und Handelsströmen. In erster Linie dienten die Errichtung niederländischer Forts und die Stationierung von niederländischen Soldaten sowie Schiffen zu Beginn des 17. Jahrhunderts der gewaltsamen Abwehr der europäischen Feinde, insbesondere im Kontext der weltweiten Abwehr der Spanier. Doch Matelieff verweist in seinem Brief an Grotius vom 12. November 1608 neben der Fortifikation gegen den spanischen Feind auch schon auf den wirtschaftlichen Nutzen der Nelkenbäume, wenn er feststellt, dass auf der niederländischen Seite der Insel alle Bäume stehen und auf der spanischen Seite keine Nelken zu finden sind. Sowohl militärisch als auch wirtschaftlich wurde hier eine rein europäische Front geschaffen, die für die Einwohner Ternates kaum Relevanz besaß. Denn Matelieff stellt außerdem fest, dass die Spanier keine Einwohner unter ihrem Schutz haben, während die geflohenen Einwohner langsam in den Schutz des niederländischen Forts auf die Insel zurückkehren.[10] Mit der Errichtung der spanischen und portugiesischen Abwehranlagen setzten ebenso Spanier und Portugiesen einen europäischen Kampf mit ihren eigenen aus Europa importierten Mitteln und Strategien gegen die rivalisierenden Niederländer in Südostasien fort. Es bildete sich also eine europäische Front zwischen europäischen Rivalen mitten in Südostasien heraus.[11]

Auf dem südostasiatischen Festland und in der südostasiatischen Inselwelt wurden Grenzen in der Frühen Neuzeit hauptsächlich anhand der Natur definiert. Inseln hatten eine natürliche Begrenzung zum Wasser hin, das in ganz besonderer Weise ein verbindendes Element zwischen den unzähligen Inseln bildete. Der Dschungel erstreckte sich fast undurchdringlich im Landesinneren, das hauptsächlich entlang der Flüsse besiedelt werden konnte. Berge stellten einen weiteren Begrenzungsfaktor und auch Rückzugsort[12] dar.

Neben diesen sogenannten natürlichen Begrenzungen gibt es in Südostasien nur eine territorial manifestierte Grenze, nämlich zwischen Dai Viet, dem nördlichen Teil des heutigen Vietnams, und China. Diese Frontier geht auf kriegerische Auseinandersetzungen um 1080 zurück. Sie wurde von den Chinesen zum Schutze ihres Reiches etabliert.[13] Diese Grenze hinterlässt als einzige eine territoriale Fixierung in der räumlichen Vorstellungswelt des frühneuzeitlichen Vietnams und wurde in ihrer Bedeutung auch nicht auf andere Regionen wie zum Beispiel Champa oder Angkor im Süden Dai Viets übertragen.[14]

Vielmehr zeichneten sich die Raumvorstellungen der anderen Reiche in Südostasien durch eine Abstinenz von territorialen Grenzen aus. Räumliche Limitierungen orientierten sich vielmehr an der Reichweite von Herrschaft, bei der das Herrschaftszentrum – also der König, der Sultan oder Fürst – den Mittelpunkt bildete und zu den Rändern hin, in der Peripherie zunehmend an Bedeutung verlor. Oliver Wolters spricht in Anlehnung an das indische Staatslehrbuch Arthashastra vom Mandala-Modell. In dieser nach Wolters eher instabilen politischen Organisation gibt es nur ungenau bestimmbare geografische Territorien ohne klar definierte Grenzen.[15] Die Wortbedeutungen von Grenze in den verschiedenen Sprachen Südostasiens sind vor dem Hintergrund dieser Organisation von Machtzentren zu verstehen.

So bedeutet der Ausdruck Lai Ling Chap für „Grenze“ in der Sprache des Stammes der Shan im heutigen Grenzgebiet zwischen Thailand und Burma „Der kleine Weg zwischen zwei Grundstücken“ (The little pathway that goes between two pieces of property.) Im Thailändischen steht der Ausdruck Chai Daen für das Wort „Grenze“ und bedeutet „Rand eines Landes“ (edge of the land).[16]

Herrschaft und Raum werden somit weniger von einem eingegrenzten Territorium aus gedacht, als von einem Zentrum her, in dem der Fürst, zum Beispiel der Raja auf der malaiischen Halbinsel seine Herrschaft ausübt, was sich im Wort ke-raja-an wiederspiegelt. Dieser Ausdruck bedeutet dann weniger Königreich, wie oft heute übersetzt wird, als „im Zustand einen Herrscher zu haben“.[17] Je weiter man sich vom Zentrum entfernt, desto weniger befindet man sich im herrschaftlichen Zugriff eines Herrschers, wie James C. Scott die Flucht aus einer geordneten Gemeinschaft in die Berge oder den Dschungel am vielbeschworenen Rand eines Reiches in seiner Studie zur frühneuzeitlichen staatlichen Organisation in Burma beschreibt.[18] Gleichzeitig ist es aber auch möglich, dass sich verschiedene Machträume in der Peripherie überlappen, so dass zum Beispiel in einer Einflusssphäre auch einem weiteren oder anderen Herrscher Tribut gezollt wird.

Dem Verhältnis von Nähe und Ferne zum Herrschaftszentrum passten sich die Europäer an und errichteten ihre Forts und Niederlassungen zum Beispiel in der Nähe des Herrscherpalasts. Gleichzeitig eröffnen sie aber auch eine Frontlinie nach europäischem Vorbild und erzeugen eine räumliche Ambivalenz zwischen europäischen und asiatischen Vorstellungen.

In dem auf Zentrum und Peripherie beruhenden sowie durch natürliche Barrieren charakterisierten Raum Südostasiens etablierten die Konflikte zwischen Niederländern und Spaniern, Portugiesen und Engländern erstmalig konkrete Grenzziehungen, deren Charakter aber eher einer Frontier entlang der Kampflinien entsprach und von den Bewegungen von Truppen, Kriegsschiffen, Kampffeldern und größeren Bevölkerungsgruppen definiert wurde. Nichtsdestotrotz hatte diese Frontier ein dauerndes Moment, welches in Forts, Häfen und Stützpunkten territorial manifestiert wurde.

Die Bedeutung dieser Grenze wurde durch die aus Europa importierten Konflikte – zu diesem Zeitpunkt insbesondere der Kampf der Niederländer gegen die Spanier – bestimmt. Gerade im Kontext des „Aufstandes der Niederländer“ gegen die Spanier, gemeinhin als 80jähriger Krieg (1568-1648) bekannt, manifestierte sich zwischen den aufständischen nördlichen Provinzen und den südlichen spanischen Niederlande eine militärische Frontier, die die Vorstufe zur 1648 bestätigten Trennlinie der beiden Einflussbereiche zwischen Spanien und den Niederlanden in Europa bildete.

In Südostasien wurden die Stellungen beider Seiten auf Ternate und Tidore in ähnlicher Weise und entlang einer Frontier mittels Bauten, Schiffen und Truppen organisiert. Auf diese Weise wurde die Vorstellung einer Frontier – einer zwar beweglichen aber mittels Technik und Architektur manifestierten Grenze – in die südostasiatische Vorstellungswelt hineingetragen. Beide Seiten legten Wert auf die Umsetzung ihrer eigenen Erfahrungen und militärtechnischen Entwicklungen in der Errichtung von Schutz- und Verteidigungsanlagen, die bis heute vor allem an der Konstruktion der Siedlungen und Fortanlagen ablesbar sind. Straßenführungen, idealstädtische Anlagen oder die Platzierungen von Gebäuden innerhalb der schützenden Mauern geben Auskunft darüber, ob es sich um eine niederländische oder spanische bzw. portugiesische Anlage handelte.[19] Hierdurch wird die Frontier gleichsam kulturell erfahrbar, wenngleich das durch sie gesetzte Limit unverstanden blieb. Europäische Grenzvorstellungen fanden nur eingeschränkt und langsam Eingang in lokale Bedeutungssysteme.

1614 konnten die Niederländer einen Sieg gegen die Spanier auf Tidore davontragen. Bis 1662 zogen sich die Spanier ganz zurück und in einem Vertrag zwischen der VOC und dem Sultan von Ternate, der zuvor den Aufstand plante, fiel die Insel 1773 insgesamt unter die Kontrolle der Niederländer. Die Frontier gegen Spanien wurde damit obsolet und die Grenze verschwand. Diese Zeitlichkeit der Frontier als Kampflinie blieb zunächst ein genuines Charakteristikum der kolonialen Grenzen in Südostasien in der Frühen Neuzeit. Auf diese Weise hinterließen sie weniger Spuren in der indigenen Vorstellungswelt, als die imperiale Aufteilung Asiens im 19. Jahrhundert.

Nichtsdestotrotz wird ein europäischer Bedeutungshorizont von Grenze etabliert, der mittels markanter architektonischer und technischer Verteidigungsanlagen und militär-strategischen Mustern ganz Südostasien durchzieht und zeitweise auch die Bewegungsfreiheit der lokalen Bevölkerung einschränkte und somit kurzzeitig in deren Bewusstsein drang. Die Stadt Malakka kannte beispielsweise keine steinernen Befestigungsanlagen unter der Herrschaft von Sultan Mohammed im Jahr 1511, als die Portugiesen die Stadt gewaltsam einnahmen. Umgehend errichteten sie eine Festung zum Schutz vor lokalen und europäischen Rivalen.[20] Diese, allen voran die Niederländer, unternahmen zu Beginn des 17. Jahrhunderts den Versuch, die Portugiesen von diesem prestigeträchtigen Platz zu vertreiben. Obwohl Malakka als wichtiges südostasiatisches Handelszentrum weitestgehend an Bedeutung verloren hatte, hielt sich in Berichten hartnäckig der Ruf Malakkas als einer glanzvollen und reichen Metropole.[21] Gleichzeitig bemühte sich auch der Raja von Johor darum, wieder die Kontrolle über die Stadt zu gewinnen. Im Verbund mit den Niederländern glaubte er dieses erreichen zu können. Die Niederländer wiederum hofften mit Hilfe des Rajas ihre Kontrolle über Malakka durchzusetzen. Sie kämpften gegen die Weltmacht Spanien (seit 1580 in Personalunion mit Portugal), ein Konflikt, den die Niederländer im 16. Jahrhundert hauptsächlich in Europa führten und nun im 17. Jahrhundert auch in Asien fortsetzten. Durch die Kampfhandlungen zwischen Niederländern und Portugiesen auf der südlichen Malaiischen Halbinsel verliehen sie den befestigten Abgrenzungen eine Bedeutung. Die Interessen des Rajas spielten für sie keine Rolle. So zeigt die Befestigung Malakkas durch die Portugiesen und der Kampf des Rajas von Johor im Verbund mit den Niederländern, die Malakka erobern wollten, wie irritiert der Raja zurückbleibt, als Niederländer und Portugiesen im Jahre 1609 durch den zwölfjährigen Waffenstillstand an der Frontlinie zwischen den nördlichen und südlichen Provinzen der Niederlande in Europa die Frontlinie um Malakka plötzlich aufhoben, da beide laut Vertrag nicht mehr gegeneinander Krieg führen konnten. Der Raja konnte aber immer noch nicht die Grenze nach Malakka überschreiten und verstand auch nicht, dass die Niederländer sich zurückgezogen hatten.[22]

Was allerdings blieb – nicht nur in Südostasien, sondern auch in Colombo oder Cochin – sind die Befestigungsanlagen, die entlang der Küstenstreifen und in wichtigen politisch-wirtschaftlichen Zentren Grenzen europäischer Provenienz bis heute aufzeigen.



[1] Essay zur Quelle: Vertrag von Ternate mit der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) (26. Mai 1607). Dieser Essay ist Teil einer Serie von fünf Beiträgen, die aus einer Sektion des 48. Deutschen Historikertages in Berlin mit dem Titel „Grenzmissverständnisse in der Globalgeschichtsschreibung (ca. 1500–1900)“ hervorgegangen sind. Für eine Übersicht aller Beiträge und eine einführende und übergreifende Darstellung der Thematik vgl. Susanne Rau und Benjamin Steiner, Europäische Grenzordnungen in der Welt. Ein Beitrag zur Historischen Epistemologie der Globalgeschichtsschreibung, in: Themenportal Europäische Geschichte, URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=611>.

[2] Andaya, Leonard Y., The World of Maluku, Honolulu 1993, S. 6.

[3] Vgl. Kratoska, Paul, The Peripatetic Peasant and Land Tenure in British Malaya, in: JSEAS XVI (1985) 1, S. 16–18.

[4] Vgl. Widjojo, Muridan, The Revolt of Prince Nuku, Cross-Cultural Alliance-Making in Maluku, c. 1780–1810, Leiden, Boston 2009, S. 21.

[5] Vgl. Andaya, The World of Maluku, S. 55.

[6] Vgl. Borschberg, Peter, Hugo Grotius, the Portuguese and Free Trade in the East Indies, Singapore 2011, S. 61f., S. 69.

[7] Beijdragen, Nederlandsch-Indië, Corpus Diplomaticum, Eerste Deel (1596-1650), XXII Molukken, S. 50–53. Brief von Cornelis Matelieff de Jonge an Hugo Grotius vom12. November 1608, in, Collectie Hugo de Groot, Supplement I (1.10.35.02, no. 40), fols. 486–510 im niederländischen Staatsarchiv in Den Haag. Siehe Übersetzung in: Borschberg, Peter (Hg.), Security, Diplomacy and Commerce in Seventeenth-Century Southeast Asia: The Memorials, Letters and Treaties of VOC Admiral Cornelis Matelieff de Jonge, Singapur 2012 (im Druck).

[8] Ebd.

[9] Widjojo, The Revolt of Prince Nuku, S. 22f. Siehe auch: Satow, Sir Ernest M., The Voyage of Captain John Saris to Japan, 1613, Nachdruck Nendeln 1967, S. xxvi.

[10] Beijdragen, Nederlandsch-Indië, Corpus Diplomaticum, Eerste Deel (1596–1650), XXII Molukken, S. 50–53. Brief von Cornelis Matelieff de Jonge an Hugo Grotius vom12. November 1608, in: Collectie Hugo de Groot, Supplement I (1.10.35.02, no. 40), fols. 486–510 im niederländischen Staatsarchiv in Den Haag.

[11] Borschberg, Peter, The Johor-VOC Alliance and the Twelve Years Truce: Factionalism, Intrigue and International Diplomacy, C.1606–1613 (December 17, 2009), International Law and Justice Working Paper 2009/8, S. 5.

[12] Scott, James C., The art of not being governed, Yale 2009, S. X.

[13] Krieger, Martin, Geschichte Asiens, Köln, Weimar, Wien 2003, S. 222.

[14] Reid, Anthony, Charting the shape of Early Modern Southeast Asia, Singapore 2000, S. 5f.

[15] Wolters, Oliver William, History, Culture and Region in Southeast Asian Perspectives, Ithaca, NY 1999, S. 27 f.

[16] Die Aussagen basieren auf einer Feldstudie zum Grenzverständnis im Grenzgebiet zwischen Thailand und Burma im Sommer 2009 sowie einem Interview vom 3. September 2009 mit Peter Borschberg (National University of Singapore).

[17] Milner, Anthony, The Malays, Chichester 2008, S. 30.

[18] Scott, The art of not being governed.

[19] van Oers, Ron, Dutch Town Planning Overseas during VOC and WIC Rule (1600–1800), Zutphen 2000, S. 11, S. 33f., S. 38, S. 91–108.

[20] Diffie, Bailey W.; Winius, George D., Foundations of the Portuguese Empire, 1415–1580, Minneapolis 21978, S. 259.

[21] Borschberg, Peter, The Singapore and Melaka Straits, Violence, Security and Diplomacy in the 17th Century, Singapore 2010, S. 157 f.

[22]Borschberg, The Johor-VOC Alliance and the Twelve Years Truce, S. 21, S. 37.



Literaturhinweise

  • Andaya, Leonard Y., The World of Maluku, Honolulu 1993.
  • Borschberg, Peter, The Singapore and Melaka Straits, Violence, Security and Diplomacy in the 17th Century, Singapore 2010.
  • Borschberg, Peter, Hugo Grotius, the Portuguese and Free Trade in the East Indies, Singapore 2011
  • Milner, Anthony, The Malays, Chichester 2008.
  • Widjojo, Muridan, The Revolt of Prince Nuku, Cross-Cultural Alliance-Making in Maluku, c. 1780–1810, Leiden, Boston 2009.
  • Wolters, Oliver William, History, Culture and Region in Southeast Asian Perspectives, Ithaca, NY 1999.


Vertrag von Ternate mit der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) vom 26. Mai 1607[1]

Vertrag geschlossen zwischen Admiral Cornelis Matelieff de Jonge, wegen und im Namen der Herren Generalstaaten der Vereinigten Niederländischen Provinzen, auf der einen Seite, und dem König von Ternate und seinem Rat, auf der anderen Seite, an diesem 26. Mai anno 1607, vor Maleije.

1.

Zum Ersten soll der Admiral, der uns hier wieder nach Ternate gebracht hat, mit seiner ganzen Flotte hier bleiben, solange bis die hier am Wasser in Maleyo gelegene Festung, die er angefangen hat zu verstärken, vollständig verteidigt werden kann.

2.

Wenn er abreist, soll er hier vier Schiffe zurücklassen, Enckhuijsen, de Zon, Delfft und die Jacht, von denen immer 30 bis 40 unter Waffen stehende Männer zur Bewaffnung der Festung an Land sein sollen.

3.

Soll [er] die gleiche Festung ordentlich mit Geschütz ausstatten; soll [er] hier auch einige Geschütze zur Versorgung der anderen Festungen, die noch am Ort Maleije hergestellt werden sollen, zurücklassen.

4.

Soll [er] dafür Sorge tragen, dass Ambon und Bantam bei der ersten Gelegenheit benachrichtigt werden, damit im kommenden Februar hier noch zwei Schiffe kommen mögen, um also mit ordentlicher Stärke gegen die Unterstützung, die aus Manila kommen möge, bereit zu sein, wozu die Ternater sich Einbäume besorgen werden.

5.

Der Admiral soll verpflichtet sein, sobald er in Holland eintrifft, die Angelegenheiten der Ternater den Herren Staaten zu empfehlen, damit sie Volk [hier: Soldaten, Anm. d. Ü.] senden mögen, um die Kastilianer aus Ternate zu verjagen, wozu die Ternater neben diesem [Vertrag] die Vollmacht geben, um in ihrem Namen ihre Angelegenheiten zu fördern.

6.

Demgegenüber werden die Ternater die Ehrwürdigen Herren Staaten annehmen und anerkennen als ihre Gönner, worauf sie den Eid leisten werden, wie es den Edlen Herren Staaten belieben wird.

7.

Die Unkosten, die entstanden sind und im Krieg noch entstehen mögen, sollen die Ternater bezahlen, als bald als sie das Vermögen haben, welches zum Urteil der Herren Staaten stehen soll, wann und wie viel.

8.

Die Garnisonen, die hier zurückgelassen werden, sollen aus den Zöllen der Ternater, sowie [aus den Zöllen] der untergeordneten Länder der Krone von Ternate, bezahlt werden.

9.

Sollen auch alle Ternater, die in den umliegenden Ländern zerstreut sind, verpflichtet sein, mit der ersten Gelegenheit nach Ternate zu kommen, auch alle Untertanen der Krone von Ternate, wie Xula, Bouro, Combello, Loehoe, Meau und Manado, die auf der Insel Celebes wohnen, wie die von Gilolo, More, Serranganij und Mindanauw, so viele wie möglich, damit das Vertreiben der Kastilianer durch die Schar der Ternater leichter fallen wird, und das Volk bereit sein wird, wenn die Unterstützung der Holländer eintrifft.

10.

Sollen [die Ternater] keine Gewürznelken verkaufen dürfen, egal an welche Nation oder Volk, als nur dem Faktor, der wegen der Herren Staaten in Ternate wohnen wird, und das zu solchem Preis wie die Herren Staaten anordnen und mit dem König akkordieren werden.

11.

Niemand der beiden Parteien soll dem Anderen Unrecht tun dürfen, aber falls jemand der Holländer den Ternatern Unrecht tue, soll er von seiner Regierung angeklagt und bestraft werden, ebenso auch wegen der Ternater.

12.

In Religionsangelegenheiten soll niemand dem Anderen verspotten oder behindern dürfen, aber jeder [soll] leben, wie er [es] vor Gott verantworten will.

13.

Falls jemand der Holländer zu den Ternatern überlaufe, soll [er] von den Ternatern wieder ausgeliefert werden, ebenso falls jemand der Ternater zu den Holländern komme, soll [er] von ihnen auch wieder ausgeliefert werden.

14.

Ohne Konsens der beiden Parteien soll niemand [weder] mit den Spaniern und auch nicht [mit den] Tidoresen Frieden schließen dürfen.

Demzufolge getan am Tag und im Jahr wie oben. War unterzeichnet

C. Matelieff de Jonge.


[1] Übersetzung von Hielke van Niewenhuize und Alexander Drost nach dem Abdruck des Originalvertrags in: Beijdragen, Nederlandsch-Indië, Corpus Diplomaticum, Eerste Deel (1596–1650), XXII Molukken, S. 50–53.


Für das Themenportal verfasst von

Alexander Drost

( 2013 )
Zitation
Alexander Drost, Grenzenlos eingrenzen Koloniale Raumstrukturen der Frühen Neuzeit am Beispiel niederländisch-spanischer Konfliktfelder in Asien, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2013, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1602>.
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