Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) - Ein Humanist als Vater des Europagedankens?.

Reden und Essays über „Europa“ versäumen es selten, Papst Pius II. (1405-1464) als Impulsgeber, ja gar als „Vater“ des Europagedankens zu rühmen. Auch die Europa-Ausstellung 2003 im Deutschen Historischen Museum zu Berlin räumte dem Piccolomini-Papst einen prominenten Platz ein. In deutschen und französischen Quellensammlungen, die während des ersten, stark auf ein „karolingisches“ Kerneuropa gerichteten ideenpolitischen Schubs der 1950er und 60er Jahre entstanden waren, fehlten Texte Pius’ II. ebenso wenig wie in solchen, die während des zweiten, nach 1989 einsetzenden Booms erschienen.[...]

Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) – Ein Humanist als Vater des Europagedankens?[1]

Von Johannes Helmrath

Reden und Essays über „Europa“ versäumen es selten, Papst Pius II. (1405-1464) als Impulsgeber, ja gar als „Vater“ des Europagedankens zu rühmen. Auch die Europa-Ausstellung 2003 im Deutschen Historischen Museum zu Berlin räumte dem Piccolomini-Papst einen prominenten Platz ein.[2]In deutschen und französischen Quellensammlungen, die während des ersten, stark auf ein „karolingisches“ Kerneuropa gerichteten ideenpolitischen Schubs der 1950er und 60er Jahre entstanden waren[3], fehlten Texte Pius’ II. ebenso wenig wie in solchen, die während des zweiten, nach 1989 einsetzenden Booms erschienen. Jedes Mal haben sich Mediävisten als Kenner von „Europas Grundlagen“ und Sinnproduzenten stark engagiert; viele lieferten Überblicke, Tiefenstudien wenige.[4]

Selbstverständlich kannte „das Mittelalter“ aus der Antike den Begriff „Europa“. Nach einer Konzentration in der Zeit Karls des Großen, den ein anonymer Dichter als „pater totius Europae“ pries, bleibt die Vorstellung in eher disparaten Bedeutungsnuancen nachweisbar. Am wichtigsten ist erstens die auf antiken Texten fußende geographische Vorstellung als abgrenzbarer Kontinent, zweitens eine Vorstellung, nach der „Europa“ – wie später bei Novalis – weitgehend mit „christianitas“ als „christlicher Solidargemeinschaft“ (B. Schneidmüller) zusammenfällt, in der Regel begrenzt auf die Gebiete der lateinischen Kirche des Westens. Neuralgisch blieben die Zonen, wo sich Kontinents- und Konfessionsgrenzen im Osten und Südosten zur griechischen und russischen Orthodoxie hin überlagern.

Diese beiden Bedeutungen, so unsere These, bleiben auch im Humanismus dominant. Die Humanisten verbreiterten zwar gegenüber dem Mittelalter die antike Textbasis durch Neufunde, auch auf dem Gebiet der Geografie (Ptolemaios, Strabon), intensivierten die Aneignung und Textpräsentation der Klassiker, betrieben aber auch – oft unterschätzt – ihre sehr konkrete funktionelle Anwendung.

Anlass für unser Thema war – eine Katastrophe: Am 29. Mai 1453 fiel Konstantinopel an die Türken Sultan Mehmeds II. Der Westen reagierte mit einem kollektiven Schock, genährt aus Türkenfurcht, Schadenfreude, schlechtem Gewissen, weil man den Griechen nicht geholfen hatte, aber auch – der anachronistische Ausdruck sei hier erlaubt – mit einer krisenhaften Identitätsdebatte: Die Türken werden zum traumatischen Auslöser und zum Wetzstein „europäischer“ Identität.[5]

Aus dem Nichts waren die Türken keineswegs gekommen. Die Byzantiner hatten schon Jahrhunderte, der Okzident seit geraumer Zeit mit ihnen zu leben gehabt. Seit dem späten 11. Jahrhundert besiedelten Türken weite Teile Anatoliens, bereits hundert Jahre vor dem Fall Konstantinopels setzten sie bei Gallipoli an den Dardanellen nach Europa über, besetzten Teile des Balkans, errichteten in Adrianopel (Edirne) ihre neue Hauptstadt. Die desaströsen Niederlagen europäischer Ritterheere bei Nikopolis 1396 und Varna 1444 hatten den Hilfswillen des Westens weitgehend paralysiert: 1453 stand Restbyzanz allein und ging unter.

Konnte „der Westen“ reagieren? Es war eine Situation eingetreten, in der die kaiserliche Universalmacht des Okzidents noch gefragt war: als Protektor der Christenheit. Es kam die Stunde des Enea Silvio Piccolomini. Ehe er in atemberaubendem Aufstieg 1458 Papst wurde, hatte der junge Adlige aus Siena im Norden, zuerst auf dem europäischen Forum des Konzils von Basel (1431-1449), dann ab 1442 am habsburgischen Kaiserhof Karriere gemacht. Jetzt, als der Kaiser handeln musste, trat Enea als sein Vertreter auf den dafür seit jeher vorgesehenen Foren, den Reichstagen, auf. Im Namen Friedrichs III. rief er die deutschen Fürsten zum Krieg gegen die Türken. Das Neue daran war, dass hier deutsche Reichsversammlungen erstmals zum Performanzraum der reaktivierten antiken Oratorik wurden. Enea wurde ein Prototyp des „humanist crusader“ (Hankins). Der von ihm kreierte Typ der ‚Türkenrede’ gehörte seither zu den Basiselementen künftiger Reichstage, mindestens bis Ende des 16. Jahrhunderts. Von den vier erhaltenen ‚Türkenreden’, die er 1454/55 auf den Tagen von Regensburg, Frankfurt und Wiener Neustadt hielt, ist es vor allem die Frankfurter Rede vom 15. Oktober 1454, nach ihrem programmatischen Incipit „Constantinopolitana clades“, die man immer wieder als Beleg für seine Europaidee zitiert findet. Ihr gilt auch im Folgenden das Hauptaugenmerk[6]; andere Schriften des Piccolomini können nur am Rande zur Sprache kommen. Die methodische Gefahr besteht darin, Textpassagen zu einer Idee von Europa zu kombinieren, wo von Europa explizit nicht die Rede ist.

Ehe man sich den Texten zuwendet, ist zu fragen: Gab es eine neue Europaidee bei Piccolomini, die diesen Namen verdient? Unter welchen politischen und intellektuellen Bedingungen entstand sie und wurde sie publik gemacht? Schließlich, nur als Anregung: Wann wurde begonnen, Texte des Humanistenpapsts europapolitisch zu rezipieren?[7]Es wird sich zeigen, dass die Piccolomini-Texte Positionen vertraten, die latent und bestürzend unbesehen in der gegenwärtigen Europadebatte wieder auftauchen, namentlich wenn es um den Beitritt der Türkei zur EU geht!

Die Humanisten wirkten im 15. Jahrhundert als intellektuelle Kommunikatoren, die wissenschaftliche Bildung mit sprachlicher und rhetorischer Schulung verbanden und diese, da sie oft an den Schaltstellen publizistischer Macht saßen (Kanzleien, Diplomatie), öffentlich, zum Beispiel in Sachen Kreuzzug, anwenden konnten und sollten. Piccolominis Reden, und in geringerem Maße seine historischen und geographischen Schriften, scheinen exemplarisch für eine bestimmte Art der ideologischen Bewältigung des türkischen Schocks im Westen.

Der Frankfurter Rede liegt als antikes Vorbild Ciceros Rede „de imperio Cn. Pompei“ (65 v. Chr.) zugrunde. Ihr Aufbau erörtert die Gerechtigkeit (iustitia), Nützlichkeit (utilitas) und leichte Machbarkeit (facilitas) des Krieges. Enea Silvio überträgt dies auf den Türkenkrieg. Die obligate Schilderung der Grausamkeiten (‚Türkengräuel’) beim Fall der Stadt fußt auf zeitgenössischen Berichten, hat aber – wie diese selbst – auch stark topischen Charakter. Sie mobilisiert vor allem das Feindbild. Schon bald nach dem Ereignis hatte Enea seine Klage (lamentatio) wiederholt in Briefen und Reden formuliert. Nun tut er’s wieder: Konstantinopels Fall bedeute für Europa einen unersetzlichen Verlust, sowohl strategisch (die Stadt liegt ja bollwerksgleich noch auf dem europäischen Kontinent) als auch und besonders kulturell. Mit Konstantinopel, der zweiten Metropole nach Rom, wurde der Christenheit, so das drastische Bild, eines seiner beiden Augen (oculi) herausgerissen. Damit erweist der Humanist Byzanz, dem gegenüber der Westen im Mittelalter oft genug Hass und Inferioritätskomplexe aufgebaut hatte, nun als Bewahrerin der Klassiker, von Platon und Aristoteles, und damit als Lehrmeisterin des Westens hohe, aber späte Reverenz. Zu späte – jetzt wo mit der Stadt am Bosporus auch ihre antiken Handschriften, – Enea spricht einmal vom „zweiten Tod Homers“ / der secunda mors Homeri – vernichtet sind. Hier wird, zukunftsträchtig, ein Verständnis von Europa als Werte- und Bildungsgemeinschaft angedeutet! Diese wurzelt vornehmlich im Erbe der Antike, der klassischen Autoren sowie im – gleichfalls antiken – Christentum und schließt hier demonstrativ Byzanz ein.

Nach Trauer evoziert die Rede vor allem Angst, Angst vor einem weiteren Vormarsch der Türken. Die Christenheit sei in die Defensive geraten, sie werde, hatte Enea an anderer Stelle gesagt, gleichsam immer mehr in einen Winkel (angulus) zurückgedrängt.[8]Man hat treffend von einem „Angulus-Syndrom“ (D. Mertens) gesprochen. Bedrohungsobsessionen, Festungsdenken gehörten, auch in der Renaissance, zum Zeitstil; so bezeichnete Enea die Ungarn in biblischer Metaphorik als „Mauer und Schild der Christenheit“. Inwieweit sich derartige Obsessionen bis heute im kollektiven Unterbewusstsein des Europäers eingenistet haben, bleibe offen.

Aktuelle Herausforderungen „wissenschaftlich“, im vorliegenden Fall durch Aktualisierung von Antikewissen, zu bewältigen, gehörte zu den Aristien, die man von den Humanisten erwartete. Der Erfolg der Türken ließ in Gelehrtenkreisen immer wieder die Frage nach ihrer Herkunft, nach der origo Thurcorum stellen. Hier zeigten sich die Kraft und die Formbarkeit des Mythos. Traditionell, noch bei Salutati und dem frühen Enea Silvio, hatte man sie wohl aufgrund der etymologischen und (seit 1076) geographischen Affinität zu Nachkommen der Trojaner erklärt. Es gab im Westen sogar Stimmen – selbst 1453 –, die den Erfolg der Türken als verdient, als späte Rache der Trojaner an den Griechen deuteten, das heißt an den verhassten schismatischen Byzantinern. Diese Filiation der Türken über den Trojanermythos aber wird nun gekappt. Die gegenwärtig erlebten Türken können nicht von den Trojanern (Teucri) abstammen, auf die sich ja zahlreiche westliche Völker, allen voran die Römer selbst, später die Franken, Briten etc. zurückführten; die Plünderer Konstantinopels seien vielmehr Turci, die, wie andere Völker unklarer östlicher Herkunft auch, Asiaten = Barbaren sind. Für sie stand ein aus der Antike stammender Passepartout angeblicher Inferiorität bereit: das Skythentum. Dass man den Türken die adelnde Herkunft von Troja ab- und die niedere skythische zusprach, schien nur eine wissenschaftlich-philologische Korrektur zu sein; doch manifestierte sie zugleich, hochpolitisch, nicht weniger als die kulturelle Exklusion der Türken aus der alten mythologischen Gemeinschaft, aus Europa. Sie werden buchstäblich barbarisiert! Mit ‚dem Türken’ haben wir das Musterbeispiel einer Feindbildkonstruktion vor uns. Mochten auch die Gräueltaten der osmanischen Truppen ein fundamentum in re bilden, so wussten die Humanisten andererseits durchaus von der Bildung Mehmeds II. und der exquisiten Kultur an seinem Hof. Bemerkenswert bei Enea Silvio ist aber vor allem die Tatsache, dass komplementär zur philologischen Exklusion der Türken die ökumenische Inklusion der orthodoxen christlichen Griechen in Europa gehört.

Die Frankfurter Rede Piccolominis spielte auch eine Schlüsselrolle für den erst später beginnenden nationalen Diskurs der deutschen Humanisten. Die Verbindung von Europa und Nation schon in diesem Text ist kein Zufall. Europa sollte ja elementar durch seine Nationen und ihren Nationalismus geprägt werden. In Eneas Rede will der Lobpreis großer Traditionen sehr bewusst protonationale Gefühle wecken: Es war ja Enea, der Italiener, der zum ersten Mal überhaupt deutschen Zuhörern zuruft: „Vos Germani / Ihr Germanen!“, der an die germanische Tapferkeit, an protorömische Autochthonie, die Siege der Germanen über die Römer appelliert. Auch die großen Kaiser des „deutschen Mittelalters“, Ottones, Heinrici, Friderici etc., ruft der Humanist aus Italien als Kreuzfahrer-Heroen und Vorbilder der kommenden Türkenkrieger an. Zugleich wird der Kampf der christiana communitas gegen die Türken durch Aufzählung alttestamentarischer Helden, der Siege der Griechen über die Perser im welthistorischen Horizont eines gerechten Abwehrkampfs gegen ‚Asien’ stilisiert. Nur an wenigen Stellen ist auch von Freiheit (libertas), einem künftigen Palladium europäischen Selbstverständnisses, die Rede.

Die Angstvision einer türkischen Expansion bis zum Rhein führt Enea Silvio zur Hoffnung auf eine kollektive Verteidigung, aber eben auch auf Offensive, durch ein Bündnis aller christlichen Staaten Europas.[9]Ihnen sollen dann darüber hinaus auch Bundesgenossen im Orient (christliche wie muslimische) willkommen sein.[10]Hier weitet sich die Perspektive deutlich: Europa und christianitas fallen – wie unten in der
„Epistula“ an den Sultan – nicht mehr zusammen. Voraussetzung von allem aber ist – und insofern ist jede Türkenrede als Kehrseite der militärischen Formierung auch Selbstkritik –, Einigkeit und Frieden unter den (europäischen) Staaten selbst. Die Rede endet wie eine konventionelle Kreuzzugspredigt mit reichen geistlichen Belohnungszusagen für die Glaubenskämpfer.

Gerade in dem „De Europa“ titulierten Werk von 1458[11], dem innovativen Versuch einer politischen Geografie des Kontinents als Teil einer – bis auf die „Asia“ (ca. 1461) – unvollendet gebliebenen „Cosmographia“[12], kommt der Begriff Europa selbst nur marginal vor, ist eigentlich nur als Kollektivbegriff und Werktitel bemerkenswert.

Die wohl 1461 verfasste „Epistula ad Mahumetem“ Pius’ II.[13]ist ein politisch-theologischer Brieftraktat. Er enthält sowohl eine Apologie des Christentums als auch eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Koran, beides weitgehend einem zeitgenössischen Traktat des Theologen Juan de Torquemada OP entnommen. Adressat ist der türkische Sultan Mehmed II. selbst, womit dessen Bildung offensichtlich anerkannt ist. Die „causa scribendi“ bleibt letztlich unklar. Zwischen dem Kongress von Mantua (1459) und dem neuen Kreuzzugsaufruf des Jahres 1463 entstanden, handelt es sich möglicherweise um ein theologisch-rhetorisches Denkexperiment Pius’ II. für die Schublade. Abgeschickt wurde der „Brief“ wohl nie, ebenso wenig zu Lebzeiten des Papsts publiziert. Nach dessen Tod jedoch fand er sofort immense Verbreitung, Zeichen eines entsprechenden Bedarfs!

Wichtig und neu ist zunächst, dass der Papst signalisiert: „keine Gewalt mehr, kein Kreuzzug“. Die Stärke des Westens mache es für Mehmed ohnehin unmöglich, weiter vorzudringen. Die utopische Vision am Ende des Texts: Mehmed II. soll stattdessen sich und sein Volk zum Christentum bekehren. Dann könne er, von allen – auch von Europa – bewundert, zum Herrscher, sozusagen zum Überkaiser, über ein unwiderstehliches Einheits- und Friedensreich aus lateinischem, griechischem, hebräischem und arabischem Kulturraum aufsteigen. Europa, in der engen Bedeutung „lateinischer Westen“ figuriert in dieser Vision, die übrigens deutlich messianisch-apokalyptische Untertöne besitzt, nur als Teil eines christlichen Universal- und Friedensreichs.

Sowohl die Frankfurter Rede als auch die „Epistula ad Mahometem“ machen eines überdeutlich: Pius’ II. Gedanken zu Europa haben kaum etwas mit Toleranz zu tun, wie sie einige Zeitgenossen durchaus propagierten, so Kardinal Nikolaus von Kues („De pace fidei“), ein Freund des Papstes. Besinnung auf das Gemeinsame der Religionen bei bleibend respektierter Verschiedenheit (una religio in rituum varietate) wie bei Cusanus findet sich bei Pius nicht. Einheit und Frieden werden unter den Christen selbst gefordert – damit sie sich dann geschlossen auf den Kreuzzug und die Reconquista der verlorenen Gebiete konzentrieren. Zwischen Islam und Christentum scheint Friede nur vorstellbar, so die Vision der „Epistula“, wenn ersterer sich gleichsam selbst abschafft, wenn beide Religionen koinzidieren, indem der Sultan zum Christentum konvertiert.

Fazit: Europa ist für Enea Silvio / Pius II. primär Christianitas, eine christliche Verteidigungs- wie auch eine Offensivgemeinschaft. Es ist ein Europa in Waffen, gerichtet vor allem gegen den Islam, den man in Gestalt ‚des Türken’ als aggressiv zu erleben glaubte. Der Gedanke christlich-europäischer Identität qua Wertegemeinschaft im antiken Erbe unter Einschluss der orthodoxen Griechen wird bei ihm, dem Humanisten, zwar kultiviert, ist aber im engeren Bezug auf Europa weniger deutlich entwickelt.

Kunst und Nimbus des Humanisten, mehr noch seine einzigartige Autorität als Papst verliehen den Worten Pius’ II. für die nachfolgenden Generationen Europas einzigartiges Gewicht. Sein Werk ist vielgestaltig und fasziniert die Gegenwart zunehmend. Wer ihn für die Europaidee reklamiert, insbesondere Schnipsel seiner Frankfurter Rede zitieren zu müssen meint, sollte aber wissen, in welch massiv martialischem Kontext allein sie verständlich ist: von Turkophobie und Kreuzzug. Europa war eben schon damals ein „Appellbegriff“.[14]Quellen sind aber per se anachronistisch und jeglicher political correctness widerständig.

 



[1] Essay zur Quelle Enea Silvio Piccolomini über Europa und die Türken (1454-1461).

[2] Siehe den Katalog Idee Europa. Entwürfe zum „Ewigen Frieden“. Eine Ausstellung als historische Topographie, hg. von Marie-Louise von Plessen, Berlin 2003, S. 35, 80, 83, 90, Nr. III/16; siehe auch Schmale, Wolfgang, Geschichte Europas, München 2001, zu Enea Silvio S. 11, 49, 85f.

[3] So in Müller, Joseph (Hg.), Die Kirche und die Einigung Europas, Saarbrücken 1955, S. 136ff. (Beginn der Frankfurter Rede, übersetzt von Benita Storch), übernommen in: Schulze, Hagen; Paul, Ina Ulrike (Hg.), Europäische Geschichte. Quellen und Materialien, München 1994, 324f.; Foerster, Rolf Hellmut (Hg.), Die Idee Europa 1300-1946. Quellen zur Geschichte der politischen Einigung, München 1963, zu Enea Silvio S. 40-42. Französische Sammlungen: Rougemont, Denis de, Vingt-huit siècles d’ Europe. La conscience européenne à travers les textes d’Hésiode à nos jours, Étrepilly 1990, hier S. 71-73; Hersant, Yves; Durand-Bogaert, Fabienne (Hg.), Europes. De l’Antiquité au XXe siècle. Anthologie critique et commentée, Paris 2000, hier S. 64-68.

[4] Ergiebige Überblicke: Oschema, Klaus, Der Europa-Begriff im Hoch- und Spätmittelalter. Zwischen geographischem Weltbild und kultureller Konnotation, in: Jahrbuch für europäische Geschichte 2 (2001), S. 191-234, zu Enea Silvio S. 223-226; Schneidmüller, Bernd, Die mittelalterlichen Konstruktionen Europas, in: Duchhardt, Heinz; Kunz, Andreas (Hg.), Europäische Geschichte als historiographisches Problem (VIEG Beiheft 42), Mainz 1997, S. 5-24, zu Enea Silvio S. 13-16; Schulze, Winfried, Europa in der frühen Neuzeit – begriffsgeschichtliche Befunde, in: ebd., S. 35-65, zu Enea Silvio S. 43-46.

[5] Anregende Problemüberblicke: Meuthen, Erich, Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen, in: HZ 237 (1983), S. 1-35; leicht verändert in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusanus-Gesellschaft 16 (1984), S. 35-60; Mertens, Dieter, Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, in: Duchhardt, Heinz (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, S. 45-90; Hohmann, Stephan, Türkenkrieg und Friedensbund im Spiegel der politischen Lyrik. Auch ein Beitrag zur Geschichte des Europabegriffs, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 28 (1998), Heft 110, S. 128-158, zu Enea Silvio v.a. S. 130-135; Helmrath, Johannes, Pius II. und die Türken, in: Guthmüller, Bodo; Kühlmann, Wilhelm (Hg.), Europa und die Türken in der Renaissance, Tübingen 2000, S. 79-137, bes. S. 89-99.

[6] Vgl. Quelle Nr. 3, A-E.

[7] Ein frühes Beispiel – statt Europa ist hier (noch) von Deutschland die Rede: Wohlwill, Adolf, Deutschland, der Islam und die Türkei, in: Euphorion 22 (1915), S. 1-21. Ausführlich zu Enea Silvio bereits Fritzemeyer, Werner, Christenheit und Europa. Zur Geschichte des europäischen Gemeinschaftsgefühls von Dante bis Leibniz (HZ Beiheft 23), München 1931, hier S. 18-28.

[8] Europe maximam partem amisimus; in angulum nos Maumethus coartavit; Rede „Quamvis“ Regensburg 16. Mai 1454; Deutsche Reichstagsakten (RTA), Bd.19,1 Nr. 34,1 S. 268 Z. 43f.

[9] Vgl. Quelle Nr. 3, D.

[10] Vgl. Quelle Nr. 3, E.

[11] Vgl. Quelle Nr. 2.

[12] Vgl. Quelle Nr. 1.

[13] Vgl. Quelle Nr. 4.

[14] Blum, Paul Richard, Europa – ein Appellbegriff, in: Archiv für Begriffsgeschichte 43 (2001), S. 149-171.

 


Literaturhinweise:
  • Hankins, James, Renaissance crusaders: Humanist crusade literature in the age of Mehmed II., in: Dumbarton Oaks Papers 49 (1995), S. 111-207; wieder in: Ders., Humanism and Platonism in the italian Renaissance (Storia e letteratura 215), Rom 2003, S. 293-424
  • Helmrath, Johannes, Pius II. und die Türken, in: Guthmüller, Bodo; Kühlmann, Wilhelm (Hg.), Europa und die Türken in der Renaissance (Frühe Neuzeit 54), Tübingen 2000, S. 79-137
  • Ders., The German „Reichstage“ and the Crusade, in: Housley, Norman (Hg.), Crusading in the fifteenth century. Message and impact, Basingstoke 2004, S. 53-89, 191-203
  • Mertens, Dieter, „Europa, id est patria, domus propria, sedes nostra...”. Funktionen und Überlieferung lateinischer Türkenreden im 15. Jahrhundert, in: Erkens, Franz Reiner (Hg.), Europa und die osmanische Expansion im ausgehenden Mittelalter (ZHF Beiheft 20), Berlin 1997, S. 39-58
  • Meuthen, Erich, Der Fall von Konstantinopel und der lateinische Westen, in: HZ 237 (1983), S. 1-35
  • Oschema, Klaus, Der Europa-Begriff im Hoch- und Spätmittelalter. Zwischen geographischem Weltbild und kultureller Konnotation, in: Jahrbuch für europäische Geschichte 26 (2001), S. 191-234

Enea Silvio Piccolomini über Europa und die Türken (Auszüge aus Asia, De Europa, Constantinopolitana clades, Epistula ad Mahometem, 1454-1461) [1]

Quelle 1

Enea Silvio Piccolomini, „Asia“ [2]

Europa per Hispaniam, Italiam et Peloponessum australior est, parallelum, qui per Rhodium ducitur, attingens; in septentrionem per Germaniam et Norvegiam maxime est protensa. [...] Europe et Asie coniunctio fit per dorsum, quod inter paludem Maeotim et Sarmaticum oceanum excurrit super Tanais fluvii fontes.

Europa ist durch Spanien, Italien und den Peloponnes südlich begrenzt, wobei es den Breitengrad berührt, der durch Rhodos führt. Im Norden dehnt es sich durch Germanien und Norwegen am weitesten aus. [...] Europa und Asien sind durch einen Landrücken verbunden, der sich zwischen den mäotischen Sümpfen [Asowsches Meer] und dem sarmatischen Meer [Ostsee] bis oberhalb der Quellen des Tanais [Don] hinzieht.

Quelle 2

Enea Silvio Piccolomini, „De Europa“ [3]

Que sub Friderico, tertio eius nominis imperatore, apud Europeos[4]et, qui nomine christiano censentur, insulares homines gesta feruntur memoratu digna mihique cognita, tradere posteris quam brevissime libet.

Die Ereignisse, die unter Friedrich, dem dritten Kaiser dieses Namens, bei den Europäern und, soweit sie für Christen gehalten werden, bei den Inselbewohnern geschehen sein sollen, will ich, sofern sie der Erinnerung wert und mir bekannt geworden sind, der Nachwelt in möglichst knapper Form überliefern.

Quelle 3

Enea Silvio Piccolomini, „Constantinopolitana clades“ [5]

A.Constantinopolitana clades, reverendissimi patres, illustrissimi principes ceterique viri genere ac doctrina prestabiles, quoniam Thurcorum grandis victoria, Grecorum extrema ruina, Latinorum summa infamia fuit, unumquemque vestrum, ut arbitror, tanto magis angit magisque cruciat, quanto et nobiliores estis et meliores. quid enim viro bono et nobili magis congruit quam curam gerere fidei orthodoxe, favere religioni, Christi nomen salvatoris pro sua virili magnificare atque extollere? sed amissa nunc Constantinopoli, tanta urbe in potestatem hostium redacta, tanto Christianorum sanguine fuso, tot animabus in servitutem abductis, vulnerata est miserabiliter catholica fides, confusa turpiter nostra religio, Christi nomen dampnificatum nimis atque oppressum. Neque, si verum fateri volumus, multis ante seculis maiorem ignominiam passa est quam modo Christiana societas. retroactis namque temporibus in Asia atque in Affrica, hoc est in alienis terris, vulnerati fuimus, nunc vero in Europa [6], id est in patria, in domo propria, in sede nostra percussi cesique sumus. et licet dicat aliquis ante plurimos annos ex Asia Turchos in Greciam transivisse, Tartaros citra Thanaim[7]in Europa consedisse, Sarracenos Herculeo mari [8]traiecto Hispanie portionem occupasse; numquam tamen aut urbem aut locum amisimus in Europa, qui Constantinopoli possit equari. [9][… - Lob Konstantinopels] At hic locus tam commodus, tam utilis, tam necessarius, nobis tacentibus, ne dicam dormientibus, amissus Christo Salvatori, lucrifactus Mahometo seductori est. Quod quod ibi ex duobus imperatoribus christianis alter occisus est? Nonne ex duobus oculis alterum erutum, ex duabus manibus alteram amputatam dicere possumus? [S. 263f.]

A. Konstantinopels Untergang, ehrwürdige Väter, erlauchte Fürsten und ihr anderen nach Stand und Bildung hervorragenden Männer, der für die Türken ein großer Sieg, für die Griechen die größte Katastrophe, für die Lateiner die höchste Schmach war, ängstigt und quält einen jeden von euch, wie ich glaube, umso mehr, je edler und besser ihr seid. Denn was kommt einem guten und edlen Mann ehr zu als sich um den Glauben zu sorgen, die Religion zu fördern, den Namen des Erlösers Christus wie er kann zu stärken und zu erhöhen? Aber nachdem nun Konstantinopel verloren, eine so große Stadt in die Gewalt der Feinde geraten, so viel Christenblut vergossen ist, so viele Gläubige in die Knechtschaft geführt sind, ist der katholische Glaube schwer verwundet, unsere Religion schändlich erschüttert, der Name Christi im Übermaß geschädigt und erniedrigt. Auch viele Jahrhunderte zuvor hat die Christengemeinschaft, wenn wir die Wahrheit bekennen wollen, niemals größere Schmach erlitten als jetzt. Denn in früheren Zeiten wurden wir in Asien und Afrika, das heißt auf fremdem Gebiet, verwundet, nun aber sind wir in Europa, das heißt im Vaterland, im eigenen Haus, an unserem Sitz erschüttert und niedergemetzelt worden. Und obwohl jemand sagen mag, die Türken seien doch [schon] vor vielen Jahren von Kleinasien nach Griechenland übergesetzt, die Tataren hätten sich diesseits des Don festgesetzt, die Sarazenen nach Überschreitung der Straße von Gibraltar einen Teil Spaniens okkupiert; so haben wir doch niemals eine Stadt oder einen Ort in Europa verloren, der Konstantinopel vergleichbar wäre. [...] Und dieser so vorteilhafte, so nützliche, so notwendige Ort, ging dem Erretter Christus verloren und wurde Beute dem Verführer Mohammed, – während wir schwiegen, um nicht zu sagen: schliefen. [S. 263f.]

B. Ac primum de belli iustitia cognoscamus. bellum, quod pro tuenda religione, pro salvanda patria, pro conservandis sociis ex auctoritate superioris geritur, nemo umquam veterum reputavit iniustum.[10]hinc Moysi [11], hinc Josue, hinc Saulis, hinc Davidis [12], hinc Machabeorum prelia commendantur. hinc illi Demosthenis clamores, quibus plenum exultabat apud Athenas theatrum, in Marathone, in Arthemisio, in Salamini pro patria defunctos commendantis. [13]hinc ex Romanis Oratii Fabii Decii et alii pene innumerabiles celebrantur, qui pro salute suorum civium se devovere. hinc ex vestris Germanis Karoli Rolandi [14]Rainaldi [15]Conradi Ottones Heinrici, Friderici eternis preconiis extolluntur [16], qui pro tutandis Christianorum finibus maximis se periculis obiectarunt. Nunquam tamen vestris progenitoribus tam iusta pugnandi causa quam vobis obiecta est. Nunquam illi tam atrocem iniuriam, tam iniquam contumeliam ab infidelibus acceperunt, quemadmodum perpessa est hoc nostro tempore Christiana communitas. [S. 266f.]

B. Zuerst wollen wir über die Berechtigung zum Krieg nachdenken. Einen Krieg, der zum Schutz der Religion, zur Rettung des Vaterlands, zur Bewahrung der Verbündeten mit der Autorität eines Hochgestellten geführt wird, hat nie einer der Alten für ungerecht gehalten. Deswegen empfehlen sich die Kämpfe des Moses, des Josua, des Saulus, des David, der Machabäer. Hier erfüllen sich die Klagereden des Demosthenes, über die das voll besetzte Theater in Athen jubelte, in denen er die in Marathon, am Kap Artemision, in Salamis für das Vaterland Gefallenen [den Athenern] anempfahl; deswegen werden aus dem Kreis der Römer die Horatier, Fabier, Decier und andere fast unzählige [Helden] gepriesen, die sich für das Heil ihrer Mitbürger opferten; deswegen werden aus dem Kreis eurer Deutschen ein Karl, ein Roland, ein Rainald, die Konrade, Ottonen, Heinriche und Friedriche mit ewigem Lobpreis geehrt, die sich, um die Grenzen der Christenheit zu schützen, den größten Gefahren aussetzten. Nie kam aber euren Vorfahren ein so gerechter Kriegsgrund entgegen wie euch. Nie haben sie so grausames Unrecht, so erniedrigende Schande von den Ungläubigen empfangen, wie es zu unserer Zeit die Gemeinschaft der Christen erduldet hat. [S. 266f.]

C. Nunc ex bello que sequatur utilitas breviter exponendum est: [...] Vos igitur, principes, si fructum huius belli contra Thurcos suscipiendi cognoscere cupitis, damna, que toti Christianismo imminent, nisi Thurcorum frangatur impetus, pensitate. audivistis, que passi sunt Constantinopolitani. idem nunc multe civitates expectant, nisi, dum tempus est, opitulamini. serpit in dies hoc virus[17]magis ac magis: nunc una provincia, nunc alia nobis deficit. [… - Schildert den Verlust Serbiens] Hungari, qui hactenus fidei nostre clipeus, nostre religionis murus fuere [18], bis victi [19]bello post mortem Alberti regis [20], bis capti a Thurcis sunt, centum milia hominum aut eo plus duobus preliis amisere.[…] Magna est Turcorum potentia et in Asia et in Grecia. [… - Schildert die militärische Stärke der Türken, denen Ungarn allein nicht gewachsen sei.] Sive vincitur Hungaria sive coacta iungitur Turcis, neque Italia neque Germania tuta erit neque satis Rhenus Gallos securos reddet. [S. 271]

C. Nun ist kurz der Nutzen dazulegen, der aus dem Krieg erfolgt [...] Wenn ihr also, ihr Fürsten, die Früchte dieses Kriegs gegen die Türken kennen lernen wollt, so wägt den Schaden ab, der dem ganzen Christentum droht, wenn der türkische Ansturm nicht gebrochen wird. Ihr habt gehört, was die Bewohner Konstantinopels erlitten haben, das Gleiche erwarten viele Städte, wenn wir nicht helfen, solange es Zeit ist. Die Krankheit schleicht von Tag zu Tag weiter und weiter fort, jetzt geht die eine, dann eine andere Provinz verloren. [...] Die Ungarn, bisher Schild unseres Glaubens und Schutzmauer unserer Religion, wurden nach dem Tod König Albrechts zweimal im Krieg besiegt, zweimal von den Türken besetzt und haben in zwei Schlachten mehr als einhunderttausend Mann verloren. [...] Groß ist die Macht der Türken in Europa und in Asien. [...] Wenn Ungarn besiegt oder zur Bundesgenossenschaft mit den Türken gezwungen wird, dann werden weder Italien noch Deutschland sicher sein und der Rhein wird die Franzosen nicht mehr sichern. [S. 271]

D. Pugnandum est vobis omnino, Principes, si liberi, si Christiani vitam ducere cupitis. Existimatote nunc, an salvis et integris sociis, an fractis atque dimissis id agere magis expediet. [Bringt als Beispiel die Römer] Nam foris, si qua fuerit accepta calamitas, emendari potest, quae domi excipiuntur clades, exitiales habentur. [Das Beispiel Hannibals]. Et vos ergo, Theutones, si, quemadmodum spero, sapientes eritis maiores vestros imitabimini, qui remota semper a domo bella gerere[21], ac vicinorum fines non minus quam suos tueri consueverunt. Quod si, vos, Germani, hoc tempore Hungaros neglexistis, non erit denique, cur vos ex Gallis auxilia prestolemini, nec rursus illi apud Hispanos opem invenient. [S. 272]

D. Kämpfen müsst ihr Fürsten, allemal, wenn ihr frei sein, wenn ihr das Leben eines Christen weiter führen wollt. Denkt nun nach, ob das eher mit gesunden und intakten oder mit gebrochenen und zerstreuten Bundesgenossen zu bewerkstelligen ist. [...] Denn wenn man draußen eine Schlappe erleidet, kann das korrigiert werden; Niederlagen, die man auf eigenem Gebiet erleidet, sind tödlich. Und ihr also, Teutonen, wenn ihr, was ich hoffe, weise seid, dann ahmt ihr eure Vorfahren nach, die immer Kriege außerhalb des eigenen Landes geführt haben und Grenzen der Nachbarn nicht weniger als die eigenen beschützt haben. Wenn ihr, Deutsche, in dieser Zeit die Ungarn im Stich lasst, gibt es keinen Grund, warum ihr dann von den Franzosen Hilfe fordern könntet, und diese wiederum werden keine Hilfe bei den Spaniern finden. [S. 272]

E. "Neque vos soli, Theutones", inquam, "pugnabitis: ex Italia, ex Gallia, ex Hispania multi concurrent; nec Hungari deerunt nec Bohemi, fortissime gentes, Rasciani, Bulgari, omnes Illirienses [22], omnes Greci sumpta occasione consurgent; vicini quoque in Asia dabunt manus".[23]Nolite existimare, principes, ita omnem Asiam Maumeto parere, ut non multi sint Christo servientes; multi in Cilicia Bithinia Capadocia Ponto Siria [24]Christiani sunt, quamvis iugo servitutis oppressi. Hiberi, qui et Georgiani vocantur [25], Trapezuntii [26], Armeni Christum colunt nec cunctabuntur arma sumere, si vos viderint audentes. [S. 279]

E. „Aber ihr werdet nicht allein kämpfen, ihr Deutschen“, möchte ich sagen: aus Italien, aus Frankreich, aus Spanien, werden viele kommen, weder die Ungarn noch die Böhmen, sehr tapfere Völker, werden fehlen, die Serben, die Bulgaren, alle Bewohner des Balkans, alle Griechen werden die Gelegenheit ergreifen und sich erheben. Auch Nachbarn in Asien werden die Hand reichen. Glaubt nicht, ihr Fürsten, ganz Kleinasien gehorche Mehmed so, dass es nicht noch viele gäbe, die Christus dienen; viele in Kilikien, Bithynien, Kappadokien, Pontos und Syrien sind Christen, wenn auch mit dem Joch der Knechtschaft belegt. Die Hiberer, die auch Georgier genannt werden, die Trapezuntiner, die Armenier verehren Christus und werden nicht zögern, die Waffen zu ergreifen, wenn sie nur euch wagemutig sehen. [S. 279]

Quelle 4

Enea Silvio Piccolomini, „Epistula ad Mahometem“ [27]

Ante omnia vero monstratum est, non posse te assequi inter christianos gloriam et potentatum, quem videris optare, maxime apud Europeos et Occidentales populos, dum in tua secta perseveraveris. Quodsi velles Christianis initiari sacris, magnam tibi spem fecimus et potentiae et gloriae. Memento igitur verborum nostrorum et accipe fidele consilium: sume baptismum Christi et lavacrum Spiritus Sancti; amplectere sacrosanctum Evangelium et illi te totum committe: sic tuam animam lucrifacies, sic Turcarum populo bene consules, sic tuae cogitationes adimpleri poterunt, sic tuum nomen in saecula celebrabitur, sic te omnis Graecia, omnis Italia, omnis Europa demirabitur, sic Latinae litterae, sic Graecae, sic Hebraicae, sic Arabicae, sic omnes barbarae celebrabunt, sic nulla aetas de tuis laudibus conticescet, sic pacis auctor et fundator quietis appellaberis, sic te Turcae animarum suarum repertorem et Christiani suae vitae conservatorem vocabunt. Syri, Aegyptii, Libyci, Arabes et quaecumque sunt aliae gentes extra Christi caulas aut, his auditis, tuam viam sequentur, aut tuis et Christianis armis parvo negotio domabuntur. [148, S. 1-2]

Vor allem aber ist gezeigt worden, dass Du den Ruhm und die Machtstellung, die Du Dir zu wünschen scheinst, unter den Christen, zumal bei den Europäern und den abendländischen Völkern, nicht erreichen kannst, solange Du in Deinem Irrglauben verharrst. Für den Fall aber, dass Du bereit sein solltest, Dich in die christlichen Sakramente einweihen zu lassen, haben wir Dir große Hoffnung auf Macht und Ruhm in Aussicht gestellt. Erinnere Dich also an unsere Worte und nimm vertrauenswürdigen Rat an: Empfange die Taufe Christi und Waschung des Heiligen Geistes! Nimm das allerheiligste Evangelium in Dein Herz auf und vertraue Dich ihm vollständig an! So wirst Du Deine Seele gewinnen, so wirst Du gut für das Volk der Türken sorgen, so werden sich Deine Pläne erfüllen können, so wird Dein Name in Ewigkeit gepriesen werden, so wird Dich ganz Griechenland, ganz Italien, ganz Europa bewundern, so werden Dich die lateinischen, die griechischen, die hebräischen, die arabischen und alle barbarischen Schriftwerke preisen, so wird kein Zeitalter mit Lobpreisungen auf Dich verstummen, so wirst Du Urheber des Friedens und Begründer der Ruhe genannt werden, so werden Dich die Türken den Wiederentdecker ihrer Seelen und die Christen den Retter ihres Lebens nennen. Die Syrer, Ägypter, Libyer und Araber, und welche Völker sich noch außerhalb der Hürden Christi befinden, werden, wenn sie davon hören, entweder Deinem Weg folgen oder von Deinen und den christlichen Waffen mit Leichtigkeit bezwungen werden, und wenn sie Dich nicht als Verbündeten unter unserem Gesetz haben wollen, werden sie Dich als Herrn in ihrem eigenen zu spüren bekommen. Wir werden Dich unterstützen und Dich mit Hilfe der göttlichen Gnade als rechtmäßigen Herrscher über diese Völker einsetzen. [148, S. 1-2]



[1] Für die „Europa“ und die „Epistula ad Mahometem“ liegen moderne kritische Ausgaben vor, für die „Asia“ und Frankfurter Rede „Clades“ ist auf die alten Drucke zurückzugreifen. Für die „Epistula“ liegt eine deutsche Übersetzung vor, die hier übernommen wird. Die übrigen Übersetzungen ebenso wie der Anmerkungsapparat stammen von Johannes Helmrath.

[2]Enea Silvio Piccolomini, Aus der „Asia“: Pius II., Cosmographia Pii papae in Asiae et Europae eleganti descriptione, o. D., o. O. [Paris 1509], S. 4f.

[3] Enea Silvio Piccolomini, Beginn von „De Europa“:Pius II., Enee Silvii Piccolominei postea Pii PP. II De Europa, hg. von Adrianus van Heck (Studi e testi 398), Vatikanstadt 2001, S. 27, 1-3.

[4] Europeus kann hier substantivisch (die Europäer), weniger wahrscheinlich auch adjektivisch verstanden werden, bezogen dann so wie insulares auf homines. In jedem Fall evoziert es einen Gegensatz bzw. Unterschied zu insulares, kommt also der Bedeutung „Festlandsbewohner“ nahe. Wer die Inselbewohner sind (Bewohner der mittelmeerischen, atlantischen oder der Britischen Inseln?) lässt sich kaum spezifizieren.

[5] Enea Silvio Piccolomini, Rede „Constantinopolitana clades“ in Frankfurt am 15. Okt. 1454: Pius II., Pii II orationes politicae et ecclesiasticae, hg. von Johannes Dominicus Mansi, 3 Bde., Lucca 1755-1757-1759, hier Bd. 1, S. 263-285 (relativ bester der alten Drucke). Eine neue Edition durch den Verfasser in Deutsche Reichstagsakten (RTA), Bd. 19,2 steht vor dem Abschluss.

[6] Siehe schon Eneas erste Reaktion auf den Fall Konstantinopels im Brief an Papst Nikolaus V. vom 12. Juli 1453: Nos in Europa, in nostro solo, inter Christianos potentissimam urbem [...] sinimus expugnari; RTA XIX,1 Nr. 2,6 S. 22 Z. 36f. Siehe Mertens, Dieter, Europäischer Friede und Türkenkrieg im Spätmittelalter, in: Duchhardt, Heinz (Hg.), Zwischenstaatliche Friedenswahrung in Mittelalter und Früher Neuzeit, Köln 1991, S. 45-90, hier S. 48-54.

[7] Tanais, im Sarmatenland = Don. In der Antike als Grenze der bewohnten Welt bzw. die Grenze Europas nach Osten angesehen (vgl. Hor., Carm. III 10,1 und IV 15,24: extremum Tanain).

[8] Straße von Gibraltar, nach antiker Vorstellung flankiert von den Säulen des Herakles.

[9] Zur „Laus Constantinopolitana“, dem topischen Komplement zur „Clades“, siehe Fenster, Erwin, Laudes Constantinopolitanae (Miscellanea Byzantina Monacensia 9), München 1968, bes. S. 277-279.

[10] Vgl. Ambros., de officiis ministrorum I 27, 129 und I 36, 178. Zur Legitimation des „bellum iustum“ auch: Cic., de off. I, 11,36; Aug., de civ. dei XXII 6 (= Cic., de rep. III 23,34); Corpus iuris canonici: C. 23. d.2 q.2 (Friedberg 1,894) = Augustinus, Quaestiones in Heptateuch VI 10). Zum Türkenkrieg als „bellum iustum“ Meuthen, Fall S. 26-31.

[11] Erwähnung des Moses als ersten einer Reihe von „Friedenstheoretikern“ auch bei Ambros., De officiis I 36, 179.

[12] Es folgt eine Heldenreihe, die traditionell nach alttestamentlichen, römischen und germanischen-(sprich: Deutschen-)Helden gegliedert ist, bildlich im Spätmittelalter als die Neun Guten Helden dargestellt.

[13] Die griechischen Persersiege bei Marathon 490, am Kap Artemision und bei Salamis 480 v. Chr. Gemeint sein dürfte des [Pseudo-?] Demosthenes' Epitaphios-Rede auf die Gefallenen von Chaironeia 338 v. Chr. Enea besaß vermutlich die lateinische Übersetzung des Leonardo Bruni.

[14] Nach dem sagenhaften Helden von Roncevalles aus der Karlssage.

[15] Wahrscheinlich ist Rainald von Dassel, Erzbischof von Köln (1159-1166) gemeint, kaum, da kein „Germane“, Graf Raimund von Toulouse, einer der Führer des 1. Kreuzzugs.

[16] Die Reihe der siegreichen Kaiser im typisierenden Plural verwendet Enea Silvio häufig, vgl. etwa seine Rede „Quamvis“ vom 16. Mai 1454: possem referre Magni Caroli, Gotfridi de Buiorio, Conradi tercii, Ludovici Francorum regis, Friderici primi ac secundi, Romanorum imperatorum ingentes [...] victorias; RTA Bd. 19,1 S. 268, 8-10.

[17] Vgl. 2 Tim. 2,17.

[18] Das häufig für die Ungarn gebrauchte Bild von Schutzschild und –mauer, clipeus (etwa nach 2 Reg. 1,21 und 22,26; Nah 2,3 etc.) und antemurale (nach Is. 26, 1), wird aber auch auf Konstantinopel bezogen: RTA Bd. 19,1 Nr. 9,2 S. 50 Z. 38; Nr. 11 S. 70 Z. 4 [Enea Silvio]; Nr. 13,2 S. 77 Z. 26. – Vgl. die Rede Pius' II. an eine ungarische Gesandtschaft am 23. März 1459 in Siena: Regnum Hungariae ... bellis assiduis cum gente Turcorum pro catholica religione decertans scutum fidei christianae ad orientem se praebuit: Pius II., Pii II orationes politicae et ecclesiasticae, hg von Johannes Dominicus Mansi, 3 Bde., Lucca 1755-1757-1759, Bd. 2, S. 213f. Vgl. Varga, J. János, Europa und „Die Vormauer des Christentums“. Die Entwicklungsgeschichte eines geflügelten Wortes, in: Guthmüller; Kühlmann (Hg.): Europa und die Türken, S. 55-63.

[19] 1444 bei Varna, 1448 auf dem Amselfeld.

[20] König Albrecht II. (1438/39), Habsburger.

[21] Gemeint sind vor allem die Kreuzzugsexpeditionen des Hochmittelalters.

[22] Die „Illyrer“ hier für die Balkanvölker. Die römische Provinz „Illyricum“ umfasste den nördlichen Balkan.

[23] Türkisches Fürstentum Karaman in Südostanatolien, seit der osmanischen Expansion potentieller Verbündeter des Westens.

[24] Die letzten drei Provinzen in dieser Reihenfolge auch im Völkerkatalog Act. 2,9.

[25] Das antike Iberia, eine Landschaft in Kaukasien, Zentrum des späteren Königreichs Georgien mit der Hauptstadt Tiflis.

[26] Das byzantinische Kaiserreich Trapezunt, beherrscht von der Dynastie der Komnenen, wurde erst 1461 durch Mehmed II. erobert.

[27] Enea Silvio Piccolomini, „Epistula ad Mahometem“: Pius II., Epistula ad Mahumetem. Einleitung, kritische Edition, Übersetzung, hg. von Reinhold F. Glei und Markus Köhler (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 50), Trier 2001, Nr. 148 mit wichtiger Einleitung, S. 12-115.

 


Zugehöriger Essay:
Johannes Helmrath: Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) - Ein Humanist als Vater des Europagedankens?
Die Druckversion des Essays findet sich in Hohls, Rüdiger; Schröder, Iris; Siegrist, Hannes (Hg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005.
Für das Themenportal verfasst von

Johannes Helmrath

( 2007 )
Zitation
Johannes Helmrath, Enea Silvio Piccolomini (Pius II.) - Ein Humanist als Vater des Europagedankens?, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1327>.
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