Golo Manns Bildungserfahrungen in Deutschland und Frankreich von Schloss Salem nach St. Cloud (1923-1935)

Golo Manns Bildungsweg umspannt Schul-, Studien- und Lehrerfahrungen in Deutschland bzw. Frankreich in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren und gewährt Einblick in eine Zeit, in der die Bildungskulturen in den Nachbarländern zunehmend divergierten. Während in Frankreich Bildungseinrichtungen mit dezidiert demokratischer Ausrichtung bereits vor dem Ersten Weltkrieg etabliert waren, setzten sich obrigkeitsstaatliche Traditionen im Bildungswesen der Weimarer Republik weitgehend fort. Demokratische bildungspolitische Ansätze blieben schwach bzw. erlebten nur am Rande eine kurze Blüte. Der Beitrag ordnet die persönlichen, in Memoiren, Tagebüchern und der Korrespondenz Manns widergespiegelten Erfahrungen in den breiteren Rahmen der Bildungskulturen beider Länder zwischen den Kriegen ein und weist auf die Bedeutung interkultureller Bildungserfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung hin.

Golo Manns Bildungserfahrungen in Deutschland und Frankreich. Von Schloss Salem nach St. Cloud (1923–1935)[*]

Von Matthias Schulz

Golo Manns Bildungsweg umspannt Schul-, Studien- und Lehrerfahrungen in Deutsch­land bzw. Frankreich in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren und gewährt Ein­blick in eine Zeit, in der die Bildungskulturen in den Nachbarländern zunehmend diver­gierten. Während in Frankreich Bildungseinrichtungen mit dezidiert demokratischer Ausrichtung bereits vor dem Ersten Weltkrieg etabliert waren, setzten sich obrigkeits­staatliche Traditionen im Bildungswesen der Weimarer Republik weitgehend fort. Demo­kratische bildungspolitische Ansätze blieben schwach bzw. erlebten nur am Rande eine kurze Blüte. Der Beitrag ordnet die persönlichen, in Memoiren, Tagebüchern und der Korrespondenz Manns widergespiegelten Erfahrungen in den breiteren Rahmen der Bil­dungskulturen beider Länder zwischen den Kriegen ein und weist auf die Bedeutung interkultureller Bildungserfahrungen für die Persönlichkeitsentwicklung hin.

Le parcours d’éducation de Golo Mann embrasse des expériences scolaires, d’études et d’enseignement en Allemagne et en France dans les années 20 et le début des années 30. Il donne un aperçu d’une époque pendant laquelle les cultures d’éducation et d’instruction dans ces deux pays voisins divergent de plus en plus. En France, des établissements scolaires à caractère explicitement démocratique existent déjà avant la Première Guerre mon­diale, tandis qu’en Allemagne les traditions autoritaires dans l’enseignement persistent largement sous la République de Weimar. Les approches démocratiques de l’enseignement y restent très faibles, marginales ou de courte durée. La contribution de Matthias Schulz inscrit les expériences personnelles de Golo Mann reflétées dans ses mémoires, journaux intimes et sa correspondance dans le cadre plus large des cultures de formation des deux pays dans l’entre-deux-guerres. Il montre ainsi l’importance, dans l’éducation, de l’expérience interculturelle pour le développe­ment de la personnalité.

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Einleitung

Golo Mann (1909–1994) zählt zu den publizistisch erfolgreichsten Historikern Deutschlands des 20. Jahrhunderts. Seine Wallenstein-Biografie und seine „Deutsche Geschichte“ liegen historiografisch abseits der großen politik- und sozial­historischen Strömungen der Nachkriegszeit, doch ihre Auflage von zu­sammen über einer Million zeugt von der literarischen Qualität wie ungebroche­nen Popula­rität des Autors.[1] Sein über tausend Publikationen umfassendes histori­sches, literaturkritisches und politisch-publizistisches Lebenswerk wird in einer 2002 erschienenen Bibliografie erstmals vollständig erfasst.[2]Zuletzt hat Mann in zwei Memoirenbänden seine ,Initiationsjahre‘ verarbeitet, in denen von Kind­heit, Jugend, Studium und ersten Schritten im Berufsleben eines Akademikers die Rede ist. Von Interesse ist das Schicksal Manns hier insbesondere, weil es Bil­dungser­fahrungen in Deutschland und Frankreich verbindet.

Zunächst absolvierte Golo Mann in der Weimarer Republik einen für den deut­schen Adel und das gehobene Bildungsbürgertum nicht untypischen Bil­dungsweg: Er besuchte von 1923 bis 1927 das von dem bedeutenden Reformpä­dagogen Kurt Hahn gegründete Landerziehungsheim Schloss Salem – heute wie damals bekannt als private Eliteschule in idyllischer Landschaft[3] –, anschließend studierte er bis 1933 unter anderem in München, Berlin und Heidelberg bei zahl­reichen namhaften deutschen Historikern und dem Philosophen Karl Jaspers. Nach seinem Aufenthalt in Berlin distanzierte Mann sich vom literarischen Milieu und suchte eine intellek­tuelle Heimat in den ‚politischen‘ Geisteswissenschaften, Philosophie und Geschichte. In seiner Heidelberger Studentenzeit wurde er in die Rolle gedrängt, seinen Vater Thomas Mann als „Gewissen der Nation“ und eine seitens des Eltern­hauses vorgelebte Vorstellung von deutschem Humanismus zu verteidigen. Sein Einstieg ins Berufsleben begann untypisch, da die Mann-Familie wie so viele ande­re Deutschland 1933 verlassen und Golo – nach 1932 erfolgter Promotion im Fach Philosophie bei Karl Jaspers und Vorlage einer Staatsarbeit in Geschichte über Wallenstein – ins Exil flüchten musste. Ein wichtiger Schritt zur finanziellen und geistigen Eigenständigkeit gelang, als ihm ein Freund aus der Berliner Studienzeit, der Germanist Pierre Bertaux, in Frankreich für zwei Jahre eine Stelle als Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der École Normale Supérieure d’enseignement primaire in St. Cloud verschaffte. Hier erlangte Mann Einblick in das französische Bildungswesen, dessen Selbstverständnis und Milieu sich stark vom deutschen unterschied, und trat auf als deutschlandkritischer Akteur im Bil­dungs- und Kulturtransfer. Anschließend ging er als Lektor an die Universität Rennes, wohin er jedoch 1937 aufgrund des konservativen Klimas nicht zurück­kehrte und die Odyssee eines Heimatlosen fortsetzte.[4]

Ziel dieses Beitrags ist es, anhand der Lern- und Lehrerfahrungen Golo Manns in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Blick auf die Wirklichkeit und das Selbstverständnis des deutschen und französi­schen Bildungswesens in der Zeit eines pädagogikgeschichtlichen Um­bruchs zu werfen. Die prosopografische Enge soll durch Einordnung in den bil­dungshistori­schen Kontext aufgebrochen werden. In Manns Tagebüchern, Kor­respondenz, zeitnahen Veröffentlichungen und seinen später verfassten Erinne­rungen werden das kultu­relle und pädagogische Klima an den jeweiligen Bil­dungseinrichtungen sowie die geistigen Reifeprozesse sichtbar, die durch die Bil­dungserfahrungen in Deutsch­land und Frankreich in Gang gesetzt wurden.[5] Für die Geschichte des Lehrens und Lernens in Deutschland und Frankreich in den zwanziger und dreißi­ger Jahren bieten Manns Stationen interessante Erfahrungs­ausschnitte, in denen verschiedene historische Sachkomplexe sich verdichten – deutsche und französi­sche Bildungsge­schichte, Kulturtransfer, deutsche Intelli­genz im Exil, Familien­geschichte.

Internat und Studienzeit in Deutschland

Vom Münchener Wilhelmsgymnasium nach Schloss Salem

Golo Mann berichtet in seinen Erinnerungen von einer wohlbehüteten, aber nicht immer glücklichen Kindheit in seinem großbürgerlichen Münchener Eltern­haus. Bis zum 10. Lebensjahr genoss er Privatunterricht in einer Kleingruppe, und das familiäre Umfeld hätte kaum anregender für die geistige Bildung sein können. Bald entwickelte der junge Golo eine Leidenschaft für das Lesen, vertiefte sich in Walter Scotts Ivanhoe, Quentin Durward und andere, mit Vorliebe historische Romane. Durch Dickens’ Erzählung vom Sturm auf die Bastille in Tale of Two Cities lernte er, was in einer Revolution passierte, noch ehe die in München am Abend des Ersten Weltkrieges stattfand.[6] Beeindruckt war er von Schillers Geschichte des Dreißigjährigen Krieges – eine außergewöhnlich anspruchsvolle Lektüre für einen Zehnjährigen. In der Erinnerung blieben auch Leseabende im familiären Kreis, in denen der Vater, die Mutter Katja oder auch die Großmutter Hedwig Pringsheim Werke vortrugen oder Theaterstücke in verteilten Dialogen lasen.[7]

Manns erster Schulbesuch erfolgte von 1918 bis 1923 im humanistisch ausge­richteten, altsprachlichen Münchener Wilhelmsgymnasium, dessen Lehrer im Frack vor die Schüler traten und nicht nur Kenntnisse, sondern auch Disziplin und natio­nale Gesinnung vermitteln sollten. Latein und Griechisch, Geschichte und Literatur bildeten die Basis des Curriculums, Stil und Habitus der Institution waren konser­vativ-elitär, die Klassen groß.[8] Zwar hatte mit der Gründung der Weimarer Repu­blik die Diskussion über eine grundlegende, auch den veränderten staatsbürgerli­chen Anforderungen gerecht werdende Schulreform an Dynamik gewonnen, und einzelne Schul- und Lehrplanreformen zur Vereinheitlichung des Volksschulwe­sens wurden durchgeführt, doch die 1920 einberufene Reichsschul­konferenz bildete auch schon den Höhepunkt der Reformbewegung; sie scheiterte weitge­hend.[9] Eine Reform des Gymnasiums stand ohnehin nicht im Vordergrund. Das staatliche Bildungswesen im katholischen Bayern zählte in dieser Zeit zu den am wenigsten progressiven.[10] Das Wilhelmsgymnasium darf in diejenige Katego­rie ,neoklassischer‘ Bildungseinrichtungen eingestuft werden, die sich Moderni­sie­rungstendenzen verschlossen, die ,deutsche Kultur‘ und klassische Bildung durch den Siegeszug von Technik und Industrialisierung in Gefahr sahen, etwa seit dem späten 19. Jahrhundert eine zunehmend reaktionäre Position einnahmen und den Regimewechsel zur Republik ohne innere Wandlung überstanden. Mann erinnert sich an Buckelei gegenüber energischen Lehrern sowie andererseits Schülerstrei­che, deren Opfer meist ältere, körperlich schwächelnde Lehrer waren. Er war nicht zufrieden dort, und seine Entwicklung ließ zu wünschen übrig. Die Eltern Katja und Thomas Mann beschlossen 1922/23, ihn – wie zuvor den älteren Bruder Klaus – auf das Landerziehungsheim Schloss Salem am Bodensee zu schicken.[11] Die Entscheidung hatte nicht nur mit beruflichen Interessen des Vaters – er brauchte Ruhe zum Schreiben – und schulischen Problemen der Kinder zu tun, sondern spiegelte auch die elterliche Hinwendung zu reformpädagogischen Ansätzen wie­der. Vertreter der bereits in den 1890er Jahren sich entwickelnden Reformpädago­gik warfen den ,alten‘ Schulen vor, „Strafanstalten“ bzw. „Zwangsschulen“ zur Stoffvermittlung zu sein, durch Prügelstrafen „Seelen­morde“ zu verüben und rügten die Gehorsam erheischende Amtsautorität des Lehrers.[12] Sie wiesen auf der Schüler Furcht vor Prügel und ungerechten Strafen, Prüfungsangst und Schüler­selbstmorde hin.[13] Literarischen Niederschlag fand diese zeitgenössische Kritik bei dem Vater in den „Buddenbrooks“ (1901), in der die schulischen Qualen des klei­nen Hanno erwähnt werden, oder etwa in Robert Musils Novelle über das repres­sive Klima in einer k.u.k. Militärerziehungsanstalt, „Verwirrungen des Zöglings Törless“ (1906).[14]

Die Begründer der Landerziehungsheime Hermann Lietz (1868–1919), der vom englischen College Abbotsholme inspiriert wurde, und Paul Geheeb (1870–1961), Nestor der liberalen Odenwaldschule (1910), setzten sich insbesondere mit dem Einfluss der Technik, des Großstadtlebens und der materialistischen Lebens­auffassung auf Jugendliche kritisch auseinander. Die Grundidee der aus dieser Haltung sowie der Jugend- und Wanderbewegung hervorgehenden Landerzie­hungsheime war es, Jugendliche für eine Weile der Großstadt zu entziehen, damit sie die Werte des Lebens in und mit der Natur kennen lernten.[15] ,Landschaft‘, ,geregelte Lebensweise‘ und ,Stille‘ waren für Lietz pädagogische Schlüsselbe­griffe.[16] Die Heimform sollte eine ,Totalerziehung‘ ermöglichen, die nicht das ,Pauken‘ – wie in der preußischen Erziehungsanstalt – sondern die Charakterbil­dung betonte, und eine ,sinnvolle‘ Zeitgestaltung mit handwerklicher und sportli­cher sowie musischer und kreativer Betätigung einschloss. Das erzieherische Ele­ment, die Charakterbildung und Wertevermittlung sollten einen Vorrang vor der Wissensvermittlung haben. Das Lehrer-Schüler-Verhältnis sollte verändert, das Kind – nicht als Wesen, das zu gehorchen und zu verstehen hat, sondern als Wesen, das der Erwachsene sich zu verstehen bemüht – in den Mittelpunkt der Erziehungs- und Unterrichtsgestaltung gerückt werden. Im Landerziehungsheim sollte Kindern und Jugendlichen eine ihrer Alterstufe gemäße Lebensform ange­boten, der Gemeinschaftsgeist durch ko-edukative Lernformen und Erziehung zu Verantwortung gestärkt werden.

Das Landerziehungsheim Schloss Salem war ein eher konservativer Gegenpol zur liberalen Odenwaldschule. Der von Lietz sowie eigenen Studienerfahrungen in Oxford beeinflusste Reformpädagoge Kurt Hahn[17] hatte das Internat 1921 mit Unterstützung des ansässigen Prinzen Max von Baden in einem vormaligen Zis­terzienserkloster, dann Schloss der Prinzenfamilie, in idyllischer Lage zwischen Hügeln, Wäldern, Bodensee und der Donau gegründet.[18] Ziel Hahns, der einen Großteil seines Weges als Reformpädagoge noch vor sich hatte[19], war es, reformpä­dagogische Ansätze mit klassischen Lehrinhalten zu verbinden und in Salem eine verantwortungsbewusste, ethisch, geistig und körperlich entwickelte Führungsschicht heranzubilden, die über persönliche Interessen hinauswachsen und am staatspolitischen Leben engagiert mitwirken konnte.[20] Die Zeit in Salem (1923–1927) hinterließ bei Golo Mann positive Erinnerungen.[21] Salem bedeutete für ihn einen Schritt hin zum Erwachsenenleben, denn er verließ mit dem Besuch des Internats das elterliche Haus, und seine Studienzeit sah nicht viel anders aus: Der örtlichen Trennung von den Eltern einerseits stand die fortgesetzte finanzielle Abhängigkeit von ihnen gegenüber.[22] Schloss Salem und Studium bilden bei Mann zwei eng miteinander verbundene Entwicklungseinheiten, Zwischenstufen auf dem Weg zu Selbstverantwortung und Unabhängigkeit. Er schildert in seinen Memoi­ren, wie ihn schon der erste Besuch auf Schloss Salem begeisterte: Bei einem Musikabend beobachtete er, wie kultiviert und respektvoll die Jungen und Mäd­chen – beide Geschlechter waren auf der Schule vertreten – miteinander umgingen und war erstaunt, dass sie nicht nur aus München kamen, sondern aus allen Teilen Deutschlands. Golo wollte so schnell wie möglich einer von ihnen sein – als end­lich die Aufnahme in der Post lag, war er erleichtert: „Von da an beäugte ich meine Mitschüler und Lehrer in München mit dem arroganten Blick dessen, der sie ohne Bedauern verläßt“.[23]

Manns Lernerfahrungen in Salem lassen sich in zwei Aspekte unterteilen, Cha­rakterbildung und klassische Bildung. Das Gute im Menschen musste nach Hahns Erziehungsphilosophie befreit, mobilisiert werden.[24] Bosheit erschien ihm mit Sokrates als eine Folge von Starrsinn, Ignoranz und unlogischem Denken. Hahn kümmerte sich um jeden Schüler, kannte sie alle, und konnte deren Cha­raktere gut einschätzen. Der Schüler Golo erschien Schulleiter Hahn zu egozent­risch, zurück­gezogen und belesen, er erkannte seine Bewunderung für große Übeltäter in Roma­nen wie historischen Darstellungen. Hahn versuchte diese Mängel durch Naturerlebnisse und körperliche Arbeit zu beheben. Mann musste mit einem ande­ren egozentrischen Schüler einen schweren Karren über Berg und Tal zu einem Bauern schleppen. Er wanderte viel, nahm an Fahrradtouren unter Leitung von Lehrern teil und reiste mit einer Gruppe von zwanzig Schülern nach Finnland, wo eine zweiwöchige Bootstour unternommen wurde.[25] Mann billigte, verstand die Erziehungsmethoden Hahns: Dabei sein, sich sinnvoll einmischen, mitmachen, dazu sollten die Schüler ermuntert werden. Hahns Denken wurde wesentlich durch eine englische Erziehung geprägt; englische Moralisten und englisches Fairplay, dazu Platons Regelhaftigkeit, wurden den Salemer Schülern immer wieder als beispiel­haft vorgeführt.[26] Zielstrebigkeit, Ehrlichkeit und Selbst­kontrolle waren Primärziele der Charakterbildung. Schüler sollten Tages- und Wochenziele entwickeln und darüber Buch führen, ob sie diese erreichten. Die Charakterbildung erfolgte vor allem durch strenge Organisation und Regelhaftig­keit des Tagesablaufs. Die Jungen und Mädchen waren auf unterschiedlichen Fluren und je nach Altersstufe in Zimmern zu acht oder viert untergebracht, jeder Raum hatte einen Gruppenleiter bzw. eine Gruppenleiterin, der/die auf Ordnung zu achten hatte. Um 6:30 Uhr war Weckzeit, nach der Morgenwäsche mussten sich alle Schüler in Zweiergruppen im so genannten Prinzenpark warmlaufen, anschließend die Zimmer aufräumen und in Schuluniform – graues Hemd und graue kurze Hosen – zum Frühstück erscheinen. Täglicher Morgensport sollte den Körper lockern, der Nachmittagssport Wage­mut, Teamgeist, Schnelligkeit, Ent­schlossenheit und Fairness schulen. Der Sport erfüllte – wie im englischen Erzie­hungssystem – eine zentrale Funktion bei der von Hahn und dem Prinzen von Baden angestrebten Herausbildung einer Elite, die Situationen rational und mora­lisch einschätzen und die „richtigen“ Schlüsse für das weitere Handeln daraus ziehen konnten. Hahns Teilnahme an vielen Schüleraktivi­täten ging nicht auf Kosten seiner Autorität.[27]

Die Problematik der Erziehung zu Führungsfähigkeiten werden in Manns Erin­nerungen deutlich. Er kritisiert, dass den Schülern ihre zukünftige Führungs­rolle zu sehr eingeredet und damit ein zu elitistischer Ansatz verfolgt wurde, der das demo­kratische Denken abschwächte.[28] Zwar seien überaus viele der einigen hundert Salem-Schüler später in den Widerstand gegangen, doch es habe auch einige eif­rige Nazis unter ihnen gegeben. Ob Hahn in den zwanziger Jahren über­haupt an Erziehung zu freien Bürgern, Demokratie und parlamentarischen Wett­streit dachte? Mann berichtet, die Schüler hatten wiederholt Gelegenheit, eigene Vor­träge zu halten, und seinerzeit fanden zwei bedeutende Schuldebatten im Stil der britischen Unterhausdebatten statt – eine über den Hitlerputsch, die andere über Pazifismus.[29] Hier zeigt sich Hahns Orientierung am Vorbild der britischen Demokra­tie. Gruppenarbeiten, Chor, Theateraufführungen und Schulfeuerwehr sollten Teamgeist mit Verantwortungsbewusstsein koppeln. Charakterbildung und soziales Verhalten wurden auch geschult durch die Schülermitverwaltung. Hahn hatte eine Schülermitverwaltung geschaffen, die den Schülern Aufsichtspflichten übertrug. Der „Wächter“ über Ehre und Sitte stand an der Spitze der Hierarchie, gefolgt von den „Helfern“, die verschiedene Aufgaben zu erfüllen hatten: Der pädagogische Helfer hatte sich um die schwächeren Schüler zu kümmern; der ,Außenhelfer‘ für Schüler, die aus umliegenden Dörfern anreisten, Flügelhelfer sorgten für Ordnung in den Nord- und Südflügeln des Gebäudes, die Mädchenhel­ferin vertrat die Belange ihrer Mitschülerinnen und der Helfer für geistige Dinge koordinierte Schulzeitung, Debatten und Lektürestunden.[30] Ernannt wurden die Schüler vom Schuldirektor per öffentlichem Anschlag. Hatte ein Schüler sich in verantwortungsvoller Position bewährt, konnte er durch Kooptation in den er­lauchten Kreis der so genannten ,Farbentragenden‘ aufgenommen werden. Er erhielt dann einen purpurnen Ärmelstreifen, der offiziersähnlich auf der Schuluni­form getragen wurde. Die ,Farbentragenden‘ trafen sich regelmäßig, um über das Wohl der Schule zu sprechen, neue Regeln aufzustellen oder alte zu verändern.[31] Nach einem Jahr war es Golo Manns sehnlichster Wunsch, aufgenommen zu wer­den, später, als er leitende Positionen innehatte, fand er solchen Ehrgeiz un­reif, fand es unangenehm, Befehle zu erteilen, zog es vor, Rat zu geben und humor­voll zu kritisieren. Lehren und Schreiben, Leistung erbringen, nicht Ehre erringen, danach sollte sich das Schaffen richten.

Hatte Hahn den Eindruck, dass die Tagesabläufe der Schüler zu überfüllt waren mit Aktivitäten, führte er Ruhenachmittage ein: Die Schüler mussten dann nachmittags vier Stunden mit einem Buch in der Stiftshalle arbeiten, wobei Silen­tium geboten war. Alkohol- und Tabakgenuss waren tabu, und die Gemeinschaft sorgte dafür, dass diese Enthaltsamkeitsregel auch eingehalten wurde. Eine Schwäche sieht Mann in Hahns Glauben an die Willenskraft des Menschen und dessen Stärkung durch erzieherische Maßnahmen. Psychologisch-pathologische Phänomene wie Kleptomanie oder Suizidneigung verstand er nicht. Bei pubertie­renden Schülern erwachende Sexualität glaubte Hahn vor allem durch sportliche Betätigung und, wenn nötig, Hyperaktivität oder kalte Duschen unterdrücken zu können. Dem Problem der ,verlängerten Adoleszenz‘, versuchte Hahn, ohne es mit den Schülern direkt anzusprechen oder sie ‚aufzuklären‘, auszuweichen. Besonders empfindlich reagierte er auf Andeutungen von Homoerotik. Es galt in Salem als ,klebrig‘ oder ,schmutzig‘, so Mann, „wenn ein Junge seine Hand einem anderen auf die Schulter legte, wenn zwei auf einem Fahrrad fuhren, wenn sie nicht genug Abstand hielten usw.“[32] Die Rolle der Mädchen beschreibt Mann als die einer Minderheit, die die Jungen zu ritterlichem Benehmen erziehen und sie auf ihre Rolle gegenüber dem anderen Geschlecht vorbereiten sollte. Die Erziehung der Mädchen nahm bei Hahn wahrscheinlich einen zweiten Rang ein − von speziellen Zielen oder Formen für die Mädchenerziehung wird weder in Manns Memoiren noch in der Literatur etwas berichtet.

Im Salemer Curriculum standen Deutsch und Geschichte, Griechisch, Latein und Englisch sowie Mathematik und Physik im Vordergrund. Sie gehörten im extern abgenommenen Abitur auch zu den Pflichtfächern. Die traditionelle alt­sprachlich-humanistische Orientierung war damit etwas aufgelockert. Positive Erinnerungen hatte Mann vom Geschichts-, Deutsch- und Lateinunterricht. Her­vorstechendes Charakteristikum der Lernerfahrungen Manns in Salem ist das Lernen durch die aktivierende und dialogische Methode. Hahn, Manns Lateinleh­rer, erfand viele Übersetzungsaufgaben, die das Leben der Schüler ansprachen, und aus geeigneten klassischen Texten entwickelte er Rollenspiele, die von den Schü­lern im Garten vor Gästen aufgeführt wurden. Lehrer wie Schüler versuchten sich gegenseitig dadurch zu beeindrucken, Latein gelegentlich in der Konversa­tion anzuwenden.[33] Am eindringlichsten und prägendsten war jedoch das Theater­schauspiel, für das sich Mann begeisterte, an dem sich sein darstellerisches Talent und die Phantasie, die Fähigkeit, sich in Personen, Stimmungen und Zeitumstände hineinzuversetzen, entwickelte. In Schillers Wallensteins Lager spielte er eine Nebenrolle, in Kleists Der zerbrochene Krug den Dorfrichter Adam, Antonio in Shakespeares As You Like It, den Schafhirten im Oedipus und den Tyrannen Creon in Sophokles’ Antigone. Soweit aus den Erinnerungen erkennbar, spielten die Salemer alle Stücke in ihren Originalsprachen.[34] Zur Abiturfeier wurde Schillers Wallenstein ungekürzt aufgeführt – mit Mann in der Hauptrolle.[35] Das Theaterschau­spiel vermittelte Mann Einblicke in die griechische, römische, briti­sche und deutsche Kultur, das menschliche Schicksal, universelle Gewissenskon­flikte und – lange vor 1933 – die Verführbarkeit zum Bösen. Es zählte unzweifel­haft zu den Höhepunkten der Bildungserlebnisse in Salem, auch bildete es einen Kernpunkt der Persönlichkeitsentwicklung. Dennoch fehlte vieles, der Horizont blieb klein. Reisen an die Ostsee, Fahrradtouren am Bodensee und eine Bootsfahrt in Finnland machen noch keinen Kosmopoliten. Reisen war nur wenigen möglich, zumal nachdem die Hyperinflation liquide Ersparnisse vernichtet hatte. Mann schaudert im Rückblick ob der Weltunwissenheit der Deutschen in diesen Jahren; ohne diese Unwissenheit wäre seiner Auffassung nach das Dritte Reich mit all seinen Konsequenzen nicht möglich gewesen.[36]

Welches Milieu lernte Mann im Internatsleben kennen? Die aus München ge­wohnte Buckelei gab es nicht, wenngleich auch hier die Lehrer „Herr Geheim­rat“ hießen.[37] Die Schüler wurden seitens der Lehrer mit Vornamen und „Du“ angere­det, nur der zur älteren Kohorte gehörende Prinz Berthold, der Sohn von Max von Baden, mit „Sie“. Mann berichtet, dass sie in „völlig anderen Sphären“ lebten – dort vorfahrende Limousinen, Morning Coats, königliche Verwandtschaft, fürstli­ches Gebaren.[38] Schüler adliger Abstammung ritten in ihrer Freizeit, der jugendli­che Golo wanderte im Salemer Tal, am Bodensee und in nahe gelegenen Wäl­dern.[39] Unter den Mitschülern waren neben dem Prinzen von Baden, Geheim­ratskindern und Doktorensöhnen aus besseren Kreisen auch Fürstensohn Michael Lichnowsky, dessen Vater vor dem Ersten Weltkrieg Botschafter in London ge­wesen war. In Lichnowsky trat die Geschichte vor Mann, es entwickelte sich eine Freundschaft mit historischen Lektionen. Der junge Lichnowsky diskutierte mit Mann die Ursachen des Ersten Weltkriegs, die These seines Vaters wiederholend, dass Deutschland die Hauptschuld an dem Großen Krieg trug, wenn nicht aus Bosheit, so doch aus Dummheit – unerhörte Meinungen seinerzeit, doch wer sollte es besser wissen als Angehörige eines Botschafters?[40] Mann begann Fragen an die Geschichte zu stellen, seine Verehrung für Körner und Blücher verblasste, über Kaiser Wilhelm hatte er sich bereits in München lustig gemacht.[41]

Studium in München, Berlin, Heidelberg

Die Studienzeit beendete Manns Schauspielerei. Es gab damals keine Thea­ter­gruppen an deutschen Universitäten, jedenfalls nicht in München, Berlin oder Heidelberg. Mann begann in München mit dem Studium der Rechtswissenschaf­ten und hörte nebenbei Geschichte. Mann missfiel es, zunächst wieder bei seinen Eltern wohnen zu müssen, da er sich von ihnen entfremdet hatte und die Geschwister Erika und Klaus nur noch selten dort waren. Er fühlte sich eingeengt. Es war eine andere Welt als die von Salem. Schuluniform und Lederhosen wurden gegen Stadtanzug und Binder eingetauscht, in der Universität siezte man sich, benutzte die förmliche Anrede mit Titel, soweit vorhanden. In Stil und Habitus notierte Mann einen gewissen Umbruch, die älteren Professoren trugen quasi sämtlichst Vollbärte, jüngere Professoren und männliche Studenten waren über­wiegend rasiert.[42]

Mann entwickelte in München und Berlin eine Abneigung gegen den Besuch von Vorlesungen in den Geisteswissenschaften, die er nie wieder ablegte; er las lieber selbst.[43] Bei dem Historiker Hermann Oncken, der 1927 von München nach Berlin wechselte und dessen rhetorisch eindrucksvolle, freie Vorlesungen immer­hin Schüler wie Gerhard Ritter und Franz Schnabel anzogen[44], hatte Mann das Gefühl, alles über Napoleon Vorgetragene schon selbst zu wissen. Später in Heidelberg – bei dem Philosophen Heinrich Rickert – hielt Mann ebenfalls nicht den ganzen Kurs durch; er blieb nur, wenn es sein musste. Bereits in Salem hatte Mann aller­dings die seine Abneigung relativierende Erfahrung gemacht, und er sollte sie in seinem Akademikerleben noch oft wiederholen[45], dass ein durchgear­beiteter, wohlstrukturierter freier Vortrag zu besseren Lehrerlebnissen und Lern­ergebnissen führt als ein vorgelesener Vortrag.[46] Davon abgesehen, fand Mann Seminare grund­sätzlich ertragreicher, nicht nur, weil die Universität hier ihren anonymen Massencharakter verlor, sondern weil dort auch seitens der Studenten frei gespro­chen und diskutiert wurde. Kurzum, Mann lernte – wie fast alle Studie­renden – besser und bewusster in einem interaktiven Modus, wie er ihn bei Hahn kennen ge­lernt hatte und wie er zum Teil auch in Heidelberg praktiziert wurde. Der dort lehrende Nationalökonom Alfred Weber war bekannt als überzeugter Vertreter der seminaristischen Lehrmethode.[47] In der Hochschulpraxis der zwanzi­ger und dreißiger Jahre war Dialog jedoch die Ausnahme.

Aus der Berliner Studienzeit erfahren wir mehr über die Schriftsteller und Kultur der Weimarer Zeit – Tucholsky, Brecht, Döblin, Ossietzky – zu denen Mann Kontakt hatte, sowie über die besuchten Opern und Theateraufführungen als über die Humboldt-Universität.[48] Prägend waren für Golo und sein weiteres Schick­sal zwei Begegnungen, die mit der Historikerin Ricarda Huch, deren Arbeit und Charakter Mann bewunderte, und die mit dem französischen Doktoranden der Germanistik und Humboldt-Stipendiaten Pierre Bertaux, Sohn des bedeutenden, mit Heinrich und Thomas Mann befreundeten französischen Germanisten Félix Bertaux. Als Doktorand der École Normale Supérieure an der Rue d’Ulm musste der junge Bertaux zwei Jahre in einem deutschsprachigen Land studieren, so sah es das Programm vor.[49] Für das kulturelle und akademische Leben Berlins war er eine große Bereicherung. Nach dem Locarno-Vertrag von 1925 und der Auf­nahme Deutschlands in den Völkerbund hatten die deutsch-französischen Gesell­schaftsbe­ziehungen sich zwar spürbar verbessert[50], doch bei seiner Ankunft in Berlin 1927 war er der erste französische Student an der Humboldt-Universität seit 1914![51] Bertaux fand sogleich eine Stellung am Romanischen Seminar bei Eduard Wechssler, durfte Besuche André Gides und anderer berühmter französi­scher Schriftsteller in Berlin organisieren und erlangte dadurch sowie durch Kon­takte zu den Manns, zum Fischer Verlag und zum Deutsch-Französischen Stu­dienkomitee, das in Berlin ein Informations- und Pressebüro unterhielt, intensiven Einblick in das kulturschaffende und politische Milieu der Hauptstadt, so auch zum fort­schrittlichen preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker.[52] Bertaux brachte Mann Personen nahe, die sich Ende der zwanziger Jahre in Berlin auf­hielten und später im politischen und kulturellen Leben Frankreichs eine große Rolle spielten, zum Beispiel Raymond Aron und der für das Studienkomitee tätige Pierre Viénot. Golos Interesse am Nachbarland wuchs. Im Sommer 1929 reiste er für einen Sprachlehraufenthalt nach Paris, über den wir wenig erfahren. Einerlei, mit Bertaux entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft.

War das Studium in Berlin für Mann wenig ergiebig, so beeinflusste das Leben in Berlin doch nachhaltig die Persönlichkeitsentwicklung. Nach zwei Jah­ren intensiven Kulturgenusses und Verkehrens im Schriftstellermilieu begann das Großstadtleben Mann zu langweilen. Er war gekränkt, in literarischen Kreisen immer nur als ‚der Sohn Thomas Manns‘ zu gelten.[53] Seine unter einem Pseudo­nym erschienene Novelle ,Vom Leben des Studenten Raimund‘ drückt eine gewis­se Bitterkeit über eine nutzlose Existenz, über ein sinnloses, sich im Kreis drehen­des Leben und gleichzeitig einen Hunger nach Leistung aus – Empfindun­gen, die Bertaux auch bei Mann beobachtete.[54] Das Verhältnis zu den Eltern war ge­spannt[55], Mann sehnte sich offenbar nach Kontakten zu seinen alten ,Salemern‘.[56] Er suchte etwas ,Ernsthaftes‘, ihn interessierten Politik und Geschichte.[57] In dem Bemühen Abstand zu literarischen Kreisen zu gewinnen, arbei­tete er, die Lehren von Hahn befolgend und sich zu sozialistischem Gedan­kengut hingezogen fühlend, zwei Monate inkognito in einem niederlausitzschen Bergwerk, um das Arbeiter­schicksal kennen zu lernen[58], und setzte anschließend sein Studium in Heidelberg fort.

In Heidelberg blieb Mann vom Sommer 1929 bis zu seiner Promotion 1932, hier entschied er sich bei Karl Jaspers für das Studium der (überwiegend politi­schen) Philosophie. Hatte Hahn vor allem die Lebensführung Manns geprägt, so übte Jaspers den stärksten Einfluss auf die frühe geistige Entwicklung Manns aus.[59] Mann besuchte Jaspers Vorlesungen und Seminare von Anfang bis Ende, eine Ausnahme in seinem Studentenleben. Jaspers’ Einführungsveranstaltung be­gann mit einer Lektüre von Hegels Ästhetik, ein wichtiger Grundlagentext nicht nur für Philosophie, sondern auch Kunstgeschichte. Seine Seminare behandelten das Material für sein Buch Die geistige Situation der Zeit, eine Kritik am geisti­gen Niedergang und darin zeittypisch, aber auch eine Bestandsaufnahme der gesell­schaftlichen Situation, eine Bejahung der aufgeklärten Massen­gesell­schaft, der wehrhaften Demokratie, eine Ablehnung des militaristischen Gebarens und Den­kens ebenso wie des wehrlosen Pazifismus, darin eine Ausnahme. Natio­nal­sozia­lismus, die große Depression, Arbeitslosigkeit, all diese Probleme tau­chen jedoch in dem 1931 erschienenen Buch erstaunlicherweise noch nicht auf.

Vom Nobelpreis seines Vaters unbeeinflusst, kämpfte Mann einen Großteil seiner Heidelberger Zeit um die Gunst von Jaspers, arbeitete mit eiserner Diszi­plin von morgens bis abends in der Fachbibliothek über philosophischen und histo­rischen Texten, verbesserte seine Schreibfähigkeiten und Argumentations­technik. Ein Schüler-Mentor-Verhältnis entwickelte sich. Mit einer Kritik Hegels anhand von Schopenhauer machte Mann auf sich aufmerksam, Jaspers biss an, versuchte ihm jedoch die Promotion in Philosophie auszureden – denn Philoso­phie war kein Gymnasialfach, es gab für den Philosophiestudenten praktisch kei­nen Beruf außer den des Universitätsprofessors. Jaspers dachte an seine eigene Laufbahn, die Zeit nach der Habilitation in Psychologie, während der er an einer psychiatrischen Klinik arbeiten, von Konferenz zu Konferenz tingeln, nebenbei veröffentlichen und sich mit staatlichen Einrichtungen gut stellen musste, um sich einen Namen zu machen. Er beschrieb diese Zeit als „degradierend“.[60] Es gelang ihm, Mann dahin zu bringen, neben der Philosophie für den Broterwerb das Geschichtsstu­dium fortzusetzen; Mann bereitete denn auch das Staatsexamen für das Gymnasi­allehr­amt vor.

Mit dem Geschichtsstudium wuchs bei Mann das politische Bewusstsein. In Heidelberg hörte er überwiegend bei Willy Andreas. Er verkehrte in dessen Haus, denn Andreas war mit der Tochter von Erich Marcks verheiratet, und die Mann-Familie war mit den Marcks befreundet. Andreas schrieb seinerzeit an einem Buch über die Ursprünge der Reformation, doch lehrte er die gesamte Neuzeit. Seine Vorlesungen waren größtenteils improvisierte Erzählung, längere Zitate las Andreas vor. Wie Marcks gehörte Andreas zum rechten nationalliberalen Lager, das Reich war in seinen Darstellungen immer friedliebend gewesen, Frankreich dagegen nie, Bismarck 1871 milde, Frankreich 1918 harsch. Als die Republik 1930 aufgrund der Großen Depression und parteipolitischer Polarisierung in Schwierig­keiten geriet, distanzierte sich Andreas – wie so viele andere – mehr und mehr von ihr.[61] Schon im Jurastudium in München sind Mann nationalistische Töne begeg­net, das Studium der Geschichte aber erscheint ihm im Rückblick „unglaublich germanozentrisch“.[62] Im Mittelpunkt standen die ,Wilhelmsstraße‘ und der ,Ballhausplatz‘. Alles andere war Feindesland oder zumindest fremdes Land und damit abschätzig zu beurteilen. Selbst zwischen vermeintlich liberalen Historikern wie Friedrich Meinecke und Hermann Oncken einerseits und beken­nenden deutschnationalen Historikern andererseits vermochte er im Rückblick wenig Unterschied zu erkennen.[63] Als die Heidelberger Bruderschaften im Juni 1930 die Beendigung der alliierten Rheinbesetzung feierten, stellte sich Willy Andreas problemlos auf die Stimmung ein. Während Studentensprecher die be­stehende Friedensordnung offen ablehnten, sprach Andreas von der „Kriegs­schuldlüge“ und der „Schande“ von Versailles. Deutschland müsse über die Wie­derherstellung seiner vollen Souveränität hinausgehen, aus dem Käfig des Völ­kerbunds ausbre­chen. Andreas wurde am folgenden Tag mit tosendem Applaus im Vorlesungssaal empfangen. Der Erdrutsch bei den Reichstagswahlen im Sep­tember wurde von vielen Heidelbergern frenetisch begrüßt.[64]

Heidelberg war ein „interessantes politisches Laboratorium“, so Mann, mit seiner von Professoren dominierten Gesellschaft, Studenten und den kleinbürger­lichen Geschäftsleuten und Dienstleistern, die von der Universität oder dem Tou­rismus lebten. Die hereinbrechende Krise wurde hier sofort gespürt, sinkende Gehälter für Angestellte und Beamte, sinkende Lebensunterhaltszahlungen von den Eltern an die Studenten und Nazi-Propaganda veränderten das geistige Klima dramatisch in der Zeit, in der Mann sein Studium hier durchführte. Die Studenten­schaft war in den zwanziger Jahren in teils demokratisch-republikanischen Verei­nigungen wie dem Deutschen Studentenbund oder dem Republikanischen Studentenkartell, teils in anti-republikanisch-reaktionären Vereinigungen wie dem Stahlhelm und dem Hochschulring deutscher Art organisiert. Der 1926 gegrün­dete Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund dominierte 1931 in Studen­tenausschüssen der meisten Hochschulen.[65] Heidelberger Studenten griffen gierig die Nazi-Ideologie auf, opportunistische Aufsteiger ließen sich besonders von nationalistischen Aufbruchsideen, Polemiken gegen die so beschimpften „Erfül­lungspolitiker“ und großdeutschen Machtphantasien einfangen.[66] Unter dem Ein­druck, Position beziehen zu müssen, trat Mann der Heidelberger Sozialistischen Studentenjugend bei. Hier fand Mann auch sozialen Anschluss, überwiegend zu Salonsozialisten aus begütertem Hause. Exkursionen wurden organisiert, Diskus­sionen und Liederabende, bei denen Freizeitkleidung nach Art der deutschen Jugendbewegung getragen wurde. Sein politisches Engagement war ehrlich, doch wenig effektiv, die Sozialisten blieben weitgehend unter sich und überzeugten nur die bereits Überzeugten. Nazis kamen zu sozialistischen Veranstaltungen höchs­tens, um sie zu sprengen.[67] 1930 musste Mann sich erstmals publizistisch in die Politik einmischen, als in einer Heidelberger Studentenzeitung eine Polemik gegen seines Vaters „Deutsche Rede: Ein Appell an die Vernunft“ gedruckt wurde.[68] Mann nahm hier zugunsten seines Vaters Stellung, der das Bürgertum aufgefordert hatte, sich mit der Sozialdemokratie zu verbünden, um Deutschland aus der Krise zu führen. Thomas Mann sowie die Industriellen Robert Bosch, der dem französi­schen Premierminister Aristide Briand nahestehende Industrielle Louis Loucheur und etwa 2.000 weitere Teilnehmer auf einem Paneuropa-Kon­gress in Berlin hatten sich 1930 für eine Vereinigung Europas ausgesprochen. In Voraussicht dessen, was Deutschland und Europa vom Nationalsozialismus her drohte, vertei­digte Mann das Recht des kulturschaffenden Vaters, sich politisch einzumischen und „um Gefahr eines kommenden Weltkrieges sich zu kümmern [...] Die Sozial­demokratie und mit ihr Thomas Mann sind der Meinung, dass ein weiterer Krieg von Europa, mithin, vor allem von Deutschland, nicht viel übrig lassen wird; daher sind sie entschlossen, ihn zu verhindern, das ist, durch eine entsprechende Außen­politik bei der Entgiftung der internationalen Beziehungen soweit mitzuhelfen, bis Abrüstung möglich sein wird“.[69] Im darauffolgenden Jahr setzte Mann sich publizis­tisch – erfolglos – für einen pazifistischen Privatdozen­ten ein, dem wegen angeblich ‚unpatriotischer Gesinnung‘ und Agitation von Nazistudenten der Aus­schluss aus der Fakultät drohte.[70] Zu seiner Enttäuschung hielt sich sein Mentor Karl Jaspers aus politischen Angelegenheiten heraus. Ob­gleich nur das Wort der Ordinarien in den Gremien wog, glich Jaspers’ Vorstel­lung von einer Universität einem Elfenbeinturm. Wenn das Haus brenne, so würde er „nicht versuchen, es zu löschen, sondern die Feuerwehr rufen“, so Jaspers einmal zu Studenten.[71] Doch im Gegensatz zu Heidegger schrieb er keine Zeile, die ihn in den Verdacht der Nähe zum Nationalsozialismus hätte bringen können. Lehren und Veröffentlichen wurde Jaspers seitens der Nazis verboten, er lehnte es aber ab, sich von seiner Frau jüdi­scher Abstammung zu trennen, um wieder lehren zu dürfen. Nach dem Krieg schämte sich Jaspers, überlebt und sich nicht für den Widerstand geopfert zu haben.[72] Ebenso scharf wie das unpolitische Verhalten Jaspers verurteilte Mann professorales Gebaren deutscher Hochschul­lehrer.[73] Ein Beispiel für hochfahren­des Auftreten gab der Heidelberger Philosoph Heinrich Rickert, der sensible Geis­ter durch autoritäre Dreistigkeit verletzte. Heidegger, erklärte jener, existiere nicht, da seine Sätze sich nicht ins Lateinische übersetzen ließen. Über seinen Heidelberger Fachkollegen Jaspers lästerte er im Hörsaal. Rickert war es auch, der einen estländischen Gastwissenschaftler dazu einlud, einen Vortrag über seine eigene – Rickerts – Philosophie zu halten – als die einzige wahrhaftig wissen­schaftliche Philosophie in Deutschland. Mann kehrte seinen Veranstaltungen nach dem ersten Semester den Rücken.[74]

Nach der Heidelberger Promotion über Hegels Subjektivitätskonzept[75] begann Mann in Hamburg seine Staatsexamensarbeit in Geschichte über Wallenstein vor­zubereiten. Die Arbeit wurde fertiggestellt, doch das Examen nicht mehr ab­ge­nommen, denn er musste Deutschland im Mai 1933 verlassen. Nach Überar­bei­tung der Dissertation und Annahme zur Veröffentlichung wurde ihm 1934 korrekt die Heidelberger Doktorurkunde verliehen. Die Studienzeit in Deutsch­land nahm damit auch formell ihr Ende. Was blieb vom Studium? Für Mann war der Dialog mit Persönlichkeiten beim Lernen wichtig. Nicht die Lehre allein, sondern auch der Mensch hinter der Lehre muss Vorbild sein, erst dann kann er überzeugen. Das nationalistische Weltbild, die autoritäre Wissensvermittlung und streng hie­rarchi­sche Umgangsformen stießen Mann ab. Was er von Jaspers lernte, fasst er retro­spektiv wie folgt zusammen: „daß der Mensch mehr ist als man erkennen kann, und er sich selbst mit eigenen Taten überrascht. Daß es legitime und un­vermeid­bare Fragen gibt, für die es keine überzeugenden Antworten gibt. Daß manche geistigen Konflikte unlösbar sind, alle Großtheorien, die alles zu erklären können behaupten, falsch sind und großen Schaden anrichten“.[76] Diese Wahrheit konnte Mann 1933 selbst beobachten. Am 10. Mai 1933 erlebten er, Raymond Aron und Bertaux gemeinsam ein Autodafé auf dem Opernplatz in Berlin. Bertaux war es auch, der Mann bei seiner Flucht im gleichen Monat half, einen Teil des Vermö­gens der Schriftstellerfamilie aus Deutschland zu schaffen.[77]

Als Lektor in Frankreich

Nach etwa einem halben Jahr im schweizerischen Exil verschaffte der Ger­ma­nist Félix Bertaux, Vater des in Berlin gewonnenen Freundes, Mann eine Stelle als Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der École Normale Supé­rieure d’enseignement primaire in St. Cloud.[78] St. Cloud wurde zu einer Art „geisti­gem Treibhaus“ für Mann, „unvergleichlich intensiver als Heidelberg [es] gewesen war“: „Vorbereitung und Abhaltung meines Unterrichts, französische Lektüren und wieder Lektüren“, schreibt er im zweiten Teil seiner Erinnerun­gen.[79] Neben dem Lehraufenthalt kam das Leben im nahen Paris hinzu; Mann konnte durch Tram und abendliche Fußmärsche zurück nach St. Cloud am inner­französischen wie am deutsch-emigrantischen Leben in der Hauptstadt teilneh­men. Sein Gehalt bestand aus Kost und Logis, doch in Zeiten hoher Arbeitslosig­keit musste Mann zufrieden sein, und es gab immer noch die Unterstützung der Eltern. Hier interes­siert der Lehraufenthalt, das bildungskulturelle Milieu, in das Mann eintrat, seine interkulturellen Erfahrungen, soweit sie sich den Tagebü­chern, Erinnerungen und einigen Briefen entnehmen lassen.

Um was für eine Hochschule handelte es sich? Das französische Bildungs­sys­tem war seit der zu Beginn der Dritten Republik einsetzenden Reformbewe­gung in zwei Abteilungen gegliedert, eine so genannte Primärabteilung, die écoles pri­mai­res, die allen Kindern und Jugendlichen eine republikanische, laizistische und obli­gatorische Schulausbildung gewährleisten sollten und von Mann als „Spät­produkt jener [Großen] Revolution“ bezeichnet werden, und die écoles normales, an denen die Lehrer für diese Schulen ausgebildet wurden; sowie eine Sekundar­abteilung mit den Gymnasien, den Universitäten und den grandes éco­les, die im Wesentlichen den gehobenen Schichten vorbehalten waren. Die Leh­rerausbildung für Primär- und Sekundärabteilung wurde getrennt durchgeführt; die oder der zukünftige in der Sekundarabteilung Lehrende gelangte durch agrégation und thèse an ihr oder sein Ziel. Für die Ausbildung zum Lehrer an der école primaire mussten Schüler an derselben ein Zusatzjahr absolvieren und anschließend an der école normale ihres Departements studieren. Meist handelte es sich dabei um Jugendliche aus bescheidenen Elternhäusern. Die Lehrer der écoles normales durchliefen ebenfalls nicht die Sekundarabteilung, sondern wur­den speziell an den 1880 bzw. 1882 unter Ferry gegründeten und 1887 zu Écoles Normales Supé­rieures aufgewerteten Schu­len von Fontenay für Frauen und St. Cloud für Männer ausgebildet.[80] Lehrer, die sich an der école primaire ausgezeich­net hatten, wurden also in Fontenay oder St. Cloud fortgebildet und vorbereitet auf Lehr- und Lei­tungsaufgaben an der école normale. Wer sich dort ebenfalls auszeichnete, konnte nach weiteren Berufsjahren an einem Inspektoren­lehrgang teilnehmen, der ebenfalls an der École Normale Supérieure veranstaltet wurde und die Lehrer auf höhere Ämter – den des Inspek­tors oder Generalin­spektors der écoles normales – vorbereitete. Die Primarabtei­lung war also quasi ein geschlossenes System, es gab fast keinen Austausch mit der Sekundarabtei­lung; nur in Fontenay und St. Cloud selbst waren unter der Leitung und den Leh­renden solche, die ihren Weg in der Sekundarabteilung gemacht hatten. Fontenay und St. Cloud waren also die Spitze des Primarsystems, der „Stolz aller Republi­kaner im Kreis der Pädagogik, die es mit der egalité sehr ernst nahmen“, so Mann.[81]

Die Studenten von St. Cloud wurden über einen concours rekrutiert, erhiel­ten ein mageres Stipendium für drei Jahre, das ihnen kaum erlaubte, Ausflüge ins nahe Paris zu unternehmen, und mussten sich für zehn Jahre verpflichten, dem Staat zu dienen.[82] Sie kamen aus allen Teilen Frankreichs, waren die ehrgeizigsten aus einfachen Verhältnissen. Die Jahrgänge wurden eingeteilt in Ordre des Scien­ces und Ordre des Lettres, letztere spezialisierten sich entweder auf Geschichte und Geografie oder französische Sprache und Literatur. Wer Literatur wählte, musste eine moderne Fremdsprache nebenher erlernen, Englisch oder Deutsch – Latein war hier nicht mehr obligatorische Disziplin. Manns Aufgabe in St. Cloud war es, solchen Literaturstudenten Deutsch beizubringen.

Das politisch-kulturelle Klima in St. Cloud war linksrepublikanisch geprägt. Lebendes Beispiel dafür war der Direktor Félix Pécault, der politische Diskussio­nen nicht aus der Schule bannen wollte, sondern sie begrüßte und erlaubte, dass die Studierenden selbst auswärtige – meist sozialistische oder kommunistische Vortragende einladen durften. Sein Herz schlug für die Arbeiterklasse, das laizis­tische Bildungswesen und die Republik. Pécault entwickelte bald eine Art väterli­ches Verantwortungsgefühl für den Lektor, ebenso wie für seine Schüler, um deren aussichtslose Lage während der Wirtschaftskrise der Schulleiter tief be­kümmert war.[83] Franzosen reisten damals nicht sehr viel außerhalb ihres eigenen Landes; Mann war „der erste Nichtfranzose“, der zu einem regelmäßigen Gesprächspartner Pécaults wurde.[84] Nach der Heidelberger Zeit im Sozialistischen Studentenbund war Mann mit sozialistischem Gedankengut und Milieu vertraut; unzweifelhaft war dies eine Brücke zu Pécault und St. Cloud.

Als Lektor au pair lebte er mit den Studierenden in einem Haus; auch der Direk­tor, der Geschäftsführer und der so genannte Generalaufseher wohnten in der Schule. Mann war als Fremder ein permanenter Gast, eine delikate Situation. Der Umgang mit den Studierenden war förmlich, man siezte sich, hielt Distanz, trug Krawatte, sofern man eine besaß. „Die Leute sind nett, vollbärtig, freundlich, männlich und nehmen die Wissenschaft ernst“, heißt es im Tagebuch.[85] Nach eini­gen Tagen beklagt er sich über ein Fremdheitsgefühl: „Man schaut mich an, darauf reagiere ich auf meine Weise, und man schaut mich erst recht an. Das ist bis zu einem gewissen Grad normal, über ihn hinaus nicht.“[86] Von den älteren Studieren­den im Inspektorenlehrgang hatten einige den Krieg an der Front miter­lebt; natür­lich traten sie Mann, obwohl gerade 24-jährig und im Krieg noch ein Kind, miss­trauisch gegenüber. Ein späterer Briefwechsel mit einem ehemaligen Schüler be­legt, dass Mann anfangs eher kühl-distanziert betrachtet wurde, als Deutscher eben, obwohl er sich viel Mühe gab, nützlich und dabei menschlich zu sein, mit einigen Schülern Ausflüge unternahm, einen reisenden Schüler während der Som­merferien sogar bei den Eltern in Küsnacht aufgenommen hatte.[87] Im zweiten Jahr erwärmte sich das Verhältnis zwischen Mann und seinen Schülern etwas, fast schon klischeehaft wirkt es, dass neben dem Direktor ein Elsässer als Mittler zwi­schen den Kulturen wirkte. Dieser selbst wurde aber trotz seines exzellenten Französisch von den übrigen Studierenden quasi als Fremder behandelt, nicht bei seinem Namen, sondern „Elsässer“ genannt. Als Mann seine Schüler am Ende des zweiten Jahres zum Abschied zu einer Champagnerparty mit Essbarem in die Stadt einlud, tauten viele auf, die sich bis zuletzt bedeckt-kühl verhalten hatten: „Wären Sie von Anfang an so zu uns gewesen, dann hätten wir mehr Zutrauen zu Ihnen gehabt“, schrieb ihm ein Schüler später in einem Brief.[88] Enga­gierte Pflichterfül­lung genügte nicht, um das Eis zu brechen, privates Engagement aber konnte kulturelle Brücken bauen. Unter den historischen Bedingungen war es schwer, die Skepsis der vielen zu überwinden, die zunächst die nationale Grup­penzugehörig­keit und ihre daraus sich ableitenden Fremdbilder wahrnahmen, den eigentlichen Menschen nicht sahen. Gespräche halfen auch nur dort, wo Bereit­schaft vorhanden war, den Menschen zu erkennen. In seinem Tagebuch hielt Mann jedoch fest, dass ihm die Franzosen in seinem Umfeld als weniger nationa­listisch gesinnt, deutlich kritischer gegenüber ihrem Staat, ihrer Regierung, ihrem Militär, und deutlich lockerer im Umgang als seine eigenen Landsleute erschie­nen.[89]

Zu interkulturellen Begegnungen kam es zunächst im Speisesaal – für Mann ein positives Erlebnis, dann im Unterricht – ein gemischtes. Was lernte, was lehrte Mann in St. Cloud? Nach dem Tagebuch und seinen Erinnerungen zu urteilen, las Mann viel, zunächst französische Literatur, dann französische Geschichte, wobei er insbesondere den Stil französischer Historiker bewunderte. Sein Französisch war zunächst schwach, in Ergänzung zur Lektüre und zum bald täglichen Morgenge­spräch mit dem integrativ wirkenden Direktor begann er in seinem Tagebuch auf Französisch zu schreiben, um es zu verbessern. Über seine eigentlichen Veranstal­tungen erfahren wir wenig, auch die Tagebücher enthalten wenig Ausführliches: „Vier Burschen eine Conversationsstunde gegeben, welche leidlich verlief“.[90] Ein paar Tage später notiert er, der Vortragserfahrung bereits in Salem und Heidelberg gesammelt hatte, etwas von „Fortschritten“[91], doch bald heißt es wieder: „Mit meinen Stunden bin ich nie zufrieden, nachher sind sie nie so gut als man vorher glaubt“.[92] Der erste Hinweis darauf, dass zumindest ein Problem für die Schwierig­keiten bei der Durchführung der Veranstaltungen in der kulturellen und vor allem sprachlichen Verwurzelung lag, findet sich bereits nach wenigen Sitzungen: „Übri­gens sollte ein Deutscher nicht in Frankreich Germanist sein dürfen. Der Witz ist [doch] gerade, daß der Franzose sich die deutsche Spra­che erringt“.[93] Der wohlwol­lende Direktor unterstützte Manns Bestrebungen, seine Französischkennt­nisse auszubauen, um die noch bestehenden Verständnis­prob­leme auszuräumen.[94] Überrascht war Mann über das Niveau des akade­mi­schen Lebens, den Stil der Diskussionen; die Franzosen seien überaus kultiviert – „rare chez nous“.[95]

Als Themenliste notierte Mann zu Beginn des ersten Jahres: „Mörike, Brentano, Eichendorff, Hebbel, Conrad, Conrad Ferdinand Meyer“ sowie Ricarda Huch für historische Themen, die zu bearbeiten ihn der Direktor ermunterte, da eine rein literarische Ausbildung ihm als zu einseitig auffiel – der französische Zivilisationsansatz scheint hier durch.[96] Nach einigen Wochen intensivierte sich das Lehrer-Schüler Verhältnis, vier Stunden am Stück verbrachte Golo mit ihnen an einem Tag, nun nahm er sich vor, mit ihnen Schillers Wallenstein zu lesen: Essen­tiell lehrte er das, was er zuvor selbst gelernt, was er selbst mochte, das, worin sich Literatur und Geschichte trafen. Verlangte er zuviel, dann zogen sich die Schüler jedoch wieder zurück, hatte er Angst, überflüssig zu werden.[97] Weiter tauchen Referenzen zu Luther, Kant, Mommsen, Brentano, Schlegel, Lessing, Leibniz, Gottfried Bürger, Nietzsche in den Tagebüchern auf, oft ließ Mann klas­sische Texte – eine Art deutscher Bildungskanon wird sichtbar – von seinen Schülern übersetzen. Im Juli 1934 schrieb Mann in sein Tagebuch, er hoffe, St. Cloud würde seine pädagogischen Kenntnisse vertiefen.[98] Mit wachsender Erfahrung wuchs die Distanz zur eigenen Tätigkeit, erste Reflexionen über Form, Methode und Sinn des eigenen Tuns setzen ein.

Manns Tagebuch mutiert zwischen 1933 und 1936 zu einem Notizheft, in dem Auseinandersetzungen mit der Lektüre, Skizzen für kleinere Aufsätze, politi­sche Fragen immer mehr, persönliche Dinge dagegen immer weniger Raum ein­nehmen. Golo Mann begegnet als ein sich am Zeitgeschehen reibender, am histo­rischen Buch wie am zeitkritischen Roman schulender Beobachter. Immer mehr bewegte Mann das Zeitgeschehen in Deutschland, wie lange mochte das national­sozialisti­sche Regime sich halten? Mit der Ernüchterung über die pazifistische Politik Frankreichs gegenüber dem Dritten Reich beschleunigte sich Manns Ab­wendung vom Sozialismus und die Hinwendung zu einer praktischen Ethik der Vernunft. Er begann zu publizieren, in eigenem Namen oder Arbeiten für seinen Vater anzufer­tigen, gleichzeitig führte er eine wachsende Korrespondenz. Dreißig Jahre später – nach kurzem freiwilligen Militärdienst für die Republik musste Mann 1940 aus Frankreich fliehen – wurde Mann von der Universität Nantes eine Ehrendoktor­würde verliehen. In der Urkunde wurden Manns pädagogische Leis­tungen in St. Cloud ausdrücklich erwähnt. Das Ereignis ging zurück auf seinen elsässischen Schüler und Freund Adolphe Dahringer, inzwischen ebenda Profes­sor für Germa­nistik. Dieser hatte den Sprung vom Primarsystem in das Sekundar­system ge­schafft, was im Grunde erst nach dem Zweiten Weltkrieg möglich ge­worden war.

Schlussbetrachtung

Im Vergleich der anhand des Bildungsweges von Golo Mann untersuchten Lern- und Lehrerfahrungen ist bemerkenswert, wie sehr der in Deutschland Ler­nende oder Studierende auch in den zwanziger Jahren noch Repressionen unter­schied­lichster Art, dem militärischen Drill des Pauk-Gymnasiums, der Unterdrü­ckung der Pubertät in der Pädagogik Hahns, schließlich dem nationalistischen, anti-republikanischen, autoritären, ja mitunter anmaßenden Gebaren von Profes­soren ausgesetzt war. Trotz des Engagements herausragender Persönlichkeiten wie des preußischen Kultusministers Carl Heinrich Becker, der sich beinahe per­manent im Streit mit dem damaligen konservativen Universitätsmilieu befand, oder von Reformpädagogen wie Kurt Hahn, ließ die Demokratisierung des Bil­dungswesens in der Weimarer Republik zu wünschen übrig. Ein Prozess wie der­jenige, der in Frankreich unter Jules Ferry eingeleitet worden war und seither die demokrati­schen Institutionen des Landes gefestigt hatte, obgleich eine Klas­sengesellschaft in ihnen fortbestand, gelangte in der Weimarer Republik nicht zur Reife. Sie schei­terte an der konservativen Reaktion an den Universitäten, in den Verwaltun­gen, in der Politik und zum Teil auch am Bildungsföderalismus.[99] In den Gedan­ken und Erinnerungen Manns wie auch in den Tagebüchern werden seine Unzu­friedenheit über die nationalistische Enge in der damaligen histori­schen Zunft, über die Aus­weglosigkeit der innergesellschaftlichen Polarisierung und über die Unfähigkeit der deutschen Eliten, Auswege aus dem staatlich-politi­schen, kultu­rell-ethischen wie ökonomisch-sozialen Zusammenbruch der Weima­rer Republik zu finden, deutlich. Aber auch positive Bildungserfahrungen in Deutschland sind festzuhalten. Das Prinzip des dialogischen Lernens war Mann in Salem in Diskus­sionen, in Heidelberg in den Seminaren Jaspers’ und in der Sozi­alistischen Studentenjugend begegnet; Erfahrungen im aktivierenden Lernen machte er im Theaterspiel, in der Naturbegegnung und in der Schulmitverwal­tung. Hier boten sich dem Nachdenkli­chen, dem Kritischen, die notwendigen Freiräume für phantasieanregendes Lernen. Hier boten sich auch Ansätze für die Schulpolitik eines demokratischen Deutsch­lands.

Manns Betrachtungen und Aufzeichnungen zufolge waren die zwei Jahre in St. Cloud dichter, intensiver, anstrengender als alle Erfahrungen, die er im deut­schen Bildungssystem zuvor erlebt hatte. Die Bekanntschaft mit einem anderen Bildungs­system, die Initiation in das regelmäßige Lehren, das Bekannt werden mit den Schwierigkeiten des Vortragens, des Vermittelns von nicht nur sprachlichen, son­dern auch kulturellen Kenntnissen, die Schwierigkeit auch, als politischer Flücht­ling ein anderes Deutschland repräsentieren zu wollen, ja dem Gewissen nach zu müssen, sind als Gründe hierfür anzusehen. Die Nachhaltigkeit der Bil­dungserfah­rungen im Ausland zeigt sich bei Mann in seinen geschichtswissen­schaftlichen Vorlesungen in Claremont (USA), wo er 1948 bis 1955 lehrte, sowie in München, Münster und Stuttgart in den fünfziger und sechziger Jahren, in denen Mann trans­nationale, die Entwicklung Frankreichs und der gesamten west­lichen Welt stark einbeziehende Themen wie die Entstehung der Demokratie, der internationalen Beziehungen, die Geschichte der Französischen Revolution und Geschichtstheorie westlicher Historiker behandelte. Lange vor dem Aufstieg der Gesellschaftsge­schichte arbeitete er über den europäischen zeitkritischen Gesell­schaftsroman des 19. Jahrhunderts als historische Quelle.[100] Dies unterstreicht die Richtigkeit des – viel zu spät – nach 1945 in Westeuropa eingeschlagenen Weges des Bildungsaus­tauschs und der Integration von Auslandsaufenthalten in den Schul- und Studien­alltag. Jaspers schrieb Mann in den sechziger Jahren: „was Ihnen die bösen und guten Erfahrungen der Jahre [im Exil, MS] brachten, hat Sie zu Ihren Büchern über Gentz, über Amerika, über deutsche [...] und über die europäische Geschichte befähigt.“[101] Mann selbst betonte bereits 1938 in einer Rezension von Horst Rüdigers Buch „Wesen und Wandlung des Humanismus“[102], das „den deutschen Leser an die Realität einer abendländischen Kulturgemein­schaft erinnern“ und der nationalsozialistischen Ideologie damit trotz der Zensur des Geistes vorsichtig widersprechen will, die überragende Bedeutung der inter­kulturellen Bildung.[103] Die ,Bildung an Fremdem‘, insbesondere am Leitbild der Antike, sei für die Entwick­lung der eigenen Kultur von höchster Bedeutung, so hätten sich die „Griechen am Orient, die Römer an den Griechen, die Franzosen an Rom und der Renaissance“ geschult und auf diese Weise Fortschritte errungen. Der Humanismus der Moderne müsse aber, um wieder fortschrittlich zu werden, den Gegensatz zwischen Technik und Bildung überwinden: Der philologische, gelehrte, im Kern fortschrittsfeindli­che Kulturidealismus und die Pädagogik des 19. Jahrhunderts waren zu weit von der Wirklichkeit entfernt, um die Probleme der Gegenwart bewältigen zu können. Der Humanismus muss, immer wieder von neuem, auf das Erziehen, Bilden und verantwortliches politisches Handeln der Gegenwart bezogen werden.



[*] Ich danke Dr. Thomas Feitknecht, Leiter des Schweizerischen Literaturarchivs (SLA) in Bern, für die hervorragende fachliche Betreuung meiner Forschung am Nachlass Golo Manns (NL GM).

[1] Mann, Golo, Wallenstein. Sein Leben erzählt von Golo Mann, Frankfurt am Main 1971; Ders., Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1958.

[2] Jonas, Klaus W.; Stunz, Holger, Golo-Mann-Bibliographie. Verzeichnis seiner Schriften und der Sekundärliteratur 1929–2000. Mit einer Chronik seines Lebens, Wiesbaden 2002. Manu­skript mit Erlaubnis des Verfassers eingesehen im SLA. Zur literarischen Seite von Golo Mann siehe zuletzt: Mann, Golo; Reich-Ranicki, Marcel, Enthusiasten der Literatur. Ein Briefwechsel, Aufsätze und Portraits, Frankfurt am Main 2000. Neu auch: Birrer, Sibylle; Caluori, Reto; Lüssi, Kathrin; Sidler, Roger, Nachfragen und Vordenken. Intellektuelles Enga­gement bei Jean Rudolf von Salis, Golo Mann, Arnold Künzli und Niklaus Meienberg, Zürich 2000.

[3] Vgl. zur aktuellen Presseberichterstattung die Homepage von Schloss Salem, http://www. salemcollege.de.

[4] Lebensdaten zu Golo Mann sind in der Golo-Mann-Bibliographie von Jonas; Stunz zusammen­gestellt (siehe Anm. 2).

[5] Vgl. zu den Schul- und Studienjahren in Deutschland: Mann, Golo, Gedanken und Erinnerun­gen. Eine Jugend in Deutschland, Frankfurt am Main 1986 (zitiert wird hier aus Gründen der Verfügbarkeit die amerikanische Ausgabe, Reminiscences and reflections. A youth in Ger­many, übersetzt von Krishna Winston, New York 1990). Zur Zeit im schweize­ri­schen und französischen Exil siehe Mann, Golo, Erinnerungen und Gedanken. Lehrjahre in Frankreich, Frankfurt 1999. Für die Zeit in St. Cloud und Rennes durften außerdem die ge­sperrten Tage­bücher Golo Manns im Schweizerischen Literaturarchiv eingesehen werden. Zur Annäherung an Golo Manns geistige Entwicklung ist Jeroen Kochs Biografie eine wichtige Referenz, aufschlussreich für die Bildungserfahrungen sind jedoch vor allem seine Erinnerungen. Koch, Jeroen, Golo Mann und die deutsche Geschichte. Eine intellektuelle Biographie, Paderborn 1998.

[6] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 44.

[7] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 44ff.

[8] Zitat und vgl. Koch (Anm. 5), S. 30; vgl. Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 36.

[9] Siehe Scheibe, Wolfgang, Die Reformpädagogische Bewegung 1900–1932. Eine einführende Darstellung, 9. Aufl., Weinheim 1984, S. 273ff.; vgl. zur knappen Einordnung Hahn, H.-J., Education and Society in Germany, Oxford 1998, S. 50ff. Die Reformbemühungen richteten sich auf die Volksschule, insbesondere die Grund- und Oberstufe, sowie die Einführung der neusprachlich ausgerichteten, vor allem aber den Deutschunterricht in den Vordergrund stel­lenden ,Deutschen Oberschule‘, die ebenso wie das traditionelle Gymnasium sowie die natur­wissenschaftlich ausgerichtete Oberrealschule zum Abitur führte. Siehe weiterführend Berg, Christa u.a. (Hg.), Handbuch zur deutschen Bildungsgeschichte, 6 Bde, München 1987ff., hier Bd. 5: 1918–1945. Die Weimarer Republik und die nationalsozialistische Diktatur, Mün­chen 1989.

[10] Hahn (Anm. 9), S. 50.

[11] Katja Mann kannte Kurt Hahn aus ihrer Kindheit in Berlin. Siehe Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 72.

[12] Siehe Scheibe (Anm. 9), Zitate S. 68, 70, 71. Siehe auch Badry, Elisabeth, Die Gründer der Landerziehungsheime, in: Scheuerl, Hans (Hg.), Klassiker der Pädagogik, Bd. 2: Von Karl Marx bis Jean Piaget, München 1979, S. 152–169. Wichtige Texte der reformpädagogischen Bewegung sind gesammelt in Flitner, Wilhelm; Kudritzki, Gerhard (Hg.), Die deutsche Reformpädagogik, 3 Bde, Stuttgart 1982.

[13] Ludwig Gurlitt berichtete vor dem ersten Weltkrieg von 165 über einen Zeitraum von vier­zehn Jahren erfassten Schülerselbstmorden in Berlin. Vgl. Scheibe (Anm. 9), S. 68.

[14] „Wo ehemals die klassische Bildung als ein heiterer Selbstzweck gegolten hatte, da waren nun die Begriffe Autorität, Pflicht, Macht, Dienst, Karriere zu höchster Würde gelangt […] Die Schule war ein Staat im Staate geworden, in dem preußische Dienststrammheit so gewal­tig herrschte, daß nicht allein die Lehrer, sondern auch die Schüler sich als Beamte empfan­den, die um nichts als ihr Avancement und darum besorgt waren, bei den Machthabern gut angeschrieben zu stehen.“ Mann, Thomas, Die Buddenbrooks, Frankfurt am Main 1974, S. 492.

[15] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 80.

[16] Siehe Badry (Anm. 12), S. 155.

[17] Vgl. Hahn, Kurt, Erziehung zur Verantwortung. Reden und Aufsätze, Stuttgart o. J. Siehe zu Kurt Hahn: Badry (Anm. 12), S. 166ff.; Röhrs, Hermann (Hg.), Bildung als Wagnis und Be­währung. Eine Darstellung des Lebenswerkes von Kurt Hahn, Heidelberg 1966; Köppen, Werner, Die Schule Schloß Salem, Ratingen 1967.

[18] Als Golo in die Schule eintrat, herrschte freilich Inflation, und das Gründungsvermögen der Stiftung Schloss Salem war wertlos geworden. Siehe Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 85.

[19] 1933 wurde Hahn von den Nazis verhaftet, konnte dann aber nach Großbritannien ins Exil gehen und gründete in Schottland ein Internat nach Salemer Vorbild (Gordonstoun). Hahn war weder ein wichtiger Bildungstheoretiker noch ein bedeutender Schriftsteller. Er war ein Gründer, ein Praktiker der Reformpädagogik.

[20] Vgl. Badry (Anm. 12), S. 166f.

[21] Vgl. Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 70–124.

[22] Ebd., S. 70f.

[23] „From then on I viewed my fellow students and teachers in Munich with the arrogant eyes of one who is leaving, and without regret“. Rückübersetztes Zitat [MS] und vgl. Mann, Remi­niscences (Anm. 5), S. 73.

[24] Siehe zur damaligen Diskussion Foerster, Friedrich Wilhelm, Schule und Charakter. Beiträge zur Pädagogik des Gehorsams und zur Reform der Schuldisziplin, Zürich 1907. (Später u. d. T. Moralpädagogische Probleme des Schullebens.)

[25] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 81ff., 116ff.

[26] Ebd., S. 80f., 83ff.

[27] Ebd., S. 82f.

[28] Ebd., S. 85f, 88f.

[29] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 98f., 104–106.

[30] Ebd., S. 76.

[31] Ebd., S. 76f.

[32] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 90.

[33] Ebd., S. 75.

[34] Ebd., S. 96ff. Mann gibt ein Beispiel, an anderer Stelle äußert er sich über die Wichtigkeit des Spracherwerbs; ebd., S. 125.

[35] Ebd., S. 123f.

[36] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 126.

[37] Mann spricht von dem Dramalehrer Geheimrat Reinhart; ebd., S. 75.

[38] Ebd., S. 76.

[39] Ebd., S. 79.

[40] Ebd., S. 78.

[41] Ebd., S. 79.

[42] Ebd., S. 162.

[43] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 127.

[44] Siehe Helmberger, Peter, Biographische Notiz zu Hermann Oncken, Historikergalerie des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität, http://www.geschichte.hu-berlin.de/ifg/galerie/texte/oncken.htm. Oncken war von 1923 bis 1927 in München, anschlie­ßend bis zur Emeritierung an der Humboldt-Universität. Mann dürfte ihn in Berlin gehört haben.

[45] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 127.

[46] Ebd., S. 95.

[47] Vgl. in diesem Band den Beitrag von Eberhard Demm zum „diskutativen Prinzip als emanzipato­rischer Lehrmethode“.

[48] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 133ff.

[49] Vgl. Bertaux, Pierre, Mémoires interrompus, Asnières 2000, S. 76, 78; weiter die posthum erschienene Briefedition: Bertaux, Pierre, Un Normalien à Berlin. Lettres franco-allemandes (1927–1933), Asnières 2001. Siehe auch noch Bertaux, Pierre, Un étudiant français à Berlin, in: Revue d’Allemagne, 1982, S. 337–350; Ders., Ein französischer Student in Berlin, in: Sinn und Form, 1983, S. 314–327.

[50] Vgl. zuletzt Müller, Guido, Gesellschaftsgeschichte und internationale Beziehungen. Die deutsch-französische Verständigung nach dem Ersten Weltkrieg, in: Ders. (Hg.), Deutschland und der Westen. Internationale Beziehungen im 20. Jahrhundert, Stuttgart 1998, S. 49–64; sowie ausführlich Ders., Deutsch-französische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg. Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund im Rahmen deutsch-französischer Verständigungsbewegungen 1924–1933, Aachen 1997; Bock, Hans Manfred, Kulturelle Eliten in den deutsch-französischen Gesellschaftsbeziehungen der Zwischenkriegszeit, in: Hudemann, Rainer; Soutou, Georges-Henri (Hg.), Eliten in Deutsch­land und Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert, Bd. 1: Strukturen und Beziehungen, Mün­chen 1994, S. 73–91.

[51] Bertaux, Mémoires interrompus (Anm. 49), S. 81.

[52] Siehe zu Becker: Müller, Guido, Weltpolitische Bildung und akademische Reform. C. H. Beckers Wissenschafts- und Hochschulpolitik 1908–1930, Köln 1991; sowie die Schriften­edition: Becker, Carl Heinrich, Internationale Wissenschaft und nationale Bildung. Ausge­wählte Schriften. Hg. und eingeleitet von Guido Müller, Köln 1997.

[53] Vgl. Pierre Bertaux an seine Eltern, 13.01.1928, in: Bertaux, Normalien à Berlin (Anm. 49), S. 155.

[54] Veröffentlicht unter Pseudonym in: Anthologie jüngster deutscher Prosa, hg. v. Ebermayer, Erich; Mann, Klaus; Rosenkranz, Hans, Berlin 1928, S. 261–283. Vgl. Bertaux an seine Eltern, 30.11.1928, in: Bertaux, Normalien à Berlin (Anm. 49), S. 247.

[55] Vgl. Bertaux an seine Eltern, 05.02.1928, in: Bertaux, Normalien à Berlin (Anm. 49), S. 186; Ders. an Dies., 06.12.1928, in: ebd., S. 254; Ders. an Dies., 29.12.1928, in: ebd., S. 269; Ders. an Dies., 19.03.1929, in: ebd., S. 321.

[56] Bertaux an seine Eltern, 11.12.1928, in: ebd., S. 255. Zum Besuch bei Familie Kurt Hahn siehe Bertaux an seine Eltern, 05.02.1929, in: ebd., S. 296f.

[57] Bertaux an seine Eltern, 03.12.1927, in: ebd., S. 124; Ders. an Dies., 04.03.1928, in: ebd., S. 213.

[58] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 157.

[59] Ebd., S. 192.

[60] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 174.

[61] Ebd., S. 167.

[62] Ebd., S. 126.

[63] Ebd., S. 127. Andere erkannten „,völkische‘ Aspekte“ in Onckens Vorlesungen. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme galt er „nicht a priori als Gegner“ des Regimes. Siehe und Zitat Helmberger, Peter, Biographische Notiz zu Hermann Oncken, Historikergale­rie des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität, http://www.geschichte.hu-berlin.de/ifg/galerie/texte/oncken.htm.

[64] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 228.

[65] Vgl. Hahn (Anm. 9), S. 61.

[66] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 227.

[67] Ebd., S. 217ff., 229f.

[68] Thomas Mann und Politik, in: Der Heidelberger Student 1930/31, Nr. 3, 17.12.1930, S. 21, Ausschnitt unter A-2-1930-1 im NL GM, SLA.

[69] Ebd.

[70] Dies war kein Einzelfall, wie Hahn berichtet (Anm. 9), S. 58.

[71] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 181.

[72] Ebd., S. 182f.

[73] Ebd., S. 194.

[74] Ebd., S. 167–169.

[75] Zum Begriff des Einzelnen, des Ich und des Individuellen bei Hegel. (Diss. Heidelberg 1932), Heidelberg 1935.

[76] Mann, Reminiscences (Anm. 5), S. 193, übersetzt MS.

[77] Vgl. Bertaux an seine Eltern, 13.05.1933, in: Bertaux, Normalien à Berlin (Anm. 49), S. 345, dort Anm. 52.

[78] Tagebucheinträge vom 18.10. und vom 20.10.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA. Die Ernennung erfolgte per Schreiben des Ministère de l’Éducation nationale, dem die École direkt unterstand. Ministère de l’Éducation nationale an Golo Mann, 31.10.1933, NL GM, C-1-a-1-4, SLA; vgl. Mann, Lehrjahre in Frankreich (Anm. 5), S. 43.

[79] Ebd., S. 72.

[80] Vgl. Homepage der Écoles Normales Supérieures vom 05.09.2002, http://www.ens-lsh.fr /ecole/histoire.htm.

[81] Mann, Lehrjahre in Frankreich (Anm. 5), S. 48.

[82] Im Jahre 1945 wurde die traditionelle Trennung zwischen Primarstufe und Sekundarstufe im französischen Bildungssystem modifiziert, und die Schulen wurden auch mit der Vorberei­tung der Studierenden auf das CAEC, später das CAPES betraut. Inzwischen wurde die Ein­richtung nach Lyon transferiert.

[83] „Ces pauvres diables sont les victimes de la crise; on a dû être très sévère pour les notes et couper la liste très ras, faute de places à donner.“ Félix Pécault an Golo Mann, 19.07.1934, NL GM, B-2-PEC, SLA.

[84] Mann, Lehrjahre in Frankreich (Anm. 5), Zitat S. 56, vgl. zum ganzen Absatz S. 55f., 58ff., 65. Weni­ger tolerant war dieser gegenüber Minderheiten im eigenen Land, ganz dem Zentra­lismus huldigend, hielt er Minderheitssprachen für überflüssig und schädlich. Andererseits sorgte Pécault sich um Lehrende wie Studierende sehr.

[85] Eintrag vom 09.11.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[86] Eintrag vom 12.11.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[87] Vgl. Mann, Lehrjahre in Frankreich (Anm. 5), S. 64.

[88] Ebd., S. 65.

[89] Eintrag vom 24.11.1933, Tagebuch 8, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[90] Eintrag vom 10.11.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[91] Eintrag vom 15.11.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[92] Eintrag vom 22.11.1933, Tagebuch 8, NL GM, C-1-a-2-1, SLA. Selbstkritik auch im Eintrag vom 13.11.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[93] Eintrag vom 22.11.1933, Tagebuch 8, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[94] Eintrag vom 05.12.1933, Tagebuch 8, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[95] Eintrag vom 22.01.1934, Tagebuch 8, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[96] Eintrag vom 10.11.1933, Tagebuch 7, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[97] Eintragungen vom 28.11. und vom 05.12.1933, Tagebuch 8, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[98] Eintrag vom 06.07.1934, Tagebuch 9, NL GM, C-1-a-2-1, SLA.

[99] Siehe Hahn (Anm. 9), S. 58ff.

[100] Siehe die Vorlesungsmanuskripte Manns unter den Siglen A-5-Claremont-1, A-5-München-1, A-5-Münster-1/1-5, A-5-Stuttgart-2/1-2, A-5-Stuttgart 3(1-5), A-5-Stuttgart-5/1-4, A-5-Stuttgart-5/1-4 im NL GM, SLA.

[101] Karl Jaspers an Golo Mann, Basel, 14.11.1961, B-2-JAS, NL GM, SLA.

[102] Erschienen in der Reihe „Europa-Bibliothek“ bei Hoffmann & Campe, Hamburg 1938.

[103] Mann, Golo, Europa und der Humanismus, in: Neue Zürcher Zeitung, 15.02.1938, Ausschnitt im NL GM, A-2-1938-1, SLA.


Für das Themenportal verfasst von

Matthias Schulz

( 2007 )
Zitation
Matthias Schulz, Golo Manns Bildungserfahrungen in Deutschland und Frankreich von Schloss Salem nach St. Cloud (1923-1935), in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1427>.
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