Diplomatie oder Parlamentarismus Altiero Spinellis Ablehnung des Genscher-Colombo-Plans 1981

Als der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher den Plan, den er zusammen mit seinem italienischen Amtskollegen Emilio Colombo entwickelt hatte, am 19. November 1981 im Europäischen Parlament vorstellte, wusste er bereits, dass er nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde: „Ich könnte mir denken, daß dieses Hohe Haus am ehesten kritisieren wird, daß unser Entwurf für eine Europäische Akte nicht weit genug geht“, räumte er ein und appellierte, man solle aber „die Wirkungen der Initiative nicht gering schätzen“. Auch Colombo, der nach Genscher sprach, kündigte an, die Außenminister würden es „nicht übel nehmen“, wenn den Parlamentariern der Vorschlag zu klein erscheine. Die Erwiderung, mit der der italienische Abgeordnete Altiero Spinelli ihnen antwortete – Colombo hatte den Plenarsaal inzwischen allerdings schon wieder verlassen –, bezog sich jedoch nicht nur auf die Frage größerer oder kleinerer Ambitionen. [...]

Diplomatie oder Parlamentarismus. Altiero Spinellis Ablehnung des Genscher-Colombo-Plans 1981[1]

Von Manuel Müller

Als der deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher den Plan, den er zusammen mit seinem italienischen Amtskollegen Emilio Colombo entwickelt hatte, am 19. November 1981 im Europäischen Parlament vorstellte, wusste er bereits, dass er nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde: „Ich könnte mir denken, daß dieses Hohe Haus am ehesten kritisieren wird, daß unser Entwurf für eine Europäische Akte nicht weit genug geht“, räumte er ein und appellierte, man solle aber „die Wirkungen der Initiative nicht gering schätzen“.[2] Auch Colombo, der nach Genscher sprach, kündigte an, die Außenminister würden es „nicht übel nehmen“, wenn den Parlamentariern der Vorschlag zu klein erscheine.[3] Die Erwiderung, mit der der italienische Abgeordnete Altiero Spinelli ihnen antwortete – Colombo hatte den Plenarsaal inzwischen allerdings schon wieder verlassen –, bezog sich jedoch nicht nur auf die Frage größerer oder kleinerer Ambitionen. Für den über siebzigjährigen Nestor des europäischen Föderalismus, der seit 1976 der kommunistischen Fraktion im Europaparlament angehörte, ging es vielmehr um das grundsätzliche Problem, welche Institution der Motor der europäischen Integration sein sollte: die Regierungen der Mitgliedstaaten oder das Europäische Parlament.

Den Hintergrund für die Reformbestrebungen Anfang der 1980er Jahre bildete eine tiefgreifende Krise der Europäischen Gemeinschaften. Nachdem der europäische Integrationsprozess in den sechziger Jahren wegen Unstimmigkeiten zwischen Frankreich und den übrigen Mitgliedern stagniert hatte, hatte 1969 der Gipfel von Den Haag, bei dem sich erstmals die Staats- und Regierungschefs aller Mitgliedstaaten versammelten, zu einer Überwindung der Blockade geführt. Ab 1974 fanden diese Gipfeltreffen unter der Bezeichnung „Europäischer Rat“ regelmäßig statt, und obgleich er nicht ausdrücklich als Gemeinschaftsorgan in die EG-Verträge aufgenommen wurde, entwickelte sich der Europäische Rat rasch zu der wichtigsten Institution, auf deren Initiativen die meisten Integrationserfolge der 1970er Jahre zurückgingen. So konnten die Staats- und Regierungschefs mehrere eingefahrene Probleme lösen, an denen die Gemeinschaft zuvor gelitten hatte: 1969 vereinbarten sie die Einführung von finanziellen Eigenmitteln für die Gemeinschaft, 1970 die Einrichtung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ), die eine bessere Koordinierung der Regierungen vor allem in außenpolitischen Fragen zum Ziel hatte. 1973 kam es zur Erweiterung der EG um Großbritannien, Irland und Dänemark, 1976 wurde beschlossen, dass die Mitglieder des Europäischen Parlaments ab 1979 direkt gewählt und nicht mehr, wie bisher, von den nationalen Parlamenten ernannt werden sollten. Die Etablierung regelmäßiger Gipfeltreffen bewirkte allerdings auch, dass die Europäische Kommission, die in den ersten Jahren den Integrationsprozess maßgeblich beeinflusst hatte, an Gewicht verlor. Wichtige Entscheidungen – etwa in der Außen- und Währungspolitik – wurden nun nicht mehr supranational getroffen, sondern intergouvernemental zwischen den Regierungen abgestimmt.

Zugleich mehrten sich seit Mitte der siebziger Jahre immer deutlichere Krisenerscheinungen. Die Ölschocks von 1973 und 1979 führten zum Anstieg der Arbeitslosigkeit, zu nationalen Alleingängen bei der Bekämpfung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und ab 1981 zur tiefsten Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg; hinzu kam die Sorge vor einem Zurückbleiben der europäischen gegenüber der amerikanischen und japanischen Wirtschaft. Neben diese ökonomische Stagnation trat außerdem eine politische Lähmung der Gemeinschaft, die vor allem durch Großbritannien ausgelöst worden war. Da das Land aufgrund seiner fehlenden Landwirtschaft kaum Rückflüsse aus dem EG-Agrarfonds erhielt, leistete es im Vergleich mit den übrigen Mitgliedstaaten einen unproportional hohen Nettobeitrag zum Gemeinschaftshaushalt. Die 1979 zur Premierministerin gewählte Margaret Thatcher forderte deshalb eine Absenkung der britischen Zahlungen – und verhinderte mit ihrem Vetorecht alle bedeutenden Initiativen im Europäischen Rat, bis die British Budget Question gelöst sein würde. Diese inneren Schwierigkeiten schließlich fielen zusammen mit einer zunehmend angespannten weltpolitischen Lage: Nach der Entspannungsphase Anfang der siebziger Jahre hatte im Ost-West-Konflikt der Rüstungswettlauf wieder eingesetzt, 1979 kam es kurz nacheinander zum NATO-Doppelbeschluss und zum Angriff der Sowjetunion auf Afghanistan. Die mangelnde politische Handlungsfähigkeit der EG – die noch auf der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa 1973-75 als ein maßgeblicher Akteur der Entspannungspolitik aufgetreten war – erschien vor diesem Hintergrund noch einmal gravierender.

In dieser Situation versuchten die Außenminister Genscher und Colombo 1981 mit ihrem Plan, die Europäische Gemeinschaft wiederzubeleben und weitere Blockaden zu verhindern. Ausdrückliches Ziel war dabei die Konzentration auf Maßnahmen, die unter den Regierungen konsensfähig und kurzfristig erreichbar sein sollten: Zunächst ohne die bestehenden EG-Verträge zu verändern – erst nach fünf Jahren sollte im Licht der gesammelten Erfahrungen über eine Revision beraten werden –, sollten sich die Staats- und Regierungschefs mit einer „Europäischen Akte“ zu dem Ziel einer intensivierten politischen Zusammenarbeit bekennen, die unter dem Dach einer neuen „Europäischen Union“ angesiedelt wäre. Der Ministerrat sollte künftig auch in der Zusammensetzung der Justiz- und der Kulturminister tagen, außerdem sollte als neue Institution ein „ausbaufähiges Sekretariat der Europäischen Politischen Zusammenarbeit“ eingerichtet werden. Nationale Vetomöglichkeiten sollten reduziert, die Kompetenzen des Europäischen Parlaments geringfügig erweitert werden. Es würde künftig „zu allen Bereichen der Europäischen Union mündliche oder schriftliche Anfragen an die Ministerräte und an die Kommission richten“ und Empfehlungen unterbreiten dürfen, aber weiterhin so gut wie keine eigenen Entscheidungsbefugnisse besitzen. Maßgeblich für die Entwicklung der Gemeinschaft sollten auch künftig die jeweils nationalen Regierungen bleiben: Der Europäische Rat sollte nach dem vorgeschlagenen Text der Akte „das politische Lenkungsorgan der Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Politischen Zusammenarbeit“ sein und damit endgültig zum Integrationsmotor werden.[4]

Dieser Ansatz der beiden Außenminister kontrastierte scharf mit den Europavorstellungen der europäischen Föderalisten, deren bekanntester Vertreter Altiero Spinelli war. Für ihn konnte die Lösung der Probleme der Gemeinschaft nicht in einer Intensivierung der intergouvernementalen Regierungszusammenarbeit, sondern nur in deren Überwindung zugunsten der supranationalen Ebene liegen. 1907 geboren, war Spinelli zunächst im kommunistischen Widerstand gegen den italienischen Faschismus aktiv gewesen; von 1927 bis 1943 war er deshalb zunächst zehn Jahre in Haft und danach auf die Gefängnisinseln Ponza und Ventotene verbannt. Angesichts der stalinistischen Gewalttaten in der Sowjetunion distanzierte er sich hier von der Kommunistischen Partei und näherte sich stattdessen den Ideen des europäischen Föderalismus an.[5] Zusammen mit Ernesto Rossi und anderen Mitgefangenen verfasste er 1941 das „Manifest von Ventotene“, in dem die absolute Souveränität der Nationalstaaten als struktureller Grund für Totalitarismus und Krieg dargestellt und ein europäischer Bundesstaat als einzige dauerhafte Friedenslösung propagiert wurde. Die Einrichtung dieses Bundesstaats sollte auf revolutionäre Weise erreicht werden: In der „kurzen intensiven Zeitspanne allgemeiner Krise“, die auf das Ende des Weltkrieges folgen würde, sollte durch eine „wahre revolutionäre Bewegung“ die nationalstaatliche Souveränität überwunden und eine europäische Verfassung in Kraft gesetzt werden.[6]

Nach seiner Freilassung rief Spinelli das italienische Movimento Federalista Europeo ins Leben, 1946 war er an der Gründung der Union Europäischer Föderalisten beteiligt, die die Idee der europäischen Integration in der Nachkriegszeit maßgeblich vorantrieb. Der Plan einer europäischen Verfassung scheiterte allerdings; die Bemühungen der Föderalisten führten 1949 lediglich zur Gründung des Europarats, der jedoch die Souveränität der Nationalstaaten nicht in Frage stellte und in der Praxis weitgehend machtlos blieb.

Erfolgreich war stattdessen das Projekt der Europäischen Gemeinschaften, das sich zunächst auf die wirtschaftliche Integration konzentrierte. In ihrem Mittelpunkt stand eine nicht gewählte supranationale Kommission, die vom Rat der nationalen Minister kontrolliert wurde, während das Parlament der Gemeinschaften kaum Kompetenzen besaß. Für Spinelli blieb dieser Ansatz unbefriedigend, dennoch erkannte er in der EG die einzig erfolgreiche Institution, mit der die europäische Integration auch im politischen Bereich vorangetrieben werden konnte. 1952 überzeugte er den italienischen Ministerpräsidenten de Gasperi, sich im Rahmen der geplanten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft auch für die Gründung einer umfassenden Europäischen Politischen Gemeinschaft einzusetzen, die der Weiterentwicklung zu einem europäischen Bundesstaat offen stehen sollte; 1954 schlug er vor, dem Europäischen Parlament ein verfassunggebendes Mandat zu erteilen, mit dem es über den weiteren Verlauf der Integration bestimmen sollte. Beide Vorhaben scheiterten jedoch, als die Ratifizierung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft und damit verbunden der Europäischen Politischen Gemeinschaft im französischen Parlament abgelehnt wurde.[7]

1970 wurde Spinelli selbst Mitglied der Europäischen Kommission, wo er für Industrie und Handel zuständig war. Allerdings hielt er auch in diesem Amt die Idee einer europäischen verfassunggebenden Versammlung aufrecht. Die Gelegenheit dazu schien gekommen, als 1976 der Europäische Rat beschloss, das Europäische Parlament ab 1979 unmittelbar von der Bevölkerung wählen zu lassen. Zwar sollte die Direktwahl nicht mit zusätzlichen Befugnissen für das Parlament verbunden sein; nach den Vorstellungen der Staats- und Regierungschefs würde es auch weiterhin nur in bestimmten wirtschaftspolitischen Bereichen als beratende Institution tätig werden. Die hohe demokratische Legitimation, die es durch die Direktwahl gewann, erschien Spinelli jedoch als Möglichkeit, aus dem Rahmen der bestehenden EG-Verträge auszubrechen und dem Europäischen Parlament von innen heraus neue Kompetenzen zu schaffen.[8] Als Unabhängiger auf der Liste der italienischen Kommunisten gewählt, machte er sich deshalb ab 1979 daran, das föderalistische Konzept einer verfassunggebenden Versammlung auch ohne formales Mandat umzusetzen.

Die Krise, in der sich die EG seit Mitte der siebziger Jahre befand, musste Spinelli als ein weiterer Beweis für die Unzulänglichkeit der bisherigen Integrationsmethode erscheinen, da es weder der supranational-technokratischen Kommission noch dem intergouvernementalen Europäischen Rat gelang, überzeugende Vorschläge für eine Wiederbelebung des Einigungsprozesses zu präsentieren. Den letzten Ausschlag gab schließlich ein Konflikt über den Haushaltsplan der Gemeinschaften, der verdeutlichte, dass das Parlament ohne eine grundlegende institutionelle Reform auch weiterhin kaum Einfluss würde ausüben können: Nachdem es Ende 1979 auf Betreiben Spinellis den Etatvorschlag des Rates abgelehnt hatte (eine der wenigen Kompetenzen, die ihm nach den bestehenden Verträgen zustanden), legte der Rat diesen wenige Monate später mit nur kleinen Veränderungen erneut vor – und stieß diesmal auf Zustimmung, da die Abgeordneten neben der wirtschaftlichen und politischen nicht auch noch eine finanzielle Blockade der Gemeinschaften riskieren wollten.[9]

Noch am selben Tag, an dem der Haushaltsausschuss des Parlaments den neuen Etatvorschlag annahm, verschickte Spinelli an alle übrigen Abgeordneten einen Brief, in dem er ihnen das Projekt einer europäischen Verfassung unterbreitete, die das Parlament ausarbeiten sollte. Zwei Wochen später traf sich daraufhin am 9. Juli 1980 eine kleine fraktionenübergreifende Gruppe von Abgeordneten – die nach dem Straßburger Restaurant, in dem das Treffen stattfand, als Club du Crocodile bekannt wurde –, um eine entsprechende Initiative vorzubereiten. Das Besondere an ihrem Plan war, dass er die nationalen Regierungen vollkommen aus dem Reformprozess herauszuhalten versuchte: Sobald das Europäische Parlament den Verfassungsentwurf ausgearbeitet haben würde, sollte er unmittelbar den Parlamenten der Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorgelegt werden. Obwohl dieses Vorhaben insbesondere in der christdemokratischen Fraktion auch auf Widerstand stieß[10], wuchs der Club du Crocodile in den folgenden Monaten auf bis zu 180 Mitglieder an. Am 9. Juli 1981 nahm das Parlament schließlich mit großer Mehrheit einen Entschließungsantrag an, dem zufolge ein neu einzusetzender Ausschuss für institutionelle Fragen Vorschläge für eine Strukturreform der Gemeinschaft unterbreiten sollte. Ausschussvorsitzender sollte der italienische Sozialist Mauro Ferri werden, Spinelli selbst wurde Berichterstatter für das Projekt eines Verfassungsvertrags für die „Europäische Union“, wie das Konzept einer nicht mehr nur wirtschaftlich, sondern auch politisch ausgerichteten Gemeinschaft nun üblicherweise genannt wurde. Vor allem auf Betreiben der christdemokratischen Fraktion wurde allerdings festgelegt, dass der Ausschuss seine Arbeit erst ab Beginn der zweiten Hälfte der Legislaturperiode Anfang 1982 aufnehmen sollte.

In dieser Situation nun wurde das Parlament Anfang November 1981 mit der Initiative Genschers und Colombos konfrontiert. Unter den Abgeordneten stieß sie auf gemischte Reaktionen: Zwar wurde von einigen die mangelnde Reichweite des Plans kritisiert, vielen erschien er aber auch als der einzige kurzfristig realisierbare Reformansatz. Spinelli musste daher das Verfassungsprojekt des Club du Crocodile verteidigen, noch bevor es vollständig in Gang gesetzt war.

Die kurze Stellungnahme, mit der er in der Plenardebatte auf Genschers und Colombos Vorträge antwortete – er hatte die zehn Minuten Redezeit, die jeder Fraktion nach der Geschäftsordnung zustanden, mit einem Abgeordneten der Kommunistischen Partei Frankreichs teilen müssen –, begann mit einem knappen Lob an die Außenminister, überhaupt die Initiative zu einer politischen Union ergriffen zu haben. Wie aus Spinellis Tagebuch hervorgeht, folgte aber schon dieses Zugeständnis letztlich nur den Bitten anderer Fraktionsmitglieder.[11] Der Hauptteil der Rede war einer grundsätzlichen Kritik an dem Vorgehen Genschers und Colombos gewidmet. Auch wenn er den guten Willen der Minister und ihrer Mitarbeiter nicht in Zweifel zog, argumentierte Spinelli, dass diese grundsätzlich nicht in der Lage seien, ein erfolgreiches Integrationsprojekt zu entwickeln.

Diese Skepsis gegenüber diplomatischen Verhandlungen hatte eine lange, bis auf die Zwischenkriegszeit zurückgehende Tradition im föderalistischen Integrationsverständnis. In einem bekannten Vortrag unter dem Titel Pacifism is not enough hatte der englische Föderalist Lord Lothian bereits 1935 argumentiert, dass auch friedliebende Regierungen den Ausbruch von Kriegen nicht verhindern könnten, da dieser auf die strukturellen Handlungszwänge nationaler Politiker in einem System der „Anarchie der souveränen Staaten“ zurückgehe; Lord Lothian hatte daher den Völkerbund als unzureichend kritisiert und die Schaffung einer übernationalen Staatsorganisation gefordert.[12] Ende der 1950er Jahre, nach dem Scheitern der Europäischen Politischen Gemeinschaft, hatte Spinelli selbst in mehreren Schriften dargelegt, dass die nationalen Regierungen aus strukturellen Gründen keine politischen Vorschläge entwickeln könnten, mit denen sie die nationale Souveränität und damit ihre eigene Macht in Frage stellten.[13] Nun variierte er dieses Argument im Sinne des Club du Crocodile: Auch wenn die Diplomaten, die den Genscher-Colombo-Plan ausgearbeitet hatten, dabei die besten Intentionen gehabt hätten, sei von ihnen kein Entwurf zur Stärkung der supranationalen Institutionen zu erwarten gewesen. Vielmehr führe der Ansatz des deutschen und italienischen Ministers lediglich zu einer Vervielfältigung der intergouvernementalen Organe und damit zu einer Verzettelung der gemeinsamen Politik. Eine echte europäische Verfassung hingegen könne nur durch das Europäische Parlament initiiert werden, in dem Spinelli – wie er in der Rede mehrmals betonte – die legitime Vertretung des „europäischen Volkes“ sah, also des Souveräns eines möglichen europäischen Bundesstaats.

Allerdings beschränkte sich Spinelli nicht auf eine Ablehnung des Genscher-Colombo-Plans, sondern ging noch einen Schritt weiter, indem er den nationalen Regierungen einen Vorschlag zur provisorischen weiteren Gestaltung ihrer Zusammenarbeit machte: Bis der Verfassungsentwurf des Parlaments verabschiedet und ratifiziert sein würde, sollten sie vorläufig einen außen- und sicherheitspolitischen Sonderbevollmächtigten ernennen. Seinem Tagebuch zufolge wollte Spinelli für dieses Amt den französischen Sozialisten Claude Cheysson empfehlen, der ab 1973 in der Europäischen Kommission für Entwicklungspolitik zuständig gewesen und im Mai 1981 zum französischen Außenminister ernannt worden war; die entsprechenden Passagen der Rede fielen jedoch der Zeitbegrenzung zum Opfer.[14] Die Art und vor allem die Begründung dieses Vorschlags – in Anlehnung an die Bevollmächtigten der Alliierten in den Weltkriegen – verdeutlichen, wie sehr die Schwierigkeiten der frühen achtziger Jahre von Spinelli als Existenzkrise der Gemeinschaft verstanden wurden, in der die intergouvernementale Zusammenarbeit auch kurzfristig keine Erfolge mehr versprach.

Für die Regierungen der europäischen Staaten waren diese Vorschläge freilich nicht annehmbar. Hatten schon Genscher und Colombo wenig Einsatz für eine Stärkung der supranationalen Institutionen gezeigt, so lehnte Großbritannien unter Margaret Thatcher jegliche Form einer vertieften Integration mit dem Hinweis auf den überhöhten britischen Nettobeitrag zum Haushalt der Gemeinschaft ab. Da sich der Konflikt um die British Budget Question während der nächsten Jahre noch weiter verschärfte, konnte sich selbst der deutsch-italienische Plan – der sich nach den Worten Genschers doch darauf beschränkte, „das Erreichbare zu formulieren“[15] – nicht durchsetzen. Auf dem Europäischen Rat von London wurde Ende November 1981 zunächst eine intergouvernementale Arbeitsgruppe zu dem Projekt eingesetzt, die in ihren über ein Jahr andauernden Beratungen die Vorschläge weiter zurückschnitt.[16] Bei einer Aussprache, die im Oktober 1982 im Europäischen Parlament über den Zwischenstand der Verhandlungen stattfand, kritisierte Spinelli die Initiative Genschers und Colombos deshalb noch einmal als wirkungslos: Sie sei zum Scheitern verurteilt, „und zwar nicht wegen Ihrer Vorschläge, sondern wegen des von Ihnen eingeschlagenen Wegs“.[17] Stattdessen empfahl er erneut das Verfassungsprojekt des Parlaments als Angelpunkt für die institutionelle Reform der Gemeinschaft. Zuletzt kam es im Juni 1983 auf dem Europäischen Rat von Stuttgart zu einer „feierlichen Erklärung“ der Regierungen, die gewisse Inhalte des Plans aufgriff, aber keinerlei rechtlich bindende Wirkung hatte und in der Praxis weitgehend folgenlos blieb.

Doch auch Spinellis Entwurf einer Europäischen Union scheiterte wenig später. Zwar nahm der Ausschuss für institutionelle Fragen wie vorgesehen seine Arbeit auf und präsentierte am 14. Februar 1984 einen Verfassungsvertrag, der vom Europäischen Parlament mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Er sah eine Erweiterung der Kompetenzen der Union auf den außen- und sicherheitspolitischen Bereich vor, führte erstmals ein legislatives Mitentscheidungs- und Initiativrecht für das Parlament ein und reduzierte die Vetomöglichkeiten einzelner nationaler Regierungen im Rat. Spinellis Plan, diesen Entwurf unter Umgehung der Regierungen unmittelbar von den Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifizieren zu lassen, erwies sich jedoch als perspektivlos. Obwohl die Verfassungsinitiative selbst in vielen Staaten auf Lob stieß, wurde darüber nur in wenigen nationalen Parlamenten offiziell debattiert und in keinem einzigen abgestimmt. Auch der französische Staatspräsident François Mitterrand, zu dieser Zeit Vorsitzender des Europäischen Rates, machte sich am 23. Mai 1984 in einer viel beachteten Rede im Europäischen Parlament zwar die Inhalte des Verfassungsentwurfes zu Eigen. Er beschränkte sich dabei jedoch auf den Vorschlag, „vorbereitende Gespräche in Angriff zu nehmen, die zu einer Konferenz der beteiligten Mitgliedstaaten führen könnten“[18] – ging also gerade nicht auf die von Spinelli angestrebte Vorgehensweise zur Ratifizierung ein.

Die Entscheidung fiel schließlich auf dem Europäischen Rat von Fontainebleau im Juni 1984. Hier wurde nicht nur das britische Nettobeitragsproblem endlich gelöst, sondern auch ein Ausschuss von Regierungsvertretern eingesetzt, der Vorschläge zu einer institutionellen Reform erarbeiten sollte – auf der Grundlage der existierenden Entwürfe, aber ohne jede Beteiligung des Parlaments. Ende 1985 beschlossen die Staats- und Regierungschefs schließlich die Einheitliche Europäische Akte, einen Reformvertrag, dessen institutionelle Neuerungen sich allerdings eher am Genscher-Colombo-Plan als am Spinelli-Entwurf orientierten. Die Überwindung der Integrationskrise der frühen achtziger Jahre erfolgte also auf intergouvernementale Weise durch den Europäischen Rat, nicht auf dem Weg einer föderalistischen Verfassung. Diese erschien nun immer mehr als unrealistisch und wurde selbst als Möglichkeit kaum noch in Betracht gezogen. Am 31. Dezember 1985, wenige Monate vor seinem Tod, notierte Spinelli in seinem Tagebuch: „Was bei der Initiative des Crocodile noch ernsthaft gewesen ist, wäre heute lächerlich.“[19]

Und auch wenn zahlreiche Inhalte des Spinelli-Entwurfs – etwa das Mitentscheidungsverfahren im Gesetzgebungsprozess, nicht aber das Initiativrecht für das Parlament – im Vertrag von Maastricht 1992 doch noch Aufnahme in das politische System der Europäischen Union fanden, war zu diesem Zeitpunkt längst deutlich geworden, dass die Regierungen der Mitgliedstaaten nicht darauf verzichten würden, als Herren der Verträge die Kontrolle über den Integrationsprozess zu behalten. Auch der neue Entwurf eines europäischen Verfassungsvertrags, der 2004 vom Europäischen Rat verabschiedet wurde und letztlich an nationalen Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte, folgte einer Initiative der nationalen Regierungen. Obwohl die Idee einer verfassunggebenden Versammlung mit dem Europäischen Konvent noch einmal aufgegriffen wurde, wurden dessen Vorschläge anschließend wie selbstverständlich von einer Regierungskonferenz der Mitgliedstaaten modifiziert. Das Europäische Parlament arbeitete an diesen Vertragsreformen zwar mit – das in den Augen Altiero Spinellis einzige Organ, „das im Namen des europäischen Volks, das es gewählt hat, sprechen und Vorschläge machen darf“[20], trat jedoch nicht mehr als Impulsgeber des Integrationsprozesses in Erscheinung.



[1] Essay zur Quelle: Rede von Altiero Spinelli zur Genscher/Colombo-Initiative vor dem Europäischen Parlament (19. November 1981).

[2] Rede von Hans-Dietrich Genscher vor dem Europäischen Parlament (19. November 1981), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Anhang: Verhandlungen des Europäischen Parlaments 1-277 (19.11.1981), S. 233-236, hier S. 235; auch online in: European Navigator, (31.08.2009).

[3] Rede von Emilio Colombo vor dem Europäischen Parlament (19. November 1981), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Anhang: Verhandlungen des Europäischen Parlaments 1-277 (19.11.1981), S. 236-239, hier S. 237.

[4] Gemeinsamer deutsch-italienischer Vorschlag für die Fortentwicklung der Europäischen Gemeinschaft zur Europäischen Union, zit. nach: Rosengarten, Ulrich, Die Genscher-Colombo-Initiative. Baustein für die Europäische Union, Baden-Baden 2008, S. 199-206. Zu den Zielen des Vorschlags im Einzelnen vgl. ebd., S. 49f.

[5] 1937, kurz nach seiner Verlegung nach Ponza, wurde Spinelli als „Trotzkist“ aus der Partei ausgeschlossen (vgl. Graglia, Piero S., Altiero Spinelli, Bologna 2008, S. 119-123).

[6] Spinelli, Altiero; Rossi, Ernesto, Per un’Europa libera e unita – Progetto d’un manifesto, zit. nach: Spadolino, Giovanni (Hg.), Per l’unità europea: dalla “Giovine Europa” al “Manifesto di Ventotene”, Florenz 1984, S. 105-118, hier S. 109 und 112; deutsche Übersetzung auch online in: European Navigator, (31.08.2009).

[7] Vgl. Chiti-Batelli, Andrea, L’idea d’Europa nel pensiero di Altiero Spinelli, Manduria 1989, S. 167-189.

[8] Tatsächlich hatte Spinelli eine Direktwahl des Europäischen Parlaments noch 1960 öffentlich abgelehnt, da ein gewähltes Parlament ohne legislative Befugnisse und ohne eine echte europäische Regierung sinnlos sei; 1978 betonte er dagegen, dass das Parlament als gewählte europäische Volksvertretung höheren Druck auf die Kommission und die Mitgliedstaaten ausüben und eine verfassunggebende Rolle würde einfordern können (vgl. Chiti-Batelli, L’idea d’Europa, S. 267-289).

[9] Spinelli versuchte dabei bis zuletzt, ein positives Votum zu verhindern, vor allem um die Position des Parlaments im institutionellen Gefüge der EG zu stärken. In seinem Tagebuch bemerkte er: „Es ist nicht so schlimm, dass in dieser Materialschlacht der Rat gewonnen hat. Es ist schlimm, dass das Parlament meint, einen Teilsieg errungen zu haben, und sich fast noch beim Rat dafür bedankt“ (Spinelli, Altiero, Diario europeo, hg. von Paolini, Edmondo, Bd. 3: 1976-1986, Bologna 1992, S. 485, Übersetzung MM).

[10] Vgl. Pasquinucci, Daniele, Europeismo e democrazia. Altiero Spinelli e la sinistra europea 1950-1986, Bologna 2000, S. 331-334.

[11] Spinelli, Diario, S. 693.

[12] Kerr, Philipp (Marquess of Lothian), Pacifism is not enough nor patriotism either, in: Pinder, John; Bosco, Andrea (Hgg.), Pacifism is not enough. Collected Lectures and Speeches of Lord Lothian (Philip Kerr), London 1990, S. 217-263, bes. S. 231-241.

[13] Vgl. Chiti-Batelli, L’idea d’Europa, S. 197-212, bes. S. 199 und 209.

[14] Spinelli, Diario, S. 697.

[15] Rede von Hans-Dietrich Genscher vor dem Europäischen Parlament (wie Anm. 1), S. 235.

[16] Neben Großbritannien lehnten vor allem Dänemark und Griechenland das Projekt ab, von dem sie eine Einschränkung ihrer Souveränität befürchteten (vgl. Rosengarten, Genscher-Colombo-Initiative, S. 74f.).

[17] Rede von Altiero Spinelli vor dem Europäischen Parlament (14. Oktober 1982), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Anhang: Verhandlungen des Europäischen Parlaments 1-289 (14.10.1982), S. 282.

[18] Rede von François Mitterrand vor dem Europäischen Parlament (23. Mai 1984), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Anhang: Verhandlungen des Europäischen Parlaments 1-314 (23.05.1984), S. 273-279, hier S. 278; auch online in: European Navigator, (31.08.2009).

[19] Spinelli, Diario, S. 1286 (Übersetzung MM).

[20] Vgl. die Quelle zu diesem Essay: Rede von Altiero Spinelli zur Genscher/Colombo-Initiative vor dem Europäischen Parlament (19. November 1981).



Literaturhinweise:

  • Bosco, Andrea, A „Federator“ for Europe: Altiero Spinelli and the Constituent Role of the European Parliament (EUI Working Paper RSC 94/19), San Domenico 1994.
  • Chiti-Batelli, Andrea, L’idea d’Europa nel pensiero di Altiero Spinelli, Manduria 1989.
  • Graglia, Piero S., Altiero Spinelli, Bologna 2008.
  • Rosengarten, Ulrich, Die Genscher-Colombo-Initiative. Baustein für die Europäische Union, Baden-Baden 2008.

Zugehörige Quelle im französischen Original:
Discours de Altiero Spinelli sur l’initiative Genscher/Colombo devant le Parlement Européen (19 novembre 1981)

Rede von Altiero Spinelli zur Genscher/Colombo-Initiative vor dem Europäischen Parlament (19. November 1981)[1]

Frau Präsidentin, ich möchte noch einmal eine Hilfssprache benutzen.

Wenn ich gläubig wäre, würde ich mit den Worten beginnen „Gott helfe mir!“ Denn eine derartige unerklärliche Hilfe brauche ich für das, was ich in den mir von der Geschäftsordnung zugebilligten erbärmlichen 5 Minuten zu sagen versuche. Ich will versuchen, Herr Genscher und Herr Colombo, Sie dazu aufzufordern, über sich selbst hinauszuwachsen, um der Aufgabe gerecht zu werden, die Sie sich selber vorgenommen haben.

Wir sind Ihnen, Herr deutscher und Herr italienischer Außenminister, vornehmlich für Ihre Initiative dankbar, denn mit dem Vorschlag dieser europäischen Akte haben Sie mit einem Tabu gebrochen, das schon viel zu lange auf dem gesamten europäischen Aufbauwerk lastete: das Tabu, wonach es verboten war, den Blick über die der Gemeinschaft obliegenden Wirtschaftsaufgaben hinaus zu richten. Ihnen kam das Verdienst zu, daß Sie jetzt den Augenblick für gekommen halten, mit den Arbeiten zum allmählichen Aufbau der europäischen Union zu beginnen, d. h. einer politischen Union, die sich natürlich auch der Vertiefung der gemeinsamen Wirtschaftspolitik, aber auch der Förderung einer gemeinsamen Außenpolitik und einer gemeinsamen Sicherheitspolitik annimmt. Es müssen also gemeinsam diplomatische und strategische Initiativen ergriffen werden, die geeignet sind, das Friedenswerk aktiv zu fördern.

Wir danken Ihnen also dafür, daß Sie unsere Regierungen, unsere Gemeinschaft, unsere Völker zu der Überlegung veranlaßt haben, daß diese neuen gemeinsamen Politiken gemeinsamer Entscheidungs- und Durchführungsinstrumente bedürfen. Dennoch, meine Herren Minister, wie haben Sie sich in dieser Initiative als kleingläubig und phantasiearm erwiesen! Ich habe nicht vergessen, Herr Genscher, dass Sie vor 6 oder 7 Jahren Ihre Partei davon überzeugt haben, daß sie sich für eine europäische verfassunggebende Versammlung einsetzen muß. Sie haben es aber vielleicht vergessen. Vor nicht allzulanger Zeit, am 26. November 1980, als Sie von dieser Wiederbelebung der europäischen Union zu sprechen begannen, haben Sie im Bundestag etwa folgendes gesagt: „Ich habe nicht den Eindruck, daß die Impulse, sich mit einem Verfassungsentwurf für Europa zu befassen, von den nationalen Regierungen kommen können. Sie können nur aus dem direkt gewählten Europäischen Parlament kommen.“ Als Sie dies aussprachen, wussten Sie, daß die Initiative des „Krokodilclubs“ in diesem Parlament bereits anlief. Und ich will gerne zugeben, daß es Schuld des Parlaments ist, bei Übernahme dieser Aufgabe viel zu langsam gewesen zu sein … Es hat sie aber schließlich übernommen, und in Kürze wird es sich an die Arbeit machen, Sie aber, Herr Genscher, Sie hatten keine Geduld. Sie haben sich im Parlament sehr schnell den Schneid abkaufen lassen. Sie haben sehr schnell Ihren Diplomaten die Abfassung dieser Akte übertragen. Und Sie haben von ihnen bekommen, was sie [sic] selbst schon ahnten: sie haben Ihnen nämlich eine n-te Variante einer regierungsübergreifenden Zusammenarbeit vorgeführt und angedreht.

(Beifall auf einzelnen Bänken)

Sie kennen doch das Sprichwort „Auch das schönste Mädchen der Welt kann nur das geben, was es hat.“ Ihre Diplomaten können auch nicht mehr. Ich gebe zu, daß Ihnen im Augenblick nichts anderes zur Verfügung steht als diese regierungsübergreifende Zusammenarbeit und daß Sie über sie darauf hinwirken müssen, die brennendsten internationalen Probleme zu überwinden. Wir bitten Sie aber, genau zu bedenken, wie provisorisch, zufallsbedingt und anfällig diese Methode ist. Sagen Sie uns jetzt nicht, in fünf Jahren – zu Beginn sagten Sie in drei Jahren, jetzt sind es aber bereits schon fünf Jahre geworden – wird der Rat im Licht der Erfahrung, falls erforderlich, einen Vertrag zur Festigung der Union vorschlagen … Sagen Sie lieber, daß man keine Erfahrungen machen wird, daß diejenigen, die hören wollen, in dieser Frage bestens Bescheid wissen, daß Sie aber Ihr möglichstes tun werden, um diese ungewisse und zerbrechliche Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten, um dem Parlament die 2 oder 2½ Jahre zu geben, die es braucht, um den Entwurf eines Grundgesetzes der europäischen Union vorzubereiten und den Mitgliedstaaten zur Ratifizierung vorzulegen. In diesem Fall würde das Europäische Parlament im Namen des europäischen Volks, das es gewählt hat, vorbehaltlos Ihre Initiative begrüßen und sich ermutigt fühlen, seine Verfassungsarbeit zu beschleunigen, um Ihnen schnellstmöglich in Ihrer bedrängten Lage zu Hilfe zu kommen, die auf Dauer nicht haltbar ist. Und Sie hätten sich um Europa verdient gemacht.

Ich möchte auch Herrn Colombo sagen – der im Augenblick abwesend ist –, der sich als Erbe des europäischen Geists De Gasperis betrachtet, daß ich auch ihn auffordern werde, dieselbe Ausdauer unter Beweis zu stellen, die De Gasperi zeigte, als er seinen Kollegen ähnliche Vorschläge machte.

Aber, Herr Minister, von diesem Parlament, dem einzigen Organ, das im Namen des europäischen Volks, das es gewählt hat, sprechen und Vorschläge machen darf, von diesem Parlament müssen Sie die Zukunft Europas erwarten und nicht von ihren interministeriellen Vorschlägen!

Ich habe außerdem gesagt, daß es Ihnen an Phantasie mangelte. Sie sind sich zwar darüber im klaren, daß unsere Regierungen vorläufig und unverzüglich zusammenarbeiten müssen, um hier und da ein Mindestmaß an gemeinsamer Politik, schließlich aber, sagen wir es deutlich, vor allem eine gemeinsame Sicherheitspolitik zu erreichen. Und Sie sind sich darüber im klaren, daß Sie sich nicht darauf beschränken dürfen, deren Notwendigkeit zu proklamieren, sondern daß Sie es mit einem Mindestmaß an Effizienz machen müssen. In Ihrer Akte aber suchen Sie die Effizienz in einer Vervielfältigung von Räten, Ausschüssen, Unterausschüssen, in einem ausgefallenen Sekretariat mit variablen Strukturen und Sitzen, d. h. in einer Vervielfältigung von Organen und Gremien, alle mit der gleichen regierungsübergreifenden Eigenschaft. Und dann, wenn alles von diesen Ausschüssen und Räten durchgeknetet und verdaut worden ist, dann würde sich Ihnen zufolge jeder Staat ausrechnen, was an politischer Errungenschaft dabei herausgekommen ist.

Meine Herren Minister, haben Sie noch nie gehört, daß die Alliierten im Ersten und Zweiten Weltkrieg – als sie sich im Notstand befanden, der sie zu einer gemeinsamen Militärpolitik an den Kriegsfronten, zu einer gemeinsamen Nachschubpolitik und zu einer gemeinsamen Kontrolle ihrer Währungen zwang – durch ähnliche Akte wie die Ihren, ohne juristische Formalitäten, ohne institutionelle Verpflichtung, ohne zukünftige Entwicklungen zu präjudizieren, daß sie beschlossen haben, einen Foch, einen Eisenhower, einen Monnet zu ihren jeweiligen Bevollmächtigten zu ernennen? Genau dies sollten Sie vorschlagen, um Ihren Initiativen in der derzeitigen Lage, provisorisch, in Form der Zusammenarbeit zwischen den Regierungen, zum Durchbruch zu verhelfen.

(Beifall)


[1] Rede von Altiero Spinelli zur Genscher/Colombo-Initiative vor dem Europäischen Parlament (19. November 1981), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften, Anhang: Verhandlungen des Europäischen Parlaments 1-277 (19. November 1981), S. 244f.


Discours de Altiero Spinelli sur l’initiative Genscher/Colombo devant le Parlement Européen (19 novembre 1981)[1]

Madame le Président, je vais employer encore une fois une langue véhiculaire.

Si j'étais croyant, je commencerais par les mots «Gott helf mir ! - que Dieu m'aide !» Car d'une telle sorte d'aide mystérieuse j'ai besoin pour ce que je vais essayer de dire au cours de ces misérables cinq minutes que le Règlement m'attribue. Je vais essayer, Monsieur Genscher et Monsieur Colombo, de vous convier à vous placer au-dessus de vous-mêmes, à la hauteur de la tâche que vous vous êtes assignée.

Nous vous sommes reconnaissants avant tout, Messieurs les ministres allemand et italien, pour votre initiative car en proposant cet acte européen, vous avez brisé un tabou qui pesait depuis trop longtemps sur toute la construction européenne: le tabou qui interdisait de regarder au-delà des tâches économiques propres à la Communauté. Vous avez eu le mérite de dire que le moment est venu de commencer à agir pour créer progressivement l'Union européenne, c'est-à-dire une union politique qui soit engagée pour approfondir, bien sûr, les politiques économiques communes, mais aussi pour promouvoir une politique extérieure commune et une politique commune de la sécurité, donc pour entreprendre en commun des initiatives d'ordre diplomatique et stratégique aptes à promouvoir activement la construction de la paix.

Merci donc d'obliger nos gouvernements, notre Communauté, nos peuples à considérer que ces politiques communes nouvelles ont besoin d'instruments communs de décision et d'action. Toutefois, Messieurs les ministres, que vous avez été, dans cette initiative, des hommes de peu de foi, des hommes de peu d'imagination ! Je n'ai pas oublié, Monsieur Genscher, qu'il y a six ou sept ans, vous avez convaincu votre parti à s'engager pour une Assemblée constituante européenne. Mais vous l'avez peut-être oublié. Plus récemment, le 26 novembre 1980, quand vous avez commencé à parler de cette relance de l'Union politique européenne, vous avez prononcé au Bundestag les mots suivants: «Je n'ai pas l'impression que les impulsions à s'occuper d'un projet de constitution pour l'Europe puissent venir des gouvernements nationaux. Elles peuvent venir seulement du Parlement européen directement élu». Lorsque vous avez prononcé ces mots, vous saviez que l'initiative du «club du Crocodile» était en marche dans ce Parlement. Et je veux bien reconnaître que le Parlement est coupable d'avoir été trop lent à assumer cette tâche... Mais il l'a enfin assumée, et sous peu il va se mettre au travail. Mais vous, Monsieur Genscher, vous n'avez pas eu la patience. Vous avez vite fait de perdre votre foi dans le Parlement. Vous avez vite fait de confier à vos diplomates la tâche de rédiger cet acte. Et vous avez reçu d'eux ce que vous-même vous aviez prévu: ils vous ont, en effet, offert et fait avaler une nième variante de collaboration intergouvernementale.

(Applaudissements sur certains bancs)

Vous connaissez le proverbe qui dit que «la plus belle fille du monde ne peut donner que ce qu'elle a». Vos diplomaties ne le peuvent pas davantage. Je reconnais que, dans l'immédiat, vous n'avez à votre disposition que cette coopération intergouvernementale et que c'est avec elle que vous devez agir pour affronter les problèmes internationaux les plus brûlants. Mais nous vous demandons d'être bien conscients de ce qu'il y a de provisoire, d'aléatoire et de fragile dans cette méthode. Ne venez pas nous dire que, dans cinq ans - vous aviez dit, au commencement, trois ans, mais ils sont devenus déjà cinq ans - le Conseil, à la lumière de l'expérience proposera si nécessaire un traité pour consolider l'union... Dites plutôt qu'il n'y a pas d'expérience à faire, que pour ceux qui veulent entendre, tout est bien connu dans cette matière, mais que vous ferez votre possible pour maintenir cette coopération incertaine et fragile, pour donner au Parlement les deux ans, deux ans et demi nécessaires pour préparer le projet de loi fondamentale de l'Union européenne et le soumettre à la ratification des États membres. Dans ce cas, le Parlement européen, au nom du peuple européen qui l'a élu, applaudirait sans réserve à votre initiative, se sentirait encouragé à accélérer son travail constituant pour venir le plus tôt possible à votre aide dans votre tranchée qui est, à la longue, intenable. Et vous auriez bien mérité de l'Europe.

Je voudrais aussi dire à M. Colombo - qui est absent - qui se considère l'héritier de l'esprit européen de de Gasperi, que je lui demanderai, à lui aussi, de savoir faire preuve de la ténacité que de Gasperi a eue pour faire des propositions analogues à ses collègues.

Mais, Monsieur le ministre, c'est de ce Parlement, qui est la seule institution ayant le droit de parler et de proposer au nom du peuple européen qui l'a élu, que vous devez attendre l'avenir de l'Europe, et non pas de vos propositions interministérielles!

J'ai dit, en outre, que vous avez manqué d'imagination. Vous avez en effet compris que, provisoirement, et dans les plus brefs délais, nos gouvernements doivent coopérer pour avoir un minimum de politiques communes, ici et là, mais enfin, disons-le clairement, surtout une politique commune en matière de sécurité. Et vous avez compris que vous ne pouvez pas vous borner à en proclamer la nécessité mais que vous devez le faire avec un minimum d'efficacité. Or, dans votre acte, vous allez chercher l'efficacité dans une multiplication de conseils, de comités, de sous-comités, dans un secrétariat saugrenu à structures et sièges variables, c'est-à-dire dans une multiplication de corps et de corpuscules, tous de la même qualité intergouvernementale. Et puis, quand tout aura été trituré et digéré par ces comités et conseils, chaque État, selon vous, ferait son compte de l'acquis politique.

Messieurs les ministres, n'avez-vous jamais entendu dire que, pendant la première et la deuxième guerre mondiale, les alliés - se trouvant dans une situation d'urgence qui les obligeait à avoir une politique militaire commune sur les fronts de guerre, une politique commune de ravitaillement, un contrôle commun de leurs monnaies - ont décidé, par des actes analogues aux vôtres, sans formalités juridiques, sans engagement institutionnel, sans préjugés pour l'avenir, de nommer un Foch, un Eisenhower, un Monnet pour être leurs plénipotentiaires en la matière. C'est ce que vous devriez proposer pour faire avancer vos initiatives dans la situation actuelle, provisoirement, sous la forme de collaboration entre les gouvernements.

(Applaudissements)


[1] Discours de Altiero Spinelli sur l’initiative Genscher/Colombo devant le Parlement Européen (19 novembre 1981) in: Journal officiel des Communautés européennes (JOCE), 14. Oktober 1982, Nr. 1-289, S. 295f., auch online verfügbar unter (31.08.2009).


Für das Themenportal verfasst von

Manuel Müller

( 2009 )
Zitation
Manuel Müller, Diplomatie oder Parlamentarismus Altiero Spinellis Ablehnung des Genscher-Colombo-Plans 1981, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1488>.
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