Geschäftsfeld Europa Kaufmännisches Reisen am Ende des 18. Jahrhunderts

Eine konkrete Vorstellung von der Größe des europäischen Raumes konnten sich im 18. und 19. Jahrhundert Fernhandelskaufleute mehr noch als andere bürgerliche Berufsgruppen verschaffen, führten ihre Kontakte doch zu zahlreichen Reisen in andere Städte und Länder. Die Reichweite der geschäftlichen und privaten Beziehungen der Dufours in Leipzig, einer im 18. Jahrhundert aus Frankreich eingewanderten hugenottischen Kaufmannsfamilie, erstreckte sich von Russland und Polen über Italien bis nach Holland, Dänemark und England. Fernhandelskaufleute und ihre Angehörigen agierten durch die alltägliche Praxis des Reisens in einem spezifischen europäischen Handlungsraum, der jenseits von politischen Konjunkturen eigene Vorstellungen von Europa begründete. [...]

Geschäftsfeld Europa. Kaufmännisches Reisen am Ende des 18. Jahrhunderts[1]

Von Dorothea Trebesius

Eine konkrete Vorstellung von der Größe des europäischen Raumes konnten sich im 18. und 19. Jahrhundert Fernhandelskaufleute mehr noch als andere bürgerliche Berufsgruppen verschaffen, führten ihre Kontakte doch zu zahlreichen Reisen in andere Städte und Länder. Die Reichweite der geschäftlichen und privaten Beziehungen der Dufours in Leipzig, einer im 18. Jahrhundert aus Frankreich eingewanderten hugenottischen Kaufmannsfamilie, erstreckte sich von Russland und Polen über Italien bis nach Holland, Dänemark und England. Fernhandelskaufleute und ihre Angehörigen agierten durch die alltägliche Praxis des Reisens in einem spezifischen europäischen Handlungsraum, der jenseits von politischen Konjunkturen eigene Vorstellungen von Europa begründete. Hier entstanden Beziehungen und Freundschaften, die für den erfolgreichen Abschluss von Geschäften unerlässlich waren, und darüber hinaus erwarben die Familienmitglieder interkulturelle Erfahrungen und Kontakte, die nicht zuletzt ihr alltägliches Leben an ihrem Heimatort bestimmten. Die Briefe von Anne Louise Dufour (1747-1798) an ihren Sohn Ferdinand Dufour (1766-1817) verdeutlichen diese Erfahrungen in spezifischer Weise.

Die Familie Dufour lebte seit dem Ende des 17. Jahrhunderts in Leipzig und betrieb seit dieser Zeit den Handel mit Seide. Mitglieder der Familie waren nach Leipzig geflohen, als Ludwig XIV. mit dem Edikt von Fontainebleau im Jahr 1685 die Toleranzpolitik gegenüber den Reformierten in Frankreich beendete und diese offen verfolgte und unterdrückte. In Leipzig konnten sich die Dufours wirtschaftlich gut etablieren und gehörten in dieser Hinsicht zum Leipziger Bürgertum. Sie besaßen allerdings auch einhundert Jahre nach ihrer Einwanderung noch kein volles Stadtbürgerrecht, sondern lediglich einen Status als „Schutzverwandte“. Die Dufours nahmen am Ende des 18. Jahrhunderts eine gewisse Sonderstellung im Leipziger Bürgertum ein, die sich vor allem durch fehlende politische Rechte, aber auch durch eine spezifische Verbindung zur französischsprachigen Welt ausdrückte, eine Verbindung, die sie zur Zeit der napoleonischen Besatzung für das Wohlergehen der Stadt Leipzig einsetzten. Die Dufours verkörperten den Typus des Fernhandelskaufmanns und seiner Familie, die als Angehörige einer konfessionellen Minderheit ein internationales Netz an Beziehungen unterhielten und pflegten. Aufgrund ihrer Erfahrungen im europäischen Raum verfügten sie über Kenntnisse, die sie, wenn nicht auf der politischen, so doch auf der kulturellen und sozialen Ebene in die lokalen Eliten integrierten.

Die Hugenotten in Leipzig erhielten nur gegen die Zahlung eines jährlichen Schutzgeldes ein dauerndes Bleiberecht. Mit diesem Status gingen vielfältige Restriktionen einher; so war ihnen die Vereinigung in Zünften oder Innungen untersagt. Nur der Großhandel war ohne Einschränkungen möglich und ein Großteil der Hugenotten betätigte sich auf diesem Gebiet. Wie vielen Minderheiten blieb auch den Hugenotten eine freie Berufswahl verschlossen, und sie investierten, um wirtschaftlich existieren zu können, viel Energie und Risikobereitschaft in diejenigen Berufe, die ihnen zugänglich waren. Ihr konfessioneller Zusammenhalt innerhalb Europas begründete dann allerdings jenen „Vertrauensvorschuss“, der für Fernhandelsbeziehungen, Kreditgewährung und Unternehmererfolge notwendig war. Sie trugen damit wesentlich zu einem wirtschaftlichen Aufschwung an ihren Wohnorten bei. Indem die Leipziger Hugenotten ihre Beziehungen im europaweiten Fernhandel ausbauten, banden sie auch Leipzig fester in das europäische Handelsnetz ein.

Im damaligen Geschäftsfeld Europa existierten weder feste Preise noch normierte Gewichte oder stabile Wechselkurse, es herrschten unterschiedliche Geschäftspraktiken, und die Kenntnis der Bedingungen in den Herkunftsländern der Waren bestimmten die Qualität, die Quantität und den Preis der Waren mit. Aus diesen Gründen waren stabile Beziehungen der Kaufleute zu ihren Geschäftspartnern ein zentrales Element der geschäftlichen Risikominimierung. Die dazu notwendigen persönlichen und familiären Beziehungen, wie auch die Kenntnisse der jeweiligen Gepflogenheiten des Landes, erwarben die Kaufleute nicht zuletzt auf Reisen, die trotz großer Anstrengungen und Unannehmlichkeiten unerlässlich waren. Nur durch das Reisen bot sich die Gelegenheit, mit Geschäftspartnern in Kontakt zu treten und sich eine persönliche Meinung über sie zu bilden, bestehende Beziehungen zu festigen oder zu erneuern und neue Partnerschaften aufzubauen. So war es sicher nicht zufällig, dass Ferdinand Dufour schon in jungen Jahren längere Aufenthalte in Lyon absolvierte – bildete Lyon als Produktionsstandort doch den wichtigsten Bezugspunkt für den Seidenhandel der Familie Dufour.

Reisen lässt sich nicht nur als eine kaufmännische und berufliche Praxis begreifen, sondern in spezifischer Weise auch als eine bürgerliche Praxis, die von unterschiedlichen bürgerlichen Gruppen gepflegt wurde. Wenn ein junger Bürgersohn zum Abschluss seiner Erziehung eine Bildungsreise unternahm, imitierte das Bürgertum damit in gewisser Hinsicht die ursprünglich adelige Praxis der „Grand Tour“ oder „Kavalierstour“, die ein junger Adliger zu seiner persönlichen Vervollständigung absolvieren musste. Auch die bürgerliche Reise bildete den Abschluss der Erziehung, sollte jedoch gleichzeitig dazu dienen, verwertbares Wissen wie die Kenntnis der Geschäftspraktiken eines Landes zu erwerben. Der bürgerliche Reisende war zudem, so das Ideal, als Mensch unterwegs und begegnete dem Fremden ohne ständische Konventionen auf der menschlichen Ebene.[2] Das Ziel dieser Praxis lag darin, die eigenen Erfahrungen zu erweitern und vor allem ein gewisses Maß an Weltläufigkeit zu erwerben. Mit großer Häufigkeit unternahmen junge Bürgerssöhne und später neben ihnen die Bürgerstöchter Bildungsreisen in andere Länder.

Reisen erwies sich als ein kostspieliges Unterfangen, und nicht jeder konnte die persönlichen und ökonomischen Ressourcen aufbringen und ausgedehnte Aufenthalte in der Fremde nachweisen. Umso gewinnbringender erschien damit die Möglichkeit zur Distinktion, dem Erwerb von feinen Unterschieden, die dann in der Heimatstadt betont und ausgespielt werden konnten. Die Akkumulation von kulturellem Kapital war für eine Familie wie die Dufours umso bedeutsamer, da sie politisch nicht vollständig anerkannt waren und daher die Integration in die Leipziger Gesellschaft auf kultureller Ebene anstreben mussten. Anne Louise Dufour hob diese kultivierende Funktion des Reisens in den Briefen an ihren Sohn Ferdinand Dufour ausdrücklich hervor, denn der Empfänger war noch zu jung, um eigenständig geschäftliche Beziehungen zu knüpfen. Nach Meinung seiner Mutter sollte er daher die Reisezeit nutzen, um „etwas von der Welt zu sehen“. Gleichzeitig zählte sie ihm ein ganzes Bündel bürgerlicher Tugenden auf, die er in der Fremde pflegen und verfeinern sollte. Fast idealtypisch stehen hier Bildung und Persönlichkeitsbildung im Zentrum – Bildung als „zentrales Gestaltungsprinzip“[3] von bürgerlichen Werten und Normen – und daran geknüpfte Tugenden, wie eine strenge Einteilung und Ausnutzung der Zeit, Selbstdisziplin, stetige Betätigung und Mäßigung.

Anne Louise Dufour ging offensichtlich davon aus, dass in Lyon vergleichbare Werte und Normen gelten wie in Leipzig. Der Sohn würde, so die Mutter, mit einem Schatz an Erfahrungen zurückkommen, von denen er sein Leben lang zehren könne und die ihm nicht zuletzt in seinem weiteren Leben als Kaufmann und als Einwohner Leipzigs dienlich sein würden. In späteren Jahren unternahm Ferdinand Dufour weitere Reisen nach England, Holland oder Italien mit dem Ziel der Vervollkommnung privater und nun auch geschäftlicher Kenntnisse und Fähigkeiten.[4]

Mit ihren Reisen knüpften die Dufours, wie andere Kaufleute auch, ein dichtes Netz an europaweiten Kontakten. Wichtige Knotenpunkte in diesem Beziehungsnetz bildeten die Privathäuser mit ihren Geselligkeiten. In Handelsstädten wie Leipzig, Lyon oder Genf fanden sich neben den einheimischen meist auch fremde Gäste ein. Im gemeinsamen Gespräch, beim Tanzen, Spielen oder im Umgang mit Kunst wurden dabei Normen und Werte überregional vermittelt. Tugenden wie Weltläufigkeit und Gewandtheit im Verhalten konnten nur im Kontakt mit Fremden und in der Fremde erworben werden und brauchten bestimmte soziale Räume, in denen sie verinnerlicht wurden. Die geselligen Zusammenkünfte in den europäischen Bürgerhäusern boten als Orte der informellen Soziabilität die Gelegenheit, zusammen mit Einheimischen und Fremden ein kultiviertes und weltläufiges Verhalten als Teil der bürgerlichen Kultur einzuüben. Diese ließ sich auch über ein offenes Haus, die richtige Auswahl der Gäste und angemessene Umgangsformen nachweisen.

Das System der Empfehlungsschreiben war neben eigenen Bekanntschaften ein Mittel, mit dem sich Eintrittshürden in die Gesellschaft anderer Städte und Länder nehmen ließen. Wer einen Brief der richtigen Personen vorwies, dem öffneten sich die Türen zu den lokalen Eliten. Die Reisenden verfügten mittels eines Empfehlungsbriefes über eine Adresse, an die sie sich wenden konnten, und vergrößerten auf diese Weise den eigenen Kontaktkreis. Empfehlungsschreiben bauten auf der Zugehörigkeit zur Familie und auf Bekanntschaften auf und erweiterten oder verfestigten die bestehenden sozialen Strukturen. In Abhängigkeit von den verwendeten Formeln, dem Absender des Empfehlungsschreibens oder den Beziehungen des Ankommenden wurden nämlich der Empfang und Aufwand für den Ankommenden recht unterschiedlich gestaltet.

Für die reisenden Kaufleute wie für die Gastgeber besaßen die interkulturellen Verflechtungen einen direkten Nutzen. Mit der Anwesenheit von Gästen erlangten die Gastgeber Informationen, pflegten Beziehungen und erschlossen sich neue Einflusssphären. Gleichzeitig fungierten die Besucher als kulturelle Mittler, und die Gastgeber erhielten die Möglichkeit, im persönlichen Gespräch von den jeweiligen Herkunftsländern und Gepflogenheiten zu lernen. Kaufleute fungierten aufgrund ihres Berufes als Mittler im Kulturtransfer, insofern sie nicht nur Waren transportierten, die sie kaufen oder verkaufen wollten. Sie führten auch materielle und immaterielle Elemente ihrer Kultur mit und vermittelten Formen und Praktiken der Bürgerlichkeit überregional und interkulturell. Obwohl das Reisen für viele Kaufleute sicher mehr Last als Lust war, bot sich hierbei auch die Möglichkeit, Unterschiede oder Gemeinsamkeiten der europäischen Länder und ihrer Bewohner wahrzunehmen. Diese Erfahrungen der Kaufleute minimierten einerseits das geschäftliche Risiko und machten andererseits Fernhandelskaufleute am Ende des 18. Jahrhunderts zu europäischen Bürgern.



[1] Briefe der Leipziger Kaufmannsfrau Anne Louise Dufour an ihren Sohn Ferdinand Dufour (1781/1783); [Französisches Original und Übersetzung; Auszüge] 1.

[2] Grosser, Thomas, Reisen und soziale Eliten. Kavalierstour – Patrizierreise – bürgerliche Bildungsreise, in: Maurer, Michael (Hg.), Neue Impulse der Reiseforschung, Berlin 1999, S. 135-176, bes. S. 156.

[3] Hettling, Manfred; Hoffmann, Stefan, Zur Historisierung bürgerlicher Werte. Einleitung, in: Dies. (Hgg.), Der bürgerliche Wertehimmel, Göttingen 2000, S.7-21, bes. S. 14.

[4] Middell, Katharina, Hugenotten in Leipzig. Streifzüge durch Alltag und Kultur, Leipzig 1998, S. 143ff.



Literaturhinweise:

  • Espagne, Michel; Greiling, Werner (Hgg.), Frankreichfreunde. Mittler des französisch-deutschen Kulturtransfers (1750-1850), Leipzig 1996.
  • François, Etienne (Hg.), Sociabilité et société bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse (1750-1850), Paris 1986.
  • Grosser, Thomas, Reisen und soziale Eliten. Kavalierstour – Patrizierreise – bürgerliche Bildungsreise, in: Maurer, Michael (Hg.), Neue Impulse der Reiseforschung, Berlin 1999, S. 135-176.
  • Hettling, Manfred; Hoffmann, Stefan, Zur Historisierung bürgerlicher Werte. Einleitung, in: Dies. (Hgg.), Der bürgerliche Wertehimmel, Göttingen 2000, S. 7-21.
  • Middell, Katharina, Hugenotten in Leipzig. Streifzüge durch Alltag und Kultur, Leipzig 1998.

Briefe der Leipziger Kaufmannsfrau Anne Louise Dufour an ihren Sohn Ferdinand Dufour (1781/1783); [Französisches Original; Auszüge]

Briefe der Leipziger Kaufmannsfrau Anne Louise Dufour an ihren Sohn Ferdinand Dufour (1781/1783); [Übersetzung; Auszüge][1]

[Früherer Titel der Quelle: Briefe der Leipziger Kaufmannsfrau Anne Louise Dufour an ihren Sohn Ferdinand Dufour, 1781/83. Deutsche Übersetzung]

Morillion [bei Genf], 2. Juli 1781[2], „Ich glaube gern, dass Du mit mir nicht ganz einer Meinung bist und dass Du den brillanten Winter, den Du in Lyon verbringst, nicht selten bedauerst. In Deinem Alter solltest Du aber bedenken und wirst es eigentlich auch fühlen, dass Du von dieser Zeit, in der Du Frankreich als Kind gesehen hast, Dein ganzes Leben lang profitieren kannst. Ich zweifle keinen Augenblick daran, dass Du Frankreich wiedersehen willst, wenn sich Deine Einstellung geändert hat, denn um an Dein Ziel zu gelangen, gibt es keine bessere Möglichkeit, als aus der jetzigen Zeit einen Nutzen zu ziehen. Dies ist der richtige Moment, es gibt keinen passenderen Zeitpunkt als diesen, mein teures Kind, denn dies sind Deine schönsten Jahre, mit denen Du gut umgehen solltest. Unterschätze also nicht Deinen Aufenthalt in Lyon – weder in Hinsicht der nützlichen Bekanntschaften noch hinsichtlich derer, die Du nur für Dein Vergnügen schließt.

Du hast einen kleinen Teil von der Welt gesehen und solltest daraus schließen können, dass es wichtig und nützlich ist, auf dieser Welt nicht ganz unbemittelt zu erscheinen. […]“

Leipzig, Januar 1783[3], „Nun weilst Du also, mein lieber Ferdinand, das dritte Mal in Deinem Leben in der schönen Stadt Lyon. Ich liebe Dich zu sehr, als dass ich Dich um Dein Schicksal beneiden könnte; aber im gleichen Augenblick merke ich, dass sich alle meine Wünsche darauf richten, dass Du Deine Zeit nicht verschwendest. Meine Zuneigung zu Dir gibt mir das Recht, zu Dir in aller Freundschaft zu sprechen – glaube den Ratschlägen einer Mutter und gehe sorgsam mit der Zeit um, mein teurer Freund, und überlasse Dich nicht zu sehr dem Gedanken, dass Du noch jung bist. Lass lieber Deinen Verstand zu Wort kommen und setze ihn schon in Deinen jungen Jahren ein. Arbeite mit großem Eifer und unterdrücke Deine kleinen Fehler, die Du aufgrund deines Mangels an Erfahrung noch nicht ganz gemeistert hast, folge den Ratschlägen von vernünftigen Leuten, die sich in ihren Angelegenheiten gut auskennen, aber vermeide die Art von Personen, die nur Deinem Geschmack schmeicheln wollen. […]

Als letzten Beweis Deiner Zuneigung zu mir bitte ich Dich, die Weltläufigkeit eines jungen Mannes zu erwerben, der viel reist und sich in guter Gesellschaft befindet, vereinige dies mit etwas mehr Lieblichkeit Deines Charakters; verstelle Dich nicht, gib aber auch nicht zu allen Anlässen Deine Meinung kund. Lerne, Dich mit Würde und Ehrlichkeit, jedoch ohne Dünkel, zu präsentieren. Vor allem sei den Frauen gegenüber würdevoll und ehrlich, denn dies sind die einzigen Mittel, um bei den Frauen etwas zu erreichen. Und wenn Dein Herz für eine Schöne oder Hässliche schlägt, dann sollte das nicht bedeuten, dass Du diejenigen vernachlässigst, die nicht den gleichen Eindruck auf Dich gemacht haben. Lass Dir schließlich von Deinem Vater einige Tanzstunden bezahlen, und nutze sie nicht nur wegen der Freude am Tanzen, sondern vor allem um Dir Deine gute Haltung zu bewahren. Vernachlässige weiterhin weder Deine Geige noch Dein Cembalo. Das eine oder das andere werden dir nützlich sein, selbst wenn Du es Dir jetzt noch nicht vorstellen kannst. Eine Schöne, die Dich vielleicht gar nicht wahrgenommen hätte, spürt nun den Charme der Musik, und so kannst Du ihr Herz mit Deinen Talenten beeindrucken, was Dir sonst nicht gelungen wäre.

Nun endlich, mein Freund, bleibt es mir nur noch einen letzten, aber vielleicht den wichtigsten, Ratschlag zu geben. Dieser betrifft das Verhältnis zum Spiel und ich gehe davon aus, dass Du Dir meinen Ratschlag vernünftig anhören wirst. Nichts kündigt weniger von einer guten Erziehung, als ein junger Mann, der schlecht spielt oder ein schlechter Spieler ist. Ersteres ist verzeihlich, aber letzteres ist eine Untugend, die man nicht durchgehen lässt. Die Offenheit, mit der ich zu Dir spreche, mein lieber Ferdinand, betrifft Deine verschiedenen kleinen Fehler, von denen ich von ganzem Herzen hoffe, dass Du sie korrigieren wirst. Diese Offenheit erlaubt es mir auch zu sagen, dass von allen Fehlern, die Du in Deinem Herzen unterdrücken solltest, meiner Ansicht nach das Spiel den größten Platz eingenommen hat. Verstelle Dich also nicht vor Dir selber, und wenn Du dies liest, dann vergleiche Dich in aller Ruhe mit einem guten Spieler und sieh zu, dass Du, wie auch er, Deine Leidenschaften meisterst. Und trotzdem ist die Spielleidenschaft eine der wichtigsten Dinge, und ein schlechter Spieler zu sein, ist eine schreckliche Sache. Ich beschwöre Dich also, versuche diesen unglücklichen Fehler zu bekämpfen – wenn Du Dich nicht selbst in der Gewalt hast, dann vermeide die Freude an einer Partie, spiele nie wegen der Verlockung des Geldes. Wenn Du allerdings aus Geldsucht spielst, dann wirst Du, dass ist sicher, nie ein guter Spieler werden. […]

Nun gut, lieber Ferdinand, das ist also alles, was ich Dir aufgrund meiner Freundschaft zu Dir glaubte sagen zu müssen. Du bist in einem Alter, in dem Du selbst noch besser als ich weißt, was Dir noch fehlt um den Grad an Perfektion zu erwerben, den ich mir wünsche. […].“


[1] Übersetzung aus dem Französischen von Dorothea Trebesius. Die Briefe befinden sich im Stadtarchiv Leipzig (StaAL).

[2] StaAL NL Dufour 1, Bl. 45.

[3] StaAL NL Dufour 1, Bl. 55f.


 

Briefe der Leipziger Kaufmannsfrau Anne Louise Dufour an ihren Sohn Ferdinand Dufour (1781/1783); [Französisches Original; Auszüge][1]

[Früherer Titel der Quelle: Briefe der Leipziger Kaufmannsfrau Anne Louise Dufour an ihren Sohn Ferdinand Dufour, 1781/83 Französisches Original]

Morillion [bei Genf], 2. Juli 1781[2], „Je crois bien que tu ne pense pas tout à fait comme Moi, et que L’hiver brillian que tu a passés a Lyon bien souvent te donne quelque regrets; Mai à Lâge ou tu est, Lon commence a réfléchir et à sentir que dans tous Les Etats de la vie lon peut se faire une resource tu a vie la france comme Enfant, Je ne doutte Nulment que tu ne dessire la revoire en ayant pris une forme differente; pour parvenir à ton but il ny a pas de Moyens plus Sure que selui de Mettre ton tems aprofit Cest bien le beaux Momens Mon cher Enfant, Ce sont les plus belles année quil faut Employer, ne Néglige donc pas se tems la, tant pour les Connaisanses utiles que pour selles qui ne sont que pour Lagrémens, tu a vu un peu le Monde et par la Meme tu dois sentir le besoin et la Nésesite quil y a dy paraître avec de sertaine resource. […]“

Leipzig, Januar 1783[3], „Te voila donc Mon cher Ferdinand pour la Troisième fois de ta vie dans la bonne ville de Lyon, Je t’aime trop pour envier ton sort, Mais je sens en meme tems que tous mes desirs ce portent, pour que tu cherches à Mettre ton tems aprofit, Menage le Mon cher ami, et si Mon amitie pour toi me donne le droit de te parler en amie, Crois en les conseille dune Mere, ne te livre surtout pas trop a Lydée que tu est jeune encore ; que ta Raison te fasse valoir la volonté de ten servir avant Lage ; Travaille avec aplication, reprime avec force les petit défaut dont ton inéxperience ne te rend pas encore Maitre, sui les Conseille de gens sensée en etat den donner, Mais evite avec soin ce genre de Monde qui ce Conforment à tes gouts […]

Je te demande comme derniere preuve de ta tendresse pour Moi, de cherchére à prendre Lusage du Monde, dun jeune homme qui voyage et qui voit bonne Compagnie, réunis à celat un peu plus de douceur dans ton caractére, ne soit pas disimullée, Mais ne dit pas trop ton sentiment sur tout, aprend à te présenter sant fatuitée, Mais avec Nobléssé et honnetée, Soit le beaucoup avec les femmes, Car Cest le seul Moyens de parvenir à etre quelque chose avec elle, et si ton cœur te dit quelque chose en faveur dune jolie ou dune laide, ne te crois pas par la otorisée de Menquer a celle qui qui ne taurons pas fait la Meme impréssion, enfin engage ton pere a te donner une Lecon de Danse profite en non seulement pour le plaisir de ta danse, Mais pour le Maintien de la bonne contenance, ne néglige pas non plus ton violons et ton clavecin, lun ou lautre te rendrons des Service auquel tu ne tatend pas, qui cest si te talens la ne te vosdra peu etre pas le cœur de quelle que belle, sur qui tu n’aurait fait nul impression sent le charme de la Musique, enfin mon bonne ami il ne me reste plus pour derniez conseille a te donner, qui et peut etre un des plus essentiel, Mais que ta Raison me donne lieux de croire que tu le recevra avec Réfléction, cest ce qui Raport au Jeux; Rien Nanoncent Moins la bonne education qu’un jeune homme qui Joue Mal, ou qui est Mauvais Joueur, le premiez ce pardonne, mais le dernier est un vice que lon ne vous passe pas, la franchise avec laquelle je te parle mon chere ferdinand sur les different petit défaut dont mon cœur désire que tu te corrige, ne me permet pas de te dissimuller, que de tous ceux que tu dois chercher à reprimer dans ton cœur, cest celui du jeux qui suivant Moi y a fait le plus de progret, ne te le dissimule pas à toi meme et enfesant ce petit retour regarde toi avec tranquillité a coté dun beaux joueur, vois ci comme lui, tu est Maitre de tes passions, Cest pourtant une des chose les plus essentiel; avoir le passion du Jeux, et etre mauvais joueur est une chose affreuse, cherche donc je ten conjure à vaincre ce malheureux défaut Evite si tu ne te crois pas assée dempire sur toi meme le plaisir dune partie, ne ty nest jamais avec lapas du gain que tu y ferat, tant que ce principe restera gravée dans ton cœur et ton Esprit, a coup sur tu ne serat jamais beau joueur…

Voila je crois apeu près mon cher Ferdinand tout ce que mon amitie pour toi Moblige de te dire tu est en age de sentir Mieux que Moi encore tous ce qui te Menque encore, pour acquerir ce degrés de perfection que je te souhaite. […]“


[1] Die Briefe befinden sich im Stadtarchiv Leipzig (StaAL). Die altertümliche Schreibweise wurde beibehalten.

[2] StaAL NL Dufour 1, Bl. 45.

[3] StaAL NL Dufour 1, Bl. 55f.


 

Für das Themenportal verfasst von

Dorothea Trebesius

( 2007 )
Zitation
Dorothea Trebesius, Geschäftsfeld Europa Kaufmännisches Reisen am Ende des 18. Jahrhunderts, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1411>.
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