Europa aus der Sicht Asiens. Beziehungen in einer Konstruktionsgeschichte

Die Konstruktion von Europa in Abgrenzung zu Asien liegt an den Wurzeln westlicher Selbstdefinition. Doch herrscht bisher in der Forschung ein Ungleichgewicht. Es wurde überwiegend danach gefragt, welche Bilder, Stereotypen, etc. Europa Asien als Kontinent und vorgeblich einheitlichen Kulturraum zuschrieb. Bisher unterreflektiert blieb dabei, inwieweit diese Zuschreibungen von „Asiaten“ übernommen und inkorporiert wurden und welche Gegenbegriffe sie entwickelten. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Literatur zum Pan-Asianismus, neben älteren Arbeiten wie die Arbeit von Stephen Hay über Rabindranath Tagore und sein Konzept von Asien. Doch nicht nur die Frage nach der Konstruktion Asiens wurde selten gestellt. Trotz der inzwischen unüberschaubaren Literatur zum Begriff Europa interessierte sich die bisherige Forschung selten dafür, wie Akteure aus anderen Regionen Europa konstruierten. [...]

Europa aus der Sicht Asiens. Beziehungen in einer Konstruktionsgeschichte[1]

Von Andreas Weiß

Die Konstruktion von Europa in Abgrenzung zu Asien liegt an den Wurzeln westlicher Selbstdefinition. Doch herrscht bisher in der Forschung ein Ungleichgewicht. Es wurde überwiegend danach gefragt, welche Bilder, Stereotypen, etc. Europa Asien als Kontinent und vorgeblich einheitlichen Kulturraum zuschrieb. Bisher unterreflektiert blieb dabei, inwieweit diese Zuschreibungen von „Asiaten“[2] übernommen und inkorporiert wurden und welche Gegenbegriffe sie entwickelten. Eine der wenigen Ausnahmen bildet die Literatur zum Pan-Asianismus, neben älteren Arbeiten wie die Arbeit von Stephen Hay über Rabindranath Tagore und sein Konzept von Asien.[3] Doch nicht nur die Frage nach der Konstruktion Asiens wurde selten gestellt. Trotz der inzwischen unüberschaubaren Literatur zum Begriff Europa interessierte sich die bisherige Forschung selten dafür, wie Akteure aus anderen Regionen Europa konstruierten.[4]

In diesem Essay soll nun auf die Konstruktion Europas untersucht werden, wie sie von einem Japaner, Tamai Kisak[5], Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlicht wurde. Die Untersuchung der Verwendung der Begriffe Europa und Asien ist nicht nur dadurch gerechtfertigt, dass er mehr oder weniger reflektiert in der Sekundärliteratur gebraucht wird. Die schon zeitgenössisch gehäufte Verwendung von „Europa“ auf Seiten außereuropäischer Akteure fordert daher eine historische Begriffsanalyse ein, die hier anhand des Quellentextes geleistet werden soll. Denn wie schon der Zusatztitel der Zeitschrift „Die erste Monatszeitschrift eines Japaners in Europa“ andeutet, wurde anscheinend von Tamai vermutet, dass der Begriff „Europa“ genug Interesse und positive Konnotationen weckte, um als Aufhänger für die Bewerbung des neuen Journals genutzt zu werden. Dabei wird in diesem Essay davon ausgegangen, dass beide Seiten, Europäer wie Nicht-Europäer, diese Begriffe („Europa“ und „Asien“) gebrauchten, um sich in der Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen in einem von europäischen Vorstellungen und Begriffen geprägten Dialog zu verorten. Nicht nur die europäischen Staaten definierten sich in Abgrenzung zu den Anderen als Europäer, sondern die Anderen übernahmen diese Konstruktion, um sinnfällig an ihr Modernisierungs- und Machtunterschiede zu erfahren und zu diskutieren. Zwar lässt sich nicht immer ganz trennscharf zwischen dem Westen, Europa und ähnlich gelagerten Begriffen trennen, doch zeigt der häufige Gebrauch an, dass Europa eben nicht im Westen aufging und Amerika von Europa getrennt wurde. Auch scheint der Blick von außen Europa eher als Einheit gesehen zu haben als dies die Europäer selbst taten, denn die Asiaten betonten eher die verbindenden denn die trennenden Elemente Europas.[6] Ebenso muss aber betont werden, dass auch das geographische und kulturelle Konzept Asien keine klaren Grenzen hatte und hat. So wie schon jenseits der Elbe der Osten beginnen konnte, reichte auch Asien für manchen Europäer des 19. Jahrhunderts bis auf diese Seite des Urals. Zunehmend aber setzte sich eine Vorstellung durch, die Asien mit alten Hochkulturen, vor allem Indien, China und Japan, in eins setzte.

Die gebildeten Schichten Asiens wurden europäisiert in ihrem Bestreben, vom Westen zu lernen. Die neuen Eliten der asiatischen Länder orientierten sich am europäischen Bildungskanon, lernten die griechischen Klassiker und sowohl Europäer wie Asiaten übernahmen aus diesen Texten ihre geographische Einteilung der Welt, aber auch ihre Lehrexempel. Und in dieser Begrifflichkeit waren eben Europa „Europa“ und Asien „Asien“ und beide mussten je nach Bedarf binnendifferenziert werden. Zwar nahm diese Faszination für europäische Konzepte ab Ende des 19., Beginn des 20. Jahrhunderts ab und eigene Gegenentwürfe prägten die jeweilige kulturelle Landschaft. Doch auch diese Gegenentwürfe bedienten sich als (oft unerwähnte) Negativfolie europäischer Konzepte und Vorstellungen. Insofern handelt es sich in diesem Essay um eine Trias von Begriffen: Es geht um das europäische Konzept von Asien, das asiatische Konzept von Asien, und das Gegenmodell des asiatischen Begriffs von Europa, welches entwickelte wurde, um den beiden anderen Begriffen eigenständige Konzepte entgegensetzen zu können. Sie kommen in diesem Essay allerdings in unterschiedlicher Gewichtung zur Geltung.

Umstritten blieb dabei immer die Reichweite des Begriffs Asien in „Asien“ und die Bedeutung des Gegenkonstrukts Europa für die „Asiaten“. Doch soll hier nicht eigentlich danach gefragt werden, wie die Asiaten Asien als gemeinsamen Erfahrungsraum erlebten, sondern wie sie im Gegenzug das europäische Gegenüber in diesem Zwiegespräch konstruierten. Dies ist allerdings nicht immer ohne auf den Rückgriff auf das „asiatische“ Asienbild möglich. Meist wird angenommen, dass die Asiaten vor der Gründung der EG – oft auch danach – die Europäer kaum als Einheit wahrnahmen und daher diese Großkonstruktion für sie eher ohne Bedeutung blieb, während die Europäer die Begriffe Europa und Asien „erfanden“ und über die Jahrhunderte, zwar oft diffus, gebrauchten. Im 19. Jahrhundert hätten westliche Kolonialmächte z.B den Begriff Europa nur dann verwendet, wenn es um die Rechtfertigung eigenen aggressiven Verhaltens und die zivilisatorische Überlegenheit ging, also quasi als Alibibegriff. Ging es um die Verteidigung kolonialer Machtansprüche, zeigte sich und argumentierte Europa als Einheit. Für Asiaten hingegen wäre Europa als einheitliche Kategorie nachrangig geblieben. Dieser Ansicht folgt, wie oben angesprochen, das Essay nicht. Eher wird ein Beispiel aus einer reichen Liste der Vorstellungen von Europa als Einheit herangezogen, um hieran sinnfällig die Konstruktion Europas und seine Konnotationen zu verdeutlichen. Wie aber konstruierten Asiaten Europa, wie verwandten sie den Begriff und welches Bild hatten sie von Europa? Dieser Frage soll in zwei Schritten an einem Beispiel aus der Zeitschrift „Ost-Asien“ nachgegangen werden, die zwischen 1898 und 1910 in Berlin erschien. Zuerst werden die unterschiedlichen Zuschreibungen von Europa und Asien anhand der Quelle gezeigt, und dann in einem zweiten Schritt von dieser Quelle ausgehend auf spezifische und allgemeine Europavorstellungen eingegangen. Abschließend soll die Quelle im Kontext gewichtet und allgemeine Schlussfolgen gezogen werden.

Die Zeitschrift „Ost-Asien“ und Tamai Kisak

Die Zeitschrift „Ost-Asien“ wurde von dem Japaner Tamai Kisak bis zu seinem Tode im September 1906 im Eigenverlag herausgegeben, mit einer Startauflage von 5000 Exemplaren. Tamai hatte schon in Japan als Dozent Deutschunterricht gegeben, war zu Fuß über Sibirien in etwas über einem Jahr nach Deutschland gewandert und hatte darüber einen Reisebericht in der Kölnischen Zeitung veröffentlicht. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Journalist, gründete einen Eigenverlag und arbeitete als Patentvermittler.[7] Nach seinem Tod in Berlin wurde die Zeitung mit der nächsten Ausgabe Oktober 1906 vom Chefredakteur Oikawa Shigenobu weitergeführt. Die Zeitschrift zeigt die Weltsicht deutsch gebildeter, ostasiatischer, hier vor allem japanischer, Intellektueller Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Allerdings sah sich die Zeitschrift als Plattform für alle Asiaten. Die Zeitschrift bildet insofern einen Sonderfall, da hier eine Gruppe „Anderer“ in Europa spricht, also die Konstruktion Europas durch Andere in Europa sichtbar wird. Sie richtete sich an drei verschiedene Leserkreise. Erstens richtete sie sich an alle, die aus wirtschaftlichen Interessen an Informationen über Japan interessiert waren, sprich deutsche Kaufleute und Fabrikanten. Zweitens richtete sie sich an die „asiatische“ Gemeinschaft in Berlin und Europa. Diese bestand zwar vor allem aus Japanern, doch kann man an den Berichten über Vereinsaktivitäten, etc. sowie den Adresslisten sehen, dass auch Chinesen und Inder als Teil des Lesepublikums betrachtet wurden. Drittens wurde die Zeitschrift von deutschen Tageszeitungen sowie generell einem deutschsprachigen Publikum als Informationsquelle herangezogen, um sich aus den unterschiedlichsten Interessen heraus über Japan und Ostasien zu informieren.

Für das Essay wurde ein „japanisches“ Organ herangezogen, da Japaner zu diesem Zeitpunkt die mit Abstand größte asiatische Gruppe in Berlin bildeten. Sie kamen vor allem als Studenten, oft mit staatlichen Stipendien, nach Deutschland. Das Deutsche Reich gewährte eine Reihe von Weiterbildungsmöglichkeiten, sei es im militärischen Bereich, aber auch in Jura und Medizin. Hierzu gehörten auch Militärärzte wie Mori Ogai, der mit seinen Übersetzungen deutscher Klassiker wie Goethes „Faust“ bis heute als einer der wichtigsten Vermittler deutscher Hochkultur in Japan gilt. Daher waren Japaner sowohl von ihrer Position wie von ihrer Bildung dazu prädestiniert, leichten Kontakt zur deutschen Mittel- und Oberschicht zu finden. Diese Nähe zu den Europäern ist für dieses Essay insofern relevant, da hier die Selbstvergewisserung – und damit Selbstkonstruktion – der Europäer durch die Abgrenzung zu Anderen postuliert wird.[8] Denn das Gemeinsinn als Europäer stiftende Ereignis war seit der Frühen Neuzeit der direkte Kontakt mit den als „Nicht-Europäern“ definierten Völkern Außereuropas und die damit verbundene Konstruktion eigener Überlegenheit, kurz: Im Austausch mit Anderen vergewisserte sich Europa seiner selbst. Hier soll aber nur untersucht werden, wie diese Konstruktion vom „Anderen“ angeeignet und in Europa formuliert wurde. Dadurch lassen sich auch Spuren der Wirkmächtigkeit und Überzeugungskraft europäischer Selbstbeschreibungen zeigen, indem sie an einem Quellentext überprüft werden, der in Europa (respektive Deutschland) formuliert wurde und an Europäer (sprich Deutsche) gerichtet war. Was also übernahm Tamai Kisak von den europäischen Selbstbeschreibungen und wo und wie wich er von diesen Vorstellungen ab?

Das Problem der Grenzen

Im Vorwort zur ersten Ausgabe dieser Monatszeitschrift schreibt Tamai Kisak unbekümmert von „Ost-Asien“ und „Europa“, von „Deutschland“ und „Japan“.[9] Für ihn sind beide, Ost-Asien und Europa, von je einer einheitlichen Kultur geprägt, Europa wird als Einheit gesehen. Beide bestehen für ihn aus „Staaten und Nationen“, wobei sein Hauptaugenmerk auf dem Deutschen Reich und Japan liegt, „den beiden seit den letzten Jahrzehnten am meisten aufstrebenden Reichen in Ost-Asien und Europa“. Doch klärt er den Leser nicht darüber auf, was für ihn die Grundlagen der Einheit Europas sind, denn für ihn scheint die Zusammengehörigkeit Ost-Asiens mehr einer Begründung zu bedürfen als die Einheitlichkeit Europas. Hierfür könnte es verschiedene Erklärungen geben. So scheint Tamai als Japaner versucht zu sein, die kulturelle Selbstständigkeit Japans und Unabhängigkeit von den chinesischen Wurzeln zu betonen, wie man aus dem verdeckten Hinweis im zweiten Satz der Quelle herauslesen kann. Ebenso wollte er als Angehöriger einer aufstrebenden Nation sicher nicht mit dem politisch daniederliegenden China in Verbindung gebracht werden. Und vielleicht war ihm auch die Idee einer ostasiatischen Gemeinschaft von China, Korea und Japan immer noch fremd, denn gemeinsame kulturelle Wurzeln bedeuten ja nicht automatisch eine gemeinsame Kultur und ein Zusammengehörigkeitsgefühl. Unterschwellig wird so ein Unterlegenheitsgefühl sichtbar, aber auch eine Distanz gegenüber europäischen Zuschreibungen. Obwohl der Begriff Ost-Asien eine geographische Definition nahelegt, betont Tamai Kultur als Definitionskriterium. Dies erlaubt ihm Offenheit und Flexibilität in mehrfacher Hinsicht. Zum einen muss er nicht begründen, warum bestimmte Staaten Teil einer Einheit sind und andere nicht. Er muss Asien auch nicht nach Westen abgrenzen. Mit der unklaren Abgrenzung Asiens hielt man sich die Frage der Koalitionspartner in einer „Schicksalsgemeinschaft“ gegen die Europäer offen. Denn legt man den Buddhismus als Definitionsgrundlage ostasiatischer Kultur zugrunde, so reichte Ostasien plötzlich bis Indien.

Der Westen als Schüler

Erstaunlich aus heutiger Sicht ist das Selbstbewusstsein, welches der Autor für diese Zeit hier an den Tag legt. So können für ihn Europäer selbst nach langjährigem Studium chinesische oder japanische Zeitungen nicht richtig interpretieren und Deutsche waren seiner Meinung nach in ihrer Suche nach Information zusätzlich eingeschränkt, da fast alle Zeitungen in nicht-asiatischen Sprachen auf Englisch erscheinen würden. Nur ostasiatische Autochthone könnten hier als Vermittler zwischen Ost und West dienen. Den Europäern wird ein tieferes Verständnis für die ostasiatischer Kulturen abgesprochen. Hier wird somit angebliches europäisches Expertenwissen konterkariert. Viele der westlichen Experten eigneten sich ihr Wissen aus zweiter oder dritter Hand an und spielten dann die Rolle der Literatur, Übersetzer, Dolmetscher und Gastgeber, von denen ihre Informationen abhingen, herunter. Es handelt sich also um eine Aufhebung der klassischerweise postulierten Überlegenheit der Europäer; Tamai changiert aber mit verschiedenen Selbst- und Fremdzuschreibungen. So sind die ‚alten Kulturnationen‘ des Ostens anscheinend hier so ausdifferenziert und diffizil, dass das ‚junge, aufstrebende Europa‘ mit seiner Interpretation überfordert ist. Auch ist der Osten – in diesem Falle Japan – nicht passiv und statisch, sondern eine aktive, aufstrebende Handelsnation. Mit dieser Paarung junges Europa = naiv und altes Ost-Asien = intellektuell überlegen konterkariert Tamai die europäische Selbstwahrnehmung als wissenschaftlich und intellektuell überlegener Kontinent, der mit dem Eintritt in die Moderne die anderen alten Hochkulturen überholte und sie obsolet machte.

Das starke Europa

Wie wurde nun Europa von Tamai gesehen oder besser gefragt, welche europäischen Selbstzuschreibungen wurden übernommen und als Kriterium zur Zugehörigkeit Europas anerkannt? Hier fallen zuerst die bekannten Schlagworte Modernität und Zivilisation auf. Klassische Begriffe wie „Staat“ und „Nation“ werden erwähnt, wobei diese von Tamai nicht trennscharf gebraucht werden, da er sie in einem Zusammenhang mit „Reich“ benutzt. Wirtschaft und Handel stehen im Vordergrund. Denn dies waren die Punkte, in denen Europa allgemein noch als überlegen wahrgenommen wurde. Auch war die Betonung des Ausbaus von Wirtschaftskontakten damals wie heute ein Punkt, in dem am ehesten die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit erreicht werden konnte. Damit versuchte Tamai sicher auch ein Argument für den Kauf seiner Zeitung zu liefern. Aber die Fokussierung auf Wirtschaftskontakte kann auch im Kontext allgemeiner japanischer Wirtschaftspolitik interpretiert werden: Für Japan schien der Ausbau des Handels der schnellste Weg, um das finanzielle Ungleichgewicht gegenüber dem Westen zu überwinden. Dies lag zum einen an der dominanten angelsächsischen Theorie des Freihandels, zum anderen aber auch an der Kostenintensivität vor allem der Schwerindustrialisierung, aber auch an dem erst einmal uneinholbar scheinenden technischen Vorsprung des Westens. Ebenso knüpfte Tamai an Vorstellungen an, dass Europa seine Kultur und Zivilisation ja erst durch Handelskontakte mit dem Osten erworben hatte. Und man sah sich selbst als alte Handels- und Kaufmannsnationen, deren Freizügigkeit und Erfolg nur durch die militärische Macht der Europäer eingeschränkt wurde. Und da sich vor allem die Engländer, aber auch die Deutschen mit der Berufung auf Hanse und Reichsstädte, als erfolgreiche Kaufleute und Fernhändler sahen, war dies ein weiteres Feld, in dem Gleichheit mit Europa beansprucht werden musste, sollte die Asymmetrie überwunden werden.

Europa bleibt dabei trotzdem, zumindest für Tamai, das Vorbild, dessen Aufmerksamkeit man erregen und zu dem man Kontakt suchen will. Es wird in einer westlichen Sprache mit westlichen Begriffen operiert und die Norm bilden westliche politische Vorstellungen. Für Außereuropäer waren es vor allem die technischen und materiellen Angebote des Westens, die Europa zum Vorbild machten. Denn hierin sah man die eigentliche Ursache im Ungleichgewicht der Macht zwischen dem Westen und dem Rest. Wenn man dem Westen einholen, ja überholen wollte, musste es auf diesem Gebiet geschehen. Politische Einrichtungen wie eine parlamentarische Demokratie, wie es besonders Großbritannien als Modernisierungskennzeichen betonte, wurde zwar von einem Teil der Bevölkerung begierig aufgegriffen, vom Großteil der Eliten der Transformation aber eher als äußere Hülle denn Ursache europäischer Überlegenheit gedeutet. Tiefgreifende Sozialreformen wurden nur ergriffen, um der Regierung den direkten Zugriff auf alle Teile der Bevölkerung zu ermöglichen. Weitreichende partizipative Elemente, die das Vorbild Europa mit seinen parlamentarischen Monarchien und Demokratien bieten konnte und von Europäern auch als spezifisch europäische Werte und Freiheiten definiert wurden, wurden nur von einem Teil der Intellektuellen gefordert. Europas Vorbildfunktion im sozialpolitischen Bereich beschränkte sich dadurch nur auf kleine Kreise der Bevölkerung. Zu bedenken bleibt die besondere Beziehungsgeschichte Japans zu Deutschland und warum Tamai einen „Underdog-Partner“ wie Deutschland wählt, um die anderen dominanten Mächte herauszufordern. Deutsche Experten waren in vielen Bereichen der Modernisierung Japans während der Meiji-Reformen angestellt worden. Die erfolgreichen Einigungskriege Deutschlands dienten als Vorbild für den erwarteten Erfolg der eigenen Modernisierungsbemühungen, ebenso wie die starke Stellung des Kaisers in der Reichsverfassung und die eingeschränkten Befugnisse des Parlaments. Allerdings wurde dieses Deutschlandbild entscheidend durch die Beteiligung des Deutschen Reiches an der Intervention von Shimonoseki 1895 getrübt. Da das Deutsche Reich hier im Verbund mit Russland und Frankreich Japan nach dem gewonnenen chinesisch-japanischen Krieg dazu zwang, auf weitreichende Gebietsansprüche gegenüber China zu verzichten, Teile Chinas aber 1897 selbst annektierte, fällt die Gründung dieser Zeitung in die Zeit gespannter japanisch-deutscher Beziehungen. So wurden denn auch die europäischen Staaten von vielen Japanern als unmoralisch wahrgenommen, da sie in ihrem Streben nach Macht und Geld jedes Prinzip verrieten. In dieser Situation Allianzen zu bilden und Partner aus dem europäischen Block herauszubrechen, lag daher im Interesse der eigenen Souveränität. Diese gegenseitige Wahrnehmung als Bedrohung verschärfte sich nach dem Sieg über Russland 1905. Japan wurde vom Westen nun teilweise als Gefahr wahrgenommen – man denke nur an die größere Debatte der „Gelben Gefahr“ –, eher selten als gleichwertige Macht. Doch hatte der einheitliche Block Europa schon vorher Risse bekommen. Denn während sich im Boxerkrieg Europa scheinbar einig gegen einen asiatischen Gegner stellte und die japanische Rolle in der Öffentlichkeit minimalisiert wurde, ging England 1902 eine Allianz mit Japan ein.

Das schwache Europa

In anderen Punkten – Kultur, Zivilisation, Staatlichkeit, Ökonomie – beanspruchten Asiaten Ebenbürtigkeit. Insofern ist der hier vorgelegte Text im Gesamtzusammenhang der Machtasymmetrie zwischen europäischen und außereuropäischen Mächten ein ungewöhnliches Beispiel, aber ein Beispiel japanischen – und vielleicht sogar schon – asiatischen Selbstbewusstseins schon vor 1900. In wirtschaftlichen Dingen beansprucht man Gleichrangigkeit, im Erlernen von Sprachen scheint man den Europäer überlegen und auch bei „geistigen Gütern“ scheint man davon überzeugt zu sein, den Europäern noch etwas anbieten zu können. Europa wird hier also aus Sicht der Europäer degradiert, eine Strategie, mit der sich Ost-Asien im Weiteren auf eine Stufe mit Europa stellt.

Mit den letzten beiden Punkten – Wirtschaft und Gleichrangigkeit – haben wir schon die Ebene der eigentlichen Quelle verlassen und wollen uns nun den weiteren Implikationen der von Tamai verwendeten Begriffe zuwenden. Einerseits sollen Themen angesprochen werden, die im Zusammenhang der Konstruktion der Einheit von Europa und Asien stehen, andererseits Konnotationen aufgedröselt werden. Interessant ist hier zuerst, was Tamai weglässt. Ein in dieser Zeit wichtiger Aspekt war die Frage des Christentums. Europas Einheit wurde vor allem aus seinen gemeinsamen christlichen Wurzeln abgeleitet. Vor allem Großbritanniens Auftreten und Beharren auf christlichen Werten – aber auch Frankreichs Rolle als Schutzmacht katholischer Missionare – ließ diese Staaten als Vertreter eines aggressiven, missionarischen Christentums, und damit Kolonialismus, erscheinen. Das Christentum wurde daher in Asien eher als Argument für eine heuchlerische Ummantelung von Machtansprüchen verstanden, welches eine Expansion und ein Eingreifen in innere Angelegenheiten legitimieren sollte. Japan hatte hier eigene Erfahrungen mit den Missionsversuchen des 16. Jahrhunderts gemacht. Diese wurden als Bedrohung verstanden und führten mit zur Abschließung Japans gegenüber dem Westen unter dem Tokugawa-Shogunat. Andererseits konvertierte ein Teil der neuen Elite Japans Ende des 19. Jahrhunderts zum Christentum, um damit seine Affinität zum Westen zu betonen. Andererseits wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf asiatischer Seite das Argument, das Christentum wäre eine asiatische Religion, herangezogen, um dadurch, zusammen mit dem Hinweis auf den Missbrauch der Mission, die Sonderrolle Europas zu untergraben. Dies wurde verbunden mit dem Argument, die Europäer hätten das Christentum nur nicht richtig verstanden und müssten daher vom Osten christliche Familienmodelle, Moral etc. wieder lernen. Dabei übernahmen sie die europäischen Zuschreibungen vom moralisch und religiös überlegenen, aber politisch und wirtschaftlich schwachen Asien; die Schuld hierfür wurde den Europäern zugeschrieben. Wissenschaftliche und religiöse Kongresse belegen die starke westliche Faszination an asiatischen Religionen (vom Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago über den Berliner „5. Kongress für Freies Christentum und religiösen Fortschritt“ 1910 bis zu den buddhistischen Kongressen in Berlin und London in den 1930ern). Unter anderen war Rabindranath Tagores Ruhm in Europa und seine Briefwechsel mit Romain Rolland dieser Zuschreibung geschuldet, Swami Vivekananda gründete schon Ende des 19. Jahrhunderts Yoga-Schulen für reiche Amerikaner. Aber auch für manchen konservativen Christen diente der Verweis auf die asiatischen Gesellschaften mit ihrem scheinbar traditionsverhafteten Familienbild und ihrer Alltagsreligiosität als Folie, um die Gottlosigkeit der eigenen Gesellschaft zu beklagen. Das Christentum wurde somit in zweifacher Hinsicht zu einem Symbol eines degenerierten Europas. Einmal, indem Missionierungsversuche als Ummantelung von Machtansprüchen gedeutet wurden, zum anderen, indem der Selbstdiskurs eines säkularisierten Europas aufgegriffen und in die Deutung eigener religiös-moralischer Überlegenheit umgemünzt wurde.

Tamai Kisak konstruierte, wie oben gezeigt, Europa eher als Kulturraum denn geographische Einheit. Doch bildet dieses geographische Europa eine Hintergrundfolie, die im Kern nur aus wenigen Nationen bestand, wie sich an den klassischen Bildungsreiserouten asiatischer Besucher rekonstruieren lässt. Unabhängig von eventuellen kolonialen Abhängigkeiten bildeten Großbritannien, Frankreich und das Deutsche Reich das Zentrum. Danach folgten Italien, Österreich-Ungarn und Spanien sowie die Schweiz. Interessant werden diese Zuschreibungen immer dann, wenn einer westlichen Nation die Zugehörigkeit zu Europa abgesprochen wurde, wie dies mit Russland während des russisch-japanischen Krieges geschah. Hier führte die Kombination von militärischer Schwäche mit angeblicher Barbarei und Rückständigkeit dazu, dass sich Japaner als europäischer als die Russen empfanden. Russlands Zugehörigkeit zu Europa war somit auch auf asiatischer Seite umstritten. Die Japaner stilisierten sich nach ihrem Sieg über Russland als Retter Europas, ja als nun Europa gleichberechtigt. So bezeichnet Tamai den Krieg zwischen Russland und Japan als „Kampf der Zivilisation gegen das Barbarentum“, wobei Russland der Barbar ist.[10] Untersucht man andere Zeitschriften und Berichte, so sieht man, dass die Inder die englische Furcht vor Russland als Gegner im Great Game sehr genau wahrnahmen und in diesem Zusammenhang beständig das Argument von Russland als asiatischer Despotie hörten. Islamische Gruppen sahen in Russland, teilweise auch in Österreich-Ungarn und Großbritannien, den Gegner des Osmanischen Reiches und des Kalifen, und betrachteten damit Russland nicht als Teil einer nachahmenswerten Zivilisation. Das Fehlen einer religiösen Definition Europas spielt hier eine entscheidende Rolle. So schloss der Kulturbegriff aus nichteuropäischer Perspektive die Möglichkeit des Europäer-Werdens mit ein. Denn wenn Europa kein geographischer Begriff, sondern eine Bezeichnung für eine Zivilisationsstufe ist, konnte man hoffen, ein Teil Europas zu werden. Dies war auch ein entscheidender Punkt hinter vielen Modernisierungs- und „Verwestlichungs“-Bewegungen. Nur das scheinbar inklusive Modell einer Zugehörigkeit zur modernen, europäischen Welt konnte diese nach Innen legitimieren. Das berühmteste Beispiel ist sicher die dem Khediven Ismail Pascha zugeschriebene Aussage, Ägypten wäre nach den Reformen kein Teil Afrikas mehr, sondern läge in Europa.[11] Und die Europäer forderten diese Reformen mit eben diesem Argument ein. Die ungleichen Verträge etc. würden aufgehoben, die Unabhängigkeit gewährt, sobald ein Land im Inneren und nach Außen europäische Standards eingeführt und umgesetzt hätte, so zumindest versprachen es die westlichen Mächte.

An inneren Werten aber bot Europa Asien scheinbar nichts. „Vom Westen lernen heißt siegen lernen“ bezog sich nur auf materielle Aspekte, wie der bekannte Ausspruch Zhang Zhidongs belegt: „chinesisches Lernen für das Substantielle, westliches Lernen für das Nützliche“. Insofern wurde zwar Europa als einheitliche Kultur, aber fragmentierte Macht erlebt, die eben nicht als in allen Bereichen überlegen definiert wurde – zumindest am Ende des 19. Jahrhunderts. Wenn man den technischen Vorsprung aufholte, konnte man so ein Teil Europas werden ohne seine eigene kulturelle Identität aufzugeben. Familien- und Geschlechterbeziehungen wurden oft thematisiert, doch eher selten zum Vorteile Europas. Besonders Japaner sahen ihren eigenen Patriotismus als überlegen an. Europa schien hier schon degeneriert, individualisiert, eine überreife Frucht, die nur noch gepflückt werden müsse. Auch wenn Tamai und mit ihm viele Japaner (und andere Asiaten) unverhohlen vieles an Deutschland bewunderten, man pochte doch auf die eigene Überlegenheit und Unabhängigkeit. Europa war einerseits der junge Spund, der einem den eigenen Platz streitig machte, andererseits aber schon so dekadent und schwach, dass das Ende seiner Überlegenheit absehbar war. Dies wird vor allem an der Stelle über die Lernfähigkeit der Europäer und die Sprachbegabung der Deutschen im Besonderen deutlich. Ob dies nun eigenen Wünschen entsprang oder auf verallgemeinerbaren Beobachtungen beruhte, lässt sich anhand dieses Quellentextes nicht beantworten.

Die Quelle im Kontext der Zeit

Abschließend muss betont werden, dass das Vorwort zu „Ostasien“ mit seinem selbstbewussten Ton eine außergewöhnliche Quelle aus dieser Zeit darstellt. Die Zeitschrift bildet unter den von Asiaten herausgegebenen Zeitschriften insofern eine Ausnahme, als in ihr die asiatische Seite fast durchgängig ausgesprochen selbstbewusst argumentiert. Andere bekannte Zeitschriften wie die indische „The Modern Review“ spiegeln ein ambivalenteres Selbstbild wider. Für indische Autoren stellte der Status Indiens als britische Kolonie ein Argumentationsproblem dar. Einerseits versucht man stolz auf sich zu sein, andererseits argumentierte man aus einem Inferioritätsgefühl den Europäern gegenüber heraus. Ansonsten wurde Kritik eher in der eigenen Muttersprache oder in dezidierten Kampfschriften geäußert. Der selbstbewusste Stil in „Ost-Asien“ scheint eine Besonderheit japanischer Autoren zu sein, die sicher auch der Tatsache geschuldet ist, dass Japan nicht nur formal unabhängig war (im Gegensatz zu Indien), sondern auch sichtbare Erfolge bei der Modernisierung erzielt hatte (im Gegensatz zu China). Dabei ist hier nicht strikt zu trennen zwischen einem Japaner in Deutschland und den Diskussionen in Asien. So wie Tamai immer den Kontakt zur japanischen Heimat aufrechterhalten musste, um als Wirtschaftsvermittler auf dem neuesten Stand – und damit attraktiv – zu sein, so war die Heimat an der Meinung der „West“-Experten interessiert. Von wem daher welche Idee zuerst kam, lässt sich im konkreten Falle nur schwer belegen, auch deshalb, weil in dieser Zeit die Elite zunehmend westlich ausgebildet war. Generell wurde die eigene Position, wenn sich Asiaten in Europa aufhielten, vorsichtiger formuliert, sei es aus einem Höflichkeitsgefühl als Gast heraus, sei es aus politischer Rücksichtnahme. Dies änderte sich aber über die Zeit, vor allem der Erste Weltkrieg bildet hier eine einschneidende Zäsur. Ebenso ist die Zeitschrift an sich etwas Besonderes. Sie ist eine der wenigen seriellen und breitenwirksamen Quellen, in der Asiaten europäische Vorstellungen von sich und ihren Heimatländern mit den europäischen Selbstbeschreibungen konterkarierten. Ein Periodikum, das sich in der Sprache des Gastlandes über einen so langen Zeitraum in diesem Stil äußern kann, spricht auch dafür, dass es in Deutschland durchaus ein Interesse an asiatischen, sprich japanischen, Äußerungen über Europa respektive Deutschland gab.



[1] Essay zur Quelle: Tamai Kisak, Vorwort zu „Die erste Monatszeitschrift eines Japaners in Europa. Ost-Asien“ (1898).

[2] Im Weiteren werden die Begriffe Europa und Asien sowie Asiaten und Europäer trotz ihrer Vieldeutigkeit und ihrer umstrittenen Bedeutung und Konstruktion ohne Anführungszeichen verwandt. Dies beruht zum einen auf der Beobachtung, dass beide Begriffe inzwischen in die Alltagssprache übergegangen sind, zum anderen soll hier der Quellenbegriff untersucht werden. Es handelt sich dabei zwar um eine kritisierbare Vereinfachung, doch dient sie auch der Bequemlichkeit des Lesers.

[3] Hay, Stephen N., Asian Ideas of East and West. Tagore and His Critics in Japan, China, and India, Cambridge, Mass. 1970; Frey, Marc; Spakowski, Nicola (Hgg.), Asianismen seit dem 19. Jahrhundert. Comparativ 18/6, Leipzig 2008; Aydin, Cemil, The Politics of Anti-Westernism in Asia. Visions of World Order in Pan-Islamic and Pan-Asian Thought, New York 2007.

[4] Siehe für diese außeuropäische Konstruktion z.B. Raychaudhuri, Tapan, Europe reconsidered. Perceptions of the West in nineteenth century Bengal, Delhi 1988; Sen, Simonti, Travels to Europe. Self and other in Bengali travel narratives, 1870-1910 (New perspectives in South Asian history; 9), Hyderabad 2005.

[5] Nach japanischer Gepflogenheit steht im Weiteren der Nachname vor dem Vornamen und wird nicht durch ein Komma von diesem getrennt; der Familienname ist also Tamai.

[6] Vgl. Conrad, Sebastian, Vorwort: „Europa“ aus der Sicht nichtwestlicher Eliten, 1900-1930, in: Journal of Modern European History 4 (2006), S. 158-170, hier S. 159.

[7] Vgl. Kawamura, Shige’ichi, Tamai Kisaku (1866-1906) Journalist und Konsul ehrenhalber in Berlin. Der erste Japaner in Deutschland, der eine deutschsprachige Monatszeitschrift herausbrachte, in: Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin, Brückenbauer. Pioniere des japanisch-deutschen Kulturaustausches, Berlin 2005, S. 165-173, hier S. 167.

[8] Die Untersuchung der Selbstvergewisserung durch Kontakt zu Anderen ist vor allem in der angelsächsischen Kulturgeschichte des Kolonialismus inzwischen üblich, siehe hierzu das Review Essay: Weiß, Andreas, Die Kolonien in Europa. Transfers und Rückwirkungen zwischen Europa und der außereuropäischen Welt, in: Berliner Journal für Soziologie 4 (2008). Ebenso ist es Teil meines Dissertationsprojektes „Asiaten in Europa. Begegnungen zwischen Asiaten und Europäern, 1880-1914“.

[9] Vgl. die Quelle zum Essay: Tamai Kisak, Vorwort zu „Die erste Monatszeitschrift eines Japaners in Europa. Ost-Asien“ (1898).

[10] O. A., Feinde der Kultur, in: Ost-Asien 1904, 73, 1 (April), S. 8-9, bes. S. 8.

[11] „Mon pays n’est point en Afrique, il est en Europe.“ aus Fathy, Mahmoud, La doctrine musulmane de l’abus des droits: Etude d’histoire juridique et de droit comparé (Travaux du Séminaire Oriental d’Etudes Juridiques et Sociales; 1), Lyon 1913, S. 24. Ich danke Friedhelm Hoffmann für den Quellenhinweis.



Literaturhinweise:

  • Bonnett, Alastair, The Idea of the West. Culture, Politics and History, Basingstoke 2004.
  • Chen, Feng, Die Entdeckung des Westens. Chinas erste Botschafter in Europa 1866-1894, Frankfurt am Main 2001.
  • Conrad, Sebastian, Vorwort: „Europa“ aus der Sicht nichtwestlicher Eliten, 1900-1930, in: Journal of Modern European History 4 (2006), S. 158-170.
  • Hay, Stephen N., Asian Ideas of East and West. Tagore and His Critics in Japan, China, and India, Cambridge, Mass. 1970.
  • Raychaudhuri, Tapan, Europe reconsidered. Perceptions of the West in nineteenth century Bengal, Delhi 1988.
  • Sen, Simonti, Travels to Europe. Self and other in Bengali travel narratives, 1870-1910 (New perspectives in South Asian history; 9), Hyderabad 2005.

Tamai Kisak, Vorwort zu „Die erste Monatszeitschrift eines Japaners in Europa. Ost-Asien“ (1898)[1]

Vorwort. Ost-Asien erregt seit einigen Jahren mehr als je zuvor die Aufmerksamkeit von ganz Europa. Mögen auch zwischen den einzelnen Ländern und Völkern Ost-Asiens nicht wenige und auch nicht geringe Unterschiede bestehen, so besitzen alle zusammen doch eine ähnliche gemeinsame Einheit der Kultur, wie die Staaten und Nationen Europas in ihrer Gesamtheit. Ganz Ost-Asien wird darum, wie der Titel der vorliegenden Monatsschrift besagt, zum Bereich ihres mannigfaltigen Inhalts gehören; doch soll aus ihrer allgemeinen Bestimmung ein besonderer Zweck hervortreten, nämlich die Pflege eines regeren, dichteren Handelsverkehrs zwischen Japan und Deutschland, den beiden seit den letzten Jahrzehnten am meisten aufstrebenden Reichen in Ost-Asien und Europa.

Zum ersten Mal tritt eine Monatsschrift, die von einem Japaner in Europa begründet ist, vor die Öffentlichkeit. Darum sei es dem unterzeichneten Chefredakteur und Herausgeber von „Ost-Asien“ gestattet, sich mit der folgenden Erklärung an den verehrten Leserkreis zu wenden.

Vor vier Jahren kam ich aus meinem Heimatlande über Sibirien und Russland nach Berlin, um mich hier, in der Hauptstadt des Deutschen Reiches, als Schriftsteller und Mitarbeiter der angesehensten Zeitungen im In- und Auslande zu bethätigen und vor allen Dingen die gesamten Beziehungen zwischen Deutschland und Japan namentlich in Bezug auf den gegenseitigen Handel kennen zu lernen. In dieser Zeit sind aus kaufmännischen wie gewerblichen Kreisen so viele Anfragen um Auskunft über japanische Verhältnisse an mich ergangen, dass ich allmählich auf den Gedanken kommen musste, wie nützlich, ja notwendig es wäre, eine deutsche Zeitschrift zu begründen, aus der sich diese geschäftlichen Kreise leichter über alle einschlägigen Zustände unterrichten könnten. Denn chinesische oder japanische Zeitungen richtig zu lesen, ist für den Europäer sogar nach mehrjährigen angestrengten Studium kaum möglich: und so bleiben für den deutschen Handels- oder Fabrikherren, der nicht eigene Vertretungen in Ost-Asien hat, als einzige Quellen – von der deutschen „Ost-Asiatischen Lloyd“ abgesehen – nur englische Zeitungen und Zeitschriften übrig.

Als Japaner habe ich jedoch auch vor allem in Japan selbst ansässigen Fremden den Vorzug, die genaueste, innerste Kenntnis sowohl aller Erzeugnisse und Bedürfnisse meines Vaterlandes, als auch der Fähigkeiten und Neigungen meines Volkes zu besitzen. Ausserdem bin ich durch die besten Verbindungen mit hohen und höchsten amtlichen wie geschäftlichen Kreisen Japans, die mein Unternehmen sehr begünstigen und fördern, in die Lage versetzt, den Abonnenten und Inserenten meiner hiermit erscheinenden Monatsschrift „Ost-Asien“ im Verkehr mit dieser Weltgegend und zumal mit meinem Heimatlande Japan in ganz vorzüglicher Weise mit Rat und That zur Seite zu stehen.

Wie für den geschäftlichen Teil, so sind auch für Politik, Wissenschaft, Kunst und die übrigen Zweige des öffentlichen Lebens bereits nicht wenige tüchtige und angesehene Mitarbeiter gewonnen worden, deren Anzahl noch stetig zu vermehren mein ernstliches Bestreben bleiben wird.

So möge denn „Ost-Asien“ zu glücklicher Fahrt vom Stapel laufen und zwischen Europa und Ostasien im allgemeinen und Deutschland und Japan im besonderen einen regen Tauschverkehr von sachlichen und geistigen Gütern vermitteln helfen!


[1] Tamai Kisak, Vorwort, in: Die erste Monatszeitschrift eines Japaners in Europa. Ost-Asien. No. 1, April 1898, I. Jahrgang.


Für das Themenportal verfasst von

Andreas Weiß

( 2010 )
Zitation
Andreas Weiß, Europa aus der Sicht Asiens. Beziehungen in einer Konstruktionsgeschichte, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2010, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1514>.
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