Das Europa der Motivforschung. Kultur und Beruf am Beispiel der Werbetreibenden nach dem Zweiten Weltkrieg

Die Werbewirtschaft gilt heutzutage als wichtiger Teil der neuen, dynamischen „kreativen Industrien“ bzw. der sie tragenden „kreativen Klasse“. Obwohl ihr Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt selbst in OECD-Mitgliedsstaaten immer noch relativ gering ist (zwischen 0,2 und 0,8 Prozent), widmen ihr die meisten Regierungen seit ungefähr zehn bis 15 Jahren wachsende Aufmerksamkeit, da sie als Wachstumssektor von post-industriellen Gesellschaften gilt. Über die wirtschaftliche Bedeutung hinaus ist natürlich die Werbung ein wichtiger Teil der Kultur unserer Gesellschaft. Stärker als die politische oder religiöse Symbolik besetzt sie den öffentlichen Raum, vor allem in den Metropolen Europas. [...]

Das Europa der Motivforschung. Kultur und Beruf am Beispiel der Werbetreibenden nach dem Zweiten Weltkrieg[1]

Von Manuel Schramm

Die Werbewirtschaft gilt heutzutage als wichtiger Teil der neuen, dynamischen „kreativen Industrien“ bzw. der sie tragenden „kreativen Klasse“.[2] Obwohl ihr Anteil am gesamten Bruttoinlandsprodukt selbst in OECD-Mitgliedsstaaten immer noch relativ gering ist (zwischen 0,2 und 0,8 Prozent[3]), widmen ihr die meisten Regierungen seit ungefähr zehn bis 15 Jahren wachsende Aufmerksamkeit, da sie als Wachstumssektor von post-industriellen Gesellschaften gilt. Über die wirtschaftliche Bedeutung hinaus ist natürlich die Werbung ein wichtiger Teil der Kultur unserer Gesellschaft.[4] Stärker als die politische oder religiöse Symbolik besetzt sie den öffentlichen Raum, vor allem in den Metropolen Europas.

Ist die kulturelle Bedeutung der Werbung unumstritten, so ist doch der Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Werbung, ihrer Professionalisierung und Verwissenschaftlichung, und der Europäisierung Europas noch nicht erforscht. Inwiefern trug die Werbung zur kulturellen Einigung Westeuropas bei? Lassen sich hier, wie in anderen Bereichen des Konsums, europäische Besonderheiten ausmachen, die die europäischen Konsumgesellschaften von anderen, zum Beispiel der US-amerikanischen oder japanischen, unterschieden? Welche Vorstellungen von Europa herrschten bei den Werbetreibenden selbst vor? Wie stark war die Orientierung an den USA?

Diese Fragen können in der folgenden Skizze zwar nicht befriedigend beantwortet, sollen aber an dem Beispiel des österreichisch-amerikanischen Psychologen und Werbefachmanns Ernest Dichter näher ausgeführt werden. Im Folgenden werden zunächst Person und Biografie Dichters und das damit verbundene Feld der Motivforschung vorgestellt. Zweitens wird die Motivforschung als europäisch-amerikanischer Kulturtransfer analysiert. Drittens wird, ausgehend von der zugehörigen Quelle, das Europakonzept Dichters näher untersucht. Viertens schließlich soll die Frage nach Ähnlichkeiten und Unterschieden in der europäischen Werbung angesprochen werden.

Ernest (ursprünglich Ernst) Dichter wurde am 14. August 1907 in Wien geboren. Sein Vater, den er später als „unbeschreiblich erfolglosen Verkäufer“[5] bezeichnete, war ein ambulanter Textil- und Kurzwarenhändler.[6] Dichter war also von klein auf mit dem Verkaufen von Waren vertraut. Er selbst machte eine Ausbildung zum Verkäufer und Schaufensterdekorateur, bevor er das Abendgymnasium besuchte und schließlich ab 1930 zunächst Literatur und Romanistik, später dann Psychologie studierte. Nach seiner Promotion 1934 schlug er sich mit verschiedenen Arbeiten durch, unter anderem in der Wirtschaftspsychologischen Forschungsstelle des Soziologen Paul Lazarsfeld. Bereits hier sammelte er erste Erfahrungen in der Marktforschung. 1937 emigrierte er über Paris in die USA, wo er ebenfalls in einem Marktforschungsinstitut Anstellung fand, bevor er sich 1946 mit seinem Institute for Motivational Research selbständig machte. Bekannt wurde er durch eine Reihe von klassischen Studien, die er Ende der 1930er- und in den 1940er-Jahren für US-amerikanische Firmen durchführte, zum Beispiel für das Männermagazin Esquire, den Seifenhersteller Procter & Gamble und die Automobilfirma Chrysler. Seine einfache, aber für die damalige Zeit ungewöhnliche Idee bestand darin, die Konsumenten und Konsumentinnen nicht direkt nach ihren Kaufmotiven zu fragen, sondern eine Reihe von sogenannten Tiefeninterviews durchzuführen, um der wahren Bedeutung der Produkte und den unbewussten Motiven auf die Spur zu kommen.

Offensichtlich inspiriert von psychoanalytischen Methoden, verstand er Kaufentscheidungen als häufig unbewusst irrational motivierte Handlungen voller sexueller Konnotationen. So interpretierte er in einem berühmten Beispiel das Cabrio als Symbol für die Geliebte, während die Limousine für die Ehefrau stand.[7] Seine daraus abgeleitete Empfehlung war, die Kunden mit Hilfe des Cabrios anzulocken, um ihnen dann eine Limousine zu verkaufen. Auf Dichter geht in diesem Zusammenhang der Begriff „Image“ zurück. Er suchte in Anlehnung an die Gestaltpsychologie nach einer Übersetzung der deutschen Wörter Gestalt, Konfiguration, Totalität oder Melodie.[8] Mit seinen für die damalige Zeit unkonventionellen Methoden wurde Dichter in den 1950er-Jahren zum weltweit gefragten Werbefachmann, aber auch zur Zielscheibe von Gesellschaftskritik. In dem Bestseller des konsumkritischen Journalisten Vance Packard (Die geheimen Verführer[9]) von 1957 erschien er als der zentrale Bösewicht, der mit Hilfe seiner psychologischen Kenntnisse die Konsumenten und Konsumentinnen nach Belieben manipulieren kann. Das Buch machte Dichter noch bekannter als er ohnehin schon war.[10] Einige Jahre später begann sein Stern allerdings zu sinken, in den USA bereits nach 1960 und in Europa seit Mitte der 1960er-Jahre. Er blieb bis ins hohe Alter als Management-Berater aktiv und verstarb 1991.[11]

Die Ursprünge der Motivforschung liegen nach Dichters Angaben in seiner Kindheit: „Ich hatte rote Haare, war nicht so athletisch gebaut wie die anderen und trug Jahre hindurch nur alte Kleider, weil meine Familie sehr arm war.“[12] Sein Interesse an Motiven erwuchs demnach aus seiner Außenseiterposition, die ihn befähigte, die Menschen anders wahrzunehmen als sie sich selbst und gerade deswegen in die Rolle des Beobachters und Beraters zu schlüpfen.[13] Ein weiteres Schlüsselerlebnis stellte seine Verhaftung 1936 dar. Die österreichische Polizei hielt die Wirtschaftspsychologische Forschungsstelle insgesamt für einen Spionagering und Dichters Aufzeichnungen über die Milchtrinkgewohnheiten seiner Landsleute für einen chiffrierten Text. So wurde Dichter gefragt: „Was ist die wirkliche Bedeutung des Wortes Milch?“[14] Die Parallelen zur Motivforschung sind nicht zu übersehen – und dennoch handelt es sich hierbei nur um Ursprungsmythen. Ernest Dichter war natürlich nicht der erste, der auf die Idee kam, psychologische Methoden in den Dienst kommerzieller Interessen zu stellen. Bereits 1914 hatte der in den USA lehrende deutsche Psychologe Hugo Münsterberg seine Grundzüge der Psychotechnik veröffentlicht, die ebenfalls verschiedene mögliche Anwendungen der Psychologie auf wirtschaftliche Probleme diskutierten, unter anderem auf die Werbung.[15] Auch Schriften aus dem Gebiet der Werbelehre wie Viktor Matajas Reklame (1910) beschäftigten sich bereits mit psychologischen Fragestellungen.[16]

Die intellektuellen Einflüsse auf Dichters Motivforschung sind vielfältig und liegen neben der Freudschen Psychoanalyse in der Gestaltpsychologie, der Ethnologie und dem Positivismus des Wiener Kreises.[17] Die meisten Anregungen dürfte er in seiner Studienzeit in Wien und Paris empfangen haben. Die Motivforschung entstand somit aus einem Zusammentreffen bestimmter europäischer intellektueller Traditionen mit der US-amerikanischen Konsumkultur.[18] Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Motivforschung nach Europa re-exportiert und wurde dort sogleich trotz ihrer europäischen Wurzeln als Teil einer umfassenden Amerikanisierung kritisiert. Mit gleicher Berechtigung könnte man in ihr auch einen Beitrag zur Europäisierung der USA sehen.

Die Fixierung auf die Amerikanisierung dürfte ihre Ursache in den weitreichenden Veränderungen haben, denen die Werbebranche nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesetzt war. US-amerikanische Werbeagenturen verbreiteten sich in Europa. Mit ihnen kam das neue Konzept der Full-Service-Agentur, die alle Werbedienstleistungen aus einer Hand lieferte. Die großen Unternehmen gingen mit recht unterschiedlicher Geschwindigkeit von der Werbung zum Marketing über, also zur marktorientierten Unternehmensführung mit gezielter Produkt-, Preis-, Kommunikations- und Vertriebspolitik.[19] Insofern wurde die Motivforschung als Teil eines größeren Umgestaltungsprozesses von Wirtschaft und Gesellschaft wahrgenommen. Insbesondere versprach sie die Verwissenschaftlichung der Werbung, die bis dahin noch viele Merkmale einer Kunst trug. So bezeichnete Dichter die Motivforschung als „praktische Anwendung von Methoden der Sozialwissenschaft auf die Probleme menschlicher Motivation“.[20] Damit schien ein Schlüssel zur Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme gefunden zu sein und Dichter hatte keine Zweifel, dass sich die Motivforschung auch im politischen Bereich einsetzen ließe, wie die vorliegende Quelle zeigt.[21]

Die Rezeption der Motivforschung in Europa war uneinheitlich. Einerseits war Dichter auch und gerade in Europa in den 1950er- und 1960er-Jahren ein gefragter Mann, als Redner wie als Berater. Andererseits fehlte es nicht an Kritikern. Vertreter der deutschen Werbelehre wie Hanns Kropff warfen ihm eine Überbewertung der emotionalen und vor allem sexuellen Komponente des Konsums vor.[22] In Frankreich kehrte nach anfänglichem Interesse von Seiten der Unternehmen in den 1960er-Jahren Ernüchterung ein, da die Motivforschung offenbar nicht die erwünschten Resultate zeitigte.[23] In Großbritannien kam Dichter nie über den Status eines Außenseiters hinaus.[24]

Heutzutage sind die von Dichter propagierten Methoden wie Tiefeninterviews weitgehend akzeptiert und werden vor allem in explorativen Pilotstudien verwendet, ohne die standardisierten Umfragen verdrängen zu können.[25] Die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung der Werbung stieß jedoch an Grenzen. Nach wie vor ist das Berufsbild des Werbers sehr heterogen und die Ausbildung uneinheitlich.

Ernest Dichter äußerte sich nur sehr zurückhaltend zu im engeren Sinne politischen Fragen. Grundlegend war für ihn aber die Bejahung der westlichen Demokratie, ihrer Konsumkultur und Marktwirtschaft, die er als untrennbar verknüpft ansah.[26] Ein überzeugter Europäer war er wohl nicht. Jedenfalls amerikanisierte er sich schon kurz nach seiner Ankunft in den USA selbst: Er versuchte, seinen österreichischen Akzent abzulegen und gab seinen Kindern bewusst amerikanische Vornamen.[27]

Es ist somit kein Zufall, dass in Dichters Ausführungen zur europäischen Einigung die US-amerikanische Perspektive dominiert. Das unausgesprochene Vorbild für die angestrebten Vereinigten Staaten von Europa sind für ihn ganz selbstverständlich die Vereinigten Staaten von Amerika – so beispielsweise in seinem Hinweis, der Amerikaner fühle sich eben als Amerikaner und nicht als Mainer oder New Yorker. Er stellte sich die Vereinigten Staaten von Europa nicht als Summe von Nationalstaaten vor, sondern als Nationalstaat, mit dem sich die Europäerinnen und Europäer identifizieren sollten. Dazu galt es, die nationalen Identitäten und die damit verbundenen Vorurteile innerhalb Europas zu überwinden und nicht sie zu integrieren. Loseren Konzepten der europäischen Integration erteilte er eine Absage. So könne Großbritannien nicht gleichzeitig das Commonwealth beibehalten und alle Vorteile der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft genießen.[28]

Was ist nun der spezifische Ertrag der Motivforschung? Zu Recht betont Dichter die Bedeutung der kulturellen Komponente. Die europäische Einigung, wenn sie erfolgreich sein soll, könne nicht nur politisch und wirtschaftlich erfolgen, sondern es müsse zuvor ein Europäer erschaffen werden. Das größte Hindernis bestand nach seiner Meinung in der Furcht vor zu großer Vereinheitlichung und dem Verlust von nationaler oder regionaler Identität. Dementsprechend richteten sich seine Empfehlungen stark auf die symbolische Ebene: Geschichtsunterricht, Landkarte, Pässe, Währung und anderes. Damit befindet sich Dichter in Übereinstimmung mit der neueren Nationalismusforschung, die ebenfalls die Integrationsleistung von Symbolen, Mythen und Ritualen betont.[29]

War Dichter also seiner Zeit voraus? Ja und nein. Seine Vorschläge erinnern stark an die nation-building genannten Bemühungen europäischer Nationalisten des 19. Jahrhunderts. Nach der italienischen Einigung sagte der Schriftsteller und Politiker Massimo D’Azeglio, man habe Italien gemacht, jetzt müsse man Italiener machen.[30] Der Einsatz von Symbolen wie Flaggen, Landkarten oder Hauptstädten, die Instrumentalisierung der Schulen, alles das war für Nationalisten wie D’Azeglio selbstverständlich, auch ohne über Kenntnisse in der Motivforschung zu verfügen oder Umfragen durchgeführt zu haben.

Dichters Europa-Untersuchung zeigt also letztlich die Chancen und Grenzen der Motivforschung gleichzeitig auf: Einerseits berücksichtigt sie zu Recht kulturelle Komponenten und thematisiert vorhandene, nicht eingestandene Ängste. Andererseits gehen die daraus resultierenden Empfehlungen jedoch nicht über die Ebene des common sense hinaus.

Dichter ermahnte nicht zuletzt die Werbetreibenden und die Firmen, nicht nur passiv auf die Entstehung des europäischen Konsumenten zu warten, sondern ihn oder sie aktiv hervorzubringen. Diesem Rat scheinen nur wenige gefolgt zu sein. Jedenfalls gibt es zwar viele europäische Produkte, aber keines, das symbolisch für Europa steht wie etwa der Volkswagen für Deutschland. Ob es mittlerweile, fast 40 Jahre nach Dichters Untersuchung, einen europäischen Konsumenten gibt, ist selbst unter Fachleuten umstritten. Die deutsche Gesellschaft für Konsumforschung spricht von acht europaweit vorhandenen Zielgruppen, die sie als „Euro Socio Styles“ bezeichnen.[31] Nach diesem Ansatz variieren weniger die Zielgruppen an sich als vielmehr ihre quantitative Verteilung zwischen den europäischen Ländern. Andere Forscher verweisen darauf, dass selbst zwischen benachbarten und ähnlich wohlhabenden europäischen Ländern nach wie vor wichtige Unterschiede im Konsumverhalten bestehen – vom Fleischverbrauch über die Ausgaben für Bekleidung bis zur Ausstattung der Haushalte mit Geschirrspülern und Mikrowellen.[32]

Auch die Werbeausgaben weisen zwischen den europäischen Ländern erhebliche Unterschiede auf. Sie variieren zwischen 0,6 Prozent (Italien) und 1,4 Prozent (Portugal) des Bruttoinlandsprodukts.[33] Inwieweit es im Werbestil Vereinheitlichungstendenzen gibt, ist schwerer zu beurteilen. Manche Beobachter sehen bis heute Unterschiede zwischen deutscher, britischer, italienischer und französischer Werbung. Die britische Werbung sei ironisch und unterhaltend, die französische eher romantisch und emotional. Die deutsche und italienische Werbung seien dagegen stark auf den Binnenmarkt ausgerichtet.[34] Ob es sich hierbei um Klischees oder reale Unterschiede handelt, ist schwer zu beurteilen. In der gut untersuchten Automobilwerbung scheint es durchaus Angleichungstendenzen zu geben, die vor allem auf die zunehmende Bedeutung internationaler Werbekampagnen zurückgehen. War Volkswagen mit seiner standardisierten Werbekampagne für den Käfer in den 1960er-Jahren noch eine isolierte Ausnahme, so brachten die 1990er-Jahre hier einen Durchbruch.[35] Unter Werbefachleuten wird die Diskussion über die Frage, ob international standardisierte Werbekampagnen sinnvoller sind als länderspezifische Abwandlungen schon seit 50 Jahren geführt und ein Ende ist nicht in Sicht. Offenbar funktionieren standardisierte Kampagnen für bestimmte Produkte (zum Beispiel Whisky, Parfum und Computer), aber nicht für andere.[36] Die in den 1980er-Jahren etwas vorschnell postulierte globale Angleichung des Konsums und der Konsumenten und Konsumentinnen[37] wird jedenfalls zunehmend in Zweifel gezogen.



[1] Essay zur Quelle: Ernest Dichter: Europas unsichtbare Mauern (1962). Die Druckversion des Essays findet sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 149–155, Band 2 der Schriftenreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.

[2] Florida, Richard, The Rise of the Creative Class and How it’s Transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York 2002; Howkins, John, The Creative Economy. How People Make Money from Ideas, London 2002.

[3] United Nations, Creative Economy Report 2008, Genf 2008, S. 31.

[4] Vgl. Schug, Alexander, Werbung und die Kultur des Kapitalismus, in: Haupt, Heinz-Gerhard; Torp, Claudius (Hgg.), Die Konsumgesellschaft in Deutschland 1890–1990. Ein Handbuch, Frankfurt am Main 2009, S. 355–369.

[5] Dichter, Ernest, Motivforschung, mein Leben. Die Autobiographie eines kreativ Unzufriedenen, Frankfurt am Main 1977, S. 46.

[6] Mucha, Christian W., Wie Ernest Dichter mein Leben veränderte, in: Gries, Rainer; Schwarzkopf, Stefan (Hgg.), Ernest Dichter. Doyen der Verführer. Zum 100. Geburtstag des Vaters der Motivforschung, Wien 2007, S. 7–11, hier S. 7; Fullerton, Robert, Ernest Dichter, der Motivforscher, in: ebd., S. 58–75, hier S. 59; Gries, Rainer; Schwarzkopf, Stefan; Lahm, Stefanie, Der große Verführer?, in: ebd., S. 12–31, hier S. 14.

[7] Vgl. Karmasin, Helene, Auto-Suggestionen. Dichters Studien zum Kraftfahrzeug, in: Gries; Schwarzkopf, Ernest Dichter, S. 158–169.

[8] Dichter, Motivforschung, mein Leben, S. 80.

[9] Packard, Vance, Die geheimen Verführer. Der Griff nach dem Unbewussten in jedermann, Frankfurt am Main 1957 (Originaltitel: Packard, Vance, The Hidden Persuaders, New York 1957).

[10] Dichter, Motivforschung, mein Leben, S. 134f.

[11] Gries; Schwarzkopf, Ernest Dichter, S. 28f.; Fullerton, Ernest Dichter, S. 59.

[12] Dichter, Motivforschung, mein Leben, S. 13.

[13] Gries; Schwarzkopf; Lahm, Der große Verführer?, S. 13.

[14] Dichter, Motivforschung, mein Leben, S. 62.

[15] Münsterberg, Hugo, Grundzüge der Psychotechnik, Leipzig 1914.

[16] Mataja, Viktor, Die Reklame. Eine Untersuchung über Ankündigungswesen und Werbetätig­keit im Geschäftsleben, München 21916.

[17] Gries; Schwarzkopf; Lahm, Der große Verführer?, S. 24f.

[18] Horowitz, Daniel, Von Wien in die USA und zurück. Ernest Dichter und die amerikanische Konsumkultur, in: Gries; Schwarzkopf, Ernest Dichter, S. 108–127.

[19] Vgl. Schröter, Harm, Die Amerikanisierung der Werbung in der Bundesrepublik Deutsch­land, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1997), S. 93–115; Berghoff, Hartmut (Hg.), Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt am Main 2007.

[20] Dichter, Ernest, Strategie im Reich der Wünsche, Düsseldorf 1961, S. 21.

[21] Vgl. Dichter, Ernest, Europas unsichtbare Mauern. Die Rolle nationaler Vorurteile und ihre Überwindung. Eine Motivuntersuchung zur europäischen Einigung für die Europa-Union Deutschland, Düsseldorf 1962, S. 35f., S. 39–42, S. 44, S. 49, S. 51–54.

[22] Gries, Rainer, Produktkommunikation. Geschichte und Theorie, Wien 2008, S. 25f.

[23] Joannis, Henri, De l’étude de motivation à la création publicitaire et à la promotion des ventes, Paris 1969, S. 5f.

[24] Schwarzkopf, Stefan, Ernest Dichter motiviert Großbritannien. Oder: Wie der Kalte Krieg eine „amerikanische“ Marktforschungstechnik etwas „englischer“ machte, in: Gries; Schwarzkopf, Ernest Dichter, S. 218–233, hier S. 231.

[25] Vgl. Berekoven, Ludwig; Eckert, Werner; Ellenrieder, Peter (Hgg.), Marktforschung. Methodische Grundlagen und praktische Anwendung, Wiesbaden 122009, S. 89f.

[26] Gries; Schwarzkopf; Lahm, Der große Verführer?, S. 26f.; Prechtl, Gerd, Der Pragmatiker der Macht, in: Gries; Schwarzkopf, Ernest Dichter, S. 268–273, hier S. 269f.

[27] Horowitz, Von Wien in die USA und zurück, S. 114; Gries; Schwarzkopf; Lahm, Der große Verführer?, S. 19.

[28] Dichter, Ernest, Europas unsichtbare Mauern. Die Rolle nationaler Vorurteile und ihre Überwindung. Eine Motivuntersuchung zur europäischen Einigung für die Europa-Union Deutschland, Düsseldorf 1962, S. 47.

[29] Vgl. Siegrist, Hannes; François, Etienne; Vogel, Jakob (Hgg.), Nation und Emotion. Deutschland und Frankreich im Vergleich, 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 1995.

[30] Hobsbawm, Eric, Nations and Nationalism since 1780. Programme, Myth, Reality, Cambridge 1990, S. 44.

[31] GfK Group, Euro-Socio-Styles. Zielgruppenorientierung für strategische Marketingplanung, URL: <http://www.gfk.com/imperia/md/content/homepage_old/produkte/produkt_pdf/50/ess2002d.pdf> (20.12.2012).

[32] De Mooij, Marieke, Global Marketing and Advertising. Understanding Cultural Paradoxes, Los Angeles 32010, S. 4; Eurostat (Hg.), Verbraucher in Europa. Zahlen, Daten, Fakten, Luxemburg 2002, S. 70, S. 87, S. 111.

[33] Ebd., S. 38.

[34] Tungate, Mark, Adland. A Global History of Advertising, London 2007, S. 92, S. 127, S. 149.

[35] Minucci, Marko, Automobilwerbung in Italien und Deutschland, Wilhelmsfeld 2008, S. 466f.

[36] De Mooij, Global Marketing, S. 14–17.

[37] Levitt, Theodore, The Globalization of Markets, in: Harvard Business Review 61 (1983), S. 92–102.



Literaturhinweise

  • Berghoff, Hartmut (Hg.), Marketinggeschichte. Die Genese einer modernen Sozialtechnik, Frankfurt am Main 2007.
  • Gries, Rainer; Schwarzkopf, Stefan (Hgg.), Ernest Dichter. Doyen der Verführer. Zum 100. Geburtstag des Vaters der Motivforschung, Wien 2007.
  • Schramm, Manuel, Konsum im 20. Jahrhundert. Regionalisierung, Europäisierung, Amerikanisierung?, in: Eberhard, Winfried; Lübke, Christian (Hgg.), Die Vielfalt Europas. Identitäten und Räume, Leipzig 2009, S. 235
  • Schröter, Harm, Die Amerikanisierung der Werbung in der Bundesrepublik Deutschland, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (1997), S. 93.
  • Tungate, Mark, Adland. A Global History of Advertising, London 2007.

Ernest Dichter, Europas unsichtbare Mauern (1962)[1]

Aus der Praxis der Motivforschung

In meinem Beruf, den ich vor mehr als 25 Jahren begonnen habe, habe ich eine Reihe von Prinzipien zu verwenden gelernt, und vielleicht war es eine glückliche Heirat zwischen der europäischen Philosophie, philosophischer Ausbildung und dem Pragmatismus Amerikas, die sich in mir selbst vollzog. Ich habe gelernt, daß, will man menschliche Fortschritte erzielen, man zunächst einmal das Gewebe der Scheinheiligkeit zerstören muß. Man muß lernen, sich selbst so zu sehen, wie man wirklich ist, und dann von diesem Standpunkt aus den nächsten Schritt vorwärts gehen.

Was ich vor mehr als 25 Jahren Motivforschung genannt habe, wurde von der Presse als Sensation abgestempelt. Alle möglichen Bezeichnungen wurden mir an den Kopf geworfen, vom geheimen Verführer bis zum unmoralischen Mann, der dem armen Publikum das Geld aus der Tasche zieht, die Leute Dinge kaufen macht, die sie in Wirklichkeit gar nicht brauchen […].

In den meisten Fällen, in denen die Leute direkt danach gefragt werden, warum sie dies und jenes tun oder lassen, geben sie sehr rasch intelligent und logisch klingende Erklärungen, weil sie von oder in der Illusion leben, daß sie sich rationell, intelligent benehmen. In Wirklichkeit sind sehr viel mehr unserer Handlungen auf emotionaler Basis fundiert, haben irrationale Gründe. […] Womit wir uns also beschäftigen – und unser Institut hat über 2000 Studien durchgeführt – ist, daß wir professionell ungläubig sind, daß wir uns immer wieder die Frage stellen: Ist es auch wirklich so? […]

Unsere Aufgabe ist es meist, diese wahren Gründe aufzuspüren, die logisch gar nicht stichhaltig sind, eben weil sie eine irrationale, emotionale Basis haben, und weiterhin, den Kunden Hinweise zu geben, wie sie am besten verfahren, unterschwellige Widerstände solcher Art abzubauen.

Solche Probleme und Verhaltensweisen gibt es natürlich nicht nur auf dem rein kommerziellen Sektor. […] Auch in der Politik, wo wir viele Studien durchgeführt haben und von der hier die Rede sein soll.


  • Deutschland und Europa

    In einer der letzten Studien, die wir durchgeführt haben, haben wir uns nun auf das Problem der Europäischen Union konzentriert. Mit derselben pragmatischen Einstellung – zumindest war das unsere Absicht – und mit demselben ehrlichen, naiven Zynismus. Beinahe jeder Europäer ist natürlich sehr gern bereit, zu erzählen, daß er selbstverständlich für die Vereinigten Staaten von Europa ist, daß er der erste ist, der dafür stimmen würde, daß er schon längst darauf gewartet hat, und irgendeinmal müßte das doch tatsächlich zustande kommen.

    Wir haben ungefähr 700 Personen in ganz Deutschland befragt […]. Erfahren wollten wir, was die wirklichen Motive, die wirklichen Einstellungen, die wirklichen Emotionen sind, die in Europa existieren, welche dieser emotionellen Einstellungen gefördert werden könnten, welche korrigiert werden müßten.

    Wir haben eine ganze Reihe von Tiefeninterviews durchgeführt und zusätzlich auch eine Reihe von sogenannten Projektivtests, die so konstruiert waren, daß Gefühlsbereiche aufgedeckt wurden. Eines zum Beispiel: ‚Aus welcher Nation würden Sie jemanden heiraten‘? Da zeigte sich eine ganz deutliche Richtung nach dem Norden. Ob die Deutschen tatsächlich, wie die Untersuchung zeigt, so gern Schweden oder Schwedinnen heiraten, wenn es wirklich dazu kommt, ist natürlich eine andere Sache. Womit wir es aber zu tun haben, sind Leitbilder, und da werden die südlichen Länder vom Standpunkt des Ehepartners her negativ angesehen. Gleichzeitig sind die Deutschen, die hier befragt wurden, der Gesamtidee der Europa-Union gegenüber außerordentlich positiv eingestellt. […]

    Die psychologische Analyse zeigt, daß wir in den meisten Fällen mit einer ganz besonderen Art von Furcht konfrontiert werden. Der Furcht, die sich auf den Verlust der Individualität bezieht: Müssen jetzt plötzlich die Europäer die gleiche Sprache sprechen? Um Gottes willen, müssen wir jetzt alle französischen Käse essen oder – ich weiß nicht, was das Pendant wäre – deutsches Bier trinken? […]

    Was sind die Tatsachen, die wir bezüglich Europas gefunden haben? Vor allem dieses: daß sich die Europäische Union oder auch die EWG zu wünschen oder durchzuführen, nicht genügt. Um eine echte europäische Einigung zu schaffen, muß zuerst einmal ein ‚Europäer’ erschaffen werden, den es noch nicht gibt. […]

  • Praktische Hinweise

    […]

    Ein erster Punkt, der vielleicht etwas vage klingt, aber doch meiner Meinung nach sehr konkret und praktisch ist: Zunächst mal in Ihrem täglichen Gespräch, beginnend heute abend oder morgen früh, nicht mehr von sich als einem Deutschen, Franzosen oder Italiener zu sprechen, sondern als Europäer. Der Amerikaner spricht nicht von sich als Mainer oder als New Yorker oder New Engländer, er ist ein Amerikaner. […]

    Weitere praktische Maßnahmen: Wie oft haben Sie Ausländer in Ihren Familienzirkel eingeladen?

    Wieviele Fremdsprachen können Sie wirklich? Wieviel ‚Europa’ wird in den Schulen gelehrt? Ist es nicht doch wahr, daß in deutschen, französischen, italienischen Schulen viel mehr italienische, französische, deutsche Geschichte gelehrt wird als europäische? […]

    Die Möglichkeit zum Beispiel, für eine Reihe industrieller Firmen nicht nur nationale, sondern europäische Landkarten zu drucken, die – vielleicht ein schrecklicher Gedanke – keine nationalen Grenzen mehr haben, um, wie bei den Schulkindern auch den Erwachsenen zunächst einmal das Bild, die Umrisse, die Gestalt Europas einzuprägen. […]

    Vielleicht könnte man langsam an europäische Werbung denken, in der nicht mehr eine deutsche, französische oder englische Zigarette, sondern eine europäische Zigarette, ein europäisches Bier, ein europäischer Wagen herausgestellt und angeboten wird. […]

    Eine weitere praktische Idee, die mir persönlich sehr am Herzen liegt, weil sie pragmatisch ist und als Symbol gelten kann, wäre die Schaffung eines europäischen Passes. Eine verrückte Idee! […]

    Man könnte ein europäisches Zahlungsmittel einführen, ähnlich den American Travellers’ Cheques, das von einer Reihe von Banken garantiert wird.

    Eine europäische Hauptstadt! Ich bin mir völlig bewußt, daß die Frage, welches die Hauptstadt sein soll, sehr viele Schwierigkeiten aufwirft. Aber Menschen brauchen – das wissen wir von unserer Werbearbeit, von unseren politischen Aufgaben – Symbole. Es gibt noch keine richtige europäische Flagge, es gibt keine europäische Hauptstadt, es gibt keinen europäischen Paß, es gibt keine europäischen Konturen. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen nicht, die wir brauchen, an die wir von unserem nationalen Denken her gewohnt sind. […]

    Der europäische Konsument wächst außerordentlich rasch heran. Man müßte die Regierungen, die Firmen dafür interessieren, nicht nur passiv darauf zu warten, bis es den europäischen Konsumenten, den europäischen Käufer gibt, sondern ihn mehr und mehr in der Werbung, in public-relations, in allen öffentlichen Kontakten als Europäer ansprechen und dabei nicht nur etwa vom ‚deutschen Fabrikat’ reden. […]

    Zusammenfassend würde ich sagen: Die wirkliche Vereinigung Europas kann nicht nur ein politischer, ein gesetzgeberischer, nicht einmal ein ökonomischer Entschluß sein wie die EWG, sondern die Vereinigung Europas muß zunächst in jedem Menschen selbst beginnen […].


    [1] Dichter, Ernest, Europas unsichtbare Mauern. Die Rolle nationaler Vorurteile und ihre Überwindung. Eine Motivuntersuchung zur europäischen Einigung für die Europa-Union Deutschland, Düsseldorf 1962, S. 35f., S. 39–42, S. 44, 49, S. 51–54. Die Druckversion der Quelle findet sich in: Isabella Löhr, Matthias Middell, Hannes Siegrist (Hgg.): Kultur und Beruf in Europa, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2012, S. 155–157, Band 2 der Schriftenreihe Europäische Geschichte in Quellen und Essays.


  • Für das Themenportal verfasst von

    Manuel Schramm

    ( 2012 )
    Zitation
    Manuel Schramm, Das Europa der Motivforschung. Kultur und Beruf am Beispiel der Werbetreibenden nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2012, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1589>.
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