Europäische Grenzordnungen in der Welt Ein Beitrag zur Historischen Epistemologie der Globalgeschichtsschreibung

Grenzen und Grenzordnungen haben seit der Frühen Neuzeit nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt einen außerordentlich prägenden Eindruck hinterlassen.[2] Unter Grenzen versteht man normalerweise politische Grenzen, die geografisch markiert sind. Primär geht es uns hier jedoch weder um politische noch um religiöse oder kulturelle Grenzen, sondern um die Entstehung eines bestimmten rationalen Denkmusters und dessen Auswirkungen. Begriffsgeschichtlich lässt sich verfolgen, wie sich das semantisch weite Bedeutungsfeld der Grenze (lokal-temporal; Linie-Gebiet-Zone) seit dem Spätmittelalter in den indogermanischen Sprachen verengt und wie sich insbesondere im Deutschen die Vorstellung von der Linearität der Grenze (von slaw. granica) durchsetzt. Verstanden als Linie ist die Grenze das Produkt eines neuzeitlichen Ordnungsdiskurses und einer philosophisch inspirierten Praxis, die Dinge der Welt einer begrifflichen Trennung und Kategorisierung zu unterziehen. [...]

Europäische Grenzordnungen in der Welt. Ein Beitrag zur Historischen Epistemologie der Globalgeschichtsschreibung[1]

Von Susanne Rau und Benjamin Steiner

Einführung: Die Ordnung der Grenze

Grenzen und Grenzordnungen haben seit der Frühen Neuzeit nicht nur in Europa, sondern in der ganzen Welt einen außerordentlich prägenden Eindruck hinterlassen.[2] Unter Grenzen versteht man normalerweise politische Grenzen, die geografisch markiert sind. Primär geht es uns hier jedoch weder um politische noch um religiöse oder kulturelle Grenzen, sondern um die Entstehung eines bestimmten rationalen Denkmusters und dessen Auswirkungen. Begriffsgeschichtlich lässt sich verfolgen, wie sich das semantisch weite Bedeutungsfeld der Grenze (lokal-temporal; Linie-Gebiet-Zone) seit dem Spätmittelalter in den indogermanischen Sprachen verengt und wie sich insbesondere im Deutschen die Vorstellung von der Linearität der Grenze (von slaw. granica) durchsetzt.[3] Verstanden als Linie ist die Grenze das Produkt eines neuzeitlichen Ordnungsdiskurses und einer philosophisch inspirierten Praxis, die Dinge der Welt einer begrifflichen Trennung und Kategorisierung zu unterziehen. Diese kulturell erzeugten Ordnungsdiskurse haben sich auch in bestimmten Grenzpraktiken niedergeschlagen bzw. wurden zu Grenzordnungen verstetigt. Solche Ordnungen wurden dann häufig auch spatialisiert, indem Grenzen – die ja nie einfach gegeben sind – gesetzt wurden, um den Raum zu markieren und damit neue geographische Objekte hervorzubringen. Als Raumfigur wird die Grenze dann auch zu einer Figur gesellschaftlicher Öffnung und Schließung.

Topologische, dichotomische, induktive oder deduktive Ordnungssysteme entstanden zwar nicht nur in Europa, doch setzten sich hier fundamentale Ideen und Vorstellungen von der Ordnung der Dinge durch. Diese Vorstellungen begannen seit der europäischen Expansion in der Frühen Neuzeit auch in globaler Hinsicht Dominanz zu erringen. Der Prozess der Ausbreitung europäischer Ordnungsvorstellungen hin zu weltweiter Vorherrschaft war jedoch keineswegs ein unidirektionaler und eindimensionaler Fortlauf, sondern bietet eine höchst komplexe Gemengelage von Missverständnissen und Konflikten zwischen unterschiedlichen Grenzdiskursen.

Es erscheint daher sinnvoll, die Geschichte von Grenzen und Grenzordnungen in Europa und in der Welt differenzierend in den Blick zu nehmen. Wir laden Kolleginnen und Kollegen dazu ein, ihren Blick auf unterschiedliche Bereiche der europäischen und globalen Geschichte zu richten, um die Variationen der Grenzerfahrungen, Grenzkonflikte und Grenzmissverständnisse zu untersuchen und darzustellen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage nach europäischen Grenzordnungen und -vorstellungen, die nicht erst bei der kolonialen Expansion in der neu aufgebauten Verwaltung der besiedelten oder eroberten Gebiete eine Rolle spielten, sondern schon das epistemische Setting vor der Entdeckung, Erkundung und Eroberung charakterisierten. Innerhalb der kategorialen und topologischen Rahmung eines ganz bestimmten europäischen Ordnungssystems bildeten sich die Bedingungen und Voraussetzungen der Möglichkeit aus, die Welt durch Seefahrt und Navigation zu erfahren, die lokalen Märkte an den Küsten Afrikas oder der indonesischen Inselwelt zu öffnen, die Hochkulturen Amerikas einem kolonialen Herrschaftsapparat zu unterwerfen und die evangelische Botschaft des christlichen Heils gegen den globalen Religionspluralismus und über ihn hinweg zu verbreiten.

Die Geschichte der Grenze ist im Kern ein Teil der europäischen Geschichte.[4] Das Erkenntnisraster nach den geometrischen Formkonstanten wie der Linie, der Ebene oder dem Tabellenraster entstammt einer europäischen Kulturtradition, deren Folgen jedoch nicht in einer nur auf das heutige politische Europa beschränkten Geschichte deutlich würden. Denn erst im „Labor der Welt“ zeigt sich das spezifisch Europäische der Grenze und der Grenzordnungen. Dadurch wird auch deutlich, dass innerhalb der europäischen Geschichte Grenzdiskurse epistemologisch wirksam waren.[5] So unterliegt nicht die Globalgeschichtsschreibung den Bedingungen, die durch Grenzvorstellungen vorgegeben sind, sondern auch die Geschichtsschreibung über Europa selbst. Im Kontext einer global ausgerichteten Geschichte erweist sich auch die innereuropäische Perspektive auf Europa als eine neue Sicht auf die Auswirkungen von Grenzordnungen in Europa selbst. Es kam zur Dominanz einer bestimmten Grenzordnung, die sich gegen andere Ordnungsvorstellungen durchsetzte. Von dieser Grenzordnung betroffen waren insbesondere die Zwischen-Räume des sogenannten Anderen in den peripheren Gebieten des europäischen Kontinents, wie z.B. Irland im 18. Jahrhundert oder die Balkanregion im 19. Jahrhundert.[6]

So ist die Frage, was Europa war und ist, ebenfalls mit dem Problem der Grenze und der Grenzordnungen verknüpft. Die frühesten philosophischen Diskurse über Kategorien, Ordnungen und Grenzen wurden schon im antiken Mesopotamien und Ägypten geführt und erst spät über einen Kulturtransfer in Griechenland und der mediterranen Welt fortgesetzt. Bemerkbar sind hier Grenzverschiebungen, die den Raum immer wieder neu bestimmen und in Relation zu einem durch den Grenzdiskurs selbst vorgegebenen Außen ausrichten und festschreiben. Dabei wird dem Raum ein bestimmtes epistemisches und begriffliches Ordnungssystem zugewiesen. Letztendlich war so in der Frühen Neuzeit auch nicht mehr die „mediterrane Welt“ das Zentrum eines europäischen Grenzdiskurses, der über die „globale Welt“ verbreitet wurde. Das Mittelmeer befand sich schon fast selbst in der Peripherie und stellte somit das Objekt einer erneuten Unterwerfung durch einen neuen, modifizierten Grenzdiskurs dar.

Eine global ausgerichtete Grenz-Forschung muss ihren Gegenstandsbereich keineswegs auf Grenzphänomene beschränken, die außerhalb Europas lokalisiert sind. Sie kann ebenso Grenzphänomene im Grenzbereich von Europa und Nicht-Europa untersuchen, nicht zuletzt, um die Konstruktion und Veränderung europäischer Grenzen besser zu verstehen. Globalisierte Grenzordnungen zeigen sich ferner innerhalb des geografischen Terrains von Europa. Plurikulturelle Grenzziehungen finden aber auch immer wieder in geografischen Räumen statt, die dem Namen nach scheinbar fest definiert sind.[7] Begreift man dies als Einladung, auch geografische Räume als Konstruktionen oder Imaginationen zu verstehen, darf man auch die Frage stellen, wo „Europa“ eigentlich liegt.

Unter Grenze ist also nicht nur ein eurozentrischer Analysebegriff, sondern auch eine Praxis in der Geschichte zu verstehen, da gerade Europäer seit dem 15. Jahrhundert die Welt durch Grenzziehungen zu unterwerfen versucht haben. Bemerkenswert und für unser Thema entscheidend ist jedoch die Tatsache, dass diese praktischen Grenzen selten bestätigen, was ideale Grenzvorstellungen präfigurierten: Grenzen wurden überschritten, nicht anerkannt und hatten vor allem Nebenfolgen, die viel Schaden und Unheil anrichteten. Hinzu kommt die Etablierung von Grenzordnungen, das heißt mittel- und langfristig wirkende Abgrenzungsregime, mittels derer Hierarchien zwischen den Gruppen verschiedener Herkunftsgebiete eingerichtet wurden (z.B. aufgrund von Unterscheidungen der Klassen-, Religions- und Rassenzugehörigkeit).

Historiografische Umgangsweisen mit dem Grenzproblem

Europäische Geschichtsschreibung sieht sich immer mehr dazu aufgefordert, ihr Untersuchungsfeld entweder gleich global zu bestimmen oder aber in globale Relationen zu setzen. Dass dieser Aufforderung das methodische Problem des Eurozentrismus zugrunde liegt, ist von den Vertretern der postcolonial studies und auch anderer globalgeschichtlicher Ansätze ausführlich beschrieben worden. Die Frage nach der Möglich- oder Unmöglichkeit, globale Geschichte aus europäischer Sicht zu schreiben, erscheint jedoch selbst schon zu dezisionistisch zu sein und gibt die Antwort nach einem Entweder/Oder-Schema implizit vor. Unsere Überlegungen setzen bei folgender Frage an: Wie lässt sich eine Geschichte schreiben, in der alle Weltteile gleichberechtigt zur Geltung kommen und bei der ein, an was auch immer ausgerichteter konzeptueller Zentrismus, der diesem Ziel im Wege steht, vermieden werden kann? Anders gefragt: Liegt nicht selbst der Frage nach einem Euro-, Indo-, Afro- oder sonst irgendeines Ethnozentrismus eine viel grundlegendere Ordnungsvorstellung zugrunde? Und kann nicht die Überwindung der Voreingenommenheit, immer nach binären und dichotomischen Mustern zu fragen, die gleichermaßen den Blick auf die europäische und die außereuropäische Geschichte im Griff hält, nur durch die Historisierung und Differenzierung der zugrundeliegenden Grenzen und Grenzordnungen vonstattengehen? Wenngleich diese Fragen schwierig zu beantworten sind, bilden sie doch den Horizont unserer hier vorgestellten Betrachtungen.

Die Forderung nach einer Befreiung aus der eigenen Voreingenommenheit ist nicht neu. Dass es einen Umweg geben muss, der an zu Widersprüchen führenden konzeptuellen Zentrismen vorbeiführt, hat schon Dipesh Chakrabarty in seiner Kritik am Eurozentrismus angedeutet: Europäische Konzepte und Begrifflichkeiten erweisen sich in nicht-europäischen Kontexten als gleichzeitig unerlässlich und ungeeignet („both indispensable and inappropriate“).[8] Diese Diagnose der Paradoxie zeigt sich hier gleichzeitig als Sackgasse und Ausweg zu einer Lösung und setzt so dem Problem wiederum ein Paradox entgegen.

Es muss doch nach dem Grund gefragt werden, der immer wieder zu solch dichotomisch gelagerten Paradoxien führt. In Deutschland haben dazu schon früh Vertreter der historischen Disziplinen auf die Notwendigkeit hingewiesen, institutionelle Grenzen überwinden zu müssen. So hat Aby Warburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts ironisch vom „Grenzwächtertum“ zwischen den verschiedenen Disziplinen gesprochen und sich für die Interdisziplinarität innerhalb der Geisteswissenschaften eingesetzt.[9] Und auch die akademische Zunft hat sich seit der pointierten Rede Christian Meiers über die „Welt der Geschichte und die Provinz des Historikers“ auf dem Historikertag 1988 in den letzten zwanzig Jahren mit der Frage nach interdisziplinärer Öffnung, globaler Ausrichtung und konzeptuell neuausgerichteter Begriffsbildung intensiv auseinandergesetzt.[10]

Im Folgenden wollen wir etwas ausführlicher auf die bisherigen Theoriedebatten zu Grenzen eingehen und sie auf ihre inhärente Bedingtheit und Abhängigkeit von Grenzvorstellungen und Grenzordnungen untersuchen. Unserer Ansicht nach ist dieser Denkrahmen insbesondere durch die Prinzipien der Territorialität und Linearität geprägt. Auch wenn die bislang der Geschichtswissenschaft vorliegenden Konzepte hier nicht vollständig sind und deren Beitrag zum Verständnis kultureller Begegnungen in den jeweiligen Kontexten nicht angezweifelt wird, so soll doch deren gemeinsame Abhängigkeit von räumlichen und linearen Grundvorstellungen zeigen, wie wirkmächtig diese geometrischen Metaphern für den ‚eurozentrischen‘ Grenzdiskurs sind.

Konzepte europäischer Grenzdiskurse

Zunächst zum Begriff des Kulturkontakts:[11] Er ist aus dem allgemeinen Sprachgebrauch fast nicht mehr wegzudenken. Die zugrundeliegende Denkfigur impliziert das Zusammentreffen unterschiedlicher, in sich homogener (und statischer) kultureller Einheiten. Kritik an dieser Denkfigur wurde schon von Anthropologen wie Clifford Geertz oder Historikern wie Peter Burke und Stefan Rinke geäußert. Sie betonen Probleme des Konzepts bei der Beschreibung von dynamischen Prozessen der Konstruktion von Bedeutung und Symbolen (Geertz) oder des Phänomens, dass Kulturen als Produkte von Begegnungen entstanden sind (Burke).[12]

Métissage ist der wohl älteste Begriff zur Bezeichnung von kultureller Hybridität. Hieran schließen sich Begriffe wie Mischung, Rassenmischung, Sprachenmischung oder kulturelle Fusion an. Die Métissage ist ein durchaus interessantes Konzept, wenn es auf den Kontext passt (z.B. Mestizen in Kanada, Mexiko etc.; die karibische Gesellschaft als Produkt von Menschen, Sprachen und Kulturen). Es passt jedoch weniger auf Regionen, in denen es „schon immer“ permanenten Austausch, Zirkulation von Waren und Menschen gegeben hat, z.B. auf das Mittelmeer.[13] Das Konzept verrät jedoch eine biologistische Komponente, der die Idee der geschlossenen Gesellschaften oder Kulturen zugrunde liegt, die sich gelegentlich treffen.

Eine solche Idee findet sich auch in Braudels Méditerranée, das den Kulturkontakt mit der Metapher der Narbe beschreibt: „Der Mittelmeerraum wird also von Kulturgrenzen, Hauptgrenzen und Nebengrenzen durchzogen, alles Narben, die nie verheilen und jeweils ihre Rolle spielen.“[14] – Damit wird eine Idee von ursprünglicher Reinheit und Lauterkeit postuliert, die im Moment des Kontakts verunreinigt und befleckt wird. Einer Mischung der Kulturen wird – zumindest in dieser Metapher – nichts Positives abgewonnen; vielmehr hinterlasse sie eine negative, unschöne Spur.

Der Begriff Hybridität stammt ursprünglich aus der Biologie bzw. Agrarwirtschaft. Am prominentesten wurde er von Homi Bhabha in die postkoloniale Theorie eingeführt.[15] In der Soziolinguistik bezieht er sich auf Mischsprachen wie Kreol oder Pidgin – Konzepte, die z.B. in der atlantischen Kulturgeschichte eine Weiterverwendung gefunden haben.[16] Interessant ist hierbei das Konzept des „dritten Raumes“ oder Zwischenraumes, der bei der Ausübung von Politik entstehen kann, weil es zwischen Herrschaftskontrolle und Verwaltung bzw. Herrschaftsausübung (insbesondere in kolonialen Verhältnissen) zu einer Verschiebung kommt. Hybridität deutet demnach das, was aus einem Kontakt entsteht als etwas ganz Neues, womit es sich vom Konzept der Métissage unterscheidet. Aber auch in dieser Dreiheit, in der die vorherrschende Dualität in gewisser Weise aufgehoben wird, bleibt die Vorherrschaft einer Grenze bestehen.

„Histoire croisée“ und „entangled histories“ oder Verflechtungsgeschichte steht in der Nachfolge des Kulturtransfer-Konzepts.[17] Es ist das wahrscheinlich einflussreichste Konzept der Globalgeschichtsschreibung der letzten Jahre. Es betrachtet die Kulturen gleichberechtigter und Prozesse sollen beidseitig beschrieben werden. Aber auch die histoire croisée setzt zwei getrennte, prinzipiell vergleichbare Blöcke voraus. Zwar insinuiert die dem Weberhandwerk entlehnte Metapher der Verflechtung mehr als nur die Gegenüberstellung zweier homogener Kulturen wie beim Konzept des Kulturkontakts. Doch liegt auch hier das geometrische Muster der Linearität und Symmetrie zugrunde, das zwar mögliche Dynamisierungen der Grenzordnung (wie zum Beispiel Grenzüberschreitungen und -unterwanderungen) erlaubt, aber immer noch an der grundsätzlich binären Vorstellung zweier Kulturen festhält.

Die Idee der „connected histories“, die der indische Wirtschaftshistoriker Sanjay Subrahmanyam zum Zwecke der Rekonfigurierung eurasischer Geschichtsschreibung in Abgrenzung zu einem Modell der „comparative histories“ ins Spiel gebracht hat, wendet Serge Gruzinski in seiner Analyse der „katholischen Monarchie“ an, in der er Bevölkerungen, Kulturen, Wirtschaftssysteme und Machthaber von vier Kontinenten zusammenbringen konnte. Auch hier ist es das erklärte Ziel, die binäre Perspektive der traditionellen Nationalgeschichtsschreibung zu verlassen. Doch Gruzinskis Vergleich der Arbeit des Historikers mit der eines Elektrikers, der in der Lage sein muss, gekappte und unterbrochene kontinentale und interkontinentale Verbindungen wiederherzustellen, offenbart auch hier die Schwierigkeiten, globalhistorische Zusammenhänge ohne eine auf Dichotomien und Trennungen reduzierbare Metaphorologie zu beschreiben.[18]

Ähnliches ließe sich über Begriffe wie „Kontaktzone“ (contact zone“),[19]middle ground,[20]Grenzraum,[21] Osmose,[22] Passagen,[23] Transfers,[24] Austausch,[25] Akkulturation,[26] Zirkulation[27] etc. sagen. Bei allen liegt eine vermeintlich apriorische Raumvorstellung nach linear-geometrischen Regelmäßigkeiten zugrunde. Hier scheint es uns angebracht, nach einer anderen Raum-Sprache zu suchen und andere, nicht euklidische Grenz-Metaphern zu verwenden. Auch wäre nach Momenten der Indistinktion zu fragen, das hießt darauf zu achten, ob formal, sprachlich oder materiell gezogene Grenzen für eine oder auch mehrere beteiligte Gruppen vielleicht unscheinbar oder inexistent sind.

Ein Alternativmodell: Historisierung und Praxeologie der Grenze

Welche Empfehlungen lassen sich also im Gegenzug zu diesen kritischen Bemerkungen an den bisherigen Modellen hinsichtlich des Umgangs mit Grenzen in der Geschichtswissenschaft machen? Ist eine angemessenere Globalgeschichtsschreibung überhaupt möglich? Oder befindet sie sich in einer Sackgasse ohne eine mögliche Alternative?

Wir glauben, dass es Alternativen gibt. Die Betrachtung von Grenzen dient dabei als wichtiger Schlüssel, um ein neues Verhältnis zwischen Geschichtswissenschaft und einem global dimensionierten Untersuchungsfeld zu entwickeln. Dazu nur einige Worte zur Natur des Grenzbegriffs (1), auf die dann ein Vorschlag zum praktischen Umgang mit Grenzen folgt (2).

1)Der Umgang mit Grenzen ist sowohl in der Theorie als auch in der Praxis ambivalent.[28] In der philosophischen Abstraktion werden Grenzbegriffe, so formulierte es etwa Hermann Cohen, als „regulative Prinzipien“ verwendet, indem sie gerade das Unlösbare an Aufgaben geltend machen.[29] Nach Immanuel Kant nämlich ist der philosophische Grenzbegriff „nur von negativem Gebrauche“, d.h. er bezeichnet keinen Inhalt, sondern er dient dazu, dasjenige, was der menschlichen Erkenntnis verborgen bleibt, durch die Grenzen menschlicher Erkenntnis kenntlich und geltend zu machen.[30] Grenzbegriffe sollen somit die Bestimmtheit wissenschaftlicher Forschung sichern, ohne dabei selbst zum materialen Gegenstand der Forschung zu werden. In diesem Sinne wirken „Raum“ und „Zeit“ als Grenzbegriffe; aber auch geometrische Konzepte wie Punkt, Linie, Ebene oder auch die Tabelle dienen als wissenschaftstheoretische bzw. epistemologische Instrumente, um empirisch gewonnenes Wissen gegen bestimmtes Nicht-Wissen absichern zu können.[31] Gegen diesen negativen Grenzbegriff wendet sich eine philosophische Kritik, die immer auch mit jener an Kants Konzept des Dings an sich im Zusammenhang stand: Die apriorische Gewissheit der Grenzziehung zur Sphäre der Dinge an sich sei eben nicht ein für allemal gültig, sondern wiederum historisch bedingt, also auch als Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geeignet.

Der diesem Artikel beigefügte Textauszug aus Immanuel Kants Kritik der reinen Vernunft mit dem Titel: Von dem Grunde der Unterscheidungen aller Gegenstände in Phaenomena und Noumena illustriert diese historische Bedingtheit recht anschaulich. Kant stellt hier seine Überlegungen an, dass es zwischen Begriffen des Verstandes (Noumena) und den Dingen der sinnlichen Anschauung (Phaenomena) eine notwendige Grenzziehung geben muss. Um die „Anmaßung der Sinnlichkeit“ einzuschränken, das heißt den Anspruch, die Verstandesbegriffe nicht nur auf die empirische, sondern auch auf die transzendentale Dingwelt, also die Dinge an sich, anzuwenden, muss der Begriff des Noumenon als Grenzbegriff verstanden werden. Der Grenzbegriff ist eben deshalb von „negativem Gebrauche“, da er ein Feld für die überhaupt mögliche Erkenntnis der Sinne und des Verstandes bezeichnet, das die transzendentalen Dinge an sich ausschließt.

Der Auszug zeigt indes, dass Kant einer ganz bestimmten kartographischen Epistemologie des Geistes folgt. Der das Kapitel eröffnende Paragraph spricht von der Welt der Phaenomena und Noumena in der Metaphorik einer Karte. Auf dieser gibt es ein „Land des Verstandes“, das der Leser in den vorherigen Kapiteln „durchreist“ und „durchmessen“ habe. Nun sei aber dieses „Land der Wahrheit“ umgeben von einem weiten und stürmischen Ozean, der der Sitz des Scheins sei. Wie ein Seefahrer habe der Philosoph diese äußeren Meere zu erkunden, die neuentdeckten Länder auf ihre Wahrhaftigkeit zu überprüfen und von „Wahn und Blendwerk“ zu befreien. Kant setzt die Frage nach den Grenzen des Verstandes und der Sinne also in das globale Setting der europäischen Expansion. Das Land des Verstandes kann daher mit Europa gleichgesetzt werden, wo bereits der Schein als solcher erkannt und markiert wurde. Das ‚Außen‘ Europas verleitet zur trügerischen Hoffnung, doch noch Dinge zu sehen, die eine Anschauung des Transzendentalen vermitteln. Der europäische Geist muss sich dieses Außens bemächtigen. Die fremden Ozeane und Kontinente müssen der Vernunft, das heißt der sauber zwischen Noumena und Phaenomena trennenden Erkenntnismethode, unterzogen und somit epistemologisch kolonisiert werden. Darin erscheint ein schon seit Francis Bacon virulentes diskursives Muster, das die Entdeckung neuer Welten durch die Europäer nicht nur zum Anlass einer wirtschaftlichen und militärischen Eroberung, sondern auch einer Unterwerfung der Welt unter die europäischen Grenzordnungen im philosophischen Sinne nimmt.

Ohne nun weiter auf diesen Strang der Ideengeschichte des Grenzbegriffs einzugehen, sei auch auf die Ambivalenz des praktischen Gebrauchs der Grenze hingewiesen. Die Praxis der Grenzziehung scheint meistens aufgrund des Mangels an Alternativen zu erfolgen. Ihr gewinnbringender Nutzen besteht darin, dass er sowohl heuristisch als auch lebenspraktisch vereinfachend und komplexitätsreduzierend wirkt. Das erklärt sicherlich den anhaltenden Erfolg dieser Praxis. Doch andererseits geht mit einer Grenzziehung immer auch der Ausschluss von etwas einher, von dem man sich nicht sicher sein kann, ob es einem nicht auch irgendwann von irgendeinem heuristischen oder lebenspraktischen Nutzen sein könnte. So verhindert jede Grenzziehung – so notwendig sie für Erkenntnisbildung und Identitätsfindung sein mag – eine prinzipielle Offenheit als wesentliche Bedingung für freies Erkenntnisstreben sowie für Toleranz als Prinzip gegenseitiger Anerkennung.

2) Für die Forschungspraxis bedeutet dies nun Folgendes: Zunächst sind wir gut beraten, die Existenz von Grenzen radikal in Frage zu stellen. Grenzen sind weder natürlich vorhanden noch primär notwendig. Sie sind vielmehr ein Objekt der Geschichte oder ein Produkt der Gesellschaft, die eine solche kreiert und sie entsprechend ihrer politischen, sozialen oder kulturellen Distinktionsbedürfnisse ausgestaltet. Grenzen sind also eine historisch-spezifische (und vielleicht sogar vorübergehende) Erscheinung. Von den Grenzen antiker Großreiche (wie dem römischen Limes oder auch der chinesischen Mauer) einmal abgesehen, tauchen sie massiv erst im Zusammenhang mit der Entstehung neuzeitlicher Staatlichkeit auf, die auf Territorialität und geschlossenen, homogenen Räumen beruht – und damit auf Raumkonzepten, die den Prinzipien der euklidischen Geometrie folgen.[32] Eine weitere Prämisse leiten wir aus den vielen historischen und geografischen Forschungen zu Grenzen ab, die auf die Durchlässigkeit von Grenzen hingewiesen haben: Die Grenze ist ein fragiles Konzept. Die Ursprungsparadoxie besteht darin, dass Grenzen, die meist dann gezogen werden, wenn es ein Bedürfnis nach Abgrenzung gibt, nur dann funktionieren, wenn sie nicht bedroht oder in Frage gestellt werden. Genau dies geschieht aber in der Regel dann, wenn sie gezogen sind: Eine Grenze provoziert also geradezu Subversion, welche sich in Übertretungen, Schwarzhandel oder gewaltsamen Angriffen auf die Grenze zeigt. Das Scheitern einer Grenze ist damit im Akt ihrer Genese – zumindest langfristig – vorprogrammiert.

Eine historische Grenzformation zu untersuchen hieße also nicht nur, deren Entstehung oder Aussehen zu untersuchen, sondern in einem Art Dreischritt folgende Etappen zu durchlaufen: 1. Den Akt der Setzung einer Grenze und die damit verbundene Grenzvorstellung; 2. die Grenzpraktiken bzw. das Unterlaufen der Grenze sowie die Folgen (und Nebenfolgen) der Grenzziehung; und 3. dann die Folgen des Funktionierens oder Nicht-Funktionierens zu untersuchen, das heißt zu fragen, inwiefern sich das ursprüngliche Grenzkonzept verhärtet hat, ob die Grenzkonstellation durch die subversiven Praktiken neu angeordnet wurde oder ob sich die Grenze vielleicht komplett aufgelöst hat. Grenz-Forschung könnte so aussehen, dass wir Grenzkonflikte, Grenzüberschreitungen, unterschiedliche Verständnisse und Nutzungen von Grenze so untersuchen, dass wir möglichst alle Perspektiven – die der Grenzensetzer ebenso wie die der Subjekte, die den Grenzregimes unterworfen sind und ihnen folgen oder auch nicht – in den Blick bekommen. Diese unterschiedlichen Perspektiven werden zunächst einmal beschrieben: die unterschiedlichen Akteure, deren jeweilige Wahrnehmungen und Umgang damit, die geografischen Objekte, die die Utopie der Abgrenzung produzieren (Grenzlinien, Grenzposten, Pufferzonen, Überwachungstürme, no man’s land etc.), aber auch Versuche des Aushandelns, des widerständigen Verhaltens, der Neuformierung der Anordnung.

Konflikte um Grenzen, die sich in den Quellen niedergeschlagen haben, sind also eine Chance, die Geschichte der zunehmenden Verflechtung der Welt aus den unterschiedlichsten Perspektiven und in vielen Facetten zu beschreiben: zwar immer an den Stellen, an denen die Menschen ‚aufeinandergetroffen‘ sind, doch mit der Chance, das jeweilige Verständnis vom Anderen, die unterschiedlichen Formen und Funktionen von Grenzen zu eruieren. Ob dies die Grenzen verschwinden lässt, bleibt eine Frage an die Zukunft. Ihre Bedingtheit und die verbreitete Dysfunktionalität zu verdeutlichen, wäre schon ein großer Schritt.


Dieser Essay ist aus der Sektion „Grenzmissverständnisse in der Globalgeschichtsschreibung“ des Historikertags 2010 in Berlin, zu der vier weitere Beiträge gehörten, hervorgegangen. Die darauf basierenden Aufsätze beschäftigen sich mit Beispielen aus der Geschichte von drei Weltteilen – Afrika, Asien und Australien – im Zeitraum von etwa 1500 bis um 1900 und zeigen Grenzformationen, die infolge europäischer Vereinnahmungen entstanden sind. Alexander Drost beschäftigt sich mit Grenzziehungen durch die Niederländische Ostindien-Kompanie (VOC) in Südostasien, am Beispiel der Inseln Ternate und Tidore (Molukken) um 1600. Dabei werden die Differenzen zwischen den kulturellen Grenz- und Raumordnungsmustern im Wesentlichen auf die unterschiedlichen indigenen und europäischen Herrschaftskonzepte zurückgeführt. Der Beitrag von Stefanie Michels konzentriert sich auf die kolonialen Grenzziehungen in Afrika am Ende des 19. Jahrhunderts und diskutiert die Herausforderungen der imaginierten Grenzordnung zwischen Deutschen und Kamerunern (Bamum) durch Grenzgängerfiguren wie z.B. den schwarzen deutschen Kolonialsoldaten. Norbert Finzsch macht mit seinem Aufsatz auf die ökologischen Folgen der Okkupation australischen Bodens durch englische Siedler aufmerksam: Überjagung, Bark-Ringing und die Einführung von Tieren und Pflanzen brachten eine Grenzformation hervor, die kaum noch Ähnlichkeiten mit dem evolutionären Modell einer frontier-These im Stile Frederick Jackson Turners besitzt. Den Interessen der Europäer an Afrika in der Frühen Neuzeit geht schließlich Benjamin Steiner am Beispiel französischer Expeditionen im Senegal um 1700 nach und diagnostiziert hier anhand von Begegnungsszenen den Beginn einer langsam fortschreitenden Formation von normativen Grenzordnungen zwischen europäischen und afrikanischen Wissenssystemen.

Grenzen treten hier in unterschiedlicher Gestalt als Linien, Zonen und Ordnungen auf; es geht um Expeditionserfahrungen, um Handelsinteressen, um Landnahmen und Genozide sowie um soziale Grenzen und deren Ambivalenz im Kontext kolonialer Territorialherrschaft. Alle Beiträge richten jedoch besondere Aufmerksamkeit auf die verschiedenen Lesarten von gesetzten Grenzen, die damit die Kategorie der Grenze grundsätzlich in Frage stellen.


[1] Essay zur Quelle: Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Auszüge aus der zweiten Auflage (1787). Bei diesem Essay handelt es sich um den einleitenden Teil einer Serie von insgesamt fünf Essays, die aus einer Sektion des 48. Deutschen Historikertags in Berlin mit dem Titel „Grenzmissverständnisse in der Globalgeschichtsschreibung (ca. 1500–1900)“ hervorgegangen sind. Die übrigen, ebenfalls online verfügbaren Beiträge, sind unter den folgenden URLs zu finden: Alexander Drost, Grenzenlos eingrenzen. Koloniale Raumstrukturen der Frühen Neuzeit am Beispiel niederländisch-spanischer Konfliktfelder in Asien, URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=612>; Nobert Finzsch, Pre-Frontier, Landnahme und Sozioökologische Systeme in Australien, 1788 bis 1901, URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=614>; Stefanie Michels, Die deutsche Uniform König Njoyas. Koloniale Ordnungsbehauptungen im Perspektivwechsel (1884-1914), URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=616>; Benjamin Steiner, Missverstandene Unterschiede. Wissen als Träger und Bedingung von Grenzordnungen am Beispiel des Verhältnisses zwischen Frankreich und Westafrika während der Frühen Neuzeit, URL: <http://www.europa.clio-online.de/2013/Article=618>.

[2] In der deutschsprachigen Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit hat die Grenzthematik in letzter Zeit große Aufmerksamkeit erfahren: vgl. Roll, Christine; Pohle, Frank; Myrczek, Matthias (Hgg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung (Frühneuzeit Impulse 1), Köln u.a. 2010.

[3] Vgl. Böckler, Stefan, ‚Grenze‘ und frontier. Zur Begriffs- und Sozialgeschichte zweier Schließungsparadigmen der Moderne, in: Deger, Petra; Hettlage, Robert (Hgg.), Der europäische Raum. Die Konstruktion europäischer Grenzen, Wiesbaden 2007, S. 25–48.

[4] Vgl. Schneider, Ute, „Den Staat auf einem Kartenblatt übersehen!“ Die Visualisierung der Staatskräfte und des Nationalcharakters, in: Dipper, Christof; Schneider, Ute (Hgg.), Kartenwelten. Der Raum und seine Repräsentation in der Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 11–25; Katajala, Kimmo, Maps, Borders and State-building, in: Lamberg, Marko; Hakanen, Marko; Haikari, Janne (Hgg.), Physical and Cultural Space in Pre-industrial Europe. Methodological Approaches to Spatiality, Lund 2011, S. 58–91.

[5] Zur Historischen Epistemologie vgl. Rheinberger, Hans-Jörg, Historische Epistemologie zur Einführung, Hamburg 2007; Daston, Lorraine; Galison, Peter, Objektivität, Frankfurt am Main 2007; klassisch: Bachelard, Gaston, Der neue wissenschaftliche Geist, Frankfurt am Main 1988; Canguilhem, Georges, Wissenschaftsgeschichte und Epistemologie. Gesammelte Aufsätze, hg. v. Wolf Lepenies, Frankfurt am Main 1979; Fleck, Ludwik, Die Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv, Frankfurt am Main 1980; Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1974.

[6] Vgl. Foster, Robert F., Modern Ireland, 1600–1972, London 1988, S. 9; Cairns, David; Richards, Shaun, An Essentially Feminine Race, in: dies., Writing Ireland. Colonialism, Nationalism and Culture, Manchester 1985, S. 42–57; Palairet, Michael, Rural Serbia in the Light of the Census of 1863, in: Journal of European Economic History 24 (1995), S. 41–107.

[7] Vgl. Houtum, Henk van; Kramsch, Olivier; Zierhofer, Wolfgang (Hgg.), B/ordering Space, Aldershot 2005.

[8] Chakrabarty, Dipesh, Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton, NJ 2007, S. 6: „European thought has a contradictory relationship to such an instance of political modernity. It is both indispensable and inadequate in helping us to think through the various life practices that constitute the political and the historical in India.”; sowie ebd., S. 16 und S. 19.

[9] Vgl. Warburg, Aby M., Ausgewählte Schriften und Würdigungen, hg. v. Dieter Wuttke (Saecula spiritualia 1), Baden-Baden 1979, S. 170.

[10] Vgl. Meier, Christian, Die Welt der Geschichte und die Provinz des Historikers, in: Geschichte und Gesellschaft 15, 2 (1989), S. 147–163.

[11] Vgl. Osterhammel, Jürgen, Kulturelle Grenzen in der Expansion Europas, in: Saeculum 46 (1995), S. 101–139; zum Gebrauch des Vierschritts von „Kulturberührung“, „Kulturkontakt“, „Kulturzusammenstoß“ und „Kulturverflechtung“ vgl. Bitterli, Urs, Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 1991; Bitterli entlehnt diese Unterscheidung von Banton, Michael, Race Relations, London 1967.

[12] Vgl. Geertz, Clifford, Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt am Main 1987, S. 7–43; Burke, Peter, Cultural Hybridity, Cambridge 2009; Rinke, Stefan, Grenzwahrnehmungen – Grenzüberschreitungen. Selbst- und Fremdbilder in der Geschichte der Beziehungen zwischen den Amerikas, in: Braig, Marianne; Ette, Ottmar; Ingenschay, Dieter; Maihold, Günther (Hgg.), Grenzen der Macht – Macht der Grenzen: Lateinamerika im globalen Kontext, Frankfurt am Main 2005, S. 207–239.

[13] Vgl. dazu die Kritik von Dakhlia, Jocelyne, Lingua franca. Histoire d’une langue métisse en Méditerranée, Arles 2008, Einleitung; dies. (Hg.), Trames de langues. Usages et métissages linguistiques dans l’histoire du Maghreb, Paris 2004.

[14] Braudel, Fernand, La Méditerranée et le monde méditerranéen à l’époque de Philippe II, Paris 1993, Bd. II, S. 498: „La Méditerranée est donc coupée de frontières culturelles, frontières majeures et frontières secondaires, toutes cicatrices qui ne guérissent pas et jouent leur rôle.“ ; dt. Übers.: Das Mittelmeer und die mediterrane Welt in der Epoche Philipps II., 3 Bde., Frankfurt am Main 1990, hier Bd. II, S. 498.

[15] Vgl. Bhabha, Homi K., The Location of Culture (1994), London, New York 2009; dt.: Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000.

[16] Vgl. Berlin, Ira, Many Thousands Gone. The First Two Centuries of Slavery in North America, Cambridge u.a. 1998; Heywood, Linda; Thornton, John (Hgg.), Central Africans, Atlantic Creoles, and the Foundation of the Americas, 1585–1660, Cambridge, New York 2007.

[17] Vgl. Werner, Michael; Zimmermann, Bénédict, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607–636; dies. (Hgg.), De la comparaison à l'histoire croisée, Paris 2004, und Lepenies, Wolf (Hg.), Entangled Histories and Negotiated Universals. Centers and Peripheries in a Changing World, Frankfurt am Main u.a. 2003.

[18] Vgl. Subrahmanyam, Sanjay, Connected Histories. Notes towards a Reconfiguration of Early Modern Eurasia, in: Modern Asian Studies 31, 3, Special Issue: The Eurasian Context of Early Modern History of Mainland South East Asia, 1400–1800 (1997), S. 735–762, hier S. 745; Gruzinski, Serge, Les mondes mêlés de la monarchie catholique et autres „connected histories“, in: Annales. Histoire, Sciences Sociales 56 (2001), S. 85–117, hier S. 87: „Face à des réalités à saisir obligatoirement sur des échelles multiples, l’historien devrait se transformer en une sorte d’électricien capable de rétablir les connexions continentales et intercontinentales que les historiographes nationales se sont longtemps ingéniées à débrancher ou à escamoter en imperméabilisant leurs frontières.“ Vgl. auch Bertrand, Romain, L’Histoire à parts égales. Récits d’une rencontre, Orient-Occident (XVIe–XVIIIe siècle), Paris 2011, S. 16: „Il ne s’agit pas de forcer le trait et d’en revenir à l’opposition binaire entre des ensembles culturels qui n’ont d’unité que celle que leur confère rétrospectivement l’analyse. Il s’agit plûtot, en explorant scène par scène les premières interactions entre Hollandais, Malais et Javanais au crépuscule du XVIe siècle, d’une part de prendre acte du fait qu’elles ne constituaient que l’un des plans de pensée et d’action des parties en présence, de l’autre d’admettre qu’elles n’étaient pas initialement dotées des mêmes coordonnées spatiales et temporelles.“

[19] Vgl. Pratt, Mary Louise: Imperial Eyes. Travel Writing and Transculturation, London 22008.

[20] Vgl. White, Richard, The Middle Ground. Indians, Empires, and Republics in the Great Lakes Region, 1650-1815, Cambridge 1991; dazu auch DuVal, Kathleen, The Native Ground. Indians and Colonists in the Heart of the Continent, Philadelphia 2006.

[21] Vgl. Morgan, Philip D., Empire and Others. British Encounters with Indigenous Peoples, 1600–1850, London 1999.

[22] Vgl. z.B. Van Onselen, Charles, Race and Class in the South African Countryside: Cultural Osmosis and Social Relations in the Sharecropping Economy of the South Western Transvaal, 1900–1950, in: The American Historical Review 95, 1 (1990), S. 90–123.

[23] Vgl. z.B. Klein, Herbert S., The Middle Passage. Comparative Studies in the Atlantic Slave Trade, Princeton 1978.

[24] Vgl. Middell, Matthias (Hg.), Kulturtransfer und Vergleich (Comparativ 10), Leipzig 2000; Kaelble, Hartmut; Schriewer, Jürgen (Hgg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2003; Espagne, Michel; Werner, Michael (Hgg.), Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand (XVIIIe et XIXe siècle), Paris 1988; Roeck, Bernd, Migration und Kulturtransfer in der Frühen Neuzeit, Osnabrück 2010.

[25] Vgl. North, Michael (Hg.), Kultureller Austausch. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln 2009.

[26] Vgl. Bitterli, Urs, Berührung, Durchdringung und Vermischung von Kulturen. Zum Problem der „Akkulturation“ in den Beziehungen zur Dritten Welt, in: Zeitschrift für Kulturaustausch 24, 1 (1974), S. 113–117.

[27] Vgl. Raj, Kapil, Relocating Modern Science. Circulation and Construction of Knowledge in South Asia and Europe, 1650–1900, Basingstoke 2008, S. 10: „It is an attempt to re-examine the nature of scientific knowledge making in the globalized space of early modernity in the context of European expansion. In particular, it looks at the role of intercultural encounter in the circulation of the specialized knowledges that constituted science in this period.“ Vgl. auch in diesem Forschungstrend: Schaffer, Simon; Delbourgo, James; Raj, Kapil; Roberts, Lissa (Hgg.), The Brokered World. Go-Betweens and Global Intelligence, 1770–1820 (Uppsala Studies in the History of Science 35), Sagamore Beach 2009. Die Zirkulationsmetapher scheint manchmal in diesem Gebrauch binären Charakter zu haben, doch wird der Begriff auch im Sinne der „Freiheit der Zirkulation” (la liberté de circulation) verwendet, indem deren Bedingungen, Erfahrungen und Auswirkungen auf die Gesellschaft des Mittelmeers in verschiedenen Epochen untersucht wird; vgl. dazu Moatti, Claudia; Kaiser, Wolfgang (Hgg.), Gens de passage en Méditerranée de l’Antiquité à l’époque moderne. Procédures de contrôle et d’identification, Paris 2007.

[28] Vgl. Marquard, Odo, Art. Grenzbegriff, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Bd. III, Basel 1974, Sp. 871–873.

[29] Cohen, Hermann, Kants Theorie der Erfahrung, 2. Aufl., Berlin 1885, S. 514.

[30] Vgl. Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, A 255, B 310f. „Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht willkürlich erdichtet, sondern hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außer dem Umfang derselben setzen zu können.“ (unterstrichene Setzung i. Orig. gesperrt).

[31] Vgl. Luhmann, Niklas, Die Soziologie des Wissens: Probleme ihrer theoretischen Konstruktion, in: ders., Gesellschaftsstruktur und Semantik. Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. IV, Frankfurt am Main 1995, S. 151–180, hier S. 177.

[32] Vgl. Bitterling, David, L’invention du pré carré. Construction de l’espace français sous l’Ancien Régime, Paris 2009; Dissertation von Ng, Julia, The Politics of Geometry: Mathematics, Architecture and Literature at the Foundations of Cosmopolitanism (Northwestern University, 2010).


Literaturhinweise:
  • Bhabha, Homi K., The Location of Culture (1994), London u.a. 2009; dt.: Die Verortung der Kultur, Tübingen 2000.
  • Chakrabarty, Dipesh, Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton 2007.
  • Conrad, Sebastian; Eckert, Andreas; Freitag, Ulrike (Hgg.), Globalgeschichte. Theorien, Ansätze, Themen, Frankfurt am Main 2007.
  • Houtum, Henk van; Kramsch, Olivier; Zierhofer, Wolfgang (Hgg.), B/ordering Space, Aldershot 2005.
  • Mignolo, Walter, Local Histories/Global Design. Coloniality, Subaltern Knowledges, and Border Thinking, Princeton 2000.

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft, Auszüge aus der zweiten Auflage (1787)[1]

Zur Unterscheidung von Phaenomena und Noumena[2]:

„Wir haben jetzt das Land des reinen Verstandes nicht allein durchreiset und jeden Theil davon sorgfältig in Augenschein genommen, sondern es auch durchmessen und jedem Dinge auf demselben seine Stelle bestimmt. Dieses Land aber ist eine Insel und durch die Natur selbst in unveränderliche Grenzen eingeschlossen. Es ist das Land der Wahrheit (ein reizender Name), umgeben von einem weiten und stürmischen Oceane, dem eigentlichen Sitze des Scheins, wo manche Nebelbank und manches bald wegschmelzende Eis neue Länder lügt und, indem es den auf Entdeckungen herumschwärmenden Seefahrer unaufhörlich mit leeren Hoffnungen täuscht, ihn in Abenteuer verflechtet, von denen er niemals ablassen und sie doch auch niemals zu Ende bringen kann. Ehe wir uns aber auf dieses Meer wagen, um es nach allen Breiten zu durchsuchen und gewiß zu werden, ob etwas in ihnen zu hoffen sei, so wird es nützlich sein, zuvor noch einen Blick auf die Karte des Landes zu werfen, das wir eben verlassen wollen, und erstlich zu fragen, ob wir mit dem, was es in sich enthält, nicht allenfalls zufrieden sein könnten, oder auch aus Noth zufrieden sein müssen, wenn es sonst überall keinen Boden giebt, auf dem wir uns anbauen könnten; zweitens unter welchem Titel wir denn selbst dieses Land besitzen und uns wider alle feindselige Ansprüche gesichert halten können. Obschon wir diese Fragen in dem Lauf der Analytik schon hinreichend beantwortet haben, so kann doch ein summarischer Überschlag ihrer Auflösungen die Überzeugung dadurch verstärken, daß er die Momente derselben in einem Punkt vereinigt.“

Zur Funktion der Grenze für das Denken[3]:

„Wenn ich alles Denken (durch Kategorien) aus einer empirischen Erkenntniß wegnehme, so bleibt gar keine Erkenntniß irgend eines Gegenstandes übrig; denn durch bloße Anschauung wird gar nichts gedacht, und daß diese Affection der Sinnlichkeit in mir ist, macht gar keine Beziehung von dergleichen Vorstellung auf irgend ein Object aus. Lasse ich aber hingegen alle Anschauung weg, so bleibt doch noch die Form des Denkens, d. i. die Art, dem Mannigfaltigen einer möglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken sich die Kategorien so fern weiter, als die sinnliche Anschauung, weil sie Objecte überhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art (der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben werden mögen. Sie bestimmen aber dadurch nicht eine größere Sphäre von Gegenständen, weil, daß solche gegeben werden können, man nicht annehmen kann, ohne daß man eine andere als sinnliche Art der Anschauung als möglich voraussetzt, wozu wir aber keinesweges berechtigt sind.

Ich nenne einen Begriff problematisch, der keinen Widerspruch enthält, der auch als eine Begrenzung gegebener Begriffe mit andern Erkenntnissen zusammenhängt, dessen objective Realität aber auf keine Weise erkannt werden kann. Der Begriff eines Noumenon, d. i. eines Dinges, welches gar nicht als Gegenstand der Sinne, sondern als ein Ding an sich selbst (lediglich durch einen reinen Verstand) gedacht werden soll, ist gar nicht widersprechend; denn man kann von der Sinnlichkeit doch nicht behaupten, daß sie die einzige mögliche Art der Anschauung sei. Ferner ist dieser Begriff nothwendig, um die sinnliche Anschauung nicht bis über die Dinge an sich selbst auszudehnen und also um die objective Gültigkeit der sinnlichen Erkenntniß einzuschränken (denn die übrigen, worauf jene nicht reicht, heißen eben darum Noumena, damit man dadurch anzeige, jene Erkenntnisse können ihr Gebiet nicht über alles, was der Verstand denkt, erstrecken). Am Ende aber ist doch die Möglichkeit solcher Noumenorum gar nicht einzusehen, und der Umfang außer der Sphäre der Erscheinungen ist (für uns) leer, d. i. wir haben einen Verstand, der sich problematisch weiter erstreckt als jene, aber keine Anschauung, ja auch nicht einmal den Begriff von einer möglichen Anschauung, wodurch uns außer dem Felde der Sinnlichkeit Gegenstände gegeben und der Verstand über dieselbe hinaus assertorisch gebraucht werden könne. Der Begriff eines Noumenon ist also bloß ein Grenzbegriff, um die Anmaßung der Sinnlichkeit einzuschränken, und also nur von negativem Gebrauche. Er ist aber gleichwohl nicht willkürlich erdichtet, sondern hängt mit der Einschränkung der Sinnlichkeit zusammen, ohne doch etwas Positives außer dem Umfange derselben setzen zu können.“


[1] Kant, Immanuel, Kritik der reinen Vernunft, 21787 (Akademie-Ausgabe), in: Korpora.org, Bereitstellung und Pflege von Immanuel Kants Werken in elektronischer Form, URL: <http://www.korpora.org/Kant/> (23.05.2013).

[2] KrV, 1787, S. 202f., in: ebd., URL: <http://www.korpora.org/kant/aa03/202.html> (23.05.2013).

[3] KrV, 1787, S. 210-212, in: ebd., URL: <http://www.korpora.org/kant/aa03/210.html> (23.05.2013).


Für das Themenportal verfasst von

Susanne Rau und Benjamin Steiner

( 2013 )
Zitation
Susanne Rau und Benjamin Steiner, Europäische Grenzordnungen in der Welt Ein Beitrag zur Historischen Epistemologie der Globalgeschichtsschreibung, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2013, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1601>.
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