Abstrakte Kunst als Instrument des Kalten Krieges der Kulturen. Der Wettbewerb für das Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen 1952/53

Nicht nur im sowjetischen Machtbereich in Mittel- und Osteuropa, sondern auch in der westlichen Hemisphäre wurde Anfang der 1950er-Jahre mit Denkmälern Propaganda gemacht für die eigene Weltanschauung. Der Westen setzte den Begriff der Freiheit als Waffe im Kalten Krieg der Kulturen gegen das östliche Schlagwort der Gleichheit ein. Unter der Parole „Freiheit im Angriff“ versammelte der Kongreß für kulturelle Freiheit, der erstmals 1950 in Westberlin abgehalten wurde, 180 Intellektuelle aus 21 Ländern. Der Kongress verstand sich als eine „kulturelle Luftbrücke“ und verfolgte das Ziel, das Propagandamonopol der ‚Friedenspartisanen’ und ähnlicher Tarnorganisationen der sowjetisch gesteuerten Friedenskongresse in der Kulturwelt zu brechen. [...]

Abstrakte Kunst als Instrument des Kalten Krieges der Kulturen. Der Wettbewerb für das Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen 1952/53

Von Eckhart Gillen

Nicht nur im sowjetischen Machtbereich in Mittel- und Osteuropa, sondern auch in der westlichen Hemisphäre wurde Anfang der 1950er-Jahre mit Denkmälern Propaganda gemacht für die eigene Weltanschauung. Der Westen setzte den Begriff der Freiheit als Waffe im Kalten Krieg der Kulturen gegen das östliche Schlagwort der Gleichheit ein. Unter der Parole „Freiheit im Angriff“[1] versammelte der Kongreß für kulturelle Freiheit, der erstmals 1950 in Westberlin abgehalten wurde, 180 Intellektuelle aus 21 Ländern. Der Kongress verstand sich als eine „kulturelle Luftbrücke“ und verfolgte das Ziel, das Propagandamonopol der ‚Friedenspartisanen’ und ähnlicher Tarnorganisationen der sowjetisch gesteuerten Friedenskongresse in der Kulturwelt zu brechen.

In diesem Klima wird im Januar 1952 der Wettbewerb um ein Denkmal für den „Unbekannten politischen Gefangenen“ vom Institute of Contemporary Art (ICA) in London ausgeschrieben. Er soll an alle unbekannten Männer und Frauen erinnern „who in our time have given their lives or their liberty to the cause of human freedom“.[2] Es bleibt also, typisch für den Kalten Krieg, bewusst offen, ob die Gewaltherrschaft der Nationalsozialisten oder die Unterdrückung der freien Meinung durch die Sowjetunion in Mittel- und Osteuropa gemeint ist. Den teilnehmenden Künstlern stellt man frei, ob sie das Thema gegenständlich oder nichtgegenständlich behandeln wollen. Die Zusammensetzung der Jury macht aber deutlich, dass die Sprache der Abstraktion erwünscht ist. Künstler aus allen Ländern, also auch aus den kommunistisch beherrschten Staaten, werden eingeladen. Ein in sieben Sprachen (darunter auch Russisch) verfasster Prospekt ruft zur Teilnahme auf und erklärt die Modalitäten des Wettbewerbs. Die unter sowjetischem Einfluss stehenden osteuropäischen Länder boykottieren allerdings den Wettbewerb, da sie die beabsichtigte Tendenz zu erkennen glauben.

In der Öffentlichkeit tritt Anthony Kloman, von Juni 1951 bis Oktober 1953 Programmdirektor des 1946 von Herbert Read und Roland Penrose gegründeten ICA, als Initiator des Wettbewerbs auf. Er war zuvor im amerikanischen Geheimdienst tätig und agiert offensichtlich als Kontaktmann zu einer Reihe von amerikanischen Persönlichkeiten im State Department und dem CIA. Offiziell wird zwar das ICA in allen Publikationen als Sponsor des Wettbewerbs genannt. Das Geld kommt aber von Klomans amerikanischen Hintermännern. Ein Organisationskomitee wird eingerichtet, in dem neben Kloman und Read als Vorsitzenden, der Direktor der Tate Gallery, Sir John Rothenstein und der Bildhauer Henry Moore sitzen.[3] Die Finanzen für den Wettbewerb, für den etwa 90.000 Dollar bereitstehen, kommen aus anonymen Quellen.[4] Es soll der Anschein erweckt werden, dass der Wettbewerb auf rein idealistischen Motiven beruhe.

Bis zum Einsendeschluss am 1. Juni 1952 folgen 3.500 Bildhauer aus 57 Ländern[5] dem Aufruf. Das ICA organisiert Vorjurys und Ausstellungen in Deutschland, England, Frankreich, Italien, Österreich, Norwegen und den Vereinigten Staaten. Die stärkste Beteiligung am Wettbewerb stellt die junge Bundesrepublik Deutschland mit 262 Einsendungen. Zusammen mit 46 Beiträgen aus der Schweiz werden sie zum Jahreswechsel 1952/53 im Haus am Waldseein Berlin-Zehlendorf ausgestellt. Dort findet vom 8. bis 10. Dezember 1952 die Regionaljury statt, der von westdeutscher Seite Will Grohmann, der Kunsthistoriker Hans Hildebrandt, Carl Linfert, Herbert Pée, und Hans Scharoun, aus der Schweiz Carola Giedion-Welcker und der Direktor der Kunsthalle Bern und spätere Förderer der Abstrakten Expressionisten, Arnold Rüdlinger, angehören. Hinzugezogen werden noch Karl Ludwig Skutsch als Leiter des Hauses am Waldsee und Adolf Jannasch als damaliger Leiter des Berliner Hauptamtes für Kunst.

Den Preis der Bundesregierung mit 2.000 DM und den Anerkennungspreis des ICA bekommt Bernhard Heiliger. Der Preis des Berliner Senats mit ebenfalls 2.000 DM wird Egon Altdorf zugesprochen. Hans Uhlmann erhält den Preis des Kulturkreises im Bundesverband der Deutschen Industrie mit 2.500 DM.[6] Während ältere Bildhauer wie Gerhard Marcks, Ewald Mataré, Richard Scheibe fehlen, sieht die junge westdeutsche Künstlergeneration im Wettbewerb ihre große Chance, sich einem internationalen Publikum bekannt zu machen. Bernhard Heiliger erinnert sich Jahre später folgendermaßen daran: „[D]ieser Wettbewerb war eine große Geschichte für viele, vor allem für die deutschen Bildhauer, denn die meisten wurden dadurch erstmals im Ausland wahrgenommen.“[7]

Das Thema des Wetteberwebs passt zu der damals nicht nur in Westdeutschland vorherrschenden Tendenz, die eigene Schuld am Völkermord an den europäischen Juden und in den besetzten osteuropäischen Ländern durch ein allgemeines Gedenken an die ‚Opfer totalitärer Regime‘ zu verdrängen. Der im Juni 1950 ausgebrochene Koreakrieg und der ostdeutsche Aufstand vom 17. Juni 1953 überlagern die Verbrechen der Vergangenheit und suggerieren eine ständige ‚Bedrohung aus dem Osten‘.

Die deutschen Modelle für den Wettbewerb variieren immer wieder die abstrahierte Figur eines Gefangenen, der von gitterartigen Konstruktionen umfangen wird (Karl Hartung, Bernhard Heiliger). Fritz König platziert die Skulptur in eine kreisrunde Vertiefung, vergleichbar einem Raubtierzwinger (1952). Hans Uhlmann lässt sich mit seinem am weitesten in die Abstraktion getriebenen Stahlmodell von den eigenen Vogelskulpturen dieser Jahre inspirieren. Das Flattern von Flügeln, die einer fallenartigen Eisenkonstruktion zu entkommen versuchen, erinnert an den Vogel als Freiheitssymbol.

Bernhard Heiliger formt eine kniende, nackte Figur ohne Kopf und Arme, die von senkrechten und waagrechten Gitterstäben mit nach innen gerichteten Dornen eingeschlossen wird.[8] Konsequent setzt Heiliger auf den Kontrast zwischen den glatten organischen Formen der Figur und den starren und bedrohlichen Zacken der käfigartigen Umhausung, denen sie sich zu entwinden sucht. Dem Bronzeguss fehlt im Gegensatz zur im Haus am Waldsee ausgestellten Maquette die den Käfig abschließende Querstange. [9]

Das Publikum tut sich in Westberlin, aber auch in London sichtlich schwer, diesen Denkmalsentwürfen einen Sinn abzugewinnen. Besonders die Berliner Morgenpost gibt der Stimme des Volkes in ihren Leserbriefspalten breiten Raum. Am 18. Januar 1953 erscheint eine Karikatur, die einen kopfstehenden Besucher vor der abstrakten Skulptur von Uhlmann zeigt. Besonders in den preisgekrönten Modellen von Heiliger und Uhlmann sieht man „geradezu eine Verhöhnung unserer Gefangenen“.[10] Unbeeindruckt von Volkes Stimme bewirbt sich der Regierende Bürgermeister, Ernst Reuter, noch vor der zentralen Jurysitzung in London im Frühjahr in einem Brief an Anthony Kloman vom 21. Februar 1953 für Berlin als zukünftigen Standort des Siegerentwurfs mit der Frontstadt-Argumentation jener Jahre: „Berlin ist seit Jahr und Tag ein Vorposten der demokratischen Welt, umgeben von sowjetisch beherrschtem Gebiet, ein Zentralpunkt des Kampfes der Freiheit gegen die Unterdrückung und Tyrannei.“[11]


Abb. 2: Reg Butler, Working Model for „The Unknown Political Prisoner“, 1955-56, Foto: © Tate, London [2014], URL: <http://www.tate.org.uk/art/artworks/butler-working-model-for-the-unknown-political-prisoner-t02332> (16.07.2014).

Als Ergebnis der nationalen Vorauswahlen werden schließlich 140 Werke in einer Ausstellung der Londoner Tate Gallery (12. März – 3. Mai 1953) dem Publikum präsentiert, zu der immerhin 30.000 Besucher kommen. Vor der Ausstellungseröffnung tagt vom 9. bis 11. März 1953 eine internationale Jury[12] unter dem Vorsitz des Direktors der Londoner National Gallery, Sir Philip Hendy, der unter anderem Herbert Read, zugleich Präsident des ICA, Will Grohmann, Giulio Carlo Argan, Alfred H. Barr vom MoMA und zeitweise der amerikanische Kunstkritiker James Johnson Sweeney angehören. Sie zeichnet den Entwurf von Reg Butler mit dem ersten Preis über 4.500 Pfund aus. Mirko Basaldella, Naum Gabo, Barbara Hepworth und Antoine Pevsner erhalten je 750 Pfund. Lynn Chadwick, Alexander Calder, Richard Lippold, Henri-Georges Adam, Luciano Minguzzi, Max Bill und Margel Hinder werden je 250 Pfund zugesprochen. Naum Gabo als amerikanischer Staatsbürger (seit 1952) und sein Bruder Antoine Pevsner als Vertreter Frankreichs sind als Protagonisten des russischen Konstruktivismus und Emigranten der zwanziger Jahre willkommene Zeugen gegen die Unfreiheit der Kunst in der Sowjetunion.

Reg Butlers Modell besteht aus drei Elementen: einem Felsen als Sockel, auf dem drei Frauenfiguren aus Bronze als Zeuginnen und Beobachterinnen stehen, und eine riesige in den Himmel ragende Eisenkonstruktion auf drei Beinen, die an einen Wachturm erinnern soll.[13] In der geplanten Ausführung sollten die Frauenfiguren mit drei Metern Höhe übermenschengroß werden. Der Turm war auf 30 bis 40 Meter Höhe geplant, da Reg Butler ihn ursprünglich an der zerklüfteten Küste von Cornwall errichten wollte. Der Felsen war also von Anfang an Teil der Komposition. In einem Text zu seinem Entwurf erläutert er, dass er anfangs „eine Figur in Beziehung zu einer unheilvollen und einem Foltergerät ähnlichen Metallkonstruktion“ vor sich sah, dann aber nach langen Überlegungen schließlich auf die zentrale Figur des Gefangenen verzichtete, da das Verhältnis zwischen Figur und Turm immer falsch gewesen sei. Die Figur würde womöglich wie ein Mechaniker wirken, der einen Radarturm repariert.[14] Der Turm kann in den Augen des Künstlers Galgen, Guillotine, Kreuz und Kreuzigung sein. Damit greift der Künstler auf die christliche Ikonografie zurück. In den Frauenfiguren vor dem leeren Käfig kann man die drei Marien am leeren Grab des auferstandenen Christus sehen. Der politische Gefangene wird in Beziehung zu seinem Vorbild Christus nobilitiert und erlöst.[15]

Kurz nach der Eröffnung der Londoner Ausstellung der internationalen Entwürfe, zerstört am 15.März 1953 der 28-jährige ungarische Flüchtling László Szilvassy, der offenbar selbst ein politischer Gefangener gewesen ist, das Modell Butlers. In einer schriftlichen Erklärung, die er dem Wachpersonal aushändigt, wird das Dilemma des ganzen Wettbewerbs, der sich auch in den negativen Pressereaktionen niederschlägt, deutlich: „Diese unbekannten Gefangenen waren und sind menschliche Wesen. Die Erinnerung an die Toten und die Leidenden auf Schrottmetall zu reduzieren, ist genauso ein Verbrechen, als würde man sie einäschern oder entsorgen. Es ist Ausdruck des völligen Mangels an Humanität.“[16] Da das Publikum offensichtlich kein Mitgefühl für Drahtplastiken oder kopf- und armlose Rumpfgebilde entwickeln kann, droht der von den amerikanischen ‚Hintermännern’ beabsichtigte politische Appell ins Leere zu laufen.

Auch die Kritik moniert die mangelhafte künstlerische Qualität und wundert sich über die fehlende Beteiligung von weltweit bekannten Bildhauern wie Arp, Brancusi, Epstein, Giacometti, Lipschitz, Marini, Moore, Germaine Richier, Zadkine. Sicher hielten sich viele bekannte Künstler zurück, weil sie ahnten, dass ein öffentliches Denkmal von seinem politischen Zweck und den daraus entstehenden Kontroversen in der Öffentlichkeit weitgehend bestimmt wird und der Auftrag infolgedessen eine Eigendynamik entwickelt, die vom Künstler nicht mehr beherrscht werden kann.

Der Kritiker John Berger bezeichnet den Wettbewerb 1953 im New Statesman and Nation als ein vollkommenes Fiasko. Er habe statt das Publikum für moderne Skulptur zu begeistern, dieses der modernen Kunst entfremdet. Außerdem habe der Wettbewerb kein einziges bedeutendes Kunstwerk hervorgebracht.[17]

Reg Butler träumt davon, das Denkmal in der Größe der Nelson-Säule auf einem öffentlichen Platz in London oder an der Steilküste von Dover verwirklicht zu sehen. Ursprünglich ist ein Standort des Denkmals am Lake Success auf Long Island an der Grenze zum New Yorker Stadtteil Queens geplant, wo von 1946 bis 1951 das Hauptquartier der Vereinten Nationen angesiedelt war. Die Organisatoren verfolgen die Idee, eine ganze Reihe von Denkmälern an verschiedenen prominenten Orten der Welt zu errichten. Neben Amsterdam ist schließlich Berlin der einzige Ort, der sich ernsthaft für das Denkmal von Butler interessiert. Die von den Vereinigten Staaten besonders geförderte Frontstadt des Kalten Krieges scheint dafür der richtige Ort zu sein.

Die Realisierung von Butlers Entwurf wird vor allem durch den Berliner Senat, die Akademie der Künste, Will Grohman und Anthony Kloman vorangetrieben. Grohmann schreibt darüber in der Neuen Zeitung und hält einen werbenden Vortrag im Amerikahaus. Die Akademie der Künste lädt Kloman im März 1956 ein, und ihr Präsident, der Architekt Hans Scharoun, beauftragt den Direktor der Abteilung Dichtung, Hans Egon Holthusen (ein ehemaliges Mitglied der SS![18]), mit einem Gutachten, das als erstes Heft der Reihe Anmerkungen zur Zeit im Mai 1956 erscheint. Nonchalant verbindet Holthusen hier das Motiv von Berlin als Insel der Freiheit mit der Entsühnung aller Untaten der Vergangenheit: „Wenn der Butlersche Turm hier seinen Platz finden könnte, so würde sich damit seine geistige, moralische und politische Bestimmung in mehr als nur einem Sinne erfüllen. Er würde dann verstanden werden müssen nicht nur als ein Mahnmal im gegenwärtigen Kampf zwischen Freiheit und Tyrannei und als Sinnbild des politisch-moralischen Selbstbewusstseins dieser Stadt als einer Insel der Freiheit, sondern auch als ein Zeichen der Erinnerung an alles, was einst, von Berlin aus befohlen, an politischen Verbrechen in Deutschland getan und erlitten wurde. Ein Motiv der Entsühnung und der Elan einer kämpferischen Geistesgegenwart würden sich verbinden.“[19]

Standorte auf dem Teufelsberg (ein Trümmerberg, auf dem dann eine Radaranlage entstand) im Grunewald, am Tiergarten, in der Nähe des Bahnhofs Zoo, auf dem Campus der Freien Universität in Dahlem und schließlich auf einem Flakbunker im Humboldthain, Bezirk Wedding, direkt an der Sektorengrenze zu Ostberlin, stehen zur Debatte. Die Ingenieure schätzen die Kosten auf über 100.000 Dollar. Das Denkmal soll zum internationalen Architektenkongress im Sommer 1957 fertig gestellt sein. Der Berliner Senat entscheidet sich im April 1957 für den Luftschutzbunker im Humboldthain, der nach einem Sprengversuch der Franzosen 1945 zum Trümmerberg aufgeschüttet und begrünt worden war. Butler wird im Juni 1957 nach Berlin eingeladen und macht eine Fotomontage von diesem neuen Standort.[20]


Abb. 3: Fotomontage von Reg Butler, in: „... und die Vergangenheit sitzt immer mit am Tisch“. Dokumente zur Geschichte der Akademie der Künste (West) 1945/1954–1993, hrsg. von der Stiftung Archiv der Akademie der Künste. Ausgewählt und kommentiert von Christine Fischer-Defoy. Mit einem Vorwort von Walter Jens, Berlin 1997, S. 649ff.

Hier soll das 30 Meter hohe Monument weit in den Ostsektor Berlins hinein sichtbar sein und bekommt so als Gegendenkmal zum Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park einen klaren Propagandaauftrag. Das ebenfalls 30 Meter hohe Standbild eines Sowjetsoldaten mit Kind und gesenktem Schwert auf einem zerstörten Hakenkreuz steht auf einem als Mausoleum genutzten Sockel. Es bildet das Zentrum eines riesigen Begräbnisplatzes für mehr als 7.000 bei der Eroberung Berlins gefallene Sowjetsoldaten und sechs Generäle. Die Bronzefigur des Befreiersvon J. Wutschetitsch nach dem Modell des sowjetischen Kriegsveteranen und Arbeiters I.S. Odartschenko entstand 1947-1949.[21]

Abb. 4: Sowjetisches Ehrenmal im Treptower Park, Berlin 2005, in: Wikimedia Commons, URL: <http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Berlin_Treptow_Ehrenmal_07.jpg> (16.07.2014) © Andreas Steinhoff.

Hier also hätte das Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen als optischer Appell an den noch unbefreiten anderen Teil Deutschlands im Ostsektor Berlins wirken können.

Die Finanzierung des Butler-Denkmals erweist sich allerdings als unlösbare Aufgabe. Die politisch interessierten Kreise um die CIA, die seinerzeit zu den Initiatoren zählten, verlieren bald das Interesse an dem Berliner Projekt. Am 14. Juni 1964 werden vom Berliner Senat die Akten zum Denkmal geschlossen. Grohmann schreibt in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. September 1965 noch eine „Elegie auf ein Monument“: An der Brüsseler Weltausstellung von 1958 habe das Modell für dasDenkmal des unbekannten politischen Gefangenen noch neben einer Kolossalstatue von Lenin und dem originalgroßen Modell des Sputnik II im Atomium gestanden. Seitdem habe sich das Interesse an der pointierten Inszenierung der Systemkonfrontation verloren. Nach dem Mauerbau 1961 und der Erprobung des Ernstfalls in der Kuba-Krise im Oktober 1962, zeichnet sich zuerst im Auge des Hurrikans, auf der Insel Westberlin, ein Paradigmenwechsel ab: Egon Bahr, engster Mitarbeiter von Willy Brandt, entwickelt dort ab 1963 das Konzept eines „Wandels durch Annäherung“. Die Zeit der Denkmäler für oder gegen die jeweiligen Weltbilder eines politisch, ideologisch und ökonomisch geteilten Europa ist damit eigentlich abgelaufen. Künstler wie Jochen Gerz, Hans Haacke, Allan Kaprow, A.R. Penck oder Wolf Vostell entwickeln fortan eine innere Distanz zu den ideologischen Kämpfen der 1950er-Jahre um Freiheit und Gleichheit und setzen eine grundsätzliche Ideologiekritik mit künstlerischen Mitteln, die auf eine Bewusstseinserweiterung ihres Publikums zielt, dagegen.


[1] Schlagzeile des Berichts von Rudolf Pechel über den Westberliner Kongress in der Deutschen Rundschau 73, 1950.

[2] Ausschreibungsunterlagen, ICA, London, „International Sculpture Competition“, 1952, zitiert nach Marter, Joan, The Ascendancy of Abstraction for Public Art: the Monument to the Unknown Political Prisoner Competition, in: Art Journal 53 (1994), H. 4, S. 28–36.

[3] Vgl. Lapp, Axel, The International Sculpture Competition on the Theme of the Unknown Political Prisoner, London 1951–1953, Diss. Manchester 1998, S. 107ff.

[4] Lapp, S. 113f.

[5] Laszlo Glozer in Ausst.-Kat. Westkunst. Zeitgenössische Kunst seit 1939, Köln 1981, S. 184.

[6] Vgl. International Sculpture Competition. Ausstellung der deutschen und schweizerischen Modelle für den Londoner Wettbewerb zum ‚Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen’, Berlin 1953.

[7] Bernhard Heiliger, Interviewmontage, in: Ausst.-Kat. Grauzonen-Farbwelten. Kunst und Zeitbilder 1945–1955, Berlin 1983, S. 297f.

[8] Vgl. Abb. 1: Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen 1952, Bronzeguss, in: Heiliger-Retrospektive, Presse, Ausstellungshighlights, URL: <http://www.bernhard-heiliger-stiftung.de/_download/_presse/_jpgs/Gefangener.JPG> (16.07.2014).

[9] 9Vgl. Bernhard Heiliger 1915-1995. Monographie und Werkverzeichnis, Ausst.Kat., Köln 2005, S. 126ff.

[10] Zitiert aus der Berliner Morgenpost, in: Fischer-Defoy, Christine, Opfer Hitlers - Opfer Stalins? Der internationale Wettbewerb für ein Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen und das Engagement der Akademie der Künst“, in: ‚Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen’ , Ausst.-Kat. Akademie der Künste, Berlin 1996, S. 650.

[11] Reuter, Ernst, Brief an Anthony Kloman, Landesarchiv Berlin (LAB), Rep. 14/311, zitiert nach Fischer-Defoy, S. 651.

[12] Vergeblich hat man versucht Juroren aus dem sowjetischen Machtbereich zu gewinnen. Der in London lebende Kunstwissenschaftler Vladimir (Viczor) Kemenow, der Interesse signalisiert hatte, zog sich auf Geheiß der sowjetischen Botschaft zurück und wurde durch den Norweger Per Rom ersetzt. (Lapp, S. 122ff.)

[13] Vgl. auchThe Tate Gallery 1978–80: Illustrated Catalogue of Acquisitions, zu Reg Butler Working Model for ‚The Unknown Political Prisoner’ 1955–56, London 1980.

[14] Reg Butler, Zum Entwurf für das Denkmal des Unbekannten Politischen Gefangenen, in: das kunstwerk, 11 (1957/58), H. 2, S. 34f.

[15] Vgl. Marter, Joan, The Ascendancy of Abstraction for Public Art, S. 28–36.

[16] „Those unknown political prisoners have been and still are human beings. To reduce them – the memory of the dead and the suffering of the living – into scrap metal is just as much a crime as it was to reduce them into ashes or scrap. It is an absolute lack of humanism.“ Publiziert am 24. März 1953 in The Times, London, zit.n. Joan Marter. Butler fertigte zwei Kopien, eine wurde wieder in der Tate Gallery aufgestellt, die andere wurde vom MoMA angekauft. Ein vergrößertes Arbeitsmodel ging später nach Westberlin.

[17] Berger, John, The Unknown Political Prisoner, in: New Statesman and Nation, 45 (1953), 21. März, S. 337– 338.

[18] Er trat 1933 in die SS-Standarte „Julius Scheck“ ein, der er nachweislich noch 1943 angehört hat. Er schrieb darüber unter dem Titel Freiwillig zur SS, in: Merkur 20 (1966), S.921, S. 1037. Vgl. den Fall der Schriftstellerin Mascha Kaléko, die 1959 den Fontane-Preis der AdK ablehnt, weil Holthusen in der Preisjury saß. Vgl. „... und die Vergangenheit sitzt immer mit am Tisch“. Dokumente zur Geschichte der Akademie der Künste (West) 1945/1954–1993, hrsg. von der Stiftung Archiv der Akademie der Künste. Ausgewählt und kommentiert von Christine Fischer-Defoy. Mit einem Vorwort von Walter Jens, Berlin 1997, S. 229–232.

[19] Holthusen, Hans Egon, Gutachten der Akademie der Künste zum Entwurf eines Denkmals des unbekannten politischen Gefangenen, in: Anmerkungen zur Zeit 1 (1956), o.S.

[20] Vgl. Burstow, R., Butler’s Competition Project for Monument to ‘The Unknown Political Prisoner’: Abstraction and Cold War Politics, in: Art History 12 (1989), H. 4, S, 472–496.

[21] Kioscha, Michael, Der Geist von Treptow, in: Absage – Ansage, Schriftenreihe DDR-Kultur 2 (1982), S. 6–16, hier S. 16.



Literaturhinweise

  • Fischer-Defoy, Christine, Opfer Hitlers – Opfer Stalins? Der internationale Wettbewerb für ein Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen und das Engagement der Akademie der Künste, in: ‚Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen’, Ausst.-Kat. Akademie der Künste, Berlin 1996.
  • Gillen, Eckhart, Feindliche Brüder? Der Kalte Krieg und die deutsche Kunst 1945–1990, Berlin 2009.
  • International Sculpture Competition. Ausstellung der deutschen und schweizerischen Modelle für den Londoner Wettbewerb zum ‚Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen’, Berlin 1953.
  • Lapp, Axel, The International Sculpture Competition on the Theme of the Unknown Political Prisoner, London 1951–1953, Diss. Manchester 1998.

Für das Themenportal verfasst von

Eckhart Gillen

( 2014 )
Zitation
Eckhart Gillen, Abstrakte Kunst als Instrument des Kalten Krieges der Kulturen. Der Wettbewerb für das Denkmal des unbekannten politischen Gefangenen 1952/53, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2014, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1641>.
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