Auf ewig Dein? Das Institut der Scheidung von Tisch und Bett Beitrag zum Themenschwerpunkt "Europäische Geschichte - Geschlechtergeschichte"

Am 28. Oktober 1782 verhandelten die kirchlichen und weltlichen Räte des Konsistoriums der Erzdiözese Wien den Ehekonflikt von Regina Hoferin und Johann Karl Hofer. Von diesem und anderen Eheverfahren wissen wir, weil bei der „Tagsatzung“, wie die mündlichen Verhandlungen des Kirchengerichts genannt wurden, der Notar des Gerichts Protokoll führte und die Protokolle entweder als Rapulatur, das heißt als Abschrift für den Gebrauch, oder aber in Reinschrift und zu dicken Folianten gebunden im Archiv der Erzdiözese Wien erhalten sind. Die lokal adaptierten Regeln des romanisch-kanonischen Prozessrechts sahen auch beim vereinfachten summarischen Prozess – welcher in Ehekonflikten meist zur Anwendung kam –, eine Kombination aus schriftlichen und mündlichen Verfahrensschritten vor. Die Klageschrift war schriftlich einzureichen. [...]

Auf ewig Dein? Das Institut der Scheidung von Tisch und Bett[1]

Von Andrea Griesebner

Am 28. Oktober 1782 verhandelten die kirchlichen und weltlichen Räte des Konsistoriums der Erzdiözese Wien den Ehekonflikt von Regina Hoferin und Johann Karl Hofer. Von diesem und anderen Eheverfahren wissen wir, weil bei der „Tagsatzung“, wie die mündlichen Verhandlungen des Kirchengerichts genannt wurden, der Notar des Gerichts Protokoll führte und die Protokolle entweder als Rapulatur, das heißt als Abschrift für den Gebrauch, oder aber in Reinschrift und zu dicken Folianten gebunden im Archiv der Erzdiözese Wien erhalten sind.[2] Die lokal adaptierten Regeln des romanisch-kanonischen Prozessrechts sahen auch beim vereinfachten summarischen Prozess – welcher in Ehekonflikten meist zur Anwendung kam –, eine Kombination aus schriftlichen und mündlichen Verfahrensschritten vor.[3] Die Klageschrift war schriftlich einzureichen. Die Replik konnte schriftlich oder auch nur mündlich bei der Tagsatzung, wie mündliche Verhandlungen in Österreich bis heute bezeichnet werden, erfolgen, bei welcher die Konfliktparteien bzw. deren Anwälte die in den Schriftsätzen vorgebrachten Argumente wiederholten. Eine besonders wertvolle historische Quellengruppe sind die Konsistorialprotokolle nicht zuletzt deshalb, weil die schriftlich eingereichten Texte nicht mehr überliefert sind, die Eheverfahren sich nur noch anhand der Konsistorialprotokolle rekonstruieren lassen.

Im Folgenden soll das sehr ausführlich protokollierte Eheverfahren von Regina Hoferin im Zentrum der Betrachtung stehen.[4] Daran anschließend wird der Frage nachgegangen, wie repräsentativ dieses Scheidungsverfahren ist. Dazu werde ich den Blick auf alle Eheverfahren ausweiten, welche das Wiener Konsistorium zwischen dem 1. Jänner 1772 und 31. Oktober 1783 verhandelte. Mit dem 1. November 1783 endete die ehegerichtliche Zuständigkeit des Wiener Konsistoriums. Das Josephinische Ehepatent hatte die Jurisdiktion in Ehesachen an die Partrimonialgerichte bzw. in den Städten und Märkten an die Magistrate überantwortet. Ein kurzes Resümee und ein Ausblick auf die Änderungen in der Ehegesetzgebung nach 1783 runden den Beitrag ab.


Regina Hoferin contra Johann Karl Hofer

Regina Hoferin, über welche der Notar keine weiteren persönlichen Angaben vermerkte, war zur Tagsatzung des Konsistoriums nicht alleine erschienen. Dass sie nicht nur von ihrem Anwalt, Dr. Stöger, sondern auch von ihrem Vater begleitet wurde, lässt darauf schließen, dass sie noch relativ jung, vielleicht noch minderjährig war. Vom Ehemann Johann Karl Hofer vermerkte der Notar auch dessen Beruf. Wir erfahren, dass er ein bürgerlicher Posamentierer, also ein Handwerker war, welcher verschiedene Arten von gewebten und gewirkten Bändern, Borten, Fransen und Quasten herstellte. Auch er war durch Dr. Pihl anwaltlich vertreten. Das von Regina Hoferin initiierte Eheverfahren fasste der Notar wie folgt zusammen: Wie die von der Klägerin eingebrachten Belege bestätigen, behandle ihr Ehemann „sie sehr grausam, so daß sie in die ohnmacht einesmals wegen der thattigkeiten gefallen“; er „neke sie, was sie immer redet und macht sey unrecht“; „sie habe den ganzen tag keinen frieden“, er

„habe mit den arbeitsmagden unzüchtige handlungen vor, er taste sie an, übe allen widernatürlichen muthwillen und geilheit mit selben aus, mit einer gewissen Rosel aber habe ers soweit gebracht, daß es ihr leicht fallen würde, ihn des ehebruchs zu überführen, die magden hätten die communicirten attestaten ausgestellet“.

Als Klageinteresse notierte der Notar „scheidung von tisch und beth und alimente.“ Regina Hoferin forderte vom Konsistorialgericht der Wiener Erzdiözese, welches seit dem ausgehenden Mittelalter die Ehejurisdiktion innerhalb des Diözesangebiets ausübte, ihre Ehe von Tisch und Bett zu scheiden und den Ehemann zu Unterhaltszahlungen zu verpflichten. Obwohl mit dem Begriff Scheidung bezeichnet, ging es bei der Klage nicht um eine Ehescheidung mit dem Recht auf Wiederverheiratung, wie wir den Begriff heute verwenden, sondern schlicht um das Recht, künftig getrennt vom Ehemann leben zu dürfen. Regina Hoferin konnte sich nicht einfach von ihrem Ehemann trennen. Die katholisch fundierte Gesellschaftsordnung ihrer Zeit bestimmte, dass Ehepaare Tisch, Bett und Wohnung teilen mussten. Das Recht, ohne Ehepartner/in zu leben, setzte – von der christlichen Konfession unabhängig – eine gerichtliche Genehmigung voraus. „Eigenmächtig“ getrennt lebende Personen konnten sowohl auf Klage des „verlassenen“ Eheteils wie auch ex officio, meist auf Anzeige des Pfarrers, zur Wiederaufnahme der ehelichen Lebensgemeinschaft verurteilt werden. Zudem bestand – ohne gerichtliches Urteil – die Unterhaltspflicht des Ehemannes für die Ehefrau wie auch für allfällige Kinder nur dann, wenn diese mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebten.

Institut der Scheidung von Tisch und Bett

Das Institut der Scheidung von Tisch und Bett, auf welches sich die Klage von Regina Hoferin bezog, verfügte im christlichen Europa über eine lange Tradition. Eingeführt worden war es von der mittelalterlichen Kirche, welche die Ehe zum Sakrament erhoben und als unauflöslich definiert hatte. Im Gegensatz zum römischen Recht, welches den geschiedenen Ehepartnern eine Wiederverheiratung erlaubte, war es den von Tisch und Bett geschiedenen Ehepartner bei Lebzeiten des Ehepartners verboten, eine neue Ehe einzugehen. Argumentiert wurde dieses Verbot damit, dass im Gegensatz zu einer Annullierung oder Nichtigkeitserklärung der Ehe, die Scheidung von Tisch und Bett das sakramentale Eheband weiter bestehen ließ. Heirateten geschiedene Ehefrauen und Ehemänner dennoch erneut, so machten sie sich des Ehebruchs bzw. der Bigamie schuldig. Reformatoren wie Martin Luther, Philipp Melanchthon, Ulrich Zwingli oder auch Johannes Calvin schufen durch ihre Ablehnung des Ehesakraments zwar die theologische Voraussetzung für die Ehescheidung mit Wiederverheiratungsmöglichkeit. Aber selbst sie hielten am Institut der Scheidung von Tisch und Bett als Option für all jene Ehepaare fest, welche die eng definierten Voraussetzungen für die Ehescheidung nicht erfüllten.[5] Martin Luther erachtete beispielsweise eine Scheidung des Ehebands lediglich bei Ehebruch und allenfalls bei „böslicher Verlassung“ für zulässig. Das Recht auf Wiederverheiratung wurde zudem nur dem „unschuldigen“ Teil zugesprochen.[6]

Während in den protestantischen und reformierten Territorien im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts weltliche Ehegerichte errichtet wurden, blieb in der Habsburgermonarchie die Ehegerichtsbarkeit bis 1783 bei den Konsistorialgerichten.[7] Diese urteilten nach Bestimmungen, welche im Wesentlichen die mittelalterlichen Kirchenväter formuliert hatten. Neben fleischlichem und geistigem Ehebruch, Impotenz und Konversion zum christlichen Glauben, die schon im Decretum Gratiani (um 1140) en Detail diskutiert worden waren,[8] hatten die 1234 zusammengestellten Dekretalen Papst Gregors IX. noch körperliche Misshandlung, unüberwindbare Abneigung, Krankheit, kriegsbedingte Abwesenheit und Verurteilungen wegen eines Verbrechens als Gründe für eine Scheidung von Tisch und Bett erörtert.[9] Das in der Auseinandersetzung mit den Reformatoren am 11. November 1563 am Konzil von Trient verabschiedete Dekret Tametsi formulierte nur vage, dass eine Scheidung von Tisch und Bett aus vielen Gründen möglich sei.[10] Die Entscheidung, welche Gründe eine befristete Scheidung bzw. eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett rechtfertigen konnten, hing damit von der Interpretation der Bestimmungen des bis 1917 gültigen Corpus Iuris Canonici ab. Die jeweilige Auslegung bildete nicht nur den Rahmen für die Entscheidungen des Kirchengerichts, sondern auch für die Argumentationslinien der Eheleute bzw. deren Anwälten.


Argumentationslinien

Betrachten wir nochmals die Argumente, welche Regina Hoferin vorbrachte, um das Konsistorium davon zu überzeugen, ihre Ehe von Tisch und Bett zu scheiden, das heißt ihr das Recht zu gewähren, ohne zeitliche Befristung von ihrem Ehemann getrennt leben zu dürfen. Sie bzw. ihr Anwalt führten zwei der im Corpus Iuris Canonici verankerten Scheidungsgründe an, für welche sie auch Atteste vorgelegt hatte: Erstens die lebensbedrohliche physische Gewalt und zweitens den Ehebruch.

Johann Karl Hofer war gegen eine Scheidung. Er bzw. sein Anwalt versuchten die Klage seiner Ehefrau abzuwehren. Gemäß Protokolleintrag gestand er,

„daß er sie anno 1780 also geschlagen, daß sie in ohnmacht fiel. Sie habe darzu gelegenheit gegeben, denn sie hatte mit einem bedienten eine ihm bedenkliche gemeinschaft, worüber sie in händel [=Streit] geriethen und da ergrif sie das messer und foderte ihn zum zweykampf auf, er aber ergrief den stuhl, schlug sie damit nider und verwundete sie.“[11]

Seine bzw. die Strategie seines Anwaltes war es, das von Regina Hoferin vorgelegte Attest nicht anzuzweifeln, sondern die Schläge zuzugeben, diese aber als im Rahmen seiner potestas (Haus- und eheherrliche Gewalt) als gerechtfertigt zu präsentieren und die allfällige Überschreitung seines Züchtigungsrechts als Notwehr zu legitimieren.[12] Dem von Regina Hoferin angeführten Ehebruch widersprach er. Die vorgelegten Atteste würden „nicht mehr als ungebührliche handlungen und ausschweifungen“ belegen, welche er „gestehe“ und „bereue“. Die betreffenden Dienstmägde wären bereits entlassen worden und „all dieses wär schon vor mehreren jahren geschehen“. Da seine Ehefrau „ihm darauf wider cohabitieret“, also mit ihm den ehelichen Beischlaf vollzogen hatte, bat er das Konsistorium, ihre Klage abzuweisen. Johann Karl Hofers Argumentation ging konform mit einer strengen Auslegung des kanonischen Eherechts, wonach die Kirchengerichte einen bewiesenen oder eingestandenen Ehebruch nur dann als Grund für eine Scheidung von Tisch und Bett anerkannten, wenn „der unschuldige Teil dem schuldigen nicht verziehen hatte und auch der Vollzug der ehelichen Pflichten nicht wieder aufgenommen worden war.“[13]

Regina Hoferin replizierte, dass sie mit ihrem Mann nicht länger gemeinsam leben könne, und begründete dies vor allem damit, dass „sie sich keine hofnung eines besseren betragens versprechen köne.“ Letzteres entkräftete Johann Karl Hofer, indem er vor dem Konsistorium versprach, dass er seine Ehefrau künftig „gut halten“ und „keine ausschweifungen begehen“ werde. Das Protokoll hält fest, dass er sowohl seine Ehefrau wie auch ihren Vater um „vergebung gebethen“ und sie „einander die hand gereicht“ hätten.

Das Verfahren endete mit dem Urteil des erzbischöflichen Konsistoriums: „Es seyen beede theile friedlich, einig und kristlich zusammen zu leben“ schuldig. In das Urteil wurden zudem Verhaltensregeln für das Ehepaar integriert: Beiden wurde aufgetragen,

„sich alles anlases zu zänkereyen, besonders der beklagte aller nekerey, lästerung, dann der schlägereyen und thättigkeiten, besonders des unanständig und verdächtigen umgangs mit weibspersonen bey sonstiger bestrafung mit arrest durch behörde zu enthalten“.

Johann Karl Hofer wurde zudem auferlegt, „den umgang mit einem sicheren N. Müller zu meiden. Für den Fall, dass er „seinem anheut gemachten versprechen und diesem urtheile nicht nachlebte“, behielt das Urteil Regina Hoferin vor, die ihr „durch des beklagten sträfliches betragen zugewachsenen rechte“ zu suchen.

Obwohl das Konsistorium die Klage von Regina Hoferin abgewiesen hatte, verfügte sie nun über ein schriftliches Urteil, welches ihrem Ehemann neben verbaler und physischer Gewalt auch den „unanständigen und verdächtigen Umgang“ mit anderen Frauen unter Androhung von Arrest verbot. In welcher Beziehung Johann Karl Hofer zu „N. Müller“ stand und warum er den Umgang mit diesem meiden sollte, wurde bei der Verhandlung offenbar besprochen, nicht aber protokolliert.

Die vor dem Konsistorium erzielte Versöhnung hielt nicht lange an. Nicht einmal ein halbes Jahr später wurde auf Antrag von Regina Hoferin neuerlich eine Tagsatzung vor dem erzbischöflichen Konsistorium anberaumt, zu welcher der Ehemann zu spät kam.[14] Zur Verhandlung am 17. März 1783 erschienen beide Eheleute mit ihren Anwälten.[15] Regina Hoferin bzw. ihr Anwalt erinnerte das Konsistorialgericht daran, dass ihr im Urteil vom 28. Oktober 1782 das Recht eingeräumt worden war, eine neue Klage auf Scheidung von Tisch und Bett einzureichen, wenn ihr Ehemann „sich nicht bessere, und diesem urtheile nachleben würde.“ Seit dem Urteil, so Regina Hoferin, habe er sie „wieder beständig geneket, gepeiniget, eine hure und canaille, die ausser der ehe ein kind gehabt hätte, genennet“, „sie 2 mal aus der wohnung geworfen“ und ihr „seine mit anderen weibsbildern vorgehabte ausschweifung öfters selbst erzählet.“ Zudem hätte er sie „beym genick ergriffen.“ Wäre nicht ihr Bruder gekommen, so „würde er sich [an ihr] so vergrifen haben, daß sie vielleicht wär liegen geblieben.“ Auf ihren Bruder als Zeugen berief sich auch der Ehemann, der ein Attest von diesem vorlegte. Dieses Attest verdiene, wie im Protokoll vermerkt wurde, nach Ansicht von Regina Hoferin keine „rucksicht“. Zum einen wäre ihr Bruder „ein widerlicher mensch“, der wegen seiner Schulden bereits im Arrest war, zum anderen habe er für ihren Ehemann schon einmal für 30 Gulden ein falsches Attest ausgestellt und würde seit dieser Zeit von ihm „die arbeit bekommen“. Sich neuerlich auf die bereits im Oktober des Vorjahres vorgelegten Zeugnisse der Dienstmägde berufend, bat Regina Hoferin ein weiteres Mal um Scheidung von Tisch und Bett und Unterhaltszahlung.

Johann Karl Hofer bzw. sein Anwalt verfolgten nun die Strategie, die Klageberechtigung der Ehefrau zu hinterfragen. Er bestand darauf, dass Regina Hoferin ihn nur im Falle, dass „er keinen besseren lebenswandel“ führe, neuerlich klagen könnte. Er habe sich, so Johann Karl Hofer, „wirklich gebesert, und seit dem mit allen weibsbildern, auch mit dem N. Müllner allen umgang gemieden.“ Seine Ehefrau hätte ihn „mit dem gedachten urtheile, welches sie ganz zu ihren gunsten auslegte, geneket, und vorwürfe gemacht“. Zwei Mal wäre er deswegen in „harnisch [=zorn] gerathen, und da sie ihre lose zunge nicht einhalten wollte, habe er sie 2 mal bey der thür hinaus geschaft, und beyen arm hinaus geführet“. Wie schon bei der Verhandlung im Oktober 1782 bat Johann Karl Hofer das Konsistorium, die Klage der Ehefrau abzuweisen.

Das Konsistorium verweigerte die von Regina Hoferin verlangte Scheidung von Tisch und Bett zwar neuerlich, erlaubte Regina Hoferin aber „durch ein viertl jahr abgesondert und alleine zu leben“ und verurteilte den Ehemann zur Unterhaltszahlung während der auf drei Monate befristeten Trennung. Gleichzeitig bestimmte das Urteil, dass beide während dieser Zeit „zur versöhnung der gemüter fleis anzukehren“ und nach Ablauf der Toleranz „zusammen zu leben und sich friedlich und kristlich in gemäsheit des urtheils vom 28. Oktober 1782 zu betragen [haben].“

Johann Karl Hofers bzw. dessen Anwalts Strategie war erfolgreich. Das Konsistorium begründete die Ablehnung der Scheidung von Tisch und Bett damit, dass Regina Hoferin im Urteil vom 28. Oktober 1782 das Recht, um die Scheidung anzusuchen, nur unter dem Vorbehalt gestattet worden war, dass ihr Ehemann „seine bisherigen ausschweifungen fortsetzen sollte“, wofür die Klägerin keine Beweise vorlegen konnte. Für eine dreimonatige „Toleranzzeit“ habe indes gesprochen, dass zwischen dem Ehepaar „fried und eintracht“ nicht hergestellt werden konnte, und die Klägerin vor dem Konsistorium erklärte, dass „sie lieber arrest und alles ungemach auszustehen [bereit sei], als sich gleich wieder zur cohabitirung anzuschiken.“ Angesichts der Umstände und „der ausserordentlichen abneigung der klägerinn, die sonsten kein übles betragen hat“, habe es sich veranlasst gesehen, „selber eine kurze toleranzzeit zu gestatten, bis sie sich erholet und inmittels zur aussöhnung mitteln an die hand genohmen werden.“[16]


Eheverfahren vor dem Wiener Konsistorium zwischen 1772 und 1783

Wie die systematische Auswertung der Protokolle des Wiener Konsistoriums zeigt, war Regina Hoferin eine von vielen Ehefrauen, die in den 1770er- und frühen 1780er-Jahren eine geschlossene Ehe nicht als unausweichliches Schicksal betrachteten.[17] In den letzten zwölf Jahren der gerichtlichen Zuständigkeit der katholischen Kirche – zwischen dem 1. Jänner 1772 und 31. Oktober 1783 – verhandelte das Wiener Konsistorium in 637 Hauptverfahren die Ehekonflikte von 457 Ehepaaren.[18] Das Jurisdiktionsgebiet umfasste neben der Haupt- und Residenzstadt Wien, den Vorstädten und umliegenden Märkten und Städten auch die Pfarreien des Viertel unter dem Wiener Wald, welches 1729 vom Bistum Passau an die Erzdiözese Wien abgetreten worden war.[19] Parallel zu bzw. anschließend an die Hauptverfahren führten die Ehepaare zahlreiche Zusatzverfahren. Sie verlangten während des Hauptverfahrens getrennt leben zu dürfen und/oder einen angemessenen Unterhalt zu erhalten; sie stritten um die Obsorge der Kinder und auch darum, wer aus dem gemeinsamen Haushalt ausziehen musste und wer bleiben durfte.

Die Scheidungsklage von Regina Hoferin ist in mehrfacher Hinsicht repräsentativ. In 72 Prozent der Hauptverfahren versuchte der klagende Eheteil eine Scheidung bzw. Scheidung von Tisch und Bett zu erreichen (459 Verfahren). Diese Verfahren waren zu 84 Prozent (386 Verfahren) von Frauen initiiert und von ihnen bzw. ihren Anwälten vor allem mit physischer und verbaler Gewalt sowie Ehebruch und Geschlechtskrankheit begründet worden.

Knapp 14 Prozent der Hauptverfahren (87 Verfahren), ebenfalls mehrheitlich von Frauen eingebracht (66 Prozent bzw. 57 Verfahren), hatten Auflagen für ein „friedliches Zusammenleben“ zum Ziel, welche von der Entlassung konkreter Dienstmägde und dem Ausziehen von Stiefkindern bzw. Schwiegereltern über das Verbot von übermäßigen Alkoholkonsum, Wirtshausbesuchen, Glücksspiel und Verschwendung bis hin zur Enthaltung von verbaler und physischer Gewalt reichten.

Als Kläger sind die Ehemänner dagegen bei jenen elf Prozent (69 Verfahren) der 637 Hauptverfahren überrepräsentiert, welche dem „eigenmächtig getrennt“ lebenden Eheteil auferlegen sollten, das eheliche Zusammenleben wieder aufzunehmen (68 Prozent bzw. 47 Verfahren). In 2,8 Prozent der Hauptverfahren (18 Verfahren) suchte ein Eheteil, mehrheitlich die Ehefrau, die Annullierung bzw. Nichtigkeitserklärung der Ehe zu erreichen. In den restlichen vier Verfahren (0,6 Prozent) ließ sich das Interesse der klagenden Partei nicht eindeutig zuordnen.

Insgesamt betrachtet umfassen die protokollierten Argumentationsstrategien alle ehelichen Konfliktfelder: von der Ökonomie über die Sexualität und Fragen des konkreten Zusammenlebens bis hin zur Erziehung und Ausbildung der Kinder. Die vor dem Konsistorialgericht geschilderten Konflikte können selbstverständlich nicht als „Abbild“ der Eherealität gelesen werden, indem die klagende wie auch die beklagte Ehepartei konkrete Interessen verfolgte, welche sie mit anwaltlicher Unterstützung durchzusetzen versuchten. Die Erzählungen waren allerdings an die Plausibilität gebunden und sollten mit Attesten untermauert sein. Die Eheleute mussten damit rechnen, dass das Konsistorium Zeug/innen vorlud, Gutachten der medizinischen Fakultät einholte oder auch die Strafakten der weltlichen Gerichte anforderte.

Repräsentativ ist der geschilderte Eheprozess von Regina Hoferin aber auch deshalb, weil es ihr erst im zweiten Anlauf gelang, eine befristete Trennung zu erreichen und die Zeit der „Toleranz“, die sie schließlich zugestanden bekam, auf wenige Monate beschränkt war. 62 Prozent der 637 Urteile aus den Hauptverfahren lauteten auf „friedliche Cohabitierung“ (395 Urteile), die in aller Regel wie im Fall von Regina Hoferin mit „Cohabitierungsauflagen“ verbunden waren. 17 dieser Urteile waren sogenannte bedingte Endurteile, da ein Eheteil das Recht erhalten hatte, seine Argumente in einem weiteren Verfahrensschritt zu beweisen. Zwölf der bedingten Endurteile erlaubten dem Ehepaar während des Beweisverfahrens getrennt zu leben. Mit einer „befristeten Toleranz“, mehrheitlich auf ein Jahr, endeten 28 Prozent der Hauptverfahren (178 Urteile). In nur 2,4 Prozent der Hauptverfahren genehmigte das Wiener Konsistorium eine unbegrenzte Scheidung von Tisch und Bett (15 Urteile). Knapp ein Prozent der Ehen wurden annulliert (sechs Urteile). Von 4,9 Prozent der Hauptverfahren ist kein Urteil überliefert (31 Urteile).

Betrachten wir nur jene 15 Verfahren, in welchen das Konsistorium eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett erlaubte, so zeigt sich, dass es die Ehe meist nur aufgrund der Verletzung der ehelichen Treue von Tisch und Bett schied, und dies auch nur dann, wenn der Ehebruch von der klagenden Partei entweder gerichtlich erwiesen oder vom Beklagten oder der Beklagten zugegeben worden war. Von Tisch und Bett schied das Konsistorium beispielsweise Sybilla Ziegelwagnerin und Balthasar Ziegelwagner im September 1778.[20] Sybilla Ziegelwagnerin hatte ihren Ehemann, einen Tagelöhner, wegen verschiedenster Vergehen, darunter Ehebruch, geklagt. Das Protokoll fasst ihre Klage wie folgt zusammen: Ihr Ehemann habe

„eine schlechte aufführung, schlage sie, betrohe sie mit dem tod, führe ein schandvolles leben, indem er schon mehrere weibsbilder geschwängert, und die eheliche treüe verlezet, wie er denn auch derentwillen mit dem zuchthaus, allwo er sich wirklich befindet, bestrafet worden.“

Da keine Besserung seines Verhaltens „zu hofen“ sei, ersuchte Sybilla Ziegelwagnerin „um scheidung von tisch und beth“. Der aus dem Zucht- und Arbeitshaus vorgeladene Balthasar Ziegelwagner bestritt, wegen Ehebruchs arretiert zu sein, weshalb das Konsistorium die Verhandlung unterbrach, um auf kurzem Wege die Inquisitionsakten vom wenige Minuten entfernten Wiener Stadt- und Landgericht zu besorgen. Konfrontiert mit den Inquisitionsakten, gemäß welchen er „des widerholten ehebrechens überwiesen“, leugnete Balthasar Ziegelwagner, wie das Protokoll vermerkt, nicht länger, sondern gestand den Ehebruch. Das Konsistorium entschied,

„daß die klägerin den beklagten beyzuwohnen nicht gehalten, sondern ihr allein, jedoch ehrbar und eingezohen zu leben bevorstehen, mithin von des beklagten tisch und bethe geschieden seyn, dieser auch der klägerin die unterhaltung abzureichen, und einen kristlichen lebenswandel zu führen schuldig seyn soll.“

Der bewiesene oder gestandene Ehebruch war aber auch dann, wenn die betrogene Ehepartei diesen nicht verziehen hatte, keine Garantie, dass das Konsistorium eine Scheidung von Tisch und Bett genehmigte. Im September 1780 hatte Rosalia Zehetmayerin auf Scheidung von Tisch und Bett geklagt. Auch sie führte an, dass ihr Ehemann sie schlage, ihr mit der Ermordung drohe und vom Stadtgericht wegen Ehebruchs verurteilt worden sei. Der Notar vermerkte, dass die von ihr vorgelegten Aktenauszüge des Stadtgerichts ihre Anschuldigungen bestätigten. Franz Zehetmayer gestand, dass er mit einem „weibsbilde unerlaubten umgang und einen, jedoch unvollkommenen, beyschlaf gepflogen“ hatte, wies die Schuld aber seiner Ehefrau zu, da „allein sie […] ursache derzu gegeben [habe], weil sie ihm die anverlangte eheliche pflicht öfters versagt hat“. Obwohl der Ehebruch erwiesen und der Ehemann teilweise geständig war, erlaubte das Konsistorium Rosa Zehetmayerin nur eine dreijährige Toleranzzeit.[21] Zu vermuten ist, dass die Konsistorialräte die Argumentation des Ehemannes bzw. dessen Anwalts teilten, dass Rosa Zehetmayerin durch die Verweigerung des ehelichen Beischlafes am Ehebruch eine Mitschuld trug.

Vom Ehebruch abgesehen genehmigte das Wiener Konsistorium im untersuchten Zeitraum die Scheidung von Tisch und Bett nur noch in zwei Fällen wegen physischer Gewalt (saevitia). Beiden Fällen war ein Urteil auf „friedliche Cohabitierung“ vorausgegangen, welches dem beklagten Eheteil per Strafandrohung die Anwendung physischer Gewalt verboten hatte. Und in beiden Fällen war der beklagte Eheteil wegen physischer Gewalt zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Katharina Linzbauerin hatte am 22. Dezember 1777 zum bereits dritten Mal[22] auf Scheidung von Tisch und Bett geklagt, da ihr Ehemann „sie schon zum krippel geschlagen“.[23] Er habe ihr, wie dem Konsistorium bereits bekannt sei, nicht nur „eine rippe eingeschlagen und [sie] gehörlos gemacht“, sondern sie neuerlich „wieder mit dem spanischen rohr [=Rohrstock] über den kopf geschlagen“. Johann Michael Linzbauer gestand, „dass er sein weib geschlagen, wär auch derentwillen schon bey dem stadtgericht mit arrest abgestrafet worden“. Er willigte in eine Scheidung ein, verweigerte aber mit dem Hinweis, dass er „nicht vermögend“ sei, jegliche Unterhaltszahlung. Das Konsistorium schied die Ehe von Tisch und Bett und verurteilte den Ehemann „der klägerin die alimenten abzureichen“.

Der zweite Fall ist insofern atypisch, als die physische Gewalt nicht vom Ehemann, sondern von der Ehefrau ausgeübt worden war. Am 17. Jänner 1780 protokollierte der Notar die Klage des Schlossermeisters Theodor Renzing.[24] Katharina Renzingin habe nicht nur „todes gefährliche betrohungen wider ihn, und die kinder ausgestossen“, sondern ihm auch „mit einem grossen kuchenmesser vorsezlich einen sehr gefährlichen stich versezet.“ Nach einer „criminaluntersuchung“ wäre sie deshalb vom Wiener Stadt- und Landgericht zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Von Regina Renzingin erfahren wir nur, dass sie aus dem Arrest vorgeführt worden war. Das Konsistorium gab dem Antrag des Ehemannes auf „scheidung von tisch und beth, wegen von der beklagten wider ihn ausgeübten gefährlichen thättigkeiten“ statt.

In allen anderen Trennungs- und Scheidungsverfahren, die sich meist ebenfalls auf physische Gewalt stützten, entschied das Konsistorium – wenn überhaupt – nur auf eine befristete Trennung von Tisch und Bett. Zur „friedlichen Cohabitierung“ verurteilte es im Oktober 1782 Anna Maria von Liechtenstern, geborene von Rustenfeld. Gegen die Klage ihres Ehemannes auf „Anordnung der Cohabitierung“ führte sie seine durch langjährige Onanie verursachte Impotenz sowie physische Gewalt als Scheidungsgründe an. Das Konsistorium begründete sein Urteil damit, dass die medizinische Fakultät der Universität Wien Ägyd von Liechtenstern attestierte, daß er „alle eigenschaften zur cohabitirung besitze“ und die „scheidung von tisch und bethe ex capite saevitiae […] weit mehr erfordert, es hätte gezeigt werden müssen, daß die cohabitirung mit wahrscheinlicher lebensgefahr verbunden, daß solche thättigkeiten und schlägereyen vorausgegangen, wodurch leben und gesundheit in gefahr stünde“.[25] Anna Maria von Liechtenstern appellierte gegen das Urteil. Das Appellationsurteil trug ihr auf, ihre Anschuldigungen in einem weiteren Verfahrensschritt zu beweisen und genehmigte ihr, während des Verfahrens von ihrem Ehemann getrennt zu leben. Obwohl das Urteil des Beweisverfahrens nicht überliefert ist, kann aus dem medizinischen Gutachten geschlossen werden, dass sie auch dieses verlor:

„Er herr von Lichtenstern durch die lange angewandte arzney mittel von den folgen der onanie gänzlich geheilet zu seyn scheinet, und da endlichen weder in betref einer venerischen noch anderen ansteckenden krankheit einige spuren haben entdecket werden können, so hat auch die frau gemahlin des herrn von Lichtenstern durch die beywohnung ihres ehegattens nichts zu beförchten.“[26]

Ob Anna Maria von Liechtenstern die eheliche Cohabitierung wieder aufnahm, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Sicher ist hingegen, dass ihr Ehemann in den nächsten eineinhalb Jahren, in welchen das Wiener Konsistorium noch zuständig war, keine weitere Cohabitierungsklage einreichte.

Zahlreiche Eheleute, welchen das Konsistorium eine befristete Trennung von Tisch und Bett gewährt hatte, nahmen die eheliche Gemeinschaft vermutlich nicht mehr auf. Einige versuchten mit veränderten Argumentationslinien in einem neuen Hauptverfahren eine Scheidung von Tisch und Bett zu erreichen, andere forderten in Folgeverfahren – oft mehrmals – eine Verlängerung der Toleranz. Dass Eheteile sich nach Ablauf der Toleranzzeit weigerten, die Cohabitierung wieder aufzunehmen, zeigen auch jene Folgefahren, welche der Ehepartner bzw. die Ehepartnerin zur „Wiederaufnahme der Cohabitierung“ angestrengt hatte. Auch Ehefrauen und Ehemänner, welche das Wiener Konsistorium gegen ihr Interesse zum Zusammenleben verurteilte, hielten sich nicht immer an die gerichtliche Entscheidung. In zahlreichen Exekutionsverfahren suchte daher ein Eheteil die „Vollziehung des Urteils“ gerichtlich durchzusetzen.


Resümee und Ausblick

Die Analyse der Konsistorialprotokolle verdeutlicht, dass vor allem Frauen Ehekonflikte nicht als unausweichliches Schicksal hinnahmen. 84 Prozent (386 Verfahren) der Verfahren zur Scheidung bzw. Trennung von Tisch und Bett sowie 66 Prozent der Verfahren, in welchen die Bedingungen des Zusammenlebens verhandelt wurden, waren von Frauen initiiert worden. Die Analyse zeigt aber auch, wie gering die Chancen waren, einer nicht mehr lebbaren Ehe auf Dauer zu entkommen. 266 Trennungs- bzw. Scheidungsverfahren (73 Prozent) endeten mit dem Urteil auf „friedliche Cohabitierung“. Selbst in den wenigen Fällen, in denen das Konsistorium eine unbefristete Scheidung von Tisch und Bett gewährte, gilt es zu bedenken, dass im Gegensatz zur Annullierung die Eheleute durch das Ehesakrament auf ewig verbunden blieben. Ging ein Eheteil zu Lebzeiten des anderen eine neue sexuelle Beziehung ein, so machte sie bzw. er sich des „Ehebruchs“ schuldig. Bis zur Verabschiedung des Josephinischen Strafgesetzes 1787 zählte der Ehebruch zu den landgerichtlich zu bestrafenden Malefizverbrechen, wenn beide Sexualpartner/innen verheiratet waren, oder aber eine verheiratete Frau mit einem ledigen Mann schlief. Je nach Kontext und den anzurechnenden strafverschärfenden und strafmildernden Umständen drohten Urteile, die von einer Geld- bis hin zur Todesstrafe reichten.[27] Der Geschlechtsverkehr eines verheirateten Mannes mit einer ledigen Frau war dagegen nur von der Patrimonialgerichtsbarkeit mit einer Geldstrafe zu ahnden. Suchten die von Tisch und Bett getrennten Frauen und Männer ihre neue Lebensgemeinschaft mittels Heirat zu legalisieren, so drohte wegen des ebenfalls landgerichtlich zu ahndenden Verbrechens der Bigamie oder zweifachen Ehe die Todesstrafe, welche im 18. Jahrhundert in Wien auch teilweise exekutiert wurde. Wie Susanne Hehenberger anhand der Auswertung des Wiener Diariums zeigen konnte, wurden zumindest vier Männer und eine Frau wegen Bigamie hingerichtet.[28]

Am 1. November 1783 ging in weiten Teilen der Habsburgermonarchie – in den österreichischen und böhmischen Erbländern sowie in Galizien und Lodomerien – die Ehejurisdiktion an weltliche Gerichte. Am Dogma der Unauflösbarkeit der Ehe änderte dies jedoch nichts. Das Josephinische Ehepatent bestimmte, dass ein gültiger Ehevertrag „unauflöslich seye, und dieses Band, so lang beide Eheleute leben, unter keinem Vorwande getrennt werden könne“. Vom kanonischen Recht übernahm es für die katholischen Untertan/innen konsequenterweise auch das Institut der Scheidung von Tisch und Bett. Während, wie gezeigt, das romanisch-kanonisches Prozessrecht eine Klägerin bzw. einen Kläger zur Voraussetzung hatte und die Konsistorialgerichte mehrheitlich nur zeitlich befristete Scheidungen aussprachen, erlaubte das Josephinische Ehepatent einverständliche Scheidungen von Tisch und Bett. Zusätzlich zur vermögensrechtlichen Einigung musste das Ehepaar eine Bestätigung des Pfarrers vorlegen, dass Versöhnungsversuche unternommen wurden, aber gescheitert waren. Die Einführung von einverständlichen Scheidungen von Tisch und Bett war ein Vorteil für die kleine Minderheit von Ehepaaren, die getrennt leben wollten und sich über die Aufteilung des Vermögens und die Sorgepflichten für allfällige Kinder einigen konnten. Sie mussten sich nicht mehr eines Ehebruchs oder eines versuchten „Gattenmords“ bezichtigen, um eine Scheidung von Tisch und Bett zu erreichen. Sie stellte allerdings keine Option für Frauen und Männer dar, deren Ehepartner/innen die Scheidung verweigerten. Dass dies in der Mehrheit die Ehemänner waren, machte die Analyse der Konsistorialprotokolle deutlich. Das Verbot der uneinverständlichen Scheidung von Tisch und Bett wurde nach nur drei Jahren wieder zurückgenommen. Auch wenn sukzessive die Möglichkeiten zur uneinverständlichen Scheidung von Tisch und Bett erleichtert wurden, verging bis zur Einführung der Ehescheidung mit Wiederverheiratungsoption noch viel Zeit. Während die meisten zentral- und westeuropäischen Staaten Europas im 19. Jahrhundert die Zivilehe einführten, konnten Mitglieder von staatlich anerkannten Kirchen in Österreich bis 1938 – mit der Ausnahme von burgenländischen Landesbürger/innen, welche eine Zivilehe schließen konnten – nur eine kirchliche Ehe eingehen. Die 1868 eingeführte „Notzivilehe“ galt für Mitglieder der katholischen Kirche nur dann, wenn der zuständige Seelsorger nachweislich „die Vornahme des Aufgebotes oder die Entgegennahme der feierlichen Erklärung der Einwilligung zur Ehe aus einem durch die Gesetzgebung nicht anerkannten Hinderungsgrund verweigert“ hatte.[29] Nach dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland übernahm das Land Österreich im Juli 1938 das deutschen Eherecht,[30] wodurch die im zweiten deutschen Kaiserreich mit dem 1. Jänner 1876 eingeführte obligatorische Zivilehe nun auch im „Land Österreich“ gültig war.[31]



•   Teile der Arbeit an diesem Artikel entstanden im Kontext des vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) finanzierten Forschungsprojekts P20157-G08, URL: <http://ehenvorgericht.wordpress.com> (11.05.2015).

[1] Essay zur Quelle: Protokolle des Eheverfahrens von Regina Hoferin (1782/1783).

[2] Diözesanarchiv Wien (=DAW), Wiener Konsistorialprotokoll (=WP) 161, fol. 13v–14r.

[3] Vgl. Nörr, Knut Wolfgang, Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus, Heidelberg u.a. 2012.

[4] Vgl. die mit diesem Essay veröffentlichte Quelle Protokolle des Eheverfahrens von Regina Hoferin (1782/1783), DAW, WP 161, fol. 13v–14r sowie S. 47 und S. 49–50.

[5] Burghartz, Susanna, Zeiten der Reinheit – Orte der Unzucht. Ehe und Sexualität in Basel während der Frühen Neuzeit, Paderborn 1999, S. 85–90.

[6] Luther, Martin (1522), Vom ehelichen Leben und andere Schriften über die Ehe (hg. von Lorenz Dagmar), Stuttgart 1978.

[7] Die reformierten Ehegerichte fanden bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren das Interesse der Forschung; die katholischen Gerichte sind – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – erst in den letzten Jahren in den Fokus der Historiker/innen gerückt. Zum Forschungstand vergleiche den Forschungsüberblick: Westphal, Siegrid; Schmidt-Voges, Inken; Baumann, Anette, Venus und Vulcanus. Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit, München 2011.

[8] Vgl. die als Kooperationsprojekt der Monumenta Germaniae Historica in München und der Bayerischen Staatsbibliothek realisiert digitale Edition von Emil Friedberg (1879), URL: (11.05.2015).

[9] Vgl. Riedel Spangenberger, Ilona, Die Trennung von Tisch, Bett und Wohnung (cc. 1128–1132 CIC) und das Herrenwort Mk 10,9. Eine Untersuchung zur Theologie und Geschichte des Kirchlichen, Bern u.a. 1978.

[10] Vgl. 24. Sitzung, 11. November 1563, Lehre über das Sakrament der Ehe, in: Wohlmuth, Josef (Hg.), Dekrete der ökumenischen Konzilien, Bd. 3. Konzilien der Neuzeit, Paderborn u.a. 2002, S. 753–759.

[11] DAW, WP 161, fol. 13v–14r.

[12] Vgl. Ulbrich, Claudia, Geschlechterrollen, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 4, Stuttgart 2006, Sp. 631–650, wiederabgedruckt in: Ulbrich, Claudia, Verflochtene Geschichte(n). Ausgewählte Aufsätze zu Geschlecht, Macht und Religion in der Frühen Neuzeit. Herausgegeben von Andrea Griesebner, Annekathrin Helbig, Michaela Hohkamp, Gabriele Jancke, Claudia Jarzebowski und Sebastian Kühn. Wien u.a. 2014, S. 151–167.

[13] Döhler, Jacob Friedrich, Abhandlung von Ehe=Sachen sowohl nach dem Römisch Kanonischen als Protestantischen Konsistorial=Recht besonders in Deutschland, Wien 1783.

[14] DAW, WP 161, S. 42.

[15] DAW, WP 161, S. 47–48.

[16] DAW, WP 161, S. 49–50.

[17] DAW, WP 157-WP 161.

[18] Die Quellenrecherche und Transkription der Konsistorialprotokolleinträge unterstützten Susanne Hehenberger, Georg Tschannett, Eva Hallama und Martin Alexander Kirschner. Mein Dank gilt zudem Beate Pamperl für die Programmierung und Betreuung einer dynamischen Datenbank; Dietmar Berger für die Erstellung relationaler Datenbankabfragen sowie Johann Weißensteiner und Ina Friedmann für die Erstellung und Korrektur lateinischer Übersetzungen. Zum Folgenden vgl. auch: Griesebner, Andrea; Tschannett, Georg, Ehen vor Gericht (1776–1793). Ehestreitigkeiten vor dem Wiener Erzbischöflichen Konsistorium und dem Magistrat der Stadt Wien, in: Geschichte und Region / storia e regione: Neues Recht / Diritto nuovo, hg. von Ellinor Forster und Margareth Lanzinger 20 (2011), H. 2, S. 40–72.

[19] Weißensteiner, Johann, Die „Passauer Protokolle“ im Wiener Diözesanarchiv, in: Pauser, Josef et al. (Hgg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie. Ein exemplarisches Handbuch. Wien u.a. 2004, S. 651–662.

[20] DAW, WP 158, S. 456–457.

[21] DAW, WP 160, S. 13.

[22] DAW, WP 154, S. 318 und WP 155, S. 325–326.

[23] DAW, WP 158, S. 265.

[24] DAW, WP 159, S. 270–271.

[25] DAW, WP 161, fol. 6v.

[26] Medizinisches Gutachten vom 13. März 1782, Universitätsarchiv Wien: UAW MED 1.13_145.

[27] Griesebner, Andrea, Konkurrierende Wahrheiten. Malefizprozesse vor dem Landgericht Perchtoldsdorf im 18. Jahrhundert, Wien u.a. 2000.

[28] Vgl. die online Datenbank „Kriminalität in und um Wien (1703–1803)“, URL: <http://homepage.univie.ac.at/susanne.hehenberger/kriminaldatenbank> (11.05.2015).

[29] Gesetz über die Ehe von Katholiken im Kaisertum Österreich vom 25. Mai 1868, RGBL 47, Artikel II.

[30] Mit 1. August 1939 trat das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet“ vom 6.7.1938 samt Durchführungsverordnungen vom 27.7.1938 in Kraft. Vgl. dazu Floßmann, Ursula; Kalb, Herbert; Neuwirth, Karin, Österreichische Privatrechtsgeschichte, Wien 72014, S. 103–104.

[31] Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1875, Nr. 4, S. 23–40.



Literaturhinweise


  • Bake, Kristina, Spiegel einer christlichen und friedsamen Haußhaltung. Die Ehe in der populären Druckgraphik des 16. und 17. Jahrhunderts, Wolfenbu¨ttel 2012.
  • Lanzinger, Margareth et al., Aushandeln von Ehe. Heiratsverträge der Neuzeit im europäischen Vergleich (L’Homme Archiv 3), Köln u.a. 2010.
  • Lutz, Alexandra, Ehepaare vor Gericht. Konflikte und Lebenswelten in der Fru¨hen Neuzeit, Frankfurt u.a. 2006.
  • Seidel Menchi, Silvana; Quaglioni, Diego (Hgg.), Coniugi nemici. La separazione in Italia dal XII al XVIII secolo, Bologna 2002.
  • Westphal, Siegrid; Schmidt-Voges; Inken; Baumann; Anette, Venus und Vulcanus. Ehen und ihre Konflikte in der Fru¨hen Neuzeit (Bibliothek Altes Reich 6), Mu¨nchen 2011.

Protokolle des Eheverfahrens von Regina Hoferin (1782/1783)[1]


Faksimiles 1–2b, WP 161_13v–14r, 28. Oktober 1782

[13v] Hoferin Regina mit ihrem vater und herrn Dr. Stöger, Nr 132 zu Mariahilf contra Hofer Johann Karl, bürgerlicher posamentirer, Nr 120 auf dem Neubau, mit herrn Dr. Pihl.

Klage: die klägerin bringt an, ihr mann, beweise der beygebrachten attestaten, behandle sie sehr grausam, so daß sie in die ohnmacht einsmals wegen der thattigkeiten gefallen, nebst dem neke er sie, was sie immer redet und macht sey unrecht, und sie habe den ganzen tag keinen frieden, zudem lebe er sehr unflättig, habe mit den arbeitsmagden unzüchtige handlungen vor, er taste sie an, übe allen widernatürlichen muthwillen und geilheit mit selben aus, mit einer gewissen Rosel aber habe ers soweit gebracht, daß es ihr leicht fallen würde, ihn des ehebruchs zu überführen, die magden hätten die communicirten attestaten ausgestellet, bäth um scheidung von tisch und beth und alimente.

Einrede: der beklagte gestehet, daß er sie anno 1780 also geschlagen, daß sie in ohnmacht fiel. Sie habe darzu gelegenheit gegeben, denn sie hatte mit einem bedienten eine ihm bedenkliche gemeinschaft, worüber sie in händel [=Streit] geriethen und da ergrif sie das messer und foderte ihn zum zweykampf auf, er aber ergrief den stuhl, schlug sie damit nider und verwundete sie. Seit dem habe sie mit ihm [14r] cohabitirt, folglich ihm verziehen, und er habe ihr seit dem nichts mehr gethan. Den ehebruch betreffend: dieser sey widersprochen, alle beygebrachten attestaten erwiesen nicht mehr als ungebührliche handlungen und ausschweifungen, diese gestehe er, er bereue sie aber, wolle selbe künftig unterlassen, alle diese mägden wären bereits aus dem hause, all dieses wär schon vor mehreren jahren geschehen und sie habe ihm darauf wider cohabitiret, bätt die klagerin abzuweisen. […]

[14r] Es seyen beede theile friedlich, einig und kristlich zusammen zu leben, sich alles anlases zu zänkereyen, besonders der beklagte aller nekerey, lästerung, dann der schlägereyen und thättigkeiten, besonders des unanständig und verdächtigen umgangs mit weibspersonen bey sonstiger bestrafung mit arrest durch behörde zu enthalten, auch den umgang mit einem sichern N. Müller zu meiden schuldig, der klägerin aber, fals der beklagte seinem anheut gemachten versprechen und diesem urtheile nicht nachlebte, die derselben durch des beklagten sträfliches betragen zugewachsenen rechte allerdings ofen und vorbehalten. […]


Faksimiles 3a–3b, WP 161_47, 17. März 1783

[47] Consistorium 17. März 1783

Hoferin Regina mit ihrem vater und herrn Dr. von Stöger contra Hofer Johann Karl bürgerlicher posamentirer maritus mit Herrn Dr. Pihl

Erste bringet an, in dem urtheile de dato 28. Oktober 1782 seyen ihr, fals der beklagte sich nicht bessere und diesem urtheile nachleben würde, ihre rechte, die ihr durch das vorhergegangene schändliche betragen und ausschweifungen ihres mannes zugewachsen, vorbehalten worden. Seit diesem urtheile habe er sie wieder beständig geneket, gepeiniget, eine hure und canaille, die ausser der ehe ein kind gehabt hätte, genennet, seine mit anderen weibsbildern vorgehabte ausschweifungen öfters selbst erzählet, endlich habe er sie auch beym genick ergriffen, und wär nicht ihr bruder inzwischen gekommen, würde er sich so vergrifen haben, daß sie vielleicht wär liegen geblieben, auch er sie 2 mal aus der wohnung geworfen, das attestat ihres bruders, welches derselbe zu gunsten des beklagten ausgestellet, verdiene keine rücksicht, weil dieser ein widerlicher mensch wär, der schulden halber durchgegangen, in arrest gesessen, und aus der zeugenschaft einen nutzen bezieht, weil er vom beklagten 30 fl [=Gulden] für ein attestat schon vormals, und seit dem die arbeit bekommen, legt die vorigen attestata wegen des ehebruchs ein, und bittet um scheidung von tisch und bethe, und alimenten abreichung.

Der beklagte widerspricht, was heute von der klagerin angebracht wird, im urtheile seyen ihr ihre rechte nur für den fall, wenn er keinen besseren lebenswandel führt, vorbehalten worden, nun aber habe er sich wirklich gebesert, und seit dem mit allen weibsbildern, auch mit dem N. Müllner allen umgang gemieden. Übrigens habe sie ihn immer mit dem gedachten urtheile, welches sie ganz zu ihren gunsten auslegte, geneket, und vorwürfe gemacht, hierüber sey er auch in harnisch [=zorn] gerathen, und da sie ihre lose zunge nicht einhalten wollte, habe er sie 2 mal bey der thür hinaus geschaft, und beyen arm hinaus geführet, bittet die klagerin abzuweisen. […]


Faksimiles 4–5, WP 161_49-50, 24. März 1783

[49] Motiva des urtheils de dato 17. März 1783 in causa Hoferin Regina contra Hofer Karl maritu

Es habe die gebethene scheidung von tisch und bethe derzeit nicht statt.

Motiva: weil der klägerinn im urtheile von 28. Oktober 1782 ihr recht die scheidung anzusuchen nur für den fall vorbehalten worden, wenn der beklagte der vorschrift des urtheils nicht nachlebte, nämlich wenn er seine bisherigen ausschweifungen fortsetzen sollte. Heute aber keine weiteren ausschweifungen wieder ihn vorkammen. Jedoch sey die klägerin 1/4tl jahr allein und abgesondert zu leben zugestanden.

Motiva: weil seit des urtheils von 28. Oktober 1782 fried und eintracht unter ihnen nicht hergestellet, sondern beständig mißverständnis, uneinigkeiten und neckereyen underhalten und die klägerinn in rücksicht auf das vorhergegangene ausschweifende, nunmehr aber nicht gar friedliche betragen ihres mannes nicht beruhiget und ausgesöhnet war, auch sich erklärte,

[50] lieber arrest und alles ungemach auszustehen, als sich gleich wieder zur cohabitirung anzuschiken. Bey so gestalten sachen und ausserordentlicher abneigung der klägerinn, die sonsten kein übles betragen hat, fordern die umstände, selber eine kurze toleranzzeit zu gestatten, bis sie sich erholet und inmittels zur aussöhnung mitteln an die hand genohmen werden. Überhaupt hangt eine solche tolleranz blos prudenti arbitrio judicis [vom klugen Schiedsspruch des Richter] ab.

Die expensen aufgehoben.

Not: weil von keiner seits solche anbegehrt, noch auch eine expensspecification eingelegt worden.


Faksimile 1



Faksimile 2a



Faksimile 2b



Faksimile 3a



Faksimile 3b



Faksimile 4



Faksimile 5



[1] Diözesanarchiv Wien (=DAW), Wiener Konsistorialprotokoll (=WP) 161, fol. 13v–14r sowie S. 47 und S. 49–50.


Für das Themenportal verfasst von

Andrea Griesebner

( 2015 )
Zitation
Andrea Griesebner, Auf ewig Dein? Das Institut der Scheidung von Tisch und Bett Beitrag zum Themenschwerpunkt "Europäische Geschichte - Geschlechtergeschichte", in: Themenportal Europäische Geschichte, 2015, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1653>.
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