Internationaler Feminismus und Humanitarismus nach dem Ersten Weltkrieg. Akteurinnen der Women’s International League for Peace and Freedom im Spannungsfeld von Internationalismus, Nationalismus und faschistischer Herrschaft in Europa

Im November 1922, unmittelbar nach Mussolinis Marsch auf Rom, verfassten die italienischen Feministinnen Rosa Genoni (1867–1954) und Ida Vassalini (1891–1953) eine Rede anlässlich der internationalen „Konferenz für einen neuen Frieden“, die vom 7. bis 9. Dezember 1922 in Den Haag stattfinden sollte. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF); Genoni und Vassalini vertraten die italienische Sektion. Die WILPF, auf Deutsch „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (IFFF), war aus dem Frauenfriedenskongress in Den Haag vom April 1915 hervorgegangen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wählten die Mitglieder die Stadt Genf zum Sitz der internationalen Organisation, um dem Völkerbund nahe zu sein. Das Hauptziel der WILPF bestand im Einsatz für eine friedliche Lösung globaler Konflikte, an zweiter Stelle stand das Engagement für die Emanzipation von Frauen. Stark geprägt von Vertreterinnen jüdischer Herkunft und Quäkerinnen aus den USA und Europa, beschäftigte sich die Vereinigung auch mit Minderheitenrechten und dem Problem von Flüchtlingen. Obwohl keine humanitäre, sondern eine politische und bildungsorientierte Institution, waren zahlreiche Mitglieder der WILPF in humanitären Netzwerken tätig, so dass häufig Überschneidungen zwischen den beiden Sphären – feministischem Pazifismus und Humanitarismus – entstanden.

Internationaler Feminismus und Humanitarismus nach dem Ersten Weltkrieg. Akteurinnen der Women’s International League for Peace and Freedom im Spannungsfeld von Internationalismus, Nationalismus und faschistischer Herrschaft in Europa[1]

Von Ruth Nattermann

Im November 1922, unmittelbar nach Mussolinis Marsch auf Rom, verfassten die italienischen Feministinnen Rosa Genoni (1867–1954) und Ida Vassalini (1891–1953) eine Rede anlässlich der internationalen „Konferenz für einen neuen Frieden“, die vom 7. bis 9. Dezember 1922 in Den Haag stattfinden sollte. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Women’s International League for Peace and Freedom (WILPF); Genoni und Vassalini vertraten die italienische Sektion. Die WILPF, auf Deutsch „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (IFFF), war aus dem Frauenfriedenskongress in Den Haag vom April 1915 hervorgegangen. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wählten die Mitglieder die Stadt Genf zum Sitz der internationalen Organisation, um dem Völkerbund nahe zu sein. Das Hauptziel der WILPF bestand im Einsatz für eine friedliche Lösung globaler Konflikte, an zweiter Stelle stand das Engagement für die Emanzipation von Frauen. Stark geprägt von Vertreterinnen jüdischer Herkunft und Quäkerinnen aus den USA und Europa, beschäftigte sich die Vereinigung auch mit Minderheitenrechten und dem Problem von Flüchtlingen. Obwohl keine humanitäre, sondern eine politische und bildungsorientierte Institution, waren zahlreiche Mitglieder der WILPF in humanitären Netzwerken tätig, so dass häufig Überschneidungen zwischen den beiden Sphären – feministischem Pazifismus und Humanitarismus – entstanden.[2]

Federführend bei der internationalen Veranstaltung der WILPF im Dezember 1922 mit dem bedeutungsvollen Titel „Für einen neuen Frieden“ waren die niederländischen Vertreterinnen. Die Konferenz verfolgte das Ziel, eine Revision der Friedensverträge von 1918 zu beantragen, da die internationale Frauenliga diese als zentralen Grund für die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Missstände in Europa ansah. In ihrem schriftlichen Appell wiesen Genoni und Vassalini explizit darauf hin, dass „die Revision der Friedensverträge unumgänglich, notwendig und dringend“ sei, und betonten, dass die Forderung nach „neuen und gerechteren Verträge von den Regierungen“ im Mittelpunkt der bevorstehenden internationalen Konferenz in Den Haag stehen würde. Die Diskussionen über eine Revision der Friedensverträge waren Ende 1922 hochaktuell, da nur wenige Monate zuvor bei einer Konferenz in London die deutschen Gegenvorschläge hinsichtlich der Reparationsverpflichtungen erneut abgelehnt worden waren. Jedoch sollte in der Folgezeit die vor allem von den Italienerinnen so vehement geforderte Revision des Versailler Vertrags aufgrund politischer Entwicklungen wie der Abkommen des Jahres 1924 über eine etappenweise Räumung des besetzten Rheinlands und insbesondere des Vertrags von Locarno im Oktober 1925 innerhalb der WILPF ihre Dringlichkeit verlieren. Bereits während der ersten Nachkriegsjahre war eine offene Kritik an den Grundlagen des Versailler Vertrags seitens der stark von amerikanischen, britischen und französischen Akteurinnen beeinflussten Gesamtorganisation ausgeblieben. Der große internationale Kongress der WILPF wiederum, der zusammen mit der Friedenskonferenz 1922 in Den Haag hätte tagen sollen, wurde wegen angeblicher finanzieller Engpässe verschoben und fand erst im Mai 1924 unter der Ägide der amerikanischen Sektion in Washington statt.[3] Durch die zeitliche Hinauszögerung der Veranstaltung war nicht nur die Teilnahme der italienischen Vertreterinnen unmöglich geworden, auch hatten die Diskussionen über eine Revision des Versailler Vertrags zu diesem Zeitpunkt generell an Schärfe verloren.

Dass im Jahr 1922 gerade bei den italienischen Vertreterinnen der WILPF die Intention des Den Haager Kongresses auf große Zustimmung stieß, war wesentlich auf die gesamtgesellschaftliche Krise zurückzuführen, die Italien im Roten Biennium der Jahre 1919 und 1920 erfasst und letztlich zur Erstarkung der faschistischen Bewegung geführt hatte. Zeitgleich zu den Vorbereitungen der internationalen Friedenskonferenz, in den Wochen nach Mussolinis Marsch auf Rom vom 28. Oktober 1922, begann sich die erste faschistische Diktatur in Europa zu etablieren. Sie sollte zum Vorbild für den Nationalsozialismus wie für alle faschistischen Herrschaftssysteme überhaupt avancieren.[4] Krieg und Gewalt waren integraler Bestandteil des faschistischen Selbstverständnisses. Die weit verbreitete Unzufriedenheit in der italienischen Gesellschaft mit den Ergebnissen der Friedensverträge indessen konnte die junge faschistische Bewegung aufgrund der Propagierung des Mythos vom „verstümmelten Sieg“, dem italienischen Pendant der Dolchstoßlegende, anheizen und politisch instrumentalisieren.

Vor diesem Hintergrund ist die Entstehung der unveröffentlichten Schrift der Antifaschistinnen Genoni und Vassalini zu deuten, die sich im ersten Teil direkt an die italienische Bevölkerung wandte und als Appell formuliert war. Der auf Italienisch verfasste Text vom November 1922 war als Grundlage für die Rede Rosa Genonis auf der internationalen Friedenskonferenz in Den Haag konzipiert. Die Verbreitung des Textes im Vorfeld der Veranstaltung sollte öffentliche Aufmerksamkeit erregen und für die Ziele der Konferenz wie der WILPF insgesamt werben. Der zweite Teil des Dokuments fasste die Ergebnisse der Diskussionen vom Dezember 1922 in Den Haag zusammen. In dieser Traditionsquelle weitgehend normativen Charakters wurden einem italienischen wie internationalen Publikum die wirtschaftlichen, militärischen und moralischen Folgen der Friedensverträge erläutert sowie konkrete Empfehlungen für ein gemeinsames politisches Vorgehen in europäischer wie globaler Hinsicht ausgesprochen.[5] Obwohl die Kongressergebnisse angesichts der faschistischen Machtübernahme nicht veröffentlicht wurden, ist davon auszugehen, dass Genoni und Vassalini das Dokument vervielfältigten und innerhalb pazifistischer Kreise in Italien verbreiteten. Zu ihren Gesinnungsgenoss:innen zählten die Mitglieder der kleinen italienischen Sektion der WILPF, Mitarbeiterinnen der von Jüdinnen stark geprägten, sozialistisch orientierten Unione Femminile Nazionale, der wichtigsten Organisation der zeitgenössischen italienischen Frauenbewegung, sowie die Gruppe um den 1921 in Lugano verstorbenen bedeutenden Journalisten Enrico Bignami, der eng mit Rosa Genoni zusammengearbeitet hatte. Aufgrund der fortschreitenden Einschränkung der Meinungsfreiheit finden sich in zeitgenössischen italienischen Publikationen bezeichnenderweise keine direkten inhaltlichen Anspielungen auf die Kongressergebnisse. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass sie auf der Grundlage des hier zitierten Dokuments bei privaten Treffen der zunehmend im Untergrund agierenden italienischen Pazifist:innen diskutiert und innerhalb antifaschistischer Netzwerke im In- und Ausland verbreitet wurden.

Die Kongressergebnisse wurden ursprünglich auf Englisch verfasst; das betreffende Dokument befindet sich in den WILPF-Akten der Archives of the University of Colorado Boulder Libraries. Konferenz- und Sitzungsprotokolle sandte die Genfer Zentrale üblicherweise an die Vorsitzenden der einzelnen Ländersektionen, so auch an Genoni, die das englische Schriftstück vermutlich selbst ins Italienische übersetzte. Die beiden maschinengeschriebenen Texte – ihr Redemanuskript vom November 1922 und die Konferenzergebnisse vom Dezember 1922 –, die sich in Form eines zusammenhängenden Dokuments im Nachlass Rosa Genonis (Archivio Podreider) in Mailand befinden, wurden von der Protagonistin in ihrer Funktion als italienische Sektionsvorsitzende aufbewahrt und archiviert.

Im einleitenden Appell an die Italiener (insbesondere Frauen, aber auch Männer waren explizit angesprochen) wurde an die im Ersten Weltkrieg gefallenen Söhne, Ehemänner, Brüder und Väter erinnert, deren Opfer nicht zu der erhofften friedlichen Neuordnung Europas geführt hatte. Vor allem politisch linksstehende Anhängerinnen der Frauenbewegung hatten sich zumindest zu Beginn des Krieges häufig vom Trugbild eines „demokratischen Interventionismus“ täuschen lassen, der mit dem Kriegseintritt Italiens auf der Seite Frankreichs und Großbritanniens und dem ersehnten Sieg über die Mittelmächte die Hoffnung auf einen langfristigen Frieden in demokratischen Gesellschaften verbunden hatten. Dass das auf die Französische Revolution zurückgehende Ideal „universeller Brüderlichkeit“ in Europa und der gesamten Welt jedoch in unerreichbare Ferne gerückt war, führten die Verfasserinnen auf die Brutalität des Krieges, insbesondere aber auf die „von Gefühlen des Grolls, des Hasses und der Rache“ erfüllten Friedensverträge zurück. Ihre Position war damit radikaler als die des Vorstands der WILPF, der trotz seiner kritischen Haltung gegenüber den Bedingungen des Versailler Friedens erst im September 1922 aufgrund der Initiative der Niederländerin Cornelia Ramondt-Hirschmann eine öffentliche internationale Konferenz zur Diskussion der problematischen Friedensbedingungen in Betracht gezogen hatte.[6]

Die dem Redetext folgenden konkreten Kritikpunkteam Versailler Vertrag, die während der Konferenz im Dezember 1922 formuliert worden waren, behandelten zunächst seine katastrophalen wirtschaftlichen Folgen, nämlich die Inflation und den Rückgang der globalen Handelsbeziehungen. Unter dem Punkt „Militärische Konsequenzen der Friedensverträge“ kritisierten die Akteurinnen die den Grundsätzen des Völkerbunds zuwiderlaufende starke Wiederaufrüstung in wie außerhalb von Europa. Sie bekräftigten die strikte und unumstößliche Ablehnung des Krieges als „Mittel zur Beilegung von Differenzen zwischen den Völkern“ und forderten „eine allgemeine und vollständige Abrüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luft“.

Von besonderem Interesse sind die detaillierten Ausführungen zu den „moralischen Konsequenzen der Friedensverträge“, die bezeichnenderweise an erster Stelle die Beeinträchtigung des „internationalen Geistes“ nennen. Die Verfasserinnen spielten damit auf zerstörte oder unterbrochene internationale politische wie intellektuelle Netzwerke und wohl auch auf die bis ins 18. Jahrhundert zurückreichenden Ideen einer universellen Gemeinschaft und humanitären Beistandspflicht zwischen den Menschen an,[7] die aufgrund des Weltkriegs und der aus den Friedensschlüssen resultierenden politisch-kulturellen Ressentiments und nationalistischen Tendenzen der Nachkriegszeit diskreditiert worden waren. Die Auswirkungen der Verträge für die Sieger seien in dieser Hinsicht „ebenso katastrophal wie für die Besiegten“, so das harte Urteil der Autorinnen.

Die Unbeliebtheit des Völkerbunds wiederum war in ihren Augendarauf zurückzuführen, dass er die „Strafklauseln des Vertrags“ auszuführen hatte. Sie bezogen sich dabei auf die Verwaltung des Saarbeckens und die Teilung Schlesiens. Gut ein Jahr vor der Friedenskonferenz in Den Haag, im Oktober 1921, hatte der Oberste Rat der Alliierten beschlossen, das ostoberschlesische Industrierevier an Polen zu übertragen. Die Abtretung war staatsrechtlich mit dem deutsch-polnischen Abkommen am 15. Mai 1922 vollzogen worden. In Deutschland hatte diese politische Entscheidung heftige Empörung und eine Welle nationaler Leidenschaft ausgelöst, die gerade rechtsextremen Kräften Vorschub leisteten. Den Italienerinnen Genoni und Vassalini waren diese Mechanismen aufgrund der Auseinandersetzungen um Dalmatien, das Italien nach Kriegsende nicht zugesprochen worden war, gut bekannt. In der Stadt Fiume hatte sich bereits unmittelbar nach Kriegsende eine starke pro-italienische Bewegung gebildet, die die Vereinigung mit Italien gefordert hatte. Daraufhin hatte der gefeierte Dichter und Kriegsveteran Gabriele D’Annunzio mit der Unterstützung militärischer Abteilungen Julisch-Venetiens im September 1919 die Macht in Fiume übernommen. Die nationalimperialistischen Bewegungen in Italien waren in ihrer Forderung nach einer Annexion Gesamtdalmatiens einschließlich Fiumes von den faschistischen Kampfbünden tatkräftig unterstützt worden.[8]

In diesem spannungsgeladenen soziopolitischen Kontext der ersten Nachkriegszeit ist das pazifistische wie humanitäre Engagement der italienischen Pionierinnen der WILPF einzuordnen, auf die sich der vorliegende Essay konzentriert. Die italienische Sektion der Organisation ist bisher nur in wenigen Studien behandelt worden, obwohl insbesondere Rosa Genoni aufgrund ihrer ausgedehnten transnationalen Kontakte und interkulturellen Kompetenzen bereits seit dem Ersten Weltkrieg bis in die 1920er Jahre hinein den wichtigsten Referenzpunkt der Frauenliga in Italien bildete.[9] Im Folgenden wird dies anhand einer Betrachtung ihrer transnationalen Biographie gezeigt. Darüber hinaus lassen sich an der Interaktion zwischen der italienischen Sektion und der Genfer Zentrale der WILPF die Spannungen zwischen internationalistischem Anspruch und nationalen Identitäten verdeutlichen, die in den Jahren nach dem Ende des Ersten Weltkriegs die Entwicklung der Liga stark beeinflussten.[10] Als Gesamtorganisation ging es der WILPF darum, einen neuen Krieg in Europa und der Welt zu verhindern, – um welche Vorstellung von Europa aber handelte es sich dabei? Nach dem Ersten Weltkrieg hatte sich die Komposition des europäischen Kontinents durch die Entstehung zahlreicher neuer Nationalstaaten auf den Ruinen der alten Imperien, darunter die Tschechoslowakei, Polen, Ungarn, Jugoslawien bzw. das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, stark verändert. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern Vertreterinnen dieser neuen nationalen Gemeinschaften während der Nachkriegszeit in das internationale Unternehmen der WILPF einbezogen wurden. Zudem wird die Betrachtung der Verbindungen zwischen der Genfer Zentrale und den Mitgliedern in Italien Aufschluss darüber geben, ob die Gefahr des Faschismus für ganz Europa innerhalb der WILPF erkannt wurde und zu konkreten Maßnahmen sowie einer stärkeren Unterstützung der italienischen Sektion führte.

Die italienische Niederlassung der WILPF hatte bereits unmittelbar nach dem internationalen Frauenfriedenskongress vom April 1915 ihre Tätigkeit aufgenommen, als die Gesamtorganisation offiziell noch „Internationaler Frauenausschuss für dauernden Frieden“ hieß und ihre Zentrale in Amsterdam hatte. Die kleine italienische Sektion konstituierte sich in Mailand und in Rom. Rosa Genoni war Ursprung und Mittelpunkt der Vereinigung, während die Anglistin und Frauenwahlrechtsaktivistin Anita Dobelli-Zampetti die WILPF in der italienischen Hauptstadt vertrat. Zum nationalen Exekutivkomitee gehörten Rosa Genoni, Anita Dobelli-Zampetti, Enrichetta Giolitti-Chiaraviglio und Elisa Agnini-Lollini. Alle Akteurinnen waren in der Frauenbewegung aktiv; Genoni und Dobelli-Zampetti engagierten sich in sozialistischen Kreisen, während Agnini-Lollini als linksliberal einzuordnen ist und auch Giolitti-Chiaraviglio, Vertreterin des Consiglio Nazionale delle Donne Italiane (CNDI) in Rom und Tochter des ehemaligen Ministerpräsidenten Giovanni Giolitti, dem zeitgenössischen Liberalismus nahestand. Gemeinsam war allen Protagonistinnen die bedingungslose Ablehnung des Krieges und eine strikte Abgrenzung von dem interventionistischen Lager in Italien, dem sich letztlich auch die meisten italienischen Feministinnen anschlossen. Ida Vassalini und Isabella Grassi, Vorsitzende der Vereinigung italienischer Akademikerinnen, gehörten zur jüngeren Generation der italienischen WILPF.

Die Tatsache, dass Rosa Genoni zur bekanntesten italienischen Pazifistin ihrer Zeit avancierte, hängt wesentlich mit ihrer grenzüberschreitenden Biographie zusammen. Auch das humanitäre Engagement der Protagonistin und ihre Verortung in transnationalen Netzwerken erschließen sich aus ihrem verschlungenen Lebensweg. Geboren 1867 als Älteste von achtzehn Kindern in einer Arbeiterfamilie in der norditalienischen Provinz Sondrio, zog sie mit nur zehn Jahren nach Mailand, um als Näherin zu arbeiten und die Familie finanziell zu unterstützen. Bereits in jungen Jahren schloss sie sich den Mailänder Arbeiterinnenvereinen an und kam dort mit dem sozialistisch geprägten Feminismus um Anna Kuliscioff – einer herausragenden Pionierin der italienischen Frauenbewegung russisch-jüdischer Herkunft – in Kontakt, der in der lombardischen Metropole sein Zentrum hatte. Als Vertreterin der italienischen Arbeiterpartei wurde Genoni 1884 zu einem internationalen Kongress nach Paris entsandt; letztlich blieb sie mehrere Jahre lang in der französischen Hauptstadt, knüpfte politische Kontakte und machte eine ansehnliche Karriere als Modedesignerin. Längere Aufenthalte in der Schweiz, in Belgien und England folgten. Aufgrund ihrer Nähe zum zeitgenössischen Sozialismus und internationalen politischen Netzwerken wurde die Akteurin bereits seit 1890 von der italienischen Polizei als Anhängerin anarchistisch-sozialistischer Gruppierungen beobachtet.[11]

Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebte Genoni, anders als viele Akteurinnen der zeitgenössischen Frauenbewegung, nicht mit nationaler Euphorie und der Hoffnung auf eine demokratische Neuordnung Europas. Die einst starke pazifistische Basis und die enge Vernetzung der italienischen Frauenbewegung mit dem europäischen Pazifismus brachen unter dem Eindruck des Krieges in sich zusammen. Um ein sichtbares Zeichen zu setzen, gründete Genoni 1914 in Mailand die Organisation Pro Humanitate. Sie war zunächst für die Unterbringung und medizinische Versorgung italienischer Flüchtlinge aus Belgien bestimmt, verbreitete in der Folgezeit aber auch pazifistische Propaganda. Der internationale Durchbruch der Protagonistin ereignete sich im April 1915, als sie auf dem Frauenfriedenskongress in Den Haag, einen Monat vor dem italienischen Kriegseintritt, die Italienerinnen repräsentierte. Es war die Gründungsstunde des „Internationalen Frauenausschusses für dauernden Frieden“, der 1919 in WILPF umbenannt werden sollte. Genoni war nun endgültig Teil des inneren Kreises der internationalen Frauenbewegung, dem so bedeutende Protagonistinnen wie die Amerikanerin Jane Addams, die Niederländerin Aletta Jacobs, die Ungarin Rosika Schwimmer und die Deutschen Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg angehörten.[12]

Direkt im Anschluss an den Frauenfriedenskongress setzte die italienische Sektion erste Aktivitäten um. Genoni initiierte an der Mailänder Volkshochschule wöchentliche Seminare über die Arbeit der WILPF, die von der Polizei misstrauisch beobachtet wurden. Mehrfach wurden Genonis Wohnung durchsucht und die Mitgliederlisten des Mailänder Friedenskomitees konfisziert, da die Pazifistin und ihre Mitarbeiterinnen aufgrund ihres Einstehens gegen den Krieg als „philogermanisch“ galten. In den Jahren 1917 und 1918 startete die römische Gruppe eine Kampagne zugunsten des Rechtsstatus unehelicher Kinder, um auch diesen einen Anteil an den staatlichen Hilfsleistungen für Kriegswaisen zu ermöglichen. Die Aktion führte 1918 aufgrund der Unterstützung durch sozialistische Parlamentsabgeordnete zum Erfolg, jedoch war auch Anita Dobelli-Zampetti kontinuierlicher polizeilicher Beobachtung ausgesetzt. Nach Kriegsende, am 1. März 1919, fand der erste nationale Kongress der italienischen WILPF in Rom statt, der eine größere Öffentlichkeit über die Arbeit der internationalen Frauenvereinigung informierte. Nur drei Monate später organisierten Genoni und Dobelli-Zampetti gemeinsam mit sozialistischen Gruppierungen in Rom eine Demonstration gegen die Forderungen des Versailler Vertrags, die ihren öffentlichen Appell vom November 1922 und die Intention der Konferenz „Für einen neuen Frieden“ vom Dezember 1922 antizipierte.[13]

Genoni blieb auch in den kommenden Jahren der unumstrittene Mittelpunkt der italienischen WILPF, in deren Aktivitäten sich weiterhin eine charakteristische Verbindung pazifistischer und humanitärer Ziele widerspiegelte. Nach der faschistischen Machtübernahme wurde Genonis jahrzehntelange rege internationale Tätigkeit jedoch zunehmend eingeengt. Als Sozialistin und Feministin mit weitreichenden Kontakten avancierte sie zum Feindbild par excellence des Faschismus. Ihre Überwachung durch die politische Polizei bereitete ihrem politischen und humanitären Engagement allmählich ein Ende. Anstatt auszuwandern, wählte Genoni die innere Emigration. Noch im November 1940 meldete die Präfektur von Imperia über die Dreiundsiebzigjährige, die mittlerweile zurückgezogen in San Remo lebte: „Genoni Rosa, Sozialistin, … wird überwacht.“[14]

Es ist anzunehmen, dass die Aktivistin Ende 1922 die Entscheidung traf, die Leitung der italienischen WILPF ihrer vierundzwanzig Jahre jüngeren Mitarbeiterin Ida Vassalini anzuvertrauen, da sie selbst aufgrund ihrer sozialistischen Orientierung und internationalen Sichtbarkeit der faschistischen Beobachtung in besonderem Maße ausgesetzt war. Im Dezember 1922 begann Vassalini (unter dem Alias „Nali di Vassas“) eine Korrespondenz mit der Zentrale in Genf, die bis 1927 anhalten sollte. Die aus Verona stammende studierte Philosophin unterrichtete an einem Mailänder Gymnasium und schrieb seit langem für Frauenrechtszeitschriften und die pazifistische Presse. Im Jahr 1919 war sie der WILPF beigetreten und hatte begonnen, mit Rosa Genoni zusammenzuarbeiten. Zur selben Zeit erwachte ihr Interesse für die indische Literatur und Philosophie, Sanskrit und Hindi. Es ist bezeichnend, dass Vassalini 1923, wenige Monate nach Beginn der faschistischen Herrschaft, eine Schrift des bengalischen Philosophen Rabindranath Tagore ins Italienische übersetzte, in der der Literaturnobelpreisträger jede Form von Nationalismus verurteilte, der dem Wohl des Einzelnen und der Zusammenarbeit zwischen den Völkern zuwiderlaufe. Vassalinis Idee eines vereinten friedlichen Europas, die sie mit Genoni teilte, überdauerte auch die brutale Realität des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 1945 wurde die nunmehr vierundfünfzigjährige Philosophin Mitarbeiterin der Zeitschrift Lo Stato moderno, die die Schaffung eines vereinten Europas forderte und bereits zwölf Jahre vor den Römischen Verträgen und der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den Prozess der europäischen Integration voraussah.[15]

Angesichts der zunehmenden Repression durch die faschistische Diktatur und die herrschende Zensur finden sich in Vassalinis Briefen an das internationale Sekretariat der WILPF keine Hinweise auf politische Aktivitäten der italienischen Sektion. Vor dem Hintergrund der Ermordung des Einheitsführers der Sozialisten Giacomo Matteotti durch italienische Faschisten im Jahr 1924 jedoch, die in Italien eine Welle der Verfolgung antifaschistischer Aktivisten und Aktivistinnen auslöste, wandte sich Vassalini wiederholt an die Generalsekretärinnen der WILPF – zunächst die Ungarin Vilma Glücklich, später die Amerikanerin Madeleine Doty – mit der dringenden Bitte, ihr bei der Auswanderung und der Suche nach einer Stelle als Italienischdozentin im Ausland zu helfen. Es wurde vermutet, dass der Bruch zwischen Vassalini und der WILPF 1927 aufgrund der Weigerung des Generalsekretariats erfolgte, eine von Vassalini beantragte internationale Kampagne gegen die Todesstrafe zu initiieren.[16] Wahrscheinlicher ist jedoch, dass die Kontakte zwischen der italienischen Sektion und der Genfer Zentrale aufgrund der Bedingungen der faschistischen Diktatur abrissen: Mit dem „Gesetz zur Verteidigung des Staates“ vom 25. November 1926 wurden nicht nur alle oppositionellen Vereinigungen und Parteien aufgelöst, sondern zudem eine politische Geheimpolizei zur Bekämpfung antifaschistischer Gruppierungen geschaffen, die sich somit auch im Untergrund nicht mehr auf Dauer halten konnten.

Letztlich wurde den Vertreterinnen der italienischen Sektion keinerlei Unterstützung seitens der WILPF geboten. Trotz ihres internationalistischen, feministischen und humanitären Anspruchs dominierten nationale Identitäten und Eigeninteressen häufig die Aktivitäten der Frauenliga. Hinzu kamen zwei weitere entscheidende Momente: erstens die seit jeher existierenden politischen Differenzen innerhalb der Organisation, zweitens die Dominanz eines weitgehend westeuropäisch geprägten Führungskreises, der den politisch-ideologischen Kurs der WILPF in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg maßgeblich bestimmte. Seit ihrer Gründung hatte die politische Skala der WILPF von konservativen über liberale und linksliberale bis hin zu sozialistischen Positionen gereicht. Bei den Mitgliedern der Friedensliga handelte es sich insofern um eine politisch und sozial keineswegs homogene Gruppe. Das Nebeneinander von bürgerlichen Pazifistinnen, zu denen die Mehrheit der Mitglieder gehörte, und sozialistischen Aktivistinnen, darunter die Vorsitzenden der italienischen Sektion, barg beträchtliches Konfliktpotential, das ein geschlossenes Vorgehen der WILPF gerade in Krisenmomenten verhinderte. So blieben eine gemeinsame Stellungnahme zugunsten der Italienerinnen und eine öffentliche Anklage gegen faschistische Repression und Gewalt aus. Die Tatsache, dass Rosa Genoni Mitte 1922 die in Varese geplante internationale Sommerschule der WILPF aufgrund drohender faschistischer Ausschreitungen absagen musste, wurde von der Genfer Zentrale nicht offiziell kommentiert. Auch die dringenden Hinweise der italienischen Sozialistin auf den zutiefst politischen Charakter der Ermordung Matteottis und ihre Übersendung des ins Englische übersetzten öffentlichen Appells seiner Witwe nach Genf im Sommer 1924 rief keinerlei Reaktion hervor, weder in den Sitzungen des Generalsekretariats noch im Organ Pax International.[17]

Die generelle Indifferenz gegenüber den italienischen Kolleginnen verdeutlicht die Defizite internationaler Solidarität innerhalb der WILPF. Jedoch wurde nicht nur die italienische Sektion in den Nachkriegsjahren marginalisiert. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Vorstandskomitees der Frauenliga in den 1920er Jahren bestätigt eine stark auf die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich, die Schweiz und die Niederlande konzentrierte und damit weitgehend westeuropäisch geprägte Führungselite, die sowohl Vertreterinnen der Siegermächte als auch der besiegten Länder umfasste. Frauen des mittleren und gehobenen Bürgertums waren überproportional stark vertreten. Akteurinnen der neu entstandenen Nationalstaaten in Ostmitteleuropa dagegen wurden bis 1928 gar nicht in den internationalen Exekutivkomitees der WILPF beteiligt. Dies lag auch daran, dass der exklusive Kreis der Pionierinnen neue bzw. jüngere Mitglieder nicht ohne Weiteres in die Führungsebenen integrieren wollte. Für Lida Gustava Heymann etwa waren die neuen Ländersektionen nicht „vom ursprünglichen Geist der Frauenliga beseelt“.[18] Erst ab 1929 tauchen auch Repräsentantinnen der Tschechoslowakei in der Führungsriege auf, während sich beispielsweise keine Polinnen in den Vorstandslisten finden, obwohl sie nach dem Krieg in der Organisation mitarbeiteten. Internationalismus ging nicht selten Hand in Hand mit Nationalismus: Viele Akteurinnen der WILPF bewegten sich innerhalb internationaler feministischer und humanitärer Netzwerke, waren jedoch zugleich nationalistischen Positionen verhaftet. Dies galt etwa für einige ukrainische Mitglieder, die in den 1920er-Jahren als überzeugte Nationalistinnen in Erscheinung traten, Minderheitenrechte und nationale Selbstbestimmung forderten, sich jedoch gleichzeitig innerhalb der WILPF für eine weltweite Durchsetzung von Pazifismus und Frauenrechten engagierten.[19]

Die Erkenntnis, dass nationalistische Ambitionen mit der Verwirklichung eines dauerhaften globalen Friedens nicht vereinbar sind, wurde von der Übermacht nationaler Eigeninteressen in den Hintergrund gedrängt. Trotz ihrer pazifistischen und humanitären Ausrichtung gelang es der WILPF während der Zwischenkriegszeit nicht, politische Differenzen, kulturelle Ressentiments und neue oder wiederaufflackernde nationalistische Tendenzen innerhalb ihrer eigenen Reihen zu überbrücken. Vor allem die Passivität gegenüber der Situation der Italienerinnen in den 1920er Jahren weist auf die Grenzen internationaler Solidarität und Handlungsbereitschaft unter den beteiligten Akteurinnen hin.

Im Scheitern der großangelegten Pläne für eine Revision des Versailler Vertrags und des vorgesehenen internationalen öffentlichen Solidaritätsbeweises für einen „neuen Frieden“ auf der Konferenz vom Dezember 1922 manifestieren sich deutlich die Unzulänglichkeiten der jungen WILPF und die Bruchlinien ihres internationalen Charakters. Nicht nur fand die Veranstaltung am Ende hinter verschlossenen Türen statt, auch wollte der Vorstand die betreffenden Resolutionen bezüglich der Vertragsrevision, die in Genonis und Vassalinis Schrift abgedruckt sind, letztlich nicht in die Öffentlichkeit tragen. Die Rede Genonis verhallte ebenfalls ungehört. Zwar erhielten die Amerikanerin Jane Addams, die Französin Jeanne Mélin und die Engländerin Catherine Marshall den Auftrag, Regierungsvertretern aus den Niederlanden, Schweden, Norwegen, Dänemark, Großbritannien und Frankreich die formulierten Empfehlungen für eine allgemeine Abrüstung, die Wiederaufnahme globaler Handelsbeziehungen und eine Revitalisierung des „internationalen Geistes“ persönlich zu übergeben und zu diskutieren, jedoch gibt es in den Quellen keinerlei Hinweise darauf, dass diese Zusammenkünfte jemals stattfanden. Der große internationale Kongress der WILPF wiederum tagte, wie eingangs erwähnt, letztlich nicht im Dezember 1922 in Den Haag, sondern fand erst im Mai 1924 unter der Ägide der amerikanischen Sektion in Washington statt.[20] Zu diesem Zeitpunkt lebten die Italienerinnen Genoni und Vassalini bereits seit fast zwei Jahren unter den Bedingungen der faschistischen Diktatur. Eine Revision des Versailler Vertrags verlor aufgrund der politischen Abkommen des Jahres 1924 und des Vertrags von Locarno 1925 unter den WILPF-Anhängerinnen erheblich an Bedeutung. Indessen wurde die Gefahr des italienischen Faschismus für den europäischen und globalen Frieden von den meisten Akteurinnen der WILPF wie von der bürgerlichen Weltöffentlichkeit insgesamt zumindest bis in die 1930er-Jahre stark unterschätzt. Während die international bekannte Pazifistin und Feministin Rosa Genoni, die bereits 1922 vor dem „über Europa schwebenden Verderben“ gewarnt hatte, aus der Öffentlichkeit verschwand, bereitete sich das faschistische Italien auf einen imperialistischen Eroberungszug vor, der die Hoffnung auf einen „neuen Frieden“ endgültig zunichtemachte. Nur wenige Jahre später fand sich Italien an der Seite des nationalsozialistischen Deutschlands in einen neuen Weltkrieg verwickelt.



[1] Essay zu den Quellen: Dokumente zu der Internationalen Konferenz für einen neuen Frieden. Organisiert von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (07.-12. Dezember 1922, Den Haag) [Übersetzung von Ruth Nattermann], in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-76979>.

[2] Vgl. Leila Rupp, Worlds of Women. The Making of an International Women’s Movement, Princeton 1997; Maria Grazia Suriano, Percorrere la nonviolenza, L’Esperienza politica della Women’s International League for Peace and Freedom (1915–1939), Rom 2012; Annika Wilmers, Pazifismus in der internationalen Frauenbewegung 1914–1920. Handlungsspielräume, politische Konzeptionen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Essen 2008.

[3] Suriano, Percorrere la nonviolenza, S. 152–156.

[4] Vgl. Enzo Collotti, Fascismo, fascismi, Florenz 2004; Patrizia Dogliani, Il Fascismo degli Italiani, Turin 2014; Brunello Mantelli, Kurze Geschichte des italienischen Faschismus, Berlin 2008; Wolfgang Schieder, Der italienische Faschismus 1919–1945, München 2010.

[5] Im Folgenden stammen alle Quellenzitate, soweit nicht anders vermerkt, aus der hier abgedruckten Quelle.

[6] Vgl. Suriani, Percorrere la nonviolenza, S. 150.

[7] Vgl. Fabian Klose, In the cause of humanity. Eine Geschichte der humanitären Intervention im langen 19. Jahrhundert, Göttingen 2019, S. 70–82; Davide Rodogno, Humanitarian Interventions in the Ottoman Empire 1815–1914, Princeton/Oxford 2012, S. 4–8; Silvia Salvatici, A history of humanitarianism 1755–1989. In the name of others, Manchester 2019, S. 15–19.

[8] Vgl. Mantelli, Geschichte, S. 37–41; Schieder, Der italienische Faschismus, S. 21 f.

[9] Vgl. Maria Grazia Suriano, Guerra, Pace e Suffragio. La sezione italiana della Women’s International League for Peace and Freedom (1915–1928), in: Cahiers de la Méditerranée 91 (2015), S. 1–13; Stefania Bartoloni, Donne di fronte alla guerra. Pace, diritti e democrazia, Rom/Bari 2017, S. 227 f. Zu Genonis kultureller Relevanz vgl. Manuela Soldi, Rosa Genoni. Moda e Politica: Una prospettiva femminista fra 800 e 900, Venedig 2019.

[10] Zur Spannung zwischen Internationalismus und nationalen Identitäten in der zeitgenössischen internationalen Frauenbewegung vgl. Wilmers, Pazifismus, S. 181–187; Rupp, Worlds of Women, S. 117, S. 120 f.

[11] Vgl. Fanny Podreider, Guida alla raccolta di stoffe di Rosa Genoni Podreider, Archivio Storico della Società Umanitaria, b. 33, f.1, lettera G.

[12] Vgl. Bartoloni, Donne, S. 215–218; Bruna Bianchi, „L’ultimo rifugio dello spirito di umanità”. La Grande Guerra e la nascita di un nuovo pacifismo, in: Annali della Fondazione Ugo La Malfa XXVIII (2013), S. 81–100, hier S. 98 f.

[13] Vgl. Suriani, Guerra, Pace e Suffragio, S. 4–6.

[14] Imperia, 5.11.1940, Prefettura di Imperia. Das betreffende Dokument befindet sich im Archivio dello Stato (ACS) Roma, MI, Casellario Politico, b. 2332, fasc. Genoni Rosa.

[15] Zu Vassalini vgl. Suriano, Guerra, Pace e Suffragio; Elisabetta Zampini, Solo l’ideale è vero: la voce ritrovata di Ida Vassalini, in: Bollettino della Società Letteraria di Verona (2012), S. 183–202.

[16] Vgl. Suriano, Guerra, Pace e Suffragio, S. 6.

[17] Vgl. ebd., S. 8; Bianchi, L’ultimo rifugio, S. 100.

[18] Vgl. Wilmers, Pazifismus, S. 296.

[19] Vgl. Martha Kichorowska Kebalo, Personal Narratives of Women’s Leadership and Community Activism in Cherkasy Oblast (2011), S. 127–136. CUNY Academic Works. https://academicworks.cuny.edu/gc_etds/1950 (20.10.2021).

[20] Suriano, Percorrere la nonviolenza, S. 152–156.



Literaturhinweise:

  • Stefania Bartoloni, Donne di fronte alla guerra. Pace, diritti e democrazia, Rom/Bari 2017.
  • Bruna Bianchi, “L’ultimo rifugio dello spirito di umanità”. La Grande Guerra e la nascita di un nuovo pacifismo, in: Annali della Fondazione Ugo La Malfa XXVIII (2013), S. 81–100.
  • Leila Rupp, Worlds of Women. The Making of an International Women’s Movement, Princeton 1997.
  • Maria Grazia Suriano, Percorrere la nonviolenza, L’Esperienza politica della Women’s International League for Peace and Freedom (1915–1939), Rom 2012.
  • Annika Wilmers, Pazifismus in der internationalen Frauenbewegung 1914–1920. Handlungsspielräume, politische Konzeptionen und gesellschaftliche Auseinandersetzungen, Essen 2008.

Dokumente zu der Internationalen Konferenz für einen neuen Frieden. Organisiert von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (07.-12. Dezember 1922, Den Haag) [Übersetzung von Ruth Nattermann][1]

Rede von Rosa Genoni

Italiener!

Als unsere Soldaten in der Härte der Schützengräben litten und fielen, und als wir, italienische Frauen, auf tragische Weise in unseren heiligsten Gefühlen als Mütter, Ehefrauen, Schwestern und Töchter getroffen wurden, war es für die Nation und die Kämpfer ein großer Trost zu hoffen, dass eine solche Summe von Opfern, Mut und Schmerzen für das Vaterland und die Menschheit nicht nutzlos sein würde: Und wir alle hofften, dass nach dem furchtbaren Krieg jedes Volk nach dem heiligen Prinzip der Nationalität über sich selbst bestimmen könne und der Welt endlich die Möglichkeit gegeben würde, universelle Brüderlichkeit zu erlangen.

Aber die Friedensverträge – anstatt von einer aufgeklärten Vision der unabdingbaren Notwendigkeit inspiriert und diktiert, eine Atempause und Linderung für solch hartes Leiden von Geist und Körper zu schaffen – waren beinahe ausschließlich das Produkt schändlicher Gefühle des Grolls, des Hasses und der Rache, und hatten leider verhängnisvolle Folgen sowohl für die Besiegten als auch für die Sieger.

Und doch - während die verschiedenen, von den Regierungen geförderten Konferenzen für einen friedlichen Wiederaufbau der Welt gescheitert sind - nimmt in allen Ländern bei einer immer größeren Anzahl denkender Persönlichkeiten aller religiösen Glaubensrichtungen und politischen Positionen die Überzeugung zu, dass die Revision der Friedensverträge unumgänglich, notwendig und dringend ist.

Italiener!

Um Hunger, Bürgerkrieg und das über Europa schwebende bedrohliche Verderben abzuwenden, schlägt die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit vor, die öffentliche Meinung auf einer internationalen Konferenz am 7., 8. und 9. Dezember in Den Haag zu Wort kommen zu lassen. An ihr werden namhafte Referenten und Referentinnen aus Amerika und Europa mitwirken und - als Ausdruck eines gemeinsamen Willens - neue und gerechtere Verträge von den Regierungen gefordert werden.

Diese Bewegung, die aufgrund ihres Wesens über jeder politischen Tendenz steht und Personen unterschiedlichster Meinungen in ihre Reihen aufnimmt, ist der Traditionen der Freiheit und des großen Herzens unseres Volkes würdig, das von Rom den edelsten Ruhm des „parcere victis“ erlernt hat; und sicherlich werden beim Organisationskomitee (5 Valerinsplein - Amsterdam) auch die Meldungen glühender italienischer Anhänger und Anhängerinnen ankommen, so wie sie bereits in großer Zahl aus der ganzen zivilisierten Welt eintreffen.

Die Liga wendet sich an die Mütter, Schwestern und Witwen der Gefallenen, die Verstümmelten, die Kriegsinvaliden, an alle ehemaligen Kämpfer, die Gewerkschaften, die kulturellen Vereinigungen, die politischen Parteien und jeden Bürger, dem das Wohl aller Vaterländer am Herzen liegt, um eine wirksame moralische Unterstützung der Sympathie und Zustimmung zu erhalten. Von den Experten für Literatur, Wissenschaft und Kunst ebenso wie von den Männern der Politik und des Journalismus wird eine aktive und effiziente Zusammenarbeit erbeten.

Mailand, November 1922

Für die italienische Sektion der Liga

Dr. Ida Vassalini - Rosa Genoni

Den Haag 7. Dezember 1922 – Konferenzergebnisse

Wirtschaftliche Folgen der Friedensverträge

Die Konferenz vertritt die Auffassung, dass die übertriebenen Forderungen der alliierten und [mit ihnen] assoziierten Mächte hinsichtlich der zu zahlenden Reparationen von Deutschland, Österreich und Ungarn nicht nur im Widerspruch zu den Bedingungen des Waffenstillstands stehen, sondern auch katastrophale wirtschaftliche Auswirkungen sowohl für die Sieger als auch für die Besiegten haben.

Die Blockade der österreichischen Werte durch die Alliierten im Hinblick auf die Reparationen (bis Sommer 1922), und gleichzeitig das Verbot an Österreich, sich Deutschland anzuschließen, haben die ohnehin schon kritische Situation noch verschlimmert.

Da man Deutschland gigantische Reparationen auferlegen wollte, wurde nie die genaue Summe festgelegt. Als unvermeidliche Folge verlieren die Menschen die Liebe zur Arbeit, da sich keine Arbeit für sie auszahlt und der Kredit der deutschen Regierung nicht wiederhergestellt werden kann. Denn es gibt keine Investoren, die sicher sein können, dass ihre Interessen und selbst ihr Kapital nicht von den Siegern beschlagnahmt werden.

Auf diese Weise hat die bisherige Finanz- und Wirtschaftspolitik der Sieger dazu geführt, dass der Wert der Währung in Mitteleuropa fällt und der Kredit zerstört wird, lähmende Zölle und Vorschriften eingeführt und der Welthandel weitgehend ruiniert werden, so dass das Feld für Spekulationen offenbleibt.

Jeglicher Arbeitsanreiz wurde dadurch bei den besiegten Völkern zunichte gemacht.

Verursacht hat diese Politik außerdem die abenteuerlichen Preise, die unzureichende Ernährung, die Erschöpfung, die Übererregung, den Mangel an Sicherheit der besiegten Völker einerseits im Sinne von Arbeitslosigkeit, Schließung von Werkstätten, Rückgang des Handelsaustausches, in den siegreichen Völkern andererseits die aufeinander folgenden sozialen Unruhen ... während die Besatzungsarmeen und die ebenso zahlreichen wie nutzlosen Kommissionen den gesamten kleinen Teil der Entschädigung, der gezahlt wurde, absorbieren.

Empfehlung

Die Konferenz fordert die Einberufung eines Weltkongresses, der sich mit der gesamten Frage der Reparationen und Entschädigungen befassen soll, wobei auch die Kriegsschulden zwischen den Verbündeten zu prüfen sind und eine Reduzierung der internationalen Schulden erreicht werden soll, um den Welthandel zu normalisieren.

Freihandel

Eine der Folgen der Verträge ist der katastrophale Rückgang der Handelsbeziehungen.

Dies ist eine Ausweitung des Handelskrieges, während gleichzeitig versucht wird, die unheilvollen Auswirkungen der Entschädigung zu vermeiden.

Die [[Konferenz vertritt die Position, dass Zollrivalität und die mit dem Protektionismus verbundene politische Korruption wesentliche Kriegsursachen bilden.

Die Konferenz betont, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker wirtschaftlich verheerend sein kann, wenn es nicht mit Freihandel verbunden wird ... Die Situation der Nachfolgestaaten des österreichischen Kaiserreichs hat dies bewiesen.

Empfehlung:

Die Konferenz empfiehlt, dass ein Weltkongress der Mächte, den sie [oben] befürwortet, sich um Konventionen bemühen soll, die es der ganzen Welt ermöglichen, auf Schutzzölle zu verzichten.

Gleichzeitig wäre es notwendig, allen Völkern die benötigten Rohstoffe zu sichern und internationale Maßnahmen zur Rationierung im Falle einer Hungersnot zu ergreifen.

Außerdem wird empfohlen, dass lästige Beschränkungen der Freizügigkeit für legal Reisende allgemein aufgehoben werden sollten.

Militärische Konsequenzen der Friedensverträge

Entwaffnung:

Die Konferenz weist darauf hin, dass der Pakt zwar Abrüstungsmaßnahmen vorsieht, der Völkerbund jedoch in dieser Richtung nur geringe Fortschritte gemacht hat, und während einerseits Deutschland, Bulgarien und Ungarn weitgehend und Österreich vollständig abgerüstet wurden, andererseits der Türkei gestattet wurde, ihre militärische Macht wiederzuerlangen.

Indessen hat die Aufrüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luft Werte erreicht, die weit über denen von 1914 liegen, und viele der Staaten, die im letzten Krieg neutral blieben, sind ihrem Beispiel gefolgt.

Empfehlung:

Die Konferenz lehnt den Krieg als Mittel zur Beilegung von Differenzen zwischen den Völkern ab und stellt fest, dass für die Entwicklung moderner wissenschaftlicher Entdeckungen keine halben Maßnahmen hinsichtlich Abrüstung existieren.

[Sie] beantragt daher eine allgemeine und vollständige Abrüstung zu Lande, zu Wasser und in der Luft.

Jeder Staat würde nur die für seine Innenpolitik notwendigen Streitkräfte behalten.

Diese Streitkräfte und diese Rüstungsgüter sowie der Handel mit ihnen müssen festen Vorschriften sowie der internationalen Kontrolle unterstellt werden.

Die notwendige Konsequenz dieser Maßnahme ist die Entlassung aller derzeit im Einsatz befindlichen Land-, See- und Luftstreitkräfte.

Moralische Konsequenzen der Friedensverträge

Der internationale Geist

Die Konferenz ist der Meinung, dass die moralischen Auswirkungen der Verträge für die Sieger mindestens ebenso katastrophal waren wie für die Besiegten. Sie wirft ihnen vor, wesentlich dazu beigetragen zu haben, dass der Völkerbund nicht den ihm gebührenden Platz einnehmen und die wichtigsten internationalen Fragen behandeln konnte.

Neben anderen Irrtümern und Verträgen haben sie die Unterscheidung zwischen Siegern und Besiegten - zwischen Alliierten und Nicht-Alliierten – beibehalten:

2. [Die Friedensverträge] erfordern die Anwesenheit von Besatzungsarmeen auf dem Territorium der Besiegten, die durch diese anhaltende moralische Erniedrigung die peinigende, fortdauernde Wirkung einer offenen Wunde erzeugen ... eine Quelle des Hasses - die den Geist der Rache wiedererweckt und wiederanfacht.

3. Sie machen häufige Eingriffe in die Souveränitätsrechte der besiegten Mächte notwendig, und dies nicht im internationalen Interesse, sondern zur Wahrung der selbst ernannten Interessen der Verbündeten oder zur Verhängung von Strafen gemäß der strafrechtlichen Auffassung der Politik.

4. Sie schufen auf Seiten der Alliierten eine allumfassende Propaganda der Feindseligkeit und der Missverständnisse, die darauf abzielte, die Schuld Deutschlands und die Frage der Entschädigungen zu beweisen.

5. Sie hielten die Legende von der alleinigen Verantwortung Deutschlands für die Entfesselung des Krieges aufrecht.

6. Sie hat den Obersten Rat, den Rat der Botschafter, die Reparationskommissionen und andere [Kommissionen] beibehalten, deren Existenz im Endeffekt das Ansehen des Völkerbundes schmälert.

7. Sie hat dem Völkerbund die verhasste Aufgabe übertragen, die Strafklauseln der Verträge auszuführen, wie z.B. die Verwaltung des Saargebiets und die Teilung Schlesiens. Auf diese Weise wurde der Völkerbund mit einem siegreichen Frieden in Verbindung gebracht […], der ihn bei den Besiegten unbeliebt und höchst verdächtig machte.


[1] Quellen zu dem Essay: Ruth Nattermann, Internationaler Feminismus und Humanitarismus nach dem Ersten Weltkrieg. Akteurinnen der Women’s International League for Peace and Freedom im Spannungsfeld von Internationalismus, Nationalismus und faschistischer Herrschaft in Europa, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-112845>; Internationale Konferenz für einen neuen Frieden, organisiert von der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (1922), Rede von Rosa Genoni / Konferenzergebnisse. Archivio Podreider, Mailand. Die Übersetzung der Quelle vom Italienischen ins Deutsche stammt von Ruth Nattermann.


Für das Themenportal verfasst von

Ruth Nattermann

( 2022 )
Zitation
Ruth Nattermann, Internationaler Feminismus und Humanitarismus nach dem Ersten Weltkrieg. Akteurinnen der Women’s International League for Peace and Freedom im Spannungsfeld von Internationalismus, Nationalismus und faschistischer Herrschaft in Europa, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-112845>.
Navigation