Heimat. Ambivalenzen eines umkämpften Begriffs

Heimat ist in den vergangenen Jahren wieder zu einem umkämpften Begriff geworden. In Deutschland, in Europa und bis in die tiefe amerikanische Provinz hinein löst die Verständigung darüber, was Heimat bedeutet und welchen Stellenwert sie in individuellen und gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozessen besitzt, höchst kontroverse, von abgrundtiefer Ablehnung bis zu verheißungsvoller Anbetung geprägte Debatten aus. Inmitten dieser Gemengelage beanspruchen Staaten seit einigen Jahren wieder eine Deutungshoheit, die sie nur schwer einlösen können.

Heimat. Ambivalenzen eines umkämpften Begriffs[1]

Von Claudia Weber

Heimat ist in den vergangenen Jahren wieder zu einem umkämpften Begriff geworden. In Deutschland, in Europa und bis in die tiefe amerikanische Provinz hinein löst die Verständigung darüber, was Heimat bedeutet und welchen Stellenwert sie in individuellen und gesellschaftlichen Selbstverständigungsprozessen besitzt, höchst kontroverse, von abgrundtiefer Ablehnung bis zu verheißungsvoller Anbetung geprägte Debatten aus. Inmitten dieser Gemengelage beanspruchen Staaten seit einigen Jahren wieder eine Deutungshoheit, die sie nur schwer einlösen können. Auf der Homepage des Berliner Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat sucht man vergeblich nach einer Definition dessen, was zumindest diese Institution unter Heimat verstehen will.

Im Gegensatz dazu warten Buchhandlungen mit ganzen Büchertischen zum Thema auf, bei denen beispielsweise eine Broschüre zu entdecken ist, in der sich prominente PolitikerInnen und ParlamentarierInnen zu ihrem Heimatverständnis haben befragen lassen.[2] Als Quelle an diesen Text angefügt sollen drei Beispiele einen Eindruck über die teils lapidaren, teils in offenkundiger und bemühter PolitikerInnensprache abgegebenen Wortmeldungen geben. Eines jedoch ist den meisten Äußerungen gemein: Unabhängig vom politischen Spektrum und der Parteizugehörigkeit wird der Heimatbegriff stets mit einer großen Emotionalität verbunden – „Emotion pur“ eben, wie der derzeitige Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Andreas Scheuer, glatt verlautbart.[3] In den Beiträgen des Buches wird das Emotionale der Heimat gekoppelt an Landschaften, Kindheitserinnerungen, Gerüche und Gerichte sowie an Menschen, die sich durch ein intimes Vertrauensverhältnis auszeichnen: Ihnen gegenüber entfällt das soziale Rollenspiel, Heimat wird zum „Schirm meines Ichs“.[4]

Neben den PolitikerInnenstatements liegt auf den Büchertischen oftmals
der Sammelband Eure Heimat ist unser Albtraum, der sich zwar weitaus analytischer und dennoch impressionistisch gegen die Renaissance eines völkisch-nationalistischen und romantisierenden Heimatbegriffs wendet, ohne Emotionalität aber ebenfalls nicht auskommt. Auch in der Ablehnung ist der Heimatbegriff an zahlreiche Gefühlslagen gekoppelt, die bei den AutorInnen des Bandes aus langfristigen und prägenden Ausgrenzungserfahrungen resultierten. Ihre Kritik ist zweifelsohne berechtigt und doch nicht unproblematisch, wenn etwa Heimat allzu eilfertig auf die „Sehnsucht nach einer homogenen, christlich weißen Gesellschaft“ reduziert wird, „in der Männer das Sagen haben, Frauen sich vor allem ums Kinderkriegen kümmern und andere Lebensrealitäten schlicht nicht vorkommen“.[5] So einfach ist der Heimat nicht beizukommen, und wenn auch dieser Text keine allumfassende oder gar wissenschaftlich durchdeklinierte Begriffsdefinition anbieten kann, wird doch anstelle der Kampfdebatten ein zeithistorisch ausgeleuchteter Blick auf den Begriff unternommen. Dabei soll die derzeitige Konjunktur mit den tiefen Zäsuren der vergangenen Jahrzehnte begründet werden. Darüber hinaus wird auf der Basis einiger Spezifika für einen kritischen Begriff plädiert, der die gesellschaftliche Wirkungsmacht von Heimat konstruktiv wenden kann.

Begriffsannäherungen

Zunächst einmal lässt sich feststellen, dass unter Heimat eine soziale Konstruktion zu verstehen ist, deren Spezifik auf die hochemotionale Verstrickung von Raum- und Zeitebenen abhebt. Heimat ist das aus Erinnerungen konstruierte Sammelbecken von Sehnsüchten nach vergangener Vertrautheit und zukünftiger Geborgenheit. In diesem Sinne spricht Jean-Paul Sartre davon, dass die „Jugend Heimweh nach der Zukunft“ habe. Die sehnsuchtsvolle Melancholie, die wir mit dem Wort verbinden, ist andererseits oftmals an Orte oder Sinneseindrücke unserer Kindheit gekoppelt. Sie wird ausgelöst vom legendären Duft der „Madeleines“, der Imaginationen wachruft und gleichzeitig die Erfahrung einer Diskrepanz offenbart: die Diskrepanz zwischen einer verlassenen und aus der Erinnerung entworfenen Heimat und dem gegenwärtigen Sein. Bei diesem Vergleich verliert in der Regel das Letztere. Heimat ist mehr Magie als Alltag, mehr Hoffnung und Utopie als die erlebte Wirklichkeit. Und sie bedeutet Verlust.

Die Verbindung aus empfundenem Verlust und zukünftiger Geborgenheitserwartung kann als ein weiteres Spezifikum des Heimatbegriffs gelten, unabhängig von den Inhalten, mit denen er letztendlich gefüllt wird. Und wenn Heimat bis zu diesem Punkt als etwas sehr Persönliches erscheint, dann ist es doch dieser Konnex, der die politische und gesellschaftliche Sprengkraft begründet. Heimat ist eben keine bloße Utopie für eine neue Gemeinschaft und kein „Wechsel auf die Zukunft“. Sie ist die konfuse Hoffnung auf die Wiederkehr der verlorenen „guten alten Zeit“ in einem unsicheren oder nicht als Heimat empfundenen Jetzt. Heimat wird zu einem politischen und gesellschaftlichen Kampfbegriff, wenn die Gegenwart kein Auffangbecken für diesen sehnsuchtsvollen Verlust und keine attraktive Alternative oder „Ersatz“ anbietet. Die Konjunktur des Heimatbegriffs wurde, so scheint es, durch den Verlust von mindestens zwei „Heimaten“ in den vergangenen Jahrzehnten (mit)ausgelöst. Es handelt sich dabei um die hier zugegebenermaßen extrapolierte Polarität zwischen einer verlorenen gegangenen „entgrenzten“, transnationalen und globalen Heimat und einer eher „begrenzten“ und kulturell-national verstandenen Heimat, wobei beide, dies gilt es zu betonen, Vertrautheit und Geborgenheit suggerierten.

Das Ende des „euphorischen Jahrzehnts“

Am 11. September 2001, demTag der islamistischen Terroranschläge auf das World Trade Center in New York, endete das „euphorische Jahrzehnt“. Das „euphorische Jahrzehnt“ – der Begriff stammt von der Schriftstellerin Juli Zeh – umfasste die Zeit vom Ende des Kalten Krieges bis zu jenem 11. September 2001. Zeithistorisch betrachtet handelt es sich um die sehr kurze Spanne von elf Jahren; elf Jahre, die heute gelegentlich mit einer gewissen Wehmut erinnert werden. Es war die Zeit, in der sich die Friedensdividende des Kalten Krieges einzulösen schien und die globalisierte Welt zum großen Zukunftsversprechen wurde, geradeso wie die Vorstellung eines grenzenlosen demokratischen Europa, das sein Erfolgsmodell bald auf andere Erdteile übertragen würde. Der Siegeszug des westlich-liberalen Demokratiemodells leitete – so das bis zum Überdruss zitierte Schlagwort von Francis Fukuyama – das „Ende der Geschichte“ ein.

Spätestens nach den Zerfallskriegen im ehemaligen Jugoslawien schien der ethnisch-religiöse Nationalismus endgültig auf dem Abstellgleis der Geschichte angekommen zu sein. Oder er galt lediglich noch als Residuum an den Peripherien der Welt, denen eine zivilisatorische Rückständigkeit nicht ohne Eigennutz zugebilligt werden konnte. Nationalismus und ein politisch rechts verorteter Heimatbegriff waren die überwindbaren Spätfolgen der staatssozialistischen Diktaturerfahrung, die mit der fortschreitenden demokratischen Transformation verschwinden würden. Dass die Bevölkerungen Osteuropas und Ostdeutschlands Demokratie eben noch lernen müssten, damit „alles gut wird“, ist ein dieser Logik folgender und noch heute kursierender paternalistischer Erklärungsansatz für Bewegungen wie „Pegida“ und die großen Wahlerfolge der Alternative für Deutschland (AfD) in Ostdeutschland.

Aber das „euphorische Jahrzehnt“ hatte ja eine neue Heimat geschaffen. Es revolutionierte sogar das Heimatverständnis, indem es weggeführt wurde vom engen, verstaubten und politisch rechtslastigen Image. Die Heimat der Heimatfilme ging auf in der postmodernen Globalität – der neuen Heimat liberaler und fortschrittssicherer WeltbürgerInnen. Grenzenlosigkeit war das Lebensgefühl einer ganzen Generation, die der Popkritiker Joachim Hentschel unlängst zwischen Euphorie und Drama verortet hat.[6] Drama, weil die 1990er-Jahre eben nicht nur die Öffnung der Welt bedeuteten, sondern gleichzeitig die Verengung globaler Zukunftsszenarien auf eine neoliberale westliche Weltdemokratie. Der verheerende Irrtum bestand in dem Glauben, dass nur noch diese eine Welt möglich sei. Der 11. September markierte die Kehrtwende. Seitdem sind wir fortwährend mit der paradoxen Situation eines mindestens zweifachen Heimatverlustes konfrontiert. Zum einen sind die Gewissheiten des „euphorischen Jahrzehnts“ kollabiert. Von einer Geborgenheit im Globalen kann angesichts der gegenwärtigen Kriege und Krisen, der sozialen Spannungen und bedrohlichen Kollateralschäden der Globalisierung schon gar nicht mehr gesprochen werden. In den Zeiten von Flugscham, Corona und Terror vermittelt die globale Heimat kein gutes Gefühl der Geborgenheit und Sicherheit mehr; und diese Gefühle verbinden wir mit dem Heimatbegriff. Vom „euphorischen Jahrzehnt“ als Heimat zu sprechen, ist nur noch im Sinne einer Sehnsucht an die verlorene Zeit möglich.

Dass der Verlust der „entgrenzten“ Heimat die Renaissance des einstmals unmodernen begrenzten Heimatbegriffs befördert hat, ist offensichtlich. Doch wenn hier davon gesprochen wurde, dass mindestens zwei Heimaten verloren gegangen sind, dann ist damit die Einsicht gemeint, dass auch die „vor-globale“ Heimat nicht wiederherstellbar ist. Eine Rückkehr ist nicht möglich. Und selbstverständlich hat es auch diese „begrenzten Heimaten“ nie so heimelig gegeben, wie sie als nachträgliche Konstruktionen Gestalt annehmen. Die Sehnsüchte zeigen, dass Heimat eben ein soziales Konstrukt ist, das glättet und verzaubert, während Widersprüche und Ambivalenzen in den Hintergrund rücken oder dorthin verdrängt werden. So ist auch die Ambivalenz und innere Widersprüchlichkeit des „euphorischen Jahrzehnts“ verdrängt worden, genauso lange bis sich dessen Folgen nach dem 11. September nicht mehr verdrängen ließen. Das grenzenlose Europa ist ein Glücksfall für Ökonomen, urbane Eliten und für Erasmus-Studierende. Weniger glücklich waren beispielsweise viele brandenburgische LandwirtInnen, die sich eine Existenz aufgebaut hatten und bald schon keine Versicherungen mehr fanden, weil ihnen Viehherden und Maschinen von den Höfen gestohlen wurden. Dass sie Grenzenlosigkeit kritisch betrachten, kann nicht mit den unbearbeiteten Spätfolgen einer Diktaturerfahrung oder fehlender Demokratielernfähigkeit begründet werden. Die Ambivalenzen des „euphorischen Jahrzehnts“ wurden sichtbar im politischen Terrorismus, in den immensen Migrationsbewegungen aus dem globalen Süden und in der Konjunktur des Rechtspopulismus; allesamt Bewegungen, die das europäische Projekt von den sogenannten Rändern her infrage stellen.

Heimat zwischen Links und Rechts

Es gehört zu den Paradoxien der Gegenwart, dass die Suche nach einer neuen Heimat zu Sehnsuchtsorten geführt hat, die politische Lager übergreifend, von Linken wie Rechten, aufgesucht werden. Manchmal erscheinen dann sogar die Unterschiede zwischen AnhängerInnen der Grünen und jenen der AfD kleiner als vermutet. In beiden Lagern mäandert ein romantisierendes Heimweh nach Begrenzung, Einhegung und Geborgensein vor den Folgen der globalen Moderne – dem Klimawandel, der Migration und neuen Krankheiten – wobei diese Erscheinungen vermutlich eng zusammenhängen. Zu beobachten ist die Stadtflucht derzeit im berlinnahen Brandenburg, wobei sich dieses berlinnahe Brandenburg immer weiter ausdehnt und von der Hauptstadt entfernt. Dort werden alte Bauernhöfe instandgesetzt, nicht nur als Datsche, sondern verbunden mit alternativen Lebens- und Bewirtschaftungskonzepten als Zufluchtsort vor den mittlerweile bedrohlichen Zumutungen der globalen Heimatlosigkeit. Grüne AussteigerInnen und ReichsbürgerInnen fliehen aus den Städten, in denen Magazine wie das notorische Landlust-Heft zur Honigpumpe der Phantasie werden.

Das alles sind keine neuen Phänomene. Schon die Weimarer Republik kannte neben den „roaring twenties“ Stadtfluchtbewegungen und eine romantisch-verklärte Hinwendung zum scheinbar einfachen Landleben. In den 1920er-Jahren explodierte die großstadtkritische Debatte und der Stadt-Land-Gegensatz entwickelte sich zu einer bis in die Gegenwart wirkenden Raumkonfiguration, an der sich zahlreiche Konflikte in gesellschaftlichen Umbruchzeiten ablesen lassen. Es ist bezeichnend, dass aus der damals populären Wandervogelbewegung sowohl linke als auch rechte RevolutionärInnen, KommunistInnen und NationalsozialistInnen hervorgingen.

Nun sind ZeithistorikerInnen die Fallstricke historischer Analogien durchaus bewusst, und Geschichte wiederholt sich nicht, auch wenn gesellschaftliche Phänomene einander gleichen. Ich habe hier auf die Weimarer Republik verwiesen, um zu zeigen, dass der Heimatbegriff vor allem in Krisensituationen über politische Gräben hinweg wieder auflebt. Dies sind Zeiten einer, so die US-amerikanische Politologin Karen Stenner, „normativen Bedrohung“. Stenner versteht darunter die Wahrnehmung, dass die gesamte moralische Ordnung der Gesellschaft in Gefahr sei, das „Wir“, zu dem eine Person gehört, zerfällt oder die Richtung, in die sich die Geschichte zu entwickeln scheine, bedrohlich wirkt.[7] Sie geht außerdem davon aus, dass erst diese „normative Bedrohung“ autoritäre Dynamiken in Gang setzen kann. Man kann darüber diskutieren, ob wir uns nicht zuletzt aufgrund der gegenwärtigen globalen Corona-Pandemie in einer solchen Situation befinden.

Die Anerkennung der Ambivalenz

Ein Jahr nach den Terroranschlägen vom 11. September etablierte die Bush-Administration das United States Department of Homeland Security (für Grenz- und Einwanderungsfragen) – das erste „Heimatministerium“ in der globalisierten westlichen Welt. Die Instandsetzung erfolgte in dem Moment, in dem das „euphorische Jahrzehnt“ den Rückzug antrat und mit ihm die Ambition, den Heimatbegriff in einer globalisierten Weltgemeinschaft zu entgrenzen. Siebzehn Jahre später hat auch Deutschland ein Bundesministerium, das den Begriff im Namen trägt. Seine Einrichtung erfolgte im Kontext der sogenannten Flüchtlingskrise, des Aufstiegs der AfD und einer wachsenden EU-Integrationsskepsis. Ist Heimat somit zu einem Instrument staatlichen Handelns geworden?

Aus zeithistorischer Perspektive halte ich die Politisierung oder gar Verstaatlichung von Heimat für problematisch, vor allem, wenn es sich um eine nationalkulturell und romantisch verklärte Heimat handelt. Als Zukunftsentwurf taugt sie nicht, denn sie widerspricht den vielfältigen Lebenswirklichkeiten in Deutschland und in Europa. Es ist eine große Frage, wie und ob aus den unüberschaubaren, hochindividualisierten Singularitäten (Andreas Reckwitz) von Heimat ein gesellschaftlich-integrativer Heimatbegriff entstehen kann oder überhaupt entstehen sollte.[8] Andererseits ist der Wunsch nach einer Rückkehr in ein imaginiertes „Früher“ oder „Davor“ problematisch, weil dies hieße, die Zukunft auf der Basis von Verlust- und Vergangenheitsvorstellungen aufzubauen. Dies wird ebenso wenig funktionieren, auch weil zu viele Heimaten verloren gegangen sind: die Heimat des „euphorischen Jahrzehnts“ ebenso wie die Heimat der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) oder die Heimat der alten Bundesrepublik. Mittlerweile wissen wir auch, dass die Bundesrepublik der vergangenen drei Jahrzehnte als verlorene Heimat zwar Melancholie und den verständlichen Wunsch nach einer Rückkehr hervorruft, die aber nun einmal nicht möglich sein wird. Es war eine Täuschung zu glauben, dass das große Epochenjahr 1989 nur Osteuropa beträfe.

Die Veränderungen in Europa werden immens sein, und doch gibt es keine Rückkehr. Die Konjunktur des Heimatbegriffs steht in einer direkten Wechselbeziehung zu den Unsicherheiten und Ungewissheiten der Zukunft. Dieser Ungewissheit mit Nostalgie oder einer Heimatsehnsucht, so verständlich sie auch sein mag, zu begegnen, scheint ein wenig tragbares Zukunftskonzept zu sein. Meine Skepsis bedeutet keine Ablehnung des Heimatbegriffs per se. Im Gegenteil halte ich das Bedürfnis nach räumlicher Verwurzelung und zeitlicher Geborgenheit, ebenso wie das nach Erinnerung für eine conditio humana (lat. Grundkonstante des Menschseins). Über die gesellschaftlichen Inhalte des Begriffs jedoch sollen wir streiten. Dabei erscheint es mir wichtig, Ambivalenzen und Widersprüche nicht auszublenden, sondern zu akzeptieren und bei der Verständigung über einen integrierenden Heimatbegriff – so er denn gewollt wäre – mitzudenken. Vielleicht liegt die große Chance dann auch darin, Heimat als kritisch-reflexiven Gesellschaftsbegriff in die Debatte einzuführen; durchaus als Sehnsuchtsort, dem es gelingt, individuelle und kollektive Widersprüche gestaltend auszuhalten.



[1] Essay zur Quelle: Antworten von Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), Franziska Giffey (SPD) und Andreas Scheuer (CSU) auf die Frage, was Heimat für sie ist, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-75627>.

[2] Rönneper, Joachim (Hg.), Heimat ist. Abgeordnete des 19. Deutschen Bundestages antworten, Bonn 2019.

[3] Ebd., S. 146.

[4] Ebd., S. 122.

[5] Aydemir, Fatma; Yaghoobifarah, Hengameh (Hgg.), Eure Heimat ist unser Albtraum, Berlin 62019, S. 9.

[6] Hentschel, Joachim, Zu geil für diese Welt. Die 90er – Euphorie und Drama eines Jahrzehnts, München 2018.

[7] Stenner, Karen, The Authoritarian Dynamic (Cambridge Studies in Public Opinion and Political Psychology), Cambridge 2005.

[8] Reckwitz, Andreas, Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017.



Antworten von Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen), Franziska Giffey (SPD) und Andreas Scheuer (CSU) auf die Frage, was Heimat für sie ist[1]




[1]Rönneper, Joachim (Hg.), Heimat ist. Abgeordnete des 19. Deutschen Bundestages antworten, Bonn 2019, S. 136, 142, 146; Quelle zum Essay: Claudia Weber, Heimat. Ambivalenzen eines umkämpften Begriffs, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-115571>.



Für das Themenportal verfasst von

Claudia Weber

( 2022 )
Zitation
Claudia Weber, Heimat. Ambivalenzen eines umkämpften Begriffs, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-115571>.
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