Der Beginn einer faschistischen Interpol. Das deutsch-italienische Polizeiabkommen von 1936 und die Zusammenarbeit der Diktaturen im Europa der Zwischenkriegszeit

Der Beitrag stellt die These auf, dass Interpol – eine der zentralen Organisationen heutiger europäischer und internationaler Zusammenarbeit – in seiner Vergangenheit an antiliberale Modernitätsprojekte geknüpft war, ohne dass dies kritisch reflektiert würde. Der vorliegende Text versteht sich vor diesem Hintergrund als Versuch, die Idee europäischer Zusammenarbeit im Bereich der Polizei stärker zu historisieren, das heißt die Sinnwelten der damaligen Akteure zu rekonstruieren.

Der Beginn einer faschistischen Interpol. Das deutsch-italienische Polizeiabkommen von 1936 und die Zusammenarbeit der Diktaturen im Europa der Zwischenkriegszeit[1]

Von Patrick Bernhard

[Frühere Version des Artikels: 2010]

100 Jahre Interpol: Ein Anlass zum Feiern?

Als Interpol im Jahr 2014 sein 100-jähriges Bestehen feierte, preisten KommentatorInnen nicht nur die herausragende Rolle, die die internationale Polizeiorganisation in ihren Augen bei der Verbrechensbekämpfung und -vorbeugung im 20. Jahrhundert spielte.[2] Hervorgehoben wurden auch die vermeintlichen Verdienste Interpols beim Schutz von Menschenrechten.[3] So sei die Einrichtung früh und entschieden gegen grenzüberschreitenden Menschenhandel und Zwangsprostitution vorgegangen, die im Europa der Zwischenkriegszeit beunruhigende neue Phänomene organisierter Kriminalität darstellten.[4] Damit rückt Interpol in die Nähe von Organisationen wie dem Völkerbund oder dem Roten Kreuz, deren internationales Wirken tatsächlich in immer stärkerem Maß als Beitrag zur Geschichte der Human Rights verstanden wird.[5]

Über das manchmal etwas selbstgefällig anmutende Lob für Interpol ist weitgehend in Vergessenheit geraten, dass die Anfänge internationaler Polizeizusammenarbeit wenig von Idealen wie Demokratie und dem Schutz der Menschenrechte geprägt waren. Ganz im Gegenteil: Als 1923 der Wiener Polizeipräsident Johann Schober gleichgesinnte KollegInnen vorrangig aus europäischen Ländern um sich versammelte und mit der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation dem bis dahin eher lockeren Gedankenaustausch unter Polizisten und JuristInnen eine feste organisatorische Form gab, stand neben der Überwachung von Sinti und Roma die Bekämpfung des Anarchismus, Sozialismus und vor allem des Kommunismus im Vordergrund.[6] Seit der Russischen Revolution von 1917 war unter den traditionellen Eliten Europas die angeblich drohende bolschewistische Weltrevolution zum Kristallisationspunkt von Ängsten vor einer Moderne geworden, die die alte soziale, politische und kulturelle Ordnung auf dem Kontinent zu bedrohen schien.[7] Das bedeutet, Interpol verfolgte von Anfang an eine dezidiert politische Agenda, die auf Antisozialismus und Antikommunismus beruhte und zugleich einem konservativ-nationalistischen Gesellschaftsbild verpflichtet war, das offenen Rassismus mit einschloss. Gravierender noch: Über Jahre wurde die grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit von Kräften getragen, die sich gegen gesellschaftliche Pluralität und den Schutz des Individuums vor staatlicher Willkür aussprachen. Wie der folgende Beitrag darlegt, rief das nationalsozialistische Deutschland ab 1933 zusammen mit autoritär bis offen faschistischen Bündnispartnern eine internationale Polizeizusammenarbeit ins Leben, die letztlich auf der Vorarbeit von Schobers Internationaler Kriminalpolizeilicher Organisation aufbaute. Zwar übernahm Berlin die Wiener Organisation im Jahr 1938 und setzte sich rhetorisch auch immer sehr stark von dieser ab. Zugleich konnten Heinrich Himmler und seine Männer dabei aber auf vertrauensvolle Kontakte zu anderen Staaten wie Italien setzen, die bereits zuvor in der Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation mitgearbeitet und auf diese Weise Routinen der Kooperation etabliert hatten. Verbindendes Element zwischen konservativ bis nationalistisch denkenden Polizeichefs und den neuen nationalsozialistischen Machthabern war zunächst der Antikommunismus. Hinzu kam als Verheißung für die Zukunft die Schaffung eines neuen Europa, das durch grenzüberschreitende Zusammenarbeit unter Führung des nationalsozialistischen Deutschlands entstehen und letztlich eine gänzlich andere, nämlich faschistisch gedachte Moderne als neues Ordnungsmodell ins Leben rufen sollte.[8]

Geradezu paradigmatisch zeigt sich somit am Beispiel von Interpol die überwölbende These des vorliegenden Sammelbandes: dass nämlich eine der zentralen Organisationen heutiger europäischer und internationaler Zusammenarbeit in seiner Vergangenheit an antiliberale Modernitätsprojekte geknüpft war, ohne dass dies kritisch reflektiert würde. Der vorliegende Beitrag versteht sich vor diesem Hintergrund als Versuch, die Idee europäischer Zusammenarbeit im Bereich der Polizei stärker zu historisieren, das heißt die Sinnwelten der damaligen Akteure zu rekonstruieren.

Der Aufsatz wird sich beispielshaft auf die deutsch-italienischen Polizeikontakte konzentrieren, weil die Beziehungen der beiden wichtigsten faschistischen Bündnispartner Kern und Ausgangspunkt einer faschistischen Interpol sein sollten, um die herum sich die Sicherheitskräfte anderer Staaten zu gruppieren hatten. Der Fokus liegt zudem auf dem deutsch-italienischen Polizeiabkommen, das als Vorbild für alle weiteren bilateralen Polizeikontakte diente. Letztere sollten wiederum, so die weitergehende These des vorliegenden Beitrags, Grundlage eines weitverzweigten Netzwerks gleichgesinnter Sicherheitsbehörden in Europa und jenseits davon werden.

Ausgangspunkt einer faschistischen Internationale: Das deutsch-italienische Polizeiabkommen von 1936

Am 1. April 1936 unterzeichneten der Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, und sein italienischer Amtskollege Arturo Bocchini in der Reichshauptstadt Berlin eine folgenschwere geheime Übereinkunft: das sogenannte deutsch-italienische Polizeiabkommen.[9] Das Abkommen und die beiden kurz darauf folgenden Zusatzvereinbarungen sahen eine ausgesprochen enge Kooperation bei der internationalen Verbrechensbekämpfung vor, die weit über das bis dahin gekannte Maß zwischenstaatlicher Polizeizusammenarbeit hinausgehen sollte. Der Vertragstext beinhaltete nicht nur einen umfassenden gegenseitigen Informationsaustausch über verdächtige Personen. Insbesondere die Vereinbarung, dass die Polizeikräfte beider Länder Verdächtige unter „Ausschaltung diplomatischer Verhandlungen“ außer Landes verbringen durften, brach mit den Grundsätzen des damals geltenden internationalen Auslieferungsrechts. Allen Akteuren war damals klar, dass es dabei um staatlich legalisierte Verschleppung über die Landesgrenzen hinweg ging.

Zumindest dem Text des Abkommens zufolge sollten hiervon zunächst nur KommunistInnen und Freimaurer betroffen sein. Obwohl Jüdinnen und Juden als potenzielle Gegner damit nicht eigens Erwähnung fanden, war deren gemeinsame Verfolgung im Polizeiabkommen bereits angelegt: Als gedankliches Bindeglied fungierte hier die Freimaurerei, die im faschistischen Italien das funktionale Äquivalent zur nationalsozialistischen Wahnidee einer jüdischen Weltverschwörung darstellte. Tatsächlich wurde die polizeiliche Verfolgung von jüdischen EmigrantInnen aus Deutschland südlich der Alpen wenig später grausame Realität.

Das deutsch-italienische Polizeiabkommen war wiederum nur Teil eines ungleich größeren Vertragssystems, das das nationalsozialistische Deutschland seit 1933 mit anderen autoritär bis faschistisch ausgerichteten Staaten in Europa und Lateinamerika aufzubauen begann. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schloss das „Dritte Reich“ mit insgesamt sieben Staaten einheitliche bilaterale Abkommen über die Gegnerbekämpfung ab. Dazu zählten Belgien, Bulgarien, Finnland, Jugoslawien, Spanien, Portugal und eben Italien. Mit weiteren zehn Ländern bestand eine nicht formalisierte, in den Augen deutscher PolizeiexpertInnen aber nicht minder fruchtbare Kooperation im Geist der Polizeiabkommen. Hierzu gehörten Griechenland, die Niederlande, Japan, Polen, Ungarn, Dänemark, Rumänien, Brasilien, Argentinien und Uruguay.[10]

Erklärtes Ziel dieser Polizeiabkommen war es auf deutscher Seite, die Arbeit der Repressionsapparate in den einzelnen Ländern im Kampf gegen den vermeintlich international operierenden Kommunismus zu synchronisieren und damit die Grundlagen für eine Art faschistischer Interpol unter deutscher Führung zu legen, wie Himmler im Jahr 1937 ausführte.[11] Um dieses Ziel zu erreichen, bemächtigte sich das nationalsozialistische Deutschland der zentralen Organisation für die internationale Polizeizusammenarbeit, die eingangs erwähnte Internationale Kriminalpolizeiliche Kommission, und verlegte deren Sitz kurze Zeit später von Wien nach Berlin. Als angeblich von den westlichen Demokratien beherrschte Organisation, so die Rhetorik, stehe sie dem Führungsanspruch entgegen, den das aufstrebende nationalsozialistische Deutschland und insbesondere Himmler auch in Polizeifragen in Europa für sich einforderten. Gleichwohl baute das Regime auf den bereits etablierten Kontakten und Arbeitsroutinen auf, die die Kommission zuvor in den mehr als zehn Jahren ihres Bestehens etabliert hatte und die offenbar auch einem zunehmenden ideologischen Einvernehmen Vorschub leisteten. So hatten bereits 1934 die Delegierten des faschistischen Italien und des autoritären polnischen Piłsudski-Regimes mit dem deutschen Vertreter gegen eine Einbindung von Interpol in den Völkerbund gestimmt.[12] Zudem äußerten die Delegierten Schwedens, Norwegens und Dänemarks gegenüber Reinhard Heydrich in einem vertraulichen Gespräch am Rande eines Arbeitstreffens der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission, das kurz vor dem Reichspogrom von 1938 stattfand, grundsätzlich Verständnis für die Haltung des NS-Regimes in der „Judenfrage“, auch wenn sie die bis dahin in Deutschland getroffenen antisemitischen Maßnahmen für zu weitgehend hielten.[13]

Zugleich besaß die Polizeizusammenarbeit für das „Dritte Reich“ eine wichtige außen- und bündnispolitische Bedeutung. Das geht sehr deutlich aus den Überlegungen der sogenannten Ständigen Deutschen Kommission zur Bekämpfung der Kommunistischen Internationale (Komintern) hervor, der neben Himmler auch der zweite Mann im NS-Staat, Hermann Göring, angehörte. Weitere prominente Mitglieder waren Joachim von Ribbentrop, zu dieser Zeit parteiamtlicher Sonderbotschafter, Propagandaminister Joseph Goebbels und der damalige Außenminister Konstantin von Neurath. Nach dem Willen dieser im Januar 1937 gegründeten Taskforce sollten die europäischen und lateinamerikanischen Staaten über die Polizeizusammenarbeit enger an das nationalsozialistische Deutschland gebunden werden. Endziel war deren Zusammenschluss zu einem „mehr oder weniger homogenen antibolschewistischen Staatenblock“. Beginnen wollte man mit „loser und unverbindlicher Fühlungnahme mit national eingestellten Kreisen“ im Ausland, wobei Himmler und die anderen vor allem an demokratische Staaten wie die Schweiz dachten. Diese wollte man über die Kontakte zum Nationalsozialismus zu Gesetzesvorhaben „nach deutschem Muster“ anregen. Bei Staaten, die bereits autoritäre Züge aufwiesen, war an die „offene Aufnahme kultureller Beziehungen“ und den Abschluss von bilateralen Propaganda- oder Presseabkommen gedacht. Im Idealfall sollte es zu „völkerrechtlichen Verträgen zur Abwehr des Bolschewismus“ kommen.

Der Polizeikooperation kam in diesen Planungen eine eminent wichtige Rolle zu. So hoffte man, dass durch die „tägliche Kleinarbeit“ mit den ausländischen Polizeibehörden die vom Kommunismus ausgehende Gefahr konkret erfahrbar und radikalisierend wirken würde. Schließlich würden PolizistInnen den Feind im Einsatz am besten kennen lernen. Die Polizeiarbeit wäre damit auf lange Sicht das „gegebene Terrain für eine internationale Frontbildung gegen den Bolschewismus“. Das gälte umso mehr, als Deutschland über eine „vorbildliche Organisation“ verfüge, die außenpolitisch genauso schwer wiege wie eine gute Armee.[14]

Das damals noch junge Feld der institutionalisierten Polizeizusammenarbeit erlebte somit gegenüber traditionellen Formen der internationalen Kooperation wie dem Abschluss von Militärbündnissen eine erhebliche Aufwertung. So war es auch kein Zufall, dass das deutsch-italienische Polizeiabkommen vor der propagandaträchtigen Ausrufung der „Achse Berlin-Rom“ im Herbst 1936 und dem Abschluss des sogenannten „Stahlpakts“ von 1939 zustande kam, mit dem sich beide Mächte zu weitreichender militärischer Hilfeleistung sogar im Falle eines Angriffskriegs verpflichteten.[15] Die Polizeizusammenarbeit war dabei wiederum nur Teil eines internationalen Austauschprogramms, das Städtebauprogramme ebenso umfasste wie Rassenpolitik oder die Kolonial- und Siedlungsplanungen im nationalsozialistischen Deutschland, faschistischen Italien und kaiserlichen Japan.[16]

Die Absichten der Deutschen im Bereich der Polizeizusammenarbeit trafen sich vor allem in einem Punkt mit den Interessen der anderen Vertragspartner: in der Bekämpfung des Kommunismus, von dem angeblich eine immense politische Gefahr für Europa ausging. Das gilt im besonderen Maße für Spanien, wo die im Sommer 1936 putschenden Generäle ihren Krieg offiziell zum Kreuzzug gegen den Bolschewismus erklärten. Aber auch das faschistische Regime stand dem in nichts nach: Italien rühmte sich seit geraumer Zeit, als erstes Land in Europa nach der Machtergreifung Benito Mussolinis im Oktober 1922 den Kampf gegen den Kommunismus aufgenommen und hierbei über die Jahre große Expertise gesammelt zu haben. Das habe dem faschistischen Italien einen erheblichen Wissensvorsprung vor anderen Ländern beschert. Tatsächlich hatte sich Polizeichef Arturo Bocchini nach seinem Amtsantritt im Jahre 1926 energisch an die Modernisierung des italienischen Polizeiapparats gemacht, der sich in der Folge auf die Ausschaltung von KommunistInnen und AnarchistInnen konzentrierte. Bocchini richtete nicht nur mit der Organizzazione di Vigilanza e Repressione dell’Antifascismo (OVRA, dt. Organisation zur Überwachung und Bekämpfung des Antifaschismus) eine bald auch international berüchtigte Geheimpolizei zur Bekämpfung antifaschistischer Aktivitäten ein. Der italienische Polizeichef baute zudem das noch aus der liberalen Ära stammende „politische Zentralregister“ aus. Bis 1943 wurden zu weit über 100.000 politischen Verdächtigen detaillierte Akten angelegt, die durch ein ausgeklügeltes Karteikartensystem erschlossen waren. Auf dieser Grundlage verbannte Italien zwischen 1922 und 1943 17.000 Menschen auf Inseln, die Teil eines weit verzweigten faschistischen Gefängnisarchipels waren.[17]

Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass für etliche Staaten in Europa und in Lateinamerika dem vermeintlich modernen faschistischen Repressionsapparat Modellcharakter zukam.[18] Das galt auch für das noch junge nationalsozialistische Regime. Die faschistische Geheimpolizei besaß bei der Gestapo sogar ein „enormes Prestige“ und ihrem Schöpfer Arturo Bocchini schlug als angeblich allwissendem Polizeichef unverhohlene Bewunderung entgegen; das faschistische Italien galt dem NS-Staat mithin als wichtigster potenzieller Kooperationspartner in Polizeifragen.[19] Die deutsch-italienische „Polizeiachse“ sollte erklärtermaßen als notwendige Basis für die zukünftige faschistische Sicherheitsstruktur in Europa dienen.

Zwar gab es Anfang 1936 aufseiten der italienischen Polizeiführung noch Vorbehalte gegen die Zusammenarbeit mit den Deutschen. So hielt Bocchini den deutschen Polizeichef zu sehr auf die Ideologie fixiert und drängte stattdessen auf energisches Handeln.[20] Auch war die erst wenige Jahre bestehende deutsche Gestapo in den Augen der ItalienerInnen in der Polizeiarbeit noch viel zu unerfahren. Doch letztlich traten solche Bedenken hinter dem Motiv der vermeintlich wachsenden Bedrohung durch die kommunistische „Wühlarbeit“ auf internationaler Ebene zurück. Bocchini nahm etwa zu dieser Zeit von der ungarischen Polizei Informationen entgegen, wonach die Komintern der KP Ungarns den Auftrag erteilt habe, über vermeintlich katastrophale Zustände im italienischen Faschismus zu berichten und Werbung für eine Beteiligung Ungarns an den Völkerbundsanktionen gegen Italien wegen des blutigen Angriffskriegs auf Abessinien zu machen, den Mussolini im Herbst 1935 gegen das Land am Horn von Afrika begonnen hatte. Wahrscheinlich lancierte die ungarische Polizei, die mit der deutschen bereits zuvor eine informelle Übereinkunft geschlossen hatte, diese Informationen bewusst, um die ItalienerInnen zur polizeilichen Zusammenarbeit mit dem „Dritten Reich“ zu veranlassen. Ungarns starker Mann, Gyula Gömbös, tat auf dem diplomatischen Parkett damals sehr viel für die deutsch-italienische Wiederannäherung; zwischen beiden Staaten hatte seit der Ermordung von Österreichs Staatschef Engelbert Dollfuß im Juli 1934 erhebliches Misstrauen geherrscht. Tatsächlich wurden die gemeinsamen Interessen bei der polizeilichen Bekämpfung des Kommunismus schließlich von deutscher wie italienischer Seite genutzt, um die bestehenden Hindernisse auf dem Weg zur „Achse Berlin-Rom“ aus dem Weg zu räumen. Die internationale Polizeizusammenarbeit besaß damit auch eine wichtige funktionale Komponente in der nationalsozialistischen und faschistischen Diplomatie.

Realisierungen: Ein Netzwerk bilateraler Kontakte

Wie sah die Umsetzung der Polizeiabkommen aus? Zwar scheiterte der Plan Himmlers für eine groß angelegte internationale Organisation unter deutscher Führung am Widerstand der anderen Vertragspartner, die eine erdrückende Vorherrschaft des Reichs befürchteten. Letztlich liefen aber dennoch zahlreiche Informationen über politische Verdächtige in Berlin zusammen. Hierzu trugen in erheblichem Maße die bilateralen Kontakte bei; die praktische Zusammenarbeit auf dieser Ebene erwies sich sogar als ausgesprochen fruchtbar. Das gilt vor allem hinsichtlich der deutsch-italienischen und deutsch-spanischen Polizeikooperation, über die wir am besten Bescheid wissen. So wurden in Spanien, Deutschland und Italien umfangreiche Strukturen der Zusammenarbeit geschaffen. An den Botschaften in Rom, Madrid und Berlin richtete man Verbindungsbüros mit je einem Polizeiattaché an der Spitze ein, dem gleich mehrere MitarbeiterInnen unterstanden; das war ein völlig neuartiges Amt, bislang gab es lediglich Militärattachés. In Italien arbeiteten zudem deutsche Vertrauensmänner in den Polizeipräsidien der Provinzen, um über die Alpen geflüchtete deutsche NS-Gegner besser ausfindig machen zu können. In Rom kam es schließlich sogar zur Einrichtung eines „heißen Drahtes“ zwischen den deutschen PolizeivertreterInnen und dem italienischen Innenminister, die sich nun Tag und Nacht direkt kontaktieren konnten.

Zwischen 1936 und 1944 gerieten auf diese Weise allein in Italien, Spanien und Deutschland 30.000 „politisch Verdächtige“ ins Fadenkreuz der Repressionsapparate. Viele der Betroffenen – anfangs zumeist KommunistInnen und AnarchistInnen – ereilte oftmals ein grausames Schicksal. Konnten die Betreffenden auf eine Suchanfrage hin im Land aufgespürt werden, wurden sie verhaftet und dem Bündnispartner übergeben. Im deutschen Fall bedeutete das meist Überstellung in ein Konzentrationslager. Die Sicherheitskräfte Francos dagegen machten mit Regimegegnern, die nach dem Ende des Spanischen Bürgerkriegs nach Frankreich geflüchtet waren, bei deren Auslieferung fast immer kurzen Prozess und erschossen sie umgehend.

Hinzu kam ein großzügiger Austausch von Know-how zwischen den Unterzeichnern der Polizeiabkommen – damit sich die Kooperationspartner in etwa auf dem gleichen technischen Stand befanden, was ja notwendige Voraussetzung für jede ernsthafte Zusammenarbeit ist. Deutsche BeraterInnen trainierten etwa die Sicherheitskräfte Francos in modernen Polizeimethoden, zu denen Telekommunikation, Personalwesen und Verwaltung sowie Karteiwesen, Fingerabdrucktechnik und die erkennungsdienstliche Fotografie zählten. Damit trug das „Dritte Reich“ dazu bei, dass sich die Verfolgung Andersdenkender in Spanien noch effizienter gestaltete.[21]

Wie von Himmler durchaus beabsichtigt, kam es über die Kontakte mit den Deutschen zudem zu weitergehenden Lern- und Radikalisierungsprozessen in der Polizeiarbeit der anderen Staaten. Das betraf nicht zuletzt die Repressionsinstrumente. Es kann inzwischen als gesichert gelten, dass sich beispielsweise die spanische Polizei bei ihrer umfassenden Reform im Jahr 1941 am deutschen Modell orientierte. Das gilt für die Neuordnung des Laufbahnwesens und des Ausbildungssystems ebenso wie für die ideologische Ausrichtung der neuen spanischen Formationen. So wurde die Policía Armada, die berüchtigte Ordnungspolizei des Franco-Regimes, zu dieser Zeit mit deutscher Unterstützung aufgebaut. Als Weltanschauungstruppe war sie das Schild und Schwert des neuen, als „total“ verstandenen spanischen Staates und hatte nach dezidiert faschistischem Vorbild rigoros jedwede Opposition zu unterdrücken.

Am gravierendsten jedoch ist, dass sich über die Zusammenarbeit mit den Deutschen die Feindkategorien erweiterten. In Italien schob man bereits vor Kriegsbeginn vereinzelt emigrierte Jüdinnen und Juden, die in den Polizeiabkommen ja nicht eigens als Gegner aufgezählt worden waren, nach Deutschland ab; mit dem Kriegseintritt Italiens im Juni 1940 wurden schließlich alle ausländischen Jüdinnen und Juden interniert.[22] Ähnliches geschah wenig später in Spanien: Franco gab 1941 die Genehmigung, dass grundsätzlich auch nach Spanien geflüchtete deutsche Jüdinnen und Juden an das nationalsozialistische Deutschland ausgeliefert werden durften.

Noch deutlicher zeigt sich der radikalisierende Einfluss des NS-Regimes, als sich Spanien Anfang 1943 vor ein deutsches Ultimatum gestellt sah: Das Franco-Regime sollte entweder spanischstämmige Jüdinnen und Juden, die in den vom Reich besetzten Gebieten lebten, ins eigene Land zurückführen oder sie den Deutschen zur Vernichtung übergeben.[23] Auf Drängen der spanischen Polizeiführung, die damals enge Kontakte zu Himmler und Heydrich unterhielt und immer mehr der Idee einer jüdischen Weltverschwörung erlag, stimmte Franco zunächst zu, die Jüdinnen und Juden „ihrem Schicksal“ zu überlassen. Erst als die USA massiv intervenierten, entschloss sich der spanische Diktator nach langem Zögern, die spanischstämmigen Jüdinnen und Juden Europas ins Land zu holen und damit zu retten. Für etliche kam diese Entscheidung jedoch zu spät: Sie befanden sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Weg in die Vernichtungslager.

Das lange Nachleben: Folgen der faschistischen Polizeizusammenarbeit

Die polizeiliche Zusammenarbeit zwischen den nationalistisch bis faschistischen Regimen Europas und Lateinamerikas zeitigte schließlich wichtige mittel- und langfristige Folgen, die von den Akteuren oftmals so gar nicht beabsichtigt gewesen waren. Die starke Institutionalisierung der gemeinsamen Gegnerbekämpfung hatte etwa für Italien nach dem September 1943 fatale Folgen: Als nämlich das Land mit dem Wechsel auf die Seite der Alliierten selbst zum Feind des NS-Regimes wurde, begannen sich die über Jahre erprobten Gewaltstrukturen gegen den ehemaligen Verbündeten selbst zu richten. Die Bekämpfung des italienischen Widerstands war ja nur deshalb so erfolgreich, weil die Zusammenarbeit mit faschistischen Kräften letztlich bruchlos vonstatten ging.

Eine zweite Langzeitfolge betrifft deutsche Kriegsverbrecher. So erleichterten offensichtlich die bereits in den frühen 1930er-Jahren etablierten Kontakte zwischen Gestapo und den Polizeien in Spanien und Argentinien nach 1945 die Flucht deutscher Polizei- und SS-Offiziere nach Südamerika, die dort als gefragte „Experten“ beim Aufbau von Verfolgungsapparaten behilflich waren.

In Europa aber ergaben sich die am weitesten reichenden Folgen wohl für Spanien: Die nach deutschem Vorbild zu Beginn der 1940er-Jahre reformierten spanischen Sicherheitskräfte bestanden nämlich letztlich unverändert bis zum Ende der Diktatur fort. Damit war dem nationalsozialistischen Ungeist, den die internationale Polizeizusammenarbeit im Europa der Zwischenkriegszeit freigesetzt hatte, in Francos Spanien ein langes Nachleben beschieden.[24]



[1] Essay zur Quelle: Heinrich Himmler / Arturo Bocchini, Deutsch-italienisches Polizeiabkommen (Berlin, 1. April 1936), in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-75760>. Essay und Quelle sind in einer früheren Fassung online erschienen im Themenportal Europäische Geschichte, URL: <https://www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1535>. Das Essay führt Gedanken weiter, die ich im Rahmen meiner Studien zum internationalen Faschismus und als externer Experte für Interpol entwickelt habe.

[2] Siehe etwa den Rundfunkbeitrag: N.N., 100 Jahre Interpol, SRF 4 News aktuell, URL: <https://www.srf.ch/play/radio/srf-4-news-aktuell/audio/100-jahre-interpol?id=d760530f-cbff-490e-a273-073abe18cc99> (17.02.2020).

[3] So etwa die Darstellung auf der Homepage des BKA, die sehr stark die vermeintlich rechtsstaatliche und auf Wahrung der Menschenrechte setzende Kontinuität der Behörde akzentuiert: N.N., Interpol (IKPO), Bundeskriminalamt, URL: <https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Aufgabenbereiche/InternationaleFunktion/IKPO/ikpo_node.html> (17.02.2020). Zur Geschichte der Organisation liegen bislang nur wenige Studien vor, die geschichtswissenschaftlichen Standards entsprechen. Die Ausnahme machen Deflem, Mathieu, Policing World Society. Historical Foundations of International Police Cooperation (Clarendon Studies in Criminology; 25), Oxford 2002 und Fijnaut, Cyrille, The International Criminal Police Commission and the Fight against Communism, 1923–1945, in: Mazower, Mark (Hg.), The Policing of Politics in the Twentieth Century. Historical Perspectives, Providence 1997, S. 107–128.

[4] Limoncelli, Stephanie, The Politics of Trafficking. The First International Movement to Combat the Sexual Exploitation of Women, Stanford 2010; Nautz, ‎Jürgen; Sauer, Birgit (Hgg.), Frauenhandel. Diskurse und Praktiken (Transkulturelle Perspektiven; 6), Göttingen 2008. Allgemein hierzu auch Jäger, Jens, Verfolgung durch Verwaltung. Internationales Verbrechen und internationale Polizeikooperation 1880–1933, Konstanz 2006.

[5] Hierzu kritisch Eckel, Jan, Die Ambivalenz des Guten. Menschenrechte in der internationalen Politik seit den 1940ern, Göttingen 22015.

[6] Zum Aufbau einer eigenen Abteilung zur Erfassung und Bekämpfung von Sinti und Roma bei Interpol im Jahr 1932 siehe Filhol, Emmanuel, Le contrôle des Tsiganes en Europe de la fin du XIXe siècle aux années trente, in: Canadian Journal of History 47 (2012), H. 2/3, S. 317–354 und Huonker, Thomas; Ludi, Regula; Schär, Bernhard (Hgg.), Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus (Beiheft zum Bericht: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus), Bern 2001, S. 35. Zur frühen Zusammenarbeit einzelner nationaler Polizeien mit Wien in der Bekämpfung von Sinti und Roma siehe für Norwegen Johansen, Jan Otto, Folket som ingen vil ha. Forfølgelsen av sigøynerne i Øst-Europa, Oslo 1995, S. 217.

[7] Mazower, Mark, Dark Continent. Europe’s Twentieth Century, New York 2000.

[8] Herren, Madeleine, Fascist Internationalism, in: Sluga, Glenda; Clavin, Patricia (Hgg.), Internationalisms. A Twentieth Century History, Cambridge 2017, S. 191–212; Esposito, Fernando, Mythische Moderne. Aviatik, Faschismus und die Sehnsucht nach Ordnung in Deutschland und Italien (Ordnungssysteme; 32), München 2011; Pohl, Dieter; Dafinger, Johannes (Hgg.), A New Nationalist Europe under Hitler. Concepts of Europe and Transnational Networks in the National Socialist Sphere of Influence, 1933–1945 (Routledge Studies in Second World War History), London 2019.

[9] Deutsch-italienisches Polizeiabkommen (1. April 1936). Im Folgenden stammen alle Quellenzitate, soweit nicht anders vermerkt, aus der hier abgedruckten Quelle.

[10] Ausarbeitung Zusammenarbeit der Geheimen Staatspolizei mit ausländischen Politischen Polizeien als Anhang zum Schreiben des Chefs der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich, an Ribbentrop vom 22.8.1938, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA-AA), R 100748, Fiche 1909.

[11] Nachfolgendes, soweit nicht anders angegeben, nach Entwurf eines Programms für die Arbeit der Ständigen Kommission zur Bekämpfung der Kommunistischen Internationale von 1937, S. 2–3, in: ebd., Fiche 1907.

[12] Entwurf eines Schreibens von Oskar Dressler an Reichskriminaldirektor Arthur Nebe vom Mai 1938, in: Yad Vashem Archives, Record Group 0.105, File Number 1; Bericht Karl Zindels vom 27. September 1934, in: PA-AA, R 48773. The National Archives London, MEPO 3/2065.

[13] Bericht Reinhard Heydrichs zum XIV. Treffen der IKPK in Bukarest, Archiv von Interpol, Series historical documents.

[14] Entwurf eines Programms für die Arbeit der Ständigen Kommission zur Bekämpfung der Kommunistischen Internationale von 1937, S. 4, in: PA-AA, R 100748, Fiche 1907.

[15] Siehe den Kommentar von Malte König zum Stahlpakt: König, Malte, Freundschafts- und Bündnispakt zwischen Deutschland und Italien („Stahlpakt“) vom 22. Mai 1939 und geheimer Zusatzvertrag, in: 100(0) Schlüsseldokumente zur deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, URL: <http://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=0007_sta&object=context&st=&l=de> (17.02.2020).

[16] Bernhard, Patrick, Blueprints of Totalitarianism: How Racist Policies in Fascist Italy Inspired and Informed Nazi Germany, in: Fascism: Journal of Comparative Fascist Studies 6 (2017), H. 2/2, S. 127–162; ders., Colonial Crossovers. Nazi Germany and its Entanglements with Other Empires, in: Journal of Global History 12 (2017), H. 2/3, S. 206–227; ders., Metropolen auf Achse. Städtebau und Großstadtgesellschaften Roms und Berlins im faschistischen Bündnis 1936–1943, in: Hachtmann, Ruediger; Schaarschmidt, Thomas; Süß, Winfried (Hgg.), Berlin im Nationalsozialismus. Politik und Gesellschaft 1933–1945 (Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus; 27), Göttingen 2011, S. 132–157; Patel, Kiran Klaus; Reichardt, Sven, The Dark Side of Transnationalism. Social Engineering and Nazism, 1930s–40s, in: Journal of Contemporary History 51 (2016), H. 1/4, S. 3–21; Hofmann, Reto; Hedinger, Daniel, Editorial – Axis Empires. Towards a Global History of Fascist Imperialism, in: Journal of Global History 12 (2017) H. 2/3, S. 161–165.

[17] Dunnage, Jonathan, Social Control in Fascist Italy: The Role of the Police, in: Emsley, Clive; Johnson, Eric; Spierenburg, Pieter (Hgg.), Social Control in Europe. Bd. 2: 1800–2000 (History of Crime and Criminal Justice), Columbus 2004, S. 261–280; Ebner, Michael R., Ordinary Violence in Mussolini’s Italy, Cambridge 2011.

[18] Ivani, Mario, Esportare il fascismo: collaborazione di polizia e diplomazia culturale tra Italia fascista e Portogallo di Salazar (1928–1945), Bologna 2008; Dunnage, Jonathan; Rossol, Nadine, Building Ideological Bridges and Inventing Institutional Traditions: Festivities and Commemorative Rituals in the Fascist and Nazi Police, in: Crime History and Societies 19 (2015), H. 1/1, S. 67–88. Siehe zudem aus vergleichender Perspektive Dunnage, Jonathan, Policing Right-Wing Dictatorships: Some preliminary comparisons of Fascist Italy, Nazi Germany and Franco’s Spain, in: Crime History and Societies 10 (2006), H. 1/2, S. 93–122.

[19] Siehe Vermerk eines Mitarbeiters der Politischen Polizei Italiens vom 15. Dezember 1934, in: Archivio Centrale dello Stato in Rom (ACS), Bestand Innenministerium (MI), Direzione Generale di Pubblica Sicurezza (DGPS), Divisione Polizia Politica, fascicoli per materia, b. 44, fasc. 7.

[20] Bernhard, Patrick, Konzertierte Gegnerbekämpfung im Achsenbündnis. Die Polizei im Dritten Reich und im faschistischen Italien 1933 bis 1943, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 59 (2011), H. 2/4, S. 229–262.

[21] Hierzu und im Folgenden nach Bernhard, Patrick, The Gestapo in Spain: German Police Collaboration with Franco’s Regime and the Persecution of Jews (i.E.).

[22] Schlemmer, Thomas; Woller, Hans, Der italienische Faschismus und die Juden 1922–1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 53 (2005), H. 1/4, S. 164–201.

[23] Nachfolgendes nach Rother, Bernd, Spanien und der Holocaust (Romania Judaica; 5), Tübingen 2001.

[24] Sonderarchiv Moskau, Bestand 500, Opis 1, Bl. 70–74. Abschrift angefertigt von Patrick Bernhard.


Deutsch-italienisches Polizeiabkommen

Berlin, den 1. April 1936[1]

[Inhaltlich unveränderte Version: 2010]

Zwischen dem Chef der italienischen Polizei Bocchini und dem Politischen Polizeikommandeur der Länder Reichsführer SS Himmler ist in der Konferenz, die in Berlin vom 30.3. bis 1.4.1936 stattgefunden hat, folgendes Einverständnis erzielt worden:

  1. Die italienische Polizei und die deutsche politische Polizei werden sich gegenseitig über alle allgemeinen Erfahrungen und über einzelne Feststellungen hinsichtlich des Kommunismus’ und der Freimaurerei laufend unterrichten, soweit diese Erfahrungen und Feststellungen für die andere Polizei von Interesse sind.
  2. Die italienische Polizei und die deutsche politische Polizei werde sich gegenseitig Anfragen nach allgemeinen Erfahrungen und einzelnen Feststellungen hinsichtlich des Kommunismus’ und der Freimaurerei beantworten, soweit nicht ein eigenes staatliches Interesse dieser Beantwortung entgegensteht.
  3. Die italienische Polizei und die deutsche politische Polizei werden sich gegenseitig Material und Beweismittel hinsichtlich des Kommunismus’ und der Freimaurerei sowie hinsichtlich solcher Vereinigungen oder Bestrebungen, deren Überwachung oder Auflösung im beiderseitigen Interesse erwünscht scheint, zur Verfügung stellen, soweit nicht ein eigenes staatliches Interesse entgegensteht.
  4. Die italienische Polizei und die deutsche politische Polizei werden sich gegenseitig in der Aufklärung der gegen Italien und gegen Deutschland gerichteten Tätigkeit und Absichten kommunistischer und freimaurerischer Zentralen außerhalb Italiens und Deutschlands unterstützen und sich gegenseitig die Ergebnisse dieser Aufklärung mitteilen.
  5. Die italienische Polizei und die deutsche politische Polizei werden voneinander Anregungen auf Durchführung polizeilicher Vollzugsmaßnahmen gegen Kommunisten, Freimaurer und Emigranten entgegennehmen und nach diesen Anregungen handeln, soweit dies nach den Gesetzen des Landes möglich ist und soweit nicht eigene staatliche Interessen entgegenstehen.
  6. Die italienische Polizei und die deutsche politische Polizei werden auch in allen anderen Fragen auf diesem Gebiet, auch soweit sie in den vorstehenden Punkten nicht besonders aufgeführt sind, im Geiste dieser Vereinbarung zusammenarbeiten, soweit die Gesetze und die staatlichen Interessen nicht entgegenstehen.

Die unter Ziffer 1-6 erwähnten Mitteilungen, Antworten und Anregungen werden in folgender Weise übermittelt werden:

  1. Schriftliche Mitteilungen werden, soweit es sich nicht um eilige Angelegenheiten handelt, durch die Dienstpost des italienischen Botschafters in Berlin bezw. des deutschen Botschafters in Rom befördert, wobei der innere Umschlag der Sendung die Anschrift des Chefs der italienischen Polizei Exc. Bocchini bezw. des Politischen Polizeikommandeurs der deutschen Länder Reichsführer SS Himmler oder Vertreters im Amt zu tragen hat.
  2. Besonders eilige Angelegenheiten werden durch besonderen Kurier übermittelt, der von der italienischen Polizei und von der deutschen politischen Polizei abwechselnd etwa jeden Monat oder in dringenden Fällen sofort entsandt wird. Die Kuriere reisen ausschließlich im Flugzeug.
  3. Um eine sichere telephonische Verständigung zwischen dem Chef der italienischen Polizei und dem Politischen Polizeikommandeur der Länder zu ermöglichen, teilt jeder der beiden Herren dem anderen mit jedem Kurier einen Decknamen mit, unter dem er sich beim telephonischen Anruf melden wird.

Um für den Fall des Versagens unter b) bis c) angegebenen Verbindungen eine Verständigung zu ermöglichen, teilt die italienische Polizei der deutschen politischen Polizei und die deutsche politische Polizei der italienischen Polizei private Deckadressen mit, an die in diesen Fällen Mitteilungen auf dem gewöhnlichen Postwege gesandt werden.

gez. H. Himmler Arturo Bocchini

Vorschlag
des Politischen Polizeikommandeurs der deutschen Länder, Reichsführer SS Himmler, zur Ergänzung der Punkte vom 1. April 1936:

Die italienische Polizei und die deutsche Politische Polizei werden auf begründeten Antrag politische Verbrecher unter Ausschaltung diplomatischer Verhandlungen der anderen Polizei ausliefern, soweit nicht ein eigenes staatliches Interesse entgegensteht.

gez. H. Himmler Arturo Bocchini

Vorschlag
des Politischen Polizeikommandeurs der deutschen Länder, Reichsführer SS Himmler, zur Ergänzung der Punkte vom 1. April 1936:

Zwischen der italienischen Polizei und der deutschen politischen Polizei wird ein Funkverkehr eingerichtet werden. Einzelheiten werden durch schriftliche Vorschläge erörtert und vereinbart werden.

gez. H. Himmler Arturo Bocchini


[1] Sonderarchiv Moskau, Bestand 500, Opis 1, Bl. 70-74(Abschrift angefertigt von Patrick Bernhard); Quelle zum Essay: Patrick Bernhard, Der Beginn einer faschistischen Interpol. Das deutsch-italienische Polizeiabkommen von 1936 und die Zusammenarbeit der Diktaturen im Europa der Zwischenkriegszeit, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, URL: <https://www.europa.clio-online.de/id/fdae-116201>.


Für das Themenportal verfasst von

Patrick Bernhard

( 2022 )
Zitation
Patrick Bernhard, Der Beginn einer faschistischen Interpol. Das deutsch-italienische Polizeiabkommen von 1936 und die Zusammenarbeit der Diktaturen im Europa der Zwischenkriegszeit, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2022, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-116201>.
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