Die Revolution von 1848/49. Gemeinsames Erleben und Scheitern in Europa?

Die gesamteuropäische Dimension der Revolution von 1848/49 ist lange vernachlässigt worden. Konzentrierte sich die historische Forschung zunächst auf den Ablauf der Ereignisse, die unterschiedlichen Trägergruppen und ihre Ziele und dabei insbesondere auf die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Herrschern sowie auf die Wirkungen der Revolution in den einzelnen europäischen National- bzw. Territorialstaaten, so gerieten grenzüberschreitende Beziehungsgeflechte und die Rückkopplungseffekte im revolutionären Prozess zunächst kaum in den Blick.[...]

Die Revolution von 1848/49. Gemeinsames Erleben und Scheitern in Europa?[1]

Von Arnd Bauerkämper

Die gesamteuropäische Dimension der Revolution von 1848/49 ist lange vernachlässigt worden. Konzentrierte sich die historische Forschung zunächst auf den Ablauf der Ereignisse, die unterschiedlichen Trägergruppen und ihre Ziele und dabei insbesondere auf die Auseinandersetzung mit den jeweiligen Herrschern sowie auf die Wirkungen der Revolution in den einzelnen europäischen National- bzw. Territorialstaaten, so gerieten grenzüberschreitende Beziehungsgeflechte und die Rückkopplungseffekte im revolutionären Prozess zunächst kaum in den Blick. Hinzu kam der empirische Befund, dass sich die revolutionären Ereignisse in Europa ungleichmäßig vollzogen, zumal ein einheitliches, steuerndes Machtzentrum offenbar fehlte und 1848/49 zudem wichtige Teile Europas – so Großbritannien, die Niederlande, das zarische Russland, die iberische Halbinsel und fast ganz Südosteuropa – von der Revolution weitestgehend unberührt blieben. In Erweiterung dieser vorherrschenden Forschungsmeinung hat sich in jüngster Zeit eine neue transnationale Perspektive herauskristallisiert, eine Perspektive, die für eine integrierte vergleichs- und transfergeschichtliche Revolutionsforschung plädiert: Arbeiten aus dieser Richtung diskutieren bereits, inwieweit die Revolutionäre zum Teil identische Kernforderungen vertraten, inwiefern die Ereignisse über die Territorialgrenzen hinweg durchaus ähnlich verliefen und auch inwieweit sie gemeinsame Ursachen aufwiesen. Darüber hinaus interessieren hier auch die beobachtbaren Wechselwirkungen zwischen den revolutionären Prozessen ebenso wie Verflechtungen zwischen den historischen Akteuren.[2]

Während die neuere Historiografie den gesamteuropäischen Charakter der revolutionären Ereignisse, den schon zeitgenössische Beobachter wie der französische Schriftsteller und Politiker Alexis de Tocqueville herausgestellt hatten, zunehmend, wenngleich keineswegs erschöpfend untersucht hat, ist der Hinweis auf das nahezu gleichzeitige Scheitern der Revolution in den von ihr erfassten europäischen Staaten und Regionen im Sommer 1849 weniger beachtet worden.[3]Dies ist umso erstaunlicher, als schon Zeitgenossen den Sieg der Reaktion als ein europäisches Ereignis wahrnahmen, wie das hier im Anschluss an diesen Essay abgedruckte „Rundgemälde von Europa im August 1849“ zeigt.[4]Die 1849 in den „Düsseldorfer Monatsheften“ veröffentlichte Federlithografie von 17 x 23 Zentimeter zeigt die Niederlage der Revolutionäre und karikiert die Reaktion in Europa von Frankreich bis Polen. Mit der Erfindung und raschen Verbreitung der Lithografie im frühen 19. Jahrhundert konnten Zeichnungen leichter in illustrierten Zeitschriften veröffentlicht werden. Damit gewann auch die Karikatur, die im aufgeklärten England des 18. Jahrhunderts – vor allem in den Stichen William Hogarths (1697-1764) – zeitgenössische Verhältnisse kritisiert hatte, erheblich an Wirksamkeit. Die Revolution von 1848/49 verlieh der Bildpublizistik vor diesem Hintergrund enormen Auftrieb. Als Rundgemälde oder Panoramen dienten Karten Europas – oft stilisiert – als Kulisse für die Darstellung der Akteure von Revolution und Gegenrevolution. Die „Düsseldorfer Monathefte“, deren Herausgeber Lorenz Clasen in seiner Zeitschrift mit Satiren und Allegorien politische Ereignisse kommentierte, erschienen seit 1847. Die Zeitschrift war für die Veröffentlichung von Karikaturen in Deutschland bedeutend. Als Leitorgan nahm sie einen Stellenwert ein, der demjenigen der seit 1830 in Frankreich publizierten satirischen Blätter „La Caricature“ und „Charivari“ gleichkam. Die Federlithografie wurde von dem Augenarzt Ferdinand Schröder (1818-1859) angefertigt, der ein bekannter Zeichner und Radierer war und in der Frankfurter Nationalversammlung den linken Flügel vertreten hatte. Als Holzschnittzeichner und Lithograf war Schröder ein Autodidakt, der auch für die „Fliegenden Blätter“ und den „Kladderadatsch“ arbeitete. Neben dem „Rundgemälde von Europa im August 1849“, das er offenbar im August 1849 abschloss, schuf Schröder 1851 ein Panorama, in dem er die Verschwörung des „Jungen Europa“ von Guiseppe Mazzini darstellte.

Im Zentrum der Abbildung fegt Preußen, das im Bild durch König Friedrich Wilhelm IV. mit Pickelhaube und Eisernem Kreuz personifiziert wird, die Aufständischen zusammen, von denen viele Zuflucht unter der breiten Jakobinermütze der schweizerischen Eidgenossenschaft suchen. Hier war 1848 nach dem Bürgerkrieg zwischen liberalen und konservativen Kantonen im vorangegangenen Jahr eine bundesstaatliche Verfassung verabschiedet und durch die neue Vereinigte Bundesversammlung am 6. November 1848 erstmals ein Bundesrat und Bundespräsident gewählt worden. Der neue Bundesstaat bezeichnete sich als „Helvetia“. Auf der Jakobinermütze wird die freiheitliche politische Ordnung darüber hinaus durch zwei gekreuzte Liktorenbündel als Symbol der antiken römischen Republik und durch eine weitere, sehr kleine Jakobinermütze gekennzeichnet. Der preußische König, der im April 1849 die ihm vom Frankfurter Paulskirchenparlament angebotene Kaiserkrone abgelehnt hatte, säubert vor allem Baden, wo zwar bereits 1848 ein von Gustav von Struve und Friedrich Hecker geführter republikanischer Aufstand niedergeschlagen worden war, die Republikaner aber im Frühjahr 1849 vorübergehend die liberale Regierung unter Großherzog Leopold absetzen konnten. Die norddeutschen Territorialherren – darunter König Friedrich August II. von Sachsen und König Ernst August von Hannover – suchen eilig den Schutz Preußens, während sich König Max II. von Bayern (karikiert als Bierkrug) und der württembergische König Wilhelm (als Kasperlefigur) desinteressiert bzw. erschreckt abwenden. In Frankfurt, wo vom 31. März bis 3. April 1848 585 Abgeordnete aus deutschen Landtagen zu einem Vorparlament zusammengetreten waren und die weitgehend demokratisch gewählte Nationalversammlung einen Grundrechtekatalog und eine Verfassung für einen kleindeutsch-monarchischen Verfassungsstaat ausgearbeitet hatte, hängt die zerfetzte schwarz-rot-gelbe Fahne an einer Vogelscheuche, die mit einem Tschako gekrönt ist. Der Kopf des getöteten Vogels hängt nach unten: Nachdem die Revolution in Preußen bereits im Dezember 1848 niedergeschlagen worden war, löste sich die Nationalversammlung in Frankfurt im Juni des darauffolgenden Jahres unter dem Druck der reaktionären Kräfte auf. Von dem Ort, auf den sich noch wenige Monate zuvor in ganz Mitteleuropa viele Hoffnungen gerichtet hatten, ist in dem Rundgemälde nur ein Symbol des Scheiterns geblieben.

In der österreichisch-ungarischen Monarchie, die hier als Soldat mit dem Doppeladler auf der Pickelhaube erscheint, hatte der Reichstag, der am 22. Juli 1848 von Erzherzog Johann feierlich eröffnet worden war, am 8. Oktober 1848 das Kriegsrecht über Ungarn verhängt. Zudem wurde die Auflösung des ungarischen Reichstages verfügt, der aber das Widerstandsrecht proklamierte und einen Landesverteidigungsausschuss unter Lajos Kossuth bildete. Allerdings konnte die schwache ungarische Streitmacht den Sieg gegenrevolutionärer Militärs in Wien im Oktober 1848 nicht verhindern, und nach ersten militärischen Erfolgen der Ungarn gegen die österreichische Armee unter Fürst Windischgrätz zeichnete sich die Niederlage im Sommer 1849 deutlich ab. Das Scheitern der Erhebung beschleunigte die Intervention russischer Truppen unter Feldmarschall Fürst Paskiewitsch, der im Rundgemälde durch seine Bärenfellmütze kenntlich ist. Auf Bitte des österreichischen Kaisers Franz Josef waren Ende Mai 1949 rund 200.000 russische Soldaten über die Pässe der Karpathen nach Ungarn vorgedrungen. Mit der Kapitulation am 11. August und dem Rücktritt Kossuths als Reichsverweser war die Unterwerfung Ungarns besiegelt. Auch in Prag war ein Aufstand im Juni 1848 von Windischgrätz schon nach drei Tagen niedergeschlagen worden. Die Karikatur verweist auf diese Ereignisse. Der österreichische Soldat setzt mit Unterstützung des russischen Kosaken zum Hieb auf den schutzlosen Ungar an, der deutlich kleiner als die ihn bedrohenden Vormächte erscheint.

In Frankreich hatte sich nach dem Rücktritt des Königs Louis Philippe nach einem Aufstand in Paris schon im Februar 1848 eine provisorische Regierung gebildet, deren Anhänger in der zwei Monate später gewählten Nationalversammlung die Mehrheit stellten. Nachdem im Juni 1848 eine Erhebung der Arbeiter und Gesellen, Kleinhandwerker und Ladenbesitzer von der Regierung niedergeschlagen worden war, verbannten die Militärgerichte mehr als 4.000 Aufständische. Am 8. November 1848 wurde in Frankreich schließlich eine neue republikanische Verfassung verabschiedet, die einen Präsidenten als Exekutivgewalt neben eine gesetzgebende Versammlung stellte. Aus den Präsidentenwahlen ging am 10. Dezember 1848 Louis Napoleon Bonaparte, der Neffe des früheren Kaisers, siegreich hervor, der in der Lithografie leicht durch seinen Hut und den Mantel zu identifizieren ist. Er fällt ebenso wie die Schlüsselfiguren der preußischen und österreichisch-ungarischen Monarchie durch seine Größe auf. Ebenso wie der preußische König ist Louis Napoleon mit einem Besen ausgestattet, mit dem er die Oppositionellen vertrieben hat. Der Besen ist direkt an der Grenze zur Schweiz abgestellt, um eine Flucht der französischen Revolutionäre in die Schweiz zu verhindern. In dem Rundgemälde verweist Louis Napoleon die Vertreter der mitteleuropäischen Reaktion auf die Flüchtlinge, die auf Schiffen nach Westen (offenbar Amerika) fahren. Damit wird auch auf das Scheitern eines Aufstandes radikaler Demokraten verwiesen, die im Juni 1849 einen Aufruf an die Nationalgarde und die Armee gerichtet hatten. Als daraufhin 36 Parlamentsabgeordneten ihr Mandat entzogen und das Vereinsrecht eingeschränkt wurde, mutierte Frankreich zur autoritären Republik. Obgleich sich die gesetzgebende Versammlung in den folgenden Jahren auf die Stabilisierung der neuen Ordnung beschränkte, löste sie Louis Napoleon Bonaparte am 2. Dezember 1851 auf. Im darauf folgenden Jahr konnte er schließlich als Napoleon III. ein plebiszitäres Kaisertum etablieren, mit dem die zweite französische Republik beendet war.

Genährt von Hunger und Arbeitslosigkeit, hatte sich in Italien im Kirchenstaat Papst Pius IX., im Königreich Neapel-Sizilien und in den nördlichen Herzogtümern eine revolutionäre Bewegung gebildet, die Anfang 1848 die päpstliche Herrschaft und Österreich offen herausforderte. Das Zentrum der Revolution bildete die Republik Venedig, deren Fahne in dem Rundgemälde abgebildet ist. Die Aufständischen, die auch von der nationalistischen Programmatik des „Jungen Italien“ Guiseppe Mazzinis mobilisiert worden waren, gerieten im Großherzogtum Toskana, im Königreich Sardinien-Piemont und in Lombardo-Venetien aber schnell in die Defensive, nachdem die österreichische Armee im Sommer 1848 Venetien und Mailand besetzt hatte. Im März 1849 wurde auch das Königreich Piemont-Sardinien endgültig von österreichischen Truppen besiegt. Außer Österreich intervenierte auch Frankreich in Italien, so dass hier die Reaktion durchweg die Oberhand gewann. Im April 1849 wurde die Revolution in Sizilien niedergeschlagen, und mit der Kapitulation der Republik Venedig vor den überlegenen österreichischen Truppen unter Feldmarschall Joseph Radetzky im August 1849 hatte sich die Restauration in ganz Italien gegen das Risorgimento durchgesetzt. Die durchgestrichene Flagge Venedigs symbolisiert in der Lithographie die Niederlage der Aufständischen, die soziale und politische Reformen gefordert hatten und für nationale Selbstbestimmung eingetreten waren.

Auch in Polen hatte das Licht der Freiheit nur kurz gestrahlt. Hier war ein Aufstandsversuch der Nationalbewegung im preußisch beherrschten Großherzogtum Posen schon im Februar 1846 gescheitert, und auch in Galizien, dem österreichischen Teilungsgebiet, konnte sich eine neu gebildete Nationalregierung nur wenige Tage halten. Das polnische Nationalkomitee, das sich im März 1848 in Berlin konstituiert hatte, einigte sich nicht auf eine einheitliche Politik gegenüber der Entscheidung der preußischen Regierung, die Provinz Posen in ein Gebiet für den künftigen deutschen Nationalstaat und ein Herzogtum Gnesen zu trennen. Ein bewaffneter Aufstand gegen den Teilungsplan scheiterte schließlich im Mai 1849. Die erloschene Kerze verdeutlicht in dem Rundgemälde das Scheitern der Freiheitsbewegung und die enttäuschte Hoffnung auf einen neuen polnischen Nationalstaat.

Dagegen wurde Dänemark durch die Schwäche der Revolutionäre begünstigt, wie der freudig hüpfende König (dargestellt als General mit Dreispitz) bildlich andeutet. Hier war schon am 28. Januar 1848 eine neue Verfassung angekündigt worden, die den Absolutismus beseitigte. Nach einer Protestdemonstration in Kopenhagen erklärte der neue dänische König Friedrich VII. sich im März 1848 zum konstitutionellen Monarchen. Damit war die politische Umwälzung in Dänemark beendet. Jedoch geriet das Königreich schnell in den Strudel der Revolution, die sich in den Staaten des Deutschen Bundes vollzog. Hier hatte die Nationalbewegung im Vormärz eine gemeinsame Verfassung für die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein verlangt und die Einrichtung von Behörden gefordert, die nicht der Kontrolle der dänischen Regierung unterstanden. Anfang 1848 betonte Friedrich VII. demgegenüber seine Entschlossenheit, Schleswig, das ebenfalls von der deutschen Nationalbewegung beansprucht wurde, in seinen Staat einzugliedern. In der Paulskirchenversammlung wurde die Annexion Schleswigs sogar von einzelnen Abgeordneten – vor allem dem Historiker und Staatswissenschaftler Friedrich Christoph Dahlmann – zu einem Testfall und Ausdruck der nationalen Einigung Deutschlands stilisiert. Die preußische Regierung setzte sich aber über den Anspruch der Nationalversammlung, Entscheidungen über Schleswig zu fällen, ohne Beteiligung des Reichsverwesers hinweg und schloss am 26. August 1848 in Malmö einen neuen Waffenstillstand mit Dänemark ab. Nach dem Vertrag hatten beide Staaten die Herzogtümer zu räumen. Damit musste auch die provisorische Regierung in Kiel aufgelöst werden. Obgleich die Nationalversammlung am 3. September 1848 gegen das Vorgehen Preußens protestierte, war die Schwäche der Provisorischen Staatsgewalt zu offenkundig, um außenpolitische Ansprüche durchsetzen zu können. Im Juli 1849 musste die Belagerung der Festung Friedericia aufgehoben werden. Im Friedensvertrag vom 2. Juli 1850 gewann Dänemark schließlich sogar offiziell die Herrschaft über Schleswig und Holstein zurück

Die englische Königin Victoria war nicht direkt von der Revolution betroffen. In der Karikatur beobachtet sie lediglich die revolutionären Ereignisse. Ihr Wagen, den Merkur als Kutscher lenkt, wird von Löwe und Einhorn gezogen. Der Löwe, dessen Kopf mit einer Perücke bedeckt ist, streckt dem europäischen Kontinent seine Zunge entgegen. Der Kutscher trägt in der Hand als Peitsche den Merkurstab mit seinem verschlungenen Ende und auf seinem Kopf einen Flügelhut. Damit sollten die 1846 durchgesetzte Freihandelspolitik und der forcierte Imperialismus symbolisiert werden. Ein Kind in den Armen, wendet sich die englische Königin von den bettelnden Iren ab, von denen seit 1845/46 rund eine Million Menschen (ein Achtel der Bevölkerung) verhungert waren. Im Rundgemälde halten die drei dünnen Iren ihre Hüte der Königin entgegen, die sie um Hilfe und Almosen bitten. Während 1848 in Irland ein Aufstand brutal niedergeschlagen wurde, löste die seit 1838 gewachsene Chartistenbewegung in England nur vereinzelt Proteste aus. Hier hatte schon 1832 eine Parlamentsreform, der eine Protestwelle der städtischen Bevölkerung voranging, die adlige Vorherrschaft eingeschränkt. Die Zahl der Wahlberechtigten erhöhte sich von etwa 500.000 auf rund 813.000 (13 Prozent der volljährigen Männer). Die Reform Bill stärkte auch die politischen Kompetenzen des Unterhauses, auf dessen Mehrheit sich seit 1841 alle Premierminister stützten. Mit der Durchsetzung von Reformpolitik und Parlamentsherrschaft hatten die Regierungen schon in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts wichtige Forderungen bürgerlicher Gruppen aufgenommen. Trotz der anhaltenden Unzufriedenheit der Unterschichten waren politische Probleme in England so weitgehend entschärft worden, dass revolutionäre Unruhen ausblieben.

Auch in den Niederlanden hatten politische Reformen einer Revolution die Grundlage entzogen. Hier hatte die Sezession der südlichen Gebiete und die darauf folgende Bildung des Königreichs Belgien 1830/31 beträchtlichen politischen Sprengstoff hinterlassen, der in dem „Rundgemälde von Europa im August 1849“ mit dem Pulverfass allegorisch gefasst wird. Aber auch die Finanznot des Staates, die schlechte soziale Lage breiter Bevölkerungsschichten und Konflikte zwischen Katholiken, Protestanten und Altreformierten verliehen Reformforderungen Auftrieb, die vor allem von dem Leidener Professor Jan Rudolf Thorbecke öffentlich vertreten wurden. Als die revolutionären Erhebungen in Deutschland und Frankreich bereits die monarchische Herrschaft bedrohten, ließ der König in den Niederlanden Reformen zu, die zur Verabschiedung einer Verfassung mit Grundrechtsgarantien und einem Zwei-Kammer-System führten. Die Niederlande wurden damit zu einer konstitutionellen Monarchie auf föderativer Grundlage.

Gemessen an den Zielen ihrer Träger, scheiterten die Revolutionen von 1848 trotz Teilerfolgen überall in Europa. Jedoch war damit keineswegs die Hoffnung auf politische Reformen und einen nachhaltigen gesellschaftlichen Aufbruch erloschen, der in der Revolution bereits in ganz Europa erlebt worden war. 1848 hatten Bürger in unterschiedlichen europäischen Staaten und Regionen gegen die Herrschenden mehr politische Partizipation, gesellschaftliche Gleichstellung und die Sicherung ihrer Rechte durchgesetzt. Zudem war mit der grenzüberschreitenden Erhebung ein europäischer Kommunikationsraum entstanden. Dieser Prozess der Europäisierung brach mit dem Scheitern der Revolution keineswegs vollständig ab, denn auch die Gegenrevolution vollzog sich nicht nur in einzelnen National- und Territorialstaaten und Regionen, sondern auch in einem gesamteuropäischen Beziehungsgeflecht. So ist in der Historiografie zur deutschen Revolution hervorgehoben worden, dass die Beratungen der Paulskirchenversammlung von der Niederschlagung der Aufstände in Paris und Prag im Juni 1848 ebenso nachhaltig geprägt und überschattet wurden wie vom Konflikt um Schleswig-Holstein und den Friedensvertrag von Malmö. Inwiefern aber war die Unterdrückung der Revolution in Europa miteinander verflochten? Wie wirkte die Reaktion in einzelnen europäischen Staaten und Regionen auf die Akteure in anderen Gebieten Europas zurück? Inwieweit trug auch die Gegenrevolution zur Europäisierung bei? Auf diese Fragen zur Vergleichs- und Verflechtungsgeschichte der europäischen Gegenrevolution, die von der historischen Forschung bislang kaum erörtert worden sind, verweist das „Rundgemälde von Europa im August 1849“. Hier wird ein nahezu gesamteuropäisches Panorama der Reaktion und ihrer Protagonisten entfaltet, die auf der Karte als Gegner der Revolutionäre dargestellt werden. Die größten Figuren kennzeichneten in dem Rundgemälde jeweils die gegenrevolutionären Kräfte, deren enge Zusammenarbeit angedeutet wird. Vor allem aber die Karte verdeutlicht die Reaktion in ihrer gesamteuropäischen Dimension, die in historisch-vergleichender und beziehungsgeschichtlicher Perspektive noch umfassend untersucht werden muss. Im Sommer 1849 konnte sich eine polemische Bildpublizistik noch entfalten – die beginnende Unterdrückung ist in der Lithografie Ferdinand Schröders aber bereits erkennbar.



[1] Essay zur Quelle Nr. 3.2, Ferdinand Schröder: Rundgemälde von Europa im August 1849.

[2] Kaelble, Hartmut, Wege zur Demokratie. Von der Französischen Revolution zur Europäischen Union, Stuttgart 2001, S. 38-41.

[3] Vgl. ebd., S. 39.

[4] Vgl. Quelle Nr. 3.2.

 


Literaturhinweise:
  • Botzenhart, Manfred, 1848/49. Europa im Umbruch, Paderborn 1998
  • Hardtwig, Wolfgang (Hg.), Revolution in Deutschland und Europa 1848/49, Göttingen 1998
  • Langewiesche Dieter (Hg.), Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte. Ergebnisse und Nachwirkungen, München 2000
  • Mommsen, Wolfgang J., 1848. Die ungewollte Revolution. Die revolutionären Bewegungen in Europa 1830-1849, Frankfurt am Main 1998
  • Pfister, Christian, Besen und Tarnkappe. Ferdinand Schröders Rundgemälde von Europa im August 1849, in: Bietenhard, Benedikt u.a. (Hg.), Ansichten von der rechten Ordnung. Bilder über Normen und Normenverletzungen in der Geschichte, Festschrift Beatrix Mesmer, Bern 1991, S. 143-156

 Schröder, Ferdinand: Rundgemälde von Europa im August MDCCCXLIX (1849)[1]

 



[1] Düsseldorfer Monatshefte, 1849. Unter dem Titel „'Rundgemälde von Europa im August MDCCCXLIX' – Karikatur auf die Niederlage der Revolution“ abgedruckt in: Idee Europa. Entwürfe zum ‚Ewigen Frieden’. Ordnungen und Utopien für die Gestaltung Europas von der pax romana zur Europäischen Union, hg. von Marie-Louise von Plessen, Berlin 2003, S. 199. Weiter ist die Lithografie u.a. abgedruckt in: 1848. Das Europa der Bilder. Der Völker Frühling, Nürnberg 1998, S. 52.

 


Die Druckversion des Essays findet sich in Hohls, Rüdiger; Schröder, Iris; Siegrist, Hannes (Hg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005.
Für das Themenportal verfasst von

Arnd Bauerkämper

( 2006 )
Zitation
Arnd Bauerkämper, Die Revolution von 1848/49. Gemeinsames Erleben und Scheitern in Europa?, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2006, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1313>.
Navigation