Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg.

Das Bild vom Beginn des Ersten Weltkriegs war lange von der Vorstellung einer allgemeinen Kriegsbegeisterung geprägt. Dass die Völker Europas den Ausbruch des großen Krieges in einem Taumel nationalistischer Begeisterung freudig begrüßten, ist von der Forschung inzwischen als Mythos entlarvt worden. Die einflussreiche Vorstellung von der allgemeinen Kriegsbegeisterung war freilich keine späte Mythologisierung, sondern hatte ihren Ursprung in den Augusttagen selbst.[...]

Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg[1]

Von Oliver Janz

Das Bild vom Beginn des Ersten Weltkriegs war lange von der Vorstellung einer allgemeinen Kriegsbegeisterung geprägt. Dass die Völker Europas den Ausbruch des großen Krieges in einem Taumel nationalistischer Begeisterung freudig begrüßten, ist von der Forschung inzwischen als Mythos entlarvt worden.[2]Die einflussreiche Vorstellung von der allgemeinen Kriegsbegeisterung war freilich keine späte Mythologisierung, sondern hatte ihren Ursprung in den Augusttagen selbst. Sie verdankte sich einer publizistisch-medialen Repräsentation der Ereignisse, die eine der Reaktionen auf den Krieg überzeichnete und verallgemeinerte. Sie war ein Bestandteil der überall einsetzenden ‚geistigen Mobilmachung’ und eines sich rasch entwickelnden Konglomerats kriegsnationalistischer Mythen und Motive, die im öffentlichen Diskurs bald weitgehende Deutungshoheit erlangten und von den Intellektuellen der beteiligten Ländern in den folgenden Wochen und Monaten zu mehr oder weniger geschlossenen Kriegsideologien wie etwa den deutschen ‚Ideen von 1914’ verfestigt wurden.[3]Zentral war überall die Vorstellung, der Krieg sei dem eigenen Land aufgezwungen worden, ein Motiv, das es auch oppositionellen politischen Kräften wie den sozialistischen Arbeiterparteien erleichterte, ‚Burgfrieden’ zu schließen und sich in die ‚union sacrée’ einzureihen. Dies war die Basis für eine überbordende Rhetorik der nationalen Eintracht und klassenübergreifenden Solidarität und die Projektion innerer Spannungen und gesellschaftlicher Defizite auf den äußeren Gegner. Vor allem in diesem Kontext wurde auf die vermeintlich allgemeine Kriegsbegeisterung verwiesen, auf die Reibungslosigkeit der Mobilisierung und die große Zahl der Kriegsfreiwilligen, die sich vor allem in Deutschland und England zu den Waffen meldeten, galt all das doch als Unterpfand der neu gewonnenen nationalen Einheit. Die propagandistische Verteufelung des Feindes ging meist einher mit einer ideologischen Aufladung des Krieges, seiner Überhöhung zum Kreuzzug gegen den preußisch-deutschen Militarismus oder die politische Kultur und Zivilisation des Westens im Namen von Volksgemeinschaft und deutscher Ordnung. Dies war oft durchdrungen von einer Semantik der sozialen, politischen und spirituellen Erneuerung, die nicht selten religiöse Züge annahm.

Die Briefe der Soldaten aus dem Feld, die bald in großer Zahl in der Tagespresse, in Zeitschriften und Anthologien publiziert wurden, spielten in allen beteiligten Ländern für die propagandistische Mobilisierung und die Diffusion idealisierter und ideologisch überhöhter Bilder vom Krieg von Anfang an eine wichtige Rolle.[4]Dies gilt vor allem für die Feldpostbriefe junger Männer aus den bürgerlichen Mittelschichten, aus denen sich die im Krieg rasch wachsende Zahl der Reserveoffiziere in den unteren Diensträngen rekrutierte. Bei diesen Frontsoldaten aus den Bildungsschichten, die sich oft von der Schulbank oder aus den Hörsälen freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hatten, lässt sich zumindest in der Anfangsphase fast überall eine erhebliche Bereitschaft zum Krieg und seiner mythologischen Überhöhung erkennen. Sie stammten nicht nur aus den Trägerschichten eines über Jahrzehnte hinweg in Elternhaus und Schule, in Vereinen und patriotischen Feiern kultivierten Nationalismus, der zuletzt immer radikalere Züge angenommen hatte. Diese Generation war auch stark geprägt vom Zeitgeist der Vorkriegsjahre mit ihren in ganz Europa grassierenden antipositivistischen und antimaterialistischen, irrationalistischen und lebensphilosophischen Strömungen, ihrer Suche nach Lebensreform und religiöser und spiritueller Erneuerung, die nun mit einem Schlag auf den Krieg als die große Gelegenheit zur Katharsis und Reinigung projiziert wurden. So wurde der Krieg in ihren Briefen vielfach als willkommener Ausbruch aus den Zwängen einer in bürgerlichen Konventionen erstarrten Welt, einer zunehmend bürokratisierten und durchrationalisierten Leistungsgesellschaft dargestellt, oft aber auch einfach als Abenteuer und Gelegenheit zur Mannwerdung, zumal die Autoren oft noch die Schulbank gedrückt und im bürgerlichen Leben noch nicht Fuß gefasst hatten.

Besonderer Beliebtheit erfreuten sich solche Briefe, wenn sie aus der Feder von Gefallenen stammten, weil ihr Bekenntnis zu Krieg und Nation als Vermächtnis der Toten präsentiert werden konnte und sie sich besonders gut dazu eigneten, die idealistische Kriegsbegeisterung der jungen Bürgersöhne, die zunehmend als ‚Generation von 1914’ idealisiert wurden, auf Dauer zu stellen. Bekräftigt wurde durch solche Briefe, die als volkspädagogische Testamente instrumentalisiert wurden und die Erinnerung an den Krieg nachhaltig prägten, vor allem die Ideologie des patriotischen Opfertodes, ein konstitutives Element des Nationalismus, der im Krieg wegen seiner zivilreligiösen Poten­tiale zentralen Stellenwert erlangte. Sie erlangte hier besondere Legitimationskraft, sprachen die Toten doch mit der unhintergehbaren Autorität der Betroffenen, die ihrem Tod selbst die Deutung einschrieben.

In Italien sind schon während des Krieges Tausende von Gedenkschriften für einzelne Gefallene aus den Mittel- und Oberschichten erschienen.[5]Diese Publikationen wurden meist von den Angehörigen oder Freunden und Kameraden der Gefallenen herausgegeben oder Vereinen und Institutionen, denen sie angehört hatten. Sie enthielten neben vielen anderen Materialien wie Nachrufen und Reden, Kondolenzbriefen und Ordensurkunden fast immer auch Feldpostbriefe oder Kriegstagebücher der Gefallenen, manchmal nur in kurzen Auszügen, oft aber auch in vollständiger Form. So dokumentieren diese Schriften nicht nur auf einzigartige Weise die Verarbeitung des Kriegstodes durch die Hinterbliebenen und ihr Umfeld, sondern auch den vielleicht größten nationalen Bestand an gedruckten Feldpostbriefen, der für den Ersten Weltkrieg vorliegt. Der Kontext der Trauerschriften, in dem diese Zeugnisse bürgerlicher Kriegsteilnehmer publiziert wurden, war sehr spezifisch, denn in keinem anderen Land finden wir solche Gedenkpublikation in ähnlichem Ausmaß. Doch inhaltlich ähneln die italienischen Gefallenenbriefe, die in Quelle Nr. 6.6 in kurzen Auszügen präsentiert werden, in vielem ihren Pendants in anderen europäischen Ländern, etwa den Kriegsbriefen gefallener Studenten, wie sie in deutschen Anthologien publiziert wurden, allen voran den Dokumenten, die wir in der bekannten Briefsammlung von Witkop finden.[6]

Die Briefe der Gefallenen sind durchzogen von einer religiös aufgeladenen Sprache der Opferbereitschaft und der Pflichterfüllung. Sie verbindet sich mit wechselnden Idealen, wie Nation und Familie, Freiheit und Gerechtigkeit, Kultur und Zivilisation, die in den Rang letzter innerweltliche Werte erhoben werden und den Krieg zum Kreuzzug überhöhen. Entscheidend ist jedoch meist nicht, wofür das Opfer gebracht wird, sondern die sittliche Qualität der Selbstüberwindung des Einzelnen im Namen eines Glaubens. Sie verbürgt Transzendenz und rückt den Kriegstod in die Nähe des christlichen Märtyrertods. Der Krieg ist Opfergang. Die formale Matrix des freiwilligen Opfers ist in vielen Briefen auch die Brücke, die eine Verbindung zwischen zivilreligiösen und christlichen Deutungen von Krieg und Tod erlaubt. Auch im engeren Sinne kirchlich geprägte Autoren, die eine Minderheit darstellen, betonen meist die besondere Qualität des Kriegstods als Opfer und trösten sich und ihre Angehörigen mit der dadurch erlangten Gewissheit des ewigen Lebens.

Die Gefallenen stilisieren sich selbst zu Märtyrern und Mustern patriotischer Pflichterfüllung. Dies prädestiniert die öffentliche Verwendung dieser Briefe, die von den Hinterbliebenen als Tröstungen aus dem Jenseits eingesetzt werden. Die Briefe enthalten jedoch oft auch einen Appell an die Angehörigen. Dem patriotischen Opfertod soll eine patriotische Trauer entsprechen. Das Tröstungsangebot, das die Gefallenen machen, indem sie ihren Tod als Opfer überhöhen, muss von den Trauernden angenommen werden, wenn sie sich der Toten und ihrer sozialen Vorbildrolle würdig erweisen wollen. So werden die Schriften durch die Briefe der Gefallenen zu einer besonders effektiven Form weitgehend selbst organisierter Kriegspropaganda, mit der die Ideologie des patriotischen Opfertodes von den Betroffenen selbst in den bürgerlichen Mittelschichten weiter verbreitet und bekräftigt wird.

Weit verbreitet ist in den Briefen daneben wie in ihren deutschen Pendants die Semantik der Erneuerung und Katharsis. Die Bereitschaft zum Opfertod steht für die Abkehr vom Individualismus und Materialismus der Vorkriegszeit, für das Bekenntnis zu einer anderen gesellschaftlichen Ordnung und politischen Kultur. Oft wird der Hauptfeind daher nicht im äußeren Gegner gesucht, sondern im Inneren, in der inneren Schwäche und Zerrissenheit der spät geeinten Nation, die in den erbitterten Auseinandersetzungen über den Kriegseintritt noch einmal besonders deutlich zutrage getreten waren. Meist geht es in den Briefen jedoch primär um die eigene innere Reinigung und Erneuerung. Dabei spielte nicht nur die Nähe zum Tod eine Rolle, die oft als existentielle Steigerung des Lebens erfahren wurde, wobei der Schützengraben oft als Gegenwelt zur Monotonie und Oberflächlichkeit des bürgerlichen Alltags mit seinen Zwängen und Konventionen stilisiert wurde. Der Krieg wurde von den jungen Männern aus dem Bürgertum, die nun meist im Schnellverfahren in die Offiziersränge einrückten, auch fast immer als Befreiung von familiärer Kontrolle und innere Reifung erlebt. Der Eintritt in die klar gegliederte Männergesellschaft an der Front, die Übernahme von Kommandofunktionen und die damit verbundene Verantwortung und soziale Anerkennung erscheint in den Briefen oft als Erlösung von drückenden Sinnkrisen. So erweist sich die Rhetorik der Pflichterfüllung in vielen Fällen jenseits aller ideologischen Deutungen und Sinnstiftungen des Krieges oft als Chiffre der Mannwerdung und einer durchweg positiv erlebten neuen Rollenzuweisung.

Eine Rolle spielt auch, dass die jungen Männer aus dem städtischen Bürgertum an der Front nun zum ersten Mal in nähere Berührung mit den Unterschichten kamen, die das Gros der Infanteriesoldaten stellten. Das Leben mit ihnen wird häufig als Erweiterung des Horizonts und als Bereicherung erlebt. In ihren Soldaten entdecken die jungen Offiziere nun das einfache Volk und seine Tugenden, die oft romantisch verklärt werden. Die ganz unideologische Solidarität zwischen den Soldaten, die auf der Ebene der untersten militärischen Kampfeinheit im Schützengraben meist herrschte, wird überdies wie in Deutschland auch häufig als egalitäre Gegenwelt zur bürgerlichen Gesellschaft mit ihren ausgeprägten sozialen Unterschieden und symbolischen Distinktionen erlebt und oft als Kern und Vorstufe einer neuen klassenübergreifenden nationalen Ordnung überhöht. In diesem Laboratorium des neuen Italien weisen sich die jungen Offiziere selbst jedoch in aller Regel eine herausgehobene Rolle zu. Sie wollen nicht nur befehlen, sondern ihre Soldaten, die oft ländliche Analphabeten waren, auch zu Nationalbewusstsein und Opferbereitschaft erziehen. Diese in den Briefen und Kriegserinnerungen der Offiziere mythisch überhöhte Gemeinschaft des Schützengrabens ist in der Nachkriegszeit im Umkreis der Veteranenbewegung und des frühen Faschismus dann zur Blaupause einer militärisch formierten Gesellschaft unter dem Kommando der neuen Aristokratie der Frontkämpfer geworden.



[1] Essay zur Quelle Nr. 6.6, Auszüge aus Briefen italienischer Gefallener des Ersten Weltkriegs.

[2] Vgl. Becker, Jean-Jacques, 1914: Comment les Français sont entrés dans la guerre, Paris 1977; Ziemann, Benjamin, Front und Heimat: Ländliche Kriegserfahrungen im südlichen Bayern 1914-1923, Essen 1997; Verhey, Jeffrey, The spirit of 1914: Militarism, myth and mobilization, Cambridge 2000; Kruse, Wolfgang, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: Ders. (Hg.), Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt am Main 1997, S. 159-166.

[3] Vgl. Raithel, Thomas, Das „Wunder“ der inneren Einheit. Studien zur deutschen und französischen Öffentlichkeit bei Beginn des Ersten Weltkriegs, Bonn 1996; Müller, Sven Oliver, Die Nation als Waffe und Vorstellung. Nationalismus in Deutschland und Großbritannien im Ersten Weltkrieg, Göttingen 2002; Stromberg, Roland N., Redemption by war. The intellectuals and 1914, Lawrence 1982; Verhey, Jeffrey, Krieg und nationale Identität, in: Kruse (wie Anm. 2), S. 167-176.

[4] Vgl. z.B. Ulrich, Bernd, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997; Reimann, Aribert, Der Große Krieg der Sprachen. Untersuchungen zur historischen Semantik in Deutschland und England zur Zeit des Ersten Weltkriegs, Essen 2000.

[5] Vgl. Janz, Oliver, Zwischen privater Trauer und öffentlichem Gedenken. Der bürgerliche Gefallenenkult in Italien während des Ersten Weltkriegs, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 554-573; Dolci, Fabrizio; Janz, Oliver (Hg.), Non omnis moriar. Gli opuscoli di necrologio per i caduti italiani nella grande guerra. Bibliografia analitica, Rom 2003.

[6] Vgl. Witkop, Philipp (Hg.), Kriegsbriefe deutscher Studenten, Gotha 1916 (zahlreiche weitere erweiterte Ausgaben zwischen 1918 und 1930); Hettling, Manfred; Jeismann, Michael, Der Weltkrieg als Epos. Philip Witkops "Kriegsbriefe gefallener Studenten", in: Hirschfeld, Gerhard (Hg.), "Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch". Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993, S. 175-198. Einen bibliografischen Überblick über die deutschen Kriegsbriefsammlungen gibt Ulrich (wie Anm. 4), S. 315-320.

 


Literaturhinweise:
  • Janz, Oliver, Zwischen privater Trauer und öffentlichem Gedenken. Der bürgerliche Gefallenenkult in Italien während des Ersten Weltkriegs, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 554-573
  • Kruse, Wolfgang, Kriegsbegeisterung? Zur Massenstimmung bei Kriegsbeginn, in: Ders. (Hg.), Eine Welt von Feinden. Der große Krieg 1914-1918, Frankfurt am Main 1997, S. 159-166
  • Omodeo, Adolfo, Momenti della vita di guerra. Dai diari e dalle lettere dei caduti 1915-1918, Turin 1968
  • Ulrich, Bernd, Die Augenzeugen. Deutsche Feldpostbriefe in Kriegs- und Nachkriegszeit 1914-1933, Essen 1997
  • Verhey, Jeffrey, The spirit of 1914: Militarism, myth and mobilization, Cambridge 2000 (deutsch: Der „Geist von 1914“ und die Erfindung der Volksgemeinschaft, Hamburg 2000)

Briefe italienischer Gefallener des Ersten Weltkriegs (Auszüge, 1916-1919) [1]

„Wenn ihr an euren geliebten Sohn denkt und weint, so tröste euch der Gedanke, dass ich tapfer und heiter für die Ehre und Größe unseres lieben Vaterlandes in den Tod gegangen bin. Ich sterbe beseelt von der edlen und großherzigen Gesinnung, die ihr in mir wachgerufen habt, und ich erwarte und fordere von euch ebenso viel Seelenstärke, wenn ihr die schmerzhafte Nachricht erhaltet.“ [2]

„Ich habe in meinen Leben immer versucht, mit aller Kraft den Weg der Tugend und Pflicht zu verfolgen. Ich hatte immer die edelsten und reinsten Ideale der Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Jetzt bereite ich mich auf die harte Probe vor mit der Heiterkeit der Tapferen und der Ruhe derjenigen, die an ein besseres Leben glauben, eine Welt, in der immer das Gute siegt, wo wir endlich alles menschliche Elend hinter uns lassen und auf die höchsten Gipfel steigen können, wo alles Licht und Liebe ist und wir endlich jenes Glück finden, das wir hier unten vergeblich suchen. [...] Ich gebe mein junges Leben gerne und hoffe, dass mein Blutopfer auf dem Altar des geliebten Vaterlandes zusammen mit dem tausender anderer Märtyrer zu siegreichen Beendigung des heiligen Krieges und zur nationalen Erlösung beiträgt.“ [3]

„Wenn Gott beschlossen hat, daß ich auf dem Schlachtfeld fallen soll, so füge ich mich in seinen Willen. Ich fürchte den Tod nicht, denn er bringt mich dem, wofür ich geschaffen bin, näher. Wenn ich während meines Lebens kein Heiliger war, so habe ich mir doch nicht viel vorzuwerfen. Ich hoffe daher, daß Gott mich für das Opfer meines Lebens mit ewigem Lohn bedenken wird. Weint also nicht um mich.“ [4]

„Besser der Mittag kommt nicht, wenn er schlechter ist als der Morgen. Segnet den Krieg, meine Lieben. Ohne ihn wäre ich vielleicht krank an Geist und Körper geworden. Er hat mich zerstört, aber auch gereinigt, wie das Feuer, und mein Ende, das nun naht, mit Licht umkrönt.“ [5]

„Zwanzig Tage Schützengraben […], zwanzig Tage im Schlamm [...], ständige Opfer und große Ehre! Denn wenn wir zurückkommen, fühlen wir Stolz. In unseren verdreckten Kleidern sehen wir nicht das Gegenteil von Sauberkeit und Hygiene, denn es ist eben dieser Schmutz, der unsere Seelen reinigt und uns die Nutzlosigkeit all der dummen Dinge lehrt, ohne die ein moderner Mensch nicht auskommt! [...] Ich trauere den Tagen im Schützengraben nach, wo wir uns alle wie Brüder gefühlt haben. [...] In jenem Schlamm, der uns äußerlich alle gleich machte, stellte sich auch innerlich ein Gleichklang der Herzen und Seelen her. Der Schlamm ließ alle Unterschiede des Ranges und des Alters verschwinden. Wir waren alle ein einziger von Liebe zu Vaterland und Familie erfüllter Körper.“ [6]

„Die lange Zeit an der Front hat mich völlig verändert und mich restlos von all den konventionellen Fesseln der dummen Etikette befreit, die unsere verdorbene Gesellschaft zusammenhält. Ich bin nicht mehr der elegante kleine Student, der gepudert auf Bälle geht. [...] Ich bin Soldat und meine Liebe gilt dem Vaterland. In seinem Namen habe ich den Tod tausendmal herausgefordert, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich kann den Anblick zerfetzter menschlicher Körper, die in Verwesung übergegangen und voller Würmer sind, mit einem Lächeln auf den Lippen ertragen und bin bereit, morgen das gleiche Schicksal zu erleiden, wenn es der Verteidigung des Vaterlandes dient. [...] Wer dem Vaterland dienen kann und es aus persönlichen, egoistischen und materiellen Interessen heraus nicht tut, nur wegen der Angst, jenen Körper zu lassen, der sich schon nach wenigen Stunden in eine stinkende Leiche verwandelt, ist ein elender Feigling. Für diese Leute habe ich nur unversöhnlichen Hass.“ [7]

„Ich bin inzwischen wie ein Morphiumsüchtiger. So wie dieser nicht ohne seine Droge leben kann, die ihn dem Grab immer näher bringt, so könnte ich nicht von heute auf morgen das liebe Getöse hier verlassen, diesen ständigen Donner der Geschütze, das Knattern und Rollen der Maschinengewehre. [...] Was könnte schöner sein als sechzig Männer unter deinem Befehl zu haben, sechzig Männer, die dich lieben, die dich bewundern, sechzig Männer, die du durch Wort und Vorbild überzeugt und denen du beigebracht hast, den Tod zu verachten. [...] Als ich ihnen jene kurzen Befehle gab, die dem Angriff vorangehen [...], wurden sie erst blass und schwankten, aber dann sahen sie, wie ich in aller Ruhe mit einer Zigarette im Mundwinkel den Revolver lud. Und dabei hatten sie erst wenige Tage zuvor gesehen, wie ich mich beim Abschied den Armen meiner weinenden Mutter entwunden habe.“ [8]

„In diesen Momenten, in denen man zwischen Leben und Tod schwebt, im Donner der Geschütze, wird man zum Mann. Hier wird man gut. Seele und Herz reinigen sich von allen bösen Gedanken. Hier werden schmerzliche Erinnerungen wach, kommen Reue und gute Vorsätze. Glaube mir, nie zuvor ist mir die Welt so schön, mein Leben so nützlich erschienen.“[9]

„Das Leben ist Opfer, der Krieg ist Leben, also Opfer. Doch der Krieg bringt Tod und Tod ist Befreiung. Der Krieg ist daher Opfer und Befreiung zugleich. Wenn Du heil aus dem Krieg zurückkehrst, hast Du nicht genug gelitten, um der Glückseligkeit würdig zu sein.“ [10]

 


[1] Übersetzung aus dem Italienischen durch Oliver Janz.

[2] Amilcare Bardi, capitano di fanteria, eroicamente caduto sul campo dell’onore a soli 23 anni il 12 giugno 1916, Turin 1916, S. 12.

[3] In memoria di Antonio Belloni, tenente di fanteria, Padua 1917, S. 7.

[4] In memoria del sottotenente Pietro Grazioli, Mailand 1918, S. 7f.

[5] In memoria del conte dott. Annibale Calini, ferito mortalmente il 10 settembre 1916 sull’Alpe Cosmagnon, Bergamo 1917, S. 7.

[6] In memoriam Giuseppe Berri, Florenz 1916, S. 13ff.

[7] Stato di servizio, bozzetti di guerra e lettere del tenente Amar sig. Cesare, deceduto alla fronte l’8 ottobre 1918, Alessandria 1919, S. 25.

[8] In memoria del sottotenente Leopoldo Aguiari, Ferrara 1917, S. 15ff.

[9] In memoria del sottotenente Agostinucci Domenico, Città di Castello 1916, S. 20.

[10] In memoria del tenente Pietro Bartoletti, Cesena 1919, S. 13f.

 


Die Druckversion des Essays findet sich in Hohls, Rüdiger; Schröder, Iris; Siegrist, Hannes (Hg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005.
Für das Themenportal verfasst von

Oliver Janz

( 2007 )
Zitation
Oliver Janz, Der Krieg als Opfergang und Katharsis. Gefallenenbriefe aus dem Ersten Weltkrieg, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1333>.
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