¡Kultur! – kurze Überlegungen zu einem Plakat aus dem Spanischen Bürgerkrieg[1]
Von Martin Baumeister
Ein Hakenkreuz – blutrot umrandet, vor einem braun gefärbten Hintergrund, auf dem Flugzeuge und aufquellende Rauchwolken zu sehen sind, darüber in großen, grell roten Lettern das deutsche Wort „Kultur“, eingerahmt von zwei spanischen Ausrufungszeichen. In das Hakenkreuz hinein montiert ist eine Folge von elf Fotografien, Bilder von Leichen und zerstörten Gebäuden. Unter der Überschrift „Fascist barbarism in Madrid“ finden sich Erläuterungen, die beschreiben und zugleich anklagen: „The fascist bombs chiefly aim at children; here is a poor child among other corpses shattered by the bombs.“
Dies beschreibt in wenigen Sätzen ein Plakat aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs, das den im Herbst 1936 einsetzenden Luftangriffen auf das republikanische Madrid gewidmet ist. Als Auftraggeber des Plakats zeichnet die Propagandaabteilung der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft Confederación Nacional del Trabajo (CNT) in Valencia, seit November 1936 Sitz der vor den anrückenden aufständischen Truppen geflohenen republikanischen Regierung. Das Plakat war konzipiert für eine internationale Öffentlichkeit: Neben einer spanischen Fassung sind die hier erwähnte englische sowie eine französische, eine deutsche und eine schwedische Version überliefert, alle versehen mit der balkenartigen deutsch-spanischen Titelzeile „¡Kultur!“.
Der Titel schlug einen Bogen von mehr als zwei Jahrzehnten zurück in die Vergangenheit. Der Plakatkünstler brachte die Ereignisse im Spanien der 1930er-Jahre in unmittelbare Verbindung mit einer der größten Propagandaschlachten der neueren Kriegsgeschichte. Im Sommer 1914 war anlässlich des deutschen Einmarschs in Belgien und Nordfrankreich ein heftiger Streit um die sog. „German atrocities“ bzw. „atrocités allemandes“ entbrannt. Es zirkulierten blutrünstige Geschichten und Bilder von bestialisch ermordeten Kindern und Frauen, abgehackten Händen und gekreuzigten Soldaten, ausgelöschten Dörfern und zerstörten Kathedralen, die eine internationale Öffentlichkeit in große Erregung versetzten. Die „Gräuelgeschichten“ hatten einen realen, bitter ernsten Kern, die Gewaltexzesse deutscher Truppen bei der Invasion im Westen.[2] In übersteigerter, überzeichneter Form wurden sie in zahllosen Zeitungsberichten, Karikaturen und Plakaten zu einem der effektivsten Katalysatoren bei der Herausbildung eines offiziellen Feindbildes der Alliierten. Es kulminierte in der Gegenüberstellung zweier absolut konträrer Wertesysteme: im Gegensatzpaar der „deutschen Kultur“ auf der einen, der westlichen Zivilisation und Humanität auf der anderen Seite. „La Kultur allemande“, „German culture“ war zur Kurzformel für ein perverses politisch-kulturelles Vormachtstreben des Deutschen Reichs und damit zum Inbegriff eines verabscheuenswerten Feindes geworden. „Kultur“ wurde mit „Barbarei“ gleichgesetzt. Die krampfhaften Bemühungen namhafter Repräsentanten des deutschen Geisteslebens, im Ersten Weltkrieg den Vorrang der wahren „deutschen Kultur“ gegenüber der flachen, materialistischen Zivilisation der Westmächte einzufordern und die Überlegenheit der „Ideen von 1914“ über die „Ideen von 1789“ zu beweisen, bestätigten und verfestigten dieses Muster nur noch mehr. In der Deutung beider Parteien erhielt der industrialisierte Massenkrieg, der alle überkommenen Vorstellungen von Kampf und Heldentum radikal in Frage stellte, den Charakter eines Kreuzzuges.[3]
Auch die Gewalttaten des Spanischen Bürgerkriegs wurden vom Beginn der Erhebung der Generäle gegen die Republik zum Gegenstand heftiger propagandistischer Auseinandersetzungen. Dabei ging es darum, die Scheidelinie zwischen Freund und Feind zu ziehen und die eigenen Reihen möglichst fest zu schließen, vor allem aber auch darum, internationale Unterstützung und Solidarität zu gewinnen. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen standen die Welle brutaler antiklerikaler Gewalt auf republikanischem Territorium in den ersten Kriegswochen ebenso wie die von den Aufständischen verübte Massaker und Morde. In der Schlacht um Madrid, in der sich die Verteidiger in einer aussichtslos scheinenden Situation völlig überraschend gegen die heranrückenden Truppen Francos und seiner Mitstreiter behaupten konnten, erreichten die militärische Konfrontation ebenso wie der Kampf um die Deutung der Ereignisse eine neue Qualität. Als Franco erkennen musste, dass die Offensive auf Madrid vorerst gescheitert war, verlegten sich die Aufständischen darauf, den Widerstandswillen der Verteidiger der Hauptstadt durch intensiven Artilleriebeschuss und vor allem Bombardements durch deutsche und italienische Fliegerverbände zu brechen. Auch wenn die Anfänge des modernen Luftkriegs auf die Jahre des Ersten Weltkriegs und die europäischen Kolonialkriege in Afrika zurückgehen, so war Madrid doch die erste europäische Metropole, die über Wochen und Monate hin massiven Bombardements ausgesetzt war. Der Bombenkrieg stellte eine neue Stufe in der Entgrenzung und Eskalation militärischer Gewalt in den Kriegen des 20. Jahrhunderts dar, die die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten definitiv außer Kraft setzte und die Zivilbevölkerung zur Zielscheibe des Terrors machte.
Vor allem aufgrund des Monumentalgemäldes Guernica, das Pablo Picasso im Frühjahr 1937 für den Pavillon der spanischen Republik auf der Pariser Weltausstellung schuf, wird der Spanische Bürgerkrieg bis heute mit den Schrecken des Luftkriegs in Verbindung gebracht.[4] Doch nicht erst mit der Zerstörung der baskischen Kleinstadt durch die Legion Condor im April 1937 lösten die Nachrichten vom Einsatz der Luftwaffe und der Aviazione Legionaria italiana in der westlichen Öffentlichkeit Entsetzen und Empörung aus. In der Reaktion auf die Bombardierung Madrids wurde eine Schwelle in der medialen Darstellung der Gräuel des Krieges überschritten. Noch im Ersten Weltkrieg war die Verbreitung von fotografischen und filmischen Bildern von Toten mit starken Tabus belegt. In der illustrierten Presse waren allenfalls Bilder von Gefallenen – wie man oft betonte, der feindlichen Seite – meist aus der Distanz aufgenommen, ohne erkennbare persönliche Züge gezeigt worden, während jedoch von der Front in die Heimat verschickte Feldpostkarten weniger Zurückhaltung in der Abbildung von Kriegstoten, von Soldaten und gelegentlich auch von als Spionen und Kollaborateuren hingerichteten männlichen Zivilisten, zeigten.[5] In der Zwischenkriegszeit hatte der Pazifist Ernst Friedrich Fotos von Soldatenleichen und Kriegsversehrten als Propagandamittel gegen die Schrecken des modernen Kriegs eingesetzt.[6] Als die republikfreundliche Presse in Großbritannien und Frankreich im November 1936, vier Monate vor den Ereignissen in Guernica, eine Serie von Fotografien von Bombenopfern aus dem Madrider Arbeitervorort Getafe abdruckte, kam dies einem Tabubruch gleich. Es handelte sich um Identifikationsfotos von im Tod erstarrten, z. T. grausam verstümmelten Kindergesichtern, versehen mit einer Erkennungsnummer, ein Arrangement, das die fragilen Kinderleichen wie zu katalogisierende tote Gegenstände vorführte. Der kommunistische Daily Worker sah sich gezwungen, die Veröffentlichung der „Schockfotos“, die tatsächlich zu den schrecklichsten Bildern aus den Jahren des Bürgerkriegs gehören, unter der Überschrift „Nazi bomb kills seventy Spanish children“ politisch zu rechtfertigen: Es gehe nicht um „bloßen Horror“, sondern darum zu demonstrieren, dass die toten Kinder der Preis einer brutalen, militaristischen Aggression gegen eine friedliche Bevölkerung seien. Zur weiteren Steigerung der Schockwirkung hatte die Redaktion neben diese Bilder das Foto eines friedlich spielenden Mädchens in einem sonnigen englischen Garten platziert. Die ebenfalls kommunistisch orientierte französische Wochenzeitung Regards sah sich nicht genötigt, die Publikation der Fotos der Kinderleichen zu begründen. Sie erschienen dort unter dem an Zola angelehnten Titel „Nous accusons...“. „Dies ist das wahre Gesicht des Faschismus“, lautete der Kommentar, der die Gefahr des Übergreifens des faschistischen Terrors auf das eigene Land beschwor.[7]
Fotos der toten Kinder von Madrid fanden auch Eingang auf Propagandaplakate, mit denen die republikanische Seite und ihre internationalen Sympathisanten ihre Feinde anklagten und um Unterstützung warben. Die Bilder von Bombenopfern, zumal von Kindern als Inbegriff von Unschuld und Wehrlosigkeit, sollten aufs Eindrücklichste belegen, dass das demokratische Spanien einer illegitimen, über alle Maßen brutalen Aggression zum Opfer zu fallen drohte, die Angreifer hingegen auf der Stufe inhumaner Barbarei standen. Das Plakat der CNT verzichtete auf eine solch drastische Zurschaustellung des Todes. Vielmehr waren die Leichen auf den dort verwendeten Fotos kaum zu erkennen und wurden überdies „eingerahmt“ von Bildern zerstörter Gebäude. Die unmittelbare Wirkung der einzelnen Fotografien trat hier zurück hinter die plakativ eindeutige Botschaft des Hakenkreuzsymbols: die Benennung des Feindes. Die Anklage galt nicht mehr einem nationalen Gegner wie der „deutschen Bestie“ des Jahres 1914. Vielmehr ging es nunmehr um die internationale Drohung des „Fascist barbarism“, der, so die Aussage der Verteidiger der Republik, zum ersten Mal in Europa einen erbarmungslosen Angriffskrieg entfesselt hatte.
Der Spanische Bürgerkrieg, ein binnenstaatlicher Konflikt, der aus innerspanischen Konfrontationen heraus erwachsen war, wurde in dieser Sichtweise europäisiert und universalisiert. Die Beteiligung der spanischen Faschisten am Bündnis der Aufständischen, vor allem aber die Intervention des faschistischen Italien und des nationalsozialistischen Deutschland, die die aufständischen Militärs erst in die Lage versetzt hatte, einen bereits gescheiterten Putsch in einen Krieg zu verwandeln, machten diese Interpretation durchaus plausibel. Das Bedürfnis nach einer Parole zur Einigung der untereinander kaum kompatiblen politischen Kräfte auf Seiten der Republik im Kampf gegen eine ideologisch ebenfalls heterogene gegnerische Front verlieh dem antifaschistischen Paradigma eine unerhörte, bis heute wirksame Durchschlagskraft. Noch sechzig Jahre nach Kriegsende landeten The Manic Street Preachers einen Hit, der die Schlagzeile aus dem erwähnten Plakat der republikanischen Regierung zum Titel hatte: „If you tolerate this, your children will be next.“ In dem Lied besang die walisische Rockband die Erinnerung an die antifaschistische Militanz der Generation der Großväter und das Vergessen und die Passivität der Jungen.[8] Die Deutung des Bürgerkriegs in Kategorien, die unmittelbar an die „Kriegskultur“ der Jahre 1914/18 anknüpften, war neben dem antifaschistischen Credo ein weiteres Element der Internationalisierung und Europäisierung des Krieges in Spanien, der bereits von Zeitgenossen als erste Stufe eines zweiten „Großen Krieges“ interpretiert wurde. Im Gegenzug wurde nur kurze Zeit später der Zweite Weltkrieg von höchst konträrer politischer Warte aus, ob von Mussolini oder den Mitgliedern der Weißen Rose, als „Religionskrieg“ bezeichnet, in dem es um die Werteordnung und weltanschauliche Identität des Kontinents ging. Lange vor Ernst Nolte evozierte diese Interpretation das Bild vom Weltkrieg als „europäischem Bürgerkrieg“, das etwa Luigi Einaudi, stellvertretender Regierungschef der jungen italienischen Republik, anlässlich der Unterzeichnung des italienischen Friedensvertrags mit den Alliierten im Sommer 1947 benutzte.[9]
Die Rede vom europäischen Bürgerkrieg entstammt ebenso wie das Paradigma vom internationalen antifaschistischen Kampf der kulturellen Matrix, aus der die Kriege des 20. Jahrhunderts erwuchsen. Als solche müssen diese Redeweisen historisiert, in ihrem ursprünglichen Kontext verortet werden, um so ihre Funktionen bei der Deutung und Rahmung der Konflikte verstehen zu können. Das Beispiel der Plakate zur Bombardierung Madrids zeigt, wie Gewalt kulturell aufbereitet und instrumentalisiert wird, wie sich die Repräsentationen kriegerischer Gewalt angesichts der Eskalation und ideologischen Aufladung verändern, die Grenzen des Darstellbaren und Sichtbaren nicht nur infolge neuer medialer Möglichkeiten verschieben. Der Status der „Kriegskultur“[10] in den militärischen Konflikten des 20. Jahrhunderts, ihre Bedeutung für zentrale Fragen wie Konsensstiftung und Mobilisierung, die Logik und Vergesellschaftung der Gewalt ist umstritten und bedarf weiterer Klärung.[11] Ebenso wenig ausgelotet ist bis heute die Rolle der Kriege des 20. Jahrhunderts für die Konstruktion Europas, weniger als negativer Bezugspunkt für den Aufbau einer friedlichen Nachkriegsordnung, sondern vielmehr als Erfahrungsraum und diskursiver Kampfplatz, dessen Schlachtenlärm noch heute im Reden und Nachdenken über Europa nachhallen mag.
[1] Essay zur Quelle: Propagandaplakate im Spanischen Bürgerkrieg (1936/37).
[2] Horne, John; Kramer, Alan, Deutsche Kriegsgreuel 1914. Die umstrittene Wahrheit, Hamburg 2004.
[3] Audouin-Rouzeau, Stéphane; Becker, Annette, 14-18. Understanding the Great War, New York 2002, S. 9, 113-134.
[4] Van Hensbergen, Gijs, Guernica. Biografie eines Bildes, München 2007.
[5] Paul, Gerhard, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn u.a. 2004, S. 120, 122f., 162 f.
[6] Friedrich, Ernst, Krieg dem Kriege!, Berlin 1924.
[7] Brothers, Caroline, War and photography. A cultural history, London 1997, S. 176 ff.; Fontaine, François, La guerre d’Espagne. Un déluge de feu et d’images, Paris 2003, S. 86 f.
[8] Morgan, Philip, Fascism in Europe, 1919-1945, London 2003, S. 164.
[9] Pavone, Claudio, La seconda guerra mondiale: una guerra civile?, in: Ranzato, Gabriele (Hg.), Guerre fratricide. Le guerre civili in età contemporanea, Turin 1994, S. 86-129, hier S. 127; Nolte, Ernst, Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945. Nationalsozialismus und Bolschewismus, Hamburg 1987.
[10] Audouin-Rouzeau, Stéphane; Becker, Annette, Violence et consentement. La «culture de guerre» du premier conflit mondial, in: Rioux, Jean-Pierre; Sirinelli, Jean-François (Hgg.), Pour une histoire culturelle, Paris 1997, S. 251-271.
[11] Vgl. als repräsentativ für den Diskussionsstand die von Roger Chickering u.a. hg. Bände: Great war, total war. Combat and mobilization on the Western Front, 1914-1918; The shadows of total war. Europe, East Asia, and the United States, 1919-1939; A world at total war. Global conflict and the politics of destruction, 1937-1947, Cambridge 2000 / 2003 / 2005; sowie als aktuellen Versuch einer explizit mit dem Konzept der “Kriegskultur(en)” argumentierenden Epochendarstellung: Traverso, Enzo, A ferro e fuoco. La guerra civile europea 1914-1945, Bologna 2007.
Literaturhinweise
Beevor, Antony, Der Spanische Bürgerkrieg, München 2006.
Brothers, Caroline, War and photography. A cultural history, London 1997.
Paul, Gerhard, Bilder des Krieges – Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges, Paderborn u.a. 2004.
Traverso, Enzo, A ferro e fuoco. La guerra civile europea 1914-1945, Bologna 2007.