Ein britischer Journalist im Sold des faschistischen Italien - Joseph Swire als Korrespondent in Albanien in den Jahren 1930/31[1]
Von Stefan Troebst
Gleich zahlreichen anderen Angehörigen der Zwischenkriegsgeneration war der britische Journalist und Buchautor Joseph S. Swire (1903–1978[2]), genannt Joe, vom Balkan fasziniert. Die Bewunderung für dramatische Landschaften und vermeintlich urtümliche Gemeinschaften, vor allem aber für die nationalrevolutionären Untergrundbewegungen von Kroaten, Kosovaren, Makedoniern, Montenegrinern und anderen, mischte sich dabei in der Regel mit einem explizit maskulinen Heroenkult, der von Kritik an der Dekadenz der jeweils eigenen, „europäisierten“ Gesellschaften gespeist wurde. Dieses europaweite Phänomen einte dabei desillusionierte Intellektuelle in den antagonistischen Lagern von Weltkriegsverlierern und Siegern – mit Italien in einer imaginären Mitte. Swires britischer Altersgenosse, der Kriminalschriftsteller Eric Ambler (1909–1998), brachte es auf den Punkt, als er im Rückblick auf das von makedonischen und kroatischen Terroristen erfolgreich ausgeführte Attentat auf den jugoslawischen König Aleksandar I. Karadjordjevic und den französischen Außenminister Louis Barthou vom Oktober 1934 in Marseille schrieb: „Unter der Sonne des Südens lebten fremdartige und gewalttätige Männer, mit denen ich mich identifizieren konnte und denen ich mich jetzt irgendwie verbunden fühlte.“[3] Dasselbe Attentat bewog die britische Schriftstellerin und Gesellschaftsdame Rebecca West (1892–1983) zu einer ausführlichen Balkanreise, deren Ergebnis ihr emphatisch pro-serbischer Reisebericht „Schwarzes Lamm und grauer Falke“ war.[4] Und Julian Amery (1919–1996), britischer Verbindungsoffizier zu den albanischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg und später führender Tory-Politiker, betitelte sein Albanien-Buch ebenfalls mit einer heroisierenden Vogelmetapher – „Adlersöhne“.[5]
Aber nicht nur in den Köpfen europäischer hommes de lettres, sondern auch in der europäischen Politik insgesamt herrschte nach dem Ersten Weltkrieg Orientierungslosigkeit bezüglich des Donau-Balkan-Raums. Während Frankreich mit dem Aufbau eines eigenen, auf die Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien gestützten Bündnissystems in Ostmittel- und Südosteuropa befasst war, um die revisionistischen Staaten Österreich, Ungarn und Bulgarien zu neutralisieren sowie einen cordon sanitaire gegen die neue Sowjetunion zu bilden, setzte das seit dem Jahr 1922 faschistische Italien, nominell gleichfalls Siegerstaat, mittels Einkreisung Jugoslawiens durch dessen Nachbarn auf eben diese Gegenkräfte. Österreich, Ungarn, Bulgarien, Griechenland, Albanien und die Türkei, selbst Rumänien, sowie die antijugoslawischen Untergrundorganisationen waren dabei potentielle, mehrheitlich auch tatsächliche Partner italienischer Balkanpolitik, die nicht selten durch Subventionen angeworben und bei der Stange gehalten wurden. Großbritannien wiederum war bemüht, die französisch-italienische Rivalität in Südosteuropa, wo immer möglich, auszugleichen und ein Kondominium der Weltkriegssieger über die Region zu errichten, wohingegen die weltkriegsgeschwächten Großmächte Deutschland und das jetzt bolschewistische Russland sich in der Regel auf die Rolle des schadenfrohen Zuschauers beschränken mussten, dabei aber Anti-Versailles-Kräfte in der Region nicht selten ermunterten.
Neben den Aktionsfeldern von internationaler Politik, Militärdiplomatie, Geheimdienstaktivitäten, Kulturbeziehungen und Studentenaustausch lieferten sich die unmittelbar wie mittelbar beteiligten Konfliktakteure Gefechte gerade auch auf medialem Feld, was damals vor allem Printmedien bedeutete. Benito Mussolini, der beruflich selbst als Journalist angefangen hatte, griff in demjenigen Bereich seiner Außenpolitik, der mit der Bezeichnung „Paralleldiplomatie“ – also Außenpolitik außerhalb diplomatischer Kanäle – belegt wurde, häufig auf italienische Journalisten zurück. Ja, in der faschistischen diplomatischen Terminologie gab es den Begriff des pseudo giornalista (Pseudojournalist), der solche „Paralleldiplomaten“ des „Duce“ meinte, welche die Profession des Journalisten lediglich als Legende nutzten.[6] Dabei handelte es sich sowohl um zu Auslandskorrespondenten ernannte Mitarbeiter großer italienischer Tageszeitungen als auch um Funktionäre der Regierungspartei Partito Nazionale Fascista (PNF). Darüber hinaus wurden nicht-italienische Journalisten angeworben, um bestimmte nationale Öffentlichkeiten im Sinne des Faschismus und seiner Außenpolitik zu beeinflussen.
Zu diesem Personenkreis gehörte auch Joseph Swire, der von April 1930 bis Juli 1931 als damals einziger ständiger Korrespondent europäischer und überseeischer Medien in Albanien stationiert war und regelmäßige Subsidien des Außenministeriums in Rom erhielt, um im italienischen Sinne auf die Öffentlichkeiten Großbritanniens und der Vereinigten Staaten einzuwirken. Wohl als Student war Swire im Zuge einer Zypernreise 1924 das erste Mal in Albanien gewesen, und im Jahr 1929 führte ihn eine zweite Reise in das Balkanland. Ende desselben Jahres erschien in London seine umfangreiche Monographie Albania. The Rise of a Kingdom – bis heute ein Standardwerk, das mehr als vier Jahrzehnte später, 1971, in den USA erfolgreich als Reprint neu aufgelegt und 2005 erstmals auch in albanischer Übersetzung veröffentlicht wurde.[7] In seinem Buch, das eine Darstellung der Geschichte Albaniens von 1878 bis 1928 beinhaltete, charakterisierte Swire den albanischen König Zog I. als „capable sovereign“ (was ihm im Februar 1930 den Skanderbeg-Orden des Balkanlandes eintrug[8]) und befasste sich ausführlich mit dem gespannten Verhältnis zwischen Albanien und Jugoslawien samt europäischen Reperkussionen. Seine kritische Haltung gegenüber Belgrad ließ ihm die Mussolinische Albanienpolitik in einem vergleichsweise milden Licht erscheinen – eine Sichtweise, die er im Februar 1930 in einem Artikel in der einflussreichen Londoner Wochenzeitschrift The Near East and India in den folgenden Euphemismus kleidete: „Italy’s strategic objective with regard to Albania at this time is to strengthen that country against the predatory aims of Yugoslavia.“[9] Kein Wunder also, dass Swire aus der Sicht Roms ein interessanter Partner war.
Albanien war in der Expansionspolitik Italiens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert der wichtigste Brückenkopf auf dem Balkan sowie in der Zwischenkriegszeit das zentrale Glied in der faschistischen Einkreisungskette um Jugoslawien. Vor allem seit dem Dezember 1924, als Belgrad mittels der in Jugoslawien Asyl genießenden „weißen“ exilrussischen Vrangel’-Armee den albanischen Provinznotabeln Ahmet Bej Zogolli (Zogu), den späteren König Zog I., zurück an die Spitze der Regierung in Tirana brachte, wurde das Balkanland zum Brennpunkt Mussolinischer Südosteuropapolitik. Im August 1925 gelang es dem „Duce“ mit Hilfe des PNF-Emissärs Alessandro Lessona, den albanischen Potentaten gleichsam umzudrehen und mit ihm ein gegen Jugoslawien gerichtetes geheimes Militärabkommen zu schließen. Mittels des I. Tiranapaktes vom 27. November 1926 und des II. Tiranapaktes vom 22. November 1927 wurde Albanien dann de facto in ein italienisches Protektorat verwandelt, in dem der italienische Gesandte Pompeo Aloisi und die von General Alberto Pariani geleitete Militärmission Italiens, bestehend aus 42 Offizieren, das Sagen hatten und die im Jahr 1925 gegründete italienische „Gesellschaft für die wirtschaftliche Entwicklung Albaniens“ (Società per lo Sviluppo Economico dell' Albania – SVEA) als Staat im Staate agierte. Zur Belohnung für seine Öffnungspolitik gegenüber Italien durfte sich Ahmet Bej Zogolli am 1. September 1928 als Zog I. – mit dem Zusatz „Skënderbeg III.“ – zum „König der Albaner“, nicht etwa nur Albaniens, ausrufen lassen und ein diktatorisches Regime installieren – bis zum 7. April 1939, als sein Protektor Mussolini einen Kurswechsel vollzog und Albanien militärisch besetzte, Zog I. ins Exil trieb sowie anschließend das Land annektierte.
Anfang März 1930 war Ugo Sola, der balkanerfahrene italienische Gesandte in Albanien, in Rom zur Berichterstattung gewesen und hatte dem „Duce“ bei dieser Gelegenheit mitgeteilt, er halte es „für nützlich, wenn auf unsere Kosten ein guter englischer Journalist, der in der Presse seines Landes gut eingeführt ist und dessen Artikel ein positives Echo haben dürften, nach Albanien führe“.[10] Damals gab es in ganz Albanien, wie gesagt, keinen ständigen Korrespondenten einer großen europäischen Zeitung; lediglich Sonderberichterstatter wurden im Falle akuter Krisen hierher geschickt. In diesem Zusammenhang nannte Sola „den Namen von Herrn Swire, der unseren politischen Richtlinien so wohlmeinend gegenüber steht“. Laut Sola sollte Swire „4 bis 5 Monate lang mit 45 Pfund Sterling monatlich unterstützt werden“. Mussolini griff diese Idee „mit großer Zustimmung“ auf „und erklärte seinen lebhaften Wunsch, dass die Angelegenheit realisiert wird“.[11] Zurück in Tirana kabelte Sola am 9. März 1930 an das Außenministerium in Rom, dass er am Folgetag eine Unterredung mit König Zog haben werde. Bei dieser Gelegenheit werde er ihm vorschlagen, dass ein ausländischer Journalist, idealerweise ein Brite, in Albanien zu stationieren sei, „um die internationale öffentliche Meinung im Falle von Komplikationen aufzuklären“, und dass Swire hierfür ein geeigneter Kandidat wäre.[12] Sola, der Swire mutmaßlich seit dessen Albanien-Reise vom Jahr 1929 kannte, hatte den Journalisten im Februar 1930 in London aufgesucht, um ihn seiner Wertschätzung für das soeben erschienene Albanien-Buch sowie für seine italienfreundlichen Zeitungsartikel zu versichern. Vor allem aber unterbreitete der italienische Diplomat Swire den Vorschlag, ihn mit finanzieller Unterstützung der faschistischen Regierung für einige Zeit nach Albanien zu schicken. Von hier aus sollte er die angloamerikanische Presse mit pro-italienischen Berichten über die Entwicklung in Albanien beliefern. Swire willigte umgehend ein und traf bereits Anfang April 1930 gemeinsam mit seiner Frau in Tirana ein. Offenkundig begriff der damals 26-jährige mittel- und arbeitslose Ehemann das italienische Angebot als lang ersehnte berufliche Chance.[13] Moralische Bedenken plagten ihn dabei nicht, zumal seine persönliche Sicht der Dinge auf dem Balkan damals, wie gezeigt, weitgehend mit derjenigen Roms koinzidierte – und im übrigen von dem damaligen konservativen Außenminister Austen Chamberlain und seinem Labour-Nachfolger Arthur Henderson geteilt wurden.[14] In Albanien wurde Swire als Korrespondent der Londoner Times akkreditiert und war als fester freier Mitarbeiter des Bostoner Christian Science Monitor sowie der genannten Wochenzeitschrift The Near East and India tätig.
Obwohl die Albanienpolitik des „Duce“ in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre mehrfach die akute Gefahr eines jugoslawisch-italienischen Krieges heraufbeschwor, beließen es Rom wie Belgrad letztendlich bei militärischen Drohgebärden sowie bei heftigen internationalen Pressekampagnen, in denen die albanische Regierung seitens jugoslawischer Medien als blinder Vollstrecker Mussolinischen Expansionswillens porträtiert wurde, wohingegen die italienische Presse den südslawischen Nachbarstaat als Werkzeug französischen Hegemonialstrebens und serbisch dominierten Völkerkerker brandmarkte. Swires Aufgabe war es, die zivilisatorische Mission Roms in Albanien hervorzuheben sowie Modernität und Rationalität des albanischen Staatswesens samt Monarchen herauszustreichen. Wie aus seinen Briefen an Sola hervorgeht, ist ihm dies – zumindest in quantitativer Hinsicht – gelungen. Auch das italienische Außenministerium, das von September 1929 bis Juli 1932 vorübergehend nicht von Mussolini selbst, sondern vom bisherigen Unterstaatssekretär Dino Grandi geleitet wurde, war mit Swires publizistischem Wirken zufrieden, wie etwa ein Telegramm des Außenministers an den italienischen Botschafter in London vom Februar 1931 belegt.[15]
Ein noch deutlicherer Beleg ist die Finanzhilfe, die das italienische Außenministerium Swire seit April 1930 gewährte, denn die ursprünglich auf drei Monate bemessene Unterstützung von £ 40 monatlich wurde bis zum Juli 1931 gezahlt – also insgesamt 15 mal.[16] In diesem Monat wurde Swire aus Albanien ausgewiesen, da König Zog I. die Berichterstattung des Briten in The Near East and India als den Interessen des Landes schädlich wertete. Wie Robert McLeod Hodgson, der britische Gesandte in Albanien, Swire mitteilte, las man in Tirana aus seinen Artikeln “criticism of an offensive nature directed against the Albanian government“ heraus.[17] Unverkennbar stand dieser Schritt im Zusammenhang mit Zogs Streben nach Emanzipation von der italienischen Hegemonie. Auf Bitten des neuen italienischen Gesandten in Albanien, Antonio Meli Lupi di Soragna, bewilligte das Außenministerium in Rom eine weitere Subvention an Swire in Höhe von 500 Goldfrancs, damit dieser mit seiner Frau wieder nach Großbritannien umziehen konnte.[18] Für seine Ausweisung aus Albanien revanchierte sich Swire mit seinem im Jahr 1932 fertig gestellten, aber erst 1937 in London veröffentlichten Buch King Zog’s Albania. Hier kritisierte er die Volksferne des in der Öffentlichkeit kaum auftretenden Monarchen, „der in seinem eigenen Land nie irgendwo anders als in Tirana und Durrës gewesen ist“, und charakterisierte Albanien als ein „auf oberster Ebene von Unehrlichkeit, Trägheit und Ungerechtigkeit“ gekennzeichnetes Gemeinwesen.[19]
Nach zwei neuerlichen Jahren der Arbeitslosigkeit in London, unterbrochen von einer Reise nach Bulgarien im August 1931, gelang es Swire, zum 1. Oktober 1932 den Korrespondentenposten Sofija für die halbamtliche britische Nachrichtenagentur Reuters und die New York Times zu beziehen. Aus der bulgarischen Hauptstadt berichtete er überdies für die Londoner Blätter Observer, Daily Express, Daily Herald sowie nach wie vor für The Near East and India. Auch in Bulgarien scheint Swire Kontakt zur italienischen „Paralleldiplomatie“ gehalten und anfänglich wohl auch weitere Subsiden erhalten zu haben.[20] Das Ergebnis seines ungewöhnlich tiefen Eintauchens in die Innenpolitik Bulgariens findet sich in seinem im Jahr 1939 in London veröffentlichten Buch Bulgarian Conspiracy,[21] einer ebenso gründlichen wie meinungsfreudigen Analyse der politischen Szene Bulgariens in der Zwischenkriegszeit. „Although published shortly before the outbreak of the Second War, this book remains the most detailed treatment in English of the Macedonian revolutionaries in the period from 1918 to the mid-1930s“, hieß es noch 1989 im Bulgarien-Band der autoritativen World Bibliographic Series.[22] Swires Kritik an König Boris III. Politik einer Annäherung an das Dritte Reich und seine massive Parteinahme für den damals vor einem Sofijoter Gericht stehenden und mit der Todesstrafe bedrohten Politiker und Militär Damjan Velcev (1883-1954) führte dann am 24. Dezember 1935 zu seiner neuerlichen Ausweisung. Velcev, der autoritäre „Saubermann“ der bulgarischen Politik, war der Architekt des Staatsstreiches vom 19. Mai 1934 gewesen und überdies maßgeblich an den Militärputschen vom 9. Juni 1923 und 9. September 1944 beteiligt.
Wohl 1937 ging Swire als Korrespondent nach Spanien, um für Reuters und die Londoner Times ein Jahr lang vom republikanischen Katalonien aus über den Bürgerkrieg zu berichten. Den Einmarsch italienischer Truppe nach Albanien 1939 und die Einverleibung dieses Landes durch den „Duce“ verurteilte er scharf und bezeichnete sie als „betrayal of Albania to Italy“.[23] Swires Vorschlägen vom Frühjahr 1940 an das Foreign Office darüber, wie in Albanien eine Rebellion gegen die italienische Herrschaft anzuzetteln sei und wie die den Achsenmächten zuneigende Regierung Bulgariens auf pro-britischen Kurs zu bringen wäre, nämlich durch Gebietsabtrennungen seitens Griechenlands (!), wurde kein Gehör geschenkt[24] – zu stark war wohl die Verärgerung der mit dem Balkan befassten Beamten über Swires Bulgarienberichterstattung der Jahre 1932–1935 und vor allem über sein Bulgarien-Buch von 1939, dessen Veröffentlichung das Ministerium gar zu verhindern versucht hatte.[25] Auch Swires Vorschlag an das War Office vom August 1940, ihn aufgrund seiner Regionalkenntnisse vom Border Regiment, wo er nach der Mobilisierung als second lieutenant und später captain Dienst tat, in die Balkanabteilung des Ministeriums zu versetzen, stieß auf Ablehnung.[26]
Für die Wirkungsmächtigkeit von Swires Albanien- und Bulgarienberichterstattung, vor allem aber für diejenige seiner drei Bücher spricht, dass diese auf dem Balkan den gesamten Kalten Krieg hindurch und erneut seit der Wende in Tirana und Sofija im Jahr 1989 als zeithistorische Quellen erster Ordnung gelten. Im stalinistischen Schauprozess gegen den bulgarischen Parteifunktionär Trajco Kostov in Sofija im Jahr 1949 wurde Swire gar die zweifelhafte Ehre zuteil, als britischer Agentenführer bezeichnet zu werden.[27] Von dem Umstand jedoch, dass der Brite als junger Journalist in Mussolinis Sold gestanden hatte, wussten weder die bulgarischen Kommunisten und ihre sowjetischen Instruktoren noch die europäische Öffentlichkeit. Und Swire selbst hat sein Geheimnis zeitlebens gut gehütet, auch wenn er der Meinung gewesen sein dürfte, dass er seinen italienischen Auftraggebern nie nach dem Munde geredet beziehungsweise geschrieben habe. Und in der Tat war Swire in politischer Hinsicht unbestechlich, wie vor allem sein selbstloser Einsatz für den genannten Velcev – gegen massiven Widerstand in Bulgarien und Großbritannien – belegte. Seine Sympathien für die Außenpolitik Mussolinis verloren sich im Zuge des italienischen Überfalls auf Äthiopien im Jahr 1935 samt Annexion ein Jahr darauf völlig, ja, verwandelten sich, wie gezeigt, in harsche Kritik am faschistischen Expansionsstreben.
Nur wenig ist über die Persönlichkeit des investigativen Journalisten und produktiven Buchautors Joseph Swire bekannt. Religiös scheint der Sohn eines anglikanischen Reverend nicht gewesen zu sein, hat er sich doch kritisch gegen frömmelnde britische Diplomaten geäußert. Seine private Leidenschaft galt den Bergen – seien es balkanische, seien es schottische[28] – und, wie seine zahlreichen Ehen belegen, den Frauen (hier primär britischen). Der Oxforder Balkan- und Bulgarienhistoriker Richard J. Crampton charakterisierte Swire anhand seiner in Privatbesitz befindlichen Tagebücher und Briefe als aufbrausend, ungestüm und undiplomatisch[29], aber auch als energisch, wagemutig und unkonventionell. In Cramptons Sicht war der akribische Rechercheur, einfühlsame Beobachter und hartnäckig am Ball bleibende Journalist Swire definitiv „kein Intellektueller“.[30]
Joseph Swires zweite Lebenshälfte verlief – zumindest im beruflichen Bereich - weniger turbulent als die erste: Seit 1945 im Osten Schottlands ansässig, war er für lange Zeit Quästor (bursar) des reformpädagogischen Internats Gordonstoun in Elgin im schottischen Moray[31], zu dessen Zöglingen zeitweise auch der britische Kronprinz Charles gehörte. Dem Journalismus entsagte Swire nahezu gänzlich – von zahlreichen belehrenden bis querulatorischen Leserbriefen an britische Tageszeitungen sowie einem kurzen Artikel über das „neue“ Albanien Enver Hoxhas von 1955 abgesehen.[32] Seinen Lebensabend verbrachte Swire im gebirgigen Radnorshire in Ostwales, wenngleich mit etlichen Unterbrechungen: “But the Balkans still beckoned and even after his retirement [...] the urge was irresistible to take to the wheel of his dormobile and, with his devoted wife Betty by his side, to hit the Danube trail.”[33]
Swires Tagebücher und seine Korrespondenz befanden sich bis 2006 im Besitz des genannten Oxforder Historikers Crampton, der sich aufgrund einer starken inhaltlichen Dominanz des Erotischen mit Rücksicht auf Swires Angehörige nicht zu einer Veröffentlichung entschließen konnte. Im Herbst 2006 wurde Swires brieflicher wie dokumentarischer Nachlaß zu Albanien und Bulgarien von den zwanziger bis zu den vierziger Jahren von der Universität Oxford an die Firma Marijana Dworski Books in Backfold, Hay on Wye, Hereford, verkauft, die ihn am 31. Januar 2007 beim britischen Buchauktionshaus Dominic Winter in South Cerney, Nr Cirencester, Gloucestershire zur Versteigerung brachte. Der neue Besitzer, der den Nachlaß für die Summe von £ 10.500 erwarb, ist unbekannt.
[1] Essay zur Quelle: Joseph Swire, Drei Briefe des britischen Journalisten an den italienischen Diplomaten Ugo
Sola (1930/31); [Zum Teil Auszüge] – Zu einer Druckfassung vgl. Troebst, Stefan, Ein britischer Journalist im Sold des faschistischen Italien. Joseph Swire als Korrespondent in Albanien 1930/31. Drei Briefe, in: Brunnbauer, Ulf; Helmedach, Andreas; Troebst, Stefan (Hgg.), Schnittstellen. Gesellschaft, Nation, Konflikt und Erinnerung in Südosteuropa. Festschrift für Holm Sundhaussen zum 65. Geburtstag, München 2007, S. 147-162. Zu einer albanischen Übersetzung siehe ders., Një gazetar britanik i paguar nga Italia fashiste: Joseph Swire si korrespondet në Shqipëri 1930/31, in: Hylli i dritës [Shkodër] 26 (2006), H. 4 (251), S. 39-56. - Raim Beluli (Elbasan), Karin Böllmann (Leipzig), Richard J. Crampton (Oxford), Robert Elsie (Olzheim), Michael Schmidt-Neke (Kiel) und Stephanie Schwandner-Sievers (London) sei für Hinweise und Hilfestellungen gedankt.
[2] Zu Swires Lebensdaten samt Kurzbiographie siehe Forrest, Wiliam, Obituary: Mr Joseph Swire, The Times, 27. Juni 1978, S. 19s.
[3] Ambler, Eric, Ambler by Ambler. Eric Ambler’s Autobiographie. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork, Zürich 1988, S. 186 (Original: Ders., Here Lies Eric Ambler, London 1985).
[4] West, Rebecca, Black Lamb and Grey Falcon. A Journey through Yugoslavia, New York 1941 (Gekürzte deutsche Übersetzung: Dies.,: Schwarzes Lamm und grauer Falke. Eine Reise durch Jugoslawien. Aus dem Englischen von Hanne Gebhard, Berlin 2002).
[5] Amery, Julian, Sons of the Eagle, London 1948.
[6] Giovanni de Astis, italienische Gesandtschaft Budapest, an Mussolini, 20. Oktober 1928, in: I documenti diplomatici italiani. Settima serie: 1922-1935 [im Folgenden: DDI VII]. Bd. VII: 24 settembre 1928 – 12 settembre 1929,. Roma 1970, Dok. Nr. 45, 40.
[7] Swire, Joseph, Albania. The Rise of a Kingdom, London 1929 (Reprint New York 1971). Die albanische Übersetzung von Kujtim Ymeri – Swire, J., Shqipëria. Ngritja e një Mbretërie – ist 2005 im Verlag „Dituria“ in Tirana erschienen.
[8] Bland, Wiliam B., Albania, Oxford u.a. 1988 (World Bibliographical Series 94), S. 56.
[9] Swire, Joseph, The evolution of Albania, in: The Near East and India 37 (1930), Nr. 979 (20. Februar 1930), S. 212.
[10] Stralcio dal promemoria riguardante il colloquio Sola – S. E. Mussolini (dalla pratica 53-6 N. 1 d’ord. 1930). O. D., in: Ministero degli Affari Esteri. Servizio Storico e Documentazione. Archivio Storico Diplomatico. Serie Affari Politici 1919–1930. Roma [im folgenden: MAE SSD ASD]: Albania (1930), pacco 786, fasc. 1–23 (Dossier „SWIRE Joseph – Inglese – Corrispondenza sulla Situazione in Albania per alcuni giornali inglesi“).
[11] Ebd.
[12] Telegramm von Ugo Sola, italienischer Gesandter in Albanien, an das Außenministerium in Rom, Tirana, 9. März 1930, in: MAE SSD ASD: Albania (1930), pacco 786, fasc. 1-22.
[13] Ein britischer Offizier, der ab Sommer 1929 dem gleichfalls britischen Generalinspektor der albanischen Gendarmerie, General Jocelyn Percy, assistierte, berichtet, Swire habe im Frühjahr 1929 als Vertreter für eine Londoner Gravur-Firma Aufträge aquiriert. Vgl. Oakley-Hill, Dayrell R., An Englishman in Albania. Memoirs of a British Officer 1929-1955, London 2002, S. 1.
[14] Edwards, Peter G., The Foreign Office and Fascism (1924-1929), in: Journal of Contemporary History 5 (1970), S. 153-161.
[15] Grandi an den Botschafter in London, Chiaramonte Bordonaro, Roma, 27. Februar 1931, in: DDI VII, Bd. X: 1 gennaio – 4 settembre 1931. Roma 1978, Dok. Nr. 93, S. 145–146. Bereits am Vortag hatte Grandi telegraphisch darum gebeten, im Zusammenhang mit einem Attentatsversuch auf den albanischen König in Wien Swires Albanienberichterstattung in der Londoner Times zu verstärken – was prompt erfolgte.
[16] Vgl. etliche Promemoria des Chefs des Büro IV A (Ufficio Albania) in der Generaldirektion für politische, kommerzielle und private Angelegenheiten für Europa und die Levante des italienischen Außenministeriums, Vicenzo Lojacono, an Außenminister Grandi aus den Jahren 1930 und 1931, in: MAE SSD ASD, Albania (1930), pacco 786, fascicolo 1-22.
[17] Zitiert nach Crampton, Richard J., The Journalist-Historian in Politics: Joseph Swire, the Damian Velchev Case and Anglo-Bulgarian Relations, East European Quarterly 25 (1991), S. 257-296, 258 u. 288.
[18] Telegramm von Antonio Meli Lupi di Soragna, Gesandter in Tirana, an das Außenminsterium in Rom, 11. Juli 1931, in: MAE SSD ASD, Albania (1930), pacco 786, fasc. 1-22. Am 23. Juli 1931 erteilte der genannte Lojacono die Auszahlungsgenehmigung. Ebd.
[19] Swire, Joseph, King Zog’s Albania, London 1937, S. 200 u. S. 206.
[20] In Swires Tagebuch finden sich unter dem 29. März, 7. April, 12. Mai und 3. Juni 1933 Einträge über einen „financial deal“ mit dem Bulgarienkorrespondenten des Corriere della sera. Vgl. Crampton, The Journalist-Historian, 262.
[21] Swire, Joseph, Bulgarian Conspiracy, London 1939.
[22] Crampton, Richard J., Bulgaria, Oxford u.a. 1989 (World Bibliographic Series 107), S. 59.
[23] Swire, Joseph, Albania under Communism, Contemporary Review 188 (1955), 2/1076 (August), S. 110-113, 112. Siehe auch Ders., Italy’s real objective, The Spectator, Nr. 5781, April 1939, S. 623f.
[24] Ebd., S. 287f.
[25] Minute von E. M. B. Ingram, Foreign Office, 21. April 1939, in: Public Record Office, Kew Gardens: F. O. 371, vol. 23887, R3213/3213/7.
[26] Crampton, The Journalist-Historian, S. 288.
[27] The Trial of Traicho Kostov and His Group, Sofija 1949, S. 423.
[28] Crampton, The Journalist-Historian, S. 257f.
[29] Ebd., S. 286. Diese Charakteristik koinzidiert mit der Tatsache, dass Swire in jungen Jahren aus der Kadettenanstalt Sandhurst davonlief. Vgl. Forrest, Obituary.
[30] Crampton, The Journalist-Historian, S. 286.
[31] In Gordonstoun war Swire „responsible for organizing many of the outdoor activities for which the school is renowned“ – so Forrest, Obituary. Vgl. auch Swire, Joseph, Gordonstoun, 1934-1955. A Survey upon the Occasion of the School’s Coming of Age (in support of an appeal for a capital foundation), Elgin 1957.
[32] Swire, Albania under Communism.
[33] Forrest, Obituary.
Literaturhinweise
Borejsza, Jerzy W., Il fascismo e l’Europa orientale. Dalla propaganda all’aggressione, Roma 1981.
Burgwyn, H. James, Il revisionismo fascista. La sfida di Mussolini alle grandi potenze nei Balcani e sul Danubio 1925–1933, Milano 1979.
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Hoti, Izber, Qëndrimi i Diplomacisë Italiane ndaj Shqipërisë dhe Shqiptarëve (1930–1941) [Die Einstellung der italienischen Diplomatie zu Albanien und den Albanern 1930-1941], Prishtinë 1997.
Saraçi, Çatin, King Zog of Albanians. Inside Story. The Memoirs of Chatin Sarachi,
Tomes, Jason Hunter, King Zog of Albania. Europe’s Self-Made Muslim King, New York, 2004.
Troebst, Stefan, Mussolini, Makedonien und die Mächte 1922-1930. Die „Innere Makedonische Revolutionäre Organisation” in der Südosteuropapolitik des faschistischen Italien, Köln, 1987.