Politische Herrschaft und Politische Wissenschaft Die Briefe Max Webers an Robert Michels vor dem Ersten Weltkrieg

Zur Eigenart der europäischen Geschichte gehört der Zusammenhang zwischen dem Handeln im Staat und dem Denken über den Staat. Diese Verbindung kann nicht einseitig aufgelöst werden. Weder lässt sich aus der Geschichte des europäischen Staatsdenkens das Handeln der herrschenden Eliten ableiten. Noch konnten die Fürsten oder die republikanischen Regierungen mit ihren Verwaltungsstäben den Wissenschaften auf Dauer diktieren, wie sie über Staat und von der Politik zu reflektieren haben. Immer herrscht eine komplizierte Wechselbeziehung. Für das neuzeitliche Denken über Staat und Politik, von der Epoche Machiavellis über Alexis de Tocqueville bis zu James Bryce im Zeitalter der Massendemokratie des 20. Jahrhunderts ist die Frage stets neu zu beantworten: Auf welche Weise führt ein struktureller Wandel politischer Herrschaft zu neuen Erkenntnisformen politischer Wissenschaft? [...]

Politische Herrschaft und Politische Wissenschaft. Die Briefe Max Webers an Robert Michels vor dem Ersten Weltkrieg[1]

Von Gangolf Hübinger

Zur Eigenart der europäischen Geschichte gehört der Zusammenhang zwischen dem Handeln im Staat und dem Denken über den Staat. Diese Verbindung kann nicht einseitig aufgelöst werden. Weder lässt sich aus der Geschichte des europäischen Staatsdenkens das Handeln der herrschenden Eliten ableiten. Noch konnten die Fürsten oder die republikanischen Regierungen mit ihren Verwaltungsstäben den Wissenschaften auf Dauer diktieren, wie sie über Staat und von der Politik zu reflektieren haben. Immer herrscht eine komplizierte Wechselbeziehung. Für das neuzeitliche Denken über Staat und Politik, von der Epoche Machiavellis über Alexis de Tocqueville bis zu James Bryce im Zeitalter der Massendemokratie des 20. Jahrhunderts ist die Frage stets neu zu beantworten: Auf welche Weise führt ein struktureller Wandel politischer Herrschaft zu neuen Erkenntnisformen politischer Wissenschaft?

Die großen Umbrüche und Transformationen von der liberalen Bürgergesellschaft in die industriekapitalistische Massengesellschaft um 1900 markieren eine solche Zäsur. In Europa erfasste die „große Beschleunigung“ alle Lebensordnungen, mit weltweiten Konsequenzen.[2] Der menschliche Alltag wurde dem Rhythmus hochtechnisierter Arbeit unterworfen. Zwischen Großstadt und Dorfleben schienen Welten zu liegen. Bücher und Zeitungslektüre blieben nicht länger Luxus, die weitgehend abgeschlossene Alphabetisierung förderte eine Massenpresse mit Millionenauflagen. Ein neuer politischer Massenmarkt eröffnete interessen- und ideenpolitische Alternativen in einem mehrzügigen Parteiensystem und erforderte grundsätzlich neue Politikstile gegenüber der bürgerlich-amtsadligen Staatsverwaltung des 19. Jahrhunderts. Im Zuge einer allgemeinen Demokratisierung kämpften gut organisierte Parteien mit Berufspolitikern an der Spitze um temporäre Herrschaft und stritten um die Legitimität politischer Verfassungen. Die internationale Rivalität der „europäischen Weltmächte“ (Max Weber) wuchs im Maße ihrer ökonomischen Erfolge und kolonialpolitischen Ansprüche; das begünstigte nationalistische Werthaltungen von unterschiedlicher Qualität und Aggressivität.

Es ist nur natürlich, daß alle Gesellschaften, die einem derart beschleunigten Wandel ihrer Lebensformen unterlagen, nach neuen wissenschaftlichen Kriterien ihrer politischen Selbstbeschreibung verlangten. In seiner klassischen Studie über „das imperiale Zeitalter“ hat Eric J. Hobsbawm die wechselseitige Bedingtheit von demokratisierten europäischen Herrschaftsordnungen und einer Soziologisierung der wissenschaftlichen Herrschaftslehren auf den Punkt gebracht: „Das Zeitalter der Demokratisierung war zugleich das goldene Zeitalter einer neuen politischen Soziologie und ihrer Vertreter: Durkheim und Sorel, Ostrogorski und die Webbs, Mosca, Pareto, Robert Michels und Max Weber.“[3] Die beiden Letztgenannten, die Jüngsten in dieser illustren Galerie innovativer politischer Denker, standen zeitweilig in einem höchst intensiven Gedankenaustausch.

Zwischen 1906 und 1915 schrieb Max Weber 118 Briefe und Karten an Michels.[4] Die Gegenbriefe sind leider nicht erhalten geblieben. Aber auch aus dieser einseitig überlieferten Korrespondenz wird deutlich, wie stark sich die brieflich dokumentierte Freundschaft, die viel wechselseitige Kritik der politischen Urteilskraft vertrug, im Werk beider Sozialwissenschaftler niedergeschlagen hat. Im Zentrum steht die Kardinalfrage aller Wissenschaftlichen Politik nach der „Herrschaft des Menschen über den Menschen“. Lässt sie sich abschaffen oder immer nur verändern? Wie unterscheidet sich rechtmäßige von unrechtmäßiger Herrschaftspraxis? Und was sind angemessene Kriterien wissenschaftlicher Herrschaftsanalyse zur Aufklärung eines politischen Gemeinwesens über sich selbst?

Max Weber und Robert Michels erforschten den europäisch-amerikanischen Weg in das 20. Jahrhundert mit gleichem Interesse an einer sozialanalytisch präzisierten Beobachtung der neuen Phänomene des politischen Raumes mit Massenstreiks, syndikalistischem Arbeiterprotest, organisierten Gewerkschaftsbewegungen und Spielräumen staatsbürokratischer Sozialpolitik. In der öffentlichen Streitkultur votierten sie jedoch für konträre Ordnungsmodelle. Weber verstand sich als selbstbewußter Bürger und kämpfte für einen individualistischen Humanismus; Michels verfocht zuerst sozialistische, zuletzt italienisch-faschistische Ziele. In ihren Biographien schlägt sich dies auf markante Weise nieder.

Max Weber (1864-1920) war Jurist von seiner akademischen Ausbildung her, mit rechtshistorischer Promotion und Habilitation. Er war Nationalökonom von Beruf mit Lehrstühlen in Freiburg, Heidelberg und München. Die Frage, die Weber seinen studentischen Hörern 1919 in der berühmten Rede über „Politik als Beruf“ stellte, „Was ist ein Staat?“ beschäftigte ihn Zeit seines Lebens. Für sein Hauptwerk über „Wirtschaft und Gesellschaft“ erforschte er ab 1910 alle Gemeinschaftsformen von der Familie über ethnische und religiöse Gemeinschaften bis zum modernen Nationalstaat. Sein Interesse richtete sich auf die Eigenart ihres inneren Zusammenhalts und ihre Bezüge zum Wirtschaftsleben. Ein besonderer Schwerpunkt, und hierfür war ihm Robert Michels ein wertvoller Partner geworden, galt der soziologischen Unterscheidung verschiedener Herrschaftstypen und den vielfältigen Mischungsformen, welche die „reinen Typen“ der rational-verfassungsrechtlichen, der traditionalen und der charismatischen Herrschaft in der Weltgeschichte angenommen haben. Alle Fragen nach Bedingungen und Rechtfertigungen, unter denen Menschen über Menschen herrschen, gingen 1920 in Webers letzte Münchner Vorlesung über „Allgemeine Staatslehre und Politik (Staatssoziologie)“ ein.

Robert Michels (1876-1936) hatte nach seiner Promotion in Marburg als Mitglied der italienischen sozialistischen Partei und der deutschen Sozialdemokratie keine Chance, sich an einer deutschen Universität zu habilitieren. Er wechselte deshalb nach Turin zu Achille Loria und schloß dort 1907 seine Habilitation ab. Weber war als Herausgeber des „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ (AfSS) auf Michels gestoßen, als er während seiner eigenen Arbeiten an den umfänglichen Artikeln zur Russischen Revolution von 1905 einen kompetenten Autor zur Behandlung der sozialistischen und anarchistischen Bewegungen suchte. Mit einer Spezialisierung auf diesem Gebiet machte Michels eine europäische Karriere als politischer Soziologie und Nationalökonom. Er lehrte nach Stationen in Brüssel und Paris seit 1907 mit Unterbrechungen bis 1928 in Turin. Hier unterhielt er eine enge Beziehung zu Vilfredo Pareto. 1923 war Michels in den „Partito Natioale Fascista“ eingetreten. Mussolini förderte ihn durch einen eigens eingerichteten Lehrstuhl an der Universität Perugia, den Michels bis zu seinem Tod inne hatte.

Die Freundschaft zu Robert Michels besaß „an Intimität und Intensität in Webers Biographie keine Parallele“, so deutet Wolfgang J. Mommsen den intellektuellen und emotionalen Gehalt der Briefe.[5] Von 1906 an bis zu ihrem Zerwürfnis, als Weber 1915 die öffentliche Parteinahme seines Freundes für Italiens Wechsel zu den deutschen Kriegsgegnern nicht akzeptieren wollte, hat Michels regelmäßig Aufsätze zur Parteiensoziologie geliefert, die von Weber redigiert und kritisch kommentiert wurden. 1913 setzte Weber sogar durch, Michels in den Herausgeberkreis des international renommierten „Archivs für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik“ aufzunehmen. In kontinuierlicher Auseinandersetzung mit den gesinnungsradikalen Vorstellungen, mit denen Michels für eine syndikalistische Politik im Dienste der unmittelbaren Demokratie eintrat, schärfte Weber seine eigene politikanalytische Position und seine Unterscheidung verschiedener Typen der Demokratie. Das Manuskript über die „oligarchischen Tendenzen der Gesellschaft. Ein Beitrag zum Problem der Demokratie“ bot ihm im August 1908 Gelegenheit, mit Michels über gesinnungsethisches und verantwortungsethisches Handeln zu streiten,[6] zwei alternative politische Ethiken, die er 1919 in seiner berühmten Rede über „Politik als Beruf“ auch den Studenten vor Augen führte.

Michels war für Weber ein gesinnungsradikaler Sohn Leo Tolstois, über den er selbst einmal ein Buch schreiben wollte. Von Michels wünschte er sich nicht weniger als eine „Kulturgeschichte der proletarischen Bewegungen“, geschrieben mit dem Herzblut, das die „Ethik des Streiks“ erklärlich macht, aber zugleich mit aller Distanz eines wissenschaftlichen Realitätssinnes.[7] Weber konfrontiert und provoziert den Sozialisten Michels mit dem Kernsatz seiner eigenen politischen Anthropologie, „die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beseitigen [ist] eine Utopie“.[8] Was in Webers späten Schriften als strenge Architektur von Idealtypen zur Legitimität von Herrschaft erscheint, erhält in den Briefen an Michels die Farbe persönlicher Kontroversen und Emotionen. Erörtert werden die Chancen und Irrtümer, durch eine revolutionäre Gesinnung den sozialwissenschaftlichen Erkenntnisgewinn zu steigern.

In kritischem Dauerkommentar durch Weber entstand Michels‘ epochemachendes Buch von 1911 „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens“. Michels widmet die erste Auflage Weber mit einem bemerkenswerten Eintrag: „Seinem lieben Freunde Max Weber in Heidelberg, dem Geraden, der, insofern er das Interesse der Wissenschaft erheischt, vor keiner Vivisektion zurückscheut, mit seelenverwandtschaftlichem Gruße gewidmet.”[9] „Vivisektion“ – die subtile Beschwerde gilt Webers rigidem Beharren auf einer Vorstellung von Wissenschaft, die Wirklichkeit auf klare Begriffe zu bringen hat und sie weder durch politische Utopien verzerren, noch durch romantische Metaphern verklären darf. Eines ist trotz solcher Spitzen sicher. Im kritischen Dialog lernten beide erheblich voneinander, und in den zehn Jahren ihres befruchtenden Austausches legten sie den Grundstein für eine politische Soziologie, in der die Spannungen zwischen der Demokratisierung der Massengesellschaft und den Prozessen parteipolitischer Elitenbildung als das große Problem der modernen Politik erkannt und mit neuen Methoden untersucht wurden. Dafür ist Michels´ Studie über die „Soziologie des Parteiwesens“ nach wie vor eine unverzichtbare historische Quelle.

Den Dank für Buch und Widmung verband Weber in seiner typischen Art im Brief vom 21. Dezember 1910 mit einer Wiederholung grundsätzlicher Einwände: „Ich vermisse es, daß Sie nicht Bryce, American Commonwealth (große Ausgabe! nicht die kleine, die Sie zitieren) benutzt haben. Sie wäre Ihnen sicherlich von Nutzen gewesen. – Alles in Allem: der Begriff ,Herrschaft’ ist nicht eindeutig. Er ist fabelhaft dehnbar. Jede menschliche, auch gänzlich individuelle, Beziehung enthält Herrschafts-Elemente, vielleicht gegenseitige (dies ist sogar die Regel, so z.B. in der Ehe). […] Ihr Schema ist zu einfach. Aber Ihr Buch fördert die Sache sehr.“[10]

Die wiederholte Nennung des britischen Rechts- und Politikwissenschaftlers James Bryce verweist auf einen zusätzlichen Ertrag der freundschaftlichen Beziehung, auf den Transfer der neuesten internationalen Forschungen zur politischen Elitenbildung, zu den Machtkämpfen der Parteien, zu den Chancen demagogischer Massenlenkung wie zur Massenpresse als „vierter Gewalt“, nicht zuletzt zur Schlüsselrolle eines demokratischen Wahlrechts und zur prekären Lage der Parlamente. Michels hatte Weber hierzu mit den Werken Gaetano Moscas und Vilfredo Paretos vertraut gemacht.[11] Weber seinerseits hatte für die Institutionenanalyse moderner westlicher Staaten Sidney Low und insbesondere James Bryce ins Spiel gebracht, dessen Untersuchungen zu den „professional politicians“ wie zum Funktionieren der „Parteimaschine“ er seit seiner Amerikareise von 1904 hoch schätzte, da sie aus der Anschauung der modernen Massendemokratisierung selbst gewonnen waren. [12] Der britische Staatsmann und Politikwissenschaftler James Bryce, den Hobsbawm zu Unrecht nicht unter den Begründern der politischen Soziologie aufgelistet hat, war der erste, der den Phänomenen des politischen Massenmarktes 1888 in seiner dreibändigen Studie über „The American Commonwealth“ systematisch auf den Grund gegangen war.[13]

Im „imperialen Zeitalter“ mußte eine politische Wissenschaft ihre Horizonte erweitern und ihr Geschichtsbild verändern. „Herrschaft“ im modernen Staat schien nur aus einem gemeinsamen europäischen Entwicklungsprozeß heraus verständlich und war in die Bezüge einer globalisierten Weltwirtschaft und Weltpolitik zu setzen. Max Weber teilte diese Perspektive. Das bedeutete eine Absage an alle romantischen Ideen einer deutschen Sondertradition und einer eigensinnigen „deutschen Staatsanschauung“, wie sie die Staatswissenschaftler und Historiker an deutschen Universitäten mit Vorliebe lehrten. Die vernünftige Gestaltung politischer Herrschaft erlaube „für einen Massenstaat, nur eine begrenzte Anzahl von Formen. (…) Die Deutschen hätten hier zu lernen, daß weder der Parlamentarismus der deutschen Geschichte fremd, noch irgendeines der ihm entgegengesetzten Systeme nur Deutschland eigen ist.“[14] Mitten im Weltkrieg mußte ein solcher Befund den Kulturkämpfern für die deutschen „Ideen von 1914“ gegen die universalen „Ideen von 1789“ unerhört klingen. Zu ungewohnt war es für die eingeschliffenen Denkmuster des Nationalismus, die Grundfragen der politischen Organisation menschlicher Gemeinwesen von der nationalen auf die europäische, sogar auf die europäisch-nordamerikanische Ebene gehoben zu sehen. Exakt auf dieser Ebene liegen aber für Weber die „universalhistorischen Probleme“ und nötigen zum Studium der „Entstehung des abendländischen Bürgertums und seiner Eigenart“. Dazu fordert die „Vorbemerkung“ zu den „Gesammelten Aufsätze zur Religionssoziologie“, eindringlich auf.[15] Zum Kernbestand der in dieser „Vorbemerkung“ eingeforderten europäischen Kulturgeschichte zählt die Erschließung politischer Herrschaft mit neuen Instrumenten der politischen Wissenschaft. Wie diese Instrumente geschärft wurden, dazu vermitteln Webers Briefe an Robert Michels einen unvergleichlichen Eindruck.


[1] Essay zur Quelle: Briefe Max Webers an Robert Michels vom 4. August 1908 und vom 19. Februar 1909.

[2] Bayly, Christopher A., Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780-1914, Frankfurt a.M., 2006, S. 565-585.

[3] Hobsbawm, Eric J., Das imperiale Zeitalter 1875-1914, Frankfurt a.M. 1989, S. 118. Gemeint sind Emile Durkheim (1858-1917), Georges Sorel (1847-1922), Moissei Ostrogorski (1854-1919), Beatrice Webb (1858-1943), Sidney Webb (1859-1947), Gaetano Mosca (1848-1923), Vilfredo Pareto (1848-1923).

[4] Sie sind ediert und kommentiert im Rahmen der Max Weber-Gesamtausgabe (MWG), Abt. II, Briefe, Tübingen, 1990 ff., in den Bänden MWG II/5-II/8 für die Jahre 1906-1914; MWG II/9 (1915-1917) erscheint voraussichtlich 2008.

[5] Mommsen, Wolfgang J., Robert Michels und Max Weber. Gesinnungsethischer Fundamentalismus versus verantwortungsethischen Pragmatismus, in: Mommsen, Wolfgang J.; Schwentker, Wolfgang (Hgg.), Max Weber und seine Zeitgenossen, Göttingen 1988, S. 196-215, Zitat S. 197. Vgl. Tuccari, Francesco, I dilemmi della democrazia moderna. Max Weber e Robert Michels, Bari 1993.

[6] Brief Max Webers an Robert Michels vom 4. August 1908, vgl. Quelle. Michels’ Artikel erschien in: AfSS 27 (1908), S. 73-135.

[7] Brief Max Webers an Robert Michels vom 19. Februar 1909, vgl. Quelle.

[8] Brief Max Webers an Robert Michels vom 4. August 1908, vgl. Quelle.

[9] Michels, Robert, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Leipzig 1911.

[10] Brief Max Webers an Robert Michels vom 21. Dezember 1910, MWG II/6, S. 761.

[11] Michels hatte Pareto und Weber miteinander bekannt gemacht, vgl. den Nachruf von Michels, Robert, Max Weber, in: Baseler Nachrichten vom 14. Juli 1920, Wiederabdruck in: Michels, Robert, Masse, Führer, Intellektuelle. Politisch-soziologische Aufsätze 1906-1933, mit einer Einführung hg. von Joachim Milles, Frankfurt a.M. 1987, S. 256-264, hier S. 260.

[12] „Wir haben derartige für die Soziologie des Parteilebens ganz unentbehrliche Arbeiten bisher eigentlich nur für die amerikanischen Parteien (zusammenfassend: James Bryce in der ,American Commonwealth’), wo sie nach Lage der Dinge eben immer zu einer Partei-Pathologie werden müssen (,Boß’-Wesen etc.), und neuerdings Sidney Low u.A. für England.“ Brief Max Webers an Robert Michels vom 26. März 1906, MWG II/5, S. 57. Es handelt sich um Bryce, James, The American Commonwealth, 3 vols. London u.a.. 1888 und um Low, Sindney, The Governance of England, London 1904.

[13] Vgl. Portinaro, Pier Paolo, Amerika als Schule der politischen Entzauberung. Eliten und Parteien bei Max Weber, in: Hanke/Mommsen, S. 285-302, hier S. 296-299.

[14] Weber, Max, Zur Politik im Weltkrieg. Schriften und Reden 1914-1918, hg. von Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Gangolf Hübinger, Tübingen 1984 (MWG I/15), S. 434f.

[15] Vgl. im „Themenportal Europäische Geschichte“ dazu Quelle und Essay von Hinnerk Bruhns


Literaturhinweise
  • Max Weber Gesamtausgabe, hg. von Baier, Horst; Hübinger, Gangolf; Lepsius, M. Rainer; Mommsen, Wolfgang J. (+); Schluchter, Wolfgang; Winckelmann, Johannes (+), Abt. II, Briefe, Tübingen 1990.
  • Michels, Robert, Masse, Führer, Intellektuelle. Politisch-soziologische Aufsätze 1906-1933, mit einer Einführung hg. von Joachim Milles, Frankfurt a.M. 1987.
  • Breuer, Stefan, Max Webers tragische Soziologie, Tübingen 2006.Hanke, Edith; Mommsen, Wolfgang J., Max Webers Herrschaftssoziologie, Tübingen 2001.


Zugehörige Quelle: Weber, Max: Zwei Briefe an Robert Michels (1908/09)

Max Weber: Zwei Briefe an Robert Michels (1908/1909)

4. August 1908: Max Weber an Robert Michels[1]

Lieber Freund!

[…] Ihre letzte Arbeit im Archiv hat hier große Beachtung gefunden, ich wurde mehrfach darauf angesprochen. Ich fand sie sehr richtig u. gut in der kritischen Partie. Aber – ach wie viel Resignation werden Sie noch über Sich ergehen lassen müssen! Solche Begriffe wie „Wille des Volkes“, „wahrer Wille des Volkes“ u.s.w. existieren für mich schon lange nicht mehr. Sie sind Fiktionen. Es ist grade so, als ob man von einem „Willen der Stiefelconsumenten“ reden wollte, der für die Art, wie der Schuster seine Technik einrichten sollte, maßgebend sein müsse[2]). Es giebt zwei Möglichkeiten. Entweder: 1) „mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Tolstoj, oder der zu Ende gedachte Syndikalismus, der gar nichts als der Satz „das Endziel ist mir nichts, die Bewegung Alles“ ins Revolutionär-Ethische,Persönliche übersetzt ist, aber freilich auch von Ihnen nicht zu Ende gedacht wird![3])) – oder: 2) Cultur- (d. h. objektive, in technischen u.s.w. „Errungenschaften“ sich äußernde Cultur-)Bejahung unter Anpassung an die soziologischen Bedingungen aller „Technik“, sei sie ¦:ökonomische,: ¦politische oder was immer sonst (am meisten wäre sie gerade in „Collektivgesellschaften“ verkörpert). Im Fall ad 2 ist alles Gerede von „Revolution“ Farce, jeder Gedanke, durch irgend ein noch so „sozialistisches“ Gesellschaftssystem, durch noch so ausgetüftelte Formen der „Demokratie“ „die Herrschaft des Menschen über den Menschen [„] zu beseitigen, eine Utopie. Ihre eigne Kritik geht darin aber noch lange nicht weit genug. Wer als „moderner Mensch“ auch nur in dem Sinn leben will, daß er täglich seine Zeitung hat und Eisenbahnen, Electrics etc. pp. – der verzichtet auf alle jene Ideale, die Ihnen dunkel vorschweben, sobald er überhaupt den Boden des Revolutionarismus um seiner selbst willen, ohne jedes „Ziel“, ja ohne die Denkbarkeit eines „Zieles“, verläßt. Sie sind ein grundehrlicher Kerl und werden an Sich selbst – das zeigen die schüchternen Ansätze in Ihrem Artikel – die Kritik vollziehen, die mich längst zu jener Denkweise gebracht hat und damit zum „bürgerlichen“ Politiker stempelt, so lange auch nur das Wenige, was man als solcher wollen kann, nicht in die unendliche Ferne rückt.[…]

19. Februar 1909: Max Weber an Robert Michels[4]

Lieber Freund,

[...] Interessiert hat mich am meisten: die „Ethik“ des Streiks. Aber freilich habe ich stark den Kopf geschüttelt. Es kann Ihnen doch unmöglich entgehen, daß ein recht erheblicher Teil aller Streiks (so der verlorene Hamburger Hafenstreik) nicht etwa nur die Gewerkschaften (das wäre Ihnen ja egal), sondern jedes Fortschreiten der Klassenbewegung um Jahre, ja Jahrzehnte zurückwerfen, genau entgegengesetzt wirken, als es demjenigen, der den Werth des Streiks an seiner Bedeutung für die Annäherung an die „Vergesellschaftung“ oder an die Einigung des Proletariats als Klasse oder an was Sie wollen von (provisorischen) sozialistischen „Zielen“ mißt, erwünscht sein muß. Es ist die bizarrste Behauptung, die man überhaupt aufstellen kann, angesichts dieser Erfahrungen zu sagen: jeder Streik wirkt in der vom Sozialismus postulierten Richtung, ergo ist jeder Streik „gerecht“. Und überhaupt: diese Messung der „Ethik“ am „Erfolge“. Haben Sie Ihren Cohen ganz vergessen? Das wenigstens konnte er Ihnen austreiben. Vollends dem Syndikalisten Michels! Der Syndikalist Michels durfte (und mußte) vielleicht sagen: die Gesinnung, die ein Streik bethätigt, ist stets die „rechte“ Gesinnung, sie ist die militaristische (klassen-militaristische) Gesinnung, sie ist patriotisch (klassen-patriotisch),- ergo u.s.w. Aber welche Schwäche, nach dem Erfolg zu schielen! Und dann die klaren Thatsachen zu vergewaltigen!

Und nun, lieber Freund, auch das muß ich sagen: Ihre Antrittsrede war als solche natürlich vollkommen all right, - aber als wissenschaftliche Abhandlung – sagen Sie selbst! – entschieden unter Ihrem Niveau, weil unscharf, verschiedene Probleme vermischend und keines ganz scharf stellend. Ich glaube nicht, daß ich das näher begründen muß. Ich fürchte, Sie müssen Sich in Ihrer jetzigen Lage durch sehr vieles Sich-Abnötigen von Produktionsleistungen (aus materiellen Gründen) geistig ermatten. Den Eindruck hat man (zuweilen!). Eine schwere Tragik wäre das, die ich als Freund in voller Tiefe ermesse, aber deren gefährliche Consequenzen ich ehrlicherweise, auch wo sie nur (wie vorerst) andeutungsweise auftreten, doch nicht verschweigen darf! Ist es für Sie materiell ganz unmöglich, daß Sie Sich zu mehr wissenschaftlicher Ruhe verhelfen? Ideell – von Partei wegen – muß es möglich sein. Denn keine Parteipflicht kann das Recht haben, Sie zu nötigen, sich – wie es sicher geschehen würde – durch zu rasches Produzieren allmählig selbst zu entwerthen und so alle Ihre Gegner triumphieren zu lassen!

Immer wieder ertappe ich mich plötzlich in einer Art von Schulmeister-Pose Ihnen gegenüber! Ich lechze förmlich darnach, Ihnen einmal Gelegenheit zu geben, den Spieß umzukehren.

Sehr begierig wäre ich, zu hören, um was für Bücher von Ihnen sich denn die Kämpfe mit den Verlegern gedreht haben? Ich bin so absolut überzeugt, daß uns von Ihnen etwas Großes und Reifes kommen muß! Wenn Sie so allmälig anfingen, Gedanken und Material für eine „Culturgeschichte der modernen proletarischen Bewegung“ aufzuspeichern. Eine ungeheure Aufgabe, für die ich auf der weiten Welt nur Sie wüßte! [...]


[1] Abdruck in: Max Weber, Briefe 1906 – 1908, hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön, Tübingen 1990 (MWG II/5), S. 615f.

[2] Die Schuhconsumenten wissen zwar, wo sie der Schuh drückt, aber niemals: wie er besser gemacht werden solle.

[3] Darüber werde ich wohl einmal etwas schreiben.

[4] Abdruck in: Max Weber, Briefe 1909 – 1910, hg. von M. Rainer Lepsius und Wolfgang J. Mommsen in Zusammenarbeit mit Birgit Rudhard und Manfred Schön, Tübingen 1994 (MWG II/6), S. 60-62.


Zugehöriger Essay:
Hübinger, Gangolf: Politische Herrschaft und politische Wissenschaft. Die Briefe Max Webers an Robert Michels vor dem Ersten Weltkrieg

Für das Themenportal verfasst von

Gangolf Hübinger

( 2007 )
Zitation
Gangolf Hübinger, Politische Herrschaft und Politische Wissenschaft Die Briefe Max Webers an Robert Michels vor dem Ersten Weltkrieg, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1449>.
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