Europäer erwünscht. Die australische Einwanderungspolitik zu Beginn des 20. Jahrhunderts[1]
Von Mandy Kretzschmar
Am 23. Dezember 1901 verabschiedete der geeinte australische Staat als eines der ersten bedeutenden Gesetze den Immigration Restriction Act, der die sozialen, gesundheitlichen moralischen, rechtlichen und kulturellen Kriterien sowie die administrativen Verfahren der der Einwanderung festlegte. Eingeführt wurde damit auch eine Sprachprüfung in Form eines Diktats, womit die Kenntnisse in einer europäischen Sprache getestet wurden. Der Immigration Restriction Act war ein Instrument, mit dem Einwanderungsströme geregelt und kanalisiert werden konnten; er bevorzugte Immigranten europäischer Herkunft und diskriminierte implizit asiatische Einwanderer. Als historische Quelle interessiert der Immigration Restriction Act im Folgenden insbesondere unter den Gesichtspunkten eines kulturell verbrämten Rassismus und im Hinblick auf australische Vorstellungen über Europa und die Europäer.
Im Zeitraum von 1902 bis 1903 wurde die im Immigration Restriction Act vorgesehene Möglichkeit der Durchführung einer Sprachprüfung bei 805 Einwanderern angeordnet, von denen nur 46 bestanden. Zwischen 1904 und 1909 bestanden von 554 entsprechend geprüften Immigranten ganze sechs. In der Folge absolvierte kein Einwanderer mehr die Prüfung, die bis 1958 gesetzlich verankert blieb, mit Erfolg.[2] Angesichts der Zahl der Einwanderer, die zwischen 1900 bis 1910 jährlich durchschnittlich 60.000[3] betrug, war die Zahl derjenigen, die tatsächlich die Sprachprüfung ablegen mussten, zweifellos gering. Angesichts der zurückhaltenden Implementierung der Sprachprüfung, die von den zuständigen Beamten angeordnet und durchgeführt werden konnte (aber nicht musste), wird deutlich, dass diese Kann-Bestimmung ein Mittel war, um bestimmte Individuen und Gruppen auszuschließen. Grundsätzlich schloss eine solche Sprachprüfung zunächst gänzlich diejenigen Immigranten aus, die nicht über die Fähigkeit zu schreiben und zu lesen verfügten. Indem es den Beamten oblag, die europäische Sprache, in der die Prüfung (ein Diktat von fünfzig Wörtern) erfolgte, zu bestimmen, bestand die Möglichkeit, dass die Sprachprüfung in rassistischer Absicht oder aufgrund kultureller und politischer Motive instrumentalisiert wurde. Diskriminiert wurden dabei nicht nur Immigranten asiatischer Herkunft, sondern auch europäische Einwanderer, die aufgrund ihrer ethnisch-kulturellen Herkunft oder ihres politischen Standpunkts nicht willkommen waren. Beispielsweise musste sich der in Prag geborene – tschechische, österreichische und deutsche – Journalist und Kommunist Egon Erwin Kisch (1885-1948),[4] der 1934 zum Weltkongress gegen Krieg und Faschismus nach Melbourne reiste, einem Sprachtest in Gälisch unterziehen, nachdem er erfolgreich mehrere Sprachprüfungen in anderen europäischen Sprachen bestanden hatte.[5] Aufgrund seiner Klage entschied ein australisches Gericht schließlich zu seinen Gunsten und erklärte den Status Kischs als „illegaler Einwanderer“ rückwirkend für ungültig.
Der Immigration Restriction Act, der vielfach als Eckpfeiler der White Australia Policy bezeichnet wird, war durch einen latenten Rassismus motiviert, der sich in erster Linie gegen nichteuropäische Ansiedler richtete. Alle in der Regierung der neu konsolidierten Nation vertretenen Parteien teilten die Auffassung, dass die soziale und kulturelle Einheit Australiens, das als das ‚bessere Britannien in der Südsee’ galt, mit Hilfe von Maßnahmen gegen die nichteuropäische Einwanderung geschützt werden müsse.[6] Australien verstand sich als europäischer Vorposten im Pazifik und als Außenposten des Britischen Empire mit dem zivilisatorischen Auftrag die Überlegenheit der weißen Rasse im Südpazifik zu behaupten.[7] Zu diesem zivilisatorischen Auftrag gehörte nach australischem Selbstverständnis angesichts der Spannungen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den europäischen Mächten eine Balance zwischen Loyalität und Eigenständigkeit gegenüber Europa. Die Bemühungen um einen inneren Konsolidierungsprozess der australischen Kolonien wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgrund der Ängste vor einer Invasion europäischer oder asiatischer Mächte intensiviert. Die deutsche Annexion der Inseln Neuguineas und Samoas im Pazifischen Ozean und in unmittelbarer Nähe zum australischen Festland wurde von der kolonialen Gesellschaft Australiens als Bedrohung von außen wahrgenommen und als Zeichen dafür, dass Großbritannien den Schutz und die Verteidigung des australischen Kontinents vor einer Invasion weder gewährleisten konnte noch dezidiert wollte. Es war der Wunsch nach Sicherheit im pazifischen Raum, der die australischen Kolonien vereinte.[8] An der Schwelle zum 20. Jahrhundert vollzog der Fünfte Kontinent den entscheidenden Schritt auf dem Weg der Abnabelung vom britischen Mutterland.
Weiße Suprematievorstellungen hatten sich bereits im 19. Jahrhundert im Verhalten der australischen Siedler gegenüber unerwünschten farbigen Einwanderern manifestiert. Fremdenfeindliche Tendenzen artikulierten sich damals in den australischen Kolonien sowohl in Übergriffen auf chinesische Goldsucher als auch in Ausschreitungen gegen die zwangsverpflichteten billigen Arbeitskräfte aus der Südseeregion. Vor dem Hintergrund einer längeren Geschichte von kulturellen Spannungen, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus genossen die Immigrationsbeschränkungen, mit denen der junge Staat seit 1901 die Aufnahme von Neubürgern regelte und seine Position im Pazifik zwischen Europa und Asien definierte, eine breite Zustimmung. Im Rahmen des Konsolidierungsprozesses der australischen Kolonien zum Commonwealth of Australia kam der Immigrationsthematik eine entscheidende Bedeutung zu.
Mittels der aktiven Diskriminierung von Asiaten glaubte man, die ‚rassische Reinheit’ der kolonialen Bevölkerung gewährleisten und die Gefahr einer möglichen asiatischen Invasion bannen zu können. Die Implementierung der restriktiven Einwanderungspolitik erwies sich allerdings zunächst als unerwartet schwierig, da eine ausdrücklich rassisch begründete Beschränkung der Immigration aufgrund der engen Bündnispolitik der britischen Regierung mit dem Japanischen Kaiserreich nicht opportun war. So lange der australische Staat den Status einer Kolonie, ab 1907 dann den eines Dominion hatte, lag die letzte Entscheidungshoheit in der Außenpolitik bei der britischen Regierung, die angesichts enger Handelsbeziehungen und gemeinsamer strategischer Interessen mit China und Japan Auseinandersetzungen über die Bewegung von Migranten innerhalb der gemeinsamen Interessengebiete vermeiden wollte. Die politischen Entscheidungsträger des neu gegründeten australischen Staates, die die nichteuropäische Immigration, insbesondere aus Indien, China und auch Japan, unterbinden wollten, bedienten sich deshalb der Sprachprüfung. Da sie unter den gegebenen politischen Bedingungen bestimmte Migranten nicht mithilfe geographischer und rassischen Kriterien vom australischen Kontinent fernhalten konnten, entschieden sie sich dafür, die Kenntnis europäischer Sprachen zum Auswahl- und Aufnahmekriterium zu machen. Deshalb wurde im Immigration Restriction Act ausdrücklich die Möglichkeit der Durchführung einer Sprachprüfung festgelegt, die innerhalb des ersten Jahres nach Ankunft des Einwanderers beliebig oft in verschiedenen europäischen Sprachen durchgeführt werden konnte.
Australien war (und ist) eine Immigrationsgesellschaft, deren Existenz von der stetigen Einwanderung neuer Arbeitskräfte abhängig war. Fragen, Diskurse und Verfahren der Einwanderung hatten um 1900 bereits eine lange Tradition. Seit den 1840er Jahren wurden vor allem englische Einwanderer gewonnen, deren Überfahrtskosten übernommen wurden. Bis in die 1950er Jahre basierte die Einwanderungspolitik vorwiegend auf drei Säulen, nämlich erstens der Erhaltung einer britischen Dominanz und zugleich „weißer“ Hegemonie, zweitens der militärischen und wirtschaftlichen Stärkung des Fünften Kontinents durch selektive, geplante, überwiegend britische und irische Massenmigration, sowie drittens der staatlichen Kontrolle des Einwanderungsprozesses.[9] Der Immigration Restriction Act von 1901 setzte diese politischen Zielsetzungen der australischen Immigrationspolitik und die Idealvorstellung einer rassisch weißen Bevölkerung konsequent um. Auch die in den Folgejahren verabschiedeten Änderungen des Gesetzes unterstrichen die Absicht, die Einwanderung aus nichteuropäischen Gebieten und Zivilisationen zu unterbinden. 1905 wurde die Formel „europäische Sprache“ durch „vorgeschriebene Sprache“ ersetzt, was die willkürliche Auswahl und Handhabung der Prüfung durch die Beamten aber nicht veränderte. Seit 1932 konnte der Test innerhalb der ersten fünf Jahre nach Ankunft des Immigranten beliebig oft wiederholt werden.
Im Rahmen weiterer gesetzlicher Verordnungen wurde im 20. Jahrhundert zunehmend auch zwischen Einwanderern aus verschiedenen Teilen Europas unterschieden. Insbesondere die Einführung neuer Visabestimmungen und eines Quotensystems in den zwanziger Jahren etablierten eine neue Interpretation der White Australia Policy, die sich nunmehr auch auf europäische Immigranten erstreckte. Den Anlass dazu lieferte die Einwanderungswelle von Südeuropäern nach dem Ersten Weltkrieg. So siedelten im Zeitraum von 1921 bis 1925 13.582 Italiener nach Australien über.[10] Obwohl diese Gruppe nur 7,5% aller Einwanderer dieser Periode ausmachten, löste ihre Präsenz in Teilen der australischen Bevölkerung doch massive Ängste aus, da die südeuropäischen Einwanderer als billige Arbeitskräfte und Konkurrenz auf dem australischen Arbeitsmarkt galten. Eine überspitzte Presseberichterstattung schürte diese Ängste durch die Verbreitung von Stereotypen über Südeuropäer, die inoffiziell auch als white aliens bzw. „halbfarbig“ bezeichnet wurden.
Politische Entscheidungsträger wie Senator Hoare von der Labor Party argumentierten zwar 1927 grundsätzlich, dass sich europäische Einwanderer aufgrund der kulturellen Nähe zwischen Europa und Australien und angesichts der europäischen Wurzeln der Australier besser in die Gesellschaft des Fünften Kontinents integrieren könnten; Briten und Skandinavier seien aufgrund ihrer mentalen, technischen und sozialen Eigenschaften für das australische Landleben aber besser geeignet als Südeuropäer.[11] Im und nach dem Ersten Weltkrieg kam es zu ausdrücklichen Diskriminierungen bestimmter europäischer Migrantengruppen, wie der Malteser und Griechen, für die von 1916 bis 1920 ein Einreiseverbot bestand.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass der australische Immigration Restriction Act von 1901 für Einwanderer nicht nur zivilisationsübergreifend geltende Regeln und Merkmale vorschrieb wie straffreies Vorleben, geistige und körperliche Gesundheit und moralisch einwandfreien Lebenswandel. Er war vielmehr auch Ausdruck eines sprachlich, kulturell, konfessionell und anthropologisch begründeten Rassismus und eines australischen Europabewusstseins, das sich nach und nach aus dem Denkhorizont des britischen Imperialismus herauslöste und zu einem Nationalbewusstsein der ursprünglich aus Europa stammenden weißen Australier wandelte. Europäische Immigranten wurden aufgrund ethnischer, kultureller und physischer Eigenarten favorisiert. Die legislative Verordnung von 1901 markiert den Beginn einer bis in die 1960er Jahre andauernden Diskriminierung bestimmter Gruppen von Immigranten, die zunehmend auch bestimmte europäische Immigranten betraf. Eine europäische Herkunft garantierte demnach nicht zwangsläufig, dass die Einwanderung nach Australien erwünscht war.
[1] Essay zur Quelle: Australische Einwanderungspolitik zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Immigration Restriction Act
(No. 17, 1901) und die Rede des Senators Hoare, CPD (Süd-Australien, 24. November 1927); [Auszüge].
[2] National Archives of Australia, http://www.foundingdocs.gov.au/item.asp?sdID=87 (08.09.2008).
[3] National Archives of Australia,http://www.naa.gov.au/naaresources/Publications/research_guides/guides/immig/pages/pic014.htm (08.09.2008).
[4] Vgl. Kisch, Egon Erwin, Landung in Australien, Amsterdam 1937.
[5] Zogbaum, Heidi, Kisch in Australia: The Untold Story, Carlton 2004.
[6] Ward, Russel, The History of Australia. The Twentieth Century, New York 1977.
[7] Platz, Norbert, Australiens kulturelle Identität, in: Bader, Rudolf (Hg.), Australien. Eine interdisziplinäre Einführung, Trier 1996, S. 237-269, S. 252.
[8] Leutenecker, Gerd, Australien im internationalen Spannungsfeld, in: Bader, Australien, S. 147-162, S. 150.
[9] Jupp, James, From White Australia to Woomera. The Story of Australian Immigration, Cambridge 2002, S. 6.
[10] Borrie, W.D., Italians and Germans in Australia. A Study in Assimilation, Melbourne 1954, S. 39.
[11] Vgl. dazu die Quelle Rede des Senators Hoare, Labor, South Australia, im Senat am 24 November 1927.
Literaturhinweise:
Borrie, W.D., Italians and Germans in Australia, Melbourne 1954.
Jupp, James, From White Australia to Woomera. The Story of Australian Immigration,
Cambridge 2002.
Kisch, Egon Erwin, Landung in Australien, Amsterdam 1937.
Leutenecker, Gerd, Australien im internationalen Spannungsfeld, in: Bader, Rudolf (Hg.), Australien. Eine interdisziplinäre Einführung, Trier 1996, S. 147-162.
Platz, Norbert, Australiens kulturelle Identität, in: Bader, Rudolf (Hg.), Australien. Eine
Tavan, Gwenda, The Long, Slow Death of White Australia, Melbourne 2005.
York, Barry, Admissions and Exclusions.
Ward, Russel, The History of Australia. The Twentieth Century, New York 1977.
Zogbaum, Heidi, Kisch in Australia: The Untold Story, Carlton 2004.