Frankreichs Selbstverständnis in Europa. Mitterands Referendumskampagne um den Maastrichter Vertrag 1992

Wie kann eine skeptische Öffentlichkeit dazu bewogen werden, dem europäischen Integrationsprojekt in einem nationalen Referendum zuzustimmen? Auf diese aktuelle Frage liefert die vorliegende Rede François Mitterrands (1916-1996) eine mögliche Antwort. Darüberhinaus enthält der Textausschnitt aber noch mehr – der französische Präsident (1981-1995) zeigt, wie aus französischer Sicht die demokratische Legitimität der Europäischen Union (EU) rhetorisch etabliert werden kann, ohne das bestehende nationale republikanische Selbstverständnis in Frage zu stellen. Europa und Nation sind hier keine Gegensatzpaare mehr, wie Mitterrands Gegner in der Referendumskampagne verkünden. Stattdessen etabliert Mitterrand bewusst ein Selbstverständnis, das das gegenwärtige nationale und das neu zu begründende europäische Gemeinwesen zusammenführt. [...]

Frankreichs Selbstverständnis in Europa. Mitterands Referendumskampagne um den Maastrichter Vertrag 1992

Von Stefan Seidendorf

Wie kann eine skeptische Öffentlichkeit dazu bewogen werden, dem europäischen Integrationsprojekt in einem nationalen Referendum zuzustimmen? Auf diese aktuelle Frage liefert die vorliegende Rede François Mitterrands (1916-1996) eine mögliche Antwort.[1] Darüberhinaus enthält der Textausschnitt aber noch mehr – der französische Präsident (1981-1995) zeigt, wie aus französischer Sicht die demokratische Legitimität der Europäischen Union (EU) rhetorisch etabliert werden kann, ohne das bestehende nationale republikanische Selbstverständnis in Frage zu stellen. Europa und Nation sind hier keine Gegensatzpaare mehr, wie Mitterrands Gegner in der Referendumskampagne verkünden. Stattdessen etabliert Mitterrand bewusst ein Selbstverständnis, das das gegenwärtige nationale und das neu zu begründende europäische Gemeinwesen zusammenführt.

Nach einer kurzen Kontextualisierung des Quellenausschnitts wird untersucht, wie Mitterrand einerseits das Selbstverständnis eines europäischen politischen Gemeinwesens definiert, wobei er andererseits der bestehenden französischen Republik darin eine neue Bestimmung offenbart und ihre Zukunftsfähigkeit sichert.

François Mitterrand und der Maastrichter Vertrag

Die vorliegende Ansprache, gehalten am 5. Juni 1992 vor Studierenden und Lehrkräften des Pariser politikwissenschaftlichen Instituts (IEP), reiht sich in jene Reihe programmatischer Reden ein, mit denen Mitterrand am Ende seiner zweiten Amtszeit (1988-1995) versuchte, sein ‚europäisches Vermächtnis‘ zu begründen.[2] Seit Beginn seiner Zeit als Präsident (1981) spielte die Frage der europäischen Integration, zunächst der ‚Überwindung‘ der ‚Eurosklerose‘, später der ‚Schaffung des Binnenmarktes‘ in der Einheitlichen Europäischen Akte, eine wichtige Rolle in Mitterrands außenpolitischem Handeln. Ein zentraler Bezugspunkt war dabei stets das deutsch-französische Verhältnis. Obwohl Mitterrand selbst die Bedeutung dieser beiden Elemente für seine Politik immer wieder mit Verweis auf sein persönliches Erleben (Kriegsgefangenschaft in Deutschland und Teilnahme am Haager Europakongress 1948) rechtfertigte, lassen sich bei ihm neben der ‚ideellen‘ Komponente stets auch strategische und instrumentelle Handlungsmotive für seine Europapolitik nachweisen. So stand zu Beginn der Präsidentschaft des Sozialisten die Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Frankreichs und die damit einhergehende Wirtschafts- und Sozialpolitik ambitionierteren europäischen Integrationsbestrebungen im Wege. Die Abkehr von dieser Politik (1983) ermöglichte sowohl die ‚Überwindung der Eurosklerose‘ (1984), als auch die weitere Marginalisierung des ungeliebten Koalitionspartners. Ebenso war das Verhältnis zu Deutschland, in dem die Inszenierung der ‚Aussöhnung‘ mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl im Mittelpunkt stand, immer auch von taktischen und strategischen Überlegungen geprägt. Dennoch bleibt festzuhalten, dass es Mitterrand in seinem politischen Denken und Handeln immer wieder gelang, die etablierte Wahrnehmung politischer Konflikte zugunsten zukunftsweisender Lösungen zu überwinden.

Die hier vorgestellte Rede an der Pariser Eliteuniversität fand nur zwei Tage nach der Ankündigung des Präsidenten (3. Juni) statt, den „Maastrichter Vertrag“ zur Schaffung einer Europäischen Union (EU) in Frankreich per Referendum ratifizieren zu lassen. Diese Ankündigung erfolgte ihrerseits einen Tag nach dem negativen Ausgang des dänischen Referendums über denselben Vertrag (2. Juni). Der Vertrag stellte den Versuch von zwölf europäischen Staats- und Regierungschefs dar, die existierende Europäische Wirtschaftsgemeinschaft in eine politische Union zu verwandeln. Dazu wurde neben der „Vollendung“ des Binnenmarktes in der Wirtschafts- und Währungsunion (Einführung des Euro) eine „Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ sowie eine „Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres“ etabliert. Im ersten Bereich (Binnenmarkt) wurde eine supranationale demokratische Ordnung institutionalisiert, wobei vor allem das Europäische Parlament und der Europäische Gerichtshof neue Kompetenzen erhielten. Die häufig nur als symbolische Geste abgetane „Unionsbürgerschaft“, verbunden mit einem allgemeinen Wahlrecht in Kommunal- und Europawahlen für alle Europäer, unabhängig von Nationalität und Wohnort, führte in den meisten Mitgliedstaaten zu Verfassungsänderungen oder, wie in Frankreich und Deutschland, Verfassungsklagen.[3] Es ist also zu fragen, welche Kräfte die verantwortlichen Politiker dazu veranlassten, ein so ambitioniertes und potentiell riskantes Projekt wie den Maastrichter Vertrag zu verhandeln und zu ratifizieren. Neben der Binnendynamik des wirtschaftlichen Integrationsprozesses seit Mitte der achtziger Jahre (Einheitliche Europäische Akte 1986) erzeugte vor allem die nach dem Ende des Kalten Kriegs anstehende geopolitische Neuordnung des Kontinents den entscheidenden Handlungsdruck für einen weitergehenden, politischen Zusammenschluss. Allerdings bedeutete dieser Handlungsdruck keinesfalls einen Determinismus. Angesichts der deutschen Wiedervereinigung waren gerade in Frankreich auch ältere geopolitische Ordnungsvorstellungen wieder in der Debatte aufgetaucht, denen Präsident Mitterrand nach anfänglichem Zögern jedoch zugunsten der ungleich innovativeren Lösung einer europäischen politischen Union eine Absage erteilte.[4]

Obwohl die in Frankreich zur Ratifikation des Vertrages nötigen Verfassungsänderungen bequem über den parlamentarischen Weg des Artikels 89 der französischen Verfassung hätten geschehen können, ließ sich Mitterrand auf das wesentlich größere Wagnis einer direkten Volksbefragung ein. Dafür werden in der Literatur drei Gründe genannt.[5] Einerseits wird der europapolitische Wunsch des Präsidenten angeführt, dem negativen dänischen Referendum ein deutliches Bekenntnis zur europäischen Integration und der französischen Führungsrolle in der EU entgegen zu setzen.[6] Innenpolitisch wollte der Präsident das Referendum nutzen, um die schlechten Popularitätswerte seiner Person und der sozialistischen Partei zu verbessern. Dabei beabsichtigte er zugleich, von der tiefen Zerstrittenheit der rechten und bürgerlichen Oppositionsparteien beim Thema europäische Integration, die in der Referendumskampagne offensichtlich werden sollte, zu profitieren.[7] Schließlich ging es Mitterrand darum, seine zweite Amtszeit ‚europäisch‘ mit einer Leistung zu krönen, die ihn überdauern würde und mit seinem Namen in den Geschichtsbüchern verbunden bleiben würde.[8]

Diese genannten Gründe beeinflussten Mitterrands Strategie während der Kampagne. Mit der vorliegenden Rede zeigt sich, dass er schon sehr früh – zwei Tage nach Ankündigung des Referendums – versuchte, die seiner Meinung nach strittigen Punkte nicht nur offensiv anzusprechen, sondern ihre diskursive Verortung nachhaltig zu beeinflussen. Die politischen und gesellschaftlichen Konfliktlinien, die sich im Laufe der Debatte entwickelten, zeigten ihrerseits die Richtigkeit von Mitterrands Analyse, dass es im Referendum um eine „fundamentale Entscheidung“[9] ging, die die Bedingungen französischer Staatlichkeit verändern würde.[10] In dieser „Legitimationskrise“[11] des französischen Modells der Staatsnation bezog der Präsident eindeutig Stellung und scheute nicht die offensive Konfrontation mit der Gegenseite. Als „entscheidender“ Moment der Wahlkampagne wurde dabei immer wieder[12] das ‚TV-Duell‘ Präsident Mitterrands mit einem der Führer der Nein-Bewegung, dem ‚Sozialgaullisten‘ und früheren Arbeits- und Sozialminister Philippe Séguin[13], bezeichnet (am 3. September 1992). Diese Debatte, in der auch der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl zugeschaltet wurde, nahm eben jene Punkte auf, die der Präsident bereits am 3. Juni vor den Studenten der Pariser politikwissenschaftlichen Hochschule als „dialektische Gegenpole“ entwickelt hatte.

Mitterrands europäische Dialektik: die Themen der Debatte besetzen

Wie häufig in seinen Europareden, beginnt Mitterrand auch die Ansprache am IEP zunächst mit einem historischen Überblick und seinen persönlichen Erinnerungen an seine Zeit als Soldat und Kriegsgefangener in deutschen Lagern, aber auch als ‚Europäer der ersten Stunde‘ auf dem Kongress in Den Haag 1948. Im danach folgenden, hier wiedergegebenen Ausschnitt definiert Mitterrand dann die zentralen Elemente der beginnenden Europadebatte. Die Zuspitzung in „dialektische Gegenpole“ (S. 101) ist ein rhetorischer Kunstgriff, der es ihm erlaubt, die Debatte zu strukturieren, ohne bereits für die eine oder andere Seite Partei ergreifen zu müssen. Dadurch werden die angesprochenen Themen für beide Seiten, Befürworter und Gegner des Maastrichter Vertrags, zunächst zur Grundlage der Diskussion. Dies gelingt ihm umso mehr, da Mitterrand einerseits Resonanz zu etablierten Elementen der französischen Debatte herstellt, während er andererseits während der gesamten Kampagne eine ‚präsidiale‘, über den Parteien stehende, Haltung bemüht.[14] Wie sieht Mitterrands Dialektik nun im Einzelnen aus? Die vier „Gegenpole“ verengen sich von der allgemeinen und scheinbar wenig strittigen Frage nach „Krieg oder Frieden“ über die Ausgestaltung der europäischen Einigung auf die entscheidende innenpolitische Frage nach der Souveränität Frankreichs. Während die dialektischen Themen zunächst Mitterrands Europabild widerspiegeln, folgt danach der Bezug auf Frankreich und seine zukünftige Rolle, wie der Präsident sie sieht.

Bereits sein erstes Thema, „Krieg oder Frieden“ (S. 102ff.), zeigt den Präsidenten als gewieften Rhetoriker. Während er selbst betont, dass es leicht sei, zwischen Krieg und Frieden zu entscheiden (S. 103), provoziert er gleichzeitig die Gegner des Maastrichter Vertrags. Durch seinen Verweis auf Frankreichs Rolle als „unangenehmer Nachbar“ (S. 102) dreht er die in Frankreich etablierte Sichtweise (die europäische Einigung dient der Integration des Unruhestifters Deutschland) um: Anstatt die europäische Integration als ‚Lehre‘ aus der bis 1950 fehlgeschlagenen Einbindung des ‚Aggressors Deutschland‘ darzustellen, sieht er die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen allen europäischen Staaten im Wesen des Nationalstaates selbst angelegt.

Er wendet sich deshalb gegen jedwede Überhöhung des Nationalen – in der französischen Debatte eine eindeutige Spitze gegen jene Kräfte, die ihren Nationalismus im Namen der Republik zu legitimieren suchen und dabei behaupten, dass ein ‚republikanischer‘ Nationalismus akzeptabler als ein ‚ethnischer‘ oder ‚kultureller‘ Nationalismus sei.[15] Linksnationalisten (‚Jakobiner‘ wie der 1991 im Zusammenhang mit dem Golfkrieg gerade entlassene Verteidigungsminister Jean-Pierre Chevènement) oder Gaullisten (wie der schon erwähnte Philippe Séguin), die die Trias aus Republik – Nation – Vaterland überhöhen, geht Mitterrand mit seiner Kritik an Frankreichs eigener gewalttätiger Vergangenheit ironisch an (S. 102): „Man sollte das nicht sagen? Nun, ich, ich erlaube mir das zu sagen“. Dass es sich dabei nicht um ein einmaliges Sprachspiel handelt (anlässlich des drei Tage zuvor gescheiterten dänischen Referendums, S. 102), zeigen weitere Verwendungen dieser Denkfigur, so bei seiner vielbeachteten Rede zum fünfzigsten Jahrestags des Kriegsendes in Berlin (8. Mai 1995) oder bei seiner letzten Rede vor dem Europaparlament in Strasbourg (17. Januar 1995), als er seine Ansprache mit dem Ausruf beschließt: „Mesdames et Messieurs: le nationalisme, c’est la guerre!“[16].

Natürlich belässt es der Präsident nicht bei einer ‚neutralen‘ Gegenüberstellung der beiden Pole, vielmehr überhöht er in der Synthese dieses ersten Punktes die europäische Integration, entstanden als Alternative zum System der souveränen Nationalstaaten, als „Versuch einer beispiellosen Konstruktion, die es noch nie gegeben hat“ (S. 103). Nach dieser Gegenüberstellung eines scheinbar konsensualen Punktes[17], den Mitterrand durch seine unkonventionelle Rhetorik dennoch zu einer Spitze gegen die Maastricht-Gegner benutzen konnte, kommt der Präsident nun zu zwei weiteren Gegenpolen, die die inhaltliche Ausgestaltung des Integrationsprojekts betreffen und damit wesentlich umstrittenere Elemente in der französischen Debatte berühren.

Die beiden Gegenpole „eine Zone universellen Freihandels, oder eine begrenzte Wirtschaftsgemeinschaft“ (S. 103) und „Das Europa der Händler (reine Wirtschaftsgemeinschaft) oder die Europäische Union (das heißt die politische Union überwölbt diesen Wirtschaftsaustausch)“ (S. 104) bezeichnen Konfliktlinien sowohl innerhalb des europäischen Integrationsprozesses, als auch in der innerfranzösischen Debatte.[18] Durch seine Interpretation der historischen Entwicklung des Integrationsprozesses (S. 105) etabliert er eine Teleologie, die die jeweiligen Etappen der Zusammenarbeit als historische ‚Synthesen‘ aus zwei dialektischen Ansätzen (wirtschaftlicher Freihandel und politische, föderale Union) zur europäischen Zusammenarbeit sehen. Dies erlaubt ihm einerseits, sich in die zeitliche Dimension des historischen Prozesses zu fügen (es wäre entsprechend noch ‚zu früh‘ für eine ‚wirkliche‘ europäische Verfassung), während er andererseits Stellung innerhalb der nationalen politischen Debatte über die Ausgestaltung Europas beziehen kann. Mitterrands Europavision ist demokratisch und sozial; beides sind für ihn Grundbedingungen einer dauerhaften Existenz des Einigungswerkes (S. 104f.).

Wiederum handelt es sich dabei nicht um spontane Argumente des Präsidenten, sondern um Grundkonstanten seines europäischen Denkens[19]: Bereits auf seinem ersten Gipfel als französischer Präsident (1981) sorgt seine Forderung nach einem ‚sozialen‘ Europa für konsterniertes Schweigen der anderen Gipfelteilnehmer.[20] Umstrittener scheint sein Weg hin zum Eintreten für ein ‚demokratisches Europa‘, auch wenn Mitterrand für sich auch hier in Anspruch nimmt, seiner „Überzeugung“ (S. 104) Ausdruck zu verleihen.[21]

Die vorliegende Textstelle erlaubt auf jeden Fall die Aussage, dass Mitterrand sich nicht zum jakobinischen Souveränitätsverständnis des republikanischen Einheitsstaates bekennt. Während er dreimal eindeutig von einem den Integrationsprozess überhöhenden pouvoir politique („politische Autorität“, S. 104f.) sowie dreimal von einer union politique („politische Union“, S. 104f.) als Krönung der europäischen Integration spricht, benutzt er den wesentlich vageren Ausdruck der volonté populaire („demokratischer Wille“, S. 104), um den Souverän dieser politischen Macht zu bezeichnen – wir können festhalten, dass er damit auf jeden Fall nicht die jakobinische volonté générale und ihren Ausdruck in der ‚einen und unteilbaren‘ französischen Nation meint. Ein gemeinsamer „politischer Wille“ Europas kann natürlich auf Grundlage einer europäischen Föderation entstehen, ohne dass Mitterrand sich auf dieses heikle Terrain explizit begeben müsste. Gleichzeitig ist der Ausdruck volonté populaire in Frankreich so gebräuchlich, dass er in einem mündlichen Vortrag zunächst keinerlei Anstoß erwecken wird (was bei einem expliziten Bekenntnis zur europäischen Föderation zu befürchten gewesen wäre). Vielmehr stellt Mitterrand damit einerseits Kontinuität und Resonanz zum etablierten französischen Demokratieverständnis her, ohne andererseits die Erweiterung der Mehrheitsdemokratie auf europäische Ebene auszuschließen. Wenn die Träger des „demokratischen Willes“ nicht mehr auf eine Nation beschränkt sind[22], dann besitzt diese Definition eine potentiell universale Reichweite.

Mitterrand berührt damit eines der Grundelemente des Maastrichter Vertrags, das beispielweise in der deutschen Debatte weitgehend unbeachtet blieb: Zum ersten Mal wird das von den Bürgern direkt gewählte Europäische Parlament (also ein europäisches Organ) in bestimmten Politikbereichen gleichberechtigter Gesetzgeber neben dem (mit Vertretern der nationalen Regierungen besetzten) Ministerrat der EU. Gleichzeitig werden die Mehrheitsentscheidungen im Ministerrat, bei denen ein Mitgliedstaat überstimmt werden kann, deutlich ausgeweitet. Dieser Einstieg in eine föderale Ordnung wird von Präsident Mitterrand diskursiv verortet; er ist einer der ganz wenigen Akteure, die ein europäisches politisches Gemeinwesen auch rhetorisch zu begründen versuchen[23].

Während sich Mitterrand damit nach außen gegen die ‚angelsächsischen‘ Versuche verwahrt, anstelle einer letztendlich föderalen Union eine Freihandelszone zu etablieren, grenzt er sich nach innen sowohl gegen jene Kritiker ab, die im Maastrichter Vertrag eine zu liberale Ordnung mit fehlender sozialer Komponente sehen, als auch gegen jene auf der liberalen Rechten, die ebendiese neoliberal regulierte Freihandelszone gerne als Endpunkt des Integrationsprozesses und Ordnungsrahmen nationaler Politik sehen würden. Außerdem wendet er sich gegen linke wie rechte Nationalisten und Jakobiner, die sich eine demokratische Ordnung ausschließlich im nationalen Rahmen vorstellen können. Mit der so etablierten politischen und sehr persönlichen Vision von Europa wendet sich der Präsident nun dem für die französische Debatte wichtigsten Streitpunkt zu, der Frage: „La patrie, ou l’Europe?“ („Das Vaterland oder Europa?“, S. 108ff.).

Auch hier beginnt Mitterrand zunächst damit, dass er scheinbar neutral das Terrain vermisst. Auf die ‚etablierte‘ Sichtweise (überzeugter Europäer versus französischer Patriot) folgt jedoch wiederum eine rhetorische Umkehr. Mitterrand fragt, „gibt derjenige sein Vaterland auf, der aus Patriotismus Frankreich, und nur Frankreich wählt“ (S. 108) – der wahre Patriot wäre demnach also derjenige, der die europäische Integration nach den Maßgaben von Maastricht befürwortet, während die Maastricht-Gegner schlechte Patrioten wären. Dies ist die genaue Umkehrung des Arguments der Maastricht-Gegner, die auf der einen Seite ‚französische Patrioten‘, auf der anderen Seite ‚EU-ropäer‘ sehen. Der Präsident muss diese Umkehrung nun argumentativ begründen, muss also erläutern, was an der Befürwortung von Souveränitätstransfers an Europa ‚patriotisch‘ ist. Er argumentiert im folgenden mit Bezug auf zwei der wichtigsten Elemente des französischen Selbstverständnisses. Im republikanischen Verständnis wird eine politische Nation über (a) ihre gemeinsame Erinnerung und (b) ihren gemeinsamen Willen zur selbstbestimmten, politischen Gestaltung definiert. Solange ein Selbst-Bewusstsein als historisch handelndes Subjekt mit politischer Handlungsfähigkeit verknüpft ist, existiert die Nation als Republik. Genau diese Elemente bemüht Mitterrand, indem er sich zunächst auf die Geschichte beruft (S. 109), in der Frankreich als moralischer Sieger bestanden habe. Darauf folgt direkt der Bezug auf das politische Handeln als moralische Macht (S. 109), die dadurch auch die ideelle Führung Europas beanspruchen könne. Die dafür angeführten Kriterien – Solidarität mit den Armen und Schwachen der Welt, Eintreten für eine ‚gerechtere‘ multipolare Weltordnung (S. 109) – lassen sich ohne weiteres (anders etwa als kulturelle oder biologistische Charakteristika einer Nation, wie ‚Sprache‘ oder ‚Rasse‘) in einem weiteren (europäischen) Rahmen verwirklichen. Europa würde demnach eine Willensgemeinschaft darstellen, deren politische Werte denen der französischen Republik ähnelten und deren historische Legitimität in der Überwindung der kriegerischen europäischen Vergangenheit läge – und es ist genau die Aufgabe Frankreichs, Europa dabei zu führen.

Der Präsident beschließt diesen klassischen politischen ‚Identitätsdiskurs‘ nach der Selbstverständigung nach Innen (‚woher kommt, wofür steht das Gemeinwesen?‘) durch eine ebenso klassische Abgrenzung nach Außen. Der europäische Zusammenschluss solle nicht dazu dienen, als „Eroberer im Zentrum der Welt aufzutreten“ (S. 110). Stattdessen ist das Ziel die selbstbestimmte Lebensweise, die jede ‚Fremdherrschaft‘ zurückweist (S. 110) – und genau das ist die Kerndoktrin des französischen Republikanismus (im Gegensatz etwa zum Liberalismus, bei dem der Entfaltung des einzelnen Bürgers ein größeres Gewicht zukommt, als der Etablierung einer selbstbestimmten Gemeinschaft).

Die Wirkung des Identitätsdiskurses

Präsident Mitterrand wich also der komplexen und schwer zu beantwortenden ‚Identitätsfrage‘, als die sich der Maastrichter Vertrag den französischen Bürgern präsentierte, nicht aus. Im Gegenteil versuchte er, die Unsicherheit über das eigene Gruppenselbstverständnis, die sich aus den weitreichenden Plänen für eine Europäische Union ergab, offensiv anzugehen. Er behauptete eben nicht, dass durch den Maastrichter Vertrag keinerlei Veränderungen an der etablierten Ordnung entstehen würden. Aber es gelang ihm, rhetorische Konvergenz zwischen dem Selbstverständnis der französischen Republik und der größeren EU zu schaffen.

Die Frage bleibt natürlich, welche Rolle dieser Interpretation im Hinblick auf den Referendumsausgang zukam. In der politischen Soziologie wird zur Erklärung dieses Wahlausgangs üblicherweise auf sozio-strukturelle Variablen abgehoben.[24] Demnach standen 1992, ähnlich wie 2005, dem ländlichen, unterprivilegierten, schlecht ausgebildeten, ideologisch ‚rechten‘ Frankreich des „Nein“ die städtischen, gut ausgebildeten, besser verdienenden, ideologisch ‚linken‘ Modernisierungsgewinner gegenüber. Während diese Studien ihre Berechtigung haben, können sie jedoch nichts über den Meinungswandel während der Referendumskampagne aussagen. Warum sank die Zustimmung zum Vertrag von zunächst 76% (Juni 1992) auf unter 49% (Mitte August), um schließlich (20.09.1992) bei 51% zu landen?[25] Sozio-strukturellen Variablen haben nur einen begrenzten Wert, wenn die Erklärung dieses Wandels im Mittelpunkt des Interesses steht.

In einer neueren Untersuchung[26] werden stattdessen die inhaltlichen Beweggründe der Bürger, für oder gegen den Vertrag zu entscheiden, untersucht. Das Ergebnis lässt keinen Zweifel daran, dass die von Präsident Mitterrand angesprochenen „dialektischen Gegenpole“ die zentralen Themen der Debatte waren und von ihrer Beantwortung die individuelle Entscheidung für oder gegen den Vertrag abhing. Als zentraler Beweggrund stellte sich dabei die Sorge um die Souveränität, um den Fortbestand Frankreichs innerhalb einer europäischen politischen Ordnung heraus.[27] Offensichtlich war es Mitterrand also (a) gelungen, die Referendumsdebatte thematisch vorzustrukturieren (oder die ‚sensiblen’ Themen richtig zu erkennen). Außerdem (b) folgte eine Mehrheit der französischen Bürger seiner, des Präsidenten, Interpretation der verschiedenen Themenkomplexe: Die Ausgestaltung eines demokratischen und sozialen Europas sei aller Anstrengungen wert und stehe in der Kontinuität des Selbstverständnisses der französischen Republik. Der Präsidenten selbst hatte keinen Zweifel am knappen Referendumsausgang. Entsprechend wichtig nahm er die Rolle der politischen Rede zur Schaffung von Mehrheiten in einer so fundamentalen Frage wie der europäischen Integration. In der Einleitung zu seinen „Elf Reden über Europa“ bekennt er sich zum klassischen französischen Verständnis einer politischen Nation, wie es von Ernest Renan 1882 definiert worden war.[28] Der Präsident begründet die Wichtigkeit seiner Reden – und ihrer Veröffentlichung in Buchform – folgendermaßen:

„Mémoire commune et volonté partagée, tels sont les ciments de toute construction politique durable. La mémoire ancre les fondations dans le terrain profond de l’Histoire. La volonté est l’arc-boutant qui soutient l’édifice dans son élan. La double fonction du discours politique est d’entretenir l’une et de susciter l’autre.“[29]

Beide das politische Gemeinwesen definierenden Elemente verbindet Mitterrand in seiner Rede an die Pariser Studenten in überzeugender Weise. Er gibt damit ein Beispiel, wie ‚Nation‘ und ‚Europa‘ nicht als Gegensatz, sondern als erfolgreiche politische Weiterentwicklung gesehen werden können, die auch von skeptischen Bürgern als zustimmungsfähig empfunden wird.


[1] Essay zur Quelle: François Mitterrand, Rede vor Studierenden und Lehrenden des Institut d’Études Politiques anlässlich des französischen Referendums über den Maastrichter Vertrag (Paris, 5. Juni 1992); [Übersetzung; Auszug].

[2] Dass es sich dabei durchaus um eine bewusste Strategie im Hinblick auf die Nachwelt handelte zeigt die vom Präsidenten angeregte Zusammenstellung einiger dieser programmatischen Reden in einer Ausgabe der „Biblioteca Europea“. Neben dem vorliegenden Auszug enthält der Band noch sieben weitere Reden aus der Zeit 1990-95, sowie drei Reden aus den Jahren 1982 und 1984. Die Themen der Reden aus den neunziger Jahren ähneln sich, teilweise bis in Semantik und Wortwahl hinein. Mitterrand, François, Onze discours sur l’Europe (1982-1995), Neapel 1996.

[3] Zum Maastrichter Vertrag vgl. Clemens, Gabriele; Reinfeldt, Alexander; Wille, Gerhard, Geschichte der europäischen Integration, Paderborn 2008, S. 227-230.

[4] Vgl. zu Mitterrands anfänglichem Zögern und Taktieren die umfangreiche Studie von Schabert, Thilo, Wie Weltgeschichte gemacht wird. Frankreich und die deutsche Einheit, Stuttgart 2002.

[5] Vgl. Müller-Brandeck-Bocquet, Gisela, Frankreichs Europapolitik, Wiesbaden 2004, S. 121-125.

[6] Vgl. Lewis-Beck, Michael S.; Morey, Daniel S., The French „Petit Oui“: The Maastricht Treaty and the French Voting Agenda“, in: Journal of Interdisciplinary History 38/1 (2007), S. 65-87, hier S. 66.

[7] Vgl. Ebd.; Guérin-Sendelbach, Valérie, Frankreich und das vereinigte Deutschland. Interessen und Perzeptionen im Spannungsfeld, Opladen 1999, S. 136-137, sowie Criddle, Byron, The French Referendum on the Maastricht Treaty September 1992, in: Parliamentary Affairs 46/2, (1992), S. 228-238, hier S. 228-230.

[8] Benamou, Georges-Marc, Le dernier Mitterrand, Paris 1997, S. 158-159, zitiert nach Müller-Brandeck-Bocquet, Frankreichs Europapolitik.

[9] In einer direkt im Fernsehen ausgestrahlten Ansprache, in der er am 1. Juli 1992 das Datum des Referendums (20. September) bekannt gab, sprach er von einer Entscheidung, „qui engage comme rarement dans notre histoire l’avenir de la France“. Der Text der Ansprache in Cornick, Martyn; Elgie, Robert, Dossier on the French referendum concerning the Maastricht Treaty June to September 1992, in: Modern & Contemporary France 1/1 (1993), S. 111-126, hier S. 114.

[10] Vgl. Lewis-Beck; Morey, The French „Petit Oui“, S. 85

[11] Ziebura, Gilbert, Frankreich am Beginn des 21. Jahrhunderts. Zwischen Europäisierung, Globalisierung und nationaler Selbstbehauptung. Eine Problemskizze, in: Ders., Frankreich: Geschichte, Gesellschaft, Politik. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Kimmel, Adolf, Opladen 2003, S. 297-324, hier S. 238.

[12] Vgl. Criddle, The French Referendum, S. 233-235; Müller-Brandeck-Bocquet, Frankreichs Europapolitik, S. 122.

[13] Séguin war während der cohabitation zwischen Präsident Mitterrand und Premierminister Chirac von 1986-1988 Arbeits- und Sozialminister. Von 1993-1997, nach dem Wahlsieg der bürgerlichen Opposition, bekleidete er das Amt des Präsidenten der Nationalversammlung. Seine innerparteiliche Opposition während der Maastricht-Kampagne gegen Parteichef Chirac verhinderte jedoch seinen weiteren Aufstieg nach Chiracs Wahl in das Präsidentenamt (1995). Seit 2004 ist er Präsident des französischen Rechnungshofs Cour des Comptes.

[14] So reagierte er in der bereits erwähnten Fernsehdebatte auf die Einführung Philippe Séguins als sein ‚Gegner‘ in der Maastricht-Debatte sofort mit der Feststellung, als ‚Präsident aller Franzosen‘ auch Präsident Séguins zu sein, weshalb er diesen nicht als Opponenten sehe.

[15] Zu dieser Unterscheidung siehe Brubaker, Rogers, Citizenship and nationhood in France and Germany, Cambridge, Mass., 1996; Lepsius, M. Rainer, „Ethnos“ oder „Demos“. Zur Anwendung zweier Kategorien von Emerich Francis auf das nationale Selbstverständnis der Bundesrepublik und auf die europäische Einigung, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, S. 247-255.; Völkel, Markus, Geschichte als Vergeltung. Zur Grundlegung des Revanchegedankens in der deutsch-französischen Historikerdiskussion von 1870/71, in: Historische Zeitschrift 257 (1993), S. 63-107, beleuchtet die historische Konstruktion dieser analytischen Kategorien.

[16] „Meine Damen und Herren, Nationalismus bedeutet Krieg!“

[17] Wie beim ‚Verfassungsreferendum‘ 2005, verwenden die Gegner der zur Ratifikation vorgeschlagenen Vertragswerke auch 1992 viel Aufwand darauf, nicht als ‚Anti-Europäer‘, sonder als Vertreter eines ‚alternativen Europa‘ oder allenfalls ‚Anti-EU-ropäer‘ gesehen zu werden. Die Notwendigkeit einer europäischen Zusammenarbeit an sich steht – außer am extrem rechten Rand des politischen Spektrums – nicht zur Debatte.

[18] Parsons, Craig, A Certain Idea of Europe, London 2003, zeigt überzeugend die in den fünfziger Jahren etablierte, bis heute fortdauernde Existenz dreier ‚Lager‘ (Nationalisten, Konföderalisten, Föderalisten) in der französischen Europadebatte.

[19] Vgl. ebd., S. 185.

[20] So Mitterrand in seinen letzten, posthum veröffentlichten Aufzeichnungen, vgl. Mitterrand, François, De l’Allemagne, de la France, Paris 1996, S. 170, 172.

[21] Während Mitterrand als ‚Europäer der ersten Stunde‘ bereits am Europakongress im Haag 1948 teilgenommen hatte, wurde ihm doch vorgehalten, in seiner konkreten Europapolitik wenig zur Stärkung der ‚demokratischen‘ Elemente (Europaparlament, Europäische Kommission) unternommen zu haben, siehe z.B. Hoffmann, Stanley, Gaullism by Any Other Name, in: Foreign Policy 57 (1984), S. 38-57 und Moravcsik, Andrew, The Choice for Europe. Social Purpose and State Power from Messina to Maastricht, London 1998, S. 335.

[22] Mitterrand hatte ja bereits im ersten Abschnitt der Überhöhung des Nationalen die Legitimität entzogen. Bei seiner Konzeption der europäischen demokratischen Ordnung sagt er nun eben nicht „volonté du peuple“ sondern „volonté populaire“, er zieht also dem eindeutigen Genitiv („Wille des Volkes“) das allgemeinere Adjektiv populaire („Volkswille“) vor.

[23] Neben der hier vorgestellten Rede ist dies ein zentrales Thema der weiteren Europareden, die im genannten Band editiert wurden.

[24] Vgl. Lewis-Beck; Morey, The French „Petit Oui“, S. 68.

[25] Cornick; Elgie, Dossier on the French, S. 123; Lewis-Beck; Morey, The French „Petit Oui“, S. 65.

[26] Lewis-Beck; Morey, The French „Petit Oui“.

[27] Ebd., S. 85.

[28] Renan, Ernst, Qu’est-ce qu’une nation? [1882], in: Girardet, Raoul (Hg.), Le nationalisme français. 1871-1914, Paris 1983, S. 65-67.

[29] Mitterrand, Onze discours, S. X: „Gemeinsame Erinnerung und geteilter Wille sind der Zement jeder dauerhaften politischen Konstruktion. Die Erinnerung verankert die Fundamente im tiefen Boden der Geschichte. Der gemeinsame Wille ist der Strebebogen, der den Schwung des Bauwerks stützt. Die doppelte Funktion politischer Rede ist es, das Eine instand zu halten und das Andere zu erwecken.“ (meine Übersetzung, St. S.).


Literaturhinweise:

  • Guérin-Sendelbach, Valérie, Frankreich und das vereinigte Deutschland. Interessen und Perzeptionen im Spannungsfeld, Opladen 1999.
  • Lewis-Beck, Michael S.; Morey, Daniel S., The French „Petit Oui“: The Maastricht Treaty and the French Voting Agenda, in: Journal of Interdisciplinary History 38/1 (2007), S. 65-87.
  • Müller-Brandeck-Bocquet, Gisela, Frankreichs Europapolitik, Wiesbaden 2004.
  • Schabert, Thilo, Wie Weltgeschichte gemacht wird. Frankreich und die deutsche Einheit, Stuttgart 2002.
  • Ziebura, Gilbert, Frankreich am Beginn des 21. Jahrhunderts. Zwischen Europäisierung, Globalisierung und nationaler Selbstbehauptung. Eine Problemskizze, in: Ders., Frankreich: Geschichte, Gesellschaft, Politik. Ausgewählte Aufsätze, hg. von Adolf Kimmel, Opladen 2003, S. 297-324.

Zugehörige Quelle im französischen Original:
François Mitterrand, un discours fait devant des étudiants et des professeurs de l’Institut d’Études Politiques à l’occasion du référendum français sur le Traité de Maastricht (Paris, 5 juin 1992); [Extrait]

François Mitterrand, Rede vor Studierenden und Lehrenden des Institut d’Études Politiques anlässlich des französischen Referendums über den Maastrichter Vertrag (Paris, 5. Juni 1992); [Übersetzung; Auszug][1]

Paris, 5 Juni 1992

Herr Präsident, Herr Direktor, Meine Damen und Herren, […] [S. 95].

Nach dieser Erinnerung möchte ich mich den, wie ich es nenne, ‘dialektischen Gegenpolen’ zuwenden: Es sind aktuelle Fragen, mit gegensätzlichen Antworten. Die erste habe ich schon erwähnt. Die Wahl, vor der wir stehen, wir, die gesehen haben, wie Europa sich selbst zerstörte, seine Vorherrschaft verlor, sogar physisch (und natürlich politisch, geistig und kulturell) seine gesamten Errungenschaften zugunsten von Imperien zu verlieren drohte, die damals (das erste heißt immer noch so) die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion (ein bereits ein wenig veralteter Begriff) hießen, während sich am Horizont eine andere Macht namens Japan zeigt [S. 101] diese Wahl heißt: Krieg oder Frieden? Werden wir ein Europa bauen das auf jenen Faktoren gründet, die immer zu bewaffneten Konflikten geführt haben, unausweichlich, mit dem Zusammenprall von Ehrgeiz, Interessen, Nationalismen, Ideologien, wie es der Fall beim letzten Krieg mit dem Nazismus war? Werden wir ein Europa für den Krieg fabrizieren, konstruieren, zum Nutzen des zukünftigen Siegers (nur welches?), oder für den Frieden? Es kommt ein Moment, da man der Kriege müde wird, da man auch der vorgefertigten Parolen müde wird. Von einer Generation zur nächsten haben wir gelernt, dass Frankreich Erbfeinde hatte; es waren allerdings nie dieselben! Frankreich hatte ungefähr ganz Europa zum Erbfeind. Die Zeit Englands ist wohlbekannt, aber die Spaniens ist auch noch nicht so lange her, und das österreichisch-ungarische Reich, Preußen, die Sowjetunion und Deutschland, oder sagen wir das Reich, das macht eine Menge Erbfeinde, und sogar ein paar zu viele, wenn man sich darin zurechtfinden will. Ich erinnere mich, sie gezählt zu haben: In Wirklichkeit gibt es in Europa nur ein einziges Land mit dem wir nie im Krieg waren. Das einzige Land mit dem wir niemals Krieg geführt haben – es ist angelegen, daran zu erinnern, aber wir werden es nicht tun – das ist Dänemark.

Kurz, Frankreich war die meiste Zeit ein unangenehmer Nachbar. Man sollte das nicht sagen? Nun, ich, ich erlaube mir das zu sagen: ein unangenehmer Nachbar. Aber die anderen auch. Nur, da wir zusammen mit England, Spanien und Portugal die ältesten Nationalstaaten Europas sind, ist es schon ein wenig länger her, dass wir die anderen bekämpfen können, dass wir Ehrgeiz entwickeln, oder uns gegen den Ehrgeiz der anderen verteidigen. Das Geheiminis dieser permanenten Kriege liegt darin – ich werde Ihnen eine Binsenwahrheit sagen – dass der Sieger sein Gesetz aufzwingt; der Sieger schreibt den Friedensvertrag, und der Friedensvertrag enthält sogleich den Keim der zukünftigen Kriege. Alle Verträge sind deswegen schlecht gemacht, die neuesten genauso wie alle anderen. Was ist übrig von den Versailler Verträgen, den Verträgen von Saint-Germain und Trianon? Die Sieger des letzten Krieges waren sehr vernünftig: Sie haben den Krieg beendet, haben aber keinen Vertrag beschlossen. [S. 102]

Wie anders kann man dann den Frieden schaffen, wenn nicht durch den Versuch einer beispiellosen Konstruktion, die es noch nie gegeben hat, und die einfach ein Friede durch Abkommen, durch Verhandlung, durch Ausgleich, durch Schiedsgericht wäre, durch eine Struktur, die von dem freien Willen der Regierungen, der Parlamente oder der Völker des Europas, in dem wir uns befinden, abhängen würde? Dies ist das Unterfangen! Heute wird diese Konstruktion viel kritisiert, von mir als erstem. Aber ich stelle fest, dass alle Welt dazugehören möchte. […]

Was ist das zweite Thema, über das Sie, genau wie ich, entscheiden müssen? Bei Krieg und Frieden ist die Antwort einfach, wenn es auch nicht so einfach ist, entsprechend zu handeln. Aber die zweite Frage ist: Entweder schaffen wir eine Freihandelszone, eine Zone universellen Freihandels, oder eine begrenzte Wirtschaftsgemeinschaft, eine [S. 103] Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Entweder ein grenzenloser Raum für Markt- und Handelsbeziehungen, oder die Abschaffung aller Binnengrenzen und die Vervielfältigung der Gemeinschaftspolitiken zwischen den Ländern, die dies beschließen. Die Wahl stellt sich zwischen Raum des grenzenlosen Freihandels oder gemeinsamer Politik, das heißt einem strukturierten Europa – der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Einige Länder haben sich dem einst verweigert; diejenigen, die an unsere Türe klopfen hatten die Europäische Freihandelszone gegründet, mit der geheimen Hoffnung, die Anstrengungen Großbritanniens und einiger anderer zu unterstützen. Und stattdessen ist es die Stärke der Gemeinschaft, die über ihren freihändlerischen Gegenpol obsiegt hat. In der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stoßen wir regelmäßig auf diese beiden Pole. So wird zum Beispiel in Rom, 1957, eine Zollunion entschieden (die die Grenze unseres französischen Sechsecks verschiebt, entlang der Gestade des Atlantiks und bis hin zu allen kontinentalen Grenzen unserer Nachbarn in der Zwölfergemeinschaft); es wurde eine Gemeinschaftspräferenz für Landwirtschaftsprodukte geschaffen, gemeinsame Preise; das heißt, man hat den europäischen Raum gestärkt, man hat ihn geschützt gegen die Welle des Freihandels, die besonders von den angelsächsischen Ländern gekommen ist. Die Entscheidung musste getroffen werden; sie ist getroffen, aber immer umkehrbar. Die Versuchung existiert weiterhin.

Dritter Gegenpol: Das Europa der Händler (reine Wirtschaftsgemeinschaft) oder die Europäische Union (das heißt die politische Union überwölbt den Wirtschaftsaustausch)? Bedürfen wir oder nicht einer höchsten politische Autorität die dem Volkswillen entstammt? Ich gehöre zu jenen die der Überzeugung sind, dass keine Art von Gemeinschaft überdauern kann, wenn sie nicht von einer Autorität geführt, verwaltet und geleitete wird, die dem Volkswillen entstammt. Es gibt diejenigen (und sie sind zahlreich im heutigen Frankreich) die sich gerne mit einer Wirtschaftsgemeinschaft zufrieden geben würden: man tauscht Güter, man produziert und verkauft sie, sehr gut; man spart soviel als möglich beim Tausch ein, man vereinfacht die Grenzübertritte: das ist sehr interessant, und das ist auch, was wir mehrere Jahre lang gemacht haben. Wir haben davon stark profitiert, aber dies wird angesichts der Stürme der Geschichte [S. 104] nicht von Dauer sein, wenn es keine gemeinsame politische Autorität gibt. Dies ist die Wahl. Wirtschaftsgemeinschaft oder politische Union, mit allem, was dies beinhaltet? Nun, seit der Schaffung der EGKS, d.h. der Kohle- und Stahlgemeinschaft 1954, finden sich die Elemente einer zukünftigen politischen Union; man sagt damals bereits dass „zur Schaffung des Friedens beigetragen“ werden muss; man beschränkt sich nicht darauf, von Kohle und Stahl zu sprechen, man spricht bereits von anderen, wichtigeren Dingen, von Frieden und Europa. Seit der EGKS und bis Maastricht, und sicherlich noch darüber hinaus, entwickelten wir uns von der einfachen Wirtschaftsgemeinschaft (mit ihrer „Zollunion“, dem gemeinsamen Außenzoll, ihren eigenen Schranken, über die derzeit sehr viel diskutiert wird im Rahmen der internationalen Handelsrunde, die GATT genannt wird) bis zur politischen Union; und gegenwärtig ist es der Weg der politischen Union, der obsiegt hat. […] [S. 105]

Schließlich die letzte Alternative, diejenige, die ohne Zweifel die Debatte der nächsten Monate beherrschen wird: Das Vaterland oder Europa? Handelt es sich um gegensätzliche Begriffe? Ist derjenige, der sich als Gemeinschaftseuropäer versteht, ein schlechter Patriot? Gibt derjenige sein Vaterland auf, der aus Patriotismus Frankreich, und nur Frankreich wählt – ohne die Nützlichkeit bestimmter Abkommen zu leugnen, aber ohne ein strukturell entscheidendes Abkommen, wie das von Maastricht, zu unterstützen? Ist er deshalb ein schlechter Europäer? Ich werde mich nicht auf diese Art von Diskussion einlassen. Ich habe einmal versucht, dies auszudrücken, in dem ich sagte: „Frankreich ist unsere Heimat, aber Europa ist unsere Zukunft.“ Kann man weiterhin Franzose sein, und gleichzeitig den Bau Europas fortentwickeln? Das ist meine Überzeugung, da ich an den Platz Frankreichs in Europa glaube, an den Platz Frankreichs in der Welt. Dies ist ein wichtiger Platz: Frankreich, mit seinen 58 Millionen Einwohnern – was aus ihm ein relativ schwach besiedeltes Land macht, [S. 108] verglichen mit den großen menschlichen Ansammlungen – steht wirtschaftlich immer noch an vierter Stelle weltweit. Militärisch, wenn man davon sprechen muss, ist es an dritter Stelle. Kulturell, wissenschaftlich haben wir eine ganze Geschichte hinter uns. Das ist ein Glück und spricht für uns.

Nun, wird Frankreich in Europa seine Trümpfe verlieren? Ich gehöre zu denjenigen, die denken, dass es sie ganz im Gegenteil vervielfältigen wird. Ich weiß, was Frankreich leisten kann, da ich es geschlagen, besetzt, verloren für die Geschichte gesehen habe: Wenn ich sage dass ich es gesehen habe, dann meine ich, dass ich in meiner eigenen Lebensspanne Frankreich wieder erscheinen gesehen habe, wieder auferstehen, zur Gruppe der Sieger gehören, neue große Ideen lancieren, sich durch diese Art von Macht durchsetzen, die Initiative trotz so vieler Nöte und Schwierigkeiten übernehmen, mit der Dritten Welt sprechen, den Platz der armen Länder bei den Europäischen Gemeinschaften verteidigen. Zur selben Zeit, als das sowjetische Imperium zusammenbrach, wurde überall um unsere Unterstützung nachgefragt um die zerstörten Volkswirtschaften der fraglichen Länder wieder aufzubauen: würden wir zum Beispiel die Länder Afrikas aufgeben? Oder diejenigen, die am Lomé- und Afrika-Karibik-Pazifik Abkommen teilnehmen? Nun, eben nicht, denn wir haben damit begonnen, das Lomé-Abkommen zu erneuern, indem eine Hilfe von 12 Mrd. Ecu gewährt wurde (das heißt die beträchtlichste Summe, die vorgestreckt wurde, um den Dritt-Welt-Ländern endlich Entwicklung zu ermöglichen). Genauso hat Frankreich überall Projekte angekündigt, um die exzessive Überschuldung der Länder der Dritten Welt zu beenden. Das Moratorium: wir haben auf unsere Forderungen an vierzig arme Länder verzichtet. Wir haben mit einem Federstrich Forderungen getilgt, die über zwanzig bis dreißig Milliarden Francs gingen, nicht weil wir Helden wären, sondern weil wir denken, dass es im Interesse Europas liegt, im Interesse der industrialisierten Welt, eine aktive und lebendige Beziehung mit der Gesamtheit der anderen Länder zu haben, die neun Zehntel der Weltbevölkerung ausmachen werden.

Dies ist der Platz Frankreichs in Europa, der Platz Frankreichs in der Welt! Und glauben Sie, es wäre gleichgültig, sich vorzustellen, dass dieses Europa das wir bauen bald in der Lage sein wird die [S. 109] Konkurrenz der Mächtigsten auszuhalten? Es handelt sich nicht darum, als Eroberer im Zentrum der Welt aufzutreten. Aber es handelt sich auch nicht darum, die Herrschaft der Anderen zu akzeptieren. Sollten wir unfähig sein, die Geschichte, die wir geerbt haben, fortzuschreiben? Ist es normal zu glauben, dass auf der Welt nur zwei große Wirtschafts- und Handelsmächte, und entsprechend politische Mächte, existieren: die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan? Werden wir diese Mächte alle unsere Märkte „durchdringen“ lassen? Werden wir gezwungen sein, uns allen politischen Forderungen außereuropäischer Mächte zu unterwerfen? Bereits jetzt ist die Gemeinschaft der Zwölf – ohne bereits an ihre Vollendung gekommen zu sein, das wird Maastricht sein – die größte Handelsmacht der Welt. Sie könnte auch die größte Industriemacht, die größte technische Macht sein...Und wenn sie es nicht wäre, könnte sie wenigstens auf Augenhöhe mit denen sprechen, die für den Rest der Welt entscheiden. Ich finde, dieser Anspruch ist alle Anstrengungen wert! Zu diesem Zweck haben wir eine ganze Reihe von Verträgen und Abkommen vorgesehen, über die Sie Richter sein werden. […] [S. 110]


[1] Mitterrand, François, Institut d’Études Politiques – Paris, 5 juin 1992, in: Ders.: Onze Discours sur l’Europe (1982-1995) (Biblioteca Europea; 8), Neapel 1996, S. 95-132, hier S. 95, 101-105, 108-110. Übersetzung von Stefan Seidendorf.


François Mitterrand, un discours fait devant des étudiants et des professeurs de l’Institut d’Études Politiques à l’occasion du référendum français sur le Traité de Maastricht (Paris, 5 juin 1992); [Extrait] [1]

Paris, 5 juin 1992

Monsieur le Président, Monsieur le Directeur, Mesdames, Mesdemoiselles et Messieurs, […][p. 95].

Après ce rappel, je voudrais aborder ce que je pourrais appeler des thèmes dialectiques: les questions qui se posent, avec des réponses alternatives. La première, je l’ai déjà évoquée. Le choix qui nous est posé, à nous qui avons vu l’Europe se détruire, perdre sa primauté, risquer même physiquement (et bien entendu politiquement, spirituellement, culturellement) de perdre tout son acquis au bénéfice des Empires qui à l’époque s’appelaient, et s’appellent toujours pour le premier, les États-Unis d’Amérique et l’Union soviétique (notion déjà un peu dépassée), tandis que pointe à l’horizon une autre puissance qui s’appelle le Japon, ce [p. 101] choix, c’est: la guerre ou la paix? Allons-nous bâtir une Europe sur les critères qui ont toujours conduit à des conflits armés, inéluctablement, avec le choc des ambitions, des intérêts, des nationalismes, des idéologies, comme cela a été le cas pour la dernière guerre avec le nazisme? Allons-nous fabriquer, construire une Europe pour la guerre, au bénéfice du futur vainqueur (mais lequel?), ou pour la paix? Il arrive un moment où l’on se lasse des guerres, où l’on se lasse aussi des paroles toutes faites. D’une génération à l’autre, nous avons appris que la France avait des ennemis héréditaires; mais ce n’étaient pas les mêmes! La France a compté comme ennemis héréditaires à peu près tout le monde en Europe. Le temps de l’Angleterre est bien connu, mais celui de l’Espagne pas si lointain; et l’Empire austro-hongrois, la Prusse, l’Union Soviétique et l’Allemagne, disons le Reich, cela fait beaucoup d’ennemis héréditaires, et même un peu trop si l’on veut pouvoir s’y reconnaître. Je me souviens d’avoir fait le compte: en vérité, il n’y a qu’un seul pays en Europe avec lequel nous n’ayons jamais fait la guerre. Le seul pays avec lequel nous n’avons jamais été en guerre – c’est l’occasion de le rappeler, et on ne va pas la faire –, c’est le Danemark!

Bref, la France a été la plupart du temps un voisin incommode. On ne devrait pas le dire, eh bien moi, je m’autorise à le dire: un voisin incommode. Mais les autres aussi. Simplement, comme nous sommes avec l’Angleterre, l’Espagne et le Portugal le plus vieil État-nation d’Europe, cela fait plus longtemps que nous sommes en mesure de combattre les autres, d’avoir des ambitions, ou de nous défendre contre les ambitions des autres. Le secret de ces guerres permanentes tient au fait – je vais vous dire une vérité de la Palice – que c’est le vainqueur qui impose sa loi; c’est le vainqueur qui fait le traité de paix, et le traité de paix contient tout aussitôt le germe de la guerre future. Tous les traités sont mal faits à cause de cela, et les derniers comme les autres. Que reste-t-il des traités de Versailles, Saint-Germain, Trianon? Les vainqueurs de la dernière guerre ont été très raisonnables: ils ont fini la guerre, mais n’ont pas fait de traité! [p. 102]

Comment donc bâtir la paix, sinon en tentant une construction inédite, jamais vue et qui serait tout simplement la paix par contrat, par négociation, conciliation, arbitrage, par une structure qui relèverait de la libre décision des gouvernements, des parlements ou des peuples de l’Europe dans laquelle nous sommes? Voilà l’entreprise! Aujourd’hui, on critique beaucoup cette construction, moi le premier. Mais ce que je constate, c’est que tout le monde veut y venir. […]

Quel est le deuxième thème sur lequel le choix vous est demandé, comme à moi? Sur la guerre ou la paix, il est facile de répondre, même s’il n’est pas facile d’agir. Mais la deuxième question, c’est: ou zone de libre-échange, zone que nous bâtissons de libre-échange universel, ou communauté économique [p. 103] particulière, Communauté économique européenne. Ou bien un espace sans frontière sur le plan marchand et négociant, ou bien, entre les pays qui le décident, la suppression de toute frontière intérieure et la multiplication des politiques communes. Le choix est: ou espace de libre-échange sans frontière, ou politique commune, c’est-à-dire Europe structurée – c’est la Communauté économique européenne. Certains pays s’y sont refusés naguère; ceux qui frappent à la porte ont créé l’Association européenne de libre-échange, avec le secret espoir d’encourager les efforts de la Grande-Bretagne et de quelques autres. Et cependant, c’est la force communautaire qui l’a emporté sur son antagoniste libre-échangiste. Au sein de la Communauté économique européenne, on va retrouver constamment ces thèmes. On a décidé par exemple à Rome, en 1957, d’une Union douanière (qui repousse la frontière de l’Hexagone, pour la porter le long des rivages de l’Atlantique et sur toutes les frontières continentales de nos voisins des Douze); on a établi une préférence communautaire pour l’agriculture, des prix communs; c’est-à-dire que l’on a renforcé l’espace européen, protégé l’espace européen contre la vague libre échangiste, venue surtout des pays anglo-saxons. Il fallait faire le choix; il est fait, mais il est toujours réversible. La tentation continue d’exister.

Troisième thème dialectique: l’Europe des marchands (communauté strictement économique), ou bien l’Union européenne (c’est-à-dire l’union politique, au-dessus de ces échanges)? Faut-il ou ne faut-il pas un pouvoir politique supérieur, issu de la volonté populaire? Je suis de ceux qui ont la conviction qu’aucune forme de communauté ne durera si elle n’est pas gérée, administrée, conduite par un pouvoir politique issu de la volonté populaire. Il y a ceux (et ils sont nombreux en France aujourd’hui) qui se contenteraient bien d’une Communauté économique: on échange des produits, on en fabrique, on en vend, très bien; on économise autant que possible sur l’échange, on facilite les passages à la frontière: c’est très intéressant, et c’est ce que l’on a fait pendant plusieurs années. On en a tiré grand profit, mais cela ne sera pas durable en face [p. 104] des bourrasques de l’Histoire, s’il n’y a pas un pouvoir politique commun. Tel est le choix. Communauté marchande, ou Union politique avec tout ce que cela comporte? Eh bien, dès la création de la C.E.C.A., c’est-à-dire de la Communauté du charbon et de l’acier en 1954, on trouve les éléments d’une future union politique; on dit déjà qu’il faut “contribuer à l’édification de la paix”; on ne se contente pas de parler de charbon et d’acier, on parle déjà d’autres choses plus importantes encore, de paix et d’Europe. Depuis la C.E.C.A. jusqu’à Maastricht, et sans doute poursuivra-t-on bien au-delà, on est allé de la simple communauté économique (avec ses “unions douanières”, sa barrière commune extérieure, ses protections propres, dont on discute beaucoup actuellement au sein de la négociation commerciale internationale que l’on appelle le G.A.T.T.) jusqu’à l’union politique; et à ce jour, c’est la voie de l’union politique européenne qui l’a emporté. […] [p. 105]

Enfin le dernier choix, celui qui va sans doute occuper les discussions de ces prochains mois: la patrie, ou l’Europe? S’agit-il de termes antinomiques? Celui qui se veut Européen de la Communauté est-il un mauvais patriote? Abandonne-t-il sa patrie, celui qui par patriotisme veut la France, et la France seulement – sans nier l’utilité de certains accords, mais sans vouloir d’accord structurel déterminant, comme à Maastricht? Est-il pour autant un mauvais Européen? Ce n’est pas le type de débat dans lequel je me lancerai. J’ai essayé de l’exprimer en disant un jour: “la France est notre patrie, mais l’Europe est notre avenir”. Est-ce que l’on peut continuer d’être Français tout en développant la construction européenne? C’est ma conviction. C’est ma conviction, parce que je pense à la place de la France en Europe, à la place de la France dans le monde. C’est une place importante: la France, avec ses 58 millions d’habitants – ce qui fait d’elle un pays assez peu peuplé, par [p. 108] rapport aux grandes concentrations humaines – est toujours aujourd’hui le quatrième pays du monde sur le plan économique. Sur le plan militaire, puisqu’il faut en parler, elle est le troisième. Sur le plan culturel, sur le plan du rayonnement scientifique, nous avons toute une histoire derrière nous. C’est une chance, et elle parle pour nous.

Alors, est-ce que la France dans l’Europe va perdre ses atouts? Je suis de ceux qui pensent qu’elle va, au contraire, les démultiplier. Je sais ce que la France peut faire pour l’avoir vue abattue, dominée, comme perdue pour l’Histoire: quand je dis que je l’ai vue, c’est parce que dans l’espace de ma propre vie, je l’ai vue reparaître, ressusciter, appartenir au camp des vainqueurs, lancer de nouvelles grandes idées, s’imposer par cette force-là, prendre l’initiative malgré tant de peines et de difficultés, parler au Tiers-Monde, défendre la place des pays pauvres auprès de l’Europe de la Communauté. Au moment même où s’effondrait l’empire soviétique, on demandait partout notre concours pour redresser les économies détruites des pays en question: allait-on abandonner les pays d’Afrique, par exemple? Ou ceux qui participent aux accords de Lomé, Afrique, Caraïbes, Pacifique? Eh bien non, puisque nous avons commencé par renouveler les accords de Lomé en accordant une aide de douze milliards d’Écus (c’est-à-dire la somme la plus considérable qu’on ait avancée pour permettre enfin aux pays du Tiers-Monde de se développer). De même, la France a partout annoncé des projets pour qu’en en finisse avec l’endettement excessif des pays du Tiers-Monde. Le moratoire: nous avons renoncé à notre créance sur quarante pays pauvres. Nous avons d’un trait de plume rayé des créances allant de vingt à trente milliards de francs, non pas parce que nous serions des héros, mais parce que nous pensons que c’est l’intérêt de l’Europe, l’intérêt du monde industriel, que d’avoir une relation active et vivante avec l’ensemble des autres pays qui vont représenter les neuf dixièmes de la population du globe.

Alors la place de la France en Europe, la place de la France dans le monde, elle est là! Et croyez-vous sans intérêt d’imaginer que cette Europe, que nous construisons, sera bientôt en mesure [p. 109] de supporter la concurrence des plus puissants? Il ne s’agit pas de s’installer en conquérant au centre du monde. Mais il ne s’agit pas non plus d’accepter la domination des autres. Serions-nous incapables de perpétuer l’histoire que nous avons héritée? Est-il normal de penser que seules existent au monde deux grandes puissances économiques et commerciales, et par voie de conséquence politiques: les États-Unis d’Amérique et le Japon? Va-t-on laisser “enfoncer” tous nos marchés par ces puissances-là? Va-t-on être obligé de se soumettre à tous les impératifs politiques des puissances extérieures à l’Europe? Déjà, la Communauté des Douze – sans être parvenue encore à son terme, ce sera Maastricht – est la première puissance commerciale du monde. Elle pourrait être aussi la première puissance industrielle, la première puissance technologique... Et si elle ne l’était pas, du moins pourrait-elle parler d’égal à égal avec ceux qui décident pour le reste du monde. Je trouve que c’est une ambition qui en vaut la peine! A cette fin, nous avons engagé toute une série de traités et d’accords, dont vous allez être juges. […] [p. 110]


[1] Mitterrand, François, Institut d’Études Politiques – Paris, 5 juin 1992, in: Ders.: Onze Discours sur l’Europe (1982-1995) (Biblioteca Europea; 8), Neapel 1996, S. 95-132, hier S. 95, 101-105, 108-110.


Für das Themenportal verfasst von

Stefan Seidendorf

( 2009 )
Zitation
Stefan Seidendorf, Frankreichs Selbstverständnis in Europa. Mitterands Referendumskampagne um den Maastrichter Vertrag 1992, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1512>.
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