Natur und Geschlecht in Text und Bild bei Georg Forster und William Hodges auf der zweiten Cook-Expedition 1772-1775

In den letzten Jahren ist insbesondere durch die kulturgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Forschung die Bedeutung von Reiseberichten in der Frühen Neuzeit als Quelle für die europäische Selbst- und Fremderfahrung im Zuge der Expansion Europas seit dem 16. Jahrhundert herausgearbeitet worden. Dies schlägt sich in einer Fülle von Publikationen zu dem Thema nieder. Bis auf wenige rezente Ausnahmen hat diese textzentrierte Forschung jedoch die Bedeutung der Bilder, die während und nach den europäischen Entdeckungsfahrten entstanden sind, vernachlässigt. Erst durch den Iconic Turn, also die Hinwendung zu grafischen Darstellungen als Teil der alltäglichen Wirklichkeitskonstitution, werden Bilder im Prozess des „othering“ in der Forschung thematisiert. [...]

Natur und Geschlecht in Text und Bild bei Georg Forster und William Hodges auf der zweiten Cook-Expedition 1772-1775[1]

Von Anne Mariss

In den letzten Jahren ist insbesondere durch die kulturgeschichtliche und literaturwissenschaftliche Forschung die Bedeutung von Reiseberichten in der Frühen Neuzeit als Quelle für die europäische Selbst- und Fremderfahrung im Zuge der Expansion Europas seit dem 16. Jahrhundert herausgearbeitet worden. Dies schlägt sich in einer Fülle von Publikationen zu dem Thema nieder.[2] Bis auf wenige rezente Ausnahmen hat diese textzentrierte Forschung jedoch die Bedeutung der Bilder, die während und nach den europäischen Entdeckungsfahrten[3] entstanden sind, vernachlässigt. Erst durch den Iconic Turn, also die Hinwendung zu grafischen Darstellungen als Teil der alltäglichen Wirklichkeitskonstitution, werden Bilder im Prozess des „othering“[4] in der Forschung thematisiert. So hat man in der Geschichtswissenschaft etwa für das parallele ‚Lesen‘ von frühneuzeitlichen Texten und Bildern innerhalb der ersten Phase von europäischen Entdeckungsfahrten zu Beginn der Neuzeit plädiert. Allerdings unterscheidet sich die Ikonographie dieses ersten Entdeckungszeitalters stark von der des 18. Jahrhunderts. Im 16. und 17. Jahrhundert versuchten die in Europa verbliebenen Künstler und Verleger noch, die schriftlichen Texte der Reisenden zu dechiffrieren, ihre Wörter in Bilder zu verwandeln und in einen für das europäische Publikum verständlichen Bildkontext zu übersetzen. Dabei schufen sie bestimmte physische Typen wie den wilden Indianer, fabelhafte Tier- und Menschenwesen sowie imaginierte Landschaften und Szenerien, die nicht nur ein Fenster in eine fremde Welt öffneten, sondern vor allem einen Spiegel des frühneuzeitlichen europäischen Selbst mit dessen Ängsten und Wünschen darstellten. Im 18. Jahrhundert verschob sich das Interesse von stereotypen Darstellungen hin zu mehr Detailgenauigkeit sowohl in den Texten als auch in den Bildern, ohne dass diese textlichen oder piktoralen Repräsentationen ‚realer‘ oder weniger eurozentrisch waren.

Der empirische Wandel in den Wissenschaften rief im 18. Jahrhundert eine Leidenschaft für das Sammeln, Verstehen und Klassifizieren von Mineralien, Pflanzen und Tieren und das direkte Beobachten in der Natur hervor. So wurden neben Wissenschaftlern wie Astronomen, Medizinern und Botanikern auch Maler an Bord der Expeditionsschiffe beschäftigt, um die exotischen Landschaften und die darin existierenden Lebewesen möglichst wahrheitsgetreu festzuhalten. Neben der gewünschten exakten kartografischen Vermessung von Küstenlinien und Inseln kam es auch auf eine genaue bildliche Repräsentation der erkundeten Natur an. So sagte James Cook über den aus der Schweiz stammenden Landschaftsmaler John Webber (Johann Wäber), dieser sei auf seiner dritten Expedition in den Pazifik angestellt worden, „for the express purpose of supplying the unavoidable imperfections of written accounts, by enabling us to preserve, and to bring home such drawings of the most memorable scenes of our transactions, as could only be executed by a professed and skilfull artist.”[5] Die professionellen Künstler der wissenschaftlichen Expeditionsreisen sollten also einerseits bisher unbekannte Welten in Bilder fassen, um dem daheim gebliebenen Publikum eine noch bessere Vorstellung der fremden Natur zu geben als der geschriebene Text, andererseits sollten sie die denkwürdigsten Momente europäischer Unternehmungen aufzeichnen.

Im Folgenden soll der Versuch einer parallelen Lesart von Text und Bild anhand von Textauszügen aus Georg Forsters „Reise um die Welt“ (1778) und einem Gemälde William Hodges‘ mit dem Titel „Tahiti revisited“ (1776) unternommen werden. Eine solche Analyse der textlichen und bildlichen Quelle bietet sich deshalb an, weil sich der deutsche Naturforscher und der englische Landschaftsmaler beide an Bord des Schiffes Resolution während der zweiten Cook-Expedition (1772-1775) in den Pazifik befanden. Im Vordergrund steht dabei die Frage, inwiefern die fremde und exotische Natur in vergeschlechtlichen Bildern imaginiert wurde – sowohl auf einer textlichen wie auch auf einer piktoralen Ebene. Ausgangspunkt ist dabei die Allegorisierung territorialer Räume mit Frauenkörpern lange vor der Entdeckung Amerikas durch die europäischen Seefahrer.[6] Auch wenn man keine pauschale Gleichsetzung von fremden Räumen mit Vorstellungen von Weiblichkeit behaupten kann, ist der ‚Erfolg‘ der Repräsentation des Fremden als Weiblichen – ein Prozess, den Susanne Zantop als „Gendering the Conquest“[7] beschrieben hat – nicht von der Hand zu weisen. Er lag vor allem in der geschickten Funktionalisierung von weiblichen Imaginationen zu kolonialen Herrschaftszwecken begründet. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts gewann die bildliche und gedankliche Tradition der Verweiblichung fremder Räume durch die verstärkte Gleichsetzung von Frauen mit ‚Natur‘ eine neue Dimension. Das zu dieser Zeit in Europa aufkommende Konzept bipolarer Geschlechtercharaktere definierte die Frau vorrangig durch ihre physischen Merkmale als Ehefrau und Mutter. Damit wurden ihr idealtypisch die häusliche Sphäre und die Kindererziehung sowie eine stärkere Emotionalität zugewiesen. Die vermeintliche Rationalität des Mannes dagegen wies ihm die Aufgabe der geistigen bzw. gesellschaftlichen Produktion und damit den Bereich der Öffentlichkeit zu. Dass es in patriarchalen Gesellschaften schon immer Geschlechterdifferenzen gab und der Gegensatz Frau – Mann keine ‚Erfindung‘ des 18. Jahrhunderts war, liegt auf der Hand. Bedeutend ist hierbei jedoch, dass die Unterschiede der Geschlechter fortan ‚in der Natur‘ lagen und somit naturalisiert wurden.[8] Dieser europäische Wissenschafts- und Geschlechterdiskurs speiste sich zunehmend aus der Beobachtung fremder Völker in Übersee. Eines der wenigen deutschsprachigen Zeugnisse der Beobachtung überseeischer Räume durch europäische Entdeckungsfahrer und Wissenschaftler im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ist Georg Forsters (1754-1794) Reise um die Welt – eine der erfolgreichsten philosophischen Reisebeschreibungen der europäischen Spätaufklärung und gleichzeitig eine Art ‚Zufallsprodukt‘ der Geschichte. Als junger Mann begleitete der 17-Jährige Georg seinen Vater, den Naturforscher Johann Reinhold Forster (1729-1798), als Assistenten auf der zweiten Expeditionsreise James Cooks. Vater und Sohn Forster waren von der Britischen Admiralität nach dem Ausfall des Naturforschers Joseph Banks damit beauftragt worden, die Expedition wissenschaftlich zu begleiten. Ihre Aufgabe bestand vornehmlich darin, naturhistorische Beobachtungen in den zu bereisenden überseeischen Gebieten zu machen und diese sowohl schriftlich als auch bildlich festzuhalten. Neben dem von Johann Reinhold Forster geführten Tagebuch und Zeichnungen Georg Forsters sind auch materielle Stücke wie Pflanzenpräparate und ethnografische Artefakte erhalten, die sich heute teilweise als Cook-Forster-Sammlung im Besitz des Völkerkundlichen Museums Göttingen befinden.

Nach der Rückkehr der zweiten Expedition nach England am 30. Juli 1775 begann ein Streit um die Publikation des offiziellen, d.h. von der Britischen Admiralität autorisierten, Reiseberichts. Geplant war eine zweibändige Reisebeschreibung, verfasst von James Cook und dem älteren Forster. Beiden Autoren sollten Druckkosten und Erlös teilen, die Admiralität wollte die Kosten für die Kupferplatten übernehmen. Doch der als schwierig im Umgang mit seinen Mitmenschen geltende deutsche Naturforscher konnte nur schwer die ihm von der Admiralität bei der Abfassung seines Werks gesteckten Vorgaben akzeptieren. Schließlich wurde Johann Reinhold Forster jegliche finanzielle Förderung seitens der Admiralität versagt. Nun sollte sein Sohn Georg als offizieller Autor auftreten, um den finanziellen Ruin der Familie abzuwenden und den guten Ruf des Vaters zu retten. Die von Georg Forster auf den Skizzen des Vaters und eigenen Beobachtungen beruhende Reisebeschreibung „A Voyage round the World“ erschien im März 1777 und damit sechs Wochen vor dem offiziellen Bericht von James Cook. Durch den eleganten prosaischen Erzählstil, der nicht nur bloße Fakten aneinanderreiht, und die differenzierten Beobachtungen konnte die Reisebeschreibung einen großen Erfolg beim Publikum verzeichnen. Auch die deutsche Übersetzung (1778-1780), die der junge Forster mit großer Unterstützung des nach England emigrierten Rudolf Erich Raspe verfasste, brachte großen Erfolg und die Anerkennung deutscher Gelehrter. Im Rückblick gilt Georg Forster als Begründer der modernen Reiseliteratur und als Wegbereiter für spätere Naturforscher des frühen 19. Jahrhunderts wie Alexander von Humboldt.

Allerdings war Forsters Reisebeschreibung nicht frei von subjektiven Eindrücken und verurteilenden oder romantisierenden Darstellung der indigenen Südseevölker. Auch Forster verfiel wie die meisten seiner Zeitgenossen der fixen Idee einer ‚Überlegenheit‘ Europas gegenüber anderen Völkern der Welt. Insbesondere die Südseeinsel Tahiti diente als Projektionsfläche europäischer Imaginationen. Ohne hier weiter auf den wirkmächtigen Mythos Tahiti eingehen zu können,[9] sei darauf verwiesen, dass es für eine textliche Repräsentation Tahitis als erotisches Paradies oder für die Kritik an dem negativen Einfluss der Europäer auf die Insel und ihre Bevölkerung unzählige Textbeispiele aus den verschiedensten Reisebeschreibungen gibt: von den Berichten erster Entdeckungsreisender wie den Franzosen Louis Antoine de Bougainville bis hin zu den christlichen Missionaren, die die polynesische Inselwelt gegen Ende des 18. Jahrhunderts bereisten. Auch der junge Forster zeigte sich einerseits fasziniert von der polynesischen Kultur, andererseits übte er Kritik an den gar nicht so paradiesischen Zuständen der Tahitianischen Gesellschaft, die stark hierarchisch gegliedert war und keinesfalls rousseauschen Vorstellungen von einer ‚ursprünglichen‘ Gleichheit der Menschheit entsprach, die man meinte, in den Antipoden gefunden zu haben. Besonders schockiert war Georg Forster von der für seinen Geschmack zu freizügigen Sexualität der polynesischen Frauen.[10] So berichtete er während des Aufenthaltes auf Tonga von den Besuchen der Indigenen an Bord der europäischen Schiffe: „Unter den letztern gab es sehr viel Frauenspersonen, die wie Amphibia im Wasser herumgaukelten, und sich leicht bereden ließen an Bord zu kommen, nackt als die Natur sie geschaffen hatte. Um Keuschheit war es ihnen auch eben so wenig zu thun als den gemeinen Mädchen auf Tahiti und den Societäts-Inseln […].“[11] Forster beschrieb die indigenen Frauen, die sich mit den europäischen Männern einließen als „gemeine“ Mädchen. Auch an anderen Textstellen differenzierte immer wieder zwischen ‚gemeinen‘ Frauen, also Frauen von niederem Ansehen bzw. Rang, und Frauen ‚von Stand‘. Während er letztere oft als schön, wohlgebildet und keusch darstellte, äußerte er sich abfällig über die ‚gemeinen‘ Frauen, die sich schon für einige Nägel oder Lumpen mit den europäischen Matrosen abgeben würden. Diese Haltung wird auch in anderen Stellen der „Reise um die Welt“ deutlich, in denen Forster ausschweifende Sexualität explizit mit einem sozial niedrigen Stand gleichsetzte. Für ihn machten die „hiesigen liederlichen Weibspersonen“ eine „besondre Classe“ unter den weiblichen Bewohnern Tahitis aus.[12] Forster vermied es bewusst, das sexuelle Verhalten einer bestimmten Gruppe von Frauen, die er als „Huren“ bezeichnete, zu verallgemeinern und zog dazu eine geschickte Argumentation heran: Sowenig man aus der Beobachtung einer bestimmten ‚Klasse‘ von Frauen in London, den „gefälligen Nymphen in Convent-Garden, Drurylane und im Strande“, allgemeine Rückschlüsse auf die englischen Gesellschaft ziehen könne, sowenig könne man von den Tahitianischen „Huren“ auf alle anderen polynesischen Frauen schließen.[13] Stattdessen plädierte er für eine kontextualisierte Beurteilung der Verhältnisse und setzte sich damit klar von anderen Reisenden ab, die die Südsee im Allgemeinen und Tahiti im Besonderen zu einem erotischen Paradies für europäische Männer stilisiert hatten.

Auffallend ist die Begrifflichkeit: Forster nennt die englischen Prostituierten „Nymphen“, was auf die in der griechischen Mythologie mit Sexualität und Fruchtbarkeit assoziierten Fabelwesen rekurrierte und im zeitgenössischen Sprachgebrauch bezeichnenderweise gleichermaßen Prostitution und sexuelle, gar ‚krankhafte‘ Aktivität von Frauen („Nymphomanie“) bedeutete. In der Oekonomischen Encyklopädie (1773-1858) des Johann Georg Krünitz findet man unter dem Stichwort ‚Nymphe‘ den folgenden Eintrag: „Wegen der vielen Liebeshändel, welche die älteren Dichter von diesen Schutzgöttinnen der Naturgegenden erzählen, pflegt man auch wohl zuweilen eine allzu freye weibliche Person eine Nymphe zu nennen.“[14] Auch unter dem Stichpunkt ‚Hure‘ taucht der Begriff der Nymphe wieder auf. Zudem sind Forsters Beschreibungen der vermeintlich ausschweifenden sexuellen Aktivität der polynesischen Frauen eng mit der Aktivität des Schwimmens konnotiert. In dem oben genannten Zitat etwa verglich Forster die Frauen, die sich in Nähe der europäischen Schiffe befanden mit „Amphibia“, die „im Wasser herumgaukelten“. Immer wieder beschrieb er, wie die Frauen schwimmend an Bord gelangten, um dort ihre „Begierden“ zu stillen.[15] Die ‚exzessive‘ weibliche Sexualität wird in Forsters Reisebeschreibung über das Element Wasser, dem ‚natürlichen‘ Lebensraum der Nymphen, mit Naturhaftigkeit assoziiert. Zieht man nun die Bildquelle zur Analyse hinzu, scheint die Annahme plausibel, dass die exotische, fremde Natur der polynesischen Inselwelt durch Frauenkörper erotisiert wurde, insbesondere durch Frauenkörper, die sich nymphengleich im Wasser befinden.

Bei dem Bild handelt es sich um ein Gemälde mit dem Titel „Tahiti revisited“ (1776) des englischen Landschaftsmalers William Hodges (1744-1797). Das Gemälde entstand auf der Grundlage von Skizzen, die Hodges während der Reise angefertigt hatte, nach der Rückkehr des Künstlers in seinem Londoner Atelier. Es soll Vaitepiha Bay auf Tahiti darstellen, einen beliebten Ankerplatz für europäische Expeditionsschiffe. Im Bildvordergrund sieht man nackte Frauen beim Baden sowie einen Ti’i, eine geschnitzte oder auch gemeißelte Ahnen- bzw. Götterfigur aus dem polynesischen Raum. Im mittleren Bildhintergrund sind eine weitere Personengruppe und eine Hütte zu erkennen, während der Hintergrund des Bildes von einer massiven Bergkette dominiert wird. Die gesamte Szenerie ist in sanftes, goldenes Licht getaucht. Der Maler hat hier geschickt verschiedene topographische und ethnographische Versatzstücke zu einer Landschaft zusammengefügt, die dem Ideal des locus amoenus entspricht. Der locus amoenus, wörtlich mit ‚lieblicher Ort‘ zu übersetzen, wurde sowohl in der Literatur als auch in der Malerei oft durch eine ideale Naturlandschaft repräsentiert wie etwa eine Quelle oder einen lichten Hain. Hodges stellt sich durch die Darstellung der nacktbadenden Frauen an diesem paradiesisch anmutenden Ort in eine europäische Bildtradition, die seit der Renaissance das Motiv der Nymphe[16] verschiedentlich variiert: von den noch leicht verschleierten Nymphen Botticellis auf dem Gemälde „Primavera“ (1482/1487) bis hin zu den „Badenden Frauen am Morgen“ (1772) von Claude Joseph Vernet. Das Bildmotiv der Nymphen bzw. nacktbadenden Frauen, die dem voyeuristischen Blick des Beobachters preisgegeben sind, war eine der gesellschaftlich akzeptierten Möglichkeiten, weibliche Nacktheit künstlerisch darzustellen.[17] Die Feminisierung und Erotisierung des Raumes wird also über die nacktbadenden Frauen hergestellt, die jedoch nicht der eher dunkelhäutigen Bevölkerung ähneln, sondern einem europäischen Schönheitsideal verpflichtet sind. Zwar weisen die dargestellten weiblichen Figuren die typisch polynesischen Tätowierungen auf, dennoch hat Hodges die weiblichen Figuren über die helle Haut und ihr europäisch anmutendes Äußeres nach zeitgenössischer Vorliebe ‚antikisiert‘ und zu griechischen Nymphen stilisiert. Tahiti erscheint als ein idyllisches Paradies und europäischer Wunsch(t)raum. Die idyllische und exotische Natur wird aus einer männlich-europäischen Perspektive nicht nur feminisiert und erotisiert, sondern gleichzeitig idealisiert. Als offizieller „Bildberichterstatter“ der zweiten Cook-Expedition hatte Hodges nicht nur den Auftrag, das Gesehene zu dokumentieren, sondern auch zu interpretieren. Die Schiffe als Zeichen europäischer Inbesitznahme werden nicht dargestellt, sodass das vermeintliche Paradies hier als noch jungfräulich unberührt und in einem ‚natürlichen Ur-Zustand‘ verblieben repräsentiert wird. So könnte man das Bild auch als eine Kritik des Malers an der europäischen Präsenz in diesem irdischen ‚Paradies‘ interpretieren, der hier einen sehnsuchtsvollen Blick zurück auf den Zustand einer prä-europäischen Unberührtheit und Unschuld der Insel und ihrer Bevölkerung wirft. Gleichzeitig schwingt darin auch eine Kritik an der europäischen Zivilisation und deren Streben nach Fortschritt sowie der beginnenden Industrialisierung in den urbanen Zentren Europas mit. Doch gerade bei den wissenschaftlichen Begleitern der Reise stießen die romantischen und idealisierten Darstellungen Hodges‘ nicht auf Begeisterung. So empörte sich Georg Forster in einem Brief an seinen Freund Spener vom 27. Dezember 1776 folgendermaßen über die Bilder: „Herr Hodges ist jetzt in den nämlichen Fehler verfallen, den man Cipriani vorgeworfen. Er malt nicht o-Taheitische, nicht Tonga-Tabbuische, sondern griechische Draperien, Figuren, Gesichter, alles.“[18] In diesem Zitat wird die Schwierigkeit deutlich, künstlerische Kompositionen bzw. den zeitgenössischen Geschmack für antikisierende Darstellungen und erhabene Landschaften mit dem Wunsch nach wissenschaftlicher Exaktheit zu vereinen. Nun hatte Hodges den offiziellen Auftrag der Britischen Admiralität, Landschaften und die darin stattfindenden Handlungen festzuhalten – anders etwa als der Maler Sidney Parkinson, der von dem Mitreisenden und Geldgeber der Expedition Joseph Banks explizit dazu engagiert worden war, botanische und zoologische Zeichnungen anzufertigen.

Sicherlich spiegelt das Gemälde „Tahiti revisited“ keine ethnographische oder topographische Exaktheit wider. Dennoch zeigt es zusammen mit dem auszugsweise analysierten Reisebericht Forsters, wie Natur und das weibliche Geschlecht gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Verbindung gesetzt wurden. Auf dem Bild „Tahiti revisited“ werden die nymphenhaften Frauen nicht nur in und mithilfe einer idealen, exotischen Natur dargestellt, sie verkörpern gleichzeitig Passivität und Müßiggang. Dies würde der Tendenz industrialisierter Länder entsprechen, liminale Räume mit Freizeit und Muße zu assoziieren.[19] Zwar war Europa im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts noch nicht industrialisiert, obwohl sich vor allem in England eine Zunahme industrieller Produktionsweisen abzeichnete. Ein gesamteuropäisches Phänomen war aber die romantische Sehnsucht nach Natur bzw. Natürlichkeit, die als eine Kritik an den urbanen Lebensverhältnissen und der zivilisierten Gesellschaft in Europa zu verstehen ist. In diesen Diskurs lassen sich beispielsweise die Schweizbegeisterung der deutschen Aufklärung oder die Schriften des Philosophen Jean-Jacques Rousseau einordnen, in denen es um den Menschen im ‚Naturzustand‘ ging. Auch das Gemälde „Tahiti revisited“ kann als Teil dieses Diskurses betrachtet werden. Denn es reflektiert auf einer künstlerischen Ebene das europäische Denken in Gegensatzpaaren wie Kultur/Natur, Mann/Frau, aktiv/passiv, Geist/Körper, das eben auch Eingang in die wissenschaftlichen Beobachtungen der Zeit fand. Die gegen Ende des 18. Jahrhunderts erschienenen sogenannten „Universalgeschichten des weiblichen Geschlechts“ legen davon beredtes Zeugnis ab. Die zeitgenössische Annahme, Frauen als Indikator des Zivilisationsstandes eines Landes zu betrachten, spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Die als gerecht beurteilte Behandlung der Frau im ‚zivilisierten‘ Europa galt den zeitgenössischen Sozialtheoretikern als ein Verdienst der als fortschrittlich gesehenen Arbeitsteilung der Geschlechter und die Aufteilung ihrer Sphären in privat und öffentlich. Zwar wurden im Zuge der bürgerlichen Emanzipationsbestrebungen im 18. Jahrhundert egalitäre Forderungen laut, Frauen als dem Mann gleichgestellt zu betrachten. Durchsetzen konnte sich jedoch die dualistische Vorstellung der Geschlechter, die sich explizit von der ‚natürlichen‘ Differenz von Frau und Mann ableitete. Der in zeitgenössischen medizinischen Studien ‚erwiesene‘ Geschlechterunterschied schloss die Achtung der Frau in ihrem Wesen als Ehefrau und Mutter explizit mit ein. Diese Auffassung spiegelt sich auch an zahlreichen Stellen in den Berichten über den Pazifik wider. So heißt es in Johann R. Forsters „Bemerkungen aus seiner Reise um die Welt“: „[…] der Werth den die Männer auf ihre Weiber setzen, hat auf ihre Kultur und Moralität großen Einfluß. Es ist allgemein wahr, daß, je tiefer ein Volk in Barbarey und Wildheit versunken ist, desto übler behandelt es das weibliche Geschlecht. Im Feuerlande müssen die Weiber die Miesmuscheln und Schnecken, als ihre vorzügliche Nahrung, von den Felsen lesen. In Neuseeland müssen sie die Wurzeln der eßbaren Farrenkräuter […] einsammeln, Essen kochen, den Flachs bereiten und Kleider daraus verfertigen, die Netze zum Fischen stricken, mit einem Worte, unaufhörlich arbeiten, indeß ihre gebieterischen Männer ihre Zeit mit Nichtsthun verbringen.“[20] Inseln wie Neuseeland oder andere Archipele im Pazifik galten als barbarisch und unzivilisiert, weil die Frauen dort schwerer körperlicher Arbeit nachgingen. Die Beobachtungen, die die Reisenden über die indigenen Völker anstellten, wurden gerne als Beweis für die universelle Natur des Menschen im Allgemeinen und die ‚natürliche‘ Rolle der Frau als Mutter im Besonderen gewertet.

Die Tahitianischen Nymphen repräsentieren vor diesem Hintergrund sowohl die europäische romantisierte Annahme eines müßigen Lebens im fernen Südseeparadies Tahiti, das insbesondere durch die Beschreibungen des französischen Reisenden Louis Antoine de Bougainville erotisch aufgeladen war, als auch die damals vorherrschende Idee von dem ‚naturhaften‘ weiblichen Geschlecht. Das hier exemplarisch vorgestellte Gemälde „Tahiti revisited“ reflektiert zusammen mit den textlichen Anhaltspunkten damit in keinster Weise überseeische ‚Realitäten‘, sondern vermittelt vielmehr zeitgenössische Vorstellungen über außereuropäische Räume und die darin lebenden Völker. Aus einer männlich-europäischen Sicht wurden sowohl erotische Fantasien als auch das dichotome Verständnis von Männlichkeit und Weiblichkeit, das über Gegensatzpaare wie Natur/Kultur, Körper/Geist, passiv/aktiv usw. konzipiert wurde, auf die Südsee als ‚geschichtsleeren‘ Raum projiziert. Das europäische Konstrukt der Südsee als exotisches Paradies sollte trotz seiner damals bereits bekannten Schattenseiten weit über das 18. Jahrhundert hinaus Wirkungsmacht entfalten wie etwa in den Bildern Paul Gauguins, der gegen Ende des 19. Jahrhunderts den Mythos eines unbeschwerten, einfachen Lebens auf Tahiti in seinen Werken weiterführte – ein Mythos, von dem der französische Maler selbst während seines zweiten Aufenthalts auf der Insel (1895-1803) enttäuscht wurde.



[1] Essay zu den Quellen: Georg Forster, Reise um die Welt (1778); [Auszüge] und William Hodges, Tahiti Revisited, Gemälde (1776).

[2] Klassiker dieser Forschungsrichtung sind nach wie vor Bitterli, Urs, Die „Wilden“ und die „Zivilisierten“. Grundzüge einer Geistes- und Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München3 2004 sowie Todorov, Tzvetan, Die Eroberung Amerikas. Das Problem des Anderen, Frankfurt am Main10 2008.

[3] Wenn im Folgenden der Begriff „Entdeckungen“ oder „Entdeckungsfahrten“ in Bezug auf die europäischen Unternehmungen im Pazifik benutzt wird, so soll die Problematik dieses eurozentrischen Begriffes mitgedacht werden. Denn er impliziert, dass die Geschichte dieser Regionen erst mit ihrer ‚Entdeckung‘ durch die Europäer begann. Doch lange bevor die Europäer die pazifische Inselwelt seefahrerisch erschlossen, hatten die polynesischen und asiatischen Seefahrer diesen riesigen Meeresraum erobert und besiedelt. Dies gilt natürlich auch für andere Regionen und Völker, die durch Europäer ‚entdeckt‘ wurden. In der Forschung wurde deshalb der Begriff der Begegnung („encounter“) eingeführt, um auf die Wechselseitigkeit dieses transkulturellen Prozesses aufmerksam zu machen.

[4] Der Begriff geht zurück auf Gayatri Chakravorty Spivak und meint die Distanzierung einer bestimmten Gruppe zu einer anderen, um sich in der eigenen ‚Normalität‘ zu bestätigen. Vgl. Spivak, Gayatari C., The Rani of Simur, in: Barker, Francis (Hg.), Europe and its Others, Vol. 1., Colchester 1985.

[5] Zitiert nach Cook, James, The Voyages of Captain James Cook. Illustrated with Maps and Numerous Engravings on Wood. With an Appendix, Given an Account of the present Condition of the South Sea Islands etc., Vol. 1, London 1842, S. 4.

[6] Immer noch grundlegend zu diesem Themenkomplex ist Weigel, Sigrid, Topographien der Geschlechter. Kulturgeschichtliche Studien zur Literatur, Reinbek 1990.

[7] Zantop, Susanne, Colonial fantasies, conquest, family, and nation in precolonial Germany, 1770 – 1870, Durham 1997, S. 46ff.

[8] Zu diesem Themenkomplex vgl. die immer noch grundlegenden Studien von Hausen, Karin, Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner (Hg.), Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen (Industrielle Welt. Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte 21) Stuttgart 1976, S. 363-393; Schiebinger, Londa, Schöne Geister. Frauen in den Anfängen der modernen Wissenschaft, Stuttgart 1993.

[9] Einen guten Überblick bietet Meissner, Joachim, Mythos Südsee. Das Bild von der Südsee im Europa des 18. Jahrhunderts (Philosophische Texte und Studien; 86), Hildesheim u.a. 2006.

[10] Auf die Bedeutung, die die Sexualität für Teile der indigenen Bevölkerung der Pazifikinseln hatte, kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Es sei aber auf die Arbeiten verschiedener KulturanthropologInnen aus dem angelsächsischen Raum verwiesen wie etwa Jolly, Margaret; Tcherkezoff, Serge (Hrsg.), Oceanic encounters. Exchange, desire, violence, Canberra 2009.

[11] Forster, Georg, Reise um die Welt. Illustriert von eigener Hand, Mit einem biographischen Essay von Klaus Harpprecht und einem Nachwort von Frank Vorpahl, Frankfurt am Main 2007, S. 262.

[12] Forster, Reise um die Welt, S. 352.

[13] Forster, Reise um die Welt, S. 352.

[14] Krünitz, Johann Georg, Oekonomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, Band 103: Nudelbäcker - October, Berlin 1806, S. 114. Online abrufbar unter der URL http://kruenitz1.uni-trier.de/cgi-bin/getKRSearchText.tcl?sexp=nymphe+mode=0+start=0+loc=+from=+til=+sa=0 (14.09.2011).

[15] Vgl. Forster, Reise um die Welt, S. 317.

[16] Für den Hinweis auf das Bildzitat der Nymphen danke ich der Kunsthistorikerin Viktoria Schmidt-Linsenhoff.

[17] Mehr dazu im Ausstellungskatalog Badeszenen. Ritual, Entrüstung und Verführung; [... anlässlich der Ausstellung: Badeszenen - Ritual, Entrüstung und Verführung, vom 10. Juli 2009 bis 1. November 2009 in der Residenzgalerie Salzburg], hrsg. von Gabriele Groschner, Salzburg 2009.

[18] Georg Forsters Werke: sämtliche Schriften, Tagebücher, Briefe, Bd. 13., bearb. und hrsg. von Siegfried Scheibe, Berlin 1978, S. 76.

[19] Vgl. Phillips, Richard, Mapping Men and Empire. A Geography of Adventure, London; New York 1997, S. 13.

[20] Forster, Johann Reinhold, Beobachtungen während der Cookschen Weltumsegelung 1772-1775. Gedanken eines deutschen Teilnehmers; unveränderter Neudruck der 1783 erschienenen „Bemerkungen über Gegenstände der physischen Erdbeschreibung, Naturgeschichte und sittlichen Philosophie auf seiner Reise um die Welt gesammlet", hrsg. von Hanno Beck, Stuttgart 1981, S. 362.



Literaturhinweise:

  • James Cook und die Entdeckung der Südsee. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 28. August 2009 bis 28. Februar 2010 [anlässlich der Ausstellung James Cook und die Entdeckung der Südsee], hrsg. von Jutta Frings, München 2009.
  • Küchler-Williams, Christiane, Erotische Paradiese. Zur europäischen Südseerezeption im 18. Jahrhundert, Göttingen 2004.
  • Schmidt-Linsenhoff, Viktoria, Ästhetik der Differenz. Postkoloniale Perspektiven vom 16. bis 21. Jahrhundert ; 15 Fallstudien, Marburg 2010.
  • Sharp, Jenny, Allegories of empire. The figure of woman in the colonial text, Minneapolis u.a. 1993.

Veröffentlicht im Rahmen des Themenschwerpunkts "Europäische Geschichte - Geschlechtergeschichte"

Zugehörige Quellen:

Quelle 1

Georg Forster, Reise um die Welt (1778)[1]

„Ohnerachtet es beynahe Abend war als wir mit unsern eingekauften und aufgefundnen Merkwürdigkeiten an Bord zurück kamen, fanden wir das Schiff doch noch von einer Menge Eingebohrnen umgeben, die theils in Canots herbey gekommen waren, theils im Wasser herum schwammen und nicht wenig Lerm machten. Unter den letztern gab es sehr viel Frauenspersonen, die wie Amphibia im Wasser herumgaukelten, und sich leicht bereden ließen an Bord zu kommen, nackt als die Natur sie geschaffen hatte. Um Keuschheit war es ihnen auch eben so wenig zu thun als den gemeinen Mädchen auf Tahiti und den Societäts-Inseln, und man kann wohl denken, daß unsere Seeleute sich den guten Willen dieser Schönen zu Nutze machten. Sie ließen uns auch hier wieder Scenen sehen, welche der Tempel Cytherens werth gewesen wären. Ein Hemd, ein Stück Zeug, oder ein Paar Nägel waren zuweilen hinreichende Lockungen für die Dirnen, sich ohne Schaam preis zu geben. Doch waren diese Liederlichkeit nichts weniger als allgemein, und ich glaube gewiß, daß nicht eine einzige verheirathete Person sich einer ehelichen Untreue schuldig gemacht hat. Hätten wir von der Verschiedenheit der Stände allhier hinlängliche Kenntniß gehabt, so würde sich wahrscheinlicher weise gefunden haben, daß, wie in Tahiti so auch hier, die liederlichen Frauenspersonen, nur vom niedrigsten Pöbel waren. Mit alle dem bleibt es immer ein sonderbarer Zug in dem Character der südlichen Insulaner, daß unverheirathete Persoen sich ohne Unterschied eine Menge von Liebhabern preis geben dürfen! Sollten sie denn wohl erwarten, daß Mädchen, welche den Trieben der Natur Gehör und freyen Lauf gegeben, bessere Weiber würden als die unschuldigen und eingezogenern? Doch es ist umsonst, für die willkürlichen Grillen der Menschen vernünftige Gründe aufsuchen zu wollen, vornemlich in Betracht des andern Geschlechts, wegen dessen man zu allen Zeiten und in allen Ländern sehr verschiedner Meynung gewesen ist! In einigen Gegenden von Indien wird kein Mann von Stande eine Jungfer heirathen; in Europa hingegen ist eine verunglückte Jungfer fast ohne Hoffnung, je wieder zu Ehren zu kommen. Türken, Araber, Tartaren treiben ihre Eifersucht sogar bis auf eingebildete Zeichen der Jungferschaft, aus welcher sich der Malabar so wenig macht, daß er sie seinem Götzen opfert. –“ (S. 262f.)

„Die Begierde zu gewinnen, hatte auch eine Weibsperson so beherzt gemacht, sich durch Schwimmen an unser Schiff zu begeben. Sie besuchte erst einige Unterofficiers und wandte sich darauf an die Matrosen; Ihre Begierden waren unersättlicher als einer Meßalina [Plin. II. nat. X. c. 63. Tacit. Ann. XI. Juven. Sat. VI. v. 129.] Ein Paar englische Lumpen und einige Stücke Tahitisches Zeug, war alles was sie für ihre Dienste davon trug. Sie ward in dem zusammengeflickten Canot abgeholt, welches das einzige auf der Insel zu seyn schien. Den Tag vorher hatte eine andre Weibsperson auch durch Hülfe des Schwimmens, das Schiff besucht, und war eben so ausschweifend, als jene gewesen. Wir wußten warlich nicht, worüber wir uns mehr wundern sollten; über ihr Glück bey unsern kränklichen ausgehungerten Seeleuten? oder über ihre unbegränzte Liederlichkeit?“ (S. 317)

„Alle Weibsleute, welche wir in den verschiednen Theilen der Insel [der Osterinsel, heute Rapa Nui, A.M.] gesehen haben, machten zusammen nicht dreyßig aus, und doch hatten unsre Leute die ganze Insel, fast von einem Ende bis zum andern, durchstreift, und nicht die geringste Wahrscheinlichkeit gefunden, daß sich die übrigen etwa in einem oder dem andern entlegenen District der Insel versteckt hätten. Waren ihrer würklich nicht mehr als dreyßig oder vierzig, gegen sechs oder siebenhundert Männer, so muß die ganze Nation bald aussterben, oder alles, was man bisher über die Mehrheit der Männer (Polyandrie) angenommen hat, muß unrichtig seyn. Die mehresten Frauenspersonen, welche uns zu Gesicht kamen, gaben uns freylich nicht Anlaß, zu vermuthen, daß sie an einen einzigen Mann gewöhnt wären; sondern sie schienen vielmehr ganz des Geistes der Messalina oder der Kleopatra zu seyn: Bey dem allen ist doch dies ungleiche Verhältniß zwischen beyden Geschlechtern ein so sonderbares Phänomen, daß wir es noch nicht für so ganz ausgemacht und richtig halten können, und daß wir lieber jedes Argument, so man uns dagegen beybringen mögte, annehmen wollen, wenn es auch mit noch so großen Schwürigkeiten verknüpfet wäre. Zwar hat keine einzige unsrer Partheyen irgendwo ein entferntes oder abgesondertes Thal gefunden, in welchen sich vielleicht die übrigen Weiber, während unsers Hierseyns verborgen haben könnten; allein wir müssen den Lesern an die Höhlen erinnern, deren wir oben erwähnt haben, und wozu uns die Einwohner niemals den Eingang gestatten wollten. […] Wir sahen zwar nicht ein, warum die Oyster-Eyländer auf ihre Weiber eyfersüchtig zu seyn sollten, als die Tahitier; wir wissen aber, wie ausschweifend und zügellos das Seevolk ist, besonders wenn es über die Indianer eine solche Überlegenheit hat, als die Holländer und Spanier über die Leuthe auf Oyster-Eyland gehabt haben müssen. Der stärkste Einwurf, den man noch gegen diese Hypothese machen könnte, liegt darinn, daß die Anzahl von Kindern, die uns hier zu Gesicht kam, und die man doch eben nicht zu verbergen nöthig hatte, wenigstens nicht aus dem Grunde, aus dem man etwa die Weiber versteckt haben mogte, eben so gering und unbeträchtlich war.“ (S. 322f.)

„Was Maheinen betrift, so fand er in Tahiti alle Glückseligkeit und Freude, die er nur je erwarten konnte; einer jeder begegnete ihm mit außerordentlicher Achtung, und sah ihn in mehr denn einer Absicht, für ein rechtes Meerwundern an; man bewirthete ihn mit den ausgesuchtesten Speisen; er bekam unterschiedliche Kleider geschenkt, und indem er unter den Nymphen des Landes herumschwärmte, fand er nicht selten Gelegenheit, auch jene Art des Vergnügens zu schmecken, die er zur See schlechterdings hatte entbehren müssen. Empfindlich für jede sinnliche Lust, wie alle Kinder der Natur, aber lange des Anblicks seiner hübschen Landsmänninnen beraubt, und durch den Umgang mit unsern Seeleuten vielleicht doch etwas mehr, als sonst, zur Sinnlichkeit gestimmt, mußte ihm die Gelegenheit, sich auch hierinnen einmal ein gewisses Genüge zu thun, natürlicherweise sehr willkommen seyn. Er hatte also von allen Seiten Ursach, sichs auf dieser reizenden Insel ganz wohl gefallen, und durch den Umgang mit seinen schönen Landsmänninnen sich fesseln zu lassen. Überdem konnte in einem so warmen Clima das Schiff freylich kein angenehmes Nachtquartier für ihn seyn; warum hätte er sich in eine enge, vielleicht auch übelriechende Cajütte einsperren sollen, da er am Lande die reinste Luft, den Wohlgeruch der Blumen einathmen konnte, und überdies von dem sanften Abendwinde die angenehmste Kühlung zu gewarten hatte? – So glücklich aber auch, in Rücksicht auf diese Umstände, Maheines Loos, am Lande seyn mogte, so gab es doch auch an Bord, Leute, die sich in ihrer Lage kamen nemlich unterschiedliche Frauenspersonen aufs Schiff, mit welchen die ganze Nacht hindurch, alle mögliche Ausschweifungen getrieben wurden. Ich habe schon bey einer andern Gelegenheit angemerkt, daß die hiesigen liederlichen Weibspersonen von der gemeinsten oder niedrigsten Classe sind; das bestätigte sich jetzt noch augenscheinlicher, weil diese Personen gerade dieselbigen waren, die sich bereits bey unserm ersten Aufenthalt zu Tahiti, in so ausgelassene Sittenlosigkeit, mit unsern Seeleuten einließen. Dies beweiset meines Erachtens offenbar, daß die H… hier zu Lande ebenfalls eine besondre Classe ausmachen. Sie ist jedoch bey weitem so zahlreich, und das Sittenverderben lange so allgemein nicht, als unsre Vorgänger solches vielleicht zu verstehen geben. Mich dünkt, sie haben dabey zu wenig auf Ort und Umstände, Rücksicht genommen. Es würde abgeschmackt seyn, wenn etwa O-Mai seinen Landsleuten erzählen wollte: in England wisse man wenig oder nichts von Zucht und Ehrbarkeit, weil er dergleichen unter den gefälligen Nymphen in Convent-Garden, Drurylane und im Strande nicht angetroffen. […] Das liederliche Gesindel, welches die vorige Nacht am Bord zugebracht hatte, war diesen Abend zeitig wieder da, und hatte noch so viel andere von eben dem Gelichter mit sich gebracht, daß jeder Matrose seine eigne Dirne haben konnte. Das war ihnen eben recht; sie hatten gerade heute das St. Georgen-Fest, nach altem Brauche gefeyert, das heißt, dem Schutzheiligen ihres Landes zu Ehren, sich tapfer bezecht. Nach Endigung der Bachanalien brachten sie nun noch die ganze, schöne, mondenhelle Nacht im Dienst Cytherens hin!“ (S. 352f.)

Quelle 2

William Hodges, Tahiti Revisited (1776)[2]



[1] Georg Forster, Reise um die Welt. Illustriert von eigener Hand. Mit einem biographischen Essay von Klaus Harpprecht und einem Nachwort von Frank Vorpahl, Frankfurt am Main 2007.

[2] Dieses Bild ist online abrufbar unter der URL http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hodges_thaiti.jpg?uselang=de (14.09.2011).

Veröffentlicht im Rahmen des Themenschwerpunkts "Europäische Geschichte - Geschlechtergeschichte"


Zugehöriger Essay:
Für das Themenportal verfasst von

Anne Mariss

( 2011 )
Zitation
Anne Mariss, Natur und Geschlecht in Text und Bild bei Georg Forster und William Hodges auf der zweiten Cook-Expedition 1772-1775, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2011, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1552>.
Navigation