Die drei Geheimnisse von Fátima Europäische Marienfrömmigkeit im 20. Jahrhundert

Füße, Hände, Augen, Nieren, Mägen, Busen, Köpfe, Mädchen, Jungen, alles aus Wachs. Dies und noch viel mehr kann man im portugiesischen Fátima, nördlich von Lissabon kaufen. Denn in Portugal ist es Tradition, all das, was den Menschen Kummer bereitet, symbolisch in Wachsform der Heiligen Jungfrau in der Cova da Iria bei Fátima zu opfern. Rund vier Millionen Pilger kommen jährlich aus ganz Europa, beten, bringen ihre Wachsopfer und kaufen Bücher, CDs und DVDs. Viele, die zu Fuß kommen, sind erschöpft und krank. Andere reisen mit Zügen und Bussen an. Aus einem kleinen unbedeutenden Ort am Rande Europas, in dem die Menschen in ärmlichen Verhältnissen lebten und zum Teil noch leben, ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte der Welt geworden. Nicht nur die Pilgerströme und rund 500 Devotionalienhändler vor Ort zeugen davon. [...]

Die drei Geheimnisse von Fátima. Europäische Marienfrömmigkeit im 20. Jahrhundert[1]

Von Nicolai Hannig

Füße, Hände, Augen, Nieren, Mägen, Busen, Köpfe, Mädchen, Jungen, alles aus Wachs. Dies und noch viel mehr kann man im portugiesischen Fátima, nördlich von Lissabon kaufen. Denn in Portugal ist es Tradition, all das, was den Menschen Kummer bereitet, symbolisch in Wachsform der Heiligen Jungfrau in der Cova da Iria bei Fátima zu opfern. Rund vier Millionen Pilger kommen jährlich aus ganz Europa, beten, bringen ihre Wachsopfer und kaufen Bücher, CDs und DVDs. Viele, die zu Fuß kommen, sind erschöpft und krank. Andere reisen mit Zügen und Bussen an. Aus einem kleinen unbedeutenden Ort am Rande Europas, in dem die Menschen in ärmlichen Verhältnissen lebten und zum Teil noch leben, ist einer der wichtigsten Wallfahrtsorte der Welt geworden. Nicht nur die Pilgerströme und rund 500 Devotionalienhändler vor Ort zeugen davon.

Entstehungsgeschichte der drei Geheimnisse von Fátima

Der Ursprung dieses Devotionalienmarktes geht zurück auf das Jahr 1917, als drei Kinder am Nachmittag des 13. Mai ihren Eltern berichteten, sie hätten die Mutter Gottes gesehen. Jacinta und Francisco Marto sowie Lucia Dos Santos beschrieben ihre Erscheinung später als eine junge etwa 15jährige Frau, von einem gleißenden Lichtschauer umhüllt, die sie anwies, fortan an jedem 13. Tag des Monats stets zur Mittagszeit in die Cova da Iria zu kommen. Am 13. Juni kamen die drei Kinder erneut, diesmal in Begleitung von rund 50 Menschen aus ihrer Umgebung. Die Erscheinung wurde abermals sichtbar, deutlich allerdings nur für Lucia, die auch die einzige war, die mit ihr sprach. Für Jacinta und Francisco blieb sie nur schemenhaft, alle anderen sahen nichts. Die Gestalt trug den Kindern auf, fortan lesen und schreiben zu lernen, denn am letzten Tag, dem 13. Oktober, werde sie genauer darüber aufklären, was ihr Anliegen sei. Derweil stieg in Fátima und Umgebung die Bereitschaft, an die Wahrhaftigkeit der Schauungen zu glauben. Zeitgleich wuchs das Unbehagen über den Verlauf des Ersten Weltkriegs. Viele baten die Kinder daher, sich für die sichere Rückkehr der heimischen Soldaten auszusprechen und für eine Linderung der Armut und Not in der Region einzusetzen.

Schon vor Beginn des Ersten Weltkriegs war Portugal von großer politischer Instabilität gekennzeichnet. Dies setzte sich auch in der Zwischenkriegszeit fort. Nach dem Fall der Monarchie hatte die erste Republik in den Jahren 1910-1926 insgesamt 44 Regierungen gebildet und acht Staatspräsidenten gewählt, dabei unzählige Staatstreiche und Aufstände erlebt. Zu Beginn des Krieges blieb Portugal zunächst neutral, griff aber 1916 mit rund 100.000 Soldaten ein. In das Jahr der Marienerscheinungen fiel der Staatstreich des portugiesischen Militärs Sidónio Pais’, der die Republik für kurze Zeit beseitigte und eine Diktatur errichtete.[2] Diese unbeständigen gesellschaftlichen Verhältnisse waren eng verbunden mit den Erscheinungen von Fátima. Zum einen wirkten sie sicherlich als ein wichtiger Mobilisierungsfaktor, der von Erscheinungsmonat zu Erscheinungsmonat mehr Menschen zur Cova da Iria trieb, die nach religiösen Orientierungspunkten suchten. Andererseits waren die vielen politischen Umwälzungen, die auf den Ersten Weltkrieg nicht nur in Portugal, sondern in ganz Europa folgten, auch für die verworrene Rezeptionsgeschichte der Marienerscheinungen verantwortlich. Kleriker und Theologen, die schnell von den Schauungen erfuhren, hielten Informationen zurück, fügten wiederum Details hinzu, verschoben Veröffentlichungstermine, alles um den vermeintlich richtigen Zeitpunkt zu finden und den falschen zu vermeiden.

Zu den Erscheinungen der nächsten Monate kamen schließlich immer mehr Menschen in die Cova da Iria, so auch im August 1917, als die Kinder nicht selbst anwesend sein konnten, weil sie der Bürgermeister der Region festhielt, um, so behauptete ein Ortspfarrer, von ihnen mehr Informationen über die Inhalte der vermeintlich himmlischen Botschaften zu erfahren.[3] Am 13. September berichtete man von rund 20.000, am 13. Oktober gar von etwa 60.000 Menschen in der Talmulde. Denn insbesondere vom Abschluss des Erscheinungs-Zyklus im Oktober versprachen sich die Anwesenden einen handfesten Beweis für das angebliche Wunder von Fátima. Die zeitgenössische Überlieferung hält hierfür in der Tat einige Quellen bereit. So berichtete beispielsweise die portugiesische Presse von Zeugen, die eine Art Sonnenwunder beschrieben, weil sie die Sonne haben tanzen sehen wollen.[4] Auch die rasch anschwellende erbauliche Literatur rund um Fátima bezog sich immer wieder auf dieses anscheinend von allen dort Anwesenden erfahrene übernatürliche Ereignis, das man stets als Beleg für die Wahrhaftigkeit des übernatürlichen Wirkens in der Cova da Iria anführte. In französischen, deutschen oder englischen Medienöffentlichkeiten blieben die Erscheinungen von Fátima zunächst weitgehend ohne Widerhall.[5] Zu dominant war dafür das Thema des Krieges, das große Teile der Auslandskorrespondentennetze vereinnahmte.

Allerdings ging aus den Marienerscheinungen eine textliche Quelle hervor, die seitdem den Kern eines mittlerweile kaum mehr zu überschauenden Quellenkorpus rund um Fátima bildet und für die europäische Geschichte aus ganz unterschiedlichen Gründen beachtenswert ist: Zum einen stellt sie eine wichtige Sonde dar, über die sich der christliche Wunderglauben im 20. Jahrhundert näher bestimmen und zeithistorisch an politisch-kirchliche Kontexte rückbinden lässt. Andererseits gibt es wohl nur wenige historiografisch relevante Texte des vergangenen Jahrhunderts, die eine so vielgestaltige Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte haben, wie die sogenannten „Drei Geheimnisse von Fátima“. Die Texte zu diesen drei Geheimnissen, die als prophetische Botschaften der Gottesmutter gelten, gehen zunächst zurück auf die Marienerscheinungen von 1917. Aufgeschrieben hat sie Lucia Dos Santos jedoch erst im Verlaufe der 1920er und 30er Jahre, nachdem sie in den Jahren 1925 und 1926 nach eigenen Angaben noch weitere Visionen erfahren hatte.[6] Dabei spielten Vertreter des katholischen Klerus eine entscheidende Rolle, drängten doch Geistliche wie der Bischof von Leiria, José Alves Correia de Silva, Lucia immer wieder, die Erinnerungen an die Visionen aufzuschreiben. Hinweise auf die Inhalte der Botschaften gab es bis dato lediglich in Form von verstreuten Chroniken und Gesprächsprotokollen, die sich zumeist an den ersten Veröffentlichungen des portugiesischen Theologen Manuel Formigão orientierten.[7] Letztlich dauerte es dann bis zum 13. Mai 1942, dem Jahrestag der ersten Erscheinung, bis Papst Pius XII. die ersten beiden Teile des Geheimnisses offiziell bekanntgab.

Die Veröffentlichung des dritten und letzten Teils dauerte noch wesentlich länger. Erst im Jahr 2000 gab der Vatikan den Text offiziell bekannt. Aufgeschrieben hatte Lucia den abschließenden Teil des Geheimnisses bereits Anfang 1944, nachdem der Bischof von Leiria sie nachdrücklich darum gebeten hatte. Diese Handschrift legte seitdem einen weiten Weg hinter sich. Zunächst verwahrte sie der Bischof selbst, bis er sie 1957 dem Geheimarchiv des Heiligen Offiziums überantwortete. Dort überbrachte zwei Jahre später dann der Kommissar des Offiziums Pater Pierre Paul Philippe O.P. den Umschlag mit dem Geheimnis dem damaligen Papst Johannes XXIII. Allerdings zögerte dieser und entschied sich gegen eine Veröffentlichung, ähnlich wie sein Nachfolger Paul VI., der sich 1965 ebenfalls nach Einsicht in den Text gegen eine Verkündigung aussprach. Nach dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 wanderte die Handschrift mit dem dritten Geheimnis abermals aus den Archiven in die Hände des Papstes, veröffentlicht wurde jedoch wieder nichts.[8] Allerdings beförderte die fortwährende Geheimhaltung nun die Verbreitung allerhand Gerüchte um den noch fehlenden Teil, die sich vielerorts zu handfesten Verschwörungstheorien verdichteten. Befeuert wurde die Legendenbildung außerdem durch den Zusammenfall des Papst-Attentats mit dem Jahrestag der Marienerscheinung in Fátima. Zudem führte Johannes Paul II. sein Überleben bereits unmittelbar nach dem Attentat auf das Eingreifen der Gottesmutter zurück und bereiste daraufhin den Wallfahrtsort in Portugal. Die wildesten Spekulationen fachte aber Mehmet Ali Agca, der Attentäter, selbst an. Denn während des Prozesses gegen ihn und die Hintermänner des Attentats prahlte er scheinbar entrückt, sein Anschlag sei „an das dritte Geheimnis von Fátima geknüpft“. „Ich bin die Reinkarnation von Jesus Christus“, fuhr er fort. „Ich kündige das Ende der Welt an.“[9]

Seitdem sprangen auch okkultistische und parapsychologische Kreise auf den Zug der Spekulationen auf und verknüpften das unbekannte dritte Geheimnis immer wieder mit prophetischen, gar apokalyptischen Erwartungen.[10] Als Joseph Kardinal Ratzinger am 26. Juni 2000 in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation endlich offiziell den Text des Geheimnisses der Weltöffentlichkeit zugänglich machte, fühlten sich viele vermeintliche Fátima-Kenner geprellt, waren doch die Erwartungen an die Spektakularität der Inhalte so weit angestiegen, dass der nun veröffentlichte Text nur eine zensierte Fassung sein konnte.[11] Inhaltlich hatte das dritte Geheimnis offenbar das Papst-Attentat vorausgesagt, indem es von einem „in Weiß gekleideten Bischof“ erzählte, der „von einer Gruppe von Soldaten getötet“ wurde. Der Vatikan reagierte direkt auf entstehende Spekulationen und bemühte sich um eine Versachlichung der Debatte. „Wer auf aufregende apokalyptische Enthüllungen über das Weltende oder den weiteren Verlauf der Geschichte gewartet hatte“, so Ratzinger, „muss enttäuscht sein. Solche Stillungen unserer Neugier bietet uns Fátima nicht, wie denn überhaupt der christliche Glaube nicht Futter für unsere Neugierde sein will und kann.“ Auch den vermeintlich prophetischen Gehalt des dritten Geheimnisses, seine fatalistischen Deutungen versuchte Ratzinger zu entkräften. Es sei eben nicht „Sinn der Schauung“, einen „Film über die unabänderlich fixierte Zukunft zu zeigen“. Gewiss sei der Attentäter nicht willenlos von der Vorsehung oder einem göttlichen Plan gelenkt gewesen. Vielmehr spreche die Vision „von Gefährdungen und vom Weg der Heilung“.[12]

Fátima als Ort der europäischen Religionsgeschichte

Die Marienerscheinungen von Fátima und ihre mittlerweile fast hundertjährige Rezeptionsgeschichte stehen nun deutlich im Kontext der europäischen Religionsgeschichte. Zwar waren die Erscheinungserlebnisse wie auch der mit ihnen verknüpfte Glaube tief im Katholischen verhaftet, die historischen Prozesse, die sich an ihrem Beispiel abzeichneten, waren jedoch Teil einer konfessionsübergreifenden europäischen Transformation. Zum einen schrieben sie charakteristische Entwicklungen fort, zum anderen kurbelten sie bestimmte Trends entscheidend an.[13] In den Vordergrund treten dabei vor allem drei größere Entwicklungslinien: die Politisierung, die Feminisierung und schließlich die Objektivierung der Religion.

Die Politisierung der Religion ist ein Trend, der in der jüngeren Religions- und Kirchengeschichte vor allem der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugeschrieben wird. Genau in diesem Zeitfenster trat der Politisierungsbegriff im deutschen Sprachraum auch als Quellenbegriff auf, teils als eine Art Kampfbegriff, um sich als theologische Schule abzugrenzen, teils um einen semantischen Anschluss an die 68er-Bewegung zu finden. Doch auch als analytische Kategorie vermag der Prozessbegriff der Politisierung eine zentrale Perspektive auf die europäische Religionsgeschichte aufzuzeigen und damit nicht nur Entwicklungen der 1960er und 70er Jahre zu erklären. Bezieht man ihn zunächst streng auf das Verhältnis von Kirche und Staat, so scheint ein vielfältiges Bild auf. Während in Frankreich eine scharfe Trennung beider Sphären vorherrscht, so zeigt sich in Deutschland, England, Italien und trotz jüngster Säkularisierungstendenzen vor allem in Spanien eine feste Verankerung kirchlichen Einflusses auf Bildungs- und Sozialaufgaben, Medienpolitik und Alltagswelt.[14] Fasst man ihn jedoch etwas weiter als wachsende politische Teilhabe, verstärktes Interesse an öffentlichen Belangen oder auch als diskursives Ineinandergreifen von Religion und Politik, so zeichnet sich – freilich mit einigen Ausnahmen – seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert doch eine deutliche Neugestaltung des Verhältnisses ab.

Die drei Geheimnisse von Fátima zählen hierbei sicherlich zu den Schlüsseldokumenten. Schon in der Rezeption der Marienerscheinung im französischen Lourdes bildeten sich rasch politische Vereinnahmungen heraus, insbesondere im Kontext nationalstaatlicher Debatten hob man gern die vermeintlich außerordentliche Authentizität französischer Marienerscheinungen gegenüber deutschen hervor.[15] Die politische Botschaft von Fátima wurde in ihren Bezugnahmen allerdings noch konkreter. Explizit forderte der Visions-Text hier die „Weihe Russlands“ an Marias „unbeflecktes Herz“, um so in politischer Manier größeres Unheil abzuwenden. Nur wenn man diese „Wünsche“ Marias erhöre, könne Russland davon abgehalten werden, „seine Irrlehren weiter über die Welt zu verbreiten“. Eindeutig stellte das zweite Geheimnis zudem Bezüge zum Ersten Weltkrieg her und wartete straftheologisch mit der Androhung eines noch schlimmeren Krieges auf. In Teilen des katholischen Klerus verstand man diese Botschaften gerne wörtlich und war überzeugt, dass der „Himmel“ noch nie „so deutlich und so vernehmbar in den Gang der Dinge eingegriffen“ hat wie in Fátima. Denn der „innere Zusammenhang von russischer Revolution und Marienerscheinung“, so der Regensburger Bischof Rudolf Graber weiter, sei unverkennbar.[16] Noch viele Jahrzehnte bevor die katholische Kirche seit den 1960er Jahren verstärkt theologisch über ihr politisches Mandat reflektierte, ob sie politischer Faktor zu sein habe und unter welchen Voraussetzungen dies zu geschehen habe, zeigte sich also in den Geheimnissen von Fátima bereits eine eindeutige weltpolitische Weisungsabsicht. Die Trennung zwischen Kirche und Welt als zwei unterschiedliche Sphären blieb dabei allerdings stets aufrechterhalten. So sprechen die drei Geheimnisse stets vom Wirken Gottes „in der Welt“, womit sie die Kirche semantisch im Gegenüber zur Welt verorteten.

Ein zweiter religionsgeschichtlicher Trend, den die Marienerscheinungen von Fátima anzeigen, ist der der Feminisierung. Der Prozessbegriff bezieht sich hierbei zumeist ganz allgemein auf die Bedeutung der Weiblichkeit im kirchlichen Raum, also die verhältnismäßig hohe Beteiligung am religiösen Leben und kirchlichen Einrichtungen. Zugleich meint er aber auch die sprachliche Verknüpfung von Religiosität und weiblichem Geschlecht, die man besonders im 19. Jahrhundert gern als Vehikel zur gesellschaftlichen Anerkennung von Frauen einsetzte. Diese Umordnung des Geschlechterverhältnisses im religiösen Feld hat tiefe historische Wurzeln. Lag im frühen Mittelalter – besonders im mediterranen Raum – der männliche Anteil an Wunderprotagonisten noch über dem der weiblichen, so änderte sich dies im Verlauf der Frühen Neuzeit.[17] Spätestens mit der Französischen Revolution zeichnete sich dann ein deutlicher Wendepunkt ab. So wies die Feminisierung hier vor allem eine eindeutig politische Dimension auf, schrieb man doch von Seiten der Revolutionäre der Konterrevolution immer wieder eine stark weiblich-emotionale katholische Frömmigkeit zu, was sich später noch im Stereotyp der „femme fanatique“ konkretisierte.[18] Anlass und dann auch Folge dieser Verknüpfungen war die Ausbildung vermeintlich spezifisch weiblicher Glaubenspraktiken.[19] Gottesdienstbesuch, Abendmahlsempfang oder Beichte, die dann spätestens seit den 1820er Jahren ständig hohe Beteiligung an Wallfahrten und Bruderschaften sprechen ebenso dafür wie das zahlenmäßige Wachstum weiblicher Orden und Genossenschaften in ganz Europa.[20] Aber auch in der Vermittlung kirchlicher Lehren und Weltdeutungen kam Frauen eine derart große Bedeutung zu, dass ohne sie wohl kaum der volkskirchliche Anspruch, den ein großer Teil der Amtskirche an den Tag legte, hätte eingelöst werden können.[21]

Auch die Marienerscheinungen im portugiesischen Fátima und deren Rezeption feminisierten die Religion, ähnlich wie andere Wallfahrten etwa im französischen La Salette und Lourdes, im deutschen Marpingen oder Trier. Religiöse Empfindsamkeit schien hier vor allem weiblich konnotiert zu werden, zum einen über die Teilnehmerschaft bei Wallfahrten, die deutlich mehr Frauen als Männer anzogen. Zum anderen überwog aber auch der Anteil von Frauen und Mädchen im Bereich der Seherinnen und Stigmatisierten. Die drei Geheimnisse von Fátima bilden hierbei keine Ausnahme. Zwar war eines der drei Seherkinder männlich, die einzige, die die Erscheinungen verstehen und interpretieren konnte, war jedoch Lucia. Mit anderen Stigmatisierten und Seherinnen teilte sie zudem ihre Abstammung aus eher einfachen, bisweilen ärmlichen Verhältnissen. Vieles spricht dafür, dass es gerade diese doppelte Benachteiligung durch soziale Schicht und Geschlecht war, die in katholisch geprägten Regionen zum öffentlichen Ausdruck der Visionen und dann zumeist auch gesteigerter Anerkennung führen konnte.[22] Auch in der Medialisierung der Wallfahrten und Pilgerreisen schienen Wahrnehmungen spezifisch weiblicher Religiosität auf. Ein Großteil der illustrierten Massenpresse, der zudem gezielt weibliche Leser ansprach, wartete mit teilweise ausführlichen Reportagen über Pilgerreisen auf, die gerade der femininen Frömmigkeit einen breiten Raum gaben. Die journalistische Wahrnehmung dieser Feminisierungstendenzen erschöpfte sich jedoch nicht in einer schlichten Spiegelung oder Verstärkung. Insbesondere französische und auch deutsche Journalisten nahmen die öffentliche Präsenz von Wallfahrten und Pilgereisen ebenso zum Anlass, die spezifisch weibliche Frömmigkeit zu diskreditieren.[23] Während sie den Frauen einerseits gemäß den zeitgenössischen bürgerlichen Rollenverteilungen spezifisch religiöse Aufgaben wie etwa die Erziehung oder den aufopfernden Kontakt zur Gemeinde zuordneten, brandmarkten sie andererseits ihr Heraustreten in Räume der Öffentlichkeit und deklarierten so das weibliche Engagement für Wallfahrten als unangemessen. Es ist somit davon auszugehen, dass auch die Massenmedien massiven Einfluss auf europäische Feminisierungstendenzen innerhalb des religiösen Feldes nahmen, sie teilweise festigten oder aber für eigene Argumentationen ins Feld führten. So schloss sich an die Beobachtung einer auffällig hohen Beteiligung von Frauen an der Welt der Wunder und Erscheinungen nicht selten die Behauptung einer spezifisch weiblichen, gefühlsbedingten Nähe zum Wunder- und Aberglauben und damit auch zu psychischen Erkrankungen an.[24] Begriffe wie „religiöser Wahnsinn“ oder „religiöse Verrücktheit“, die eine Pathologisierung religiöser Erfahrungen anzeigten, waren dabei oftmals der zeitgenössischen Psychiatrie und Psychopathologie entlehnt, die vor allem bei Frauen nach den Wechseljahren krankhaft ausartende Züge religiöser Schwärmerei diagnostizieren zu können glaubten.[25]

Der dritte religionsgeschichtliche Prozess, der sich mit den Erscheinungen im portugiesischen Fátima abzeichnet, ist der der Objektivierung. Besonders deutlich wird diese Entwicklungslinie, bettet man die europäische Religionsgeschichte in wissenschaftshistorische Kontexte ein.[26] So zog die Erfolgsgeschichte der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert auch die Frömmigkeitspraxis mit in ihren Bann. Das sich dort herausbildende Diktum der Objektivität schien sich auf den gelebten Glauben zu übertragen und in Marienerscheinungen genau die empirische Basis zu erlangen, die für eine Anpassung an den Zeitgeist notwendig erschien. Helmut Zander weist in diesem Zusammenhang auf die begriffsgeschichtliche Auseinandersetzung zwischen den beiden Termini „Vision“ und Erscheinung“ hin, an der sich die Objektivitätsdebatte nachvollziehen lässt. Dem Visionsbegriff stellten Theologen bereits in Lourdes den Begriff der „äußeren Erscheinung“ gegenüber, um so den stärker öffentlichen Charakter, die Teilhabemöglichkeiten und damit auch die größere Überprüfbarkeit von christlichen Wundern anzuzeigen. In der Publizistik rund um Fátima setzte sich der begriffliche Wandel bereits früh durch. Schnell beherrschten die Termini „Erscheinung“, „aparición“, „apparition“ oder „aparecimento“ die öffentliche Debatte. Speziell bei Fátima kam noch die vermeintlich beglaubigende Funktion des Sonnenwunders hinzu, bei dem rund 50.000 Menschen gesehen haben wollen, wie sich die Sonne scheinbar als Beweis der damals wirkenden transzendenten Kräfte bewegte und drehte.[27]

Die Naturwissenschaften waren allerdings nicht der einzige wissenschaftshistorische Bezugspunkt, der eine Objektivierung des Religiösen in Europa forcierte. Denn auch die Archäologie übte einen immensen Druck auf theologische Debatten aus. Nachdem im Europa des 18. Jahrhunderts erstmals eine breite Auseinandersetzung mit Fundstücken des Altertums eingesetzt hatte, erlebte die Archäologie im 19. Jahrhundert einen raschen Aufschwung. Funde prähistorischer Kunstwerke und Ausgrabungen in Troja, Ägypten, in der Türkei oder auf Kreta stimulierten die Religionsgeschichte ganz erheblich. Sie stellten allmählich christliche Zeit- und Geschichtsvorstellungen in Frage und eroberten zugleich die Titelseiten großer Zeitungen und Zeitschriften. Neben der breiten öffentlichen Rezeption des Archäologen als modernem Eroberer, Entdecker und Konquistador schien die Archäologie jedoch auch als religiöse Sinnstifterin auf. Funden biblischer und apokrypher Schriften wurde eine große mediale Aufmerksamkeit zuteil, die das Verlangen nach historischen Beweisen für die Authentizität der Bibel als Basis des christlichen Glaubens öffentlich artikulierte.[28] Dem Spektakel des archäologischen Funds, der die religiöse Landschaft unerwartet, aber heftig zu beeinflussen drohte, trat die nicht minder spektakuläre christliche Wundererscheinung gegenüber, die sich im Falle von Fátima sogar in der amtskirchlichen Förderung der Andacht des cuore immacolato durch Pius XII. niederschlug.[29]

Der dritte Anreiz für eine zunehmende Objektivierung des Religiösen ist wiederum ein begriffshistorischer. So ist die Häufung gerade von Marienerscheinungen im 19. und 20. Jahrhundert eng verknüpft mit der Erfindung des Jenseits.[30] Noch bis ins 18. Jahrhundert waren diesseitige und jenseitige Sphären, wie wir es heute beschreiben würden, kaum voneinander getrennt. Dämonen, Engel, Hexen oder Heilige konnte man jederzeit antreffen, sei es in Gewittern, sei es im Gebet. Im Zuge der europäischen Aufklärung, in der Raum und Zeit zu den elementaren Ordnungslinien ausgerufen wurden, wies man aber nun auch den letzten Dingen einen konkreten Ort zu: das Jenseits.[31] Damit war der Himmel physikalisch existent und folglich auch analysierbar geworden. Vermeintlich objektive Wundererscheinungen hatten in diesem Sinne nun eine wichtige Beglaubigungsfunktion, brauchte der neue Raum des Jenseits doch Evidenzen, die seine Neuverortung bezeugten.

Als in Fátima 1917 Maria den drei Kindern erschien und rund 50.000 Menschen diesem Ereignis beiwohnten, erfüllte sich diese Beweisfunktion sogar in doppelter Hinsicht. Zum einen objektivierte ihr bloßes Erscheinen aus einer jenseitigen in der diesseitigen Welt die zweipolige Kosmologie. Andererseits lieferte die Niederschrift des ersten Geheimnisses einen vermeintlich eindeutigen textlichen Beleg, indem sie die Hölle als ein „großes Feuermeer, das in der Tiefe der Erde zu sein schien“ verräumlicht beschrieb. Auch das erste Zwiegespräch zwischen Maria und Lucia, wie es in ihren Aufzeichnungen überliefert ist, zementierte schließlich diese Unterscheidung: „Woher kommen Sie?“ fragte Lucia hier und bekam die Antwort, „ich bin vom Himmel!“. „Komme ich auch in den Himmel? – Jawohl!. – Und Jacinta? – Auch! – Und Francisco? – Auch, aber er muss noch viele Rosenkränze beten. – Ist Maria das Neves schon im Himmel? – Jawohl. – Und Amelia? – Sie bleibt bis zum Ende der Welt im Fegefeuer.“[32] Die eschatologische Vorstellung eines klar verortbaren Jenseits scheint damit durch die Gottesmutter persönlich bestätigt.

Dass die jährlich 4 Millionen Pilger, die das portugiesische Fátima gegenwärtig besuchen und ihre Wachsopfer bringen, die verworrene Entstehungsgeschichte und all ihre Folgen überblicken können, ist sicherlich unwahrscheinlich. Die transzendente Sinnstiftung, die aus ihr hervorgeht, ist jedoch so real wie die unzähligen Wachsopfer, welche die Pilger vor Ort darbringen, und die vielen CDs, Videos und DVDs, die ihren Konsumenten genau von dieser übersinnlichen Kraft in der Cova da Iria erzählen. Real ist die heilsbringende Wirkung der Erscheinungen nicht zuletzt auch für die Stadt Fátima, ihre Infrastruktur und ihre Bedeutung für Portugal. Allein Papst Johannes Paul II. besuchte die Stadt unter weltweiter Beobachtung drei Mal. Ganz in der Nähe der Erscheinungsstelle weihte man zum 90. Jahrestag der dritten Prophezeiung am 12. Oktober 2007 mit der Igreja da Santissima Trindade zudem die viertgrößte katholische Kirche der Welt ein. Rund 9000 Besucher finden in dem 60 Millionen Euro teuren Bauprojekt Platz. Fátima scheint sich damit in knapp 100 Jahren von einem unbekannten kleinen Städtchen unweit von Portugals Hauptstadt Lissabon zu einem der zentralen religiösen Orte Europas entwickelt zu haben.



[1] Essay zur Quelle: Die drei Geheimnisse von Fátima (Cova da Iria, 13. Juli 1917); [Auszüge].

[2] Bernecker, Walther L.; Pietschmann, Horst, Geschichte Portugals. Vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart, München 2008, S. 95-104 ; Marques, A. H. de Oliveira, Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs, Stuttgart 2001, S. 493-511.

[3] Zimdars-Schwartz, Sandra L., Encountering Mary. From La Salette to Medjugorje, Princeton 1991, S. 192f.

[4] Zimdars-Schwartz, Encountering, S. 82f.

[5] Siehe dazu die Sammlung bei Fox, Robert J. (Hg.), Documents on Fatima and Memoirs of Sister Lucia, Alexandria, South Dakota 1992.

[6] Fox, Documents, S. 235-237.

[7] De Montelo, Visconde (alias Manuel Formigão), Os episódios maravilhosos de Fátima, Guarda, Lisboa 1921; ders., As grandes maravilhas de Fátima, Lisboa 1927.

[8] Siehe dazu die Schilderungen bei Kongregation für die Glaubenslehre: Die Botschaft von Fatima, URL <http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000626_message-fatima_ge.html> (08.12.2011).

[9] Zit. nach „Papst-Attentat. Sibyllinische Signale“, in: Spiegel 23/1985.

[10] Bender, Hans: Zukunftsvisionen, Kriegsprophezeiungen, Sterbeerlebnisse, München 21986, S. 103ff.

[11] Exemplarisch dafür DeGard, Leo, Müntefering, Robert, Das dritte Geheimnis von Fatima rekonstruiert, in: Kopp Online, 21.9.2010, URL <http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/europa/leo-degard-und-robert-muentefering/das-dritte-geheimnis-von-fatima-rekonstruiert.html> (08.12.2011).

[12] Joseph Ratzinger, Kommentar zum Geheimnis von Fatima, URL <http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000626_message-fatima_ge.html> (08.12.2011).

[13] Siehe zum Folgenden vor allem Zander, Helmut, Maria erscheint in Sievernich. Plausibilitätsbedingungen eines katholischen Wunders, in: Alexander C. T. Geppert, Till Kössler (Hg.), Wunder. Poetik und Politik des Staunens im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2011, S. 146-176, hier S. 153-159.

[14] Vgl. Costa, Xavier, Spanien zwischen Tradition und Moderne, in: eurotopics, 15.9.2008, URL <http://www.eurotopics.net/de/home/presseschau/archiv/magazin/gesellschaft-verteilerseite/religion/religion_spanien/> (08.12.2011).

[15] Zur Rezeption siehe etwa „Lourdes (mit 2 Illustrationen auf S. 1 und 5)“, in: Berliner Illustrirte Zeitung 28/1895. Vgl. auch Zander, Maria, S. 153.

[16] Graber, Rudolf, Geleitwort, in: Hermann Netter, 50 Jahre Fátima. Chronik und Dokumentation, Regensburg/Freiburg i. Br. 1967, S. 3.

[17] Signori, Gabriela, Wunder. Eine historische Einführung, Frankfurt/New York 2007, S. 75-81.

[18] Ziemann, Benjamin, Sozialgeschichte der Religion. Von der Reformation bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 2009, S. 121f. Zit. bei Ford, Caroline, Divided Houses. Religion and Gender in Modern France, Ithaca/New York 2005, S. 23.

[19] Schneider, Bernhard, Feminisierung der Religion im 19. Jahrhundert. Perspektiven einer These im Kontext des deutschen Katholizismus, in: Trierer Theologische Zeitschrift 111 (2002), S. 123-147, hier 128-139; Freytag, Nils, Aberglauben im 19. Jahrhundert. Preußen und seine Rheinprovinz zwischen Tradition und Moderne (1815-1918), Berlin 2003, S. 66-138.

[20] Schlögl, Rudolf, Sünderin, Heilige oder Hausfrau? Katholische Kirche und weibliche Frömmigkeit um 1800, in: Irmtraud Götz von Olenhusen (Hg.), Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen. Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1995, S. 13-50, hier S. 37-40; Sperber, Jonathan, Popular Catholicism in Nineteenth-Century Germany, Princeton 1984, S. 19.; Saurer, Edith, Frauen und Priester. Beichtgespräche im frühen 19. Jahrhundert, in: Richard von Dülmen (Hg.), Arbeit, Frömmigkeit und Eigensinn. Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt am Main 1990, S. 141-170.

[21] Hölscher, Lucian, Geschichte der protestantischen Frömmigkeit in Deutschland, München 2005, S. 300-305.

[22] Weiß, Otto, Seherinnen und Stigmatisierte, in: von Olenhusen, Frauen, S. 51-82.

[23] Vgl. auch Harris, Ruth, Lourdes. Body and Spirit in the Secular Age, London 2000, S. 110-134.

[24] Freytag, Aberglauben, S. 364 -372.

[25] Vgl. Goschler, Constantin, Rudolf Virchow. Mediziner – Anthropologe – Politiker, Köln, Weimar, Wien 2002 , S. 185 -211; Gay, Peter, Die zarte Leidenschaft. Liebe im bürgerlichen Zeitalter, München 1987, S. 290-314.

[26] Zander, Maria.

[27] Fox, Documents, S. 17.

[28] Zintzen, Christiane, Von Pompeji nach Troja. Archäologie, Literatur und Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert, Wien 1998 , S. 257-290.

[29] Höcht, Johannes Maria, Fatima und Pius XII. Maria Schützerin des Abendlandes. Der Kampf um Rußland und die Abwendung des dritten Weltkriegs, Wiebaden 1957, S. 264-271.

[30] Zander, Maria, S. 154f.

[31] Hölscher, Lucian, Einleitung, in: Ders. (Hg.): Das Jenseits. Facetten eines religiösen Begriffs in der Neuzeit, Göttingen 2007, S. 7-11.

[32] Kondor, Luis, Schwester Lucia spricht über Fatima. Erinnerungen der Schwester Lucia, Postulação, Fatima, 1975, S. 147.



Literaturhinweise

  • Geppert, Alexandra C.T.; Kössler, Till (Hg.), Wunder. Poetik und Politik des Staunens im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2011.
  • Götz von Olenhusen, Irmtraud (Hg.), Frauen unter dem Patriarchat der Kirchen. Katholikinnen und Protestantinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1995.
  • Scheer, Monique, Rosenkranz und Kriegsvisionen. Marienerscheinungskulte im 20. Jahrhundert, Tübingen 2006.
  • Ziemann, Benjamin, Sozialgeschichte der Religion. Von der Reformation bis zur Gegenwart, Frankfurt/Main 2009.
  • Zimdars-Schwartz, Sandra L., Encountering Mary. From La Salette to Medjugorje, Princeton 1991.

Die drei Geheimnisse von Fátima (Cova da Iria, 13. Juli 1917); [Auszüge][1]

1. Geheimnis

[...] Unsere Liebe Frau zeigte uns ein großes Feuermeer, das in der Tiefe der Erde zu sein schien. Eingetaucht in dieses Feuer sahen wir die Teufel und die Seelen, als seien es durchsichtige schwarze oder braune, glühende Kohlen in menschlicher Gestalt. Sie trieben im Feuer dahin, emporgeworfen von den Flammen, die aus ihnen selber zusammen mit Rauchwolken hervorbrachen. Sie fielen nach allen Richtungen, wie Funken bei gewaltigen Bränden, ohne Schwere und Gleichgewicht, unter Schmerzensgeheul und Verzweiflungsschreie, die einen vor Entsetzen erbeben und erstarren ließen. Die Teufel waren gezeichnet durch eine schreckliche und grauenvolle Gestalt von scheußlichen, unbekannten Tieren, aber auch sie waren durchsichtig und schwarz. [...]

2. Geheimnis

[...] Ihr habt die Hölle gesehen, wohin die Seelen der armen Sünder kommen. Um sie zu retten, will Gott in der Welt die Andacht zu meinem Unbefleckten Herzen begründen. Wenn man tut, was ich euch sage, werden viele Seelen gerettet werden, und es wird Friede sein. Der Krieg wird ein Ende nehmen. Wenn man aber nicht aufhört, Gott zu beleidigen, wird unter dem Pontifikat von Papst Pius XII. ein anderer, schlimmerer beginnen. Wenn ihr eine Nacht von einem unbekannten Licht erhellt seht, dann wißt, daß dies das große Zeichen ist, daß Gott euch gibt, daß Er die Welt für ihre Missetaten durch Krieg, Hungersnot, Verfolgungen der Kirche und des Heiligen Vaters bestrafen wird. Um das zu verhüten, werde ich kommen, um die Weihe Rußlands an mein unbeflecktes Herz und die Sühnekommunion an den ersten Samstagen des Monats zu verlangen. Wenn man auf meine Wünsche hört, wird Rußland sich bekehren und es wird Friede sein. Wenn nicht, wird es seine Irrlehren über die Welt verbreiten, wird Kriege und Kirchenverfolgungen heraufbeschwören. Die Guten werden gemartert werden, der Heilige Vater wird viel zu leiden haben, verschiedene Nationen werden vernichtet werden, am Ende aber wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren. Der Heilige Vater wird mir Rußland weihen, das sich bekehren wird, und der Welt wird eine Zeit des Friedens geschenkt werden. [...]

3. Geheimnis

[...] Nach den zwei Teilen, die ich schon dargestellt habe, haben wir links von Unserer Lieben Frau etwas oberhalb einen Engel gesehen, der ein Feuerschwert in der linken Hand hielt; es sprühte Funken, und Flammen gingen von ihm aus, als sollten sie die Welt anzünden; doch die Flammen verlöschten, als sie mit dem Glanz in Berührung kamen, den Unsere Liebe Frau von ihrer rechten Hand auf ihn ausströmte: den Engel, der mit der rechten Hand auf die Erde zeigte und mit lauter Stimme rief: Buße, Buße, Buße! Und wir sahen in einem ungeheuren Licht, das Gott ist: "etwas, das aussieht wie Personen in einem Spiegel, wenn sie davor vorübergehen" einen in Weiß gekleideten Bischof "wir hatten die Ahnung, daß es der Heilige Vater war". Verschiedene andere Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen einen steilen Berg hinaufsteigen, auf dessen Gipfel sich ein großes Kreuz befand aus rohen Stämmen wie aus Korkeiche mit Rinde. Bevor er dort ankam, ging der Heilige Vater durch eine große Stadt, die halb zerstört war und halb zitternd mit wankendem Schritt, von Schmerz und Sorge gedrückt, betete er für die Seelen der Leichen, denen er auf seinem Weg begegnete. Am Berg angekommen, kniete er zu Füßen des großen Kreuzes nieder. Da wurde er von einer Gruppe von Soldaten getötet, die mit Feuerwaffen und Pfeilen auf ihn schossen. Genauso starben nach und nach die Bischöfe, Priester, Ordensleute und verschiedene weltliche Personen, Männer und Frauen unterschiedlicher Klassen und Positionen. Unter den beiden Armen des Kreuzes waren zwei Engel, ein jeder hatte eine Gießkanne aus Kristall in der Hand. Darin sammelten sie das Blut der Märtyrer auf und tränkten damit die Seelen, die sich Gott näherten. [...]


[1] Der Text wurde 1941 niedergeschrieben und ist abrufbar unter der URL <http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20000626_message-fatima_ge.html> (08.12.2011).


Für das Themenportal verfasst von

Nicolai Hannig

( 2011 )
Zitation
Nicolai Hannig, Die drei Geheimnisse von Fátima Europäische Marienfrömmigkeit im 20. Jahrhundert, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2011, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1557>.
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