Patronagekultur in den Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit. Politische Abhängigkeit, Fremdwahrnehmung und die gemeinsame ethische Basis sozialer Beziehungen im spanisch-römischen Verhältnis des frühen 17. Jahrhunderts

Als der neue spanische Botschafter beim Heiligen Stuhl, der Conde de Castro, im Frühjahr 1609 an seinem neuen Dienstort eintraf, fand er eine Denkschrift vor, die, von einem erfahrenen Mitarbeiter der Botschaft erstellt, ihn mit den politischen und sozialen Verhältnissen in der Ewigen Stadt vertraut machen sollte. In ihr finden sich teils wenig schmeichelhafte Wertungen über den Charakter der Einwohner der verschiedenen Teile Italiens. Besonders bemerkenswert ist das vernichtende Urteil über die Römer, die ihre alten Tugenden gänzlich verloren hätten; sie seien nur noch „Menschen, die zu Sklavendiensten geboren wurden“. [...]

Patronagekultur in den Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit. Politische Abhängigkeit, Fremdwahrnehmung und die gemeinsame ethische Basis sozialer Beziehungen im spanisch-römischen Verhältnis des frühen 17. Jahrhunderts[1]

Von Hillard von Thiessen

Als der neue spanische Botschafter beim Heiligen Stuhl, der Conde de Castro, im Frühjahr 1609 an seinem neuen Dienstort eintraf, fand er eine Denkschrift vor, die, von einem erfahrenen Mitarbeiter der Botschaft erstellt, ihn mit den politischen und sozialen Verhältnissen in der Ewigen Stadt vertraut machen sollte. In ihr finden sich teils wenig schmeichelhafte Wertungen über den Charakter der Einwohner der verschiedenen Teile Italiens. Besonders bemerkenswert ist das vernichtende Urteil über die Römer, die ihre alten Tugenden gänzlich verloren hätten; sie seien nur noch „Menschen, die zu Sklavendiensten geboren wurden“[2]. Der Herr, dem diese Dienste zu leisten waren, war der spanische König. Gleichwohl müsse der Botschafter sich in Acht nehmen, denn die Römer hassten die Spanier, was sie durch umgängliches Auftreten zu verbergen suchten. Dabei ist bemerkenswert, dass noch 1609 der sacco di Roma, also die Einnahme und Plünderung Roms durch Truppen Karls V. im Jahr 1527, als Ursache für das schlechte Ansehen der Spanier genannt wird.[3]

Dieses Dokument nimmt auf den ersten Blick eine geradezu koloniale Perspektive ein. Die Überzeugung der eigenen kulturellen Höherwertigkeit, gesteigert bis hin zu „ethnozentrischem Hochmut“, ist von Jürgen Osterhammel als ein Element des neuzeitlichen Kolonialismus beschrieben worden.[4] Tatsächlich ist der Kirchenstaat für den Zeitraum von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum frühen 17. Jahrhundert auch als „faktische Kolonie“[5] der spanischen Monarchie bezeichnet worden. Die spanische Krone war zur Zeit der Entstehung der Denkschrift der mächtigste politische Akteur in Europa und dominierte auch die italienische Halbinsel. König Philipp II. von Spanien (1556-1598) herrschte über Teile Italiens, und zwar das Herzogtum Mailand und die Königreiche Neapel und Sizilien sowie Sardinien. Die meisten der relativ kleinen italienischen Staatswesen waren praktisch Satelliten der spanischen Krone. Man spricht vom „Spanischen System“ des Einflusses auf die italienische Halbinsel und den westlichen Mittelmeerraum.[6]

Der Kirchenstaat war in dieses System integriert. Der spanische Einfluss dort wurde vor allem dadurch manifest, dass dezidiert antispanische Kandidaten nach 1555 für gut ein halbes Jahrhundert kaum eine Chance hatten, zum Papst gewählt zu werden. Eine ganze Reihe von Kardinälen, die als assistentes papae dem Heiligen Vater ergeben sein sollten, agierten als Interessenvertreter der spanischen Krone. Einige adlige Familien des Kirchenstaats standen in engen Beziehungen zum spanischen König und waren über den Erwerb von Gütern im Königreich Neapel zu Doppelvasallen geworden. Im Fall eines Konfliktes mit der spanischen Monarchie konnte sich der Papst dieser Untertanen nicht sicher sein. Auch wenn der Kirchenstaat ein souveränes Staatswesen war, verfügte die spanische Monarchie dort doch über eine ganze Reihe von Multiplikatoren und Machtmittel.[7] Dennoch: von einer „faktischen Kolonie“ zu sprechen, ist weit überzogen. Nicht als kolonial, sondern als klientelär sind die Beziehungen zwischen der spanischen Krone und den italienischen Gemeinwesen zu verstehen. Indem Beziehungen zwischen Akteuren ungleichen Machtpotentials als Patronagebeziehungen gestaltet wurden, gewannen sie an Legitimität. Patronage war eine von den Akteuren der spanisch-römischen Beziehungen geteilte Kulturform. Man kann von einer gemeinsamen Patronagekultur sprechen, die den zu Beginn der Denkschrift angedeuteten Mangel an Akzeptanz der spanischen Übermacht abmilderte.

Die Denkschrift für Castro gibt einige Hinweise auf die latente Spannung zwischen der Unzufriedenheit italienischer Eliten mit der Dominanz der spanischen Krone und der Einbindung vieler Akteure in ihr Patronagesystem. Um Patronagebeziehungen zu verschiedenen Gruppen und Personen im Kirchenstaat anzuknüpfen bzw. diese zu pflegen, mussten die Botschafter sich auf die komplexen soziopolitischen Verhältnisse in Rom einlassen. Lediglich der Papst selbst musste unbedingt vermeiden, dass der Eindruck entstand, er sei ein Klient des spanischen Königs – eine solche untergeordnete soziale Stellung hätte seine Rolle als Kirchenoberhaupt, das keinen der weltlichen Fürsten offen bevorzugen durfte, irreparabel beschädigt.[8] Der Papst regierte, indem er die zentralen Posten in Regierung und Verwaltung mit Verwandten und abhängigen Klienten besetzte.[9] Das Kardinalskollegium hatte im späten 15. und 16. Jahrhundert stark an Einfluss eingebüßt, blieb als Papstwahlgremium aber ein gewichtiger Faktor im politischen System des Kirchenstaats.[10] Sowohl zu den Verwandten und Klienten der Papstfamilie als auch zu einer ganzen Reihe von Mitgliedern des Kardinalskollegiums pflegte die spanische Krone über ihre Botschafter enge informelle Beziehungen. Doch die Rahmenbedingungen für die Pflege dieser Beziehungen waren schwierig.

Denn die römische Wahlmonarchie wies eine in Europa einzigartige soziale Dynamik auf. Der Wahl eines neuen Papstes folgten stets personelle Veränderungen in Regierung und Verwaltung. Das Spitzenpersonal wurde weitgehend zugunsten von Verwandten und Klienten der neuen Papstfamilie ausgetauscht. Das war nicht nur eine Strategie der Begünstigung der eigenen Familie, sondern auch eine Notwendigkeit, da der neue Pontifex Vertrauenspersonen in seiner Umgebung bedurfte. Der Auf- und Abstieg ganzer Familienverbände war in Rom folglich Alltag. In den unteren und mittleren Rängen der kirchenstaatlichen Verwaltung war die personelle Kontinuität größer. Dort finden wir ein im übrigen Europa selten zu findendes Ausmaß an Anpassung an wechselnde soziopolitische Verhältnisse.[11] Man unterhielt mit verschiedenen Patronen gleichzeitig Beziehungen, um so im Falle des Pontifikatswechsels leichter die Pferde wechseln zu können und die Gefahr des sozialen und beruflichen Abstiegs zu bannen. Pontifikatswechsel waren folglich von jähen Alternationen sozialer Allianzen bestimmt, die aber im Stillen vorbereitet worden waren. Diskretion und Verstellung – dissimulatio – war von Nöten.

Für Außenstehende – auch für die spanischen Botschafter – war dieses Geflecht sozialer Beziehungen und sich wandelnder Allianzen nur schwer zu durchschauen. Die Denkschrift für Castro war als Hilfsmittel für den Botschafter gedacht, sich am römischen Hof zurechtzufinden. Dabei griff der Autor der Denkschrift auch auf die zeitgenössische Hofkritik zurück. Wer neu nach Rom komme und mit den exzeptionellen Verhältnissen nicht vertraut sei, gerate leicht unter die Räder einer Gesellschaft, in der „alles Schein und nichts wahr ist“ und in welcher der Eigennutz regiere. Schon die humanistische Hof- und Patronagekritik hatte den fürstlichen Hof als einen Ort der Intrige und Verstellung dargestellt, und dieser Diskurs lebte in der gesamten Frühen Neuzeit fort.[12] Dass in der Denkschrift von 1609 allerdings der „heilige Hof“ des Papstes als ein Ort beschrieben wird, in dem die von der Hofkritik angeprangerten Untugenden in besonders ausgeprägter, ja schamloser Weise zu finden seien, gibt diesen Passagen eine besondere Spitze.

Fasst man die in der Denkschrift geäußerte Hofkritik zusammen, dann wird die in der Einleitung ausgedrückte Verachtung der zeitgenössischen Römer deutlich modifiziert. Denn danach ist in der Denkschrift weniger von schwächlicher Dekadenz die Rede, welche die harte Hand spanischer Dominanz rechtfertige, als vielmehr von höfischen Virtuosen und geschickten Interessenvertretern, mit denen umzugehen dem spanischen Botschafter viel Umsicht und Anpassungsvermögen abverlange. Dabei verwendet der Autor das Bild des Steuermanns, der auch in schwerer See und bei wechselnden Winden Kurs zu halten habe. Gefordert wird auch vom Botschafter eine Strategie der Verstellung, um die Ziele der spanischen Krone im Kirchenstaat durchzusetzen. Stets habe er die Interessen seines Herrn im Auge zu behalten und dürfe bei der Wahl seiner Mittel nicht zu skrupulös sein. Primär habe er der Staatsräson zu folgen. In einer Gesellschaft, in der, wie einige Passagen der Denkschrift behaupten, soziale und religiöse Werte kaum Beachtung fänden, weil die Akteure allein ihren Interessen folgten, dürften, so die Logik dieses Teils der Denkschrift, auswärtige Mächte bei der Durchsetzung von Interessen auch ihrerseits keine Skrupel zeigen.

Doch dies ist nur eine Lesart dieses Dokuments. Festzuhalten ist, dass sie keine Strategie kolonialer Dominanz empfiehlt, sondern eine Adaption an die herrschenden kulturellen Praktiken in Rom. Und es ist hinzuzufügen: an kulturelle Praktiken, die einem mit dem höfischen Leben vertrauten spanischen Hochadligen keineswegs fremd waren. Bei aller Differenz der realen soziopolitischen Verhältnisse an den Höfen von Rom und Madrid hatten sie doch eines gemeinsam: In beiden Fällen bestimmten personale Netzwerke in der Umgebung des Herrschers die Geschicke. Wir haben es, wie zu zeigen sein wird, mit zwei Varianten der höfischen Gesellschaft zu tun, die ein gemeinsames Wertesystem aufwiesen, das auch den Maßstab für die in den diplomatischen Dokumenten geäußerte Kritik an sozialen Verhaltensmustern lieferte: die Patronagekultur.

Patronage war eine in der Frühen Neuzeit weithin praktizierte Kulturform, die informelle hierarchische Sozialbeziehungen gliederte und legitimierte. Patronage bildete einen Handlungsrahmen in Form eines Verhaltenskodex, der von der sozialen Umgebung erwartet und gegebenenfalls eingefordert wurde. Man kann von einer sozialen Norm sprechen, die ein Ethos der Patronage im Sinne idealer Verhaltensweisen hervorbrachte. Dem Ideal nach waren Beziehungen zwischen Patron und Klient von Dauerhaftigkeit und Gegenseitigkeit („Reziprozität“) geprägt. Die Erfüllung der damit verbundenen gegenseitigen Erwartungen schuf Vertrauen und stabilisierte die Beziehungen. Zumindest dann, wenn Patron und Klient in regelmäßigem Kontakt standen, lief eine regelrechte Handlungskette ab: Der Patron auf der einen Seite zeigte seine Gunst durch materielle oder symbolische Gaben, Förderung und Beistand. Der Klient gab hierfür Treue und Dienstleistungen zurück. Wir haben es also mit einem Gabentausch zu tun, in dessen Verlauf der Patron konstant mehr zu geben vermochte als der Klient. Gegenseitigkeit bedeutete, dass beide Seiten den „sanften Druck“ verspürten, den Gabentausch zur Bestätigung und Aufrechterhaltung des Verhältnisses fortzusetzen. Das bedeutet nicht, dass beide Seiten auf gleichem Niveau geben mussten, ganz im Gegenteil: Übertraf die Gabe des Klienten die des Patrons, so stellte er damit die Hierarchie und somit das Verhältnis überhaupt in Frage.[13]

Patronage war als Sozialform zwar an und für sich anerkannt und nahezu ubiquitär vertreten, aber auch immer Gegenstand von Kritik, vor allem dann, wenn sie in Konflikt mit gemeinwohlorientierten und religiösen Normen geriet.[14] Dies wird auch in der Denkschrift von 1609 deutlich. Sie kritisiert die mangelnde Stabilität der sozialen Beziehungen in Rom und das damit verbundene Klima der Verstellung. Der Mangel an Dauerhaftigkeit vieler römischer Sozialbeziehungen widersprach in spanischer Sicht dem Ethos der Patronage. Ein untreuer, zwischen verschiedenen Patronen changierender Klient galt als käuflich. Auf der anderen Seite waren die römischen Nuntien immer wieder verblüfft darüber, dass es dem Günstling-Minister Philipps III. (1598-1621), dem Herzog von Lerma, gelungen war, die Verteilung königlicher Patronageressourcen weitgehend zu dominieren und diese fast ausschließlich seinen Klienten und Verwandten zu Gute kommen zu lassen.[15] Zwar basierte der römische Nepotismus im Grunde auf dem gleichen Prinzip – eine relativ kleine soziale Gruppe erhält einen bevorzugten Zugang zu Ressourcen –, doch bestand zwischen den beiden soziopolitischen Systemen ein entscheidender Unterschied: In Rom sorgte die starke soziale Dynamik dafür, dass jeder neue Pontifikat eine Redistribution der Ressourcen mit sich brachte; auf diese Weise schuf der Wahlcharakter des Kirchenstaats eine Form ausgleichender Gerechtigkeit. In Spanien hingegen strebte der Günstling-Minister Lerma im frühen 17. Jahrhundert die langfristige Installierung einer Art Co-Dynastie von Günstling-Ministern aus seinem Familienverband an, was die Bevorzugung seines Verwandtschaftsverbandes perpetuiert hätte.[16] Dies galt nicht nur in römischer Perspektive, sondern auch bei den Gegnern Lermas als illegitim und scheiterte schließlich an vielen Widerständen.[17] Patronage mochte als Ethos der Sozialbeziehungen akzeptiert und gefordert sein, verlor aber dann an Legitimität, wenn der Eindruck entstand, dass die einseitige Ressourcenverteilung zu Lasten des Gemeinwohls ging. Gleichzeitig kann das Ethos der Patronage als Handlungsrahmen verstanden werden, der eine Grenze zwischen akzeptablen und illegitimen Praktiken informeller Sozialbeziehungen zog.

Zwei Gesellschaften mit unterschiedlicher Ausformung von Patronage – aber eine Patronagekultur mit einem von beiden geteilten Wertekanon – so ließe sich der Befund bis zu diesem Punkt zusammenfassen. Reziprozität, Dauerhaftigkeit und eine gewisse Rücksichtnahme auf das Gemeinwohl galten in beiden Gesellschaften als Idealform von Patronage, von der sie auf unterschiedliche Weise abwichen. Bei aller Wahrnehmung gegenseitiger Fremdheit waren sich die Akteure beider Seiten letztlich bewusst, dass sie einer Patronagekultur angehörten. Allein schon diese Wahrnehmung eines gemeinsamen Wertehorizonts verbietet es, von einem quasi-kolonialen Verhältnis zwischen der spanischen Monarchie und dem Kirchenstaat zu sprechen. Stattdessen lassen sich die grenzüberschreitenden Beziehungen zum Teil als Patronageverhältnisse auf der Basis dieser kulturellen Gemeinsamkeit beschreiben und wurden so auch von den beteiligten Akteuren verstanden. Das betrifft vor allem die informellen Beziehungen der spanischen Krone zu verschiedenen römischen bzw. italienischen Familien des Adels. Das zweite Quellenbeispiel betrifft das Verhältnis der spanischen Krone zu einer der ältesten und angesehensten Adelsfamilien des Kirchenstaat, den Colonna. Es handelt sich um einen Auszug aus dem letzten, Mitte Mai 1608 auf dem Sterbebett verfassten Brief des Kardinals Ascanio Colonna (1560-1608) an Philipp III.

Colonna verabschiedet sich in diesem Brief vom König, betont die „Liebe“, mit der er der Krone gedient habe und bittet um Verzeihung für alle ihm im Klientendienst unterlaufenen Fehlleistungen. Hinter dieser Bitte steht die Absicht, Konflikte des irdischen Lebens zu schlichten, bevor die Seele nach dem Tod vor das göttliche Partikulargericht treten muss. Das bedeutet: Colonna drückt in diesem Schreiben aus, dass dem Ethos der Patronage zu folgen gottgefällig sei. Vor seinem höchsten Richter meint er sich nicht für die Tatsache rechtfertigen zu müssen, dass er als Klient dem spanischen König weit mehr als dem Papst als seinem Landesherrn und Oberhaupt der Kirche gedient hatte. Wohl aber scheinen ihn Zweifel befallen zu haben, ob er stets dem Ideal der Patronage entsprochen habe. Das Prinzip von Gabe und Gegengabe gedachte er im Übrigen im Himmel fortzusetzen: Sobald er dort Eingang gefunden habe, werde er bei Gott selbst Fürbitte für die spanische Krone leisten. Man muss sich vor Augen führen, dass dieses Schreiben unmittelbar vor dem Tod des Absenders aufgesetzt worden ist. Der Kardinal ging, wie fast alle seine Zeitgenossen, davon aus, dass seine Seele direkt nach dem Ableben gerichtet und einem der drei transzendenten Orte – Himmel, Hölle oder Fegefeuer – zugewiesen werden würde.[18] Für Heuchelei und dissimulatio war in dieser Situation kein Platz mehr, denn Gott würde sie durchschauen und in seinem Richterspruch berücksichtigen. Diese Schwellensituation macht die Authentizität dieses Schreibens aus, das die Bindung dieses Klienten an das Ethos der Patronage ebenso klar zum Ausdruck bringt wie dessen religiöse Fundierung.

Wir haben also allen Grund, diese Äußerungen ernst zu nehmen. In der deutschen Patronageforschung ist in den letzten Jahren eine Kontroverse über die Frage geführt worden, wie sehr Akteure an das Ethos der Patronage „geglaubt“ haben. Dabei stand die Frage im Mittelpunkt, ob Treuebekundungen zwischen Patron und Klient als Ausdruck von Kalkül statt tatsächlich empfundener ethischer Verpflichtung zu verstehen seien.[19] Quellen wie die beiden hier vorgestellten Dokumente zeigen, dass das Ethos der Patronage und Eigeninteresse kein Gegensatzpaar bilden müssen. Vielmehr stellte die Kulturform Patronage den Handlungsrahmen und die Sprache zur Verfügung, um Interessen in legitimer Weise zu verfolgen und auszudrücken. Selbst die so machiavellistisch formulierte Denkschrift lässt erkennen, dass auch die Akteure der Außenbeziehungen an einer ethischen Fundierung ihres Handelns interessiert waren, wenn etwa der rasche Wechsel sozialer Bindungen als unethisch gebrandmarkt und die bewährten Klienten der spanischen Krone gelobt werden. Patronage legitimierte hegemoniale Außenpolitik, und zwar in einer Weise, dass auch die von einer stärkeren Macht abhängigen Akteure ihre klienteläre Rolle akzeptieren, ja als Gewinn für ihre Reputation ansehen konnten. Viele Angehörige der römischen Elite mochten die spanische Dominanz mit einem gewissen Groll betrachten, aber etliche begaben sich in die sozial akzeptierte Rolle des Klienten eines auswärtigen Patrons. Indem Klient wie Patron ihre jeweilige Rolle annahmen, wurde auch ihr Verhalten strukturiert.

Die Konsequenzen für die spanische Politik der Dominanz über Italien und den Kirchenstaat bestanden darin, dass zu einer Reihe von Familien im Kirchenstaat besonders enge Beziehungen gepflegt wurden. Es gab einen inneren Kreis von Klienten der spanischen Krone, unter denen die Colonna an erster Stelle zu nennen sind. Sie unterhielten schon seit einigen Generationen diese Beziehungen, so dass sie mittlerweile so selbstverständlich waren, dass sie als erblich betrachtet wurden. Das Ethos der Patronage hatte sich in diesen Fällen gewissermaßen verselbständigt und schränkte damit auch den Handlungsspielraum von Patron und Klient ein. Denn ihre Bindung war praktisch unkündbar geworden: Einen bewährten Klienten zu verstoßen oder sich von einem langjährigen Patron abzuwenden hätte zu Ehrverlust geführt.[20] In der Denkschrift heißt es, dass etliche der „wahren Anhänger“ der spanischen Krone sich als deren Klienten betrachteten, „weil es schon ihre Vorfahren waren“.

Unmittelbaren politischen Nutzen brachten diese engen Bindungen kaum, da die Colonna sich in ihrem politischen Verhalten nicht nur von ihren Bindungen an die spanische Krone, sondern ebenso von ihren Freund- und Feindschaften zu römischen Familien leiten ließen. Indes ging es der spanischen Krone auch nicht nur darum, über eine „fünfte Kolonne“ in Rom zu verfügen, sondern sie wollte sich vor allem als guter, also verlässlicher und seinen Verpflichtungen gegenüber den Klienten bewusster Patron inszenieren. Die Stabilität und Verlässlichkeit der Beziehungen der spanischen Habsburger zu den Colonna und einigen anderen Familien des Kirchenstaats hatte somit werbende Funktion – und diese Funktion war eminent politisch. Denn sie signalisierte den Papstfamilien – zumeist Aufsteiger aus dem mittleren Adel –, dass spanische Patronage eine sichere Investition in die Zukunft sei. Die Papstfamilien suchten nach Absicherungen für die schwierige Zeit nach Ende „ihres“ Pontifikats.[21] Der Erwerb eines Feudalgutes im spanisch beherrschten Königreich Neapel und die Anbahnung von Beziehungen zu einem mächtigen Patron war eine solche Absicherung.[22]

Kalkül und Ethos der Patronage waren kein Widerspruch. Indem sowohl die spanische Diplomatie als auch römische Adlige die Sprache der Patronage verwendeten, signalisierten sie, dass sie gewillt waren, die damit verbundenen Verpflichtungen zu erfüllen – zum beiderseitigen Vorteil. Patronage war eine legitime Form von Außenbeziehungen zwischen Akteuren unterschiedlichen Ranges. Als prinzipiell akzeptierte Sozialform erlaubte sie es der spanischen Krone, informelle Beziehungen im Kirchenstaat zu pflegen und auch offizielle diplomatische Beziehungen zu kleineren italienischen Staatswesen zu gestalten. Politische Abhängigkeit konnte auf diese Weise legitimiert und stabilisiert werden. Dies war möglich, weil eine gemeinsame Patronagekultur vorhanden war. Welchen Raum umfasste diese? Grenzüberschreitende klienteläre Beziehungen lassen sich fast im ganzen christlichen Europa der Frühen Neuzeit nachweisen. Generell scheint die höfische Kultur mit ihrem Wettbewerb um fürstliche Gunst die Patronagekultur konfessionsübergreifend bis in das 18. Jahrhundert gestärkt zu haben. Die Gefahren, die von der Patronage für das Gemeinwohl ausgingen, wurden in republikanisch verfassten Kommunen tendenziell ernster genommen, und zwar insbesondere, wenn diese protestantisch waren.[23] Über die Varianten europäischer Patronagekultur in der Frühen Neuzeit ist noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten.

Nicht zu übersehen ist aber auch, dass neben der Selbstverständlichkeit und relativen Offenheit, mit der Patronage als Sozialform praktiziert wurde, stets ebenso fundamentale Patronagekritik zu finden ist. Das betrifft auch unser Beispiel: Sowohl in Spanien als auch im Kirchenstaat findet sich ein an gemeinwohlorientierten oder religiösen Normen orientierter Diskurs der Patronagekritik, der beispielsweise die Patronagelogiken bei der Besetzung von Stellen in der Verwaltung anprangerte oder an der extremen Begünstigung einzelner Anstoß nahm.[24] Im Kirchenstaat kritisierten die zelanti bzw. spirituali (in der Denkschrift als „Neutrale“ bezeichnet), welche die Reform der katholischen Kirche weiterführen wollten, den starken Einfluss auswärtiger Mächte auf die Papstwahl. Allein dem Gewissen gegenüber Gott, und nicht sozialen Normen sollte die Wahl des Oberhaupts der Kirche verpflichtet sein. Sie setzten 1622 eine Konklavereform durch, die den auswärtigen Einfluss erschwerte.[25] Eine nachhaltige Delegitimierung der Patronagekultur lässt sich aber erst mit der funktionalen Differenzierung der Gesellschaft im Übergang zur Moderne konstatieren. Soziale Normen wie die Patronage wurden nun aus dem Bereich des Politischen verbannt und verloren auch ihre Relevanz für grenzüberschreitende Beziehungen. Das heißt nicht, dass Praktiken der Begünstigung von sozial Nahestehenden verschwanden, sondern vielmehr, dass sie mangels Legitimierbarkeit im öffentlichen Raum nicht mehr offen betrieben werden konnten.[26]



[1] Essay zu den Quellen: Auszüge aus der Denkschrift für den Grafen von Castro (31. Mai 1609) und aus dem letzten Brief des Kardinals Ascanio Colonna an König Philipp III. von Spanien (18. Mai 1608).

[2] „Homines ad servitutem nati“. Es handelt sich um ein leicht abgewandeltes Zitat aus den Annales (III, 65) des Tacitus („O homines ad servitutem paratos“); Kaiser Tiberius habe auf diese Weise die römischen Senatoren charakterisiert.

[3] Die ablehnende Haltung der römischen Eliten zur spanischen Dominanz betont besonders: Levin, Michael J., Agents of Empire. Spanish Ambassadors in Sixteenth-Century Italy, Ithaca 2005.

[4] Osterhammel, Jürgen, Kolonialismus, München 2009, S. 20.

[5] „De facto colony“. Dandelet, Thomas J., Spanish Rome, 1500-1700, New Haven 2001, S. 13.

[6] Musi, Aurelio, Nel sistema imperiale. L'Italia spagnola, Neapel 1994; Stradling, Robert A., Europe and the Decline of Spain. A Study of the Spanish System 1580-1720, London 1981.

[7] Zum spanischen Einfluss auf den Kirchenstaat im 16. und 17. Jahrhundert: Dandelet, Rome; Spagnoletti, Angelantonio, Principi italiani e Spagna nell'età barocca, Mailand 1996; Thiessen, Hillard von, Diplomatie und Patronage. Die spanisch-römischen Beziehungen 1605-1621 in akteurszentrierter Perspektive, Epfendorf 2010.

[8] Zu den Rollen des Papstes als Landesherr und Kirchenoberhaupt: Prodi, Paolo, Il sovrano pontefice. Un corpo e due anime: la monarchia papale nella prim età moderna, Mailand 1994.

[9] Über den Verwaltungs- und Regierungsalltag der Kurie sind wir vor allem durch die zahlreichen Studien zum „gläsernen Pontifikat“ Pauls V. Borghese informiert. Stellvertretend für die von Wolfgang Reinhard schon in den 1970er Jahren angestoßenen Forschungen sollen hier genannt werden: Reinhard, Wolfgang, Paul V. Borghese (1605-1621), Stuttgart 2009; Emich, Birgit, Bürokratie und Nepotismus unter Paul V. (1605-1621), Stuttgart 2001.

[10] Baumgartner, Frederic J., Behind Locked Doors. A History of the Papal Elections, New York 2003.

[11] Zur soziopolitischen Dynamik an der römischen Kurie: Karsten, Arne (Hg.), Jagd nach dem roten Hut. Kardinalskarrieren im barocken Rom, Göttingen 2004; Reinhardt, Volker; Büchel, Daniel (Hg.), Die Kreise der Nepoten. Neue Forschungen zu alten und neuen Eliten Roms in der frühen Neuzeit, Bern 2001.

[12] Grüne, Niels, „Gabenschlucker“ und „verfreundte rät“. Zur patronagekritischen Dimension frühneuzeitlicher Korruptionskommunikation, in: Asch, Ronald G.; Emich, Birgit; Engels, Jens Ivo (Hg.), Integration – Legitimation – Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt am Main 2011, S. 215-232.

[13] Die Literatur zur Patronage ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark angeschwollen. Hier seien exemplarisch genannt: Asch, Ronald G.; Birke, Adolf M. (Hg.), Princes, Patronage, and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age c. 1450-1650, London 1991; Kirner, Guido, Patronage und Gabentausch. Zur Archäologie vormoderner Sozialbeziehungen in der Politik moderner Gesellschaften, in: Berliner Debatte Initial 14 (2003), 168-183; Reinhard, Wolfgang, Freunde und Kreaturen. Historische Anthropologie von Patronage-Klientel-Beziehungen, in: Freiburger Universitätsblätter 139 (1998), S. 127-141.

[14] Vgl. zu diesem Spannungsfeld den Sammelband: Asch; Emich; Engels (Hg.), Integration.

[15] Vgl. die Instruktionen für die Nuntien Giangarzia Millini (Juni 1605), Decio Carafa (28. Mai 1607) und Antonio Caetani (27. Oktober 1611) in: Giordano, Silvano (Hg.), Le istruzioni generali di Paolo V ai diplomatici pontifici 1605-1621, Rom 2006, S. 296, 475 und 811.

[16] Banner, Lisa A., The Religious Patronage of the Duke of Lerma, 1598-1621, Farnham 2009; Thiessen, Hillard von, „Cosa veramente regia“. Die Grabmalsfiguren des Herzogs und der Herzogin von Lerma im Kontext der Selbstdarstellung des Günstling-Ministers als alter ego des Fürsten, in: Karsten, Arne (Hg.), Das Grabmal des Günstlings. Studien zur Memorialkultur frühneuzeitlicher Favoriten, Berlin 2011, 281-293.

[17] Thiessen, Hillard von, Korruption und Normenkonkurrenz. Zur Funktion und Wirkung von Korruptionsvorwürfen gegen die Günstling-Minister Lerma und Buckingham im Spanien und England im frühen 17. Jahrhundert, in: Engels, Jens Ivo; Fahrmeir, Andreas; Nützenadel, Alexander (Hg.), Geld – Geschenke – Politik (Historische Zeitschrift, Beiheft 48), München 2009, S. 91-120, bes. S. 100-111.

[18] Jezler, Peter, Jenseitsmodelle und Jenseitsvorsorge – eine Einführung, in: Ders. (Hg.), Himmel Hölle Fegefeuer. Das Jenseits im Mittelalter. Eine Ausstellung des schweizerischen Landesmuseums in Zusammenarbeit mit dem Schnüttgen-Museum und der Mittelalter-Abteilung des Wallraff-Richartz-Museums der Stadt Köln, München 1994, S. 13-26, bes. S. 17 f.; Kessel, Martina, Sterben/Tod: Neuzeit, in: Dinzelbacher, Peter (Hg.), Europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 1993, S. 260-273.

[19] Droste, Heiko, Patronage in der Frühen Neuzeit – Institution und Kulturform, in: Zeitschrift für historische Forschung 30 (2003), S. 555-590; Emich, Birgit; Reinhardt, Nicole; Thiessen, Hillard von; Wieland, Christian, Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für historische Forschung 32 (2005), S. 233-265.

[20] Thiessen, Diplomatie, S. 233-277.

[21] Ein Beispiel für die existentielle Krise einer vormaligen Papstfamilie stellt der Fall der Barberini dar, aus deren Reihen Papst Urban VIII. (1623-1644) stammte: Köchli, Ulrich, Nepoten, Pfründen und Klienten. Die Krise der Familie Barberini nach dem Tod Urbans VIII., in: Karsten, Arne; Thiessen, Hillard von (Hg.), Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, Göttingen 2006, S. 163-180.

[22] Reinhard, Wolfgang, Ämterlaufbahn und Familienstatus. Der Aufstieg des Hauses Borghese 1537-1621, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 54 (1974), S. 328-427, bes. S. 401.

[23] Windler, Christian, „Ohne Geld keine Schweizer“. Pensionen und Söldnerrekrutierung auf den eidgenössischen Patronagemärkten, in: Thiessen, Hillard von; ders. (Hg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für historische Forschung, Beiheft 36), Berlin 2005, S. 105-133,

[24] Elliott, John H., The Count-Duke of Olivares. The Statesman in an Age of Decline, New Haven 1986, S. 42-45 und 103-108.

[25] Wassilowsky, Günther, Die Konklavereform Gregors XV. (1621/22), Stuttgart 2010.

[26] Engels, Jens Ivo, Politische Korruption in der Moderne. Debatten und Praktiken in Großbritannien und Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 282 (2006), S. 313-350.



Literaturhinweise

  • Asch, Ronald G.; Emich, Birgit; Engels, Jens Ivo (Hg.), Integration - Legitimation - Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, Frankfurt am Main 2011.
  • Dandelet, Thomas J., Spanish Rome, 1500-1700, New Haven 2001.
  • Levin, Michael J., Agents of Empire. Spanish Ambassadors in Sixteenth-Century Italy, Ithaca 2005.
  • Reinhard, Wolfgang, Paul V. Borghese (1604-1621), Stuttgart 2009.
  • Thiessen, Hillard von, Diplomatie und Patronage. Die spanisch-römischen Beziehungen 1605-1621 in akteurszentrierter Perspektive, Epfendorf 2010.

Auszüge aus der Denkschrift für den Grafen von Castro (31. Mai 1609) und aus dem letzten Brief des Kardinals Ascanio Colonna an König Philipp III. von Spanien (18. Mai 1608)

Quelle 1

Auszug aus der Denkschrift für den Grafen von Castro, Botschafter König Philipps III. von Spanien am Heiligen Stuhl, Rom, 31. Mai 1609[1]


Dem hochberühmten und exzellenten Grafen von Castro, Botschafter in Rom. Am 31. Mai 1609.

Eure Exzellenz hat hier am römischen Hof mit verschiedenen Personen und unterschiedlichen Geschäften zu tun; und so werde ich, so gut ich kann, von beidem das berichten, was ich aus jahrelanger Erfahrung darüber weiß; und wenngleich Eure Exzellenz alle anderen an Klugheit übertrifft, soll das Folgende als Denkschrift dienen.

Dieser Hof ist aus verschiedenen Nationen zusammengesetzt: einheimische und auswärtige Italiener, Spanier, Franzosen, Burgunder und andere.

1. Die Einheimischen, mit schlechter Bildung, haben die alte Tugend und römische Tatkraft derart verloren, dass das Verdikt von Tiberius heute sehr gut zu ihnen passt: Homines ad servitutem nati. […] Sie hassen unsere Nation.

2. Die auswärtigen Italiener: Lombarden sind fügsam, wahrhaftig und haben gute Sitten und sind dem König ergeben. Die Neapolitaner sind arrogante Adlige von ehrbarem und zeremoniösem Umgang und geben sich spanisch. Die Florentiner sind gewandte Redner, wenig risikofreudig und neigen zu Frankreich. Die Genuesen sind geistreich und steigen aufgrund ihres Vermögens an diesem Hof in hohe Ränge auf, in denen sie sich Ehre machen. Unter ihnen gibt es Anhänger Frankreichs wie Spaniens. Nicht gut gelitten an diesem Hof sind die Venezianer, die mit mittelmäßigem Verstand begabt sind. Sie sind sehr neugierig bezüglich der Handlungen der Fürsten und im Herzen französisch. Sizilianer findet man an diesem Hof nur wenige, da sie Insulaner sind. Die Römer und die Einwohner des Kirchenstaats sind meist geistreich und umgänglich, folgen aber mehr ihren eigenen Interessen als den Faktionen der Spanier oder Franzosen.

[…]

8. An diesem Hof ist der Eigennutz sehr mächtig, und so ist es notwendig sich zu verhalten wie ein guter Jäger, der dem Sperber das Fleisch zeigt und ihm wenig und auch nur nach und nach gibt; denn wenn er ihm viel gibt, fordert er bald mehr und vergisst das bereits Bekommene […].

9. Die Seele dieses Hofes ist die Verstellung (disimulación); es empfiehlt sich, sie zu nutzen, weil Eure Exzellenz auf eine andere Weise Reputation weder erlangen noch bewahren wird.

10. Wer diesem Hof den Puls genommen hat, findet ihn schwach, veränderlich und auf äußeren Schein bedacht vor, und das täuscht leicht diejenigen, die ihn noch nicht erlebt haben. Daher ist es notwendig, ihn gut zu kennen und sich zu versichern, dass alles Schein und nicht wahr ist, viele Worte und wenig Werke, wenig Wild und viele Jäger; diese Erkenntnis wird für viele Dinge nützlich sein.

11. Dieser Hof ist höchst veränderlich, und daher ist es notwendig, als guter Steuermann die Segel nach dem Wind, der weht, auszurichten und nur den Dienst am König im Sinn zu haben, der das Ziel dieser Navigation ist.

12. An diesem Hof hört man weder ein schlechtes Wort noch sieht man ein gutes Werk, und der Eigennutz steht über allem.

13. Dieser Hof ist unserer Nation (nazión) nicht sehr gewogen, vor allem die Römer oder Romanesken (romanescos), wie sie sich selbst nennen, die mit ständigen Erzählungen von der Plünderung Roms [durch deutsche Landknechte und spanische Söldner in kaiserlichen Diensten im Jahre 1527] aufgewachsen sind und daher immer diesen Hass bewahren; und so darf man ihnen nicht trauen, noch ihnen glauben, so gewogen sie sich auch geben mögen, und ihnen auch keine Gnade erweisen, denn sie sind undankbar und falsch; man sollte sie mit vagen Versprechungen bei Laune halten und sein lassen, wie sie sind.

[…]

33. Mit den Untertanen [des spanischen Königs] solltet ihr, wenn sie Spanier sind, große Vertrautheit, gute und einfache Freundschaft pflegen und die meisten der Geschäfte mit ihnen besprechen, weil sie helfen, sie zu erleichtern, aber dies so, dass die Leitung in der Hand Eurer Exzellenz liegt.

34. Wenn sie Neapolitaner, Mailänder oder Sizilianer sind, pflegt guten Umgang (buena correspondencia) mit ihnen und Zurückhaltung, besprecht mit ihnen nur Dinge von geringer Wichtigkeit so, dass es den Anschein hat, dass man vertraulichen Umgang mit ihnen pflegt; aber haltet die wichtigen Dinge zurück, da sie letztlich gekaufte Untertanen und Kreaturen des Papstes und nicht des Königs sind.

35. Zollt den wahren Anhängern Spaniens, ob sie es aufgrund einer natürlichen Neigung sind oder einfach, weil es schon ihre Vorfahren waren, alle Ehre und empfangt sie gut, so dass sie davon ausgehen, dass Seine Majestät ihnen Gnade gewähre, doch unter Berücksichtigung der Qualitäten und Dienste eines jeden einzelnen, da es nicht alle verdienen.

36. Mit den Feinden übt wenig vertrauten Umgang, seid höflich und gebt gute Worte und leistet ihnen irgendwelche Dienste; denn wenn man sie auch nicht völlig für sich gewinnen kann, so erweicht man sie doch derart, dass sie bei entsprechenden Gelegenheiten zu unseren Gunsten neigen.

37. Eure Exzellenz bitte sie weder um Dienste, noch nehmt Ihr diese wegen ihres Geldes an, weil es beim König und seinen Feinden Argwohn erwecken wird.

38. Die Neutralen sind gefährlich und von geringem Nutzen, weil sie gewöhnlich Leute von übermäßigem [Glaubens-]Eifer sind, die anmaßend sind und sich Luftschlösser (torres de viento) bauen; diesen blast den Kopf mit diesen voll, haltet sie mit Hoffnungen hin, ohne ihnen zu vertrauen, und wenn es möglich ist, bringt sie mit geeigneten Mitteln dazu, dass sie sich auf unsere Seite schlagen, alsdann werden sie nützlich sein […].

39. Der König braucht die Kardinäle heutzutage nicht mehr, außer für die Stimme bei der Wahl des Papstes. Heute muss man sich nicht mehr vor irgendjemandem [im Kardinalskollegium] fürchten, weil selbst ein arger Feind heute vor der Notwendigkeit steht, Spanien zu folgen, wenn er sein Haus bewahren und unterhalten will, was sein Ziel ist. Denn Spanien ist das einzige Land, das heute diesen Hof unterhält. Alles in allem ist es gut, dass Seine Majestät ihnen [den Kardinälen] ihre Dienste vergüte, die sie leisteten, […] auf dass sie verstehen mögen, dass der, der sich bei entsprechenden Gelegenheiten diensteifrig zeigt und sich ernsthaft dem Dienst an Seiner Majestät widmet, entlohnt wird, und dass die [spanischen] Pensionen nicht aus Verpflichtung heraus, sondern als Lohn für Dienste vergeben werden, und es ist notwendig, das klarzustellen, damit sie es verstehen.

[…]

43. Was die Minister und Richter dieses Hofes anbelangt, so ist der wichtigste, von dem alle anderen abhängen, der Neffe des Papstes. Mit ihm muss Eure Exzellenz viel Kontakt pflegen, ihn vollkommen umgarnen und Euch für alles, was Ihr [von ihm] erhaltet, dankbar erweisen, um ihn für Euch und den König zu gewinnen, so dass er aus dessen Händen Grandeur und Einkünfte für sich erwartet.

[…]


Quelle 2

Auszug aus dem letzten Brief des Kardinals Ascanio Colonna an König Philipp III. von Spanien, 18. Mai 1608[2]


[Der Verfasser wendet sich an den König als] Beweis der Liebe und des guten Willens, welche ich immer für den königlichen Dienst gehegt habe, und um untertänigst Eure Majestät zu bitten, Seine Güte und Milde bei dieser Gelegenheit zu zeigen, indem Ihr mir alle Fehler verzeiht, die ich begangen haben mag, und die Schuld, die ich in Angelegenheiten, die Eure Majestät mir anvertraute, auf mich geladen haben mag, so viel es auch gewesen sein mag; so wird die Größe Eurer Majestät umso mehr leuchten, der ich versichere, dass ich, wenn Gott mich seiner Gnade teilhaftig werden lässt, wie ich erhoffe, die göttliche Majestät um das Glück und Fortkommen dieser Krone bitten werde. […]



[1] Auszug aus der Denkschrift für den Grafen von Castro, Botschafter König Philipps III. von Spanien am Heiligen Stuhl, Rom, 31. Mai 1609, ediert in: Giordano, Silvano (Hg.), Istruzioni di Filippo III ai suoi ambasciatori a Roma 1598-1621, Rom 2006, S. 191-200; Übersetzung des Textes durch Hillard von Thiessen.

[2] Auszug aus dem letzten Brief des Kardinals Ascanio Colonna an König Philipp III. von Spanien, 18. Mai 1608, in: Archivo General de Simancas, Estado legajo 989 (unfol.); Übersetzung durch Hillard von Thiessen.


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Hillard von Thiessen

( 2012 )
Zitation
Hillard von Thiessen, Patronagekultur in den Außenbeziehungen in der Frühen Neuzeit. Politische Abhängigkeit, Fremdwahrnehmung und die gemeinsame ethische Basis sozialer Beziehungen im spanisch-römischen Verhältnis des frühen 17. Jahrhunderts, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2012, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1561>.
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