Gruppenbild mit Leiche. Wie die Resistenza den Tod Mussolinis in einer Ausstellung präsentierte[1]
Von Verena Kümmel
„Der letzte Brief – der letzte Platz – die letzte Menschenmenge Mussolinis“ steht auf Französisch auf der Tafel einer Wanderausstellung, mit der die Resistenza ab 1946 ihre Verdienste international propagierte. Den Hintergrund der hier gezeigten Tafel[2] bildet eine vergrößerte schwarzweiße Fotografie, über dem Schriftzug ist ein liniertes Blatt mit einer handschriftlichen Notiz reproduziert worden. Weder der Text noch das Foto erschließen sich auf den ersten Blick. Auch auf den zweiten Blick vermag man in der dichtgedrängten Menschenmenge im Hintergrund nur wenige Details zu erkennen. Vor allem Mussolini, den der gedruckte Text ankündigt, ist nicht leicht auszumachen. Seine Unterschrift auf dem kurzen Brief lässt sich erahnen. Doch was hat es mit dem Platz und der Menschenmenge auf sich?
Brief und Schriftzug wurden auf die rechte Hälfte der Bildtafel montiert. Die linke Hälfte blieb frei und so erkennt man, dass sich die Menschen auf der Abbildung um etwas auf dem Boden drängen. Im Bildvordergrund mit dem Rücken zur Kamera stehen einige Personen mit geschulterten Gewehren. Bei den Objekten auf dem Boden, denen die Aufmerksamkeit der Umstehenden gilt, handelt es sich um menschliche Körper. Genauer, um die sterblichen Überreste Mussolinis, seiner Geliebten und einiger hoher Funktionsträger des Faschismus, die am 28. April 1945 in Dongo erschossen und am 29. April 1945 in Mailand auf dem Piazzale Loreto der Bevölkerung präsentiert wurden. Geht es heute um diese Ereignisse bei Kriegsende, werden meist Bilder des kopfüber an den Füßen aufgehängten Mussolinis gezeigt.[3] Doch aus den verfügbaren Bildern wählten die Ausstellungsmacher eine andere Szene desselben Tages aus.[4] Hier nimmt die Menschenmenge den meisten Raum ein, während die Faschisten kaum zu identifizieren sind. Einzig Mussolinis markanter Kopf ist auf der linken Seite etwas unterhalb der gedachten Mittellinie deutlich, zwischen zwei Männern hindurch, zu erkennen.
Die Aufnahme, auf der diese Collage basiert, ist ein Pressefoto des italienischen Fotoreporters Tullio Farabola.[5] Seine Bilder gehören zu den bekanntesten Aufnahmen, die während der Befreiung Mailands Ende April 1945 entstanden sind, und wurden auch international stark rezipiert. So könnten die zeitgenössischen Betrachter das Bild möglicherweise gekannt haben. Seit dem Machtantritt Mussolinis 1922 waren Bilder von ihm allgegenwärtig und sein Profil hat bis heute einen hohen Wiedererkennungseffekt. In seiner Selbstdarstellung und dem Kult um seine Person haben Fotografien eine wichtige Rolle gespielt.[6] Die Inszenierung der vorgestellten Ausstellungstafel bezieht sich auf die mediale Omnipräsenz Mussolinis, indem sie dessen eigene Herrschaftsdarstellung verkehrt. Dies geschieht in der Collage auf mehreren Ebenen zugleich. Zunächst in der Fotografie: Aufnahmen aus der Amtszeit Mussolinis zeigen ebenfalls häufig Menschenmengen, die sich auf die Person Mussolini hin ausrichten, um seinen Ansprachen zu lauschen. Dabei war die Person Mussolini allerdings herausgehoben oder erhöht, etwa weil er auf einem Balkon oder einer Bühne stand. Im Tod verkehrt sich dieses Kräfteverhältnis, die Menge schaut auf ihn herab. Der Text auf der Tafel greift dieses Spiel mit der faschistischen Selbstdarstellung auf. „Der letzte Platz – die letzte Menschenmenge Mussolinis“ bezieht sich genau auf diese Tradition der Menschenaufläufe während des Faschismus. Diese fanden meist auf den größten Plätzen der italienischen Städte statt, am häufigsten vor Mussolinis Amtssitz in Rom, auf der Piazza Venezia. Aufnahmen dieser Veranstaltungen wurden von der Propaganda in ganz Italien verbreitet. Die Grafiker der Ausstellung griffen hier die Bildsprache der Faschisten auf und verdeutlichten so die Umkehrung der Machtverhältnisse. Zusätzlich unterstrichen wird Mussolinis Machtverlust durch seinen ebenfalls abgedruckten „letzten Brief“, in dem er berichtet, dass ihn die 52. Garibaldi-Brigade am 27. April in Dongo gefangen genommen habe, aber anständig behandele. Durch dieses Dokument wird aber auch ein zusätzlicher Aspekt der Komposition betont, nämlich die Frage nach den handelnden Personen und der Verantwortung für diese Ereignisse. Denn Mussolini und die Faschisten waren nun nicht mehr die Gestaltenden, gleichzeitig erscheint aber auch die Menschenmenge nur als Publikum. Die Collage lässt offen, wie es von der anständigen Behandlung nach der Gefangennahme zum Tod Mussolinis und seiner Begleiter kam. Der Brief liefert aber einen Hinweis zur Einordnung der Männer mit den geschulterten Gewehren: Sie gehören der bewaffneten italienischen Widerstandsbewegung an.
Der ehemalige ‚Duce‘ war von der 52. Garibaldi-Brigade, einer Kampfeinheit der Partisanen, gefangen genommen worden. Sie inhaftierten Mussolini zunächst zusammen mit seiner Geliebten, Clara Petacci, in einem Bauernhaus bei Giuliano di Mezzegra. Doch dort holten zwei Vertreter des Nationalen Befreiungskomitees für Norditalien (CLNAI) die Gefangenen am nächsten Tag ab und erschossen sie in einer Hofeinfahrt vor dem Dorf. Auch die mit Mussolini reisenden Faschisten waren am Nachmittag des 28. April 1945 ohne Prozess exekutiert worden. Mit der Erschießung setzte sich der CLNAI über Absprachen hinweg, die er mit den Alliierten und der Regierung in Rom getroffen hatte. Statt nach der Befreiung Norditaliens die Machtbefugnis und damit die Entscheidung über das Schicksal Mussolinis an die Alliierten abzugeben, entschieden sich einige Partisanen dazu, ihn zu erschießen.[7] Durch die Exekution unterstrich die Resistenza nicht nur ihren Anspruch als die Befreier Norditaliens wahrgenommen zu werden, sondern verschaffte ihrem Wunsch nach Selbstbestimmung Nachdruck. Dieses Selbstverständnis kommt wiederum in der Gestaltung der Ausstellungstafel zum Ausdruck: Während die Ereignisse des 28. April ausgeblendet werden, drückt sich in dem Bild der am Boden liegenden, von der Menge umringten Leichen der Machtanspruch der Partisanen aus. Auf dem Piazzale Loreto präsentierten sie ihren Erfolg: Sie hatten Mussolini und mit ihm einige der führenden Faschisten getötet. Die sterblichen Überreste der Faschisten waren dazu extra aus den entlegenen Dörfern am Comer See nach Mailand gebracht worden. Die Partisanen standen um die Leichen und die geschulterten Gewehre waren nicht nur wichtige Waffen in dem noch schwelenden Bürgerkrieg, sondern zugleich Symbol für Macht bzw. Herrschaftsgewalt. Sie waren nicht auf Personen gerichtet, aber dennoch einsatzbereit. Die Fotografie dokumentiert einen Moment, in dem die Partisanen als die ordnungsstiftende Kraft fungieren und die sich dicht um die Leichen drängenden Menschen zurückhalten. Der Eindruck von Ordnung wird von der serifenlosen Schriftart und den klaren äußeren Konturen des Briefes unterstützt. So wird ein visueller Gegenakzent zum Durcheinander der Menschenansammlung gesetzt.
Die Formel „der letzte Brief – der letzte Platz – die letzte Menschenmenge Mussolinis“ ist also keinesfalls im Sinne eines ehrenden Nachrufes zu verstehen, so wie es die Worte für sich genommen auch vermuten lassen könnten und wie es der Tradition entspräche, beim Tode einer Person deren letztem Bild und den letzten Lebensstunden besondere Ehrerbietung zu schenken.[8] Vielmehr geschieht hier genau das Gegenteil: Mittels eines der letzten Bilder von Mussolini wird sein totaler Machtverlust inszeniert. Dies wird verstärkt durch den Einsatz seines „letzten Briefs“, in dem er selbst diesen Machtverlust zum Ausdruck bringt. Der retrospektiv schon als zynisch zu bezeichnende Titel der Tafel steigert diesen Eindruck noch zusätzlich.
Doch in welchem Kontext sind diese Tafel und die dazugehörige Ausstellung entstanden? Bereits im Sommer 1945 zeigte der Corpo Volontari della Libertà (CVL), die zentrale Organisation der Partisanen, eine Fotoausstellung zur nationalen Befreiung in Turin. Im Juli 1945 wurde auf Veranlassung der offiziellen Parteizeitung der Kommunistischen Partei Italiens (L’Unità) eine Ausstellung zur Befreiung in Mailand präsentiert.[9] Dort folgte dann auch eine Ausstellung zu Widerstand und Wiederaufbau, während die Turiner Ausstellung als Wanderausstellung über den Widerstand in Piemont am 3. Oktober 1945 in Grenoble und am 15. November in Nizza eröffnete. Doch diese kehrte bald nach Italien zurück, da dem CVL von Mitgliedern des französischen Widerstands in Grenoble in Aussicht gestellt worden war, während der Friedenskonferenz in Paris, die im folgenden Sommer stattfinden sollte, eine solche Ausstellung zu präsentieren.
Diese Annährung zwischen französischem und italienischem Widerstand war keine Selbstverständlichkeit.[10] Schließlich hatten sich die Italiener an der Besetzung Frankreichs beteiligt. Dass dies zunächst schwerer wog als die gemeinsame Erfahrung des Widerstands, zeigt das Schicksal von Resistanza-Mitgliedern, die vor der Verfolgung durch deutsche Truppen in Frankreich Schutz suchten: Sie wurden anfangs noch gefangen genommen oder des Landes verwiesen.[11] Doch die Widerstandsorganisationen beider Länder näherten sich bereits im Herbst 1945 einander an. Dabei wirkte die Turiner Ausstellung vermittelnd. Die Einladung nach Paris, durch den Conseil national de la résistance, erfolgte zu einem Zeitpunkt, als Frankreich offiziell in die Reihen der Sieger aufgenommen worden war. Zuvor war das Land aufgrund der Kollaboration des Vichy-Regimes von den Großmächten nicht als gleichberechtigter Partner behandelt worden. Diese Erfahrung mag ebenso wie der Kampf gegen die deutschen Besatzer die französischen Mitglieder der Résistance veranlasst haben, ihren italienischen Kameraden das Angebot zu unterbreiten, während der Friedenskonferenz eine Ausstellung über ihren Anteil an der Befreiung Italiens zu präsentieren. Die Kontaktaufnahme zwischen den beiden Widerstandsbewegungen verlief erfolgreicher als die diplomatischen Annäherungen zwischen den Regierungen in Paris und Rom. Diese hätten nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes im September 1943 bereits wieder angestrebt werden können, doch während die Vereinigten Staaten, Großbritannien und die Sowjetunion bereits 1944 die diplomatischen Beziehungen mit Italien wieder aufnahmen, folgte Paris erst im Februar 1945.[12]
Dieses Zögern ist durch die besonders konfliktbehaftete Situation zwischen den beiden Ländern zu erklären. Die territorialen Streitfragen wurden zum zentralen Punkt der Friedensverhandlungen. Die Verhandlungen über die Rahmenbedingungen für Friedensverträge mit den ehemaligen deutschen Verbündeten, Italien, Rumänien, Bulgarien, Ungarn und Finnland, waren zunächst auf mehreren Treffen des Außenministerrats geführt worden, bevor sich Delegierte aus 21 Nationen auf der Pariser Friedenskonferenz vom 29. Juli bis 15. Oktober auf die Ausgestaltung der Verträge verständigen sollten. Auf dieser Konferenz hatten die unterlegenen Nationen nur das Recht, Stellungnahmen zu verlesen. Das Angebot, eine Ausstellung zu diesem Zeitpunkt in Paris zeigen zu können, wurde daher von der Regierung aufgegriffen und sie beteiligte sich an den entstehenden Kosten. Die Hauptverantwortung blieb jedoch beim CVL, der einen Beirat ins Leben rief, in dem auch Mitglieder des CLNAI und der Regierung saßen. Die Ausstellung wurde als Wanderausstellung konzipiert und sollte auch in den Vereinigten Staaten und Großbritannien gezeigt werden. Der thematische Schwerpunkt wurde auf den italienischen Beitrag zum Kampf gegen den Faschismus gelegt. Dabei wurde neben der Darstellung des bewaffneten Kampfes auch betont, welche Opfer das italienische Volk unter dem Faschismus und der deutschen Besatzung erbracht hatte und dass es sich in Norditalien selbst erhoben und befreit hätte. Die Intention war aufzuzeigen, dass Italien durch die Taten der Partisanen und Antifaschisten bewiesen habe, dass es bereit sei, wieder in den Kreis der demokratischen Nationen aufgenommen zu werden.[13] Zu sehen war die Ausstellung unter dem Titel La résistance italienne vom 14. bis 26. Juni 1946 im Musée des Beaux Arts. Sie umfasste allein 135 Tafeln, dazu kamen dann noch die Objekte. Dieser Umfang scheint der Grund dafür gewesen zu sein, dass der Plan, die Ausstellung durch Europa und die USA touren zu lassen, aufgegeben wurde, obwohl die Reaktionen auf die Präsentation, besonders in Frankreich, sehr positiv waren. Der Präsident der provisorischen französischen Regierung, Félix Gouin, soll nach dem Besuch der Ausstellung geäußert haben, dass es von großer Bedeutung sei, im Ausland das wahre Ausmaß des Beitrags des italienischen Volkes zum Befreiungskrieg bekannt zu machen.[14] Dies war ganz im Sinne der italienischen Abordnung in Paris, entsprach es doch ihrem Selbstverständnis, wonach sich ihr Land durch den Beitrag der Partisanen und den Frontwechsel bereits rehabilitiert habe.
Um diese Sichtweise auch in anderen europäischen Ländern bekannt zu machen, hielt die Resistenza an der Idee einer Wanderausstellung fest, doch verzögerte sich die Präsentation dadurch, dass man die Pariser Ausstellung von Grund auf neu konzipierte und auf 80 Tafeln kürzte um Transportkosten zu sparen. Dabei wurde die Größe der Platten von 120 x 120 cm auf 60 x 70 cm reduziert. Zugleich wurde der Aspekt der Befreiung um den des Wiederaufbaus ergänzt. Zu dieser zweiten Fassung der Ausstellung gehörte auch die hier vorgestellte Tafel.[15] Die grafische Gestaltung der meisten Platten bestand aus einer Fotografie als Hauptmotiv, die dann durch Text, Daten, farbliche Akzente oder ein kleineres Foto ergänzt wurde. Farbe wurde von den Kuratoren Remo Muratore und Italo Pietra, die bereits an der Pariser Ausstellung mitgearbeitet hatten und am Widerstand teilgenommen hatten, sehr zurückhaltend eingesetzt. Die Konzentration auf meist nur ein Dokument pro Tafel erhöhte deren symbolische Bedeutungen, doch durch die Montage mit Statistiken, Zeitungsartikeln oder einer anderen Fotografie wurde die Rezeption im Sinne der Ausstellungsmacher gelenkt. Über die Collagen vermittelten sich die Inhalte einem Publikum, das den Zweiten Weltkrieg selbst miterlebt hatte, auch ohne ausführliche Begleittexte, was ein Spiel mit Assoziationen möglich machte.
In dieser Wanderausstellung ging es zwar um die Resistenza, doch sollte die europäische Erfahrung des Kampfes gegen den Nationalsozialismus beschworen werden. Als erste Station war für den Dezember 1946 Bordeaux vorgesehen, doch die französische Regierung entzog im letzten Moment ihre Zustimmung. Die Ausstellungstafeln waren bereits versandt, als die französischen Veranstalter das Befreiungskomitee darüber informierten, dass die Ausstellung auf Beschluss der Regierung verschoben, de facto abgesagt würde.[16] Gründe für die Annullierung sind keine bekannt, aber sie verdeutlicht, dass die französische Partisanenorganisation nicht unabhängig über ihre Veranstaltungen entschied. Die Friedenskonferenz war in der Zwischenzeit beendet und die Grundlinie der Verträge festgelegt worden. Eine Einflussnahme auf den Ausgang der Friedensverhandlungen konnten sich nun weder die französischen noch die italienischen Partisanen erhoffen. Dennoch gastierte die Ausstellung in den nächsten Monaten in zahlreichen Schweizer Städten, darunter Zürich, Genf, Bern, Luzern und Lugano. Da sie für ein französischsprachiges Publikum konzipiert worden war, stellte die Sprache in der Schweiz keine besondere Schwierigkeit dar. Ganz anders dürfte das in Prag gewesen sein, wo die Tafeln auch gezeigt wurden. Obgleich die Tafeln auf ein intuitives Verständnis angelegt waren, mussten ihnen hier aber erklärende Texte beigefügt werden. Dies galt auch für die Präsentation in Italien selbst, wo die Ausstellung vor allem im Norden, in Mailand, Turin, Florenz und Pisa, aber auch in der Hauptstadt und im süditalienischen Neapel gezeigt wurde. Dass die Ausstellung, die sich auf Aktivitäten des Befreiungskomitees für Norditalien bezog, innerhalb Italiens fast ausschließlich in dessen Wirkungsbereich gezeigt wurde, ist nicht nur ein Ausdruck von Selbstbestätigung, sondern unterstreicht auch die Folgen der Teilung des Landes im September 1943. Durch die Verallgemeinerung der Handlungen der norditalienischen Widerstandskämpfer wurde die Resistenza zum Aushängeschild der italienischen Republik. Für einen Dialog mit der süditalienischen Bevölkerung war eine derartige Präsentation wenig förderlich, und so scheint es wahrscheinlich, dass die Ausstellungsmacher sich damit begnügten die Tafeln innerhalb der eigenen Reihen wandern zu lassen.
Ein Grund für die Wahl der ausländischen Ausstellungsorte mag die Suche nach Verbündeten gewesen sein, nachdem die Konsequenzen des Friedensvertrags für Italien bekannt wurden.[17] Die Anerkennung des Friedensvertrags 1947 hieß für Italien nicht nur bedeutenden territorialen Verlusten und der Abrüstung der eigenen Armee zuzustimmen, sondern auch seinen Status als Weltmacht aufzugeben. Vor diesem Hintergrund kann die Fortsetzung der internationalen Wanderausstellung so gedeutet werden, dass die Resistenza immer noch die Hoffnung hatte ihr Land moralisch rehabilitieren zu können. Die Schweiz als direktes Nachbarland schien dabei die logische Wahl eines Verbündeten zu sein. Auch in Prag durften die italienischen Partisanen auf Sympathie hoffen, hatten sich die Bürger der Stadt doch am 5. Mai 1945 ganz ähnlich wie die Mailänder Ende April gegen die Deutschen erhoben. Ob die Ausstellung auf Wunsch tschechischer Antifaschisten nach Prag gebracht wurde, ist nicht bekannt. Hingegen wandte sich ein italienischer Verein aus Amsterdam bereits im März 1946 an das Befreiungskomitee in Mailand, da er eine Ausstellung über den Widerstand in Italien entwickeln wollte und dafür Material suchte.
Die Summe dieser Ausstellungen zeigt nicht nur, dass die Resistenza nach Ende des Zweiten Weltkriegs den Kontakt zu anderen europäischen Kameraden und Antifaschisten suchte, sondern vor allem, dass sie ein erhebliches Sendebewusstsein hatte. Die Hauptnachricht war in jeder der erwähnten Ausstellungen dieselbe: Die Resistenza hat einen großen Beitrag zum Ende des Faschismus und des Nationalsozialismus geleistet. Das Ziel hinter dieser Botschaft ist zum einen die Anerkennung der Leistungen und Opfer des Widerstandskampfes und zum anderen die moralische Rehabilitierung des italienischen Volkes. Die Frage über die zukünftige Staatsform wurde in Italien erst am 2. Juni 1946 per Plebiszit zu Gunsten einer Republik beantwortet, in der Zeit davor dokumentierten die Ausstellungen zumindest den Bruch mit dem Faschismus. Außenpolitisch wollte Italien, auch nach der Ratifizierung des Friedensvertrags im Sommer 1947, nicht den Anschluss an die internationale Politik verlieren. Für die innenpolitische Stabilität wie auch die internationalen Beziehungen war die Anerkennung der Leistung des italienischen Widerstands daher sehr wichtig. Diese Ausstellungen zeigen aber auch, wie früh bereits die Basis für die Resistenza als Gründungsmythos der Italienischen Republik gelegt wurde.[18] Dabei waren die Adressaten allerdings weniger in Italien selbst, sondern auf internationaler Ebene zu suchen. Insbesondere nach Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Tschechien wurde die Sichtweise der italienischen Bevölkerung als Widerstand leistendes und unter dem Krieg leidendes Volk schon früh exportiert.
Die Rezeption und Wirkmächtigkeit derartiger Ausstellungen war jedoch nicht kalkulierbar. Dies verdeutlicht abschließend noch einmal die Tafel mit den vermeintlich letzten Momenten Mussolinis, die aber weder die Sterbeszene noch den Fortgang der Ereignisse in Mailand zeigte. Dass die sterblichen Überreste nur kurz nach der dargestellten Szene einer Leichenschändung zum Opfer fielen und die Partisanen die Leichen kurzerhand mit Seilen an den Dachbalken einer Tankstelle aufhängten, wird genauso ausgeblendet wie die Exekution ohne vorhergehenden Prozess. Die Partisanen hatten kein Interesse daran, die Erinnerung an die Eskalation durch die Verwendung der Schockbilder von den entstellten Leichnamen wieder anzufachen, dennoch wollten sie ihren Triumph über Mussolini und ihren Anspruch auf Selbstbefreiung zum Ausdruck bringen. Die Kuratoren waren sonst nicht zimperlich bei der Auswahl ihrer Bildmotive, doch hier sollte die ordnungsstiftende Rolle der Partisanen für diese konkrete Szene, aber auch für den Aufbau einer friedlichen Nachkriegsordnung unterstrichen werden. Vor dem Hintergrund der Friedensverhandlungen in Paris musste es der Resistenza besonders wichtig sein, ihren wohl unbestreitbarsten Beitrag zum Kriegsende in Italien, nämlich die Gefangennahme Mussolinis und zahlreicher hochrangiger Faschisten, so vorschriftsmäßig wie möglich erscheinen zu lassen. Diese Interpretation konnte in der Logik der Ausstellung funktionieren und solange keine Bilder bekannt waren, die andere Szenen auf dem Piazzale Loreto am 29. April 1945 dokumentierten. Doch eben diese Bilder, der an den Füßen aufgehängten Leichen, haben heute den höheren Bekanntheitsgrad.
[1] Essay zur Quelle: „Der letzte Brief – der letzte Platz – die letzte Menschenmenge Mussolinis“ (Mailand 1946).
[2] Remo Muratore, Italo Pietra (Comando generale del Corpo volontari della libertà), 15.D. L'ultima lettera. L'ultima piazza. L'ultima folla di Mussolini, Mailand 1946, Originalgröße 60 x 70 cm, Spanplatte/Papier, Istituto nazionale per la storia del movimento di liberazione in Italia (Insmli). Abgedruckt in: Mignemi, Adolfo; Solaro, Gabriella (Hgg.), Un'immagine dell'Italia. Resistenza e ricostruzione. Le mostre del dopoguerra in Europa, Mailand 2005 (Ausst.-Kat. Mailand 25. April– 5. Juni 2005), S. 157.
[3] Ausführlicher Kümmel, Verena, Faustpfand und Ballast. Die Leiche Benito Mussolinis und die italienische Gesellschaft, in: Großbölting, Thomas; Schmidt, Rüdiger (Hgg.), Der Tod des Diktators. Ereignis und Erinnerung im 20. Jahrhundert, Göttingen 2011, S. 59–79; dies, Von Dongo nach Predappio. Der Umgang mit der Leiche Benito Mussolinis, in: QFIAB 89 (2009), S. 317–351.
[4] Alle Hintergrundinformationen zu dieser Ausstellung stammen aus Mignemi, Adolfo, La mostra ritrovata, in: ders.; Solaro, Gabriella (Hgg.), Un'immagine dell'Italia. Resistenza e ricostruzione. Le mostre del dopoguerra in Europa, Mailand 2005, S. 111–116 und Katalogteil S.117–171.; der Sammelband stellt auch die anderen Ausstellungen zum italienischen Widerstand, die zwischen 1945 und 1947 entstanden und auf die später noch eingegangen wird, vor.
[5] Vgl. FARABOLAFOTO 10645. Milano – Piazzale Loreto – April 1945, 18,97 x 26,80 cm, in: Archivi Farabola (A.F.).
[6] Vgl. exemplarisch Zimmermann, Clemens, Das Bild Mussolinis. Dokumentarische Formungen und die Brechungen medialer Wirksamkeit, in: Paul, Gerhard (Hg.), Visual History. Ein Studienbuch, Göttingen 2006, S. 225–242.
[7] Vgl. Woller, Hans, Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948, München 1996, bes. S. 252, 260–263; Luzzatto, Sergio, Il Duce – das Leben nach dem Tod, Frankfurt am Main 2008, hier S. 70 ff.; Ginsborg, Paul, A History of Contemporary Italy. Society and Politics 1943–1988, London 1990, S. 67f. Dass es zu den Ereignissen dieses Tages immer noch zahlreiche Spekulationen gibt, legte zuletzt Milza, Pierre, Les Derniers jours de Mussolini, Paris 2010 dar.
[8] Héran, Emmanuelle (Hg.), Le Dernier Portrait, Paris 2002 (Ausst.-Kat. Musée d'Orsay).
[9] Vgl. Mignemi; Solaro (Hg.), Un'immagine dell'Italia; Azzaro, Pierluca, Italien. Kampf der Erinnerungen, in: Flacke, Monika (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 343–364, bes. S. 344.
[10] Das von der italienischen Armee im Südosten Frankreichs besetzte Territorium umfasst auch die Ausstellungsstationen Nizza und Grenoble. Vgl. die Karte in Carpentier, Jean; Lebrun, François (Hgg.): Histoire de l'Europe, Paris 1990, S. 407. Grillère, Diane, L’occupation italienne en France de 1940 à 1943. Administration, souveraineté, rivalités, in: Diacronie 4 (2010), URL: <http://www.studistorici.com/2010/10/29/grillere_numero_4> (29.10.2012); Rodogno, Davide, Il nuovo ordine mediterraneo. Le politiche di occupazione dell'Italia fascista in Europa (1940–1943), Turin 2003.
[11] Vgl. Serra, Schwieriger Neubeginn. Italien und Frankreich 1943–1951, in: Woller, Hans (Hg.), Italien und die Großmächte 1943–1949, München 1988, S. 167.
[12] Ebd., S. 167–168.
[13] Solaro, Gabriella, Exposition de la résistance italienne, in: Mignemi; dies. (Hgg.), Un'immagine dell'Italia, S. 92–94, bes. S. 93.
[14] La 'Resistenza' italiana e la Mostra di Parigi, in: Corriere della Sera, 27. Juni 1946, S. 2.
[15] Unter welchem Titel die Ausstellung in den unterschiedlichen Städten präsentiert wurde, ist nicht sicher.
[16] Solaro, Gabriella, Mostra di Bordeaux, in: Mignemi; dies. (Hgg.), Un'immagine dell'Italia, S. 104.
[17] Vgl. Helmes, Markus, Italien im Kalten Krieg. Der Pariser Friedensvertrag von 1947, in: Zeitgeschichte 25 (1998), Nr. 1/2, S. 5–35.
[18] Vgl. nur Petersen, Jens, Wandlungen des italienischen Nationalbewußtseins nach 1945, in: QFIAB 71 (1991), S. 699–748.
Literaturhinweise
Azzaro, Pierluca, Italien. Kampf der Erinnerungen, in: Flacke, Monika (Hg.), Mythen der Nationen. 1945 – Arena der Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 2004, S. 343–364.
Helmes, Markus, Italien im Kalten Krieg. Der Pariser Friedensvertrag von 1947, in: Zeitgeschichte 25 (1998), Nr. 1/2, S. 5–35.
Lorenzini, Sara, L'Italia e il trattato di pace del 1947, Bologna 2007.
Mignemi, Adolfo; Solaro, Gabriella (Hgg.), Un'immagine dell'Italia. Resistenza e ricostruzione. Le mostre del dopoguerra in Europa, Mailand 2005 (Ausst.-Kat. Mailand 25. April – 5. Juni 2005).
Woller, Hans (Hg.), Italien und die Großmächte 1943–1949, München 1988.