Die Ambivalenzen der Europäisierung: Einführung in ein Forschungsprogramm

„‚Trajectorism‘ is the great narrative trap of the West and is also, like all great myths, the secret of its successes in industry, empire and world conquest.“ Die Quintessenz der westlichen Epistemologie bestehe, so Arjun Appadurai, in Zielgerichtetheit: Sie sichere den Erfolg des (west-)europäischen Zivilisationsmodells, stelle aber zugleich die größte „Falle“ des (west-)europäischen Selbstverständnisses dar. Appadurai nennt „trajectorism“ das, was andere ForscherInnen als Teleologie bezeichnen. Er versteht darunter die Auffassung der Zeit als einem Pfeil, der in eine präzise Richtung zeigt, sowie von historischen Prozessen und von der Geschichte selbst als Träger eines einheitlichen Telos.

Die Ambivalenzen der Europäisierung. Einführung in ein Forschungsprogramm[1]

Von Clara M. Frysztacka

„‚Trajectorism‘ is the great narrative trap of the West and is also, like all great myths, the secret of its successes in industry, empire and world conquest.“[2] Die Quintessenz der westlichen Epistemologie bestehe,so Arjun Appadurai, in Zielgerichtetheit: Sie sichere den Erfolg des (west-)europäischen Zivilisationsmodells, stelle aber zugleich die größte „Falle“ des (west-)europäischen Selbstverständnisses dar. Appadurai nennt „trajectorism“ das, was andere ForscherInnen als Teleologie bezeichnen. Er versteht darunter die Auffassung der Zeit als einem Pfeil, der in eine präzise Richtung zeigt, sowie von historischen Prozessen und von der Geschichte selbst als Träger eines einheitlichen Telos. Auf den Inhalt dieses Telos verweisen die Studien von Reinhardt Koselleck über die Zeit. Die Zeitlichkeit der Moderne erhält nach Koselleck in der „Sattelzeit“ – dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert – ihre wirkungsmächtigste Form: Es ist die moderne Kategorie des Fortschritts, deren normativ-teleologischer Kern entscheidend von den europäisch/eurozentrischen Erfahrungsgehalten und wertgeladenen historischen Meistererzählungen der Französischen und der Industriellen Revolution gestaltet wurde.[3]

Die strukturelle Verbindung zwischen Teleologie, Moderne und Europa liefert die Grundlage für eine Diagnose, die die HerausgeberInnen dieses Bandes über den Begriff der Europäisierung formulieren: Europäisierung bringt als Terminus den (nie vollendeten) Prozess des Werdens bzw. des (sich) Schaffens Europas zum Ausdruck. In ihrer Rolle als „Ursünde“ der europäisch-modernen Weltanschauung hat die moderne Teleologie des Fortschrittes unausweichlich das Verständnis von Europäisierung mitgestaltet und mit dem normativen, von beiden Revolutionen eröffneten Erwartungshorizont hin zur Verwirklichung von Freiheit, Gleichheit, Demokratie und kapitalistischer Wirtschaftsordnung imprägniert. Dennoch haben die multiplen sogenannten Krisen Europas der vergangenen Jahre das positive, von Fortschritt geprägte Telos der Europäisierung grundlegend erschüttert. Im Kontext der Finanzkrise, der Legitimationskrise westlicher Demokratien über die kontrovers diskutierte Flüchtlingsfrage bis hin zur Renaissance antiliberaler politischer Projekte und zwischenstaatlichen Spaltungen in der Covid-19-Pandemie scheint heute das Narrativ einer integrativen, zukunftsverheißenden sowie Modernität, Demokratie, Freiheit und Wohlstand garantierenden Europäisierung auserzählt. Die gegenwärtigen Krisendiskurse eröffnen daher einen günstigen Blickwinkel, um die Zielgerichtetheit als Voraussetzung für die narrative Selbsttäuschung der Europäisierung zu begreifen, und hingegen die ambivalenten Charakterzüge, Fluchtpunkte und Folgen von Europäisierungsprozessen in der Geschichte und Gegenwart in den Vordergrund einer systematischen Untersuchung zu rücken.

Das Konzept der Ambivalenzen der Europäisierung lässt sich somit gleichermaßen als Plädoyer für eine kritische Reflexion der impliziten teleologischen Struktur des Europäisierungsbegriffs sowie als Forschungsprogramm begreifen, das Europäisierung anders theoretisch und empirisch erfasst. Ausgangspunkt dieser Reflexion ist keine Deutung der Gegenwart als endgültige Zäsur einer vorher hegemonialen Europäisierungsvorstellung. Nicht nur sind sich die Herausgeber­Innen der flüchtigen Natur jener Zustände bewusst, die die ZeitgenossInnen als allumfassende Krisen wahrnehmen, sobald diese Zustände in eine historische Perspektive gestellt werden. Vor allem ist der Hoffnungsverlust in einen vom Fortschrittsbegriff geprägten Zukunftshorizont keine neue Gegebenheit. Zeithistorisch lässt er sich in die 1970er-Jahre – mit der Ölkrise und dem Ende der klassischen Modernisierungsparadigmen – oder noch früher in die traumatisierende Erfahrung des Holocaust oder gar in den Kulturpessimismus des fin de siècle zurückverfolgen.[4] In all diesen Fällen stand allerdings vor allem die westliche Moderne im Mittelpunkt der Kritik europäischer Intellektueller, während das (westlich-)
europäische Integrationsmodell sich häufig als Heilmittel für die Fehlentwicklungen des Nationalismus oder des entfesselten Kapitalismus profilieren konnte. Im aktuellen politischen Diskurs bekommen wir stattdessen den Eindruck, dass gerade dieses Europamodell als Problem identifiziert wird.

In der Einleitung des bereits zitierten Bandes mit dem bezeichnenden Titel Futures of Modernity ist eine interessante Erklärung dieses Phänomens zu finden:

„The Europe of today has become the major arena in which the hegemony of a Western modernity and its economic, political, and cultural claims to global dominance are being fundamentally contested. Not only global crises, but also transnational movements – of people within, outside, and across European borders, and of goods and risks, ideas and histories, extending from the ‚periphery‘ to the ‚center‘ – are putting the national, but also the Europeanized, will to political control under pressure.“[5]

Während die widersprüchlichen und konfliktreichen Seiten der westlichen Moderne für Jahrhunderte meist außerhalb (West-)Europas bemerkbar wurden und sich deswegen von dort aus eine fundamentale Kritik an Europa entwickelte[6], sei Europa selbst heute das bevorzugte „Schlachtfeld“. Appadurai behauptet, die imperial-koloniale Politik Europas sei nichts anderes als der Versuch gewesen, die Pluralität von gegensätzlichen und miteinander konkurrierenden telelogischen Europanarrativen – hin- und hergerissen zwischen Staat und Kirche, zwischen Privat- und Kollektiveigentum, zwischen Herrschaft des Rechtes oder der Massen – für Jahrhunderte nach außen auszulagern und durch die Denkfigur des Fortschritts zu vertuschen.[7] Wenn also durch die Denkfigur des Fortschritts diese Pluralität lang vertuscht wurde, können wir heute über einen Bumerang-Effekt sprechen. Denn jetzt werden die der Europäisierung historisch innewohnenden Ambivalenzen in ihrem selbsternannten Zentrum politisch und gesellschaftlich wirksam.

Derartige Beobachtungen bilden die konzeptionellen Grundlinien des Sammelbandes. Die HerausgeberInnen behaupten erstens, dass die Analogien zwischen Europa und der Moderne nicht im gemeinsamen Fluchtpunkt eines linearen teleologischen Fortschritts, sondern im Begriff der Ambivalenz liegen. Das bedeutet zweitens, dass Europäisierungsprozesse vor allem als Produkte und Produzenten von Krisen, Konflikten, kontingenten Konstellationen und multiplen Entwicklungsrichtungen begriffen werden. Drittens und allgemeiner formuliert sind Europäisierungsprozesse von Vielfältigkeit und Komplexität gekennzeichnet, Vielfältigkeit und Komplexität, die dem modernen Imperativ der Eindeutigkeit folgend, zu Ambivalenzen werden.

Diese Einleitung gibt zuerst einen Überblick über die wichtigsten Verflechtungsmomente zwischen dem teleologischen Moderneverständnis und dem modernen Europakonstrukt. In einem weiteren Schritt werden die Kritiken an der Moderne und die damit zusammenhängenden Auffassungen von Ambivalenz erörtert, die im Kontext der Postmoderne-Debatte und der postcolonial studies formuliert wurden. Schließlich stellt der letzte Abschnitt den von den Herausgeber­Innen vertretenen Ansatz zur Europäisierung sowie die drei Sektionen und einzelnen Beiträgen des Bandes vor.

Zu Teleologie der Moderne und Normativität des Europabegriffs

Die Teleologie ist keine Erfindung der Moderne. Bereits die jüdisch-christliche Eschatologie, welche die apokalyptische Vision des Endes der Zeit als Ziel der menschlichen irdischen Existenz setzte, produzierte Vorstellungen einer linearen Zeit sowie einer teleologischen Geschichte. Solche Vorstellungen waren auch die ersten Träger jenes universalistischen Anspruchs auf die endgültige Richtung historischer Prozesse, der dann von der europäischen Moderne geerbt wurde.[8] Dennoch lässt sich eine universalistische Teleologie, deren Telos im Diesseits liegt, als das erfolgreichste „Projekt“ der europäischen Aufklärung, als ihr wirkungsmächtiges Produkt definieren.[9] Erst mit der Aufklärung entstand das Bewusstsein für die wachsende Differenz von Vergangenheit und Zukunft sowie für die Fähigkeit zur Vervollkommnung, die die Menschheitsgeschichte von der Naturgeschichte unterscheiden sollte. Die Idee der „Perfektibilität“ inszenierte historischen Wandel als Fortschritt bzw. als eine unendliche Entwicklung hin zur Beherrschung der Natur, zum Neuen und zum Besseren.[10] Es sind nicht zuletzt AutorInnen wie Reinhart Koselleck, Aleida Assmann, Peter Osborne, Hans Ulrich Gumbrecht, Göran Therborn oder Prathama Banerjee, die diese neue, teleologisch geprägte Zeitwahrnehmung zum Kern der europäischen Moderne erklärt haben. Ihnen zufolge ist die Moderne ganz wesentlich als ein zukunftsorientiertes Zeitregime zu verstehen, das auf der Universalisierung seiner von der zyklischen Zeit der Natur strikt getrennten linearen Zeitlichkeit des Fortschritts basiert und in dem „die [räumliche sowie soziale, C.F.] Differenz zu einem Zeitunterschied degradiert“[11] wird.

Nun blieben Fortschritt und Moderne keine rein zeitlichen Strukturen. Im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts wurden sie zunehmend mit idealisierten Vorstellungen der spezifischen geschichtlichen Entwicklung (West-)Europas gefüllt und gewannen somit eine soziale, politische, kulturelle und ökonomische Kontur mit normativem Charakter. Diese Kontur fungierte einerseits als Ausschlussmechanismus, der anderen Geschichtserfahrungen die Aufnahme im Fortschritts- und Modernebegriff versperrte. Andererseits war sie von genügend Unbestimmtheit und Flexibilität gekennzeichnet, um die verschiedenen Erwartungshorizonte, die sich mit den (west-)europäisch codierten Phänomenen der Industriellen und der Französischen Revolution, des Kolonialismus sowie der modernen Nationalstaatsbildung eröffneten, zu umfassen. In den Schriften der Aufklärung wird der Fortschritt noch als eine bloße Möglichkeit der historischen Entwicklung hin zu einem an die universelle Vernunft gekoppelten abstrakten Besseren erfasst.[12] Schon in Hegels Konzept der Weltgeschichte als Verwirklichung des Freiheitsgeistes, deren „Gang von Osten nach Westen“[13] verläuft, nahm die Zeit eine eindeutige räumliche Richtung und „verkörperte sich“ in der (west-)europäischen politischen Geschichte.[14] Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, im positivistischen, evolutionistischen sowie sozialistischen Denken, etablierte sich dann die Überzeugung von der historischen Notwendigkeit und Unaufhaltsamkeit des Fortschritts. Dabei nahm Fortschritt vorrangig eine sozioökonomische Bedeutung an und wurde deckungsgleich mit der Laufbahn (west-)europäischer Gesellschaften und (Markt-)Wirtschaftsstrukturen.[15] Die klassischen Modernisierungstheorien des 20. Jahrhunderts akzentuierten dieses Fortschrittsverständnis, indem sie die Moderne mit einem Kanon von eindeutig festgelegten „Basisprozessen“ des sozialen Wandels vermengten, so zum Beispiel in Rostows Szenario der fünf Wachstumsstadien.[16] In diesem Kontext wurden Säkularisierung, soziale Differenzierung, Individualisierung, Industrialisierung, die Verbreitung des kapitalistischen Systems, Urbanisierung, Nations- und Staatsbildung, Demokratisierung sowie Rationalisierung als alternativlose Entwicklung einer allgemeingültig gedachten Moderne festgeschrieben.[17] Der Staatssozialismus bot eine nur scheinbare Alterative, indem er mit den Modernisierungstheorien nicht nur die Vorstellung der Modernisierung als notwendigen Weg, sondern auch ähnliche historische Erfahrungen und Zukunftshorizonte teilte.[18] Die 1990er-Jahre brachten schließlich eine zweite „Renaissance“[19] des Fortschrittsoptimismus und einer akzentuierten „Verwestlichung“ der Moderne und Europas mit sich, die auf der Rhetorik der endgültigen und globalen Durchsetzung des westlich-europäischen Entwicklungsmodells durch den Zerfall des Ostblocks basierte.[20] In der damals von Francis Fukuyama heraufbeschworenen Vision des „Endes der Geschichte“[21] schwang die Überzeugung mit, dass das eurozentrische Telos der Modernisierung mittlerweile sichergestellt war.

Die hier nur skizzierte Genese teleologischen Denkens offenbart die dreifach zentrale Rolle (West-)Europas für den Modernebegriff und die Definition von Modernisierung. Die (west-)europäische Geschichte stellt das allgemeingültige Modernisierungsmuster und den universellen Maßstab für die Messung der Modernität dar, während die (west-)europäische Gegenwart die Spitze der modernen Zeit okkupiert.[22] In den Worten Manuela Boatcăs beansprucht (West-)Europa traditionell die „Ausgestaltung der hegemonialen Definition von Moderne“.[23] Die Theorien über die multiplen, kolonialen, globalen oder verflochtenenModernen sind gerade aus dem kritischen Bewusstsein für die westeuropäische Deutungshoheit über den Moderne- und Modernisierungsbegriff entstanden.[24]

Nun hat nicht nur (West-)Europa ein dreihundertjähriges „Patent“[25] auf die Definition von Moderne. Auch die Moderne prägt in einer genauso weit zurückreichenden und entscheidenden Weise das Europakonstrukt.[26] „The idea of Europe can be seen as a way European modernity has reflected upon itself with respect to the relation with the past and an orientation for the future.“[27] Die von Gerard Delanty besonders pointiert formulierte moderne Genese der Europaidee, die auch viele weitere Studien zum Europabegriff thematisieren, ist in dreierlei Hinsicht zu deuten. Erstens betrifft sie die Ebene der Periodisierung. Wie Peter Burke in einem Aufsatz mit dem paradigmatischen Titel Did Europe exist before 1700? überzeugend argumentiert, sind die Anwendungen des Terminus Europa in den Schriften des Mittelalters eher rar.[28] Ab dem 15./16. Jahrhundert nimmt nicht nur die Anzahl der Texte mit Verweisen auf Europa als identitätsstiftender Kultur oder politischem System zu (die Idee Europas als ökonomische Ordnung kommt erst später hinzu und findet in der Kontinentalsperre Napoleons einen seiner ersten historischen Verwirklichungsmomente). In der Frühen Neuzeit ist auch eine steigende Produktion von Europakarten und -bildern, in denen Europa als Kontinent, Zivilisation und weibliche Allegorie figuriert, zu beobachten.[29] Es lässt sich daher behaupten, dass der Europabegriff der modernen Epoche zuzuordnen ist. Erst in der Moderne (als Periodisierungskategorie) werden mit Europa jene räumliche Größe, jene politischen, kulturellen und ökonomischen Ideen und jene sozialen Praktiken in Beziehung gesetzt, die den Gegenstand der heutigen (Begriffs-)Geschichte Europas bilden.[30]

Zweitens leiten EuropaforscherInnen die Europaidee aus den historischen Erfahrungen ab, auf die auch die Entstehung des Modernebegriffs zurückgeführt wird. Zu diesen historischen Erfahrungen zählen die meisten AutorInnen die Hinwendung der Renaissance zur griechischen und römischen Antike, die europäische Eroberung anderer Kontinente und die den Religionskriegen folgenden Prozesse der Säkularisierung und Etablierung des modernen Staatssystems. Mit der humanistischen Wiederentdeckung einer vor-christlichen europäischen Welt, mit dem Erblassen der Christianitas als wirkmächtiger Gemeinschaftsvorstellung sowie der Begegnung mit dem religiösen und kolonialen Anderen – den „Türken“ und den indigenen Völkern Amerikas – habe sich Europa als Referenzraum der europäischen Intellektuellen durchgesetzt.[31] Dennoch – insbesondere die große Bedeutung des kolonialen Unterfangens macht nicht nur aus der europäischen Moderne von vornherein eine entangled history bzw. eine Geschichte, die strukturell über Europa hinausgeht und mit dem „Rest“ zu tun hat.[32] Ferner definiert sie das moderne Europa als imperiales Konstrukt, das auf einem Selbstverständnis von einzigartiger Überlegenheit gründet, dabei aber als Produkt globaler Interaktionen zu denken ist.[33] Schließlich trägt der Kolonialismus des 18. und 19. Jahrhunderts entscheidend zur zunehmenden Identifizierung Europas mit Westeuropa (wofür paradigmatisch England, Frankreich und ab einem gewissen Zeitpunkt auch das deutsche Kaiserreich und seine Nachfolgestaaten stehen), während die historischen Erfahrungen der weiteren europäischen Regionen aus dem Europabegriff verdrängt wurden. Nach Manuela Boatcă gerieten somit Süd- und Osteuropa jeweils in eine „dekadente“ und „epigonale“ Position gegenüber dem westeuropäischen Zentrum.[34] Nicht zufällig wird die epistemische Hegemonie Westeuropas auf Europa gerade von den postcolonial studies, die auf die Gegenüberstellung zwischen „Europe/the West and the Rest“ konzentriert bleiben, häufig nicht reflektiert. Anstatt die europäischen Räume, Akteure und Erfahrungen zu diversifizieren und zu pluralisieren, tragen viele kritische Blicke paradoxerweise zur Essentialisierung Europas als einheitliches Ganzes bei.

Verleiht der westeuropäische Erfahrungsraum dem Modernebegriff einen normativen Charakter, wurde der Europabegriff drittens vom universalistischen Erwartungshorizont der Moderne – der zunehmenden Realisierung einer vernunftbasierten Zivilisation mittels eines unaufhaltsamen sozialen, politischen, ökonomischen und kulturellen Fortschritts – durchgedrungen. Paradigmatisch dafür ist das im Zivilisationsbegriff eingeschriebene Ideal des Friedens. Die zivilisatorische Aufgabe der Aufrechterhaltung des Friedens, die in der römisch-christlichen Tradition bei der doppelten universalistischen Machtinstanz der Kirche und des Imperiums lag, wurde mit dem Augsburger und dem Westfälischen Frieden als Einhegung religiöser Konflikte definiert und auf die Politik der modernen europäischen Staaten übertragen.[35] Ab diesem Zeitpunkt sahen die Vordenker einer wie auch immer gefassten politischen Europakategorie den primären Mehrwert der modernen Denkfigur von Europa in der Befriedung des europäischen Kontinents.[36] Mit dem Wiener Kongress bekam diese Friedensaufgabe Europas ihre endgültige aus den antinapoleonischen Kampagnen entsprungene Bedeutung zugeschrieben: die Bekämpfung des imperialistischen Übergewichts eines einzelnen europäischen Staats und der Ambitionen, den europäischen Kontinent unter die Führung einer einzelnen Großmacht zu vereinen.[37] Diese Bedeutung setzte sich in den Europaplänen nach dem Zweiten Weltkrieg fort.

Ähnlich wie der Begriff der Modernisierung, die die Idealisierung und Universalisierung der historischen Entwicklung Westeuropas (und Nordamerikas) zum Ausdruck bringt, schwingt im Begriff der Europäisierung daher die Teleologie der Moderne mit und bildet die normative Linse, durch die die historischen Formations- und Artikulationsprozesse des Europakonstruktes in den verschiedenen Disziplinen gedeutet werden. Dieser normative Bedeutungsgehalt von Europäisierung wird von vielen AutorInnen angesprochen. So betonen etwa Ulrike von Hirschhausen und Kiran Klaus Patel, dass Europäisierung innerhalb der Geschichtswissenschaft auf keinen Fall als teleologischer und linearer Prozess zu denken ist.[38] Ganz ähnlich beklagen Gerard Delanty und Chris Rumford bei ihrem Plädoyer für eine theoretische Fundierung der Europäisierung in der Soziologie das Problem ihrer teleologischen Vorbelastung.[39] PolitologInnen wie Timm Beichelt oder Senka Neuman Stanivuković machen darüber hinaus darauf aufmerksam, dass die normativ-teleologische Prägung des Europäisierungbegriffes in der Politikwissenschaft aus seiner häufig synonymen Verwendung mit EU-Integration resultiere.[40] Gerade wegen der Verquickung zwischen Europa und Europäischer Union, die in der Nachkriegszeit längst nicht nur politikwissenschaftliche Werke, sondern beispielweise auch die entstehende Historiografie über Europa charakterisierte[41], bleibt die Anzahl der kritischen Studien zur Europäisierung begrenzt, während jene zu Europa meistens auf postkoloniale Perspektiven zurückzuführen sind.

Kritik an Moderne und Ambivalenz

Anders ist hingegen die Lage, wenn man nach kritischen Ansätzen im Bezug zum Modernebegriff sucht: Modernity and Ambivalence lautet der Titel eines sehr bekannten, im Jahr 1991 veröffentlichten Buchs des Soziologen Zygmunt Bauman.[42] Hier thematisiert Bauman die Entdeckung des nicht naturgegebenen, sondern menschengemachten Charakters von Ordnungen und die damit verbundene Besessenheit moderner Gesellschaften Ordnung herzustellen. Die Klassifizierung und Trennung sowie die Beherrschung der Natur als Prinzip der Unordnung bezeichnet er als „archetypische“ Aufgaben der Moderne.[43] Indem sie allerdings „Ordnung als eine Sache des Entwurfs denken“[44], konstruieren die „Modernen“ gleichzeitig „Chaos“ mit. Es ist das ebenso moderne Prinzip des Chaos, der Zwilling der Ordnung, das ihr ihre Existenzberechtigung als Telos gibt. Die „Mehrdeutigkeit“, die „Zufälligkeit“, das „Miasma des Unbestimmten und Unvorhersagbaren“[45], die das Chaos ausmachen, nennt Bauman „Ambivalenz“. Die Teleologie der Moderne – das permanente Streben nach der totalen Ordnung – erzeugt somit strukturell jene Ambivalenz, die sie zu bekämpfen zielt. Die Ambivalenz ist hingegen zugleich der Erzfeind sowie das irreduzible „Restprodukt der Moderne“.[46]

Es ist kein Zufall, dass Bauman seine Überlegungen zur Ambivalenz als Kern der Moderne in den 1980er-Jahren formulierte, löste doch das Jahrzehnt zuvor die Debatte über das „Ende der Moderne“ und den Anfang der „Postmoderne“, der „zweiten Moderne“ oder der „reflexiven Moderne“ aus. Baumann selbst lässt sich zu den TheoretikerInnen sowohl der Moderne als auch der Postmoderne zählen. Aus dieser Debatte entstanden eine Reihe von „Diagnosen“[47] über die Moderne, in denen Ambivalenzen eine zentrale Rolle spielen.[48] Denn es ist, wie Peter Koslowski treffend bemerkt, das Verdienst der Postmoderne als perspektivischem Standpunkt, das im Modernebegriff eingeschriebene Ideal der absoluten Eindeutigkeit infrage gestellt und stattdessen die moderne Zwei- bzw. Mehrdeutigkeit ans Licht gebracht zu haben.[49]

Drei Aspekte der zunehmenden Klarsicht über die Mechanismen und Kehrseiten der Moderne prägen das in diesem Band vertretene Verständnis der Europäisierung als grundlegend ambivalent. Erstens werden politisch-kulturelle Tendenzen und Ereignisse der 1970er-Jahre – von der Veröffentlichung der „Grenzen des Wachstums“ und der europaweiten Abkehr von der politisch-ökonomischen Utopie der totalen Planbarkeit bis hin zur Entstehung der Punkbewegung – in der Forschung als Indikatoren dafür gedeutet, dass ab diesem Zeitpunkt ein schrittweiser aber definitiver Glaubensverlust an die temporale Kategorie des Fortschritts einsetzte.[50] Ulrich Beck theoretisierte diese Wende in den 1980er-Jahren als Übergang zu einer zweiten, „reflexiven“ Moderne, die durch die Bewusstwerdung der „negativen Nebeneffekte“ der Modernisierungsprozesse sowie die damit verbundene „Entzauberung“ der teleologisch gesicherten Prämissen der ersten Moderne charakterisiert ist.[51] Die Konstatierung des Verblassens der fortschrittsgeleiteten linearen Temporalität der Moderne findet sich in Begriffen wie „Posthistorie“[52], „breite Gegenwart“[53], „Historizitätsregime“[54] oder „Gegenwartschrumpfung“[55] wieder. Sie alle wurden in den 1980er- und 1990er-Jahren geprägt, um das neue postmoderne Zeitbewusstsein zu artikulieren. Auch die Veröffentlichung der ersten Studien von Koselleck zur Historisierung der historischen Zeit am Ende der 1970er-Jahre lässt sich darauf zurückführen. Vor dem Hintergrund einer veränderten Zeitwahrnehmung wurde es daher möglich, die linear-teleologische Struktur des Zeitregimes der Moderne überhaupt zu erkennen, theoretisch zu erfassen sowie vor allem in ihrer Allgemeingültigkeit zu hinterfragen und zu dekonstruieren. Das öffnet den Blick für die Pluralität, ja die Ambivalenz, von Richtungen und Horizonten der Modernisierungsprozesse, womit der Begriff der Europäisierung so eng verbunden ist: „The teleological understanding of modernity that associates time and history with purposeful ‚progress‘ is profoundly unsettled. […] The quality of the ‚futures of modernity consists‘ in their (epochal?) new openness.“[56]

Zweitens bestand die postmoderne Distanzierung von der europäischen Moderne in einer Kritik, die die Phänomene im offenen Gegensatz zu den normativen Versprechen der Moderne als Bestandteile der Moderne selber demaskierte. Vorläufer dieser Kritik ist die erste Generation der Frankfurter Schule. Ausgehend von der Erfahrung der europäischen Diktaturen und des Holocaust analysierten Max Horkheimer und Theodor Adorno bereits in den späten 1940er-Jahren die Dynamik des strukturellen Kippens der instrumentellen Vernunft der Aufklärung, die sich aus dem Erkennen der Natur und des menschlichen Lebens als vom Selbst getrennt, als Differenz zwischen Objekt und Subjekt und aus dem daraus folgenden Drang zur totalen Beherrschung der beiden erschließt.[57] Totalitarismus sei somit von vornherein in der europäischen Moderne angelegt und bilde ihre natürlichste Realisierungsform. Derartige Kritiken setzten sich, wie erwähnt, in den 1980er- und 1990er-Jahren mit besonderer Kraft fort. Die DenkerInnen, die sie übten, präsentierten „Gewalt“, „Barbarei“ oder „Despotie“ nicht (mehr) als den durch Fortschritt überwindbaren „Gegenentwurf“ moderner Zivilisation, sondern als das „geheime Grundprinzip moderner Gesellschaft“.[58] Solche Argumente vertritt auch Bauman in seinen Werken. Ihm zufolge kann die Moderne nicht „aufrichtig“ gegenüber der „Frage der Gewalt“ sein: „Die Moderne legitimiert sich schließlich als ein ‚Prozeß der Zivilisation‘. […] Im Prozeß der Zivilisation geht es nicht darum, die Gewalt auszumerzen, sondern darum, sie neu zu verteilen.“[59] Gewalt sei daher in der Moderne nicht zum Verschwinden verurteilt: Im Gegenteil, sie stellt paradigmatisch die Ambivalenz der Moderne dar.

Darauf, wie sehr diese Ambivalenz auch mit Europa zu tun hat, weist Bauman hin, indem er in Anlehnung an Krzysztof Pomian Europa als eine „Zivilisation der Grenzüberschreitung“ definiert, gewillt der Welt eine „bessere Form“ zu geben.[60] Für dieses globale „Ordnungsstreben“ sei aber „Macht“ notwendig, eine Macht, die historisch durch Gewalt über den europäischen Kontinent hinaus durchgesetzt worden ist. Es sind vor allem die postkolonialen AutorInnen (und die kritischen TheoretikerInnen der globalen Moderne), die auf die enge Verzahnung zwischen Europa und Moderne bei der gewalttätigen Durchsetzung von Hegemonie auf dem Globus aufmerksam gemacht haben. Die postcolonial studies setzten die historischen Erfahrungen des Imperialismus und Kolonialismus prominent auf die Agenda der kritischen Debatte über die Moderne, die in deren Begrifflichkeit immer als „europäisch-koloniale Moderne“[61] benannt werden soll. Denn Imperialismus und Kolonialismus sind im postkolonialen Denken sowohl geschichtliche Prozesse, die das europäische Selbstverständnis als Moderne ermöglichen, als auch die der Moderne zugrundeliegende forma mentis, die ihre Wurzeln in der europäischen Aufklärung hat und die europäische Ausdehnung in der Welt vorantrieb.[62] Die Eingliederung der ganzen Welt gilt für Appadurai als einzigartiges und notwendiges Telos der europäischen Moderne, das somit nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich zu denken ist.[63] Die zwei – die postmodernen und die postkolonialen – Strömungen haben nicht nur die Entstehungszeit (Orientalism von Edward Said erschien 1978) und zentrale theoretische Referenzen (hier sei paradigmatisch an die Bedeutung der Werke von Michel Foucault für beide erinnert) gemeinsam. Sie sind auch mit der zu Beginn formulierten These verbunden, dass die Ambivalenzen der europäischen Moderne durch die Kolonialisierung anderer Kontinente nach außen ausgelagert wurden, in der Postmoderne aber zunehmend auch in Europa sichtbar werden. „[Nun] bricht“ das „zutiefst Prekäre“ des „Fortschrittsversprechens“ der europäischen Moderne, das in der (post-)
kolonialen Welt identifiziert worden ist, „mit der Debatte um eine zweite Moderne auch in den europäischen Zentren der Moderne als ‚Selbstkritik‘ und ‚Selbsttransformation‘ hervor“, diagnostiziert Beck.[64]

Drittens teilen postmoderne und postkoloniale TheoretikerInnen den Begriff der Ambivalenz selbst, der hier noch kurz erörtert werden soll. Damit ist nicht gemeint, dass der Signifikant (der Terminus) oder das Signifikat (die Bedeutung) Ambivalenz nicht früher existierte, da die Literatur und die Psychoanalyse im 19. und 20. Jahrhundert diese maßgeblich geprägt haben.[65] Dennoch gewinnt Ambivalenz im Kontext des postmodernen und postkolonialen Denkens einen besonderen Stellenwert. Bauman, als Vertreter der Postmoderne-Debatte, versteht Ambivalenz nicht nur, wie bereits erklärt, als strukturell mitproduzierter „Abfall“ der modernen Anstrengung zur Ordnung. Er definiert sie zugleich als zentralen Charakterzug der Postmoderne. In Modernity and Clarity. The Story of a Failed Romance ist die Ambivalenz als das Gespür dafür präsentiert, dass Fähigkeit und Willen („What I may do“ versus „What I wish to be done“) voneinander abweichen.[66] Während sich die Moderne die unmögliche Übereinstimmung zwischen beiden als Imperativ setzt, macht die postmoderne Konsumgesellschaft das unvermeidbare Scheitern dieser utopischen Übereinstimmung zu ihrem Leitprinzip.

Mit dem Stichwort der Ambivalenz lässt sich auch das philosophische Programm der Postmoderne von Jean-Franҫois Lyotard erfassen, wenn er den Tod der Hegelschen vernunftgeleiteten Teleologie der Geschichte ankündigt.[67] Denn an deren Stelle tritt für Lyotard eine „neue Vielfalt der Vernunft und der Erzählungen“[68], die die von der Moderne begehrte Identität zwischen historischer Wirklichkeit und Vernunftverwirklichung in Pluralität verwandelt. Die Geschichte, beide als Narrativ und Geschehen, wird somit durch die Postmoderne ihrer modernen Eindeutigkeit beraubt und kommt in ihrem mehrdeutigen und kontingenten Charakter zutage.[69]

Das postkoloniale Verständnis der Ambivalenz zielt ebenso darauf, die von der Moderne begehrte Einheitlichkeit als permanent bedroht zu entlarven, wobei hier ein psychoanalytischer Ansatz verfolgt wird und die moderne Identität der europäischen KolonisatorInnen im Vordergrund steht. Für Homi Bhabha ist die Ambivalenz die Schnittmenge zwischen Subjekt, Objekt und Struktur des kolonialen Diskurses und darauf gründen sowohl die hegemoniale Dominanz als auch die strukturelle Instabilität der europäisch-kolonialen modernen Macht.[70] Denn zum einen hinterfragt die Konstruktion der Kolonisierten als TrägerInnen einer ambivalenten Alterität, die durch die europäische Zivilisierungsmission behebbar ist, aber zugleich irreduzibel bleibt, die Identität der KolonisatorInnen und macht die Ambivalenz der in der Aufklärung formulierten Werte der modern-europäischen Zivilisation sichtbar.[71] Zum anderen produziert die koloniale Begegnung auf beiden Seiten eine kulturelle Hybridität, die Risse in der modernen Dichotomie zwischen Identität (Eigenem) und Differenz (Fremden) bewirkt und einen „dritten Raum“ als kulturtheoretische Möglichkeit aber auch als historisch-bedingte soziokulturelle Konstellation entstehen lässt.[72]

Aus all diesen Ansätzen können zwei Schlussfolgerungen gezogen werden, die sich für eine Auffassung der Ambivalenzen, die dieser Band vorschlägt, von Relevanz erweisen. Als strukturelle Manifestationen der europäischen Moderne sind Ambivalenzen in erster Linie keine lösbaren oder beseitigbaren Momente, keine Nebeneffekte, wie Beck behauptet. Vielmehr gehören sie zum Kern der europäischen Moderne selbst. Der ambivalente Kern der Moderne besteht an zweiter Stelle in der unvermeidbaren Diskrepanz zwischen dem proklamierten teleologischen Selbstbild der europäischen Moderne und ihren historisch bedingten Artikulationsformen. Diese Diskrepanz bricht die binäre Struktur der Moderne und öffnet stattdessen den Blick für Uneinheitlichkeit, Kontingenz, Unbestimmtheit und Pluralität der Entwicklungstendenzen als Grundcharaktere von Modernisierungsprozessen. Ambivalenz bringt somit nicht (nur) Widersprüchlichkeit und Zwei-, sondern Mehr- bzw. Vieldeutigkeit zum Ausdruck.

Die Ambivalenzen der Europäisierung

Inspiriert von derartigen kritischen Reflexionen über die Moderne und die Ambivalenz, möchten die HerausgeberInnen des Bandes die Prägung der Moderne auf den Europäisierungsbegriff dekonstruieren und damit anders auf Europäisierung blicken. Sie verstehen Europäisierung als Vielfalt von historischen und gegenwärtigen Prozessen, die Europa als benannte, visualisierte, wahrgenommene, imaginierte sowie angestrebte Entität formier(t)en.[73] In einem solchen Europäisierungsverständnis ist die Ambivalenz auf zwei Ebenen angesiedelt. Zum einen folgen Europäisierungsprozesse keiner einheitlichen Richtung. Vielmehr sind deren Auslöser, Verläufe und Konsequenzen durch Offenheit, Mehrdeutigkeit und Kontingenz gekennzeichnet und lassen sich daher als ambivalent im Sinne von Mehrdeutigkeit und Pluralität verstehen. Daraus ergibt sich zum anderen eine Diskrepanz zur teleologischen Struktur und den normativen Erwartungshorizonten der Moderne. Erst diese Diskrepanz verwandelt das Diffuse, Uneindeutige, Unbestimmte und Kontingente, die im postmodernen Geschichtsverständnis die rohe Form jedes historischen Phänomens und daher auch der Europäisierung darstellen, in Ambivalenz, hier gemeint als Zweideutigkeit und Widerspruch.[74]

Im Vergleich zur reichen Tradition an postmodernen und postkolonialen Kritiken der Moderne ermöglicht der hier vorgeschlagene Fokus, den Universalismus und die Dominanz der europäischen Moderne aus ihrem Zentrum heraus zu hinterfragen. Die Analyse der Ambivalenzen der Europäisierung rückt die Formen, welche die Moderne in den verschiedenen als europäisch markierten historischen und gegenwärtigen Zusammenhängen angenommen hat, in den Vordergrund und weist auf ihre Spezifität und Uneinheitlichkeit hin. Dabei visieren die HerausgeberInnen des Bandes keine völlig neue und allgemeingültige Definition von Europäisierung an. Dafür sind nicht nur die Forschungsfelder, Kontexte und Disziplinen, in denen der Terminus Europäisierung angewandt wird, viel zu divers. In den einzelnen Forschungsfeldern werden darüber hinaus bereits kritische Vorstellungen von Europäisierung theoretisch und/oder empirisch formuliert. Ambivalenzen der Europäisierung bietet daher vielmehr eine interdisziplinäre Deutungsperspektive, die solche Vorstellungen miteinander verknüpft und ins Gespräch bringt.

Der Band enthält Aufsätze, die aus unterschiedlichen Disziplinen (Geschichtswissenschaft, Soziologie, Politikwissenschaft und Anthropologie) stammen und hier nach drei Grundformen des modernen Europawerdens gegliedert sind: der Konstruktion Europas als 1) Idee, als 2) Raum und durch 3) soziale Praxis. Unter dem gemeinsamen Begriff der Europäisierung analysieren die Beiträge nicht nur eine große Bandbreite an vergangenen und gegenwärtigen ambivalenten Formationsprozessen Europas. Sie zeigen auch das verschiedene, teilweise disziplinspezifische Quellenverständnis, das von historischen Schrift- und Bilddokumenten hin zu politischen Reden und Auszügen aus ethnographischen Feldforschungstagebüchern reicht.

Die Sektion Europa: Ambivalenz(en) einer Idee richtet den Blick auf die Zwei- sowie Mehrdeutigkeit, die der Schaffung der Idee Europas und ihrer Verschränkung mit dem Modernebegriff und den Modernisierungsnarrativen inhärent ist. Auf Zweideutigkeit verweisen die Beiträge vor allem dadurch, dass sie in derartigen Europäisierungsprozessen zwei entgegensetzte, aber miteinander verbundene, Fluchtpunkte sichtbar machen: Einheitlichkeit bzw. Universalismus versus Spezifizität bzw. Einzigartigkeit. Das Spannungsverhältnis zwischen den zwei Tendenzen bildet für Olaf Asbach den Kern der modernen Europaidee. Dies lässt sich in den widersprüchlichen Konstruktionen Europas als Vielfalt partikulärer nationaler Entitäten und zugleich kultureller Einheit oder als universelle und zugleich einzigartige Zivilisation erkennen.[75] Insbesondere Anette Schlimm, Judith Becker und Ulrich Wyrwa zeigen, in welchem Ausmaß beide Tendenzen bis zum Ersten Weltkrieg gleichzeitig wirksam sowie eng verflochten waren und wie deren Wechselwirkung ambivalente Europäisierungsprozesse in Gang setzte. Sie stellen zugleich aber auch Mehrdeutigkeit heraus, indem sie in den Europäisierungsprozessen vielfältige Dynamiken der Bezugnahme auf und gleichzeitiger Distanzierung von der normativen Vorstellung der europäischen Moderne identifizieren und auf die somit entstehende Pluralität der mit der Moderne nicht (perfekt) kongruenten Europaideen aufmerksam machen.

Anette Schlimm befasst sich mit den europäischen Kooperationsplänen verschiedener nationaler (insbesondere britischer und deutscher) Bewegungen für den Heimatschutz, die am Anfang des 20. Jahrhunderts zwei europäische Kongresse veranstalteten. Triebkraft und Telos dieses Europäisierungsprozesses war die Idee einer europäischen Kultur, die in ihrer Verherrlichung der nationalen Landschaft, Bautradition und ländlichen Folklore ein Gegenentwurf zur homogenisierenden industriellen Moderne darstellen wollte, allerdings selbst vereinheitlichende und universalisierende Momente in sich barg. Damit war eine solche Europaidee zutiefst zweideutig, da sie gleichzeitig als relevant für die ganze Menschheit und spezifisch für den europäischen Kontinent (vor allem gegenüber der amerikanischen Kultur) und zudem als gemeinsamer Charakter der europäischen Nationen und doch einzigartig in jeder dieser Nationen galt. Diese Zweideutigkeit schlug sich in der Europäisierung der Heimatbewegungen nieder. Deren Zusammenarbeit zielte auf die Herausbildung einer kulturellen Gemeinsamkeit, betonte dabei aber auch die nationale Besonderheit jeder Heimatbewegung. Diese Ambivalenz trug womöglich auch dazu bei, dass die Kontakte zwischen den Bewegungen nach dem Ersten Weltkrieg nicht wieder aufgenommen wurden.

Eine Kooperation zwischen national codierten AkteurInnen, und zwar zwischen den britischen und schweizerischen evangelischen Missionen im kolonialen Afrika, ist das Thema des Aufsatzes von JudithBecker. Diese Kooperation entfaltete sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, um dann mit der zunehmenden Nationalisierung der Missionen in der zweiten Jahrhunderthälfte auszuklingen. Neben dem Spannungsverhältnis zwischen national-partikulären und europäisch-einheitlichen Tendenzen weist dieser Europäisierungsprozess allerdings vor allem auf ein zweischneidiges Verhältnis zur Moderne hin, auf der die Ambivalenz des Europabegriffes der MissionarInnen beruhte. Denn einerseits galten die Französische Revolution sowie die europäische Versklavung der AfrikanerInnen für die Missionen als Zeichen einer negativen Entwicklung Europas, der ein Verständnis der europäischen Geschichte als Christianisierung der Welt anstatt als Modernisierung entgegensetzt wurde. Andererseits fungierte der koloniale Kontext als Treibkraft für die Europäisierung der MissionarInnen und der von ihnen gepredigten christlichen Werte. Der Beitrag lässt sich somit der wachsenden Anzahl jener Studien zuordnen, die die koloniale Erfahrung als zentralen Träger des Gestaltungsprozesses der Europaidee sowie seiner inhärenten Ambivalenzen betrachten.[76]

Auf dem ebenso gescheiterten europäischen Organisationsversuch nationaler Akteure macht auch UlrichWyrwa aufmerksam. Im Fokus seines Beitrags stehen die Bemühungen ungarischer, deutscher und französischer Antisemiten, unter dem Dach des Europabegriffes ein antisemitisches Netzwerk über die nationalen Grenzen hinweg aufzubauen. Die Ambivalenz einer derartigen Europäisierung liegt in diesem Fall nicht nur im Antisemitismus selbst als konstituierendem Element einer Europaidee, die auf Nationalismus gründete und sich ausdrücklich gegen die Werte der europäischen Aufklärung sowie gegen den modern-aufklärerischen Universalismus richtete. Die europäischen Antisemitenkongresse, deren erster 1883 stattfand, blieben erfolglos gerade wegen des unlösbaren Widerspruchs zwischen europäischen Ambitionen und nationalem Selbstverständnis der Akteure. In diesem Kontext wurde Europa als unbestimmter und zweideutiger ideeller Bezug konstruiert, der einerseits einen Ausschlussmechanismus für die „fremde“ jüdische „Rasse“ zur Verfügung stellte, andererseits aber als antisemitisches Pendant der Alliance Israélite Universelle mit einer internationalen wenn nicht globalen Integrationsfunktion gedacht war.

Die beiden letzten Beiträge des Abschnittes arbeiten ebenso die Zweideutigkeit heraus, die die widersprüchlichen, aber zusammenhängenden Europavorstellungen – die nationale Spezifizität und die europäische Einheitlichkeit – in der Gestaltung Europas als ideelles Konstrukt einprägen. Sie haben aber nicht das lange 19., sondern das 20. und 21. Jahrhundert im Fokus und zeigen, wie gerade in dieser Zeit Europäisierungsprozesse, die aufgrund ihrer anti-liberalen Charaktere vom modernen Europaprojekt der EU abwichen/abweichen, als anti-europäisch gebrandmarkt wurden/werden, während sie eigentlich von der Vieldeutigkeit der Europaidee zeugen.

So analysiert Dieter Gosewinkel die Kontinuitäten zwischen den Europavorstellungen des Vichy-Regimes und der nachkriegszeitlichen französischen extremen Rechten bis zu Jean-Marie Le Pen. Diese Kontinuitäten liegen für Gosewinkel nicht in der von beiden geteilten nationalistischen (und somit implizit europafeindlichen) Weltanschauung. Gemeinsamer Nenner ist vielmehr die Idee eines wirtschaftlich und politisch integrierten imperialen Europa, dessen kulturell-zivilisatorische Homogenität eine durchsetzungsfähige Alternative zum sowjetischen Kommunismus und US-amerikanischen Kapitalismus darstellen sollte. Erst mit der Verwandlung der wirtschaftlichen Integration in ein liberales Projekt und der daraus folgenden Distanzierung dieses Projektes von den anti-liberalen Plänen einer politisch-kulturellen Vereinigung Europas, setzte die französische extreme Rechte immer mehr dem europäischen Projekt die Idee der Nation entgegen. Diese Gegenüberstellung lässt sich allerdings gerade als Produkt der Ambivalenzen verstehen, die aus der Verflechtung zweier unterschiedlicher Verständnisse von Europäisierung generiert werden.

Mit dem Aufsatz von Ben Gardner Gill erreicht die erste Sektion schließlich das 21. Jahrhundert und nimmt das Verhältnis der tschechischen national-konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS) sowie ihres von 2010 bis 2013 amtierenden Premierministers Petr Nečas zu Europa und EU in den Fokus. Gardner Gill untersucht Europäisierung als institutionellen Prozess der politischen Integration Tschechiens in die EU und führt das Schwanken der tschechischen Regierung zwischen Eurobegeisterung und Euroskeptizismus auf die Ambivalenz der Europaidee der ODS zurück. Diese Ambivalenz entsteht einerseits durch die konkurrierende Beziehung zwischen dem Nationalstaat und der EU sowie andererseits dadurch, dass die ODS gerade die Gleichsetzung von EU und Europa – und somit von Europäisierung und EU-isierung – negiert. Insbesondere die Kategorie der Demokratie ist zentral. Denn Demokratie bildet für Nečas ein Grundversprechen der Europaidee, das sich aber nur im Rahmen des Nationalstaates (und nicht der EU) realisieren lässt.

Die zweite Sektion, Europa: Ambivalenz(en) des Raumes, befasst sich mit der Schaffung Europas als asymmetrische und widersprüchliche Raumordnung. Durch die Fokussierung auf das Osmanische Reich und die heutige Türkei machen die beiden ersten Aufsätze auf die im Europäisierungsbegriff implizite Vorstellung aufmerksam, dass „eine bestimmte geographische Einheit (‚Europa‘) […] Faktor“ in einem Prozess der „Zivilisation“ sei, „der von (vorgestellten) Zentren in Richtung (vorgestellter) Peripherien verlief“.[77] Indem die Europäisierung die südöstlichen „Peripherien“ Europas als Zielräume für den Export der europäischen Moderne konstruiert, dienen diese Räume sowohl als Projektionsfläche als auch als Katalysator der Pluralität und Zweideutigkeit von Europäisierungsprozessen.

Der erste Beitrag behandelt die Reformen, die osmanische Bürokraten sowie nationale Akteure während der Tanzimatära mit dem Ziel der Umgestaltung gesellschaftlicher Strukturen nach dem Modell westeuropäischer Modernität anstrebten. An drei konkreten Beispielen des spätosmanischen Südosteuropa zeigt Hannes Grandits, wie eine derartige Europäisierung in zweierlei Hinsicht Ambivalenzen produzierte. Erstens führte das Verständnis der Europäisierung als zwingendes Nachholen der eigenen Rückständigkeit dazu, dass die lokalen Autoritäten sie als autoritäres Projekt von oben durchzusetzen versuchten. Dadurch nahmen Prinzipien der sozialen Ordnung, die als modern-europäisch galten – wie die Gleichheit der Bürger vor dem Staat – in den lokalen politischen Maßnahmen eine aufgezwungene und überspitzte Form an, die sie als im Kern ambivalent erscheinen ließ. Zweitens akzentuierte sich in diesem Kontext jene konfessionelle und nationale Gesellschaftsaufteilung, die die Europäisierung zu überwinden versprach.

Im Beitrag von Ayan Kaya lassen sich die ambivalenten Folgen der osmanischen Auffassung von Europäisierung als alternativloses Modernisierungsprojekt in der Gegenwart weiterverfolgen. Für Kaya ist der Europäisierungsimperativ der spätosmanischen und dann vor allem kemalistischen Zeit für die grundlegende Ambivalenz des türkischen Konstruktes von Nation verantwortlich, das im türkischen Selbstbild als peripher besteht. Das islamisch-religiöse Verständnis von Zivilisation, das der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan vorantreibt, präsentiert er als Reaktion auf diese Ambivalenz. Erdoğan verwirft die Allgemeingültigkeit, die die türkischen Nationalisten der europäisch-modernen Zivilisation zuschrieben, und rückt stattdessen die türkische Kultur und islamische Religion in den Mittelpunkt seines Zivilisationsbegriffs. Was diese Umdeutung für die türkische Gesellschaft besonders attraktiv macht, ist das Versprechen, dass gerade dadurch die Spaltung der türkischen Identität zwischen europäischer Moderne und türkisch-islamischen Peripherialität überwunden wird.

Das Thema der beiden nächsten Aufsätze ist die Konstruktion des europäischen Raumes im 20. Jahrhundert durch die Migrationspolitik. Jochen Oltmer und Marcel Berlinghoff identifizieren in derartigen Europäisierungsprozessen widersprüchliche Dynamiken der Einschließung und Ausschließung unterschiedlicher Menschengruppen. So befasst sich Oltmer mit dem Auslieferungsverbot für AusländerInnen, denen politische Straftaten zur Last gelegt wurden, das in den letzten Jahren der Weimarer Republik in Kraft trat. Die Verabschiedung dieses Gesetztes lässt sich als Form einer zeitversetzten Europäisierung verstehen, da die Weimarer Gesetzgebung zum Asylrecht an jene, die in anderen europäischen Staaten bereits im 19. Jahrhundert gültig war, angeglichen wurde. Indem das neue Gesetz kein positives Recht zum individuellen Asyl gewährte, sondern bloß eine Auslieferung verhinderte, war seine Schutzkraft nicht nur für die politisch Verfolgten, die sich bereits im Lande befanden, sehr begrenzt. Vor allem die Schutzsuchenden an der Grenze wurden von der Polizei häufig zurückgewiesen. Auf die Kluft zwischen Versprechen und konkreter Ausführung des Gesetzes machte schon damals die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) aufmerksam, die zusammen mit den Sozialdemokraten ein positives Asylrecht durchsetzen konnte, allerdings kurz vor der verfassungswidrigen Machtübernahme der Nationalsozialisten.

Der Beitrag von Marcel Berlinghoff zeigt allerdings, wie diese Kluft in den Migrationspolitiken der europäischen Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg weiterbestand. Denn diese Politiken führten zu neuen Ausgrenzungsmechanismen, die ein Licht auf die Uneindeutigkeit der Richtungen der Europäisierung werfen. Insbesondere ging die Herausbildung des Prinzips der freien Zirkulation für die BürgerInnen des EU-Integrationsprojekts mit der Einschränkung der Anzahl der MigrantInnen aus Drittstaaten einher. Davon waren vor allem die EinwohnerInnen der (ehemaligen) europäischen Kolonien betroffen, die nach und nach ihre Freizügigkeit in den europäischen Zentren verloren. Die Verwandlung Europas in einen Raum der uneingeschränkten Mobilität von Menschen und Kapital löste darüber hinaus eine Europäisierung der vorher stigmatisierten ArbeitnehmerInnen aus Südeuropa aus, die sich aus der zunehmenden Codierung der weiteren Arbeitskräfte als Andere in ethnisch-rassischen Kategorien speiste.

Die letzten beiden Aufsätze betrachten die Schaffung Europas als Erinnerungsraum. In diesem Zusammenhang analysiert Ljiljana Radonić die Anpassung der Ausstellung in der Gedenkstätte des kroatischen Konzentrationslagers von Jasenovac an die europäischen Musealisierungsformen des Holocaust. Gilt die Erinnerung an den Holocaust als Maßstab, wodurch sich die Europäizität der neuen EU-Beitrittsländer messen kann[78], wird die Europäisierung der Erinnerungskulturen in den einzelnen Kontexten zum Träger mehrdeutiger Geschichtsnarrative. Dazu gehört nicht nur die Erklärung des damaligen kroatischen Premiers Ivo Sanader bei seinem Besuch in Yad Vashem 2005, die Verfolgung der KroatInnen im jugoslawischen Krieg sei mit der Shoa vergleichbar. Am Fallbeispiel der Gedenkstätte von Jasenovac zeigt Radonić vor allem, dass die thematische Fokussierung auf die Vernichtung der Jüdinnen und Juden sowie die Privilegierung der Opferperspektive nach europäischem Muster eine Ausblendung der Verantwortung der Ustascha für die ethnischen Säuberungen gegen SerbInnen ermöglicht.

In ihrem Beitrag zur Ambivalenz des Heimatbegriffes argumentiert schließlich Claudia Weber, dass jenes „grenzlose“ Westeuropa, das im „euphorischen“ Jahrzehnt der 1990er-Jahre als idealisiertes Ziel der Europäisierungsprozesse galt, heute selbst zum Erinnerungsort wird. Weber stellt dem Verlust dieser „entgrenzten Heimat“, den sie nach „9/11“ diagnostiziert, eine Wiederbelebung traditionaler Heimatvorstellungen gegenüber. Sie formuliert die These, dass die Rückbesinnung auf eine traditionelle Heimat, die von staatlichen Institutionen aufgenommen wird, ihre Ursprünge in den Ambivalenzen der 1990er-Jahre hat. Diese werden, so Weber, in den Krisen der 2000er-Jahre wirkungsmächtig. Obwohl der Zukunftshorizont des euphorischen Jahrzehnts nun verdunkelt sei, biete die nostalgische Hinwendung zur Vergangenheit, dessen Träger der Heimatbegriff ist, keinen
neuen Zukunftsentwurf.

Die dritte Sektion, Europa: Ambivalenz(en) der Praxis erörtert die Entstehung Europas durch Praktiken der Interaktion und des kommunikativen Handelns. In diesem Sinne übernimmt diese Sektion das unter anderem in der Geschichtswissenschaft verbreitete Verständnis von Europäisierung als Transfer- und Verflechtungsgeschichte.[79] Dabei machen aber insbesondere die ersten vier Beiträge darauf aufmerksam, dass Transfer und Verflechtungen nicht einen in sich „positiven“ Kern haben, wie die normative Teleologie vorgibt, die in den Narrativen der europäischen Integration und der Transnationalisierung und Transkulturalisierung impliziert ist. Im Gegenteil wurde und wird Europa auch durch die Zirkulation von ‚negativen‘ Praktiken der Gewalt, Unterdrückung und Überwachung mit-konstruiert.

Mit seiner Analyse des Polizeiabkommens zwischen dem faschistischen Italien und dem nationalsozialistischen Deutschland lädt Patrick Bernhard dazu ein, die europäische Vernetzung im Bereich der Polizei als ambivalentes Europäisierungsphänomen in die Betrachtung einzubeziehen. Präsentiert sich heute die Interpol als Hüterin der Menschenrechte, wurde sie vor rund hundert Jahren, 1914, zum Schutz konservativer politischer Ordnungen ins Leben gerufen. Diese Tradition setzte sich in der polizeilichen Kooperation fort, die das „Dritte Reich“ mit den faschistischen Achsenmächten vorantrieb. Die Tatsache, dass die anti-liberale Genese der polizeilichen Zusammenarbeit im gegenwärtigen Selbstverständnis der Interpol kaum reflektiert wird, zeugt von der verbreiteten normativen Deutung von Kooperationspraktiken auf europäischer Ebene als per se positive Momente der modernen Europakonstruktion.

Im Beitrag von Felix Ackermann geht es ebenso um die Zirkulation von Praktiken der staatlichen Repression und Überwachung im Europa Ende des 19. Jahrhunderts. Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Lithografie aus dem Jahr 1884, in dem die Berliner Gefängnisanstalt in Moabit als Verkörperung eines Fortschrittsideals der Besserung der Gefängnisinsassen durch Isolation inszeniert wird. Ackermann verwendet den Begriff der Heterotopie von Foucault, um die Diskrepanz zwischen dem erklärten Fortschrittsziel und den schwerwiegenden psychischen Schäden, die derartige Strafvollzugsmethoden verursachten, theoretisch zu erfassen. Diese Diskrepanz gilt allerdings für ihn nicht nur als inhärente Ambivalenz der Moderne. Er zeigt wie das Moabiter Gefängnismodell an der Schnittstelle von verschiedenen Transferprozessen zwischen West- und Osteuropa entstand und deswegen als Produkt und Inputgeber von Europäisierung zu begreifen ist.

Auch Estela Schindel macht darauf aufmerksam, wie die Verfolgung des humanitären Leitbildes des modernen Europa im Spannungsverhältnis mit der institutionalisierten Durchführung von Gewalt gegen bestimmte Menschengruppen steht. In ihrem Beitrag wird aber die Gewaltausübung nicht dem Staat, sondern der EU-Grenzagentur Frontex zugeschrieben, deren Tätigkeitspektrum sowohl die gewaltsame Zurückweisung als auch die humanitäre Rettung der MigrantInnen im Mittelmeer abdeckt. Für Schindel bringt dieses Aktionsfeld die ambivalente Gestaltung Europas als Grenzregime, das durch den Schutz seiner Außengrenzen bei der gleichzeitigen Achtung der Menschenrechte hervorgebracht wird. In Anlehnung an die Theorien von Giorgio Agamben wird diese Ambivalenz im Beitrag mit der gleichen „biopolitischen Logik“ in Zusammenhang gebracht, wonach gerade die Reduzierung der MigrantInnen auf ihr bedrohtes nacktes Leben, sie auch zu Objekten des europäischen humanitären Selbstverständnisses macht.

Das Plädoyer von Pavel Kolář für eine transnationale Geschichte der europäischen Staatsgewalt führt in der Analyse der Verflechtungsprozesse von Gewaltpraktiken eine Metaebene der Reflexion über historiografische Perspektiven und longue durée-Prozesse ein, die als Fazit für dieses Thema fungiert. Kolář präsentiert Transnationalität als historiografische Forschungslinse, durch die die historische Entwicklung der staatlichen Macht als Resultat der „dauerhaften Interdependenz von endogenen und exogenen Faktoren“ sichtbar wird. Diese Linse gibt auch den Blick auf den ambivalenten Charakter der Europäisierung frei: Einerseits wird dadurch die Teleologie der modernen Staatsbildung als Zivilisierungsprozess der schrittweisen Verdrängung von Gewalt in ihrer Normativität demaskiert. Andererseits weist die Betrachtung der Transformationsprozesse von Gewalt in der Moderne auf die europäische Dimension dieser Prozesse. Das gilt in besonderem Maße für die Zeit der Spaltung Europas im Kalten Krieg. So können der westeuropäische Wohlfahrtstaat und der poststalinistische Staat in Osteuropa als regionale Artikulationen der gleichen Tendenz zur „Gouvernementalisierung“ und somit als Europäisierungsmoment aufgefasst werden.

Die zwei Aufsätze von Heike Karge und Paweł Lewicki diskutieren schließlich Europäisierungsprozesse als Prozesse der Auseinandersetzung mit – bzw. der ambivalenten (weil nie vollkommenen) Aneignung oder Verwerfung von – Praktiken, die als modern codiert und somit als erstrebenswert konstruiert wurden/werden. Karge untersucht die klinische Behandlung von Patienten, die während des Ersten Weltkriegs aufgrund der traumatischen Erfahrung an der Front psychisch erkrankten. Die Analyse der Patientenakten der kroatisch-slawonischen „Irrenanstalt“ von Stenjevec zeugt von Umgangsformen mit den Patienten, die große Ähnlichkeiten mit denen anderer europäischer Staaten aufweisen. Eine derartige Europäisierung der Praktiken kontrastiert allerdings mit dem Befund, dass der kroatisch-slawonische Fall sich vom deutschen, russischen oder französischen durch die Art der Diagnostik stark unterscheidet. Während in den meisten europäischen Ländern kriegsspezifische psychiatrische Diagnosen formuliert wurden, entwickelten die Ärzte in Stenjevec keine neue Begrifflichkeit, um die psychischen Belastungen durch den Krieg zu beschreiben. Obwohl sich die fehlende Identifizierung des Krankheitsursprunges in der modernen Kriegserfahrung durch die Rückständigkeit erklären lässt, welche die sich als modern wahrnehmenden kroatisch-slawonischen Psychiater von ihren eigenen vorwiegend bäuerlichen PatientInnen hatten, stellt der nur partielle Transfer modernen psychiatrischen Wissens im kroatisch-slawonischen Raum für Karge nicht das zentrale Zeichen der Ambivalenz dieses Europäisierungsprozesses dar. Vielmehr liegt die Ambivalenz gerade in der fehlenden Übereinstimmung zwischen Diagnosen und Praktiken sowie in den Konsequenzen der Diagnosen für die Soldaten.

Mit seinem Vorschlag, den Polyvalenzbegriff für eine kritische Europäisierungsforschung fruchtbar zu machen, nimmt der Beitrag von Lewicki in diesem Band den Charakter einer Art theoretischen Ausblicks zur konzeptionellen Weiterentwicklung des hier vertretenen Ansatzes an. Durch seine ethnografische Forschung an der EU-Kommission in Brüssel wurde Lewicki auf das Auseinanderdriften zwischen einer öffentlichen Inszenierung rationaler und toleranter Modernität und verborgener Diskriminierungsstrukturen oder dem permanenten Gebrauch von Stereotypen im Privaten bei den EU-BeamtInnen aufmerksam. Bruno Latour folgend lässt sich dieses Phänomen für ihn als Ausdruck der grundlegenden Ambivalenz der Moderne verstehen: Denn die hegemoniale Macht der Moderne beruht für Latour darauf, dass sie einerseits die Trennung zwischen Gott, Natur und Politik permanent performativ hervorbringt, während andererseits diese drei Entitäten heimlich vermischt werden. Lewicki vertritt aber die These, dass die Produktion des modernen Europa im Alltag EU-Brüssels entlang vielfältiger Linien der Differenzierung geschieht, was eher auf die Polyvalenz von Europakonstrukten und Europäisierungsprozessen hinweist. Insbesondere die Betrachtung der Praktiken der Europäisierung ermöglicht daher, das aus der Moderne geerbte dichotomische Verständnis der Ambivalenz als Widerspruch auszublenden. An ihre Stelle setzt sich die andere, im Ambivalenzbegriff enthaltene Bedeutung: Pluralität und Mehrdeutigkeit.



[1] Die Druckversion des Artikels findet sich in:Timm Beichelt / Clara Maddalena Frysztacka / Claudia Weber / Susann Worschech (Hrsg.): Ambivalenzen der Europäisierung, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021, URL:https://www.europa.clio-online.de/schriftenreihen/ambivalenzen(20.10.2021).

[2] Appadurai, Arjun, Thinking Beyond Trajectorism, in: Heinlein, Michael et al. (Hgg.), Futures of Modernity. Challenges for Cosmopolitical Thought and Practice, Bielefeld 2012, S. 25–31, hier S. 26.

[3] Vgl.Koselleck, Reinhart; Gadamer, Hans-Georg, Zeitschichten (Studien zur Historik), Frankfurt am Main 2000, S. 298–316.

[4] Vgl.Brendecke, Arndt, Die Jahrhundertwenden. Eine Geschichte ihrer Wahrnehmung und Wirkung, Frankfurt am Main 1999, S. 210–223;Esposito,Fernando (Hg.), Zeitenwandel. Transformationen geschichtlicher Zeitlichkeit nach dem Boom, Göttingen 2017; Assmann, Aleida, Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Fall des Zeitregimes der Moderne, München 2013.

[5] Heinlein, Michael et al., Futures of Modernity.An Introduction, in: ders., Futures of Modernity, S. 7–21, hier S. 14.

[6] Damit ist in erster Linie die postkoloniale Perspektive gemeint.Siehe diesbezüglich beispielweise:Chakrabarty, Dipesh, Provincializing Europe. Postcolonial Thought and Historical Difference, Princeton 2000; Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini; Römhild, Regina (Hgg.), Jenseits des Eurozentrismus.Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002; Banerjee, Prathama, Politics of Time.„Primitives“ and History-Writing in a Colonial Society, Oxford 2006; Ponzanesi, Sandra; Blaagaard, Bolette (Hgg.), Deconstructing Europe. Postcolonial Perspectives, London 2013.

[7] Vgl.Appadurai, Thinking Beyond Trajectorism, S. 29–30.

[8] Vgl.Assmann, Aleida, Zeit undTradition.Kulturelle Strategien derDauer, Köln 1999, S. 21–33.

[9] Vgl.Trüper, Henning; Chakrabarty, Dipesh; Subrahmanyam, Sanjay, Introduction. Teleology and History – Nineteenth-Century Fortunes of an Enlightenment Project, in: dies. (Hgg.), Historical Teleologies in the Modern World, London 2015, S. 3–23, hier S. 3–4.

[10] Koselleck, Reinhart, Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt am Main 2006, S. 159–181.

[11] Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini, Einleitung. Geteilte Geschichten–Europa in einer postkolonialen Welt, in:dies.; Römhild, Regina (Hgg.), Jenseits des Eurozentrismus.Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main22013, S. 32–70, hier S. 55.

[12] Vgl.Salvadori, Massimo L., Fortschritt.Die Zukunft einer Idee, Berlin 2008, S. 14–16.

[13] Hegel, Georg Wilhelm Friedrich, Vorlesungen über die Philosophien der Geschichte,in:ders.,Werke in 20 Bänden, Bd. 12, hg.v. Moldenhauer,Eva;Michael,KarlM., Frankfurt am Main 1986,S. 74, S. 134.

[14] Zur Idee der „verkörperten Zeit“ des Historismus und bei Hegel siehe: Hölscher, Lucian, Von leeren und gefüllten Zeiten. Zum Wandel historischer Zeitkonzepte seit dem 18. Jahrhundert, in:Geppert, Alexander C. T; Kössler, Till (Hgg.), Obsession der Gegenwart.Zeit im 20.Jahrhundert, Göttingen 2015, S. 37–70; Jansen, Harry, In Search of New Times.Temporality in the Enlightenment and Counter-Enlightenment, in: History and Theory 55 (2016), H. 1,S. 66–90.

[15] Vgl. Salvadori, Fortschritt, S. 18–23.

[16] Vgl.Spohn, Willfried, Globale, multiple und (post-)koloniale Modernen. Eine interzivilisatorische und historisch-soziologische Perspektive, in:Boatcă, Manuela; Spohn, Willfried (Hgg.), Globale, multiple und postkoloniale Modernen, München 2010, S. 1–27.

[17] Ebd., S. 4.

[18] Vgl.Müller, Tim B., Innenansichten des Kalten Krieges. Über ein glückliches Zeitalter, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 6 (2013), H. 3/4, S. 26–40, hier S. 27.

[19] Bavaj, Riccardo, Modernisierung, Modernität und Moderne. Ein wissenschaftlicher Diskurs und seine Bedeutung für die historische Einordnung des„Dritten Reiches“, in: Historisches Jahrbuch 125 (2005), S. 413–451, hier S. 413–415.

[20] Randeria, Shalini; Römhild, Regina, Das postkoloniale Europa.Verflochtene Genealogien der Gegenwart. Einleitung zur erweiterten Neuauflage, in:Conrad; Randeria; Römhild, Jenseits des Eurozentrismus, S. 9–31, hier S. 20–21.

[21] Fukuyama, Francis, The End of History and the Last Man, New York 1992.

[22] Banerjee, Politics of Time, S. 1–7.

[23] Boatcă, Manuela, Multiple Europas und die interne Politik der Differenz, in:Boatcă; Spohn (Hgg.), Globale,multiple und postkoloniale Modernen,S. 341–358, hier S. 343.

[24] Boatcă,Spohn, Globale, multiple und (post-)koloniale Modernen.

[25] Boatcă, Manuela, Die östlichen Ränder des Empires. Kolonialität im Rumänien des 19. Jahrhunderts, in:Conrad; Randeria; Römhild, Jenseits des Eurozentrismus, S. 322–344, hier S. 322.

[26] Vgl.Asbach, Olaf, Europa und die Moderne im langen 18. Jahrhundert. Einleitung, in:ders.(Hg.), Europa und die Moderne im langen 18.Jahrhundert, Hannover 2014, S. 9–30.

[27] Delanty, Gerard, Formations of European Modernity. A Historical and Political Sociology of Europe, Houndmills 2013, S. 161.

[28] Burke, Peter, Did Europe Exist before 1700?, in: History of European Ideas 1 (1980), H. 1/4, S. 21–29.

[29] Vgl.Asbach, Olaf, Europa. Vom Mythos zur Imagined Community? Zur historischen Semantik „Europas“ von der Antike bis ins 17. Jahrhundert, Hannover 2011, S. 115–126; Schmale, Wolfgang, Das 17. Jahrhundert und die neuere europäische Geschichte, in: Historische Zeitschrift 264 (1997), S. 587–611.

[30] Vgl.Asbach, Europa;Schmale, Wolfgang, Geschichte Europas, Wien 2000, S. 11–19.

[31] Vgl.Burke, Did Europe Exist; Schmale, Das 17. Jahrhundert und die neuere europäische Geschichte; Asbach, Europa.

[32] Vgl.Conrad; Randeria, Einleitung. Geteilte Geschichten.

[33] Ebd., S. 40; Asbach, Olaf, Die neuzeitliche Narration „Europa“ undihrimperialer Anspruch, in:Meyer, Holt; Rau, Susanne; Waldner, Katharina (Hgg.), SpaceTime of the Imperial, Berlin 2017, S. 174–203, hier S. 188.

[34] Boatcă, Multiple Europas, S. 349ff.

[35] Vgl.Koselleck, Reinhart, Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, Frankfurt am Main 1979, S. 23–14.

[36] Vgl.Delanty, Formations of European Modernity, S. 156–157; Lützeler, Paul Michael, „Restauratio Imperii“.Napoleons Rom-Fixierung im Kontext des Europa-Diskurses, in: Zelic, Tomislav; Sambunjak, Zeneta; Pavić Pintarić, Anita (Hgg.), Europa?Zur Kulturgeschichte einer Idee, Würzburg 2015, S. 137–155.

[37] Fontana, Biancamaria, The Napoleonic Empire and the Europe of Nations, in: Pagden, Anthony (Hg.), The Idea of Europe. From Antiquity to the European Union, Washington D.C. 2002, S. 116–128;Gruner, Wolf D., Leitbild Europa?Europaperzeptionen und Europapläne des 19. Jahrhunderts, in:Elvert, Jürgen; Nielsen-Sikora, Jürgen (Hgg.), Leitbild Europa? Europabilder und ihre Wirkungen in der Neuzeit, Stuttgart 2009, S. 89–118.

[38] Vgl.Patel, Kiran Klaus; Hirschhausen, Ulrike von, Europeanization in History.An Introduction, in: Conway, Martin; Patel, Kiran Klaus (Hgg.), Europeanization in the Twentieth Century. Historical Approaches, Basingstoke 2010, S. 1–18, hier S. 3.

[39] Vgl.Delanty, Gerard; Rumford, Chris, Rethinking Europe. Social Theory and the Implications of Europeanization, London 2005, S. 3.

[40] Vgl.Beichelt, Timm, Deutschland und Europa. Die Europäisierung des politischen Systems, Wiesbaden22015, S. 13–14.Neuman Stanivuković, Senka, Europeanization as Discursive Practice. Constructing Territoriality in Central Europe and the Western Balkans, London 2018, S. 11.

[41] Vgl.Swedberg, Richard, The Idea of ‚Europe‘ and the Origin of the European Union.A Sociological Approach, in: Zeitschrift für Soziologie 23 (1994), H. 5/6, S. 378–387;Asbach, Europa, S. 13–26.

[42] Bauman, Zygmunt, Modernity and Ambivalence, Ithaca 1991.

[43] Vgl.ders., Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit, Hamburg 1992, S. 13–32 (Übersetzung des Originalwerks).

[44] Ebd., S. 19.

[45] Ebd.

[46] Vgl.ebd., S. 30.

[47] Meier, Heinrich; Bell, Daniel (Hgg.), Zur Diagnose der Moderne, München 1990.

[48] Auch die Konzeptualisierungen der Moderne aus der französischen Philosophie, von Michel Foucault bis zu Bruno Latour, lassen sich als Beiträge zu dieser Debatte verstehen. Siehe:Foucault, Michel, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie derHumanwissenschaften, Frankfurt am Main 1974 (Originalausgabe: Les mots et les choses.Une archéologie des sciences humaines, Paris 1966); Latour, Bruno, We Have Never Been Modern, Cambridge 1993 (Originalausgabe: Nous n’avons jamais été modernes.Essai d’anthropologie symétrique, Paris 1991).

[49] Koslowski, Peter, Die Ambivalenzen des Modernen und die Postmoderne als Philosophie, Stil und Epoche, in:ders.; Schenk, Richard (Hgg.), Ambivalenz – Ambiguität – Postmodernität. Begrenzt eindeutiges Denken, Stuttgart 2004,S. 3–46,hier S. 3.

[50] Vgl. z.B.Doering-Manteuffel, Anselm, Langfristige Ursprünge und dauerhafte Auswir­kungen. Zur historischen Einordnung der siebziger Jahre, in:Jarausch, Konrad Hugo (Hg.), Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte, Göttingen 2008, S. 313–329;Assmann, Ist die Zeit aus den Fugen?, S. 9–22;Esposito, Fernando, No Future – Symptome eines Zeit-Geists im Wandel, in:Schlemmer, Thomas; Reitmayer, Morten (Hgg.), Die Anfänge der Gegenwart, München 2014, S. 95–108.

[51] Vgl.Beck, Ulrich; Bonß, Wolfgang, Die Modernisierung der Moderne, Frankfurt am Main 2001, S. 19.

[52] Esposito, Fernando, Von No Future bis Posthistoire.Der Wandel des temporalen Imaginariums nach dem Boom, in:Doering-Manteuffel, Anselm; Raphael, Lutz; Schlemmer, Thomas (Hgg.), Vorgeschichte der Gegenwart, Dimensionen des Strukturbruchs nach dem Boom, Göttingen 2016, S. 393–424.

[53] Gumbrecht, Hans Ulrich; Born, Frank, Unsere breite Gegenwart, Berlin 2010.

[54] Hartog, François, Regimes of Historicity. Presentism and Experiences of Time, New York2015 (Originalausgabe: Régimes d’historicité.Présentisme et expériences du temps, Paris 2003).

[55] Lübbe, Hermann, Gegenwartsschrumpfung, in:Bonus, Holger; Backhaus, Klaus (Hgg.), Die Beschleunigungsfalle, oder der Triumph der Schildkröte, Stuttgart31998, S. 129–164.

[56] Heinlein et al., Futures of Modernity, S. 8.

[57] Vgl.Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W., Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Frankfurt am Main 1969 [Erste Aufl.1944].

[58] Miller, Max; Soeffner, Hans-Georg, Modernität und Barbarei. Eine Einleitung, in:dies.(Hgg.), Modernität und Barbarei. Soziologische Zeitdiagnose am Ende des 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main 1996, S. 12–27, hier S. 17; Kössler, Reinhart, Despotie in der Moderne, Frankfurt am Main 1993.

[59] Bauman, Zygmunt, Gewalt–modern und postmodern, in:Miller; Soeffner, Modernität und Barbarei, S. 36–67, hier S. 38.

[60] Vgl. für diesen unddennächsten Satzebd., S. 37.

[61] Banerjee, Politics of Time, S. 2.

[62] Vgl.Frischmann, Bärbel, Introduction. Europe, Spatiotemporal Orientation, and the Imperial, in: Meyer; Rau; Waldner, SpaceTime of the Imperial, S. 171–173; Boatcă, Die östlichen Ränder des Empires, S. 327.

[63] Vgl.Appadurai, Thinking Beyond Trajectorism, S. 27.

[64] Vgl.Beck; Bonß, Die Modernisierung der Moderne, S. 18.

[65] Vgl.Wilpert, Gero von, Sachwörterbuch der Literatur, Stuttgart71989, S. 23; Bleuler, Eugen, Dementia praecox oder Gruppe der Schizophrenien [Unveränderte Neuauflage der Ausg.Leipzig, Wien, Deuticke, 1911], Gießen 2014.

[66] Bauman, Zygmunt, Modernity and Clarity. The Story of a Failed Romance, in: Luthe, Heinz Otto; Wiedenmann, Rainer (Hgg.), Ambivalenz.Studien zum kulturtheoretischen und empirischen Gehalt einer Kategorie der Erschließung des Unbestimmten, Opladen 1997,S. 109–122, hier S. 110.

[67] Vgl.Lyotard, Jean-François, Das postmoderne Wissen, Graz 1986 (Originalausgabe: Lacondition postmoderne. Rapport sur le savoir, Paris 1979).

[68] Koslowski, Die Ambivalenzen des Modernen, S. 18.

[69] Vgl.Becher, Ursula, Kontingenz und historische Erzählung, in:Luthe; Wiedenmann, Ambivalenz, S. 65–82; Vester, Heinz-Günter, Ambivalenzzen der postmodernen Geschichte, in:Luthe; Wiedenmann, Ambivalenz, S. 123–147.

[70] Finzi, Daniela, Ambivalenz als Appell. Weiterführende Bemerkungen zu Freud, Bhabha und Ruthner, in:Babka, Anna (Hg.), Dritte Räume, Homi K. Bhabhas Kulturtheorie – Kritik, Anwendung, Reflexion, Wien 2011, S. 65–67, hier S. 66–67.

[71] Bhabha, Homi K., The Location of Culture, London 1994, S. 85–95.

[72] Müller-Funk, Wolfgang, Alterität und Hybridität, in:Babka, Dritte Räume, S. 127–139.

[73] Asbach, Europa, S. 30–31.

[74] Vgl.Becher, Kontingenz und historische Erzählung, S. 65.

[75] Vgl.Asbach, Die neuzeitliche Narration.

[76] Vgl. beispielweiseBösch, Frank; Brill, Ariane; Greiner, Florian (Hgg.), Europabilder im 20. Jahrhundert. Entstehung an der Peripherie, Göttingen 2012 (die Sektion Europa als Ergebnis kolonialer Wahrnehmungen); Klose, Fabian, Europe as a Colonial Project.ACritique of its Anti-Liberalism, in: Gosewinkel, Dieter (Hg.), Anti-liberal Europe.A Neglected Story of Europeanization, New York 2015, S. 47–71.

[77] Wendland, Anna Veronika, Wie wir die Karten lesen. Osteuropäische Fragen an europäische Geschichte und europäische Einigung. Zwei Essays, München 2007, S. 8.

[78] Zu dieser These vgl.Troebst, Stefan, Jalta versus Stalingrad, Gulag versus Holocaust, in: Berliner Journal für Soziologie 15 (2005), H. 3/4, S. 381–400; Sabrow, Martin, Nationalgeschichte und historische Europäisierung. Bemerkungen zum Gegenwartswandel der Geschichtsschreibung, in:Rusconi, Gian Enrico; Woller, Hans (Hgg.), Parallele Geschichte? Italien und Deutschland 1945–2000, Berlin 2006, S. 479–505.

[79] Vgl. bspw.Wendland, Wie wir die Karten lesen; Hirschhausen, Ulrike von; Patel, Kiran Klaus, Europäisierung, in: Hirschhausen, Ulrike von; Patel, Kiran Klaus, in: Docupedia, URL: (16.06.2020).