Essays/

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  • von Frank Hadler

    Wer die Zeichen einer durch tiefgreifende politische wie gesellschaftliche Umbrüche bestimmten Zeit für sein eigenes wissenschaftliches Tun erkennen und nutzen will, braucht erstens einen breiten Überblick, zweitens gute Pläne und drittens viel Selbstbewusstsein. Von den genannten drei Dingen besaß Bedrich Hrozný (1879–1952) offenbar reichlich, als er Ende 1919 angesichts der durch „Weltkrieg und Weltfrieden“ radikal veränderten Weltlage den hier gekürzt ins Deutsche übertragenen Zeitschriftenbeitrag zu Papier brachte. Dem Text kam für Hroznýs spätere, über weitere Zeitenwenden hinweg reichende berufliche Karriere als Wissenschaftler von europäischem Rang hohe Bedeutung zu. Dass der Name Hrozný bis heute weltweit in nahezu allen großen Lexika zu finden ist, gründet sich zuvorderst auf der Tatsache, dass er die dreieinhalbtausend Jahre alte, in Keilschrift geschriebene Sprache der Hethiter entschlüsselte und zudem den zweifelsfreien Nachweis ihrer Zugehörigkeit zur indoeuropäischen Sprachfamilie erbrachte. [..

  • von Sabine Stach

    Als sich im vergangenen Jahr die Selbstverbrennung Jan Palachs zum 40. Mal jährte, wurde – wie bei Jubiläen üblich – Rückschau gehalten und nach dem „Sinn“ seiner Tat gefragt. Fragen wurden laut, ob sein „Opfer“ nicht letztlich vergebens gewesen sei. Er hatte sein Leben eingesetzt, um die Bevölkerung „wachzurütteln“, um ein Zeichen zu setzen gegen die von ihm empfundene beginnende Resignation nach der Niederschlagung des Prager Frühlings. Tatsächlich erschütterte sein Tod im Januar 1969 die ganze Nation, Tausende versammelten sich ihm zu Ehren und ließen sein Begräbnis zu einer Massendemonstration werden. Dennoch wurden die Forderungen Palachs nicht erfüllt. Die meisten Menschen gingen wieder zum Alltag über, die staatlich verordnete „Normalisierung“ begann sich auch im Privaten rasch durchzusetzen. [...]

  • von Steffi Franke

    Der Essay des ungarischen Schriftstellers György Konrád „Mein Traum von Europa“ steht neben Milan Kunderas berühmten Diktum vom „occident kidnappé“ (1984) am Beginn einer intensiven Diskussion über Mitteleuropa. Diese beschäftigte während der achtziger Jahre dissidente und exilierte Intellektuelle und Künstler in und aus der Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, teilweise auch der DDR, aber ebenso zunehmend westliche Intellektuelle und Politiker. Dabei ging es im Allgemeinen um die Identität und Einheit Europas und im Besonderen um das Selbstverständnis jener Länder, die damals im sowjetischen Einflussbereich lagen, historisch jedoch auf eine lange Geschichte der Verbundenheit mit dem westlichen Europa zurückblicken konnten. [...]

  • von Martina Winkler

    Grotesk, absurd, in seiner Symbolhaftigkeit komisch und tragisch zugleich ist die eine Abbildung aus dem Buch „Der brave Soldat Švejk“, die wohl mehr als alle anderen Illustrationen die zentrale Aussage und Komplexität des Romans zeigt: Die Zeichnung Josef Ladas, die Švejk in einem Rollstuhl sitzend und mit den Krücken winkend zeigt, von einer alten Frau mühsam durch die Straßen geschoben und entschlossen – „Nach Belgrad, nach Belgrad!“ – Kriegsbegeisterung bekundend. [...]

  • von Philipp Ther

    Gelegentlich haben europäische Intellektuelle Visionen von Europa, die sich als prophetisch erweisen. So ist es im Falle Milan Kunderas, einem der großen tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er hatte 1983 Vorstellungen von Europa, die durch den EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten 2004 zur Realität wurden. Sein Text zeigt das klare Bewusstsein, dass Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei eigentlich zum westlichen Kulturkreis Europas gehören.[...]