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  • von Laura-Elena Keck

    Der russisch-japanische Krieg von 1904/05 war aus europäischer Sicht nicht nur ein Schockmoment, das die scheinbare Überlegenheit Europas in Frage stellte. Er gab auch Anlass zu hitzigen Ernährungsdebatten: Waren die japanischen Erfolge auf die vegetarische Kost der Soldaten zurückzuführen? Wie ließ sich diese Theorie mit der wissenschaftlichen Ernährungsforschung in Europa vereinbaren, die seit Jahrzehnten mehrheitlich die Vorzüge des Fleischkonsums anpries? Und was bedeutete das alles für die Zukunft der europäischen Nationen? Anhand von Beiträgen aus der „Vegetarischen Warte“ zeigt der Essay, wie die Frage nach der „richtigen“ Ernährung um 1900 zu einer europäischen Schlüsselfrage wurde, die nicht nur für die weitere Entwicklung des Kontinents entscheidend schien, sondern auch für die Frage, wer eigentlich zu Europa gehörte.

  • von Maria Katharina Wiedlack

    This article analyzes a chapter from Charles Ellms’s book “The Tragedy of the Seas” (1848). The chapter recounts the historical events around a schooner belonging to the Russian American Company, which was shipwrecked close to the Olympic Peninsula in 1808. After the disaster, the ship’s crew, and Anna Petrovna Bulygin, the captain’s wife, were taken hostage by indigenous people. The article examines Anna Petrovna Bulygin’s female agency within Ellms’s narrative, arguing that it is exceptional within the genre of maritime frontier adventures, as well as early 19th century Russian culture. Importantly, a focus on her agency offers interesting insights into the Russian colonial gaze on the indigenous peoples of America.

  • von Heike Karge

    Im vorliegenden Beitrag soll daher die Frage diskutiert werden, was es für das Verständnis einer psychischen Störung bei Soldaten bedeutete, wenn es kriegsspezifische psychiatrische Diagnosen gab oder nicht. Lassen sich während des und nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsame europäische Entwicklungslinien im Umgang mit seelisch dekompensierten Soldaten erkennen, und wie verhalten sich hierzu die unterschiedlichen Begrifflichkeiten für die Bezeichnung soldatisch-psychischer Versehrtheit? Ich möchte zeigen, dass die Analyse des Umgangs mit psychischer Kriegsversehrtheit einen ambivalenten Europäisierungsprozess sichtbar machen kann. Er erschließt sich aber nicht nur über die Analyse gemeinsamer, unterschiedlicher oder – wie im kroatisch-slawonischen Fall – fehlender Terminologien zur Bezeichnung von spezifisch im Krieg entwickelten psychischen Störungen, sondern wird erst im mikrohistorischen Zugriff auf die Patientenakten sicht-bar, weil hier die konkret angewendeten klinischen Praktiken festgehalten wurden.

  • von Clara M. Frysztacka

    „‚Trajectorism‘ is the great narrative trap of the West and is also, like all great myths, the secret of its successes in industry, empire and world conquest.“ Die Quintessenz der westlichen Epistemologie bestehe, so Arjun Appadurai, in Zielgerichtetheit: Sie sichere den Erfolg des (west-)europäischen Zivilisationsmodells, stelle aber zugleich die größte „Falle“ des (west-)europäischen Selbstverständnisses dar. Appadurai nennt „trajectorism“ das, was andere ForscherInnen als Teleologie bezeichnen. Er versteht darunter die Auffassung der Zeit als einem Pfeil, der in eine präzise Richtung zeigt, sowie von historischen Prozessen und von der Geschichte selbst als Träger eines einheitlichen Telos.

  • von Stefan Rohdewald

    Das Verhältnis von Religion und Entwürfen kollektiver Identität und Modernität ist in den vergangenen Jahren von der Forschung zunehmend intensiver untersucht worden. Als zentral erwiesen sich dabei nicht nur Fragen nach dem Wandel von im Mittelalter und in der Frühneuzeit hergestellten Verehrungskontexten während der Entstehung nationaler Rückblicke und die Gegenwart konstituierender Erwartungshorizonte im 19. Jahrhundert. [...]

  • von Maximilian Buschmann

    Am 9. Juli 1909 verbreitete sich eine Nachricht aus dem berüchtigten Londoner Frauengefängnis Holloway weit über die britischen Inseln hinaus. Nach 91 Stunden im Hungerstreik wurde Marion Wallace Dunlop, die Anerkennung als politische Gefangene einforderte, vorzeitig entlassen. Ihre einmonatige Haftstrafe wegen unerlaubten Plakatierens endete bereits nach fünf Tagen. In Votes for Women, der Wochenzeitung der militantesten Organisation der britischen Frauenbewegung, Women’s Social and Political Union (WSPU), hieß es: „At last the Authorities had to give way. [...]

  • von Heike Karge

    Gab es in und nach dem Ersten Weltkrieg im jugoslawischen Raum Soldaten, die psychisch am Krieg erkrankten? Die wie in West- und Mitteleuropa als Kriegsneurotiker, als Kriegszitterer, als „shell-shocked soldiers“ mit einer vom Krieg schwer gezeichneten Psyche von den Fronten zurückkehrten? Anders als im angloamerikanischen, west- und mitteleuropäischen Raum sind in der südosteuropäischen Historiografie solche psychiatriegeschichtlichen Fragestellungen ausgesprochen rar. [...]

  • von Katrin Jordan

    Tschernobyl ist überall – nur nicht in Frankreich. Diesen Eindruck konnten die Zuschauerinnen und Zuschauer der Abendnachrichten vom 30. April 1986 gewinnen, als sie den Wetterbericht des französischen Fernsehsenders Antenne 2 sahen. Vier Tage zuvor, am 26. April 1986, hatte sich im sowjetischen Kernkraftwerk Wladimir Iljitsch Lenin der zum damaligen Zeitpunkt schwerste Unfall in der zivilen Kernenergienutzung ereignet. Bei einem planmäßigen Test war der Reaktor des vierten Blocks außer Kontrolle geraten. Ein ungehinderter Leistungs und Temperaturanstieg führte zu einer Explosion, bei der der Reaktorkern zerstört und die Abdeckplatte samt Dach des Reaktorgebäudes gesprengt wurden. Durch das offene Dach entwichen über Tage hinweg radioaktive Substanzen, darunter die leicht flüchtigen Isotope Jod1-31, Cäsium-137 und Strontium-90. [...]

  • von Stefan Troebst

    Seit dem Überfall durch das nationalsozialistische Deutschland reaktivierte die Führung der UdSSR neben dem „Sowjetpatriotismus“ und der Orthodoxie auch das „Slaventum“ in Gestalt des Allslavischen Komitees in Moskau – mit historisierenden Rückgriffen auf den ersten Slavenkongress von 1848 im damals habsburgischen Prag, nicht hingegen auf den zarischen Panslavismus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch nach 1945 sollte dieser Bezugsrahmen gemäß sowjetischer Planung seine Bedeutung beibehalten, vor allem mit Blick auf die jetzt kommunistischen Bündnispartner Jugoslawien und Polen, aber auch auf die bürgerlich-demokratische Tschechoslowakei und sogar auf Bulgarien, das zwar ein Verliererstaat des Zweiten Weltkriegs war, jedoch ein in Stalinisierung begriffener. [...]

  • von Steffi Marung

    Aus mindestens zwei Richtungen wären Nachfragen wegen der Themenwahl für diesen Essay zu erwarten. Zum einen: Waren russische und sowjetische Fachleute für außereuropäische Weltregionen Teil der europäischen wissenschaftlichen Gemeinschaft? Und zum anderen: Die hier vorzustellende Berufsgruppe beschäftigte sich nun gerade nicht mit Europa, sondern verfolgte ein professionelles Interesse an gänzlich anderen Weltregionen. Inwiefern kann also für sie ein Platz in diesem Band gefunden werden? Die erste Frage sei eingangs schon einmal eindeutig bejaht, bevor dies weiter unten näher erläutert wird. Und zur zweiten wird im Folgenden zu zeigen sein, dass der Bezug auf Europa bei der Herausbildung der russischen Orientalistik und der sowjetischen Afrikanistik seit dem 19. Jahrhundert eine nicht zu unterschätzende Rolle spielte. [...]

  • von Daniel Roger Maul

    Die ausgewählte Quelle ist in mancher Hinsicht das Dokument eines Scheiterns. Fridtjof Nansens flammender 1921 an die Mitglieder des Völkerbunds gerichteter Appell, der Sowjetunion im Angesicht einer gewaltigen Hungersnot Regierungskredite zu gewähren, verhallte ungehört. Gleichzeitig steht die Rede Nansens am Ausgangspunkt eines der größten vor allem von privaten Initiativen getragenen humanitären Hilfseinsätze des 20. Jahrhunderts. Er vereinte private Hilfsorganisationen unterschiedlicher geografischer und politischer Herkunft in ihren Bemühungen; auf dem Höhepunkt wurden täglich bis zu 11 Millionen Menschen mit Nahrung, Kleidung und Medizin versorgt, in einem Gebiet, das sich in etwa von Kasan im Norden Russlands bis zu den Mündungen von Wolga und Don im Schwarzen und Kaspischen Meer über nahezu tausend Kilometer erstreckte.[...]

  • von Rainer Metz

    Abbildung 1 zeigt den Verlauf der Roheisen- und Bleierzeugung pro Kopf der Bevölkerung in England von 1844 bis 1914 in der Form, wie sie der russische Ökonom Nikolaj Kondratieff (1892-1938) berechnet und als Indiz für die Existenz langfristiger Konjunkturzyklen, den sogenannten Langen Wellen, verwendet hat. Zur Berechnung der in Abb. 1 dargestellten Reihen hat Kondratieff zunächst den Säkulartrend mit Hilfe deterministischer Funktionen der Zeit geschätzt, die resultierenden Werte dann von der Originalreihe subtrahiert und schließlich das Ergebnis als Prozentabweichungen vom Säkulartrend ausgedrückt. Die prozentualen Abweichungen hat er zudem noch mit einem 9jährigen gleitenden Mittelwert geglättet um die kurzfristigen Konjunkturschwankungen auszuschalten. Das Ergebnis dieses Vorgehens zeigt die Abb. 1, die in dieser Form auch in seiner Publikation von 1926 enthalten ist, hier aber aus den von ihm verwendeten Reihen berechnet wurde. [...]

  • von Andreas Renner

    Ein holländischer Kupferstich aus dem Jahr 1725 zeigt den russischen Zaren Peter I., besser bekannt als der Große, als allegorische Heldengestalt. Obwohl Peter in diesem Bild einmal mehr in Rüstung mit Lorbeerkranz auftritt, steht er nicht als siegreicher Imperator im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sondern als Förderer westeuropäischer Wissenschaft und Technik. Er öffnet seinem Land mit großzügiger Geste einen Zugang zu diesem Wissen, das er selbst in Westeuropa kennen und schätzen gelernt hat und von dem er Belegstücke nach Russland gebracht hat. [...]

  • von Markus Cerman

    Die Theorie der „Gutsherrschaft“ im frühneuzeitlichen östlichen Mittel- und Osteuropa ist mehr als 120 Jahre alt. Ein erster allgemeiner Ansatz wurde durch Georg Friedrich Knapps Buch „Die Bauernbefreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen Preußens“ geprägt. Die Absichten zeitgenössischer Sozialreform sind in seinen Schriften – er war Mitglied des Vereins für Socialpolitik – nicht zu leugnen. Sein Buch bezeichnete er als „sozialpolitische Geschichte der ländlichen Bevölkerung“ und er widmete sich den historischen Ursachen der sozialen Frage der landlosen Landarbeiter in der durch große Rittergüter dominierten Landwirtschaft im östlich der Elbe gelegenen Teil des Deutschen Reichs. Ihm zufolge verschlechterte sich dort seit der frühen Neuzeit die Situation der Bauern wegen des Machtgewinns der Stände gegenüber dem Staat (insbesondere durch die Übernahme der Gerichtsherrschaft) und der wirtschaftlichen Expansion der Eigenwirtschaft der Gutsherren auf Kosten des Bauernlandes. [...]

  • von Stefan Troebst

    Der Regimewandel in Ostmittel- und Südosteuropa 1989 und die Implosion der Sowjetunion samt Hegemonialsphäre 1991 haben im Bereich der Geschichtswissenschaft gleich zwei gravierende Folgen gezeitigt: Zum einen haben Historikerinnen und Historiker im östlichen Europa an präkommunistische Historiographietraditionen angeknüpft sowie den Anschluss an internationale Standards und Trends gesucht. Und zum anderen hat die internationale Geschichtsforschung ein neues Interesse an der Geschichte des östlichen Europa im Allgemeinen und an seiner geschichtswissenschaftlichen Produktion im Besonderen entwickelt.

  • von Eva-Maria Stolberg

    Gehört Russland zu Europa? Diese Frage wurde und wird inner- und außerhalb Russlands immer wieder leidenschaftlich diskutiert. Oft wird dabei Europa mit dem Westen gleichgesetzt. Deutsche Historiker wie z.B. Hans-Ulrich Wehler haben die Nichtzugehörigkeit Russlands zu Europa mit seiner Orthodoxie begründet, davon ausgehend wird eine transatlantische Gemeinschaft zwischen den USA und Europa abgeleitet. Liegt es da nicht nahe, dass in Russland auch heute wieder ein "Eurasien" als Gegenmodell konstruiert wird? "Eurasien" ist seit dem Ende der Sowjetunion wieder im Gespräch. Die heutige Attraktivität des eurasischen Konzeptes liegt darin, dass sich das Russland Putins gern als Großmacht in den GUS-Staaten, einer Art "russischen Commonwealth" sieht.[...]

  • von Jörg Baberowski

    Vjaceslav Michajlovic Molotov (1890-1986) war im Jahre 1930 nicht nur Vorsitzender des Rates der Volkskommissare. Er gehörte auch dem Politbüro und dem Sekretariat des Zentralkomitees der kommunistischen Partei an. Molotovs Einfluss wuchs mit der Macht Stalins, dessen Alleinherrschaft 1930 schon nicht mehr in Zweifel stand. In der Partei galt Molotov als „Stellvertreter“ Stalins, als treuer Gefolgsmann, der sich dem Willen des Diktators bedingungslos unterwarf.[...]

  • von Luise Althanns

    Am 31. Januar 1990 wurde in Moskau der erste McDonald’s eröffnet. Dieses Ereignis kann als Synonym für die Konsumrevolution gelten, welche die ehemals sozialistischen Länder im Zuge des Übergangs zur Marktwirtschaft erlebten. Die sich wesentlich im Konsum niederschlagende Teilung in ein östliches und westliches Europa nahm damit ein Ende. Im März 1990 erschien auf der Titelseite der führenden sowjetischen Satire-Zeitschrift Krokodil eine Karikatur, welche die Eröffnung des ersten McDonald’s in Moskau auf der Gorkij- (später: Tverskaja-) Straße gegenüber der Puškin-Statue kommentierte. Das in der Karikatur gezeichnete Stadtbild entspricht mit der Coca-Cola-Leuchtreklame zur linken – die Werbung gab es an dieser Stelle seit November 1989 –, den Häusern, den McDonald’s-Emblemen und der Kontur der Statue weitgehend den realen Gegebenheiten des Ortes. Vor dem neuen Schnellimbiss drängen sich Menschenmassen, von den Seiten laufen weitere Menschen hinzu. Auch dies entspricht den damaligen Zuständen.

  • von Hartmut Zwahr

    Dem nachstehenden Text vom 30. Oktober 1956 begegne ich gleichsam mit doppeltem Blick, dem eigenen, denn ich bin der Verfasser, sowie dem des Historikers auf vergessene Notizen, die ich im vorigen Jahr wiederfand. Ich kenne die Personen, den Ort, die Verhältnisse, die in sie hineinspielenden sorbischen Umstände, aber aus dem Gedächtnis könnte ich das Geschehen, das diese Quelle festhält, seine Spezifik und die damit verbundenen Reflexionen nicht rekonstruieren. Das Eigene erscheint inzwischen als das fast völlig Fremde.[...]

  • von Ingeborg Baldauf

    Unter dem Titel Avrupa Säjaxatnamäse – „Europareise“ – erschien 1902 in Sankt Petersburg das Buch zu einer Reise, die der muslimisch-tatarische Aufklärer Fatix Kärimi (1870-1937) im Jahre 1899 an der Seite des Goldmillionärs und Mäzens Shakir Rämiev unternommen hatte. Der Text gehört unter den zahlreichen russlandtürkischen Reisebeschreibungen aus dieser Zeit zu denen, auf die ein zuweilen gegenüber dem Genre Reiseliteratur generell geäußertes Urteil tatsächlich zutrifft:[...]

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