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  • von Gerold Ambrosius

    Es scheint eine Epoche zu Ende zu gehen, in der die Bürger/innen Anspruch auf eine stabile, preiswerte und qualitativ gute Versorgung mit öffentlichen Dienstleistungen haben und der Staat diese durch Eigenproduktion befriedigt. Stattdessen hat eine Diskussion darüber begonnen, was als angemessene Grundversorgung bezeichnet werden kann und ob und wie sie gesichert werden soll. Was noch vor nicht allzu langer Zeit als undenkbar galt, ist inzwischen selbstverständlich: Die monopolistischen Strukturen der Versorgungsnetze werden aufgebrochen und wettbewerbliche eingeführt. Öffentlich-rechtliche Dienstleistungsunternehmen werden in privatrechtliche umgewandelt oder sogar privatisiert. Internationale bzw. europäische Großkonzerne übernehmen lokale und regionale Versorgungsnetze. Die traditionellen Dienstleistungssysteme machen einen tief greifenden Wandel durch und noch ist nicht abzusehen, wohin die Entwicklung letztlich geht. [...]

  • von Priska Jones

    Was war Europa 1926? Eine beleibte ältere Dame, die sich mit schwerem Gepäck auf eine Reise in Richtung Frieden begibt? Dies ist zumindest das Bild Europas, das die Karikatur von Werner Hahmann vermittelt, die am 20. Juni 1926 in dem deutschen Satiremagazin Kladderadatsch erschien. Die Situation der alten Dame „Europa“ ist hier paradox dargestellt, da ihr offenkundig friedliches Ziel durch ihre tatsächliche Bewegungsunfähigkeit fast gänzlich blockiert zu sein scheint. Dennoch ergibt eine genauere Analyse ein vielschichtigeres Bild, denn in der Bildmitte dominieren nicht nur die Dame „Europa“ mit ihrem übermäßigen Gepäck; sprechend ist auch die gesamte Szenerie des Bahnsteiges sowie am Bildrand rechts oben ein Männerprofil, das als „Onkel Sam“ mit den „Stars and Stripes“ auf dem Zylinder die USA personifiziert. [...]

  • von Helke Rausch

    Das „lange 19. Jahrhundert“ war europaweit ein Jahrhundert zunehmend aufgeregter Gedächtnisdiskurse. Als ihr bevorzugter Gegenstand erschienen Denkmalfiguren, mit deren Inszenierung politische Voten manifestiert und Deutungsmonopole behauptet werden sollten. Der öffentliche Raum, in dem sie standen, war zwar frei zugänglich, aber keineswegs frei von sozialen und politischen Vermachtungen. In den westeuropäischen Staaten und dort in eingeschränkterem Rahmen selbst im autoritären Deutschen Kaiserreich wirkte er daher bald als Repräsentations-, bald als Kampfarena politischer Nationalkulturen. Damit verkörperten die öffentlichen Denkmalfiguren nicht nur spezifische und im Detail vielfach heterogene Nationsideen. Sie wurden auch selbst zu Vehikeln in der Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Definitionen der Nation und bei der Erfindung nationaler Meistererzählungen. [...]

  • von Rita Aldenhoff-Hübinger

    Globalisierung als wirtschaftlicher Prozess ist gekennzeichnet durch die weltweite Integration der Märkte von Waren und Dienstleistungen, von Kapital und von Arbeitskräften. Dagegen formieren sich gesellschaftliche Bewegungen, auch kommt es zu staatlichen Gegenmaßnahmen. Im Unterschied zu diesen als wirtschaftsnationalistisch zu bezeichnenden Bewegungen und Maßnahmen werden aber auch erhebliche gesellschaftliche und wirtschaftliche Anstrengungen unternommen, der internationalen Konkurrenzsituation nicht durch Abschottung der Märkte, sondern durch Innovationen, Produktivitätssteigerungen und Rationalisierungen aus eigener Kraft standzuhalten. Die Globalisierung ist, historisch gesehen, kein unbekanntes Phänomen. Bereits von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg gab es eine erste Phase oder Welle. [...]

  • von Christian Domnitz

    Zur Mitte der 1980er Jahre verständigten sich die Friedensbewegungen in Ost und West unter dem Zeichen von Europa. Ausgehend von der Idee, dass die Blocktrennung und der Systemkonflikt die gesellschaftliche Entwicklung in beiden Teilen des Kontinents behinderten, entwickelten sie Konzepte einer Annäherung. Die Vernetzung der zu dieser Zeit populären und stark in den Gesellschaften verankerten Friedensbewegungen sollte zum Pilotprojekt einer blockübergreifenden Einigung werden. Unter den Leitbegriffen des Friedens und der Bürgerrechte wurde eine Europavorstellung formuliert, der eine Brückenfunktion zwischen den Gesellschaften Ost- und Westeuropas zukam. [...]

  • von Susanne Schattenberg

    Gehört Russland zu Europa? Das ist eine Frage, an der sich die Geister scheiden, und die je nachdem, ob man sie politisch, geografisch oder kulturell fasst, anders beantwortet wird. Historisch lässt sich die Frage allerdings insofern eindeutig beantworten, als dass Russland immer wieder westliche Ideen importiert, sich diese angeeignet und an diesen abgearbeitet hat. Wieweit die westlichen Vorstellungen schließlich die Sicht auf das eigene Land prägten, verdeutlicht die zu diesem Essay gehörige Quelle, der „Brief eines erfahrenen Beamten“. Er steht exemplarisch für zwei Phänomene: Zum einen belegt er, wie sehr die studierten, aufgeklärten Eliten Russlands im 19. Jahrhundert das westliche Denken übernommen hatten. Zum anderen wird deutlich, wie wenig die importierten Vorstellungen von einem bürokratischen Staat mit der russischen Wirklichkeit kompatibel waren und letztlich auch den Blick der Eliten auf die Gegebenheiten verstellten. [...]

  • von Steffen Sammler

    Die theoretischen Vorstellungen des radikalen Liberalismus, der das Ideal der bürgerlichen Gesellschaft in der Verbindung von politischer und wirtschaftlicher Freiheit für alle männlichen Mitglieder gesehen hatte, gerieten im Verlauf der Industrialisierung in einen zunehmenden Konflikt zu den wirtschaftlichen Realitäten, die zu einer kulturellen Trennung des Unternehmers von den von ihm beschäftigten Arbeitern geführt hatte. Diese Trennung wurde von den Vertretern eines radikalen politischen und wirtschaftlichen Liberalismus aus den Reihen der ersten Generation der historischen Schule der Nationalökonomie in Deutschland und des französischen „libéralisme bleu“ als Gefahr für die bürgerliche Gesellschaft angesehen, da sie diese zwischen den Extremen einer kommunistischen Gleichmacherei und einer neuen „Aristokratie der Industrie“ zu zerreiben drohte. [...]

  • von Adamantios Skordos

    Am 8. September 1991 fand in der damals noch zu Jugoslawien gehörenden Teilrepublik Makedonien ein Referendum statt, in dem die Bürger/innen der südlichsten Teilrepublik Jugoslawiens folgende Frage zu beantworten hatten: „Unterstützen Sie einen souveränen und unabhängigen Staat Makedonien, der berechtigt sein wird, einer zukünftigen Vereinigung der souveränen Staaten Jugoslawiens beizutreten?“ Nachdem die Frage mit überwiegender Mehrheit positiv beantwortet worden war, rief die Nationalversammlung des Landes am 17. September 1991 die Souveränitätserklärung bzw. die Staatswerdung der Republika Makedonija aus.

  • von Adelheid von Saldern

    „This is the time of all others when democracy should prove its purity and its spiritual power to prevail. It is surely the manifest destiny of the United States to lead in the attempt to make this spirit prevail.” Diese Worte aus dem Munde des Präsidenten Woodrow Wilson (1920) signalisierten den Führungsanspruch der USA, der Demokratie überall zum Durchbruch zu verhelfen. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten die USA nicht nur eine wirtschaftliche und ökonomische, sondern auch eine politische Weltmachtstellung erreicht, die solchen Bestrebungen eine Realitätsgrundlage gaben. Der Hinweis auf „manifest destiny” zeigt, dass Wilson großen Wert darauf legte, die neuen Handlungsoptionen an die alten klassischen Werte der amerikanischen Nation anzubinden. [...]

  • von Falk-Thoralf Günther

    Mit dem Kulturabkommen vom 19. Januar 1939 vereinbarten Spanien und das Deutsche Reich Studentenaustauschprogramme, Buchausstellungen oder die Einrichtung von entsprechenden Sprachkursen an den höheren Schulen, um die Beziehungen beider Länder zu vertiefen. Das Abkommen beruhte auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit zwischen zwei augenscheinlich gleichberechtigten Partnern. Am Anfang dieser Beziehungen hat allerdings ein Hilferuf Francos an Hitler gestanden. [...]

  • von Dorothea Trebesius

    Eine konkrete Vorstellung von der Größe des europäischen Raumes konnten sich im 18. und 19. Jahrhundert Fernhandelskaufleute mehr noch als andere bürgerliche Berufsgruppen verschaffen, führten ihre Kontakte doch zu zahlreichen Reisen in andere Städte und Länder. Die Reichweite der geschäftlichen und privaten Beziehungen der Dufours in Leipzig, einer im 18. Jahrhundert aus Frankreich eingewanderten hugenottischen Kaufmannsfamilie, erstreckte sich von Russland und Polen über Italien bis nach Holland, Dänemark und England. Fernhandelskaufleute und ihre Angehörigen agierten durch die alltägliche Praxis des Reisens in einem spezifischen europäischen Handlungsraum, der jenseits von politischen Konjunkturen eigene Vorstellungen von Europa begründete. [...]

  • von Martin Kohlrausch

    Im Jahr 1928 traten im schweizerischen La Sarraz erstmals die Congrès Internationaux d'Architecture Moderne, kurz CIAM, zusammen (CIAM I). Diese ‚internationalen kongresse für neues bauen’, wie sich die Organisation in ihrer zweiten Arbeitssprache nannte, waren gegründet worden, um die großen Fragen der modernen Architektur zu diskutieren. Das Hauptanliegen der selbstbewussten Interessengruppe moderner Architekten um Le Corbusier und Walter Gropius war jedoch, das ‚Neue Bauen’ zu propagieren und international durchzusetzen. Es handelte sich also um weit mehr als ein klassisches Expertentreffen auf internationaler Ebene, wie sie sich vor allem in den Naturwissenschaften entwickelt hatten.[...]

  • von Veronica Oelsner

    Nach dem Ablegen seines Kolonialstatus im Jahr 1816 musste das alte Vizekönigreich am Río de la Plata politisch, sozial und wirtschaftlich neu definiert werden. Über das ganze 19. Jahrhundert hinweg standen die Bemühungen im Vordergrund, aus dem Gebiet der damaligen spanischen Kolonie einen modernen Nationalstaat zu bilden. Es handelte sich bei dem im Entstehen begriffenen Argentinien um ein Land, das aus der „Barbarei“ herauskommen musste, um sich der „Zivilisation“ und dem „Fortschritt“ anderer Teile der Welt – nämlich Europa und USA – anzuschließen. In diesem Sinn wollte man das Land für moderne europäische Einflüsse öffnen. Politiker und Intellektuelle der Zeit sahen in der Einwanderung aus Europa das „Heilmittel“, um die „Qualität“ der Bevölkerung anzuheben und die Entwicklung der Wirtschaft zu beschleunigen [...]

  • von Jan C. Behrends

    Das Beziehungsdreieck Russland, Polen und Deutschland gehört zu den zentralen Konfliktkonstellationen des modernen Europa. Die europäische Katastrophe im Zeitalter der Extreme hatte ihr geographisches Zentrum in Polen, das 1939 Opfer deutscher und sowjetischer Aggression wurde und auf dessen Territorium das Deutsche Reich den Völkermord an den europäischen Juden verübte. Nach 1945 verschwand Polen dann als unfreiwilliger Vasall hinter dem Eisernen Vorhang. Bis 1956 litt das Land – wie seine Nachbarn – unter der stalinistischen Gewaltherrschaft. Die totalitäre Herrschaft erzwang eine gesellschaftliche Transformation, die neben der politisch-wirtschaftlichen Umgestaltung auch eine nationalkommunistische Umgestaltung des Geschichtsbildes beinhaltete. [...]

  • von Achim Landwehr

    Der 1734 erschienene achte Band der vom Verleger Johann Heinrich Zedler herausgegebenen Enzyklopädie, die den nahezu hochmütigen, aber durchaus ernst gemeinten Titel trägt „Grosses vollständiges Universal Lexicon Aller Wissenschaften und Künste“, war dem Buchstaben E gewidmet. Ein Band, ein Buchstabe – so etwas möchte man als gelungene Organisation bezeichnen. Er ist denn auch, wie die anderen 67 Bände, sehr umfangreich ausgefallen, großformatig, zweispaltig und voluminös. Selbstredend findet sich in einem Lexikon mit einem solchen selbst auferlegten Vollständigkeitsanspruch auch ein Artikel zum Stichwort „Europa“, wenn auch nicht von der Länge, die man im Vorhinein unter Umständen erwarten würde. Etwa vier Spalten wurden reserviert für die Beschreibung dieses Kontinents, was nicht gerade opulent ist für ein Lexikon, das – nach heutiger Lesart – auch noch der absonderlichsten Kleinigkeit Aufmerksamkeit schenkt.

  • von Stefan Troebst

    Gleich zahlreichen anderen Angehörigen der Zwischenkriegsgeneration war der britische Journalist und Buchautor Joseph S. Swire (1903–1978 ), genannt Joe, vom Balkan fasziniert. Die Bewunderung für dramatische Landschaften und vermeintlich urtümliche Gemeinschaften, vor allem aber für die nationalrevolutionären Untergrundbewegungen von Kroaten, Kosovaren, Makedoniern, Montenegrinern und anderen, mischte sich dabei in der Regel mit einem explizit maskulinen Heroenkult, der von Kritik an der Dekadenz der jeweils eigenen, „europäisierten“ Gesellschaften gespeist wurde. Dieses europaweite Phänomen einte dabei desillusionierte Intellektuelle in den antagonistischen Lagern von Weltkriegsverlierern und Siegern – mit Italien in einer imaginären Mitte.[...]

  • von Bernhard Struck

    Aus deutscher oder mitteleuropäischer Sicht ist es heute selbstverständlich, von West- und Osteuropa zu sprechen. Wenngleich diese dichotomische Wahrnehmung maßgeblich durch die politische Zweiteilung Europas in der Zeit zwischen 1945 und 1989 geprägt wurde, so hat diese Zweiteilung Europas auch ältere Wurzeln. Auf diese verweist bereits der Titel der Quelle, die den Ausgangspunkt dieses Essays darstellt: „Ost und West. Reisen in Polen und Frankreich“ von Richard Otto Spazier aus dem Jahr 1835. [...]

  • von Stefan Troebst

    Das Interesse an der Kategorie „Raum“ ist in der Geschichtswissenschaft den letzten zwanzig Jahren merklich gewachsen. Der vorliegende Beitrag zeichnet die Entwicklung des Konzepts „Geschichtsregion“ seit der Zwischenkriegszeit nach und thematisiert die transnationalen und vergleichenden Aspekte dieses Konzepts. Einen Ausgangspunkt dafür bilden die Arbeiten von O. Halecki, der anhand der Trennung zwischen westlicher und orthodoxer Kirche Ostmittel- von Osteuropa abgrenzt und dessen Ostmitteleuropa-Begriff in der Folgezeit sowohl die westdeutsche als auch die osteuropäische Forschung geprägt hat. Geschichtsregionale Konzeptionen werden häufig implizit und damit unreflektiert in der Forschung verwendet – so in der Nationalgeschichte oder bei der Beschäftigung mit „Europa“ – und weisen oft eine hohe Affinität zu Wahrnehmungs- und Handlungsräumen der jeweiligen Gegenwart auf. Der Autor kommt zu dem Befund, dass das am ostmitteleuropäischen Entwicklungspfad entwickelte Untersuchungsdesign der „Geschichtsregion“ [.

  • von Manfred Hildermeier

    Nach der Veränderung der politischen Landkarte Osteuropas durch den Zusammenbruch des Sozialismus stellt sich – wie schon nach dem Ersten Weltkrieg – erneut die Frage, auf welche gemeinsamen Merkmale ein einheitlicher Ostmitteleuropabegriff gestützt werden kann. Neben dem katholischen Glauben, den demografisch-ethnischen Verhältnissen und dem Transfer westlicher Rechtsinstitutionen (samt sozialen und wirtschaftlichen Organisationsformen) ist hier vor allem die starke Stellung des Adels zu nennen, die mit einem geringen Gewicht der Städte und des Bürgertums einherging. Im gleichen Zusammenhang stehen auch die gutsherrschaftliche Agrarverfassung und die daraus resultierende Dominanz von Dorf und Landwirtschaft. Freilich haben all diese Kriterien sowohl zeitlich und räumlich als auch sachlich-inhaltlich nur eine begrenzte Reichweite: Die Region Ostmitteleuropa konstituiert sich je nach Fragestellung unterschiedlich. Die Frage nach der Europäizität Ostmitteleuropas sollte dabei nicht wertend beantwortet [...]

  • von Katrin Steffen

    Gestützt auf das normative westliche Modernisierungsparadigma wurden die osteuropäischen Juden in der Geschichtsschreibung lange Zeit als eine rückständige homogene Gruppe konzeptionalisiert, die sich gegen eine Modernisierung durch Säkularisierung und Verbürgerlichung versperrt hätte. Doch akzeptierten auch schon im 19. und 20. Jahrhundert viele osteuropäische Juden Religion nicht mehr als ein den Alltag dominierendes Ordnungssystem, auch wenn der Übergang von einer traditionellen zu einer säkularisierten Weltsicht hier von weniger scharfen Brüchen gekennzeichnet war als in Westeuropa. Im Gegensatz zum eher konfessionellen Selbstverständnis der deutschen Juden definierte man sich im Osten ethnisch bzw. jüdisch-national, was aber auch eine Identifikation mit den jeweiligen Ländern, in denen man lebte, nicht ausschloss. Erst um den wachsenden Anpassungs- und Repressionsdruck der nach dem Ersten Weltkrieg neu entstandenen Nationalstaaten zu entgehen, suchte man nach supranationalen Instanzen und verstand sich z

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