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  • von Nicolas Blumenthal

    Der vorliegende Essay betrachtet die Eigenheiten der politischen „Säuberung“ nach dem Zweiten Weltkrieg in der Schweiz und ordnet sie in einen gesamteuropäischen Kontext der deutschen Entnazifizierung und französischen „épuration“ ein. Er verdeutlicht zum einen die Logiken, denen die Ausmerzung des Nationalsozialismus in einem Land folgte, das von einer Einverleibung in den nationalsozialistischen Machtapparat verschont geblieben war. Zum anderen beleuchtet der Beitrag, wie innen- und außenpolitisches Taktieren in die Schweizer „Säuberungspolitik“ hineinspielte und sich mit Momenten der Vergeltung verband. Die damaligen Auseinandersetzungen entfalteten sich geradezu zu einer nationalen Bewährungsprobe. Ausschaffungen von Nationalsozialist:innen erfüllten vor dem Schweizer Nachkriegskontext eine doppelte Funktion: Sie schufen einerseits eine Möglichkeit, um mit diskreditierten NS-Anhänger:innen abzurechnen und dem Unmut in der Bevölkerung Luft zu machen. Andererseits dienten sie dazu, Vorwürfe der nationalsozialistischen Verstrickung zurückzuweisen, die nach dem Zweiten Weltkrieg von innen und außen gegen die Schweiz erhoben wurden.

  • von Clara M. Frysztacka

    „‚Trajectorism‘ is the great narrative trap of the West and is also, like all great myths, the secret of its successes in industry, empire and world conquest.“ Die Quintessenz der westlichen Epistemologie bestehe, so Arjun Appadurai, in Zielgerichtetheit: Sie sichere den Erfolg des (west-)europäischen Zivilisationsmodells, stelle aber zugleich die größte „Falle“ des (west-)europäischen Selbstverständnisses dar. Appadurai nennt „trajectorism“ das, was andere ForscherInnen als Teleologie bezeichnen. Er versteht darunter die Auffassung der Zeit als einem Pfeil, der in eine präzise Richtung zeigt, sowie von historischen Prozessen und von der Geschichte selbst als Träger eines einheitlichen Telos.

  • von Stefan Offermann

    Die sogenannte Aktion T4 war die erste systematisch durchgeführte Massenvernichtungsaktion des „Dritten Reiches“. Zwischen Januar 1940 und August 1941 wurden mindestens 70.000 Menschen mit psychischer Erkrankung oder geistiger Behinderung in Gaskammern getötet. [...]

  • von Heidi Hein-Kircher

    „Wódz“, „Tautas vada“, „Caudillo”, „Duce“, „Conducator“, „Vožd‘“ als landessprachliche Varianten des „Führer“-Begriffs weisen darauf hin, dass Führer-Kulte (nicht nur) ein Phänomen im Europa des 20. Jahrhunderts waren und in zahlreichen Staaten etabliert worden sind. Führer-Kulte waren (und sind) die charakteristischste Form politischer Kulte und prägten nachhaltig die politische Kultur gerade der autoritären und totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts, während andere Personenkulte, beispielsweise der um Evita Péron zu deren Lebzeiten, eher eine Stellvertreterfunktion wahrnehmen und Personenkulte um Verstorbene auf die gegenwärtig Herrschenden hin ausgerichtet werden, wie etwa im Fall des Lenin-Kultes. Ihre spezifische Wirksamkeit entfalten sie dadurch, dass sie in emotional eindringlicher Weise wirken und so die Teilhabenden zu einer Gemeinschaft zusammenschweißen. [...]

  • von toni Morant i Ariño

    Eine Europakarte, welche durch keinerlei staatliche Grenzen definiert ist. Ein säulenähnlicher Stamm, der genau in ihrer Mitte geradlinig wächst, dessen Wurzeln sich aber quer durch den europäischen Kontinent erstrecken. Eine Baumkrone schließlich, welche zwischen ihren Blättern eine kugelförmige, soeben gekeimte Frucht hält, die das zu symbolisieren scheint, was unmittelbar als Titel angeführt ist: die „Gruendungstagung des Europaeischen Jugendverbandes Wien 1942“. [...]

  • von Verena Kümmel

    „Der letzte Brief – der letzte Platz – die letzte Menschenmenge Mussolinis“ steht auf Französisch auf der Tafel einer Wanderausstellung, mit der die Resistenza ab 1946 ihre Verdienste international propagierte. Den Hintergrund der hier gezeigten Tafel bildet eine vergrößerte schwarzweiße Fotografie, über dem Schriftzug ist ein liniertes Blatt mit einer handschriftlichen Notiz reproduziert worden. Weder der Text noch das Foto erschließen sich auf den ersten Blick. Auch auf den zweiten Blick vermag man in der dichtgedrängten Menschenmenge im Hintergrund nur wenige Details zu erkennen. Vor allem Mussolini, den der gedruckte Text ankündigt, ist nicht leicht auszumachen. Seine Unterschrift auf dem kurzen Brief lässt sich erahnen. Doch was hat es mit dem Platz und der Menschenmenge auf sich? [...]

  • von Ekaterina Makhotina

    Am 5. März 1989 trat Grigori Kanovic vor der jüngst gegründeten Jüdischen Kulturgemeinde Litauens auf. In einer flammenden Rede sprach der litauisch-jüdische Schriftsteller vom Neubeginn für das jüdische kulturelle Leben in Litauen und vom Aufbruch der Erinnerung an die Shoah, einer Erinnerung, die lange Jahre unterdrückt worden war. Das Motto seiner Rede – Geh und fürchte Dich nicht – ist ein Aufruf an die Bürger Litauens jüdischer Herkunft, an die wenigen Überlebenden und die aus der Sowjetunion zugezogenen jüdischen Immigranten, die Geschichte des jüdischen Schicksals während des Zweiten Weltkriegs ohne Furcht und Scham zu erinnern, diese gar als zentralen identitätsstiftenden Bestandteil der jüdischen Schicksalsgemeinschaft gelten zu lassen. In der bewussten Wahl und durch häufige Wiederholung des alttestamentarischen Satzes, mit welchem ursprünglich Gott dem jüdischen Vorvater Abraham Mut zugesprochen hatte, bekommt das Motiv des Weiterlebens des Jüdischen hier eine besonders starke Akzentuierung.[...]

  • von Klaus Große Kracht

    Mit der Neuzeit begann in Europa zugleich das Zeitalter der Mission. Die koloniale Expansion in die ‚neue Welt’ führte zu einem mehr oder weniger unter Zwang erfolgten globalen Christianisierungsschub, die Glaubensspaltung auf dem Kontinent zu neuen kriegerischen und kontroversen theologischen Versuchen, die jeweils Andersgläubigen auf den richtigen Pfad der Gotteslehre zurückzuführen. Die äußere ‚Heidenmission’ ging somit stets mit einer ‚Heimatmission’ einher, die dann vor allem seit dem 19. Jahrhundert eine immer größere Bedeutung für die Geschichte des europäischen Christentums entfaltete. Man denke nur an die ‚Innere Mission’, die August Hinrich Wichern in den 1830er Jahren aus sozialprotestantischem Geist ins Leben rief, oder an die zahlreichen ‚Volksmissionen’, die katholische Ordensgeistliche nach der Revolution von 1848 aus dem Arsenal der Gegenreformation hervorholten, um die durch die diversen Modernisierungsschübe des 19. Jahrhunderts verwirrten Schäfchen bei der Herde zu halten. [...]

  • von Carlo Moos

    Der vorliegende Text will den Stellenwert der antijüdischen Rassenpolitik im italienischen Faschismus und gegenüber dem Nationalsozialismus herausheben, ohne dass gleichgesetzt werden soll, was nicht gleichgesetzt werden kann. Noch weniger geht es um eine Relativierung der vom Nationalsozialismus begangenen Verbrechen; es soll lediglich einer ihrerseits unstatthaften Verharmlosung des italienischen Faschismus entgegen gewirkt werden.[...]

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