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  • von Ljiljana Radonic

    Es ist keineswegs erstaunlich, in der Ausstellung einer KZ-Gedenkstätte ein antisemitisches Plakat aus dem Jahr 1942 zu finden. Dennoch fallen an diesem Exponat und dem Kontext, in dem es steht, zwei Dinge auf. Erstens die Bildunterschrift zu dem „propagandistisch-hetzerischen“ Ausstellungsplakat, die seit der Eröffnung der neuen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Jasenovac im Jahre 2006 das Exponat untertitelt: „Die Ustascha- und Nazipropaganda über die zerstörerische Wirkung von Juden wird durch die Tatsache widerlegt, dass in den ersten vier Jahrzehn­ten des zwanzigsten Jahrhunderts Architekten und Bauunternehmer jüdi­scher Abstammung zahlreiche wichtigste öffentliche und Wohngebäude im Zentrum Zagrebs errichtet haben.“ [...]

  • von Hannes Grandits

    Imaginierung und konkrete gesellschaftliche Erfahrung lassen sich nicht immer eindeutig voneinander trennen. Auf den sogenannten „europäischen Orient“ bezogen gilt dies ganz besonders. Die polarisierende Imagination des „Europäischen“ versus „Nicht-Europäischen/Orientalischen“ prägte im Laufe des 19. Jahrhunderts die Wahrnehmung der politischen Verhältnisse im osmanischen Südosteuropa. Je mehr die räumliche Zugehörigkeit der südosteuropäischen Peripherie zu Europa (wieder-)entdeckt und rhetorisch bekräftigt wurde, desto klarer empfand man, dass die „nicht-europäischen“ Elemente nicht hierher passten. Dies tangierte auch die gesellschaftliche Realität vor Ort. Dieser Essay versucht, einen Eindruck von einer „Verwestlichung“ bzw. Neuausrichtung hin zur Europäisierung zu vermitteln. Dabei müssen diese Prozesse als sehr widersprüchliche gesellschaftliche Entwicklungen betrachtet werden.

  • von Stefan Rohdewald

    Das Verhältnis von Religion und Entwürfen kollektiver Identität und Modernität ist in den vergangenen Jahren von der Forschung zunehmend intensiver untersucht worden. Als zentral erwiesen sich dabei nicht nur Fragen nach dem Wandel von im Mittelalter und in der Frühneuzeit hergestellten Verehrungskontexten während der Entstehung nationaler Rückblicke und die Gegenwart konstituierender Erwartungshorizonte im 19. Jahrhundert. [...]

  • von Dietmar Müller

    Nach dem Ersten Weltkrieg standen die Staaten Ostmittel- und Südosteuropas unter erheblichem Druck, den Charakter ihrer Staatlichkeit den Herausforderungen anzupassen, die durch Prozesse der Industrialisierung und Urbanisierung sowie durch Agrarreformen und das allgemeine (Männer-)Wahlrecht entstanden waren. In Gestalt von Industriearbeitern und Grund besitzenden Kleinbauern hatten die Massen die Bühne betreten, auf der ihre Interessenvertreter politische und soziale Teilhabe forderten. Große Teile der akademisch gebildeten Elite sahen darin eine Herausforderung, der man mit den Mitteln der Honoratioren- und Klientelparteien in einem durch Improvisation geprägten Politikprozess nicht mehr gerecht werden konnte. Überall im östlichen Europa entstanden Institutionen, die – oftmals angelehnt an westeuropäische Vorbilder – Prozesse in Gang setzten, die man mit Lutz Raphael als Verwissenschaftlichung des Sozialen und als Professionalisierung des Politischen charakterisieren kann. [...]

  • von Vasilios N. Makrides

    Die Auszüge, die hier als Quelle verwendet werden, stammen aus einer kleinen Schrift, die in griechischer Sprache in Triest 1802 unter einem Pseudonym veröffentlicht wurde. Der preußische Diplomat Jakob Ludwig Salomon Bartholdy (1779–1825) – aus der bekannten deutschen Familie – suchte diese während seiner Griechenlandreise (1803–1804) aus und übersetzte sie aus dem Griechischen ins Deutsche. Angeblich war ihr Verfasser ein Mönch namens Nathanael von Neokaisareia, der zu jener Zeit auf dem Heiligen Berg Athos als Hesychast in Zurückgezogenheit lebte – so die Titelseite. Aller Wahrscheinlichkeit nach wurde sie aber vom Hieromönch Athanasios Parios (1721–1813), das heißt von der ägäischen Insel Paros stammend, verfasst, der zu jener Zeit der osmanischen Herrschaft vielleicht der eifrigste Gegner der Einführung von Aufklärungsideen im griechischen Raum war. [...]

  • von Ljiljana Radonic

    Es ist keineswegs erstaunlich, in der Ausstellung einer KZ-Gedenkstätte ein antisemitisches Plakat aus dem Jahr 1942 zu finden. Dennoch fallen an diesem Exponat und dem Kontext, in dem es steht, zwei Dinge auf. Erstens die Bildunterschrift zu dem „propagandistisch-hetzerischen“ Ausstellungsplakat, die seit der Eröffnung der neuen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Jasenovac im Jahre 2006 das Exponat untertitelt: „Die Ustascha- und Nazipropaganda über die zerstörerische Wirkung von Juden wird durch die Tatsache widerlegt, dass in den ersten vier Jahrzehn­ten des zwanzigsten Jahrhunderts Architekten und Bauunternehmer jüdi­scher Abstammung zahlreiche wichtigste öffentliche und Wohngebäude im Zentrum Zagrebs errichtet haben.“ [...]

  • von Hannes Grandits

    Imaginierung und konkrete gesellschaftliche Erfahrung lassen sich nicht wirklich eindeutig voneinander trennen. Auf den so genannten „europäischen Orient“ bezogen gilt dies ganz besonders. Ohne hier schon eingangs tiefer in theoretische Reflexion einzusteigen, möchte ich mich diesbezüglich gleich der ersten historischen Quelle zuwenden, an die dieser Essay anknüpft. Es ist dies eine genremäßig im frühen 19. Jahrhundert mit ihrem exotisierenden Grundton recht typische zeitgenössische „westliche“ Beschreibung des „Orients in Europa“. Sie stammt von einem jungen englischen Gentleman namens Alexander William Kinglake. Seine Grand Tour führte ihn 1834 auch ins damals noch osmanische Belgrad und von dort weiter in die osmanische Hauptstadt Istanbul und noch in verschiedene Provinzen des Reichs im Nahen Osten. [...]

  • von Miranda Jakisa und Andreas Pflitsch

    ICH BIN EIN KULTURDENKMAL DER NULLTEN KATEGORIE EINE VERDAMMTE WIEGE DER ZIVILISATION IN DER ICH 450 MILLIONEN MEINER KINDER SCHAUKLE […] ICH BIN DIE RECHTMÄSSIG GEWÄHLTE MISS WORLD Die Figur der Mutter Europa im Stück der kroatischen Dramatikerin Ivana Sajko verkündet provokativ und geballt, was die Autorin, geboren 1975 in Zagreb, an Europalust und Europafrust ihrer Generation ausmacht. [...]

  • von Stefan Troebst

    Dass die im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens geführte Bürger- und Staatenkriege wenig bis gar nichts mit „dem Balkan“, viel aber mit den Grundwidersprüchen des Titoschen Bundesstaates zu tun hatten, ist eine Erkenntnis, die sich nur langsam durchsetzt. In der Außensicht auf den Südosten Europas überwiegt daher weiterhin das ambivalente, teils heroisierend-verklärende, vor allem aber barbarisierend-perhorresziernde Regionalstereotyp des Musters „Die sind da alle so!“. Dabei handelt es sich nicht, wie Maria Todorova vermutet hat, um ein ausschließlich „westliches“ Vorurteil, sondern um eines, das in ganz ähnlicher Form auch in Gesellschaften wie Polen oder Russland dominant war und ist. [...]

  • von Rumjana Mitewa-Michalkowa

    In den 1970er Jahren forderten kritische bulgarische Intellektuelle, wie die Schriftstellerin Blaga Dimitrova, der Satiriker Radoj Ralin und der Maler Georgi Baev, eine Revision der dogmatischen Kulturpolitik und den offenen Dialog mit Ländern verschiedener politischer Systeme. Diese vorerst kleine Bewegung erhielt massiven Auftrieb, als Ljudmila Živkova, die Tochter des Staats- und Parteichefs Todor Živkov, die Leitung des Ministeriums für Kultur übernahm und sich auf der nationalen und internationalen Bühne für die Entdogmatisierung der marxistisch-leninistischen Kulturpolitik und die Öffnung und Internationalisierung des kulturellen Lebens einsetzte.

  • von Adamantios Skordos

    Am 8. September 1991 fand in der damals noch zu Jugoslawien gehörenden Teilrepublik Makedonien ein Referendum statt, in dem die Bürger/innen der südlichsten Teilrepublik Jugoslawiens folgende Frage zu beantworten hatten: „Unterstützen Sie einen souveränen und unabhängigen Staat Makedonien, der berechtigt sein wird, einer zukünftigen Vereinigung der souveränen Staaten Jugoslawiens beizutreten?“ Nachdem die Frage mit überwiegender Mehrheit positiv beantwortet worden war, rief die Nationalversammlung des Landes am 17. September 1991 die Souveränitätserklärung bzw. die Staatswerdung der Republika Makedonija aus.

  • von Günter Schödl

    Die derzeitige Debatte zu einer künftigen Südosterweiterung der EU bezieht sich vorrangig auf die Türkei, auf ihre EU-Kompatibilität, nur gelegentlich auch auf Rumänien und Bulgarien als nächste Beitrittskandidaten, viel zu wenig auf die südslawisch-albanische Region. Diese wird seit der Auflösung Tito-Jugoslawiens aus westeuropäischer Sicht fast nur in den Kategorien von Kriegsfolgenmanagement und Konfliktprävention wahrgenommen. Dies stellt eine unbegründete Reduzierung dar – ein Ausblenden der überfälligen Frage nach der besonderen, südslawisch-westbalkanischen Variante des Europäischen, der Europäizität des Südostens:[...]