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  • von Francesco Di Palma

    Der Terminus „Eurokommunismus“ wurde Mitte der 1970er-Jahre geprägt. Er beschreibt die Praxis einiger westeuropäischer kommunistischer Parteien, die – so die These – im Begriff gewesen seien, sich ideologisch und politisch von der sowjetischen Mutterpartei, der KPdSU, zu verselbständigen. Was bedeutete dies konkret für die betroffenen Parteien? Implizierte diese angebliche Verselbständigung die Bemühung um die Aufhebung der Teilung Europas? Der vorliegende Essay führt anhand einer Quelle aus dem Jahr 1977 in die Geschichte des Eurokommunismus ein und erörtert dessen Bedeutung für die politisch-ideologische Entwicklung des Sozialismus in unserem Kontinent.

  • von Ines Soldwisch

    Das bürokratische Europa zerstöre die europäischen Völker und Nationalstaaten. Dieses von rechtspopulistischen Parteien in Europa kolportierte Narrativ hat eine lange Geschichte, die in den 80er-Jahren von einzelnen Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu erzählen begonnen wurde, bis heute weiterentwickelt wurde und mehr und mehr in die europäische Öffentlichkeit getragen wird. Dabei können Europakritik und Euroskeptizismus bis hin zur Europafeindlichkeit je nach Intensität und Absicht als spezifische Ausformung des Populismus gefasst werden. Im Europäischen Parlament sind seit der Direktwahl 1979 euroskeptische Parteien und Fraktionen vertreten. Jedoch verfolgten diese Parteien bisher keine einheitliche politische Agenda, bis auf ihre Kritik an der Europäischen Union als Gesamtkonstrukt. Die vorliegende Deklaration kann als ein Versuch angesehen werden, Geschlossenheit zu demonstrieren, nationenübergreifend, sozusagen „europäisch“ europakritisch aufzutreten und öffentlichkeitswirksam wahrgenommen zu werden.

  • von Gabriele Clemens

    Die derzeit weite Teile der Welt beherrschende Corona-Krise, die auch die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten intensiv beschäftigt, hat eine andere, seit einigen Jahren schwelende Krise der EU etwas in den Hintergrund gedrängt: die sogenannte Brexit-Krise, ausgelöst durch das britische Referendum vom 23. Juni 2016. Kannte die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaften (EG) bzw. der späteren Europäischen Union bis dahin nur eine Richtung, nämlich die stetige Erweiterung ihrer Mitgliederzahl, die von ursprünglich sechs zu Beginn der 1950er-Jahre auf 28 im Jahre 2013 anstieg, so markiert die britische Entscheidung, die EU zu verlassen, diesbezüglich erstmals einen Wendepunkt. Die bange Frage kam auf, ob weitere Mitglieder dem britischen Beispiel folgen könnten und die EU schließlich auseinanderbrechen würde.

  • von Florian Greiner

    Seit dem Mittelalter dient die Türkei als ein negatives Definitionsmerkmal Europas. Spätestens mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch Sultan Mehmed II. entwickelte sich die türkische Frage zu einem „Wetzstein europäischer Identität.“ In den folgenden Jahrhunderten intensivierten sich konstitutiv wirkende Abgrenzungen zwischen einem christlich-abendländisch konnotierten Europa und der islamisch-orientalischen Türkei etwa im Rahmen der frühneuzeitlichen Türkenkriege und der beiden Belagerungen Wiens durch osmanische Truppen 1529 und 1683. Stereotype Fremdbilder, die unter Schlagworten wie der „Türkengefahr“ firmierten und im Zeitalter des Imperialismus noch rassistisch aufgeladen wurden, erwiesen sich in Europa als ebenso langlebige wie wirkmächtige Alteritätskonstruktionen. [...]

  • von Miranda Jakisa und Andreas Pflitsch

    ICH BIN EIN KULTURDENKMAL DER NULLTEN KATEGORIE EINE VERDAMMTE WIEGE DER ZIVILISATION IN DER ICH 450 MILLIONEN MEINER KINDER SCHAUKLE […] ICH BIN DIE RECHTMÄSSIG GEWÄHLTE MISS WORLD Die Figur der Mutter Europa im Stück der kroatischen Dramatikerin Ivana Sajko verkündet provokativ und geballt, was die Autorin, geboren 1975 in Zagreb, an Europalust und Europafrust ihrer Generation ausmacht. [...]

  • von Axel Schildt

    Die Dramatik des Kalten Krieges in seiner heißesten Phase um 1950 kann man sich überhaupt nicht krass genug ausmalen. Demoskopisch immer wieder ermittelt, erwartete die Mehrheit der Westdeutschen den Ausbruch eines dritten und mit atomaren Waffen ausgetragenen Weltkriegs in naher Zukunft. Man wähnte sich lediglich in einer kurzen historischen Atempause zwischen zwei planetarischen Waffengängen. Der ferne Korea-Krieg, der am Anfang eines beispiellosen Exportbooms stand, führte in der Bundesrepublik zu angsterfüllten Hamsterkäufen. Das Wohnen in Hochhäusern wurde von manchen Experten abgelehnt, weil jene leichte Ziele für feindliche Flieger böten. Dem Kalten Krieg korrespondierte eine in allen westlichen Ländern dominierende culture of fear. [...]

  • von Susan Zimmermann

    Unter den ungarischen Soziografen der 1930er Jahre ist Ferenc Erdei vermutlich der bekannteste. Ganz gewiss war Erdei, mehr als seine Weggenossen, Vertreter eines analytischen Geistes und Denkens, und ein hochbefähigter noch dazu. Geboren wurde Erdei am 24. Dezember 1910 in einer protestantischen Familie in Makó, einer Agrarstadt der ungarischen Tiefebene. Väterlicherseits stammte die Familie aus der Schicht der Erdarbeiter und landlosen Bauern, mütterlicherseits aus dem mittleren Bauerntum.[...]

  • von Philipp Ther

    Gelegentlich haben europäische Intellektuelle Visionen von Europa, die sich als prophetisch erweisen. So ist es im Falle Milan Kunderas, einem der großen tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Er hatte 1983 Vorstellungen von Europa, die durch den EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten 2004 zur Realität wurden. Sein Text zeigt das klare Bewusstsein, dass Tschechien, Ungarn, Polen und die Slowakei eigentlich zum westlichen Kulturkreis Europas gehören.[...]

  • von Andreas Eckert

    Léopold Sédar Senghor (1906-2001), der erste gewählte Staatspräsident des unabhängigen Senegal, war im April 1961 erst seit wenigen Monaten im Amt. Seine erste Reise nach Europa führte ihn, wenig überraschend, zur ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. In seinen Reden während des Staatsbesuches, wie auch in seiner Ansprache auf dem Empfang des Stadtrates von Paris am 20. April, die der vorliegende Essay als Ausgangspunkt wählt, betonte Senghor wiederholt die engen und positiven Verbindungen zwischen den beiden Ländern. [...]

  • von Martin Kirsch

    Welche Rolle spielen aus heutiger Sicht die Überlegungen über die europäische Kultureinheit, mit denen der westschweizerische Europäer Denis de Rougemont 1959 den vom Briten Max Beloff verfassten Band über Europa und die Europäer einleitete? Inwiefern sind sie im Hinblick auf aktuelle Probleme, wie die politische Einigung Europas, die Erweiterung der Union um ein islamisch geprägtes Land, den Vorwurf des Eurozentrismus und der Ignoranz gegenüber Fragen der Globalisierung, von Interesse? [...]

  • von Priska Jones

    Was war Europa 1926? Eine beleibte ältere Dame, die sich mit schwerem Gepäck auf eine Reise in Richtung Frieden begibt? Dies ist zumindest das Bild Europas, das die Karikatur von Werner Hahmann vermittelt, die am 20. Juni 1926 in dem deutschen Satiremagazin Kladderadatsch erschien. Die Situation der alten Dame „Europa“ ist hier paradox dargestellt, da ihr offenkundig friedliches Ziel durch ihre tatsächliche Bewegungsunfähigkeit fast gänzlich blockiert zu sein scheint. Dennoch ergibt eine genauere Analyse ein vielschichtigeres Bild, denn in der Bildmitte dominieren nicht nur die Dame „Europa“ mit ihrem übermäßigen Gepäck; sprechend ist auch die gesamte Szenerie des Bahnsteiges sowie am Bildrand rechts oben ein Männerprofil, das als „Onkel Sam“ mit den „Stars and Stripes“ auf dem Zylinder die USA personifiziert. [...]

  • von Konrad H. Jarausch

    Für die meisten Mitglieder der Bürgerbewegung der DDR lag Europa in doppelter Ferne: Zwar gab es auch im Ostblock mit dem Warschauer Pakt und COMECON gemeinsame Institutionen, aber diese waren auf die sowjetische Hegemonialmacht konzentriert und ideologisch auf den sozialistischen Internationalismus ausgerichtet.[...]