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  • von Laura-Elena Keck

    Der russisch-japanische Krieg von 1904/05 war aus europäischer Sicht nicht nur ein Schockmoment, das die scheinbare Überlegenheit Europas in Frage stellte. Er gab auch Anlass zu hitzigen Ernährungsdebatten: Waren die japanischen Erfolge auf die vegetarische Kost der Soldaten zurückzuführen? Wie ließ sich diese Theorie mit der wissenschaftlichen Ernährungsforschung in Europa vereinbaren, die seit Jahrzehnten mehrheitlich die Vorzüge des Fleischkonsums anpries? Und was bedeutete das alles für die Zukunft der europäischen Nationen? Anhand von Beiträgen aus der „Vegetarischen Warte“ zeigt der Essay, wie die Frage nach der „richtigen“ Ernährung um 1900 zu einer europäischen Schlüsselfrage wurde, die nicht nur für die weitere Entwicklung des Kontinents entscheidend schien, sondern auch für die Frage, wer eigentlich zu Europa gehörte.

  • von Felix Ackermann

    Robert Geißler stellte 1884 das Berliner Gefängnis in der Lehrter Straße in einer anschaulichen Grafik als idealtypisches Gebäude für den Strafvollzug in Preußen dar. In der Komposition von acht Holzschnitten ordnet der Grafiker Innen- und Außenansichten des Moabiter Gebäudekomplexes so an, dass die Isolationshaft nicht als Strafe, sondern in erster Linie als Mittel zur Besserung der Einzelnen erscheint. Die in der Jahresillustrierten <em>Das Buch für alle</em> erschienene Darstellung verdeutlicht, wie im Deutschen Reich der Fortschrittsgedanke der Moderne auf das Individuum der verurteilten StraftäterIn übertragen wurde. In der vorliegenden Bildanalyse möchte ich zwei Aspekte herausarbeiten, die von den HerausgeberInnen des Projekts „Ambivalenzen der Europäisierung“ stark gemacht werden [...]

  • von Hannes Grandits

    Imaginierung und konkrete gesellschaftliche Erfahrung lassen sich nicht immer eindeutig voneinander trennen. Auf den sogenannten „europäischen Orient“ bezogen gilt dies ganz besonders. Die polarisierende Imagination des „Europäischen“ versus „Nicht-Europäischen/Orientalischen“ prägte im Laufe des 19. Jahrhunderts die Wahrnehmung der politischen Verhältnisse im osmanischen Südosteuropa. Je mehr die räumliche Zugehörigkeit der südosteuropäischen Peripherie zu Europa (wieder-)entdeckt und rhetorisch bekräftigt wurde, desto klarer empfand man, dass die „nicht-europäischen“ Elemente nicht hierher passten. Dies tangierte auch die gesellschaftliche Realität vor Ort. Dieser Essay versucht, einen Eindruck von einer „Verwestlichung“ bzw. Neuausrichtung hin zur Europäisierung zu vermitteln. Dabei müssen diese Prozesse als sehr widersprüchliche gesellschaftliche Entwicklungen betrachtet werden.

  • von Eric Burton

    Im Zentrum dieses Essays steht die Frage, in welcher Form die Funktionäre der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter Rassismuskritik übten und was sich daraus zur politischen Rolle und Selbstverortung dieser afrikanischen Studenten in der DDR ablesen lässt. Die fünf eng bedruckten Seiten des Schreibens mit dem Titel „Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR“ sind Zeugnis einer Gratwanderung – und Ausdruck einer Legitimationskrise der UASA selbst. Mit Bezug auf die DDR lässt sich mit dem Schreiben die Frage weiterverfolgen, wie und wo Menschen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland Teil der DDR-Gesellschaft waren und diese prägten

  • von Clara M. Frysztacka

    „‚Trajectorism‘ is the great narrative trap of the West and is also, like all great myths, the secret of its successes in industry, empire and world conquest.“ Die Quintessenz der westlichen Epistemologie bestehe, so Arjun Appadurai, in Zielgerichtetheit: Sie sichere den Erfolg des (west-)europäischen Zivilisationsmodells, stelle aber zugleich die größte „Falle“ des (west-)europäischen Selbstverständnisses dar. Appadurai nennt „trajectorism“ das, was andere ForscherInnen als Teleologie bezeichnen. Er versteht darunter die Auffassung der Zeit als einem Pfeil, der in eine präzise Richtung zeigt, sowie von historischen Prozessen und von der Geschichte selbst als Träger eines einheitlichen Telos.

  • von Hannes Siegrist und Thomas Höpel

    Der vorliegende Band ist ein Studien- und Lehrbuch über den politischen und gesellschaftlichen Gebrauch von Kunst in Europa im 19. und 20. Jahrhundert. Die Geschichte der Herstellung, Vermittlung, Verbreitung, Rezeption und Nutzung künstlerischer Werke und Ausdrucksformen wird in die Geschichte der europäischen Gesellschaften und Kulturen sowie politischen und wirtschaftlichen Systeme eingebettet. Im Unterschied zu traditionellen Nationalgeschichten behandeln wir die Dynamik des künstlerischen Feldes stärker auch im Rahmen grenzüberschreitender Austauschprozesse und Beziehungen. Ausgangspunkt ist die These, dass die Entwicklung der Künste und des künstlerischen Feldes in Europa in den letzten zwei Jahrhunderten ganz wesentlich durch die Spannung zwischen Prozessen der Nationalisierung, Internationalisierung und Transnationalisierung bestimmt war. Das Verhältnis zwischen diesen teils alternativen, teils komplementären Symbolisierungs-, Institutionalisierungs- und Organisationsstrategien bestimmte auch die Funktionen und Bedeutungen von Kunst in Prozessen der Europäisierung und De-Europäisierung sozialer, politischer und kultureller Ordnungen.

  • von Reiner Prass

    Der Essay erörtert die Frage, unter welchen Bedingungen europäische Forschungsreisende in Afrika ihr Wissen über den Kontinent, seine Natur und seine Kulturen zusammentrugen. Bisher wurde dies anhand später publizierter Reiseberichte untersucht, aber schon während ihrer Reise sandten Forscher regelmäßig Briefe und Berichte an ihre Familie, Freunde und Kollegen, um von ihren Erlebnissen und Ergebnissen zu berichten. Diese bisher noch weitgehend unberücksichtigten Quellen erlauben Einblicke in Gefühlswelten von Forschungsreisenden, die sie in ihren offiziellen Berichten verschwiegen. Sie zeigen Menschen im Feld zwischen Neugier und Langeweile, Selbstsicherheit und Ungewissheiten. Dies wird anhand zweier Briefe diskutiert, die der Stuttgarter Afrikareisende Gottlob Theodor Kinzelbach am 21. und 22. September 1861 einem „Fräulein“ bzw. August Petermann, dem Herausgeber von Petermanns Geographischen Mitteilungen, aus Keren (Eritrea) zusandte. Während Kinzelbach in dem Brief an Petermann nur Probleme mit der Gesundheit und wissenschaftlichen Instrumenten erwähnt, äußert er sich in dem Brief an das „Fräeulein“ in zum Teil drastischen Formulierungen darüber, wie unwohl er sich fühlt und dass er sich aus lauter Langeweile in die Arbeit stürzt. Dieses Unwohlsein entstand sowohl durch seine Lebensbedingungen als auch durch seine Abneigung gegenüber der äthiopischen Bevölkerung und den anderen europäischen Teilnehmern der Expedition. Die Briefe widerlegen überkommene Heroengeschichten europäischer Forschungsreisender, und sie zeigen, dass ihre Berichte sehr viel über sie selbst, ihre Erwartungen und individuellen Perspektiven aussagen.

  • von Felix Axster

    Um 1900 avancierte die Bildpostkarte zu einem Massenmedium. Insbesondere fotografische Ansichtskarten (von Städten, Gebäuden, Landschaften etc.), aber auch (gezeichnete) Humorpostkarten erfreuten sich großer Beliebtheit – als postalisches Nachrichtenmedium sowie als Sammelobjekt einer sich schnell etablierenden Sammelszene. [...]

  • von Stefan Rohdewald

    Das Verhältnis von Religion und Entwürfen kollektiver Identität und Modernität ist in den vergangenen Jahren von der Forschung zunehmend intensiver untersucht worden. Als zentral erwiesen sich dabei nicht nur Fragen nach dem Wandel von im Mittelalter und in der Frühneuzeit hergestellten Verehrungskontexten während der Entstehung nationaler Rückblicke und die Gegenwart konstituierender Erwartungshorizonte im 19. Jahrhundert. [...]

  • von Carolin Kosuch

    Der Umgang, den Gesellschaften mit ihren Minderheiten, mit als andersartig oder fremd Empfundenen, mit Flüchtlingen und als „Randgruppe“ Klassifizierten pflegen, steht nicht nur in Europa in einer wechselvollen Tradition. Gerade auch der jüdischen Bevölkerung europäischer und außereuropäischer Staaten schlugen und schlagen bis heute Gefühle der Ambivalenz, der Abneigung, des Unverständnisses und der Befremdung entgegen. [...]

  • von Judith Becker

    Die evangelische Mission war von Beginn ein europäisches Phänomen. Schon die ersten Missionare, die 1706 im südindischen Tranquebar ankamen, hatten einen europäischen Hintergrund: deutsche Pietisten, ausgesandt vom dänischen König Friedrich IV. mit finanzieller Unterstützung der englischen Society for Promoting Christian Knowledge (SPCK), ausgewählt von dem halleschen Pietisten August Hermann Francke. Die in der Folge entstehende Dänisch-Englisch-Hallesche Mission war die erste organisierte evangelische Missionsgesellschaft, die sich tatsächlich die Mission unter nichtchristlichen Nichteuropäerinnen und -europäern zum Ziel gesetzt hatte. Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden in fast allen europäischen Ländern evangelische Missionsgesellschaften, und auch diese waren häufig bewusst oder notgedrungen europäisch ausgerichtet. [...]

  • von Martin Schieder

    Bürgersteige und Straßen sind wie leergefegt. Nur drei Männer in Gehrock und mit Zylinder begleiten ihre eigenen Schatten über eine Verkehrsinsel, während zwei Kutschen durch das Bild schleichen. Auf dem Pflaster lassen sich noch die vagen Umrisse von zwei Frauen mit Sonnenschirm erahnen, die im gleißenden Mittagslicht dahinzuschmelzen scheinen. Wohl kaum ein Maler des französischen Impressionismus hat die gewaltige städtebauliche Umgestaltung und die mit ihr einhergehenden sozialen Umwälzungen, die Paris unter Napoléon III. erfuhr, so zu seinem Motiv gemacht, wie Gustave Caillebotte. Es sei nur sein ikonisches Gemälde Rue de Paris, temps de pluie (1877) genannt, in dem die modische Pariser Bourgeoisie mit ihren Regenschirmen über die Boulevards und Trottoirs promeniert. [...]

  • von Sven Oliver Müller

    Vergleicht man die Praktiken, die Geschmäcker und das Repertoire im Musikleben des 19. Jahrhunderts in Europa, fallen zunächst Parallelen auf. In den meisten europäischen Spielstätten waren der spontane Genuss musikalischer Darbietungen und der Konsum von Musik innerhalb eines sozialen Raumes ausschlaggebend. Das Diktum des berühmten Kritikers Eduard Hanslick, wonach sich eine Arie im Unterschied zu anderen Kunstformen, wie ein Glas Champagner genießerisch „schlürfen“ lasse, entspricht exakt dem Reisebericht Carl Maria von Webers, der über ein Privatkonzert im Hause Lord Hartfords im März 1826 aus London an seine Frau schrieb: „Herrlicher Saal, 500 bis 600 Personen da. Alles im höchsten Glanze. Fast die gesamte italienische Opern-Gesellschaft… . Da wurden Finales gesungen ec., aber kein Mensch hört zu. Das Gewirr und Geplauder der Menschenmenge war entsetzlich. [...]

  • von Katharina Stornig

    1903 druckte der Kölner J.P. Bachem Verlag eine Sammlung von Predigten, die als Vorlage für diverse Vorträge im Rahmen der Feste des Vereins der Heiligen Kindheit, einem 1843 gegründeten katholischen Missionsverein von und für Kinder, dienen sollten. Die erste der insgesamt vierzehn Predigten gab einen Überblick über die Ziele des Vereins und sollte vor allem die junge Zuhörerschaft begeistern. Der Kindheitsverein sei ein besonderer Verein, so der Autor Winand Hubert Meunier, katholischer Theologe und Pfarrer von Rellinghausen, weil er einzig und alleine aus Kindern bestünde. Dies war freilich eine verkürzte Darstellung der Realität; de facto wurde der Verein nicht nur von Erwachsenen geleitet, sondern hing auch wesentlich von deren Engagement und Spenden ab. Allerdings rückte Meunier die jungen Vereinsmitglieder ins Zentrum: [...]

  • von Tobias Becker

    Das Jahr 1912 ist kein gutes Jahr für das Transportwesen. Erst sinkt am 14. April die Titanic, dann stürzt am 27. April der Berliner Unternehmer und Lebemann Louis Meier mit seinem Eindecker ab. Allerdings hat er mehr Glück als die Passagiere der Titanic, denn statt im eiskalten Atlantik zu ertrinken, findet er sich weitgehend unversehrt an einem von der modernen Zivilisation gänzlich unberührten, idyllischen Ort wieder. Dafür muss Meier diesen Absturz wochenlang, Abend für Abend aufs Neue über sich ergehen lassen, denn er bildet den Auftakt von Schwindelmeier & Co., dem neuen Stück des Berliner Metropol-Theaters. [...]

  • von Bertrand Tillier

    Die Dreyfus-Affäre wird meist als eine politische und moralische Krise mit tiefen Wirkungen auf die französische Gesellschaft oder die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich betrachtet. Sie ist aber auch ein Kristallisationspunkt für die europäische öffentliche Meinung. Die Ereignisse und Entwicklungen in der Affäre, die Debatten und die Leidenschaften, die sie entfachte, und auch der Kampf um die Werte von Gerechtigkeit und Wahrheit, den sie vorantrieb, bildeten die ersten Momente eines europäischen Gewissens. Es manifestierte sich auf unterschiedliche Weise: durch Petitionen, Zeitschriften, Illustrationen, Karikaturen, Zeichnungen in der Tagespresse, Plakate, Postkarten und vieles mehr. All diese Medien verband, dass sie sich für eine rasche kollektive Mobilisierung eigneten, leicht reproduzierbar waren und zur Massenkultur gehörten. [...]

  • von Bertrand Tillier

    Si l’affaire Dreyfus est le plus souvent considérée comme une crise politique et morale aux profondes répercussions sur la société française ou sur les relations diplomatiques entre la France et l’Allemagne, c’est aussi un moment de cristallisation de l’opinion publique européenne. En effet, les développements de l’Affaire, mais aussi les débats et les passions qu’elle suscita, de même que les valeurs de justice et de vérité qu’elle mobilisa, constituent les premiers moments d’une conscience européenne. Celle-ci s’exprima à travers différents supports – pétitions, périodiques, illustrations, caricatures, dessins de presse, affiches, cartes postales… – qui avaient tous en commun de se prêter à des modes rapides de mobilisation collective, d’être aisément reproductibles et d’appartenir à la culture de masse. [...]

  • von Gabriele B. Clemens

    Der Kunstmarkt beschränkte sich nie auf einzelne Städte oder Regionen, doch spätestens seit dem Ancien Regime nahmen seine europäischen Dimensionen kontinuierlich zu. Dabei sind Kunst und Kommerz zwei Sphären, die sich nicht voneinander trennen lassen. Noch nie wurde so viel Geld mit Kunst umgesetzt wie heute. Niemals zuvor war Kunst so teuer, zu keiner Zeit fanden sich so viele Kenner, Käufer und Spekulanten. Vor rund 200 Jahren waren die Dimensionen noch andere. Während im 18. Jahrhundert neben der Kirche das Mäzenatentum der Fürsten und einer kleinen Elite von weiteren Adeligen und reichen Bürgern entscheidend war, trat im 19. Jahrhundert ein breiteres Publikum auf den Plan, das die Ausstellungen der Akademien und die der neu gegründeten Museen zu regelrechten Massenspektakeln anschwellen ließ. Vielerorts wurden Kunstvereine gegründet, deren Mitglieder kollektiv Künstler förderten. In der Publizistik nahmen Diskussionen über Kunst und Kunstwerke auffallend zu. [...]

  • von Andreas C. Hofmann

    „Gedenke, daß Du ein Deutscher bist!“ — dieser Aufruf des Großen Kurfürsten von Brandenburg Friedrich Wilhelm war zugleich der Wahlspruch des Alldeutschen Verbandes, also jener 1891 gegründeten Organisation, die sich im Deutschen Kaiserreich für eine aggressive Vertretung der deutschen Nationalinteressen einsetzte. Der Alldeutsche Verband selbst existierte zwar bis 1939, verlor allerdings in der Weimarer Republik und vor allem während des Nationalsozialismus rapide an Bedeutung. Als grundlegend ist noch immer die umfassende Darstellung des Washingtoner Neuzeithistorikers Roger Chickerings zu betrachten, während die Dissertation Michael Peters insbesondere die Jahre unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg in den Blick nimmt. [...]

  • von Axel Körner

    Die Geschichte der italienischen Oper ist voll wunderbarer Anekdoten, denen wir häufig mit wohlwollender Sympathie begegnen, die wir teilweise belächeln, denen wir jedoch auch allzu leicht Glauben schenken. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit der Beziehung zwischen Kunst und Politik, speziell der politischen Konnotierung von Oper im 19. Jahrhundert und der Inanspruchnahme Giuseppe Verdis als „Barde der italienischen Nationalbewegung“, ein Bild, das die Rezeption seiner Musik auch heute noch prägt. [...]

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