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  • von Alexander Golovlev

    In diesem Essay werden das Theatermanagement und die Wirtschaftsstruktur im Bolschoi-Theater untersucht: erstens als Bestandteile der stalinistischen Kulturpolitik, und zweitens als Ausdruck der institutionellen und wirtschaftlichen Subjektivität des Bolschois. Während das Haus zur Schaubühne der „sowjetischen Oper“ aufstieg, was aber letztendlich scheiterte, entwickelte es eine sehr funktionelle und quantitativ effiziente Wirtschaft, die auf einer, verglichen mit anderen europäischen Fallbeispielen, bedeutenderen Anzahl von Aufführungen und größeren Besucherfrequenz basierte. Wie aus den untersuchten Quellen hervorgeht, erklären Skaleneffekte den Großteil der ökonomischen Performativität des Bolschois. Gleichzeitig waren die Verdienste ungleich und oft bescheiden, und Ur- bzw. Erstaufführungen äußerst selten. Mehr noch, trotz inflationären Drucks der in Industrialisierung begriffenen Wirtschaft zeigte das Bolschoi bedeutende organisationale Widerstandsfähigkeit. Seine zentrale Stellung im stalinistischen Kulturgefüge sicherte dem Haus zweifelsohne die Aufmerksamkeit seitens des Parteistaates. Damit wurde ein einzigartiges Wirtschafts- und Kulturobjekt innerhalb der sowjetischen Kulturindustrie geschaffen: sehr kostspielig und privilegiert, aber auch eine bessere Performanz aufweisend als die meisten zeitgenössischen Institutionen, sowohl in Demokratien als auch in Diktaturen.

  • von Heike Karge

    Im vorliegenden Beitrag soll daher die Frage diskutiert werden, was es für das Verständnis einer psychischen Störung bei Soldaten bedeutete, wenn es kriegsspezifische psychiatrische Diagnosen gab oder nicht. Lassen sich während des und nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsame europäische Entwicklungslinien im Umgang mit seelisch dekompensierten Soldaten erkennen, und wie verhalten sich hierzu die unterschiedlichen Begrifflichkeiten für die Bezeichnung soldatisch-psychischer Versehrtheit? Ich möchte zeigen, dass die Analyse des Umgangs mit psychischer Kriegsversehrtheit einen ambivalenten Europäisierungsprozess sichtbar machen kann. Er erschließt sich aber nicht nur über die Analyse gemeinsamer, unterschiedlicher oder – wie im kroatisch-slawonischen Fall – fehlender Terminologien zur Bezeichnung von spezifisch im Krieg entwickelten psychischen Störungen, sondern wird erst im mikrohistorischen Zugriff auf die Patientenakten sicht-bar, weil hier die konkret angewendeten klinischen Praktiken festgehalten wurden.

  • von Gabriel Montua

    Ein roter Keil penetriert von links oben einen weißen Kreis. Seine Spitze hat den Mittelpunkt des Kreises bereits erreicht. Dies ist die Hauptaussage des Propagandaplakates, das der russische Avantgardekünstler El (kurz für Lazar) Markovic Lissitzky 1919 oder 1920 im Auftrag der Bolschewiki entwarf, als der in Petrograd und Moskau siegreiche Kommunismus besonders im Südwesten des Landes von einer anti-bolschewistischen Koalition bekämpft wurde, deren Armeen sich „die Weißen“ nannten. [...]

  • von Detlef Lehnert

    „Soziale Ursprünge von Diktatur und Demokratie“ wurden mit einem die Hintergründe – gerade auch der russischen Revolutionen – wesentlich aus unterschiedlichen agrargesellschaftlichen Strukturen erklärenden Ansatz thematisiert. Dass 1917 mit dem Kriegseintritt der USA und dem russischen Revolutionsgeschehen eine bis um 1990 ausstrahlende westlich/östliche Weltkonstellation grundformiert war, ist seither immer wieder betont worden. An das bevorstehende Jahrhundert-Jubiläum der Weimarer Nationalversammlung und ihres Verfassungswerks 1919 wird sicher auch in breiterer Öffentlichkeit noch intensiv zu erinnern sein. [...]

  • von Maximilian Buschmann

    Am 9. Juli 1909 verbreitete sich eine Nachricht aus dem berüchtigten Londoner Frauengefängnis Holloway weit über die britischen Inseln hinaus. Nach 91 Stunden im Hungerstreik wurde Marion Wallace Dunlop, die Anerkennung als politische Gefangene einforderte, vorzeitig entlassen. Ihre einmonatige Haftstrafe wegen unerlaubten Plakatierens endete bereits nach fünf Tagen. In Votes for Women, der Wochenzeitung der militantesten Organisation der britischen Frauenbewegung, Women’s Social and Political Union (WSPU), hieß es: „At last the Authorities had to give way. [...]

  • von Heike Karge

    Gab es in und nach dem Ersten Weltkrieg im jugoslawischen Raum Soldaten, die psychisch am Krieg erkrankten? Die wie in West- und Mitteleuropa als Kriegsneurotiker, als Kriegszitterer, als „shell-shocked soldiers“ mit einer vom Krieg schwer gezeichneten Psyche von den Fronten zurückkehrten? Anders als im angloamerikanischen, west- und mitteleuropäischen Raum sind in der südosteuropäischen Historiografie solche psychiatriegeschichtlichen Fragestellungen ausgesprochen rar. [...]

  • von Albrecht Götz von Olenhusen und Irmtraud Götz v. Olenhusen

    Siegfried Kracauer (1889–1966) zählt neben Rudolf Arnheim, Béla Balász und Lotte Eisner zu den bedeutendsten Klassikern der deutschen Filmkritik und Filmtheorie der 1920er-Jahre. Seine berufliche Ausprägung als Filmkritiker, namentlich der Frankfurter Zeitung seit Anfang der 1920er-Jahre, kann als ein herausragendes Beispiel dienen, wie sich im Gegensatz zu einer rein ästhetisch geprägten Filmkritik eine soziologische Filmkritik und die Profession des Filmkritikers nach ersten Anfängen vor und im Ersten Weltkrieg insbesondere in den 1920er-Jahren entwickelte. Da weder die Geschichte der Filmkritik noch die Entwicklung der Profession des Filmkritikers unter kultur- und sozialhistorischen Perspektiven im internationalen Kontext hinreichend erforscht sind[3], kann hier nur eine auf einen Exponenten bezogene knappe Skizze geliefert werden. [...]

  • von Daniel Roger Maul

    Die ausgewählte Quelle ist in mancher Hinsicht das Dokument eines Scheiterns. Fridtjof Nansens flammender 1921 an die Mitglieder des Völkerbunds gerichteter Appell, der Sowjetunion im Angesicht einer gewaltigen Hungersnot Regierungskredite zu gewähren, verhallte ungehört. Gleichzeitig steht die Rede Nansens am Ausgangspunkt eines der größten vor allem von privaten Initiativen getragenen humanitären Hilfseinsätze des 20. Jahrhunderts. Er vereinte private Hilfsorganisationen unterschiedlicher geografischer und politischer Herkunft in ihren Bemühungen; auf dem Höhepunkt wurden täglich bis zu 11 Millionen Menschen mit Nahrung, Kleidung und Medizin versorgt, in einem Gebiet, das sich in etwa von Kasan im Norden Russlands bis zu den Mündungen von Wolga und Don im Schwarzen und Kaspischen Meer über nahezu tausend Kilometer erstreckte.[...]

  • von Eva-Maria Stolberg

    Gehört Russland zu Europa? Diese Frage wurde und wird inner- und außerhalb Russlands immer wieder leidenschaftlich diskutiert. Oft wird dabei Europa mit dem Westen gleichgesetzt. Deutsche Historiker wie z.B. Hans-Ulrich Wehler haben die Nichtzugehörigkeit Russlands zu Europa mit seiner Orthodoxie begründet, davon ausgehend wird eine transatlantische Gemeinschaft zwischen den USA und Europa abgeleitet. Liegt es da nicht nahe, dass in Russland auch heute wieder ein "Eurasien" als Gegenmodell konstruiert wird? "Eurasien" ist seit dem Ende der Sowjetunion wieder im Gespräch. Die heutige Attraktivität des eurasischen Konzeptes liegt darin, dass sich das Russland Putins gern als Großmacht in den GUS-Staaten, einer Art "russischen Commonwealth" sieht.[...]

  • von Jörg Baberowski

    Vjaceslav Michajlovic Molotov (1890-1986) war im Jahre 1930 nicht nur Vorsitzender des Rates der Volkskommissare. Er gehörte auch dem Politbüro und dem Sekretariat des Zentralkomitees der kommunistischen Partei an. Molotovs Einfluss wuchs mit der Macht Stalins, dessen Alleinherrschaft 1930 schon nicht mehr in Zweifel stand. In der Partei galt Molotov als „Stellvertreter“ Stalins, als treuer Gefolgsmann, der sich dem Willen des Diktators bedingungslos unterwarf.[...]

  • von Michael Wildt

    Der Begriff, mit dem Hitler die rassistische Neuordnung Ostmitteleuropas umschrieb, fiel gleich zu Beginn des Krieges gegen Polen im September 1939: „Flurbereinigung“. Dieser Terminus aus der Agrarpolitik, mit dem die Zusammenfassung und Neuaufteilung von Feldern bezeichnet wird, um sie effizienter bewirtschaften zu können, bezeichnete treffend die Verbindung von Territorialität, Siedlungspolitik und rassenbiologischer Ordnungsphantasie, die der NS-Führung vorschwebte. Menschen waren in ihren Augen nichts anderes als Bodengewächse, die man hier und dort anpflanzen oder auch wie Unkraut ausreißen konnte. Räume mussten „bereinigt“ werden, das heißt die in ihnen lebenden Menschen unterworfen, vertrieben, deportiert oder getötet werden, um diese Räume zu beherrschen, auszubeuten oder zu besiedeln. „Lebensraum“ bildete einen zentralen Terminus nationalsozialistischer Politik. [...]

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