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  • von Oliver Krause

    Abstract An den drei Karten, die alle auf imaginierte,globale Raumordnungen zurückgehen, die Halford J. Mackinder zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hatte, lassen sich die Internationalisierung europäischen Wissens am Transfer eines geopolitischen Konzepts, dessen Anpassung und Instrumentalisierung nachzeichnen. Die Karten prägten je spezifische Imaginationen einer globalen Raumordnung, die die Wahrnehmung der Welt aus nationalen Perspektiven heraus präfigurierten. Auf dieser Grundlage entstanden unterschiedliche Globalisierungsszenarien. Im Deutschen Reich wurde Mackinders imaginierte globale Raumordnung zur Utopie deutscher Großmachtstellung umgedeutet. In den USA behielt sie den ursprünglich dystopischen Charakter zukünftiger Vorherrschaft einer eurasischen Landmacht, die als legitimierendes Narrativ US-amerikanischer Außenpolitik gegenüber der Bevölkerung nutzbar wurde.

  • von Patrick Bernhard

    Der Beitrag stellt die These auf, dass Interpol – eine der zentralen Organisationen heutiger europäischer und internationaler Zusammenarbeit – in seiner Vergangenheit an antiliberale Modernitätsprojekte geknüpft war, ohne dass dies kritisch reflektiert würde. Der vorliegende Text versteht sich vor diesem Hintergrund als Versuch, die Idee europäischer Zusammenarbeit im Bereich der Polizei stärker zu historisieren, das heißt die Sinnwelten der damaligen Akteure zu rekonstruieren.

  • von Kirsten Heinsohn

    Als die Soziologin Eva Reichmann 1981 gefragt wurde, wie sie denn ihr Selbstverständnis beschreiben würde, sagte sie als erstes: „das ist eine sehr komplizierte Sache.“ Und in der Tat war es für sie, als liberale Jüdin, die 1939 aus Deutschland vertrieben worden war, außerordentlich schwierig, sich eindeutig zu einem Land zu bekennen, geschweige denn sich mit ihm zu identifizieren. Die Gewalterfahrung der Juden in Europa zwischen 1933 und 1945 fügten – auch im Fall von Eva Reichmann – den persönlichen Biografien der Überlebenden eine schwere Hypothek hinzu. [...]

  • von Anna Karla

    Im September 1919 reiste eine Delegation im Auftrag der deutschen Regierung durch den Nordosten Frankreichs. Ziel der Reise war es, sich ein Bild zu machen: davon, wie es ein knappes Jahr nach dem Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und den Staaten der Entente um die Gebiete an der ehemaligen Westfront bestellt war; davon, welches Ausmaß der Zerstörungen sich in der Region nördlich und östlich der französischen Hauptstadt bot; davon, was zu tun sei, um den Wiederaufbau voranzutreiben, der auf der Friedenskonferenz in Versailles, in der französischen Presse und in der lokalen, regionalen und nationalen Politik als drängendes Problem gehandelt wurde. [...]

  • von Matthäus Feigk

    Auf der Fotografie von 1920 hat sich im Vordergrund eine Personengruppe in zwei Reihen − die vordere auf Holzstühlen sitzend, die hintere stehend − arrangiert. Im Hintergrund erkennt man die mit Efeu bewachsene Hausecke eines Backsteingebäudes. Links von der Gruppe sind ein Durchgang mit dreistufiger Treppe, direkt dahinter und am rechten Bildrand zwei Fenster zu sehen. Die Personen rechts der Bildmitte stehen bzw. sitzen mit ihren Stühlen im Gras eines Vorgartens. Die zwölf Männer und eine Frau nehmen größtenteils eine steife Haltung ein. [...]

  • von Maximilian Buschmann

    Am 9. Juli 1909 verbreitete sich eine Nachricht aus dem berüchtigten Londoner Frauengefängnis Holloway weit über die britischen Inseln hinaus. Nach 91 Stunden im Hungerstreik wurde Marion Wallace Dunlop, die Anerkennung als politische Gefangene einforderte, vorzeitig entlassen. Ihre einmonatige Haftstrafe wegen unerlaubten Plakatierens endete bereits nach fünf Tagen. In Votes for Women, der Wochenzeitung der militantesten Organisation der britischen Frauenbewegung, Women’s Social and Political Union (WSPU), hieß es: „At last the Authorities had to give way. [...]

  • von Jeannine Harder

    Die Polnische Schule der Plakatkunst hatte in den 1950er- und 1960er-Jahren in der internationalen Szene der angewandten Grafik einen ausgezeichneten Ruf. Weitaus stärker als Werke der zeitgenössischen polnischen Malerei oder Plastik erlangten die Plakate weltweit auch in nicht-sozialistischen Staaten Europas Anerkennung. Westliche Gebrauchsgrafiker lobten die Gestaltungsvielfalt und den Ideenreichtum der Polnischen Schule der Plakatkunst. Polnische Plakatkünstler genössen insbesondere in der Film- und Theaterwerbung ein außerordentliches Maß an gestalterischer Freiheit. Im Unterschied zur Plakatgestaltung in marktwirtschaftlich bestimmten Ländern sei die polnische „Plakatkunst“ nicht an die beengenden wirtschaftlichen, motivischen, konzeptionellen und stilistischen Vorgaben der Werbeagenturen gebunden. [...]

  • von Florian Greiner

    Seit dem Mittelalter dient die Türkei als ein negatives Definitionsmerkmal Europas. Spätestens mit der Eroberung Konstantinopels 1453 durch Sultan Mehmed II. entwickelte sich die türkische Frage zu einem „Wetzstein europäischer Identität.“ In den folgenden Jahrhunderten intensivierten sich konstitutiv wirkende Abgrenzungen zwischen einem christlich-abendländisch konnotierten Europa und der islamisch-orientalischen Türkei etwa im Rahmen der frühneuzeitlichen Türkenkriege und der beiden Belagerungen Wiens durch osmanische Truppen 1529 und 1683. Stereotype Fremdbilder, die unter Schlagworten wie der „Türkengefahr“ firmierten und im Zeitalter des Imperialismus noch rassistisch aufgeladen wurden, erwiesen sich in Europa als ebenso langlebige wie wirkmächtige Alteritätskonstruktionen. [...]

  • von Katharina Stornig

    1903 druckte der Kölner J.P. Bachem Verlag eine Sammlung von Predigten, die als Vorlage für diverse Vorträge im Rahmen der Feste des Vereins der Heiligen Kindheit, einem 1843 gegründeten katholischen Missionsverein von und für Kinder, dienen sollten. Die erste der insgesamt vierzehn Predigten gab einen Überblick über die Ziele des Vereins und sollte vor allem die junge Zuhörerschaft begeistern. Der Kindheitsverein sei ein besonderer Verein, so der Autor Winand Hubert Meunier, katholischer Theologe und Pfarrer von Rellinghausen, weil er einzig und alleine aus Kindern bestünde. Dies war freilich eine verkürzte Darstellung der Realität; de facto wurde der Verein nicht nur von Erwachsenen geleitet, sondern hing auch wesentlich von deren Engagement und Spenden ab. Allerdings rückte Meunier die jungen Vereinsmitglieder ins Zentrum: [...]

  • von Christian Kehrt

    Der Essay behandelt die Antarktispolitik der Bundesrepublik in den langen 1970er-Jahren. In dieser Zeit geriet das im Kalten Krieg begründete Antarktisvertragssystem unter Druck. Neue Akteure, insbesondere aus nicht-westlichen Ländern, forderten Zugang zur Antarktis und stellten das exklusive Antarktisvertragssystem in Frage. Zudem bestimmen nun vermehrt ökonomische und ressourcengetriebene Motive die Agenda, die anfangs im Antarktisvertrag nicht hinreichend geregelt waren. So kam es zu einer konfligierenden Wahrnehmung der Antarktis, die als Weltnaturpark unter Naturschutz gestellt werden sollte. Zugleich verhieß dieser staatsfreie Raum in einer Zeit, in der die Grenzen des Wachstums diskutiert wurden, neue, nahezu unerschöpfliche Ressourcenpotentiale. Auch die Bundesrepublik verfolgte mit ihrem Ziel, dem Antarktisvertragssystem beizutreten und ein Polarforschungsinstitut zu gründen, geopolitische Motive. [...]

  • von Isabella Löhr

    Europa als Wissensraum definierte und definiert sich bis heute besonders über die europäische Wissenschaftslandschaft und ihrer Institutionalisierung in Universitäten. Spätestens seit dem 18. Jahrhundert unterlagen diese einem fortlaufenden Prozess der Professionalisierung und der Bildung von Disziplinen, in dessen Verlauf das deutsche Modell der modernen Forschungsuniversität zum Vorbild avancierte. Auch wenn die Umsetzung dieses Modells europaweit jeweils anders verlief, lag dem Aufbau moderner Universitäten ein Bündel von Merkmalen zugrunde, das Walter Rüegg unter der Trias „Säkularisierung, Bürokratisierung, Spezialisierung“ zusammengefasst hat. [...]

  • von Regula Ludi

    Als Überlebende, als Identifikationsfiguren zeitgenössischer Erinnerungspolitik, als Protagonisten der Populärkultur sind Opfer die Helden und Heldinnen unserer Zeit. Mit Rückgriff auf Max Weber könnte man ihre gesellschaftliche Position in der westlichen Welt am ehesten als Status bezeichnen: Dieser stattet Opfer mit anerkannten Ansprüchen aus; er ist mit Tabus belegt und verleiht moralische Autorität; er garantiert Prestige und verbürgt Unschuld. Diese Entwicklung stößt keineswegs auf ungetrübte Freude. Besorgte Stimmen warnen vor der „sentimentalen Solidarität erinnerter Viktimisierung“, und schon seit geraumer Zeit artikuliert sich ein Unbehagen ob der verbreiteten „Sehnsucht Opfer zu sein“. [...]

  • von Christa Hämmerle

    Für die Zeit zwischen 1933 und 1945 sind Terror, Krieg und Genozid europaweit in verschiedensten autobiografischen Aufzeichnungen bezeugt, die einen ganz spezifischen Blick auf diese Jahre eröffnen können. Dies gilt, obschon unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen, für beide Seiten der damals zutiefst gespaltenen Gesellschaft: einmal für jene, die „dazu gehörten“ und das NS-Regime sowie seine Kriegsführung in Europa oft bis zuletzt stützten, obwohl der totale Krieg sie selbst einholte; sowie vor allem für jene, die ausgegrenzt, verfolgt, auf die Flucht und ins Exil getrieben oder ermordet wurden. Gerade unter diesen Menschen evozierte die anhaltende, zerstörerische Krisenerfahrung, die sich immer seltener in direkter Gesprächs- oder Briefform kommunizieren ließ, auch ein intensiviertes Tagebuchschreiben, das zwar an kulturelle Traditionen schriftlicher Selbstthematisierung anknüpfte, sich aber unter den dramatischen Bedingungen zugleich neu ausrichtete. [...]

  • von Angelika Schoder

    Am 3. Januar 1996 wurde in Deutschland der 27. Januar als nationaler Holocaust-Gedenktag von Bundespräsident Roman Herzog proklamiert, nachdem sich die Bundestagsfraktionen bereits im Juni 1995 ohne öffentliche Diskussion und getragen von parteiübergreifender Zustimmung auf den „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ verständigt hatten. Zurückzuführen ist die Etablierung des Gedenktags in Deutschland auf die Initiative deutsch-jüdischer Vertreter, so hatte sich seit 1994 vor allem Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, für einen Gedenktag an diesem Datum eingesetzt. Der Holocaust-Gedenktag in Deutschland kann damit zwar als national motiviert betrachtet werden, zielt aber auch auf ein transnationales Erinnern ab, verdeutlicht durch die europäische Bedeutung des dem Tag zu Grunde liegenden historischen Ereignisses. [...]

  • von Patrick Bernhard

    Am 1. April 1936 unterzeichneten der Chef der Deutschen Polizei, Heinrich Himmler, und sein italienischer Amtskollege Arturo Bocchini in der Reichshauptstadt Berlin eine folgenschwere geheime Übereinkunft: das sogenannte deutsch-italienische Polizeiabkommen. Das Abkommen und die beiden kurz darauf folgenden Zusatzvereinbarungen sahen eine ausgesprochen enge Kooperation bei der internationalen Verbrechensbekämpfung vor, die weit über das bis dahin gekannte Maß zwischenstaatlicher Polizeizusammenarbeit hinausgehen sollte. Der Vertragstext beinhaltete nicht nur einen umfassenden gegenseitigen Informationsaustausch über verdächtige Personen. Insbesondere die Vereinbarung, dass die Polizeikräfte beider Länder Verdächtige unter „Ausschaltung diplomatischer Verhandlungen“ außer Landes verbringen durften, brach mit den Grundsätzen des damals geltenden internationalen Auslieferungsrechts. Allen Akteuren war damals klar, dass es dabei um staatlich legalisierte Verschleppung über die Landesgrenzen hinweg ging. [...]

  • von Christoph Strupp

    Der wirtschaftliche Zusammenschluss Westeuropas in der Nachkriegszeit ist ein politisches Projekt, das sich in der Rückschau als Erfolgsgeschichte darstellt. Der Weg von der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) von 1952 mit sechs Mitgliedsländern zur Europäischen Union der Gegenwart mit 27 Mitgliedern war allerdings kompliziert, denn gegensätzliche wirtschaftliche Interessen und politische Ziele der beteiligten Nationalstaaten mussten in immer neuen Kompromissen austariert werden. Unterschiedliche ideologische Vorstellungen über den Charakter des Europäischen Hauses und das Verhältnis der zentralen Institutionen in Brüssel und Straßburg zu den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedsstaaten führten und führen bis heute zu Konflikten. [...]

  • von Susan Baumgartl

    Im Prozess der Vereinigung beider deutscher Staaten sowie der Überwindung von über vierzig Jahren Teilung und Ost-West-Konflikt markiert der so genannte „Zwei-plus-Vier-Vertrag“ eine entscheidende Zäsur in der europäischen Nachkriegsgeschichte. Er regelt endgültig die äußeren Bedingungen der Wiedervereinigung, stellt die uneingeschränkte Souveränität Deutschlands auf dem Staatsgebiet der BRD und der DDR, einschließlich Berlins, wieder her und macht sie völkerrechtlich verbindlich. Mit der am 12. September 1990 in Moskau unterzeichneten Übereinkunft zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sowie Frankreich, dem Vereinigten Königreich, den USA und der UdSSR ist ein gesonderter Friedensvertrag über die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs nicht mehr nötig. [...]

  • von Kirsten Heinsohn

    Als Eva Reichmann 1981 auf die Frage antwortete, wie sie denn ihr Selbstverständnis beschreiben würde, sagte sie als erstes: „das ist eine sehr komplizierte Sache.“ Und in der Tat war es für sie, als liberale Jüdin, die 1939 aus Deutschland vertrieben worden war, außerordentlich schwierig, sich eindeutig zu einem Land zu bekennen geschweige denn sich mit ihm zu identifizieren. Die Gewalterfahrung der Juden in Europa zwischen 1933 und 1945, die die Überlebenden in ihre persönliche Biografie integrieren mussten, fügten – auch im Fall von Eva Reichmann – eine schwere Hypothek hinzu. Denn schließlich waren den deutschen und später allen Juden im von Deutschland besetzten Europa die Bürgerrechte und die persönliche Freiheit sowie schließlich die körperliche Unversehrtheit genommen worden. Die Einführung ungleicher Bürgerrechte im Zuge der so genannten Nürnberger Gesetze1935 sowie die Aberkennung der Staatsangehörigkeit insgesamt waren Schritte in einem umfassenden Entrechtungsprozess. [...]

  • von Hans Manfred Bock

    Im Jahre 1928 lancierte die Redaktion der „Deutsch-Französischen Rundschau“ eine Enquête, in der bekannte und einschlägig ausgewiesene Wissenschaftler und Schriftsteller dazu befragt wurden, wie sich aus ihrer Sicht die deutsch-französischen Beziehungen praktisch verbessern ließen. Die Initiative ging von den Berliner Gründern der Deutsch-Französischen Gesellschaft (DFG) aus, die Ende 1927 ins Leben gerufen wurde.[...]

  • von Clemens Wurm

    Am Nachmittag des 9. Mai 1950, einem Dienstag, verlas der französische Außenminister Robert Schuman um 18 Uhr vor eiligst in den Uhrensaal des Quai d’Orsay eingeladenen Pressevertretern die nach ihm benannte Erklärung, die das Gesicht Europas verändern sollte. Konzeptioneller Urheber der Erklärung war Jean Monnet, damals Vorsitzender des Commissariat général au Plan. Schuman hatte den Vorschlag übernommen, und er hat ihn gegen starke Widerstände in Frankreich politisch durchgesetzt.[...]

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