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  • von Frithjof Benjamin Schenk

    Der in den letzten Jahren viel diskutierte "spatial turn" ist keine so umfassende Wende, wie oft gedacht - zum einen hat man sich außerhalb der deutschen und angelsächsischen Forschung auch zuvor intensiv mit der Kategorie "Raum" befasst - so in der von der Annales-Schule geprägten französischen Forschung. Zum anderen geht es nicht um einen umfassenden Paradigmenwechsel, sondern darum, einen bisher vernachlässigten Aspekt bei der Untersuchung kultureller und sozialer Prozesse stärker zu berücksichtigen. Der Autor hebt hervor, dass "Raum" keine historische Kategorie an sich ist, sondern dass der gesellschaftlich und historisch relevante Raum das Produkt menschlicher Handlung und Wahrnehmung ist. Durch die Hinterfragung gängiger Raumkonzepte - wie des "Osteuropa"-Begriffs durch die Osteuropa-Forschung in den letzten Jahren - kann das heuristische Konzept der Geschichtsregion als Strukturraum nutzbar gemacht werden.

  • von Christoph Boyer

    Für die europäische Nachkriegsgeschichte konstatiert Boyer zwei grundlegende Makromodelle: den demokratisch-marktwirtschaftlichen Wohlfahrtsstaat in Westeuropa einerseits und die staatssozialistischen Modelle in Mittel- und Ostmitteleuropa andererseits. Die beiden Modelle unterschieden sich dabei weniger grundsätzlich, wie oft angenommen wurde: Beide antworteten auf die Krise des Kapitalismus und Liberalismus seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und beide Modelle wollten Gesellschaften, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, planen, regulieren, transformieren, modernisieren und dadurch Wohlstand schaffen. Die Frage nach der „Europäizität Ostmitteleuropas“ ist für den Autor ein komparativer Forschungsansatz, mit dem die unterschiedlichen Entwicklungen, die die jeweiligen Länder unter diesen Makromodellen vollzogen haben, untersucht und mit anderen europäischen Regionen verglichen werden sollten.

  • von Chris Hann

    Der Beitrag setzt sich mit der Frage auseinander, wie und wo sich Ungarn selbst auf der „mental map“ Europa verordnet hat und verordnet. Während des Sozialismus lag der Wahrnehmung der meisten Ungarn dabei eine klare Ost-West-Dichotomie zugrunde, der zufolge der „Osten“ mit der UdSSR begann und Ungarn damit ein Teil Westeuropas war. Diese Sicht blieb auch nach dem Zusammenbruch des Sozialismus dominant, wobei Westeuropa für die Ungarn nun in noch stärkerem Maße für „Europa“ im allgemeinen stehe. Daran ändert auch die teils kritische Sicht eines mit der EU gleichgesetzten „Europa“ nichts.

  • von Philipp Ther

    In seinem Beitrag vergleicht Philipp Ther die geschichtswissenschaftlichen Raumkonzeptionen Zentraleuropa und Ostmitteleuropa. Das Konzept Ostmitteleuropa, das gerade in der deutschen Forschung weiter vorherrschend bleibt, resultiert für ihn hauptsächlich aus strukturgeschichtlichen Fragestellungen. Darin liege aber sein Nachteil, da dies zu einer mangelnden zeitlichen Differenzierung und zu einer überzogenen räumliche Abgrenzung führe sowie eine thematische Engführung auf strukturgeschichtliche Ansätze einschließe. Das Konzept Zentraleuropa habe dagegen den Vorteil, dass es besonderes die Kommunikation und Interaktion zwischen verschiedenen Regionen betrachtet und dadurch zeigt, wie kulturelle Räume durch „cultural encounters“, Austauschprozesse, Akkulturation, aber auch Krisen und Konflikte geprägt werden. Die so konstituierten Räume können sich überschneiden und verändern sich je nach Periode.

  • von Claudia Kraft

    Infolge des Zusammenbruchs des „Ostblocks“ sahen sich die mit osteuropäischer Geschichte beschäftigten Forscher genötigt, ihre Forschungsthemen und Konzepte zu überdenken und haben in diesem Zusammenhang wiederholt den Konstruktionscharakter von Raumkategorien problematisiert. Räume existieren – so die Autorin – wie die Kategorie Geschlecht nicht a priori, sondern werden diskursiv hergestellt. Diese Einsicht gilt freilich nicht nur für Ost- bzw. Ostmitteleuropa: Vielmehr kann anhand der Analysekategorien Raum und Geschlecht sichtbar gemacht werden, wie unreflektierte (außerwissenschaftliche) Vorannahmen in historischen Konzepten wirksam sind.

  • von Dietmar Müller

    Unter Berufung auf das Recht auf nationale Selbstbestimmung entstanden im Kontext der Friedensverträge nach dem Ersten Weltkrieg mehrere neue Nationalstaaten in Osteuropa. Damit hatte sich auch dort das nationalstaatliche Prinzip durchgesetzt, wobei dem Minderheitenschutz die Funktion eines Korrektivs gegenüber befürchteten Bevormundungen ethnischer Minderheiten zukam. Da jedoch die Nation als Ausdruck eines souveränen und einheitlichen Volkes gedacht wurde und deshalb innerhalb der neuen Staaten zumeist nur der Mehrheitsethnie das Recht auf nationale Selbstbestimmung zugebilligt wurde, war der Schutz ethnischer Minderheiten gleichsam ein Fremdkörper und unterminierte die theoretische Konsistenz des Modells „einheitlicher Nationalstaat“.

  • von André Kaspi

    Die USA sehen Frankreich und Deutschland 1945 nicht im gleichen Licht. Frankreich ist ein verbündetes Land, das die amerikanischen Soldaten besonders freundschaftlich empfangen hat. Aber es ist auch ein unbequemer Verbündeter. De Gaulle geht es um den Erhalt der nationalen Unabhängigkeit, und mit diesem Ziel widersetzt er sich gegebenenfalls auch den USA, wie zum Beispiel in den Auseinandersetzungen um Stuttgart und Clipperton. Das besiegte Deutschland soll vom Nationalsozialismus geheilt und nach demokratischem Modell wieder aufgebaut werden. In beiden Fällen sind die USA zu einer europäischen Großmacht geworden, wohlwissend, dass sich Europa, der alte Kontinent, im Niedergang befindet und nie wieder die gleiche Stellung wie vor 1939 einnehmen wird.

  • von Armin Heinen

    Wenige Themen US-amerikanischer Kultur wecken in Europa so viele Emotionen wie die Todesstrafe. Wollten die USA dem Europarat beitreten, so würde ihr Gesuch abgelehnt, und selbst der Beobachterstatus wäre umstritten. Der Beitrag untersucht die Geschichte der Todesstrafe als gemeinsame Geschichte einer US-amerikanisch-europäischen, westlichen Zivilisation, zeigt, dass selbst innerhalb der USA ganz unterschiedliche Traditionslinien zu beobachten sind, und entwickelt die These einer „Neuerfindung“ der USA und Europas seit dem Ende der 1960er bzw. 1980er Jahre. In beiden Fällen geht es um die „Erfindung von Tradition“, aber während die USA an das Referenzmodell der „Siedlergemeinschaft“ anknüpft, ist die Erfahrung totalitärer Staatsmacht für Europa maßgebend geworden. So stehen sich heute das „alte Amerika“ und das „neue Europa“ in der Frage der Todesstrafe „verständnislos“ gegenüber.

  • von Jürgen Schriewer

    „An der Basis der modernen sozialen Ordnung steht nicht der Henker, sondern der Professor“, heißt es in einer Schlüsselpassage von Ernest Gellners Buch über Nationalismus und Moderne. In plastischen Formulierungen arbeitet Gellner darin den engen Zusammenhang von Nationalismus, kultureller Homogenisierung und dem Aufbau nationaler Bildungssysteme in der Geschichte des modernen Europa heraus, um dann fortzufahren: „Nicht die Guillotine, sondern das (passend benannte) Doctorat d'État – oder das deutsche Staatsexamen – bildet das wichtigste Werkzeug und Symbol moderner staatlicher Macht.[...]

  • von Hasso Spode

    Die Geschichtswissenschaft, so der britische Historiker John Pimlott, hat eines der wichtigsten Kennzeichen der modernen Kultur und Ökonomie ignoriert: „the migration of holidaymakers to the sea, the countryside, the mountains“. Als Pimlott dies schrieb, lag Europa in Trümmern – und doch bevölkerten wieder zehntausende die See- und Kurbäder: für die Ober- und Mittelschichten war das „Verreisen“ ein fester Bestandteil der Lebensgestaltung geworden.[...]

  • von Ruediger vom Bruch

    Wahrlich, international war die Gelehrtenrepublik vor dem Ersten Weltkrieg. Man kannte sich, man las einander, korrespondierte miteinander, Fremdsprachen bildeten keine Barriere. Man traf sich auf internationalen Kongressen, publizierte in den gleichen Zeitschriften, beteiligte sich an Besuchsprogrammen wie etwa dem deutsch-amerikanischen Professorenaustausch, bei dem der deutsche Kaiser Wilhelm II. als Schirmherr den amerikanischen Präsidenten Roosevelt 1910 als Redner in Berlin begrüßte.[...]

  • von Holm Sundhaussen

    Die Bestimmungen und Zielsetzungen der griechisch-türkischen Konvention von 1923 und des Dayton-Abkommens für Bosnien-Herzegowina von 1995 unterscheiden sich diametral hinsichtlich der Lösung ethnonational konnotierter Konflikte. Während die Lausanner Vereinbarung die im griechisch-türkischen Krieg von 1921/22 realisierten ethnischen Säuberungen nachträglich sanktionierte und erstmals in der modernen europäischen Geschichte mittels eines obligatorischen ‚Bevölkerungsaustauschs’ weiter vorantrieb[...]

  • von Konrad H. Jarausch

    Für die meisten Mitglieder der Bürgerbewegung der DDR lag Europa in doppelter Ferne: Zwar gab es auch im Ostblock mit dem Warschauer Pakt und COMECON gemeinsame Institutionen, aber diese waren auf die sowjetische Hegemonialmacht konzentriert und ideologisch auf den sozialistischen Internationalismus ausgerichtet.[...]

  • von Joaquín Abellán

    Am 12. Juni 1985 wurde in Madrid der Beitritt Spaniens und Portugals zur Europäischen Gemeinschaft (EG) feierlich unterzeichnet. Beide Länder erlangten am 1. Januar 1986 die Vollmitgliedschaft. Damit wurde ein 1977 eingeleiteter Entwicklungsprozess abgeschlossen. Dieser ging auf das Beitrittsgesuch durch das erste demokratische Parlament nach dem Tod Francos (1975) zurück.[...]

  • von Augustine Dolores

    Die Koexistenz zweier Gesellschaftssysteme war für die europäische Geschichte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zweifellos ebenso prägend wie der Zusammenbruch des sozialistischen Systems 1989/90 und die damit einhergehenden Transformationen. In Deutschland sollte die Konkurrenz der beiden politischen Systeme das Leben mehrer Generationen bestimmen. Die Systemkonkurrenz spiegelt sich hier in den Brüchen individueller Biografien wider.[...]

  • von Jürgen Bergmann

    Die „Deutsche Tageszeitung“ war eine den Großagrariern und speziell dem „Reichs-Landbund“ nahe stehende Tageszeitung. Anders als zu erwarten, beschränkte sich die Zeitung allerdings nicht nur auf landwirtschaftliche Probleme, sondern erhob einen allgemeinen, gesellschaftlichen und politischen Anspruch und erörterte daher auch Fragen von grundsätzlicher Bedeutung.[...]

  • von Shmuel N. Eisenstadt

    Der Begriff der Modernisierung hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Der deutlichste Wandel betrifft vor allem die Frage, unter welchen Umständen sich moderne Institutionen herausbilden. Dieser Wandel führte schließlich zu einer neuen Begrifflichkeit, nämlich des Konzepts der „multiple modernities“, das die Vielfalt der Moderne in den Vordergrund rückte.[...]

  • von Karin Hausen

    I.S., Medizinstudentin im sechsten Studien- und zweiten klinischen Semester hatte im Zorn zur Feder gegriffen, um publik zu machen, dass die mit einem strikten Numerus Clausus wieder eröffneten Universitäten bei der Auswahl der Studierenden Frauen offen diskriminierten. Für die Geschlechter- und Hochschulpolitik der unmittelbaren Nachkriegszeit ist diese Zuschrift in der Frankfurter Rundschau vom 1. Februar 1946 trotz ihres geringen Echos interessant.[...]

  • von Rüdiger Hohls

    Große Teile Europas lagen als Folge des Zweiten Weltkriegs noch in Schutt und Asche, als der französische Soziologe und Ökonom Jean Fourastié 1949 die erste Ausgabe seines Buches mit dem optimistischen Titel „Le grand espoir du XXe siècle“ veröffentlichte. Fourastié begann seine Karriere allerdings nicht in der Wissenschaft, sondern im französischen Staatsdienst, zunächst im Finanzministerium, danach als Leiter des von Jean Monnet begründeten Generalkommissariats für die Modernisierungs- und Ausrüstungsplanung der französischen Wirtschaft.[...]

  • von Wilfried Loth

    Wie kommen wir zu Europa? Auch jenseits der Frage, wie die Europäische Union in Zukunft aussehen soll, interessiert uns, wie sie entstanden ist und warum sie sich so entwickelt hat, wie wir es erlebt haben. Diplomatie- und Wirtschaftshistoriker haben die Antwort auf diese Frage in den Akten der Regierungen gesucht und herausgefunden, was dort zu finden war: unterschiedliche nationale Interessen, unterschiedliche wirtschaftliche Interessen, unterschiedliche Konzeptionen treffen aufeinander und führen zu schwierigen, mehr oder weniger haltbaren Kompromissen.[...]

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