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  • von Alexander Golovlev

    In diesem Essay werden das Theatermanagement und die Wirtschaftsstruktur im Bolschoi-Theater untersucht: erstens als Bestandteile der stalinistischen Kulturpolitik, und zweitens als Ausdruck der institutionellen und wirtschaftlichen Subjektivität des Bolschois. Während das Haus zur Schaubühne der „sowjetischen Oper“ aufstieg, was aber letztendlich scheiterte, entwickelte es eine sehr funktionelle und quantitativ effiziente Wirtschaft, die auf einer, verglichen mit anderen europäischen Fallbeispielen, bedeutenderen Anzahl von Aufführungen und größeren Besucherfrequenz basierte. Wie aus den untersuchten Quellen hervorgeht, erklären Skaleneffekte den Großteil der ökonomischen Performativität des Bolschois. Gleichzeitig waren die Verdienste ungleich und oft bescheiden, und Ur- bzw. Erstaufführungen äußerst selten. Mehr noch, trotz inflationären Drucks der in Industrialisierung begriffenen Wirtschaft zeigte das Bolschoi bedeutende organisationale Widerstandsfähigkeit. Seine zentrale Stellung im stalinistischen Kulturgefüge sicherte dem Haus zweifelsohne die Aufmerksamkeit seitens des Parteistaates. Damit wurde ein einzigartiges Wirtschafts- und Kulturobjekt innerhalb der sowjetischen Kulturindustrie geschaffen: sehr kostspielig und privilegiert, aber auch eine bessere Performanz aufweisend als die meisten zeitgenössischen Institutionen, sowohl in Demokratien als auch in Diktaturen.

  • von Elisa Satjukow

    Within the last two decades, the Internet has become one of, if not the most important medium for gathering information and facilitating communication in times of war and crisis. By drawing on the example of the Kosovo War in 1999, which is often described as the “the First Internet War”, this essay shows how the World Wide Web did not only serve as an important tool of information, communication and intervention, but also how it functioned as an archive for the individual and collective experiences of war. In analysing the virtual archive of the Syndicate and the Nettime mailing lists, I show how media artists and activists contributed to the idea of Deep Europe as an imagined (online) community which overcomes the binaries of ‘East’ and ‘West’, a community which experienced its first major rupture during the Kosovo War. Not only do I discuss how, at the time, the Internet served as a form of shelter in times of crisis, in the face of censorship and cyberwarfare, but also as an emerging social platform, sharing reports on everyday events, war diaries and video material, providing historians with new and valuable sources for contemporary European history. Lastly, contributing to the field of digital humanities, I discuss the potential and the challenges of Deep Europe and the Digital East.

  • von Heike Karge

    Im vorliegenden Beitrag soll daher die Frage diskutiert werden, was es für das Verständnis einer psychischen Störung bei Soldaten bedeutete, wenn es kriegsspezifische psychiatrische Diagnosen gab oder nicht. Lassen sich während des und nach dem Ersten Weltkrieg gemeinsame europäische Entwicklungslinien im Umgang mit seelisch dekompensierten Soldaten erkennen, und wie verhalten sich hierzu die unterschiedlichen Begrifflichkeiten für die Bezeichnung soldatisch-psychischer Versehrtheit? Ich möchte zeigen, dass die Analyse des Umgangs mit psychischer Kriegsversehrtheit einen ambivalenten Europäisierungsprozess sichtbar machen kann. Er erschließt sich aber nicht nur über die Analyse gemeinsamer, unterschiedlicher oder – wie im kroatisch-slawonischen Fall – fehlender Terminologien zur Bezeichnung von spezifisch im Krieg entwickelten psychischen Störungen, sondern wird erst im mikrohistorischen Zugriff auf die Patientenakten sicht-bar, weil hier die konkret angewendeten klinischen Praktiken festgehalten wurden.

  • von Lukas Herget

    Auch wenn die Fusionskontrolle heute beinahe selbstverständlich zu den Regulierungskompetenzen der Europäischen Kommission gehört, ging ihrer rechtlichen Implementierung ein komplexer und langwieriger Aushandlungsprozess voraus. Innerhalb dieses Prozesses spielte der EuGH eine herausgehobene Rolle. Strukturelle Entwicklungen auf dem Gemeinsamen Markt und Defizite innerhalb des europäischen Rechtssetzungsprozesses trugen dazu bei, dass er aktiv in den Rechtssetzungsprozess eingriff und mit seinem Continental Can Urteil 1973 die Einführung der Fusionskontrolle entschieden beeinflusste. In dem Beitrag werden die rechtspolitischen Dimensionen dieser Entscheidung herausgearbeitet und untersucht, welche juristischen Techniken der EuGH nutzte, um zum „Motor der Integration“ zu werden.

  • von Aleksandar Ranković

    Dejan Nebrigić (1970-1999) gilt als erster offener Schwulenaktivist in Serbien. Dabei war er nicht nur eine Symbolfigur des schwul-lesbischen Aktivismus in Serbien, sondern zugleich ein bedeutender Akteur der antimilitaristischen Bewegung im ehemaligen Jugoslawien. In den frühen 1990er-Jahren formierte sich überall in den urbanen Zentren Jugoslawiens der Widerstand gegen den nationalistischen Militarismus. Fast zeitgleich entstanden schwule und lesbische Initiativen, die an allen Seiten dieses Widerstandes zu kämpfen hatten. Anhand der Quelle sollen nicht nur die langen Wege des schwul-lesbischen Aktivismus in Jugoslawien nachgezeichnet, sondern auch in die größeren Kontexte der Transformationszeit eingebettet werden.

  • von Ines Soldwisch

    Das bürokratische Europa zerstöre die europäischen Völker und Nationalstaaten. Dieses von rechtspopulistischen Parteien in Europa kolportierte Narrativ hat eine lange Geschichte, die in den 80er-Jahren von einzelnen Abgeordneten des Europäischen Parlaments zu erzählen begonnen wurde, bis heute weiterentwickelt wurde und mehr und mehr in die europäische Öffentlichkeit getragen wird. Dabei können Europakritik und Euroskeptizismus bis hin zur Europafeindlichkeit je nach Intensität und Absicht als spezifische Ausformung des Populismus gefasst werden. Im Europäischen Parlament sind seit der Direktwahl 1979 euroskeptische Parteien und Fraktionen vertreten. Jedoch verfolgten diese Parteien bisher keine einheitliche politische Agenda, bis auf ihre Kritik an der Europäischen Union als Gesamtkonstrukt. Die vorliegende Deklaration kann als ein Versuch angesehen werden, Geschlossenheit zu demonstrieren, nationenübergreifend, sozusagen „europäisch“ europakritisch aufzutreten und öffentlichkeitswirksam wahrgenommen zu werden.

  • von Sophie Lange

    Im Jahr 1979 fand in Genf eine „hochrangige Tagung“ der Economic Commission for Europe zum Thema Umweltverschmutzung statt. Diese Konferenz diente im Kalten Krieg entspannungspolitisch zum einen als Brücke im sich wieder anspannenden Ost-West-Verhältnis. Gleichzeitig zeigt ein näherer Blick darauf jedoch über eine Zweiteilung Europas in Ost und West hinaus und weist den nordeuropäischen Staaten als Akteuren ein eigenes Gewicht zu. Nicht zuletzt nahm über diese Konferenz das neu aufgekommene Thema Umweltschutz auf der internationalen Ebene rasant an Fahrt auf, weshalb es galt, dieses auch politisch beispielsweise in einer "Konvention über weiträumige Luftverschmutzung" zu verankern.

  • von Patrick Bernhard

    Der Beitrag stellt die These auf, dass Interpol – eine der zentralen Organisationen heutiger europäischer und internationaler Zusammenarbeit – in seiner Vergangenheit an antiliberale Modernitätsprojekte geknüpft war, ohne dass dies kritisch reflektiert würde. Der vorliegende Text versteht sich vor diesem Hintergrund als Versuch, die Idee europäischer Zusammenarbeit im Bereich der Polizei stärker zu historisieren, das heißt die Sinnwelten der damaligen Akteure zu rekonstruieren.

  • von Anna Corsten

    Bereits unmittelbar nach Kriegsende nutzten deutsche Politiker:innen Deutungen über die Schuld und Verantwortung am NS-Regime und den begangenen Massenverbrechen, um die eigenen Vorhaben vor der Bevölkerung und den Besatzungsmächten zu legitimieren. Während der angespannten Versorgungslage, insbesondere in der Hungerkatastrophe 1946 und 1947, verfolgten sie auf diese Weise das Ziel, gegenüber den Besatzungsmächten an Autorität und Handlungsspielräumen zu gewinnen. Eine Verantwortung für das NS-Regime und sein 12-jähriges Bestehen schrieben sie insbesondere den Alliierten zu. Die deutsche Bevölkerung stellten sie dagegen als Opfer dar.

  • von Ljiljana Radonic

    Es ist keineswegs erstaunlich, in der Ausstellung einer KZ-Gedenkstätte ein antisemitisches Plakat aus dem Jahr 1942 zu finden. Dennoch fallen an diesem Exponat und dem Kontext, in dem es steht, zwei Dinge auf. Erstens die Bildunterschrift zu dem „propagandistisch-hetzerischen“ Ausstellungsplakat, die seit der Eröffnung der neuen Ausstellung in der KZ-Gedenkstätte Jasenovac im Jahre 2006 das Exponat untertitelt: „Die Ustascha- und Nazipropaganda über die zerstörerische Wirkung von Juden wird durch die Tatsache widerlegt, dass in den ersten vier Jahrzehn­ten des zwanzigsten Jahrhunderts Architekten und Bauunternehmer jüdi­scher Abstammung zahlreiche wichtigste öffentliche und Wohngebäude im Zentrum Zagrebs errichtet haben.“ [...]

  • von Marcel Berlinghoff

    Das exorbitante Wirtschaftswachstum, das die westeuropäischen Industriestaaten in den 1950er- bis 1970er-Jahren erlebten, wurde von einer umfangreichen Arbeitsmigration begleitet, die diesen Teil des Kontinents zu einer Einwanderungsregion machte. Hatte im 19. und frühen 20. Jahrhundert noch die Auswanderung nach Übersee dominiert, so zogen nun vermehrt nicht nur Arbeitskräfte aus den agrarisch geprägten Peripherien innerhalb, sondern zunehmend auch Menschen von außerhalb des Kontinents in die Industriezentren Europas.

  • von Jochen Oltmer

    Der vorliegende Beitrag soll einen knappen Einblick in die Diskussion um die Formulierung eines Asylrechts in der Endphase der Weimarer Republik geben und diese in die Geschichte des westeuropäischen Auslieferungsasyls einordnen. Im 19. Jahrhundert nahmen grenzüberschreitende Fluchtbewegungen als Ergebnisse des Ausweichens von Menschen vor der Androhung oder Anwendung von Ge-walt im Kontext von Kriegen, Bürgerkriegen und Maßnahmen autoritärer politi-scher Systeme nur vergleichsweise geringe Dimensionen ein. Das änderte sich mit dem Ersten Weltkrieg. Nun stieg die Zahl politisch bedingter räumlicher Bewe-gungen erheblich an. Das machte eine rechtliche Festlegung der Stellung von Nicht-StaatsbürgerInnen erforderlich.

  • von Jan Carsten Schnurr

    Am 16. Juli 1974 stand der amerikanische Baptisten-Pastor und Evangelist Billy Graham (1918–2018) vor knapp zweieinhalbtausend Delegierten und über tausend weiteren Zuhörerinnen und Zuhörern aus 150 Ländern und hielt die am aufwändigsten vorbereitete Rede seines Lebens. Es handelte sich um den Eröffnungsvortrag des Internationalen Kongresses für Weltevangelisation im schweizerischen Lausanne. „Why Lausanne?“ hieß Grahams Vortrag.

  • von Sonja Levsen

    „Pedophilic contacts do not damage the psychic development of a child“, konstatierte das englische Abstract eines Artikels, der 1972 in der deutschen Ärztezeitschrift Sexualmedizin erschien. Der Autor referierte, eine Studie mit 30 erwachsenen „Probanden“, die über sexuelle Kontakte in ihrer Kindheit zu älteren Männern berichtet hätten, habe die Unschädlichkeit solcher Kontakte erwiesen. Die „Opfer“ – im Original in Anführungszeichen – seien gar „weniger verkrampft“ als der „durchschnittliche Niederländer“. Sie seien „selbstkritischer“ und vermutlich auch „harmonischer“ – ein sogenannter „ABV-Test“ habe das ergeben. Autor war der niederländische Pädophilenaktivist Frits Bernard, ein promovierter Psychologe.

  • von Dieter Gosewinkel

    Wer 1942 durch die Straßen von Paris ging und Bekanntmachungen der deutschen Besatzungsmacht und des kollaborierenden Vichy-Regimes sah, stieß immer wieder auf ein Wort: „Europa“ bzw. „L’Europe nouvelle“. Ein halbes Jahrhundert später prägte wieder „Europa“ das Pariser Straßenbild, diesmal anlässlich der Volksabstimmung über den Vertrag von Maastricht 1992. Dort war auf Plakaten unter den Farben der Trikolore zu lesen: „Non à Maastricht – oui à l’Europe des patries“ – unterzeichnet: „Front National“ (FN) bzw. Jean-Marie Le Pen. Lassen sich diese beiden, so verschiedenen Zeiten und Anlässen entstammenden Proklamationen eines geeinten Europa miteinander in Verbindung setzen?

  • von Eric Burton

    Im Zentrum dieses Essays steht die Frage, in welcher Form die Funktionäre der Union der Afrikanischen Studenten und Arbeiter Rassismuskritik übten und was sich daraus zur politischen Rolle und Selbstverortung dieser afrikanischen Studenten in der DDR ablesen lässt. Die fünf eng bedruckten Seiten des Schreibens mit dem Titel „Besorgnisse der afrikanischen Studenten und Arbeiter in der DDR“ sind Zeugnis einer Gratwanderung – und Ausdruck einer Legitimationskrise der UASA selbst. Mit Bezug auf die DDR lässt sich mit dem Schreiben die Frage weiterverfolgen, wie und wo Menschen aus dem europäischen und außereuropäischen Ausland Teil der DDR-Gesellschaft waren und diese prägten

  • von Udo Grashoff

    Erich Weinerts Ballade John Schehr und Genossen war ein wichtiger Text des in der DDR propagierten Antifaschismus. Das Gedicht war obligatorischer Bestandteil des Lehrplans der DDR-Schulen und verdeutlicht exemplarisch die verzerrte Repräsentation des kommunistischen Widerstandskampfes gegen den Nationalsozialismus in der DDR. Dessen politische Instrumentalisierung hat Historiker veranlasst, vom „verordneten“, „gesäuberten“, „missbrauchten“ und „gescheiterten Anti-Faschismus der SED“ zu sprechen.

  • von Anette Schlimm

    Vom 17. bis zum 20. Oktober 1909 tagte in Paris der erste Congrès International pour la Protection des Paysages, oder, wie er von den deutschen Teilnehmern genannt wurde: der erste Internationale Heimatschutzkongreß. Auf Einladung der französischen Société pour la Protection des Paysages trafen sich vier Tage lang VertreterInnen verschiedener europäischer Vereinigungen, die sich der Traditions- und Landschaftsbewahrung verschrieben hatten. Sie berichteten einander über ihre jeweiligen Probleme und Erfolge und knüpften Kontakte.

  • von Clara M. Frysztacka

    „‚Trajectorism‘ is the great narrative trap of the West and is also, like all great myths, the secret of its successes in industry, empire and world conquest.“ Die Quintessenz der westlichen Epistemologie bestehe, so Arjun Appadurai, in Zielgerichtetheit: Sie sichere den Erfolg des (west-)europäischen Zivilisationsmodells, stelle aber zugleich die größte „Falle“ des (west-)europäischen Selbstverständnisses dar. Appadurai nennt „trajectorism“ das, was andere ForscherInnen als Teleologie bezeichnen. Er versteht darunter die Auffassung der Zeit als einem Pfeil, der in eine präzise Richtung zeigt, sowie von historischen Prozessen und von der Geschichte selbst als Träger eines einheitlichen Telos.

  • von Hartmut Kaelble

    Ich möchte sechs Thesen zum historischen Vergleich der Coronakrise mit früheren Krisen der EU vortragen. Sie behandeln zuerst die schweren Herausforderungen für die Europäische Union: Die historische Neuartigkeit und damit den Überraschungseffekt der Pandemie (These 1), die neuartige Verschärfung der Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern (These 2) und die weitere Schädigung der globalen Stellung der Europäische Union (These 3). Sie gehen dann auf der Reaktion der Europäischen Union auf diese Krise ein, auf die Unterstützung durch die Bürger (These 4), auf die Entscheidungen der Union, vor allem der Europäischen Kommission und der Europäischen Zentralbank (EZB), bis Anfang Juni (These 5) und schließlich auf bisherige Veränderungen in der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen (These 6).

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