Die Großstädte und das Geistesleben. 1903

Die psychologische Grundlage, auf der der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht. [...]

Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben (1903)[1]

Die psychologische Grundlage, auf der der Typus großstädtischer Individualitäten sich erhebt, ist die Steigerung des Nervenlebens, die aus dem raschen und ununterbrochenen Wechsel äußerer und innerer Eindrücke hervorgeht. [...] Indem die Großstadt gerade diese psychologischen Bedingungen schafft – mit jedem Gang über die Straße, mit dem Tempo und den Mannigfaltigkeiten des wirtschaftlichen, beruflichen, gesellschaftlichen Lebens – stiftet sie schon in den sinnlichen Fundamenten des Seelenlebens, in dem Bewußtseinsquantum, das sie uns wegen unserer Organisation als Unterschiedswesen abfordert, einen tiefen Gegensatz gegen die Kleinstadt und das Landleben, mit dem langsameren, gewohnteren, gleichmäßiger fließenden Rhythmus ihres sinnlich-geistigen Lebensbildes. Daraus wird vor allem der intellektualistische Charakter des großstädtischen Seelenlebens begreiflich, gegenüber dem kleinstädtischen, das vielmehr auf das Gemüt und gefühlsmäßige Beziehungen gestellt ist. [...] So schafft der Typus des Großstädters, – der natürlich von tausend individuellen Modifikationen umspielt ist – sich ein Schutzorgan gegen die Entwurzelung, mit der die Strömungen und Diskrepanzen seines äußeren Milieus ihn bedrohen: statt mit dem Gemüte reagiert er auf diese im wesentlichen mit dem Verstande, dem die Steigerung des Bewußtseins, wie dieselbe Ursache sie erzeugte, die seelische Prärogative verschafft; damit ist die Reaktion auf jene Erscheinungen in das am wenigsten empfindliche, von den Tiefen der Persönlichkeit am weitesten abstehende psychische Organ verlegt. [...] Die Großstädte sind von jeher die Sitze der Geldwirtschaft gewesen, weil die Mannigfaltigkeit und Zusammendrängung des wirtschaftlichen Austausches dem Tauschmittel eine Wichtigkeit verschafft, zu der es bei der Spärlichkeit des ländlichen Tauschverkehrs nicht gekommen wäre. [...] Die moderne Großstadt aber nährt sich fast vollständig von der Produktion für den Markt, d. h. für völlig unbekannte, nie in den Gesichtskreis des eigentlichen Produzenten tretende Abnehmer. Dadurch bekommt das Interesse beider Parteien eine unbarmherzige Sachlichkeit, ihr verstandesmäßig rechnender wirtschaftlicher Egoismus hat keine Ablenkung durch die Imponderabilien persönlicher Beziehungen zu fürchten. [...] [S. 188-190]

An einem scheinbar unbedeutenden Zuge auf der Oberfläche des Lebens vereinigen sich, nicht wenig charakteristisch, dieselben seelischen Strömungen. Der moderne Geist ist mehr und mehr ein rechnender geworden. Dem Ideale der Naturwissenschaft, die Welt in ein Rechenexempel zu verwandeln, jeden Teil ihrer mathematischen Formeln festzulegen, entspricht die rechnerische Exaktheit des praktischen Lebens, die ihm die Geldwirtschaft gebracht hat; sie erst hat den Tag so vieler Menschen mit Abwägen, Rechnen, zahlenmäßigerem Bestimmen, Reduzieren qualitativer Werte auf quantitative ausgefüllt. [...] Es sind aber die Bedingungen der Großstadt, die für diesen Wesenzug so Ursache wie Wirkung sind. Die Beziehungen und Angelegenheiten des typischen Großstädters pflegen so mannigfaltige und komplizierte zu sein, vor allem: durch die Anhäufung so vieler Menschen mit so differenzierten Interessen greifen ihre Beziehungen und Betätigungen zu einem so vielgliedrigen Organismus ineinander, dass ohne die genaueste Pünktlichkeit in Versprechungen und Leistungen das Ganze zu einem unentwirrbaren Chaos zusammenbrechen würde. [...] Dazu kommt, scheinbar noch äußerlicher, die Größe der Entfernungen, die alles Warten und Vergebenskommen zu einem gar nicht aufzubringenden Zeitaufwand machen. So ist die Technik des großstädtischen Lebens überhaupt nicht denkbar, ohne daß alle Tätigkeiten und Wechselbeziehungen aufs pünktlichste in ein festes, übersubjektives Zeitschema eingeordnet würden. [...] [S. 191-192]

Dieselben Faktoren, die so in der Exaktheit und minutenhaften Präzision der Lebensform zu einem Gebilde von höchster Unpersönlichkeit zusammengeronnen sind, wirken andrerseits auf ein höchst persönliches hin. Es gibt vielleicht keine seelische Erscheinung, die so unbedingt der Großstadt vorzubehalten wäre, wie die Blasiertheit. Sie ist zunächst die Folge jener rasch wechselnden und in ihren Gegensätzen eng zusammengedrängten Nervenreize, aus denen uns auch die Steigerung der großstädtischen Intellektualität hervorzugehen schien; weshalb denn auch dumme und von vornherein geistig unlebendige Menschen nicht gerade blasiert zu sein pflegen. [...] Die so entstehende Unfähigkeit, auf neue Reize mit der ihnen angemessenen Energie zu reagieren, ist eben jene Blasiertheit, die eigentlich schon jedes Kind der Großstadt im Vergleich mit Kindern ruhigerer und abwechslungsloserer Milieus zeigt. Mit dieser physiologischen Quelle der großstädtischen Blasiertheit vereinigt sich die andere, die in der Geldwirtschaft fließt. [...] [S. 193]

Darum sind die Großstädte, die Hauptsitze des Geldverkehrs und in denen die Käuflichkeit der Dinge sich in ganz anderem Umfange aufdrängt, als in kleineren Verhältnissen, auch die eigentlichen Stätten der Blasiertheit. [...] Die ganze innere Organisation eines derartig ausgedehnten Verkehrslebens beruht auf einem äußerst mannigfaltigen Stufenbau von Sympathien, Gleichgültigkeiten und Aversionen der kürzesten wie der dauerndsten Art. [...] [S. 194-195]

Diese Reserviertheit mit dem Oberton versteckter Aversion erscheint aber nun wieder als Form oder Gewand eines viel allgemeineren Geisteswesens der Großstadt. [...] Denn die gegenseitige Reserve und Indifferenz, die geistigen Lebensbedingungen großer Kreise, werden in ihrem Erfolg für die Unabhängigkeit des Individuums nie stärker gefühlt, als in dem dichtesten Gewühl der Großstadt, weil die körperliche Nähe und Enge die geistige Distanz erst recht anschaulich macht; es ist offenbar nur der Revers dieser Freiheit, wenn man sich unter Umständen nirgends so einsam und verlassen fühlt, als eben in dem großstädtischen Gewühl; denn hier wie sonst ist es keineswegs notwendig, daß die Freiheit des Menschen sich in seinem Gefühlsleben als Wohlbefinden spiegele. Es ist nicht nur die unmittelbare Größe von Bezirk und Menschenzahl, die, wegen der weltgeschichtlichen Korrelation zwischen der Vergrößerung des Kreises und der persönlichen, innerlich-äußerlichen Freiheit, die Großstadt zum Sitz der letzteren macht, sondern über diese anschauliche Weite noch hinausgreifend, sind die Großstädte auch die Sitze des Kosmopolitismus gewesen. [...] [S. 196-199]

Damit gewinnen sie [die Großstädte; E. B.] einen ganz einigen, an unübersehbaren Bedeutungen fruchtbaren Platz in der Entwicklung des seelischen Daseins, sie enthüllen sich als eines jener großen historischen Gebilde, in denen sich die entgegengesetzten, das Leben umfassenden Strömungen wie zu gleichen Rechten zusammenfinden und entfalten. [...] [S. 205]



[1] Auszüge aus: Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, in: Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Jahrbuch der Gehe-Stiftung zu Dresden, hg. von Theodor Petermann, Bd. 9, Dresden 1903, S. 185-206, hier: S. 188-196; 199-205.

 


Die Druckversion des Essays findet sich in Hohls, Rüdiger; Schröder, Iris; Siegrist, Hannes (Hg.), Europa und die Europäer. Quellen und Essays zur modernen europäischen Geschichte, Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2005.

Städte der Moderne[1]

Von Elfi Bendikat

Die Entwicklung der Stadt, und vor allem die der Großstadt, spielt in der europäischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts eine wichtige Rolle. Viele Sozialhistoriker bezogen sich in ihren Überlegungen zur europäischen Stadtgeschichte auf die kultursoziologischen Reflexionen des Philosophen und Soziologen Georg Simmel. Simmels 1903 veröffentlichter Essay „Die Großstädte und das Geistesleben“ kann inzwischen als Grundlagentext der Stadtsoziologie gelten, auf ihn beziehen sich inzwischen alle, die sich mit den sozialen Auswirkungen der Urbanisierung befassen.[2]

Georg Simmel, 1858 in Berlin geboren und 1918 in Straßburg verstorben, errang als Begründer der formalen Soziologie den Status eines soziologischen Klassikers, wenngleich die Schriften des Neukantianers erst in den 1960er/70er Jahren und schließlich im Rahmen der Gesamtausgabe seiner Schriften seit Ende der 1980er Jahre eine Renaissance erfuhren.[3]Simmel verbrachte einen Großteil seines Lebens in Berlin, wo er aufwuchs, studierte und schließlich als Privatdozent lehrte und wo auch seine Veröffentlichungen zu zentralen Themen der Soziologie entstanden, etwa zur sozialen Differenzierung (1890), zur Moralwissenschaft (1892-1893), zur Geschichtsphilosophie (1892) zur Philosophie des Geldes (1900), zu den Philosophen Kant (1904), Schopenhauer und Nietzsche (1908) sowie zur Stadt und zum Raum (1903). Erst im Jahr 1914 erhielt Simmel eine ordentliche Professur an der Universität Straßburg.

Simmels Berliner Jahre beeinflussten zweifellos die Genese und Konzeption seiner Reflexionen zur zeitgenössischen Stadt, mit der er sich im Übrigen auch im Unterschied zu Max Weber und Werner Sombart auseinander setzte. Simmel wurde 1858 im Stadtzentrum nahe der Friedrichstraße geboren und erlebte über fünf Jahrzehnte hinweg die Industrialisierung mit dem damit einhergehenden explosionsartigen Anwachsen der Stadtbevölkerung. Hinzu kam die Technisierung städtischen Lebens, die städtebauliche Expansion, die Citybildung und nicht zuletzt auch die Konstruktion der kulturellen Symbolfunktion Berlins, dem nun auch eine zunehmend wichtiger werdende Rolle innerhalb der Nation zukommen sollte. Besonders seit der Reichsgründung 1871 durchlief die Hauptstadt einen Entwicklungssprung, der viele Zeitgenossen dazu bewegte, von einer „amerikanischen“ Entwicklung zu sprechen. So stieg etwa die Einwohnerzahl in der Zeit von 1871 bis 1912 um 152 Prozent an, wobei die höchsten Wachstumsraten in die Zeit vor 1890 fielen. Im Jahr 1900 hatte die Stadt 1,8 Millionen Einwohner. Ein weiterer prägender Faktor für das städtische Lebensgefühl wurden die modernen technischen Versorgungseinrichtungen wie der öffentliche Nahverkehr und die Mitte der 1880er Jahre einsetzende Elektrifizierung. Im Zuge der Citybildung schwand die innerstädtische Wohnbevölkerung, dominierten kommerzielle Nutzungen, repräsentative Bauten und ein hohes Verkehrsaufkommen. Besonders die Friedrichstraße und die Leipziger Straße wurden in wilhelminischer Zeit zu modernen Kauf- und Verkehrsstraßen, die Gegend um die Straße „Unter den Linden“ zum Zentrum des Bankenwesens. Verkehrsakkumulation, Menschenmassen und Tempo waren die Kennzeichen dieser neuen Berliner City. Trotz dieses Entwicklungssprungs blieb Berlin jedoch bis zum Ersten Weltkrieg im Vergleich mit Paris und London ein „Parvenü“, der sich erst im Rahmen der wilhelminischen Weltpolitik als „europäische Hauptstadt“ bezeichnen sollte. Die unübersehbare Berliner Nachzüglerrolle verlieh seiner urbanen Präsentation stets etwas Unausgewogenes, ein Spannungsverhältnis, das auch in Simmels Überlegungen deutlich wird. Vor diesem biografischen Hintergrund betrachtet gewinnen Simmels
Überlegungen eine zusätzliche Plausibilität.

Simmels Essay „Die Großstädte und das Geistesleben“ von 1903 ist die überarbeite Version eines Vortrages von ursprünglich 21 Seiten, den Simmel vor der Gehe-Stiftung in Dresden hielt. Die Gedanken des Vortrags wurden später unter anderem von Louis Wirth aufgegriffen, dem Mitbegründer der amerikanischen stadtsoziologischen „Chicago-Schule“. Wirth wies Simmels Aufsatz eine wegweisende Bedeutung zu. An Simmels Überlegungen anknüpfend vertrat Wirth 1925 die Auffassung, in der Großstadt werde eine neue Zivilisation geboren.[4]

In seinem Essay erörtert Simmel die Hauptmerkmale des Großstadtlebens sowohl aus kultursoziologischer wie auch aus psychologischer Perspektive. Er changiert dabei zwischen beiden Perspektiven, wobei die psychologische Perspektive ihm auch insoweit vertraut war, als die Psychologie um die Jahrhundertwende einen integralen Bestandteil der Philosophie darstellte. Die mentalen Prägungen des Großstadtlebens bilden daher auch einen Erörterungskomplex innerhalb des Essays, in dem Simmel auf insgesamt vier Prägungen des Großstadtlebens eingeht. Am häufigsten wird zunächst die für das großstädtische Individuum charakteristische neue „Steigerung des Nervenlebens“ angesprochen. Die Ursachen für die im Kaiserreich von zahlreichen Schriftstellern und Ärzten diagnostizierte Nervosität lag Simmels Ansicht nach in der Vielzahl und Vielfalt der Sinneseindrücke, in der Komplexität des Lebens und im schnellen Lebensrhythmus.[5]Diese Herausforderungen stellten für Simmel ein wesentliches Merkmal des Unterschiedes zwischen Großstadt und Kleinstadt bzw. dem Landleben dar. Letztere bilden für Simmel als „traditionelle“ Lebensformen und Orte ursprünglicher Gemeinschaftsform den Vergleichsmaßstab. Im engeren Sinne war jedoch das im „langsameren, gewohnteren, gleichmäßiger fließenden Rhythmus“ ablaufende Leben in der Kleinstadt sein Orientierungspunkt. Die zweite Prägung des Großstadtlebens bezieht sich auf Persönlichkeitsmuster wie Intellektualität und „Blasiertheit“. Der damit einhergehenden unpersönlichen Solidarität hält Simmel die Konstruktion von emotionaler Gemeinschaftlichkeit und Empathie in der Kleinstadt entgegen. In seinen Ausführungen zur „Blasiertheit“ schlägt Simmel dann allerdings die Brücke zu einer soziologischen Perspektive: Die Großstadt als Ort der Geldwirtschaft erzeugt mit dem Konsum die „Blasiertheit“, die sich allerdings nur Wohlhabende leisten konnten. Dessen ungeachtet verallgemeinerte er diese Geisteshaltung zu einem allgemeinen großstädtischen Persönlichkeitsmuster, was darauf schließen lässt, dass sich Simmels Wahrnehmungshorizont selektiv auf die großbürgerlichen Berliner Bezirke wie das Westend konzentrierte. Darüber hinaus bündeln sich für Simmel in dieser Geisteshaltung auch so gegensätzliche Einstellungen wie distanzierte Gleichgültigkeit und Aversion, physische Bedrängnis und persönliche Freiheit, Nähe und Anonymität. Die Koexistenz, die im Zusammenleben zwischen den einzelnen Großstädtern besteht, ist dadurch drittens, von einer prekären Balance geprägt. Die vierte dazugehörige gesellschaftspolitische Prägung umfasst Toleranz und Kosmopolitismus. Diese würde allerdings nicht von selbst entstehen, sondern könne sich erst aus einem sozialen Raum der Gleichgültigkeit heraus entwickeln.

Simmels (kultur-)soziologische Perspektive kommt in seinen Erörterungen zur Geldwirtschaft, zum Wettbewerb sowie zur Arbeitsteilung zum Tragen, deren Sitz die Großstädte traditionell sind. Wie er hauptsächlich in seiner „Philosophie des Geldes“ (1900) entwickelte, werden über das Medium Geld zunächst sachlich-unpersönliche Beziehungen vermittelt. In der Herrschaft des Geldes sieht Simmel die Entstehung einer Kluft zwischen „objektiver“ und „subjektiver Kultur“. Dies bedeutet auch, dass sich der in traditionellen Lebensformen erlebte soziale Zusammenhang der Menschen zugunsten einer versachlichten Abhängigkeit aufgelöst hat. Aus der Tatsache, dass die Kultur des Zweckhaften ein Übergewicht über die subjektive Kultur gewonnen hat, erklärt er die Dissonanzen des modernen Lebens. Der Großstädter ist zwar kultiviert, das Individuum ist psychisch-mental jedoch nicht im selben Verhältnis fortgeschritten, vielfach sogar zurückgeblieben. Zusätzlich gefördert werden diese Dissonanzen von einem naturwissenschaftlich und technisch geprägten Leben. Als Symbol hierfür können die modernen Verkehrsmittel stehen.

Zusammenfassend wird deutlich, dass Simmel in der Großstadt gleichzeitig sowohl einen Prozess sowie zugleich auch Ursache und Wirkung sieht. Seine kontrastiven Erörterungen lassen diese Ambiguität der modernen Großstadt durchscheinen: Einerseits war Simmel fasziniert von der technischen Modernität, der individuellen Freiheit und dem Reichtum an Impressionen, andererseits verunsicherten ihn jedoch der rasche soziale Wandel, die sozialen Konflikte und die Erfahrung sozialer Isolation. An den Stellen, wo er auf Menschenmassen, Gedränge, Kontraste und Hektik Bezug nimmt, erscheint die Großstadt gleichsam als „soziales Pulverfass“. Die Straßen in der Berliner City, wo der Verkehr den städtischen Straßenraum stark in Anspruch zu nehmen begann, stehen symbolhaft für diese Entwicklung. Gleichzeitig sind die Großstädte andererseits ein für Europa typischer Ort exemplarischer sozialer Erfahrung, der – wie der letzte Satz der Quelle impliziert – als neuer Modus von Vergesellschaftung verstanden werden muss.

Simmels Essay gibt Einblick in sein facettenreiches Denken. Deutlich werden aber auch der fragmentarische und heterogene Charakter seiner Arbeiten sowie das Fehlen eines systematischen Ansatzes. Seine Fragestellungen und Zugriffe wechseln häufig. Einzelne Phänomene werden gleichsam phänomenologisch umkreist. Allerdings scheint eine einheitliche, konsistente Theorie auch nicht beabsichtigt zu sein. Nichtsdestotrotz reichern seine fragmentarischen kultursoziologischen und lebensphilosophischen Reflexionen die stadtsoziologische und -historische Perspektive bedeutend an, was auch letztlich die Wirkungskraft seiner Texte erklärt.

 


[1] Essay zur Quelle Nr. 1.7, Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben (1903).

[2] Vgl. Quelle Nr. 1.7.

[3] Simmel, Georg, Gesamtausgabe, hg. von Otthein Rammstedt, 24 Bde., Frankfurt am Main 1989ff. (bisher 19 Bde. erschienen).

[4] Park, Robert E.; Burgess, Ernest W.; MacKenzie, Roderick D., The City, Chicago 1925; Wirth, Louis, Urbanität als Lebensform, in: Herlyn, Ulfert (Hg.), Stadt- und Sozialstruktur, München 1974, S. 42-66.

[5] Vgl. Radkau, Joachim, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998.

 


Literaturhinweise:

  • Bendikat, Elfi, Die Idee der „europäischen Stadt“. Reflexionen zur Stadtgestaltung in Deutschland und Frankreich im ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, in: Kaelble, Hartmut; Schriewer, Jürgen (Hg.), Gesellschaften im Vergleich, Frankfurt am Main 1998, S. 431-462
  • Benevolo, Leonardo, Die Stadt in der europäischen Geschichte, München 1993
  • Kaelble, Hartmut, Die Besonderheiten der europäischen Stadt im 20. Jahrhundert, in: Leviathan, 29 (2001), S. 256-274
  • Radkau, Joachim, Das Zeitalter der Nervosität. Deutschland zwischen Bismarck und Hitler, München 1998
  • White, Paul, The West European city. A social geography, London 1984
Quelle zum Essay
Städte der Moderne.
( 2006 )
Zitation
Die Großstädte und das Geistesleben. 1903, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2006, <www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-28252>.
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