Die Frau im neuen Europa (1945) Veröffentlicht im Rahmen des Themenschwerpunkts „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“

Europa ist schon heute namenlos geschwächt, ausgeplündert und verwüstet. Der Tod geht um in seiner grausamsten Gestalt. Nicht nur als Schlachtentod. Er sucht seine Opfer in Konzentrationslagern, im neugeschaffenen Ghetto, auf dem Massenschafott, im erbitterten Partisanen- und Sabotagekampf, als Hunger und als Seuche und bei der Bombardierung von Städten und Dörfern. Wann immer dieser Krieg enden wird, er wird die europäischen Völker in namenlosem Jammer lassen, und in unsäglichem Hasse. [...]

Siemsen-Vollenweider, Anna: Die Frau im neuen Europa (1945)[1]

Europa ist schon heute namenlos geschwächt, ausgeplündert und verwüstet. Der Tod geht um in seiner grausamsten Gestalt. Nicht nur als Schlachtentod. Er sucht seine Opfer in Konzentrationslagern, im neugeschaffenen Ghetto, auf dem Massenschafott, im erbitterten Partisanen- und Sabotagekampf, als Hunger und als Seuche und bei der Bombardierung von Städten und Dörfern. Wann immer dieser Krieg enden wird, er wird die europäischen Völker in namenlosem Jammer lassen, und in unsäglichem Hasse.

Das erste, was wir dann brauchen werden, ist eine umfassende Hilfe, die jeder Einzelnot sich annimmt, die aber planvoll und organisiert alle europäischen Länder umfaßt. Die Mittel werden vorhanden sein. Das wissen wir. Sie sind nicht nur versprochen. Sie werden schon jetzt bereitgestellt. Aber es wird ungemeine Anstrengungen erfordern, sie rasch, gerecht und verständig so zu verteilen, daß sie die höchste Wirksamkeit bei weisester Sparsamkeit erreichen. Wer soll die Aufgabe übernehmen? Wer anders als wir Frauen?

Freilich sind auf dem Kontinent in allen kriegführenden, besetzten und unterworfenen Ländern die Frauenorganisationen zerstört oder gleichgeschaltet worden. Um so größere Verantwortung und um so größere Aufgaben erwachsen den wenigen Ländern, wo die Frauenorganisationen noch bestehen. In Schweden, dem Lande der Gleichberechtigung der Frauen und einer sehr alten und sehr lebendigen politischen Frauenbewegung, kann und wird sich die Tätigkeit der Frauenorganisationen auf alle Gebiete des politischen und wirtschaftlichen Lebens erstrecken. In der Schweiz sind die Frauen beschränkt auf soziale Hilfe und Fürsorge. Um so mehr können sie sich auf diese Aufgaben konzentrieren. Die Schweizer Frauenvereine haben eine große Vergangenheit sozialer und gemeinnütziger Tätigkeit. Sie haben sich in diesem Kriege der Vergangenheit würdig erwiesen und nicht nur Hilfsbereitschaft und ausharrende Geduld, sondern auch eine sehr große Organisationserfahrung und -tüchtigkeit gezeigt. Ich rede hier nicht vom Roten Kreuz, das seine bedeutende Wirksamkeit ausschließlich auf die Hilfe an den Kriegführenden beschränkt und deswegen für die europäischen Zukunftsaufgaben, die Friedensaufgaben sind, wohl kaum – wir sagen es mit Bedauern – bereitstellen wird. Wir sprechen von der stillen und tapferen Hilfe, die gegen ungeheure Schwierigkeiten vor allem von Schweizerfrauen an den Flüchtlingen, den kriegsgeschädigten Kindern, den Heimatlosen erwiesen wurde. Dadurch sind Erfahrungen gesammelt, Verbindungen geknüpft, Menschen ausgebildet, in verantwortlicher und schwieriger Hilfsarbeit, die unschätzbar sein werden für die Aufgaben der Nachkriegszeit. Es gilt nur, sie bereitzuhalten, damit sie im gegebenen Augenblick eingesetzt werden können.

Es gilt aber noch mehr. Hilfs- und Aufbauarbeit, um nur die ärgste Verwüstung zu beseitigen, die schlimmste Not zu beheben, wird lange währen müssen. Und wesentlich wird dabei sein, was ja ohnehin Anfang und Ende jeder wirklichen Hilfe ist, die eigene Tätigkeit der betroffenen Menschen und Völker so zu wecken und zu organisieren, daß sie sehr rasch sich selber helfen können. Das ist deswegen aussichtsreich, weil wir schon heute sehen, wie die Kriegsnot die meisten dieser Völker in einer erstaunlichen und bewußten Einheit zusammengeführt hat, daß gerade unter stärkstem Drucke sie eine überraschende Erfindungsgabe, eine erschütternde Solidarität entwickeln. Sicher ist das nicht überall gleich. Norweger und Holländer, Serben und Tschechen werden sicher rascher sich organisieren und ihr Land wieder aufbauen als die Franzosen, die Italiener oder die unglücklichen Spanier. Überall aber wird eine große Gefahr bestehen. Alle diese Völker und Staaten sind abgeschnitten vom internationalen Leben. Sie können sich nur behaupten, indem sie einen kompromißlosen nationalen Lebenswillen entfalten. Sagen wir es offen: Heute besteht in ihnen allen kein europäisches Bewußtsein mehr. Sie mußten sich zurückziehen auf die nationale Solidarität und gerade bei den Besten und Verantwortungsbewußten muß der Wille zur Freiheit und Selbständigkeit die ausschließlichste Form annehmen.

Den Vorzug, noch europäisch denken und fühlen zu können, haben die Nichtkriegführenden, mit dem Vorzug auch die Verpflichtung. Nun steht freilich zu erwarten, daß bei Kriegsende das gemeinsame Schicksal, selbst wenn es nicht gemeinsam erlebt wurde, die Völker einander annähern wird. Dennoch wird es dringend notwendig sein, die Aufgaben eines gemeinsamen föderativen Aufbaues den jetzt isoliert Leidenden und Kämpfenden sogleich lebhaft und praktisch ins Bewußtsein zu rufen. Wie aber könnte das besser geschehen als durch jene Menschen und Organisationen, welche hilfebringend als erste in die verwüsteten und desorganisierten Gebiete kommen? Man wende nicht ein, das sei Politik, die man doch nicht in humanitäre Handlungen mengen dürfe. Es geht hier nicht um Macht- oder Interessenfragen, sondern um reine menschliche Solidarität. Derselbe Impuls, der uns antreibt, dem vom Krieg Betroffenen beizustehen, muß uns folgerichtig dahin führen, die Ursachen des Kriegsunheils zu beseitigen. Wer das nicht täte, würde handeln, wie ein Arzt, der zwar Cholerakranken zu Hilfe käme, aber es ablehnen wollte, sich um die schlechte Kanalisation zu kümmern, die Ursache der Seuche war, mit der Begründung, dies sei eine Angelegenheit der öffentlichen Finanzierung, daher eine politische Frage und jedenfalls keine humanitäre Angelegenheit.

Wir glauben zu wissen, welches die Ursachen sind, die in Europa immer neue Kriege gebären. Wir sind überzeugt, die Abhilfe ebenso genau zu kennen, wie ein moderner Hygieniker die Mittel gegen Epidemiegefahren kennt. Was könnte und dürfte uns hindern, den Betroffenen von ihnen zu erzählen in dem Augenblick, wo noch die Erinnerung an die Todesgefahr lebendig in ihnen nachzittert, wo noch keine falschen Schritte unternommen sind, welche der europäischen Verständigung gefährlich werden können?

Wir Frauen dürfen hoffen und erwarten, daß eine solche Arbeit, die sich aufbaut auf dem Vertrauen wegen geleisteter Hilfe, wirksam werden wird und über die Grenzen der einzelnen Länder hinaus eine Atmosphäre des Vertrauens, eine Gewohnheit der Zusammenarbeit wird entstehen lassen, die unentbehrlich ist für die Friedensarbeit. Ganz offenkundig besteht heute bereits die Überzeugung in allen verantwortlichen Kreisen, daß auf das Kriegsende eine lange Zwischenzeit folgen wird, in welcher die Grundlagen eines Dauerfriedens geschaffen werden sollen. Es wird dazu der verschiedenartigsten Vorkehrungen bedürfen. In einigen Fällen wird man schon vorhandene Institutionen benutzen können, wie beispielsweise die internationalen Verkehrsinstitutionen, in anderen werden vorhandene Ansätze auszubauen sein wie beim Internationalen Arbeitsamt oder der Bank für Internationale Zahlungen. In den meisten Fällen, so vor allem beim politischen, Sicherheits- und kulturellen Sektor, wird es um Neuschöpfungen gehen. Soll bei dieser umfassenden Arbeit etwas herausschauen, das menschenwürdig und zukunftsbeständig ist, so dürfen die Völker keinesfalls den Regierungen und ihren Diplomaten und Politikern die Angelegenheit überlassen, wie das nach dem letzten Kriegsende der Fall war, wo schließlich drei Männer als Repräsentanten der drei größten Siegermächte das Schicksal Europas und damit der Erde unter sich entschieden. Das Resultat reizt nicht zur Wiederholung, wird sich aber wiederholen, falls nach diesem Kriege nicht unter den Völkern ein klarer, zielsicherer und organisierter Wille die Unzulänglichkeiten solcher Zufallspolitik hindert. Die Atlantikcharta ist ein Versprechen, aber sie ist nur allgemeine Zielsetzung, ohne Wegweisung, ohne Grundlage, ohne Plan. Das ist keine Kritik an ihr. Es ist nur eine Warnung, daß wir nicht glauben dürfen, es sei schon irgend etwas geschehen, oder wir dürften uns auf andere verlassen, damit es geschehe. In dem entscheidenden Augenblick des Kriegsendes wird es vielmehr gelten, bereit zu sein, um die vom Kriege aufgeschreckten Völker zum vereinten Handeln zu bestimmen, den Sehnsuchtsschrei: „Nie wieder Krieg“, der nach dem letzten Kriege wirkungslos verhallte und nichts hinterließ als achselzuckende Enttäuschung und bitteren Unglauben, zu festen und unabdingbaren Forderungen zu verdichten.

Warum wir Frauen dazu besonders fähig sind?

Gewiß fehlt den Schweizerinnen noch das politische Mitbestimmungsrecht, fehlt ihnen daher auch die direkte Erfahrung der Gesetzgebung und der Verwaltungspraxis. Das ist ein Nachteil, der sich ausgleicht, sobald eine wirkliche enge Zusammenarbeit mit den Frauen der andern europäischen Länder zustande kommt. In einem Teil derselben haben starke Frauenorganisationen seit langem die Erfahrung der öffentlichen Verantwortung und haben bereits während dieses Krieges durch ausgearbeitete Friedensplanungen bewiesen, wie sehr sie sich der kommenden Aufgaben bewußt sind. Mit ihnen in rasche und enge Fühlung zu kommen, ist daher für die Schweizerfrauen wünschenswert, ja notwendig.

In anderer Hinsicht gibt die Stellung der Schweizerinnen ihnen sogar günstige Möglichkeiten. Sie sind nicht gebunden an Parteirücksichten, nicht festgelegt auf bestehende Programme, nicht gehindert durch die Opportunitätsrücksichten vorsichtiger Regierungsvertreter. Sie können, falls sie nur wollen, frei nach ihrem menschlichen Gefühl, nach ihrer inneren Überzeugung reden und handeln, und es ist zu hoffen, daß sie vor wahrhaft großen und zukunftsentscheidenden Aufgaben auch über parteimäßige oder historische Vorurteile hinweg die Verbindung zueinander finden werde. – Von Weltanschauungsgegensätzen rede ich nicht, denn der Wille zu einem geeinten, freien und friedlichen Europa setzt gleiche sittliche Überzeugungen und einen starken Glauben voraus, mag dieser sich auch in verschiedene Bekenntnisse kleiden oder ein äußeres Glaubensbekenntnis ablehnen.

Vor allem aber wird man uns brauchen, falls wir bereit sind. Die solidarische Selbsthilfe, welche Europas Völker aufzubauen haben, falls sie sich aus der Not dieses Krieges wieder erheben wollen, die Umgestaltung der Kriegswirtschaft zu einer europäischen Friedenswirtschaft, die Planung, die notwendig wird, der Aufbau der Organisationen, welche in einer demokratisch geordneten Wirtschaft und Gesellschaft notwendig sind, vor allem aber die Erziehungsarbeit, die zu leisten ist, falls solch ein neues Europa bestehen soll: das alles setzt sehr viel kluge, geschulte, hingebende Arbeit von Menschen voraus, welche von ihrer Aufgabe durchdrungen, von deren Bedeutung überzeugt sind. Das Ausmaß dessen, was wir zusammenfassen als „gesellschaftliche Dienste“ wird sehr steigen. Und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich meine, daß Frauenarbeit hier unentbehrlich sein wird. Die Schweizerinnen sind nicht verwöhnt worden im eigenen Lande. Im Gegensatz zu allen anderen Staaten hat die Schweiz allein in dieser Kriegszeit ihre Frauen nirgends an verantwortlicher Stelle zu verwenden gewußt. Es wäre aber ein Irrtum, zu glauben, daß sie deswegen gegen die Frauen anderer Länder zurückständen. Nicht in öffentlichen Ämtern, aber in stiller und ungeehrter Arbeit leisten sie täglich Großes und Vorbildliches. Die Nachkriegszeit wird ihnen da weitere, dankbare Aufgaben stellen, für die sie sich jetzt vorbereiten, zumeist wohl ohne es selber zu denken.

Und zu erwarten steht etwas weiteres.

In allen vom Krieg betroffenen Ländern kämpfen und leiden Frauen wie die Männer. Sie ertragen die tägliche Gefahr, und der Tod trifft sie genau, wie diese. Es ist völlig ausgeschlossen, daß man ihnen nach dem Kriege nicht die vollen Bürgerrechte gibt, nicht nur formal gesetzlich, sondern auch, indem man sie heranzieht zur Verantwortung. Die Europa-Union hat in ihren Leitsätzen keine Forderungen aufgestellt für die einzelnen Länder. Aber es ist undenkbar, daß in einem Europa, welches den Frauen das volle Föderativ-Bürgerrecht gibt, ein einzelnes Land seine Frauen von jeder einzelstaatlichen Mitarbeit ausschließt. Kommt das geeinte und freie Europa, so kommt mit ihm – des bin ich sicher – auch das volle Bürgerrecht aller Europäerinnen.

Nicht deswegen aber setzen wir uns ein für ein Europa der Zukunft. Es ist durchaus irreführend, wenn in Diskussionen die Forderung nach den bürgerlichen Rechten für die Frau nur allzu häufig abgewiesen wird mit der Begründung, daß es viel edler sei, Pflichten zu erfüllen, statt Rechte zu fordern. Man kann keine Pflichten erfüllen, sofern und so lange man rechtlos ist. Der völlig Rechtlose, der Sklave, ist willenloses Werkzeug eines fremden Willens. Gerade das ist es, was seine Lage unerträglich macht, und was notwendig zur Entartung führt, daß seine Rechtlosigkeit ihm die Pflichterfüllung verwehrt, welche das Kennzeichen des freien Menschen ist. Die Frauen Asiens, die bis vor kurzem in lebenslänglicher Unmündigkeit lebten, wurden eben dadurch unfähig, große Aufgaben zu erfüllen, Pflichten zu übernehmen. Heute sehen wir, wie die Notwendigkeit, welche ihnen schwere Pflichten auferlegt, sie gleichzeitig zur Rechtsgleichheit mit dem Manne befreit.

So und nicht anders wird es in Europa werden. Wir werden frei sein zum Dienste, zu einem Dienste, dessen Europas Menschen und Völker mehr als je bedürfen. Täuschen wir uns nicht: Hinter uns liegt ein Menschenalter der Verwirrung, des Hasses, der Gewalt. Auch vor uns liegen vielleicht noch Zeiten, in denen dieses Chaos der Vernichtung ansteigen wird zu einer furchtbaren Katastrophe, um dann in äußerster Ermattung zusammenzubrechen. Die Wirkung auf die Menschen war schon bisher fürchterlich. Nicht der Tod, nicht die körperliche Verstümmelung oder Verkümmerung sind die schlimmste Wirkung dieser Zeit, sondern die sittliche Verwilderung, die Abstumpfung des Gewissens, die Verhärtung der Herzen. In diesem Untergang aller Menschlichkeit haben wir Frauen einen großen Vorzug vor den Männern. Als die körperlich Schwächeren erleiden wir die Gewalt und Brutalität. Nur in seltenen Fällen können wir selber sie ausüben. Das bewahrt nicht alle – mit bitterem Schmerze sei es gesagt – aber es bewahrt viele, die meisten sogar davor, zu jener bestialischen Grausamkeit zu verwildern, die wir in der Kriegsführung erleben. Unsere Natur, die uns zu Trägerinnen, Bewahrerinnen und Pflegerinnen des Lebens bestimmt, die uns immer vorzugsweise hinweist auf den Dienst am Menschen, gibt uns heute im Krieg selber das schöne Vorrecht des Heilens und Helfens. In der Zukunft aber öffnen sich uns Aufgaben und Aussichten, wie sie die Geschichte uns noch nie gab. Falls wir sie begreifen und ergreifen. […]


[1] Siemsen-Vollenweider, Anna, Die Frau im neuen Europa, in: Bauer, Hans; Ritzel, Heinrich G. (Hgg.): Kampf um Europa. Von der Schweiz aus gesehen, Zürich 1945, S. 189-207 (Auszug S. 201-207).


Europa nach dem Exil. Zu den Europa-Vorstellungen der Sozialdemokratin Anna Siemsen[1]

Von Marleen von Bargen

1943/44 verfasste die im Schweizer Exil lebende deutsche Sozialistin und Reformpädagogin Anna Siemsen (1882-1951) den Aufsatz „Die Frau im neuen Europa“. In diesen Ausführungen appellierte sie vor allem an die Frauen, sich zum Ende des Krieges für eine gemeinsame soziale Aufbauhilfe in Europa zusammenzuschließen. Durch Hilfe zur Selbsthilfe sollte ein künftiges gemeinsames Arbeiten der europäischen Länder möglich werden. Damit, so Siemsen, könne ein europäisches Bewusstsein geweckt werden – ein Gefühl der Solidarität zwischen den Völkern Europas, das sie als unabdingbar für eine europäische Einigung und für einen dauerhaften Frieden betrachtete. Siemsen sah Frauen aufgrund ihrer spezifisch weiblichen Eigenschaften und ihrer spezifisch weiblichen Kriegserfahrung für diese Aufgaben als prädestiniert an. Indem sie auf diese Weise die umfassende politische Veränderung Europas mit fürsorgepolitischen Überlegungen verband, skizzierte sie zugleich eine weibliche Europa-Vorstellung.

Der Text stellt damit eine besondere Quelle zur historischen Forschung über die europäische Einigung dar, die bislang frauen- und geschlechtergeschichtliche Fragestellungen kaum in den Blick genommen hat. So ist nur wenig bekannt darüber, inwieweit die Kategorie Geschlecht in der Entwicklung der Europaidee im Vorfeld des europäischen Einigungsprozesses möglicherweise mitbestimmend war. Ebenso wenig bekannt ist, inwieweit Geschlechtervorstellungen im Europa-Diskurs eine Rolle spielten, wie sich die Teilhabe von Frauen in den Anfängen der europäischen Integration nach dem Zweiten Weltkrieg gestaltete und welche Ordnungsvorstellungen sie mit Europa verbanden. In der sich nach dem Ersten Weltkrieg formierenden europäischen Einigungsbewegung[2], zu der neben pro-europäischen Verbänden auch Politiker, Wissenschaftler, Publizisten und Intellektuelle zählten, waren es anscheinend fast ausschließlich Männer, die vielfältige Pläne und Konzepte für eine wirtschaftliche und für die politische Einigung Europas entwarfen.[3] Für die 1940er und 1950er Jahre gehen Schätzungen von einem Anteil von knapp zehn Prozent Frauen unter den Aktivisten aus. Dies ist eine Gruppe, über die wir nur wenig wissen.[4]

Anna Siemsen gehörte zu jenen, nur wenig bekannten, weiblichen Vordenkern. Sie hatte bereits in den 1920er Jahren in Deutschland die Forderungen nach einer europäischen Einigung und nach Überwindung der Nationalstaatlichkeit für einen dauerhaften Frieden erhoben.[5] Siemsen wurde als zweites von fünf Kindern in Mark/Westfalen in eine evangelische Pfarrersfamilie geboren. Nach dem Studium der Literaturwissenschaft, Philosophie und der Alten Sprachen arbeitete sie zunächst als Lehrerin, bevor sie 1921 als Oberschulrätin für das Fach- und Berufsschulwesen ins preußische Volksbildungsministerium nach Berlin berufen wurde. 1923 erhielt sie eine Honorarprofessur für Pädagogik in Jena. Während des Ersten Weltkrieges trat sie der USPD bei. 1923 wurde sie Mitglied der SPD und war von 1928 bis 1930 Reichstagsabgeordnete der Partei. Als Sozialistin und Pazifistin war sie 1933 gezwungen, Deutschland zu verlassen und emigrierte in die Schweiz. Dort war sie in verschiedenen pro-europäischen Emigranten-Organisationen wie dem Schweizer Zweig der „Weltaktion für den Frieden“[6] aktiv. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland 1946 setzte sie ihr Engagement für die europäische Einigung bis zu ihrem Tode fort. Sie war Mitglied im Exekutiv-Komitee des „Deutschen Rates der Europäischen Bewegung“[7] und führte den Vorsitz der deutschen Sektion der „Sozialistischen Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa“[8], die später „Anna-Siemsen-Kreis“ getauft wurde. Darüber hinaus gründete sie die „Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit“.[9] Hier trat sie für europäische Lehrerakademien ein, in denen Lehrerinnen und Lehrer die methodischen Grundlagen erwerben sollten, um künftig ihre Aufgaben auch in einem europäischen Rahmen wahrnehmen zu können.[10]

Für Siemsen waren Erziehung und Aufklärung die wesentlichen Grundpfeiler ihrer politischen Arbeit. Wie sie in ihrem Aufsatz darlegte, sollte neben der zu leistenden Hilfs- und Aufbauarbeit vor allem die Erziehungsarbeit ein europäisches Bewusstsein fördern.[11] Erziehung stand für Siemsen insgesamt in einem ursächlichen Zusammenhang mit gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklungen und war auf diese Weise mit Politik untrennbar verbunden. Bereits in der Weimarer Republik hatte sie ein Erziehungskonzept entwickelt, das sich am Ideal einer solidarischen und humanen Gesellschaft, ja an einer geradezu global ausgerichteten Gesellschaft orientierte und so die ganze Menschheit umfassen sollte.[12] Siemsen forderte eine Erziehung, die zu einem vertieften Bewusstsein für gesellschaftliche Zusammenhänge hinführen und die die Menschen zu einem solidarischen und selbstverantwortlichen, an sittlichen Maßstäben ausgerichteten Handeln befähigen sollte. Das übergeordnete Ziel war, allen Menschen eine möglichst umfassende individuelle Entwicklung zu ermöglichen, die zugleich aber auch dem Prinzip der Rechtsgleichheit folgen müsste. Deshalb trat sie vehement für eine sozialistische Gesellschaft ein. Nur in einer Gesellschaft ohne Konkurrenzkampf und Unterdrückung durch die kapitalistische Ordnung könne, so Siemsen, die gewünschte menschliche Gemeinschaft entstehen.

Das Verbandsziel der Schweizer „Europa Union“, für die Siemsen den hier diskutierten Aufsatz schrieb, entsprach diesen erziehungstheoretischen Grundanschauungen. Die 1934 in Basel gegründete „Europa-Union. Schweizerische Bewegung für die Einigung Europas“ (EUS)[13] propagierte einen europäischen Bundesstaat, ein auf föderativer und demokratischer Grundlage geeintes Europa, das dem Beispiel der Schweizer Eidgenossenschaft folgen solle und das als erster Schritt zu einer Weltföderation anzusehen sei. Die EUS bekannte sich zum „Prinzip der Volkserziehung“. Dahinter verbarg sich der Kerngedanke, dass die Völker Europas durch ihre Geschichte eine geistige und kulturelle Schicksalsgemeinschaft darstellten, die von den Ideen der Freiheit des einzelnen und der christlichen Menschenliebe getragen werde. Europa wurde als historischer Ort, als kollektiver Erfahrungsraum sowie als ein durch gemeinsame Werte und Traditionen verbundener Kulturkreis definiert, in dem der Solidaritätsgedanke und ein Gefühl der gegenseitigen Verantwortung verankert werden sollten. Die von der EUS im Februar 1940 verabschiedeten „Leitsätze für ein neues Europa“ beinhalteten bestimmte Ziele auf politischem, kulturellem und wirtschaftlichem Gebiet, die von zwei führenden Vertretern der EUS, dem Redakteur Hans Bauer (1901-1995) und dem aus Deutschland emigrierten Schriftsteller Heinrich Georg Ritzel (1893-1971), thematisch ausgearbeitet und in Buchform unter dem Titel „Kampf um Europa“ 1945 veröffentlicht wurden. Für einige Gebiete zogen Bauer und Ritzel versierte Mitarbeiter hinzu und so erschien Siemsens Aufsatz hier in der Rubrik „Frauenproblem“. Die Bücher und Aufrufe der EUS fanden über die neutrale Schweiz hinaus große Resonanz und ermutigten europäische Widerstandsgruppen, ihren Kampf nicht nur gegen den Nationalsozialismus, sondern auch für Europa zu führen. Die EUS spielte nach dem Zweiten Weltkrieg dadurch eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau der europäischen Verbände in den Nachbarländern und erlangte für andere europäische Föderalisten Vorbildcharakter.[14]

Die EUS hatte in ihren Leitsätzen neben einer gemeinsamen Außen- und Zollpolitik sowie einer einheitlichen Währung auch die persönliche und rechtliche Gleichstellung aller Bürger unabhängig von Geschlecht, „Rasse“, Stand und Vermögen sowie die Schaffung eines europäischen Bürgerrechts gefordert. Damit nahm sie zugleich die „Frauenfrage“ in ihr Programm auf. Mit Anna Siemsen konnten Bauer und Ritzel eine Mitarbeiterin gewinnen, die sich schon in der Weimarer Republik mit der sozialen und rechtlichen Stellung von Frauen in der Gesellschaft auseinandergesetzt hatte. Siemsen hatte beispielsweise bereits Schulungskonzepte für eine effizientere und rationelle Arbeitsgestaltung für Frauen der unteren Schichten entwickelt, um der Doppelbelastung durch Familie und Erwerbstätigkeit entgegenzuwirken. In ihrer reformpädagogischen Arbeit forderte sie unter anderem bessere Erwerbschancen für Frauen und eine den Jungen gleichgestellte Ausbildung von Mädchen. Im Schweizer Exil setzte sie ihr Engagement in der Bildungsarbeit fort und wurde durch ihre engen Kontakte zur Schweizer Sozialdemokratie schließlich mit der Redaktion der sozialistischen Zeitschrift „Die Frau in Leben und Arbeit“ betraut.

Als deutsche Emigrantin in der Schweiz hatte Siemsen allerdings selbst zunächst eine erhebliche Beschneidung ihrer persönlichen und politischen Rechte hinnehmen müssen. Durch die Schein-Heirat mit dem Sekretär der Schweizer Arbeiter-Jugend, Walter Vollenweider (1903-1971), erhielt sie zwar das Schweizer Bürgerrecht und konnte durch eine Arbeitserlaubnis immerhin ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen, blieb aber wie alle Schweizer Frauen vom politischen Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen. Siemsen hoffte dennoch, nach dem Krieg weiter für ihr Ideal einer humanen und solidarischen Gesellschaftsordnung arbeiten zu können, in der es Frauen möglich sein werde, besonders ihre „weiblichen“ Fähigkeiten wirkungsvoll einzusetzen. In ihrem Aufsatz betonte Siemsen deshalb auch, dass ein geeintes, auf föderativer Grundlage errichtetes neues Europa nicht ohne die Gewährung der vollen Bürgerechte an alle europäischen Frauen bestehen könne.[15] Diese These begründete sie mit den aus ihrer Sicht eindeutig vorhandenen spezifisch weiblichen Eigenschaften und den besonderen weiblichen Kriegserfahrungen, aus denen Frauen nun besondere Pflichten erwüchsen. Die dazugehörige soziale Aufbauarbeit, die sie als Aufbau einer solidarischen Selbsthilfe der europäischen Völker verstand, war für sie nach Kriegende die vordringlichste Aufgabe. Auch die gewünschte Erziehungs- und Aufklärungsarbeit, die den Völkern die Notwendigkeit eines gemeinsamen föderativen Aufbaus verdeutlichen sollte, könne und müsse gerade von Frauen geleistet werden. Es seien vor allem ihre naturgegebenen Fähigkeiten, so Siemsen, die Frauen für diese erzieherischen und sozialen Aufgaben geradezu prädestinierten. Ihren Grundannahmen über die weibliche Natur folgend hob Siemsen daher einprägsam hervor, dass Frauen als die körperlich Schwächeren zwar einerseits sogar mehr als die kriegführenden, kämpfenden Männer unter Gewalt und Brutalität hätten leiden müssen, dass sie aber andererseits deshalb im Krieg auch menschlicher hätten handeln können. Ihre Diagnose, die Menschen hätten sich im Krieg insbesondere durch Verrohung, Verhärtung und Gewissenlosigkeit verschuldet, lastete sie daher vor allem Männern an. Aus diesen Überlegungen leitete Siemsen ab, dass Frauen als Opfer des Krieges ihre eigentlich naturgegebenen Eigenschaften bislang leider in einem zu geringen Maße erkennen ließen. Dennoch begründete sie mit dem Vorzug der Frauen, jetzt „noch europäisch denken und fühlen zu können“, letztlich ihre Pflicht, sich aktiv am Aufbau des neuen Europas zu beteiligen.[16]

Damit Frauen diese Pflichten überhaupt wahrnehmen könnten, forderte Siemsen veränderte gesellschaftliche und politische Partizipationsmöglichkeiten auf europäischer Ebene. Volles Bürgerrecht bedeutete für sie daher nicht nur politische Mitbestimmung von Frauen im engeren Sinne, sondern auch die Wahrnehmung sämtlicher Rechte und Pflichten im Bereich von Bildung, Erziehung und Fürsorge, die das ganze Spektrum des sozialen und politischen Lebens umfassten. Siemsen vertrat ihre Forderungen mit dem Rekurs auf eine historisch situierte Geschlechterdifferenz und, wie gesagt, mit Blick auf spezifisch weibliche Kriegserfahrungen. Dies tat sie vor dem Hintergrund einer bestehenden unsolidarischen und unsozialen Politik, die nun aber durch den weiblichen Einfluss aufgehoben werden müsse.[17] Erst die Möglichkeit einer freien Pflichtausübung war für sie die Voraussetzung, als „europäische Bürgerin“ für eine Humanisierung der öffentlichen Sphäre wirken zu können.

Mit ihrer Vorstellung von einem „naturgegebenen“ weiblichen Geschlechtscharakter und einer daraus zu begründenden gesellschaftspolitischen Pflicht, nahm Siemsen eine Argumentationsfigur auf, die Vertreterinnen der Frauenbewegung bereits im Kaiserreich verfochten hatten. Schon um 1900 hatten sie mit dem Hinweis auf eine allumfassende „Mütterlichkeit“ die Öffnung pädagogischer und sozialer Berufsfelder für Frauen sowie deren notwendige politische Partizipation gefordert. Ihnen ging es seinerzeit darum, den als einseitig empfundenen männlichen Einfluss auf den Staat durch den weiblichen Bürgersinn zu ergänzen, um so eine grundlegende Änderung gesellschaftlicher und politischer Verhältnisse zu erwirken. Damit verband sich zugleich die Forderung nach größeren weiblichen Handlungsspielräumen sowie nach einer erweiterten politischen Einflussnahme. Der Anspruch der Frauenbewegung auf Mitsprache und Mitarbeit in Staat und Gesellschaft konzentrierte sich vor allem auf das Gebiet der Wohlfahrtspflege und auf den Bildungsbereich.[18] Bis zur Jahrhundertwende bildeten sowohl eher karitative als auch sozialreformerische Vereine und Initiativen, die sich dem Ausbau der weiblichen Bildungsmöglichkeiten widmeten, die größte Gruppe unter den Frauenorganisationen.

Aufgrund der stärkeren Wahrnehmung der sozialen Problemlage von Frauen engagierten sich die Vertreterinnen der Frauenbewegung zunächst vornehmlich für eine Verbesserung der weiblichen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Damit wollten die Reformerinnen zugleich gesamtgesellschaftliche Reformen durchsetzen. Die Vereine verstanden sich zunächst als Hilfsorganisationen, um Frauen Hilfe zur Selbsthilfe zu geben, die allerdings durch eine staatliche Reformpolitik zu ergänzen war. Forderungen nach sozialen Rechten wie das Recht auf Schulbildung, berufliche Ausbildung und das Zugangsrecht zu den Universitäten konnten auf diese Weise bis zum Ersten Weltkrieg erfolgreich erkämpft werden. Allerdings erschwerte die Abwesenheit von Frauen in den entsprechenden politischen Institutionen die Durchsetzung sozialer Rechte. Daher rückte auch in dem Zusammenhang die Forderung nach weiteren politischen Rechten, vor allem nach den verschiedenen Wahlrechten auf kommunaler oder Landesebene in den Vordergrund. Schwierig war auch das Gebiet der bürgerlichen Rechte: Bestrebungen, die Gleichberechtigung von Frauen im Bürgerlichen Gesetzbuch zu verankern sowie die Reform des Familienrechts blieben bis in die Weimarer Republik ein Tätigkeitsgebiet der Frauenbewegung. Obschon zahlreiche Vertreterinnen der Frauenbewegung Forderungen nach der vollen politischen Gleichberechtigung erhoben, blieb diese für viele jedoch nicht das alleinige Ziel. Stattdessen setzte sich zunehmend die Auffassung durch, dass die geforderten neuen Rechte nur durch die Erfüllung der dazugehörigen Pflichten zum Tragen kommen könnten. Der steigende Fraueneinfluss in Politik und Gesellschaft sollte dessen ungeachtet zunächst Frauen zugute kommen. Doch verband sich damit die weitergehende Vorstellung, dass die Entfaltung des sogenannten „weiblichen Kultureinflusses“ zugleich den Gesamtinteressen des Staates dienen werde.

Siemsen hatte in ihren Ausführungen die von der Frauenbewegung seit dem 19. Jahrhundert vertretenen Argumentationsfiguren weitgehend übernommen. Indem sie ihrerseits das zunächst auf Staat und Nation bezogene Konzept der „Mütterlichkeit“ auf Europa übertrug, modifizierte sie diese Argumentationsstrategie allerdings erheblich. Ihre Forderungen nach weiblicher Pflichterfüllung bezogen sich nicht auf eine zu reformierende Gesellschaft im Rahmen eines bestehenden Nationalstaats, sondern gleichsam auf ein neues Projekt, ein grundlegend revolutioniertes Europa, das sich auf den aufklärerischen Grundwerten der Freiheit und Gleichheit aller Menschen gründete. Die Erfüllung von Pflichten war für Siemsen ohne bürgerliche Rechte jedoch nicht möglich, die Forderung nach voller politischer Gleichberechtigung eine logische Konsequenz.[19] Da sie gerade die weibliche Fürsorge- und Erziehungsarbeit als grundlegend für ein Verantwortungs- und Solidaritätsgefühl, das heißt für die Schaffung eines europäischen Bewusstseins ansah, musste für Siemsen die freie Entfaltung des weiblichen Einflusses angemessen anerkannt werden. Erst dies bedinge eine Politik, die weiblichen Wert- und Handlungsmaßstäben entspreche und die so eine neue europäische Ordnung ermögliche, die ihrerseits wiederum die volle Gleichberechtigung der Geschlechter gewährleisten werde.



[1] Essay zur Quelle: Siemsen-Vollenweider, Anna, Die Frau im neuen Europa.

[2] Aus der Fülle der jüngst erschienenen politik- und geschichtswissenschaftlichen Arbeiten zur Geschichte des europäischen Einigungsgedankens seien hier nur erwähnt: Clemens, Gabriele; Reinfeldt, Alexander; Wille, Gerhard (Hgg.), Geschichte der europäischen Integration. Ein Lehrbuch, Paderborn 2008; Conze, Vanessa, Das Europa der Deutschen. Ideen von Europa in Deutschland zwischen Reichstradition und Westorientierung 1920-1970 (Studien zur Zeitgeschichte; 69), München 2006; Mittag, Jürgen, Kleine Geschichte der Europäischen Union. Von der Europaidee bis zur Gegenwart, Münster 2008.

[3] Vgl. Bock, Hans Manfred: Weimarer Intellektuelle und das Projekt deutsch-französischer Gesellschaftsverflechtung. In: Themenportal Europäische Geschichte (2008), .

[4] Zu dieser Annahme vgl. die Überlegungen bei Schmale, Wolfgang, Geschichte und Zukunft der europäischen Identität, Stuttgart 2008, S. 118.

[5] Zu Siemsens Europa-Engagement liegen bislang noch keine detaillierten Untersuchungen vor. Die ausführlichsten Hinweise enthalten die Aufsätze von: Italiaander, Rolf, Für soziale Gerechtigkeit und ein geeintes Europa. Anna Siemsen von Tucholsky bewundert, in: Ders., Besinnung auf Werte, Hamburg 1994, S. 37-47 und Thomann Tewarson, Heidi, Anna Siemsen (1882-1951). Im Kampf um einen demokratischen Sozialismus und um europäische Verständigung, in: Hahn, Barbara (Hg.), Frauen in den Kulturwissenschaften. Von Lou-Andreas Salomé bis Hannah Arendt, München 1994, S. 110-122.

[6] Die 1936 in Frankreich gegründete „Rassemblement Universel pour la Paix“ setzte sich für die Sammlung aller Kräfte zwecks Stärkung des Völkerbundes ein. Der Schweizer Zweig forderte seit 1939 eine demokratische europäische Föderation unter Abbau der Staatssouveränität.

[7] Der „Deutsche Rat der Europäischen Bewegung“ wurde 1949 in Wiesbaden gegründet und war Teil der 1948 in Brüssel gegründeten überparteilichen „Europäischen Bewegung“, die sich die Förderung eines vereinten Europas zum Ziel setzte.

[8] Die „Sozialistische Bewegung für die Vereinigten Staaten von Europa“ wurde 1947 in London von sozialistischen Führungskräften und unabhängigen Intellektuellen gegründet und forderte eine föderative Einigung Europas auf sozialistischer Grundlage. 1949 wurde sie Mitglied in der „Europäischen Bewegung“. Die deutsche Sektion entstand 1950 in der BRD.

[9] Vgl. die Biografie des jüngeren Bruders August über Anna Siemsen: Siemsen, August, Anna Siemsen. Leben und Werk, Hamburg 1951, S. 93.

[10] Siemsen übernahm den Vorsitz der überparteilichen Gesellschaft zusammen mit dem Hamburger Lehrer Max Zelck (1878-1965). Arbeitsplan und Memorandum vom 6. März 1949 befinden sich im Archiv der sozialen Demokratie in Bonn. Die Forschungsliteratur spricht zuweilen auch von der „Gesellschaft für europäische Zusammenarbeit“. Vgl. dazu Rogler, Rudolf, Anna Siemsen (1882-1951). Teil 1: Leben und literarisches Werk mit Anmerkungen zu ausgewählten Schriften, vervielfältigtes Typoskript Berlin 1994, S. 34. Vgl. auch Siemsens Überlegungen zur Lehrerbildung in ihrem Aufsatz: Europäische Akademien, in: Schola 2 (1947), Heft 10/11, S. 732-738.

[11] Siemsen-Vollenweider, Die Frau im neuen Europa, S. 205.

[12] Ausführlich zu Siemsens Rolle und Positionen als Reformpädagogin siehe: Mitzenheim, Paul, Anna Siemsen als ,politische Pädagogin‘, in: Hoffmann, Dietrich (Hg.), Politische Erziehung in sich wandelnden Gesellschaften. Plädoyers für eine Veränderung der Politischen Bildung, Weinheim 1991, S. 77-96 und Schmölders, Ralf, Anna Siemsen. Sozialistische Reformpädagogin in der Weimarer Republik, in: Brehmer, Ilse (Hg.), Mütterlichkeit als Profession. Lebensläufe deutscher Pädagoginnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts (Frauen in Geschichte und Gesellschaft; 4/1), Pfaffenweiler 1990, S. 110-124.

[13] Vgl. im Folgenden zur EUS und ihrem Programm: Lipgens, Walter, Die Anfänge der europäischen Einigungspolitik 1945-1950, Teil 1: 1945-1947, Stuttgart 1977, S. 126f.

[14] Zur Bedeutung der EUS und ihrer Schriften vgl. Gasteyger, Curt, Europa zwischen Spaltung und Einigung. Darstellung und Dokumentation 1945-2005, Bonn 2006, S. 34; Lipgens, Walter, Europa-Föderationspläne der Widerstandsbewegungen 1940-1945 (Schriften des Forschungsinstituts der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V.; 26), München 1968, S. 341 und Niess, Frank, Die europäische Idee – aus dem Geist des Widerstands, Frankfurt am Main 2001, S. 29. Zur genauen Rezeption des Buches „Kampf um Europa“ und speziell zu Siemsens Beitrag liegen bislang keine Untersuchungen vor.

[15] Siemsen-Vollenweider, Die Frau im neuen Europa, S. 207.

[16] Ebd., S. 202.

[17] Ebd., S. 206. Vgl. zum Bürgerrechtsdiskurs im Zusammenhang mit der Kategorie Geschlecht den historischen Exkurs von Ute Gerhard in: Lister, Ruth u. a. (Hgg.), Gendering Citizenship in Western Europe. New Challenges for Citizenship Research in a cross-national Context, Bristol 2007, S. 17-46 und Gerhard, Ute, Bürgerrechte und Geschlecht. Herausforderungen für ein soziales Europa, in: Conrad, Christoph; Kocka, Jürgen (Hgg.), Staatsbürgerschaft in Europa. Historische Erfahrungen und aktuelle Debatten, Hamburg 2001, S. 63-91.

[18] Siehe im Folgenden zu Frauenbewegung und Sozialpolitik: Eifert, Christiane, Frauenpolitik und Wohlfahrtspflege. Zur Geschichte der sozialdemokratischen „Arbeiterwohlfahrt“ (Geschichte und Geschlechter; 5), Frankfurt am Main 1993; Schröder, Iris, Soziale Frauenarbeit als bürgerliches Projekt. Differenz, Gleichheit und weiblicher Bürgersinn in der Frauenbewegung um 1900, in: Tenfelde, Klaus; Wehler, Hans-Ulrich (Hgg.): Wege zur Geschichte des Bürgertums (Bürgertum. Beiträge zur europäischen Gesellschaftsgeschichte; 8), Göttingen 1994, S. 209-230 und Schröder, Iris, Arbeiten für eine bessere Welt. Frauenbewegung und Sozialreform 1890-1914 (Geschichte und Geschlechter; 36), Frankfurt am Main 2001.

[19] Siemsen-Vollenweider, Die Frau im neuen Europa, S. 206.


Literaturhinweise:

  • Gerhard, Ute, Bürgerrechte und Geschlecht. Herausforderungen für ein soziales Europa, in: Conrad, Christoph; Kocka, Jürgen (Hgg.), Staatsbürgerschaft in Europa. Historische Erfahrungen und aktuelle Debatten, Hamburg 2001, S. 63-91.
  • Italiaander, Rolf, Für soziale Gerechtigkeit und ein geeintes Europa. Anna Siemsen von Tucholsky bewundert, in: Ders., Besinnung auf Werte, Hamburg 1994, S. 37-47.
  • Thielking, Sigrid, Gute Europäerinnen. Anna Siemsen und Ruth Körner im Exil, in: Schriften des Essener Kollegs für Geschlechterforschung 1/3 (2001), S. 5-23.
  • Thomann Tewarson, Heidi, Anna Siemsen (1882-1951). Im Kampf um einen demokratischen Sozialismus und um europäische Verständigung, in: Hahn, Barbara (Hg.), Frauen in den Kulturwissenschaften. Von Lou-Andreas Salomé bis Hannah Arendt, München 1994, S. 110-122.

Quelle zum Essay
Europa nach dem Exil. Zu den Europavorstellungen der Sozialdemokratin Anna Siemsen Beitrag zum Themenschwerpunkt „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“
( 2009 )
Zitation
Die Frau im neuen Europa (1945) Veröffentlicht im Rahmen des Themenschwerpunkts „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <www.europa.clio-online.de/quelle/id/q63-28386>.
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