Händler, Sammler und Museen. Der europäische Kunstmarkt um 1900[1]
Von Gabriele B. Clemens
Der Kunstmarkt beschränkte sich nie auf einzelne Städte oder Regionen, doch spätestens seit dem Ancien Regime nahmen seine europäischen Dimensionen kontinuierlich zu. Dabei sind Kunst und Kommerz zwei Sphären, die sich nicht voneinander trennen lassen. Noch nie wurde so viel Geld mit Kunst umgesetzt wie heute. Niemals zuvor war Kunst so teuer, zu keiner Zeit fanden sich so viele Kenner, Käufer und Spekulanten. Vor rund 200 Jahren waren die Dimensionen noch andere. Während im 18. Jahrhundert neben der Kirche das Mäzenatentum der Fürsten und einer kleinen Elite von weiteren Adeligen und reichen Bürgern entscheidend war, trat im 19. Jahrhundert ein breiteres Publikum auf den Plan, das die Ausstellungen der Akademien und die der neu gegründeten Museen zu regelrechten Massenspektakeln anschwellen ließ. Vielerorts wurden Kunstvereine gegründet, deren Mitglieder kollektiv Künstler förderten. In der Publizistik nahmen Diskussionen über Kunst und Kunstwerke auffallend zu. Eine besonders große Dynamik erfuhr der europäische und transatlantische Kunstmarkt dann seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Die Preise für die sogenannte klassische Kunst schossen förmlich durch die Decke, da es immer mehr steinreiche Käufer gab, die ihre neu gebauten oder renovierten Villen und Schlösser dem Zeitgeschmack entsprechend opulent ausstaffieren wollten.
Dieses außerordentliche finanzielle und partiell auch persönliche Engagement der Eliten konzentrierte sich darüber hinaus auf die Gestaltung des öffentlichen städtischen Raumes. In Europa vollzog sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein geradezu stürmischer Urbanisierungsprozess. Mit den neuartigen Lebensbedingungen veränderten sich auch die Gesellschaft und ihre kulturellen Bedürfnisse. In den rasch expandierenden Zentren prägten die durch Industrialisierung und Handel reich gewordenen Bürger neben dem weiterhin gesellschaftlich dominierenden Adel eine elitäre Kultur. Auf der Grundlage ihres enormen Vermögens entstanden neue exklusive Stadt- und Villenviertel[2], sie stifteten Denkmäler, zoologische Gärten, Opernhäuser[3], Gemäldegalerien, Bibliotheken, Museen[4] sowie Kirchen, Kranken- und Waisenhäuser.[5] Zur Förderung von Kultur, Wissenschaft und Caritas versammelten sich die Honoratioren in zahllosen Gesellschaften und Vereinen. So entstanden im städtischen Raum neue kulturelle Institutionen, wo sich Mitglieder der örtlichen Oberschicht regelmäßig begegneten. Aufgrund der rasch wachsenden Vermögen traten Industrielle, Bankiers und Kaufleute nun aber auch zunehmend als Mäzene und Kunstsammler auf. Die sich formierende „gute Gesellschaft“ bot den glanzvollen Rahmen für die Entwicklung nicht nur von öffentlichen, sondern auch von privaten Sammlungen, die interessierten Besuchern gerne präsentiert wurden.[6] Die in historistischen Stilen erbauten Stadtvillen und Sommerschlösser mit ihren in wenigen Jahren erworbenen Kunstsammlungen wurden zu einer Bühne, auf der Sammler ihre kulturelle Praxis effektvoll inszenierten. Es erhöhte das Prestige beträchtlich, wenn man als Kunstkenner galt, denn Mäzenatentum und „Kennerschaft“ bildeten ein wesentliches Merkmal sozialer Distinktion. Pierre Bourdieu betont, dass die Bedeutung von Machtkämpfen im ästhetischen Feld nicht auf die Sphäre der Kunst beschränkt bleibt, sondern dass diese immer auch sozial wirksam sind.[7] Warum gerade exquisite Kunstsammlungen gesellschaftliches Prestige versprachen, erläuterte der Kunsthistoriker Max J. Friedländer: „Der Kunstbesitz ist so ziemlich die einzige anständige und von gutem Geschmack erlaubte Art, Reichtum zu präsentieren. Den Anschein plumper Protzigkeit verjagend, verbreitet er einen Hauch ererbter Kultur. Die Schöpfungen der großen Meister geben dem Besitzer von ihrer Würde ab, zuerst nur scheinbar, schließlich auch wirklich.“[8]
Dabei waren die Neureichen auf Expertenrat angewiesen, um Wert und Echtheit von Bildern, Plastiken, kunstgewerblichen und archäologischen Objekten besser beurteilen zu können. Das Spektrum der Kunsthändler und -makler war groß und wurde bisher kaum erforscht, was sich nicht zuletzt aufgrund der schwierigen Quellenlage erklären lässt. Fest steht, dass sich der professionelle Kunstmarkt in den deutschen Ländern erst viel später entwickelt hat als in den Niederlanden, England oder Frankreich. Zunehmend etablierten sich erfolgreiche Kunsthandlungen in den Metropolen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, wie etwa die von Alfred Flechtheim, Bruno und Paul Cassirer sowie Hermann Pächter in Berlin. Typisch ist, dass selbst Pächter, der immerhin Max Liebermann zeitweilig unter Vertrag hatte und den mit Adolph von Menzel eine lebenslange Freundschaft und Geschäftsbeziehung verband, sich nicht einzig und allein auf den Handel mit Bildern konzentrierte. Er verkaufte darüber hinaus Ostasiatika und Edelsteine, wobei diese breite Angebotspalette im Konsumverhalten der Kunden begründet lag. Diese beauftragen Kunsthändler nicht selten mit der Gesamtausstattung ihrer Villen angefangen bei Bildern, über kunstgewerbliche Sammlungen bis hin zu alten orientalischen Teppichen.[9]
Der exklusive Kunstmarkt mit seinen elitären Kunden umfasste Europa, die transatlantische Welt und nahm aufgrund des Einsatzes von Eisenbahnen und Dampfschiffen schließlich globale Dimensionen an. Vermögende Sammler wie das Fabrikantenehepaar von Heyl zu Herrnsheim bewegten sich bei ihren Erwerbungen für ihre Stadtvilla bzw. ihr Privatmuseum in Worms ganz selbstverständlich im europäischen Rahmen. Sie erwarben Kunstobjekte von dem Hofantiquar Julius Böhler in München, von den Kölner Kunsthändlern Frères Bourgeois, dem Kunst- und Antiquitätenhändler Julius Goldschmidt in Frankfurt und kauften über den Kölner Kunsthändler Steinmeyer einen Rubens für 45.000 Mark, den jener in London akquiriert hatte. Von Charles Sedelmeyer, der eine „Galerie de dernier chic“ in Paris führte, bezogen sie zwei Gemälde von Frans Hals für 70.000 Mark. Dessen Schwiegersohn Eugen Fischhof vertrat Sedelmeyer wiederum in Amerika und betrieb ebenfalls eine Niederlassung in Paris.[10] Ein Teil des Kunsthandels wurde nicht in speziellen Galerien abgewickelt, sondern lief über private Netzwerke, über die wir noch wenig wissen. So standen die Heyls auf der Kundenliste des Berliner Museumsdirektors Wilhelm von Bode. Er spielte eine kaum zu überschätzende Rolle beim Aufbau vor allem deutscher Sammlungen.[11] Jährlich reiste er nach Ober- und Mittelitalien, Paris und London, häufig auch nach Wien auf der Suche nach möglichst preiswerter Renaissancekunst, wobei er sich auf italienische und niederländische Stücke spezialisierte. Seinen exzellenten Ruf als Experte nutzte er geschickt, um die Sammlerszene reichsweit zu beraten; und diesen Rat bezüglich Wert und Echtheit vor allem barocker und renaissancezeitlicher Kunst ließ er sich teuer bezahlen. Neben seinen Honoraren legte er den Kunden nahe, hohe Geldbeträge oder Gegenstände für die staatlichen Museen in Berlin oder Straßburg zu stiften.[12] Zu seiner Klientel gehörten neben der Wormser Familie von Heyl zu Herrnsheim, die Kölner Bankiers von Oppenheim und die Berliner Sammlerszene.
Auf seinen Reisen quer durch Europa baute von Bode ein internationales Kontaktnetz zu Antiquaren, Händlern und Sammlern auf. In seinen Memoiren berichtet er von erfolgreichen Ankäufen, seinen sicheren Einschätzungen bezüglich Echtheit und Zuschreibungen, aber auch von der zunehmenden Konkurrenzsituation, denn gleich ihm bereisten andere Experten und Sammler die wichtigsten Marktplätze in Italien, Frankreich und England auf der Suche nach Altmeistern, Keramik und Trouvaillen aller Art. Wiederholt begegnete Bode dem französischen Bankier Alphonse de Rothschild, der bereit war, Höchstpreise für seine Sammlungen auszugeben. Wenn er persönlich als Interessent auftrat, schnellten die Preise gleich in die Höhe. Deshalb verhandelten häufig Strohmänner oder Makler für die prominente Kundschaft. Regelmäßig reiste auch das Pariser Bankiersehepaar Jacquemart-André nach Italien und kaufte dort systematisch italienische Renaissancekunst für ihr Stadtpalais am Boulevard Haussmann auf.[13] Mitstreiter um die schönsten Stücke stammten aus der Bourgeoisie und dem frischen Adel aus Turin, Genua, Mailand, Livorno und Rom, die denselben Handlungsmechanismen folgten.
In den Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges etablierten sich in den Metropolen Europas ganze Sammlerszenen, die aufgrund von industriellen Unternehmungen, Eisenbahnbau, Immobilienspekulationen und Bankgeschäften binnen weniger Jahrzehnte zu immensen Vermögen gekommen waren. Diese neuen großbürgerlichen Kunstsammler gesellten sich zu den traditionellen Kunstkäufern aus Adels- und Hofkreisen und orientierten sich weitgehend an den von der Aristokratie vorgelebten Wertemustern. Stilprägend für die Sammlerkultur waren neben den bereits seit Jahrhunderten aufgebauten Sammlungen des Adels im langen 19. Jahrhundert weiterhin italienische und französische Vorbilder. Die Metropole Paris gab in Fragen des guten Geschmacks, der Mode und der Kultur unangefochten den Ton an. Vorbildcharakter für ein aufwendig arrangiertes repräsentatives Kunstsammeln wurde Alexandre Du Sommerards privatem kulturhistorischen Museum im Pariser Hôtel de Cluny zugesprochen. Der Beamte und Archäologe lebte in seinem mittelalterlichen Palais inmitten von Originalgemälden, Skulpturen und Möbeln, was ihm als Sammler die Möglichkeit einer spezifisch historisierenden Inszenierung bot. Den Schwerpunkt der Kollektion bildeten die während Jahrzehnten gesammelten Kunstwerke, kunstgewerbliche Objekte und Textilien des Mittelalters und der Renaissance. Nach dem Tod Du Sommerards kaufte der Staat 1843 sie samt Palais und verwandelte es in ein öffentliches Museum. Sowohl in Frankreich, als auch in Europa und später in Amerika ging von dieser Art des repräsentativen Sammelns eine prägende Wirkung aus. Dem Vorbild Du Sommerards folgend wurden Gemälde, Skulpturen und Möbel in Stadtpalais und Schlössern nach Themengruppen arrangiert. Im Inneren der großbürgerlichen Villen dominierte wie in Paris der Hofstil mit Repräsentationstreppen, Salons und Damen- und Herrenzimmer, in denen ältere Portraits eine imaginäre historische Ahnenreihe vorspielten.[14] Auch skulpierte Wappenschilde und die Vorliebe für alte Gobelins spiegelten höfische Repräsentationsformen. Wie in Frankreich richtete man die Zimmer nach der jeweiligen Funktion in verschiedenen Stilen ein. Schlafzimmer und Salon hielt man im französischen Königsstil (Louis XV. oder Louis XVI.), wohingegen Speisezimmer und das Arbeitszimmer der Hausherren bevorzugt im Stil der Renaissance eingerichtet wurden.[15]
Da die deutsche Bürgertumsforschung das Mäzenatentum im 19. Jahrhundert als Form bürgerlichen Engagements entdeckt hat, mag in den letzten Jahren der Eindruck entstanden sein, der typische Mäzen sei ein erfolgreicher Großindustrieller gewesen, der mit Sachverstand und Spürsinn Impressionisten und Expressionisten gekauft habe. Als Beispiele seien hier nur die Sammlungen von Max Silberberg, Alfred Cassirer und Bernhard Koehler genannt.[16] Diese Art von Mäzenen hat es natürlich gegeben, aber sie befanden sich noch in der absoluten Minderheit, denn die überwiegende Mehrzahl huldigte einem traditionellen bis konservativem Kunstgeschmack. Sie orientierten sich an aristokratischen Vorbildern und kauften klassische Bilder, allen voran die der holländischen Maler des Goldenen Zeitalters und Renaissancekunstwerke aus Italien, was auch die vorliegende Quelle über die Ausstellung der alten Meister in der Londoner Akademie belegt.[17] Folglich entsteht insgesamt der Eindruck, dass hier nicht leidenschaftliche Kunstsammler am Werk waren, sondern Kaufleute, die kanonisierte Kunst als Investition betrachteten. Deutlich wird dies vor allem bei Akquisitionen „en bloc“. So kauften die Oppenheims – auch hier aristokratischen Vorbildern folgend – gleich ganze Sammlungen auf.[18]
Als Lieferanten für die begehrten Objekte fungierten jene aristokratischen Familien Europas, die finanziell unter Druck geraten waren. So vermittelte Wilhelm von Bode 1866–1869 gleich 13 Bilder der alten Florentiner Adelsfamilie Marchese Torrigiani für die Sammlungen der Lady Harriet Sarah Wantage in London, den Wiener Fürsten von Liechtenstein und den Bankier Rudolf Kann in Paris. Dieser aus Frankfurt stammende Kaufmann hatte sich zu Beginn der 1870er-Jahre in Paris etabliert und in seinem Palais in der Avenue d’Jéna eigene Galeriesäle mit Oberlicht einrichten lassen. Nach Kanns Tod 1905 wurde die Kunstsammlung über den Kunsthändler Duveen an verschiedene amerikanische Sammler vermittelt. Auch die italienische Fürstenfamilie Sciarra ließ einen Teil ihrer wertvollen Sammlung 1891/92 heimlich außer Land bringen und in Paris versteigern, was in Italien zu erregten Diskussionen führte. Zum einen waren diese Bilder Bestandteil des Fideikommiss der Familie und hätten gar nicht verkauft werden dürfen, zum anderen beobachtete der italienische Staat die zahlreichen Kunstverkäufe seitens der alten Familien mit Argwohn und interpretierte diesen Prozess als Aderlass des nationalen Erbes.
Die Verkäufe in andere europäische Länder oder in die Vereinigten Staaten nahmen aber kein Ende. So veräußerte das Adelsgeschlecht Chigi aus Siena seine frühneuzeitliche Kunstsammlung. Und die Londoner Nationalgalerie kaufte gleich vier Werke von Canaletto, die sich zuvor im Besitz des Conte Fenaroli in Brescia befunden hatten. Auch englische Adelsgeschlechter sahen sich zum Verkauf einzelner wertvoller Stücke oder ganzer Sammlungen gezwungen. So spekulierte die internationale Kunstszene Ende der 1870er-Jahre darauf, dass die Sammlungen des Herzogs von Hamilton, des Herzogs von Marlborough und des Earls von Ashburnham unter den Hammer kämen. 1881 wurde dann die Kollektion des Herzogs von Hamilton versteigert, 1892 die Sammlung des Earl of Dudleys. Im selben Jahr erwarb der italienische Staat die Stadtvilla der Familie Borghese mit ihren Kunstsammlungen. Nobilitierte und Großbürgerliche kauften jedoch nicht nur Kunst, sondern auch Landsitze des Adels und bewahrten ihn so partiell vor seinem gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abstieg. Außerdem trug ihre Heiratspolitik dazu bei, den alten Adel zu stabilisieren. Die frisch Geadelten heirateten nach ihrer Standeserhöhung ganz bewusst in adlige Traditionsfamilien ein, welche partiell durch die Umwälzungen und Reformen seit der Französischen Revolution in eine finanziell schwierige Lage geraten waren. In dieser Situation konnte es entlasten, einen Teil der Güter zu verkaufen, um das Familienerbe zu retten. Auch hohe Mitgiftzahlungen seitens des neuen Adels trugen dazu bei, Überschuldungen abzubauen.
Die neuen Kunstsammlungen wurden aber nicht nur genutzt, um sie in privaten Räumlichkeiten einem exklusiven Kreis zu präsentieren, sondern auch um sie öffentlich zur Schau zu stellen. Kaufleute und Bankiers liehen immer wieder Bilder europaweit für öffentliche Ausstellungen aus, weil sie so für den Namen ihrer Firma werben konnten, und zugleich stieg der Wert der Gemälde. So schickten etwa Kölner Sammler, wie die Bankiersfamilie der Freiherren von Oppenheim im Laufe des 19. Jahrhunderts ihre Kunstwerke auf die Weltausstellungen in Paris oder Wien und zu nationalen Kunstschauen nach Berlin, um so ihren Ruhm und ihr Prestige zu mehren. In der deutschen Reichshauptstadt war es wiederum Bode, der es verstand, die Sammlerszene zu Leihgaben zu bewegen, etwa anlässlich der Silberhochzeit des Kronprinzen Friedrich.
Ein weiteres Ziel der Sammler war es, ihre Sammlungen oder einen Teil davon für öffentliche Museen etwa den Berliner und Münchener Galerien oder dem Louvre zu stiften, wobei derartige Stiftungen und Schenkungen fast immer an die Bedingung gebunden waren, einen Raum nach den großzügigen Gebern zu benennen. So sollte ein ehrendes Andenken an die Familie für alle Ewigkeit gewahrt werden. Topsammler gingen sogar noch einen Schritt weiter. Sie schenkten ihren Kommunen gleich ein ganzes Museum, wiederum mit der Auflage, den Namen und die komplette Sammlung für zukünftige Generationen zu erhalten. Auch hierbei handelt es sich um ein europaweites und transatlantisches Phänomen, was einige prominente Beispiele belegen mögen. So stiftete die Familie der Freiherren Heyl zu Herrnsheim ihre neubarocke Stadtvilla samt Sammlung der Stadt Worms. Die sogenannte Stiftung Kunsthaus Heylshof kann man noch heute besichtigen. Die Pariser Bankiersfamilien Jacquemart-André und die des Grafen Moïse de Camondo schenkten ihre während des Zweiten Kaiserreichs errichteten Stadtpalais im vornehmen Viertel Monceau der Kommune.[19] In Mailand waren es wiederum die Familien Bagatti Valsecchi oder der Conte Gian Giacomo Poldi Pezzoli, die ihre Palazzi inklusive Sammlungen der Stadt vermachten, wobei das Vorbild der Poldi-Pezzoli, wiederum die Amerikanerin Isabella Stewart Gardner in Boston zur Nachahmung inspirierte.[20] Weitere heute noch zu besichtigende Sammlungen wie die Wallace Collection oder das Wellington House in London verdanken ihren Ursprung ebenfalls adligen Familien.[21]
Fest steht, dass sich die Szene europaweit wetteifernd beobachtete und als Vorbild für amerikanische Sammler wirkte.[22] Es besteht aber noch ein erheblicher Forschungsbedarf bezüglich des Aufbaus dieser transnationalen Netzwerke, des Funktionierens der Marktmechanismen und der Preisentwicklung. Auf jeden Fall hatte sich der Kunstmarkt im langen 19. Jahrhundert von einem noch weitgehend privat organisierten Handel, als etwa Könige wie Wilhelm I. von Württemberg seinen Konsul in Rom beauftragte, das eine oder andere Stück aufgrund von Expertenrat anzukaufen und Ölgemälde noch für einige 100 Taler zu haben waren, zu einem globalen Spekulationsgeschäft entwickelt.[23] Vor allem für begehrte Altmeister waren die neureichen Eliten vor dem Ersten Weltkrieg bereit, Unsummen auf den Tisch zu legen, egal ob sie Krupp von Bohlen und Halbach, Baron von Rothschild oder J. Pierpont Morgan hießen.[24] Die Sammler und Händler nutzten für ihre Geschäfte selbstverständlich ihre europäischen und transatlantischen Verbindungen, wobei die Auktionshäuser in London und Paris mit Abstand als Marktführer agierten.
[1] Essay zur Quelle: J. Beavington Atkinson: Ausstellung alter Meister in der Londoner Akademie (1875).
[2] Reif, Heinz (Hg.), Berliner Villenleben. Die Inszenierung bürgerlicher Wohnwelten am grünen Rand der Stadt um 1900, Berlin 2008.
[3] Schimpf, Gudrun-Christine, Geld – Macht – Kultur. Kulturpolitik in Frankfurt am Main zwischen Mäzenatentum und öffentlicher Finanzierung 1866–1933, Frankfurt am Main 2007; Zimmermann, Clemens (Hg.), Städtische Kulturförderung, Berlin 2008.
[4] Sheehan, James J., Geschichte der deutschen Kunstmuseen. Von der fürstlichen Wunderkammer zur modernen Sammlung, München 2000.
[5] Adam, Thomas; Retallack, James (Hgg.), Zwischen Markt und Staat: Stifter und Stiftungen im internationalen Vergleich, Leipzig 2001; Adam, Thomas; Frey, Manuel; Strachwitz, Graf Rupert von (Hgg.), Stiftungen seit 1800. Kontinuitäten und Diskontinuitäten, Stuttgart 2009.
[6] Zum Begriff der „guten Gesellschaft“ vgl. Elias, Norbert, Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main 31998.
[7] Bourdieu, Pierre, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Kreckel, Reinhard (Hg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198.
[8] Friedländer, Max J., Über das Kunstsammeln, in: Der Kunstwanderer 1 (1919), S. 1.
[9] Clemens, Gabriele B., Der rheinische Kunstmarkt, Mäzene und Sammler im langen 19. Jahrhundert, in: Rheinische Vierteljahresblätter 76 (2012), S. 205–225.
[10] Heisig, Ines, Die Unternehmerfamilie von Heyl in Worms: Aspekte privater Kulturförderung im Kaiserreich, in: Clemens, Gabriele B.; König, Malte; Meriggi, Marco (Hgg.), Hochkultur als Herrschaftselement. Italienischer und deutscher Adel im 19. Jahrhundert, Tübingen 2011, S. 233–252.
[11] Gaehtgens, Thomas W.; Paul, Barbara (Hgg.), Bode, Wilhelm von, Mein Leben, 2 Bde., Berlin 1997.
[12] Lenman, Robin, Die Kunst, die Macht und das Geld. Zur Kulturgeschichte des kaiserlichen Deutschland 1871–1918, Frankfurt am Main 1994, S. 79; Stockhausen, Tilmann von, Gemäldegalerie Berlin. Die Geschichte der Erwerbungspolitik 1830–1904, Berlin 2000.
[13] Monnier, Virginie, Édouard André. Un homme, une famille, une collection, Paris 2006.
[14] Neureiche Bürger und frisch Nobilitierte inszenierten mit älteren Portraits derartige Ahnengalerien, um ihrer Familie altehrwürdiges Ansehen zu verleihen, Prevost-Marcilhacy, Pauline, James de Rothschild à Ferrières: les projets de Paxton et Lami, in: Revue de l’Art 100 (1993), S. 58–73.
[15] Kuhrau, Sven, Der Kunstsammler im Kaiserreich. Kunst und Repräsentation in der Berliner Privatsammlerkultur, Kiel 2005.
[16] Ludwig, Anna-Dorothea et al. (Hgg.), Aufbruch in die Moderne. Sammler, Mäzene und Kunsthändler in Berlin 1880–1933, Köln 2012.
[17] Vgl. Atkinson, J. Beavington, Ausstellung alter Meister in der Londoner Akademie, in: Kunstchronik (1875), H. 21, S. 326–330.
[18] Effmert, Viola, Sal. Oppenheim jr. & Cie. Kulturförderung im 19. Jahrhundert, Köln u.a. 2006, S. 120. Diese Akquisitionen en bloc imitierten wiederum traditionelle feudale Sammelmuster.
[19] Als Lektüre ist in diesem Zusammenhang der sehr gut recherchierte Roman zu einer weiteren Pariser Bankiers- und Sammlerfamilie den Ephrussis, von De Waal, Edmund, The Hare with Amber Eyes, London 2000 (in deutscher Übersetzung: Der Hase mit den Bernsteinaugen, München 2013) zu empfehlen.
[20] Pavoni, Rosanna, Reviving the Renaissance. The Use and Abuse of the Past in Nineteenth-Century Italian Art and Decoration, Cambridge 1997; Goldfarb, Hilliard T. The Isabella Stewart Gardner Museum, New Haven, London 1995.
[21] Hughes, Peter, The Founders of the Wallace Collection, London 2011.
[22] Saltzmann, Cynthia, Old Masters, New World. America’s Raid on Europe’s Great Pictures, London 2008.
[23] Hauptstaatsarchiv Stuttgart, E 14 Königliches Kabinett, 220.
[24] Prevost-Marcilhacy, Pauline, Les Rothschild. Batisseurs et mécènes, Paris 1995.
Literaturhinweise:
Gaehtgens, Thomas W.; Paul, Barbara (Hgg.), Bode, Wilhelm von, Mein Leben, 2 Bde., Berlin 1997.
Kuhrau, Sven, Der Kunstsammler im Kaiserreich. Kunst und Repräsentation in der Berliner Privatsammlerkultur, Kiel 2005.
Lenman, Robin, Die Kunst, die Macht und das Geld. Zur Kulturgeschichte des kaiserlichen Deutschland 1871–1918, Frankfurt am Main 1994.
Prevost-Marcilhacy, Pauline, Les Rothschild. Batisseurs et mécènes, Paris 1995.
Saltzmann, Cynthia, Old Masters, New World. America’s Raid on Europe’s Great Pictures, London 2008.