Die Rechte der Frau (aus dem Französischen von Gisela Bock) Veröffentlicht im Rahmen des Themenschwerpunkts „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“

An die Königin Madame, Wenig geübt in der Sprache, in der man zu Königen spricht, werde ich mich nicht der Schmeichelei der Höflinge befleißigen, um Euch dieses einzigartige Werk zu widmen. Mein Ziel, Madame, ist es, offen zu Euch zu sprechen. Um mich dergestalt zu äußern, musste ich nicht das Zeitalter der Freiheit abwarten; ich habe mich mit gleicher Tatkraft zu einer Zeit gezeigt, als die Despoten in ihrer Verblendung einen so kühnen Edelmut noch bestraften. [...]

Gouges, Olympe de: Die Rechte der Frau[1]

An die Königin

Madame,

Wenig geübt in der Sprache, in der man zu Königen spricht, werde ich mich nicht der Schmeichelei der Höflinge befleißigen, um Euch dieses einzigartige Werk zu widmen. Mein Ziel, Madame, ist es, offen zu Euch zu sprechen. Um mich dergestalt zu äußern, musste ich nicht das Zeitalter der Freiheit abwarten; ich habe mich mit gleicher Tatkraft zu einer Zeit gezeigt, als die Despoten in ihrer Verblendung einen so kühnen Edelmut noch bestraften. [...]

Möge ein edleres Bestreben [als Intrigen zum Schaden Frankreichs] Euch auszeichnen, Madame, Euren Ehrgeiz beflügeln und Eure Blicke auf sich ziehen. Allein derjenigen, die der Zufall in einen so herausragenden Rang erhoben hat, gebührt es, den Rechten der Frau zum Aufschwung zu verhelfen und ihren Erfolg zu beschleunigen. [...] Dieses Werk [Eurem Geschlecht die Position zu verleihen, die ihm zukommt] kann nicht an einem Tag vollendet werden, zum Unglück für das neue Regime. Diese Revolution wird sich erst dann verwirklichen, wenn alle Frauen von ihrem beklagenswerten Los und vom Verlust ihrer Rechte in der Gesellschaft überzeugt sind. Unterstützt eine so schöne Sache, Madame; verteidigt dieses unglückliche Geschlecht, und bald werdet Ihr die eine Hälfte des Königreichs auf Eurer Seite haben und von der anderen mindestens ein Drittel. [...]

Mit dem Ausdruck tiefster Ehrerbietung verbleibe ich, Madame, Eure ergebenste und gehorsamste Dienerin

De Gouges

Die Rechte der Frau

Mann, bist du fähig, gerecht zu sein? Eine Frau stellt dir diese Frage; zumindest dieses Recht wirst du ihr nicht nehmen können. Sag mir, wer hat dir die selbstherrliche Macht verliehen, mein Geschlecht zu unterdrücken? Deine Kraft? Deine Talente? Sieh den Schöpfer in seiner Weisheit; prüfe die Natur, der du dich anscheinend nähern willst, in all ihrer Majestät und zeige mir, wenn du es wagst, ein Beispiel für solche tyrannische Herrschaft.[x] Wende dich den Tieren zu, befrage die Elemente, studiere die Pflanzen, wirf schliesslich einen Blick auf all die Vielfalt der belebten Materie; und füge dich dem Offensichtlichen, wenn ich dir die Mittel dazu an die Hand gebe. Suche, untersuche und unterscheide, wenn du es kannst, die Geschlechter in der Ordnung der Natur. Überall wirst du sie vermischt finden, überall arbeiten sie in harmonischer Gemeinschaft an diesem unsterblichen Meisterwerk.

Allein der Mann hat sich aus seiner Ausnahme ein Prinzip zurechtgeschustert. Wunderlich, verblendet, aufgeblasen von den Wissenschaften und degeneriert, will er – in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des Scharfsinns in krasseste Unwissenheit zurückfallend – despotisch über ein Geschlecht befehligen, das alle intellektuellen Fähigkeiten besitzt. Dieses Geschlecht beansprucht, aus der Revolution einen Nutzen zu ziehen und sein Recht auf Gleichheit einzufordern, um nicht noch mehr zu sagen.[2]

Erklärung der Rechte der Frau und der Bürgerin

zu verabschieden von der Nationalversammlung in ihren letzten Sitzungen oder in der nächsten Legislaturperiode

Präambel

Die Mütter, die Töchter, die Schwestern, Vertreterinnen der Nation, verlangen, als Nationalversammlung konstituiert zu werden.[3] In Erwägung, dass die Unwissenheit, das Vergessen oder die Missachtung der Rechte der Frau die alleinigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind, haben sie beschlossen, in einer feierlichen Erklärung die natürlichen, unveräusserlichen und heiligen Rechte der Frau darzulegen, damit diese Erklärung allen Gliedern des Gesellschaftskörpers ständig gegenwärtig ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; damit die Handlungen der Macht von Frauen und diejenigen der Macht von Männern in jedem Augenblick mit dem Endzweck jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr geachtet werden; damit die Ansprüche der Bürgerinnen, fortan auf einfache und unbestreitbare Prinzipien gegründet, sich immer auf die Erhaltung der Verfassung, der guten Sitten und das Glück aller richten mögen.

Daher anerkennt und erklärt das Geschlecht, das an Schönheit wie an Mut im Ertragen der Leiden der Mutterschaft überlegen ist, in Gegenwart und unter dem Schutze des Höchsten Wesens, die folgenden Rechte der Frau und der Bürgerin.

I. Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich an Rechten. Soziale Unterschiede können nur auf den gemeinen Nutzen gegründet sein.

II. Der Endzweck jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräusserlichen Rechte der Frau und des Mannes. Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und vor allem Widerstand gegen Unterdrückung.

III. Der Ursprung jeder Souveränität ruht seinem Wesen nach in der Nation, die nichts anderes ist als die Vereinigung von Mann und Frau: keine Körperschaft, kein Individuum kann eine Autorität ausüben, die nicht ausdrücklich von ihr ausgeht.

IV. Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, alles zurückzugeben, was einem anderen gehört; die Ausübung der natürlichen Rechte der Frau hat mithin keine Grenzen außer in der ständigen Tyrannei, die der Mann ihr entgegensetzt. Diese Grenzen müssen durch die Gesetze der Natur und der Vernunft reformiert werden.

V. Die Gesetze der Natur und der Vernunft verbieten alle Handlungen, die der Gesellschaft schaden. Alles, was nicht von diesen weisen und göttlichen Gesetzen verboten wird, kann nicht behindert werden, und niemand kann gezwungen werden, etwas zu tun, was sie nicht vorschreiben.

VI. Das Gesetz muss der Ausdruck des Gemeinwillens sein; alle Bürgerinnen und Bürger müssen persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Bildung mitwirken. Es muss für alle das gleiche sein: Alle Bürgerinnen und alle Bürger müssen, da sie vor den Augen des Gesetzes gleich sind, gleichermaßen zu allen Würden, Stellungen und öffentlichen Ämtern zugelassen werden, entsprechend ihrer Fähigkeit und ohne andere Unterschiede als die ihrer Tugenden und ihrer Talente.

VII. Keine Frau hat Sonderrechte. Frauen werden in den vom Gesetz bestimmten Fällen angeklagt, festgenommen und gefangengehalten. Frauen sind diesem strengen Gesetz ebenso wie Männer unterworfen.

VIII. Das Gesetz soll nur solche Strafen verhängen, die unbedingt und offenkundig notwendig sind, und niemand kann bestraft werden außer aufgrund eines Gesetzes, das bereits vor der Tat erlassen und verkündet wurde und rechtmäßig auf Frauen anwendbar ist.

IX. Jede für schuldig befundene Frau unterliegt der ganzen Strenge des Gesetzes.

X. Niemand darf wegen seiner Ansichten, selbst wenn sie grundsätzlicher Art sind, behelligt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen; sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednertribüne zu besteigen, sofern ihre Äußerungen nicht die durch das Gesetz festgelegte öffentliche Ordnung stören.

XI. Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Frauenrechte, denn diese Freiheit sichert die Legitimität der Väter gegenüber ihren Kindern. Jede Bürgerin kann daher in aller Freiheit sagen: „Ich bin die Mutter eines Kindes, das von Euch stammt“, ohne dass ein barbarisches Vorurteil sie zwänge, die Wahrheit zu verbergen. Allerdings unter dem Vorbehalt der Haftung im Falle von Missbrauch dieser Freiheit in den vom Gesetz bestimmten Fällen.

XII. Die Gewährleistung der Rechte der Frau und Bürgerin muss einem höheren Nutzen verpflichtet sein; sie muss zum Wohle aller gereichen, nicht zum persönlichen Nutzen derer, denen sie anvertraut wird.

XIII. Zum Unterhalt der Polizei und zu den Kosten der Verwaltung tragen Frauen und Männer gleichermaßen bei. Weil die Frau an allen Diensten und Lasten beteiligt ist, muss sie gleichermaßen beteiligt sein an der Verteilung der Posten, der Anstellungen, der Aufträge, der Würden und der Gewerbe.

XIV. Die Bürgerinnen und Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Vertreter die Notwendigkeit der öffentlichen Steuer festzustellen. Die Bürgerinnen können dem aber nur dann beipflichten, wenn ihnen ein gleicher Anteil nicht nur am Vermögen zugestanden wird, sondern auch an den öffentlichen Ämtern, und sie die Höhe der Abgaben, ihre Verwendung, Einziehung und Zeitdauer mitbestimmen.

XV. Die Masse der Frauen, die zur Steuerleistung mit der der Männer zusammengeschlossen ist, hat das Recht, von jeder öffentlichen Instanz Rechenschaft über ihre Amtsführung zu fordern.

XVI. Jede Gesellschaft, in der die Verbürgung der Rechte nicht gesichert und die Trennung der Gewalten nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung. Die Verfassung ist null und nichtig, wenn nicht die Mehrheit der Individuen, welche die Nation bilden, an ihrem Zustandekommen mitgewirkt hat.

XVII. Eigentum steht beiden Geschlechtern zu, ob gemeinsam oder getrennt. Jedes von ihnen hat darauf ein unverletzliches und heiliges Anrecht. Niemandem darf das Eigentum, wahrhaftes Erbteil der Natur, genommen werden, es sei denn, die gesetzlich festgestellte öffentliche Notwendigkeit erforderte es offenkundig, und unter der Bedingung einer gerechten und vorherigen Entschädigung.

Postambel

Frauen, erwachet; die Sturmglocke der Vernunft ist im ganzen Universum zu hören; erkennt eure Rechte! Das gewaltige Reich der Natur ist nicht mehr umlagert von Vorurteilen, Fanatismus, Aberglaube und Lügen. Die Fackel der Wahrheit hat alle Wolken der Dummheit und Anmaßung zerstreut. Der versklavte Mann hat zwar seine Kräfte vervielfacht, aber er hat der eurigen bedurft, um seine Ketten zu sprengen. Kaum in Freiheit versetzt, ist er nun selbst ungerecht geworden gegen seine Gefährtin. O Frauen! Frauen, wann wird eure Verblendung ein Ende haben? Was sind denn die Vorteile, die euch aus der Revolution erwachsen sind? Ihr werdet noch mehr verachtet, noch offener verhöhnt. In den Jahrhunderten der Korruption habt ihr nur über die Schwächen der Männer geherrscht. Eure Herrschaft ist zerstört, was bleibt euch also? Die Überzeugung, dass der Mann ungerecht ist; der Anspruch auf das, was euch zusteht, der sich auf die weisen Verfügungen der Natur beruft. Was hättet ihr angesichts einer so schönen Aufgabe zu befürchten? Den spöttischen Tadel des Gesetzgebers bei der Hochzeit von Kanaan? Fürchtet ihr, dass unsere französischen Gesetzgeber – Richter über jene Moral, die sich lange Zeit in der Politik eingenistet hat, nun aber überlebt ist – es euch wiederholen: „Frauen, was habt ihr mit uns gemein?“ „Alles“, werdet ihr zu entgegnen haben.[4] Und wenn sie sich in ihrer Schwäche darauf versteifen, mit ihren eigenen Prinzipien in Widerspruch zu geraten, dann setzt beherzt die Macht der Vernunft ihren eitlen Anmaßungen entgegen, euch überlegen zu sein. [...]

Frauen haben mehr Böses als Gutes getan. Zwang und Verstellung sind ihr Erbteil gewesen. Was ihnen durch Gewalt geraubt wurde, haben sie durch List zurückgewonnen. Sie haben alle Mittel ihrer Reize ausgespielt, sodass selbst der ehrenhafteste Mann ihnen nicht widerstehen konnte. Gift und Dolch, auf alles verstanden sie sich; sie befehligten das Verbrechen wie die Tugend. Insbesondere die französische Regierung war jahrhundertelang abhängig von den nächtlichen Machenschaften der Frauen. Das Kabinett war vor ihrer Indiskretion nicht sicher, weder Botschaft, Heeresleitung, Ministerium, Präsidium noch Pontifikat[xx] und Kardinäle, kurzum alles, was die Torheit der Männer ausmacht, ob im weltlichen oder geistlichen Bereich, alles war der Begierde und dem Ehrgeiz dieses Geschlechts unterworfen: des Geschlechts, das einstmals verächtlich, doch respektiert war und seit der Revolution respektabel ist, doch verachtet wird. Was hätte ich an dieser Art von Paradoxa nicht noch alles vorzubringen! [...]

Ich kehre nun noch einmal zu meinen Ausführungen über die Sitten zurück. Die Ehe ist das Grab des Vertrauens und der Liebe. Die verheiratete Frau kann ihrem Mann ungestraft Bastarde unterschieben und ihnen damit sein Vermögen, das ihnen nicht zusteht, zuschanzen. Die Unverheiratete hingegen hat nur ein schwaches Recht: alte und unmenschliche Gesetze verweigerten ihr für ihre Kinder das Anrecht auf den Namen und auf Hab und Gut ihres Vaters, und man hat keine neuen Gesetze auf diesem Gebiet gemacht. Wenn mein Versuch, meinem Geschlecht eine achtbare und gerechte Existenzgrundlage zu verschaffen, gegenwärtig als ein selbstverschuldetes Paradoxon angesehen wird, als der Versuch, Unmögliches anzustreben, dann überlasse ich den Menschen der Zukunft den Ruhm, diese Frage zu behandeln; aber bis es soweit ist, kann man es durch ein nationales Bildungswesen, durch eine Erneuerung der Sitten und durch Eheverträge vorbereiten.

Muster eines Gesellschaftsvertrags zwischen Mann und Frau

Wir, N. und N., verbinden uns, geleitet von unserem eigenen Willen, für die Zeit unseres Lebens und für die Dauer unserer gegenseitigen Zuneigung zu den folgenden Bedingungen: Wir beabsichtigen und wollen unsere Vermögen in eine Gütergemeinschaft überführen, behalten uns jedoch das Recht vor, unser Vermögen zugunsten unserer Kindern sowie derjenigen, die wir aus einem anderweitigen Verhältnis haben könnten, aufzuteilen; wir anerkennen gegenseitig, dass unser Vermögen direkt unseren Kindern gehört, welchem Beilager sie auch entstammen mögen, und dass alle ohne Unterschied das Recht haben, den Namen der Väter und Mütter zu tragen, die sich zu ihnen bekannt haben, und wir verpflichten uns, das Gesetz gutzuheißen, das die Verleugnung des eigenen Blutes bestraft. Wir verpflichten uns gleichermaßen für den Fall der Trennung, unser Vermögen zu teilen und den gesetzlich vorgesehenen Anteil unserer Kinder abzuziehen. Und im Falle einer dauerhaften Verbindung würde, wer zuerst zu sterben käme, die Hälfte seiner Güter seinen Kindern überschreiben; und wenn einer kinderlos stirbt, erbt der Überlebende von Rechts wegen alles, wofern nicht der Erblasser über die Hälfte des gemeinsamen Vermögens zugunsten Dritter verfügt hat.

Das wäre ungefähr das Muster des Ehevertrags, dessen Anwendung ich vorschlage. Beim Durchlesen dieses bizarren Textes sehe ich jetzt schon die Heuchler, die Prüden, den Klerus und die ganze höllische Brut sich gegen mich erheben. [... Aber] Dieses Gesetz wird vielleicht das Gemeinwohl sichern und die Verwirrung eindämmen, die so viele Opfer in die Häuser der Schande, der Erniedrigung und des Zusammenbruchs aller menschlichen Grundsätze führt, wo die Natur seit langem schmachtet. Mögen die Verleumder der vernünftigen Philosophie doch damit aufhören, gegen die ursprünglichen Sitten zu wettern, oder mögen sie zugrundegehen in der Flut ihrer Zitate! [xxx]

Ich wünsche auch noch ein Gesetz zugunsten von Witwen und alleinstehenden Frauen, die durch falsche Versprechungen eines Mannes, mit dem sie sich verbunden haben, getäuscht wurden. Ich möchte, sage ich, dass dieses Gesetz einen Wankelmütigen dazu zwingt, seine Verpflichtungen einzuhalten oder aber eine seinem Vermögen angemessene Entschädigung zu zahlen. Ich möchte auch, dass dieses Gesetz unerbittlich gegen die Frauen sei, zumindest gegen jene, welche die Stirn haben, schutzheischend ein Gesetz anzurufen, das sie selbst durch ihr liederliches Betragen übertreten haben – falls der Beweis dafür erbracht wird. Gleichzeitig wünschte ich, wie ich es bereits 1788 in Das ursprüngliche Glück des Menschen[5] dargelegt habe, dass die Freudenmädchen bestimmte Stadtviertel zugeteilt erhalten. Doch es sind nicht die Frauen der Straße, die am meisten zur Sittenverderbnis beitragen, sondern die Frauen der Gesellschaft. Indem man die letzteren bessert, ändert man die ersteren. Diese Kette brüderlicher Einigung wird zuerst Verwirrung stiften, aber letztlich ein vollkommenes Ganzes hervorbringen.

Ich biete ein unübertreffliches Mittel an, um die Seele der Frauen zu erheben: man muss sie an allen Tätigkeiten des Mannes teilnehmen lassen. Wenn der Mann sich darauf versteift, dieses Mittel für unanwendbar zu halten, soll er sein Vermögen mit der Frau teilen, und zwar nicht nach seiner Laune, sondern nach der Weisheit der Gesetze. Das Vorurteil fällt, die Sitten werden reiner, und die Natur setzt sich wieder in ihre Rechte ein. Fügt man dem noch die Priesterehe hinzu und eine Wiedererstarkung des Königs, so würde die französische Regierung nicht mehr zugrundegehen.

Es ist wohl nötig, etwas zu den Unruhen zu sagen, die, wie man hört, das Dekret zugunsten der Farbigen[6] auf unseren Inseln ausgelöst hat. Dort erbebt die Natur vor Abscheu, dort haben Vernunft und Menschlichkeit die verhärteten Seelen noch nicht gerührt. Dort vor allem versetzen Zwist und Zwietracht die Einwohner in Aufruhr. Es fällt nicht schwer, die Anstifter dieser Brandherde zu erraten: es gibt sie sogar inmitten der Nationalversammlung, und in Europa schüren sie das Feuer, das Amerika versengen soll. Die Kolonisten maßen sich an, als Despoten über Menschen zu herrschen, deren Väter und Brüder sie sind, und in Missachtung der Rechte der Natur gehen sie deren Ursprung bis in die geringste Nuance ihres Blutes nach. Diese unmenschlichen Kolonisten sagen: „Unser Blut fliesst zwar in ihren Adern, aber wir werden es, wenn nötig, unerbittlich vergiessen, um unsere Gier oder unseren blindwütigen Ehrgeiz zu befriedigen.“ Ausgerechnet in jenen Gefilden, die der Natur am nächsten sind, verleugnet der Vater den Sohn; taub für die Stimme des Blutes, erstickt er all ihren Zauber. Was kann man da von einem Widerstand, den man dem entgegensetzt, erhoffen? Mit Gewalt zu widerstehen, würde die Lage noch verschlimmern; weiter in Ketten zu verbleiben, bedeutet, dass alles Unheil über Amerika kommt.[7] [...]

P.S. Dieses Werk war seit einigen Tagen gesetzt; der Druck wurde noch verzögert; und in dem Moment, als Monsieur Talleyrand, dessen Name der Nachwelt stets teuer sein wird, sein Werk über die Grundsätze der öffentlichen Erziehung herausgebracht hat,[8] war dieser Text schon unter der Druckerpresse. Ich bin glücklich, wenn ich mit den Ansichten dieses Redners übereinstimme! Aber nunmehr kann ich nicht umhin, den Druck anzuhalten und der reinen Freude Ausdruck zu verleihen, die mein Herz angesichts der Nachricht empfunden hat, dass der König soeben die Verfassung angenommen hat und die Nationalversammlung, die ich momentan geradezu anbete – sogar einschließlich des Abbé Maury, und La Fayette ist ein Gott –, einstimmig eine Generalamnestie verkündet hat. Göttliche Vorsehung, hilf, dass diese öffentliche Freude keine falsche Illusion sei! Schicke uns unsere sämtlichen Flüchtlinge zurück und mach, dass ich mit einem liebenden Volk ihnen entgegeneilen kann, und an diesem Feiertag werden wir alle deine Macht preisen.


[1] Der Name der Autorin steht im Original nur am Ende der Adresse an die Königin; die im folgenden mit „x“ bezeichneten Anmerkungen stammen von Olympe de Gouges. Anders als manche Ausgaben nahelegen, trägt die Broschüre kein Datum. Für französische Editionen vgl. den zugehörigen Essay (Anm. 10, 11); eine historisch-kritische Ausgabe gibt es nicht. Das Original in der Bibliothèque Nationale Paris: <https://gallica2.bnf.fr/ark:/12148/bpt6k426138> (20.11.2009) sowie mit deren freundlicher Genehmigung auch unter: <https://www.europa.clio-online.de/2009/Article=412>. Vgl. auch: <https://www.hs-augsburg.de/~Harsch/gallica/Chronologie/18siecle/DeGouges/gou_decl.html> (20.11.2009). Wegen des Formats des „Themenportals europäische Geschichte“ werden hier nur etwa vier Fünftel des Textes wiedergegeben; das Übrige ist leicht in den bisher vorliegenden deutschen Editionen zu finden (vgl. dazu den Essay, Anm. 13, 14, 16). Die folgende Übersetzung stammt von Gisela Bock. Neben dem französischen Original habe ich die sechs vorliegenden Übersetzungen sowie ihre Divergenzen geprüft und einige Probleme geklärt. Für diejenigen Teile der 17 Artikel, die mit der „Erklärung“ von 1789 identisch sind, habe ich die Übersetzung von Wolfgang Kaiser benutzt (1991, siehe Anm. 14 zum Essay). Zur angegebenen Literatur vgl. ebenfalls den Essay.

[x] Von Paris bis Peru, von Japan bis Rom ist das dümmste Tier wohl doch der Mann.

[2] Dieser Satz ist in fast allen deutschen (und auch englischen) Übersetzungen inkorrekt übertragen; eine Ausnahme: Noack, Paul, Olympe de Gouges 1748-1793: Kurtisane und Kämpferin für die Rechte der Frau, München 1992, S. 164. Zur korrekten Übersetzung vgl. Blanc, Olivier, Olympe de Gouges, Paris 1981, S. 193 (dt. 1989, S. 196); Ders., Marie-Olympe de Gouges. Une humaniste à la fin du XVIIIe siècle, Paris 2003, S. 150. Ich danke Françoise Thébaud für ihre Beratung.

[3] Dieser Satz („être constituées en assemblée nationale“, vgl. das Dokument von 1789: „constitués en Assemblée nationale“) ist in den meisten deutschen Übersetzungen inkorrekt übertragen; korrekt aber in den beiden englischen Übersetzungen (siehe Anm. 12 zum Essay) und in Bei, Neda; Schwarz, Ingeborg, Olympe de Gouges: Les droits de la Femme. A la Reine. – Die Frauenrechte. An die Königin, in: Autorinnengruppe Uni Wien, Das ewige Klischee. Zum Rollenbild und Selbstverständnis bei Männern und Frauen, Wien 1981, S. 50; Gouges, Olympe de, Schriften, hg. von Dillier, Monika; Mostowlansky, Vera (die Übersetzerin); Wyss, Regula, Frankfurt am Main 1980, S. 40; Burmeister, Karl Heinz, Olympe de Gouges. Die Rechte der Frau 1791, Bern 1999, übersetzt von Ulrike Längle, S. 160. Zur korrekten Übersetzung vgl. z.B. Fauré, Christine, Des droits de l’homme aux droits des femmes: une conversion intellectuelle difficile, in: Dies. (Hg.), Encyclopédie politique et historique des femmes: Europe, Amérique du Nord, Paris 1997, S. 203-222, hier S. 212f.

[4] Johannes 2,4: „Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?“ („Quid mihi et tibi est, mulier?“). Vgl. auch Anm. 20 zum Essay.

[xx] Etwa Monsieur de Bernis, eine Kreatur der Madame de Pompadour.

[xxx] Abraham hatte sehr wohl legitime Kinder von Hagar, der Magd seiner Frau.

[5] Gouges, Olympe de, Le bonheur primitif de l’homme, ou les Rêveries patriotiques, Amsterdam 1789.

[6] Das Gesetz zugunsten der freien Farbigen (gens de couleur) stammt vom 15. Mai 1791. Von dem Aufstand der Sklaven, der Ende August begann, konnte de Gouges noch nicht erfahren haben, als sie „Die Rechte der Frau“ schrieb, und erst recht nicht von der Sklavenbefreiung im August/September 1793 auf Haiti und am 4.2.1794 in der Nationalversammlung. Vgl. Gliech, Oliver, Die Sklavenrevolution von Saint-Domingue/Haiti und ihre internationalen Auswirkungen, in: Hausberger, Bernd; Pfeisinger, Gerhard (Hgg.), Die Karibik. Geschichte und Gesellschaft 1492-2000, Wien 2005, S. 85-100; Dorigny, Marcel (Hg.), Les Abolitions de l’esclavage. De L. F. Sonthonax à V. Schœlcher 1793 – 1794 – 1848, Paris 1995; Blackburn, Robin, The Overthrow of Colonial Slavery 1776-1848, London 1988, S. 188-190.

[7] Die deutschen Übersetzungen (auch die englischen) dieser letzten Sätze divergieren enorm. Längle und Burmeister, Olympe de Gouges (siehe Anm. 3), nehmen an, das Original sei hier fehlerhaft.

[8] Charles Maurice de Talleyrand präsentierte der Nationalversammlung seinen Bericht am 10., 11. und 19. September 1791. Auch Mary Wollstonecraft bezog sich in ihrer „Vindication of the Rights of Woman“ (1792), die sie in Paris schrieb, auf Talleyrands Schrift (erwähnte aber nicht de Gouges’ Texte).


Die Quelle im französischen Original:
Gouges, Olympe de: Déclaration des droits de la femme
Für das Themenportal verfasst von

( 2009 )
Zitation
Die Rechte der Frau (aus dem Französischen von Gisela Bock) Veröffentlicht im Rahmen des Themenschwerpunkts „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <www.europa.clio-online.de/essay/id/q63-28390>.
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