Das Verhältnis zwischen Holländern, Indo-Europäern und Indonesiern. Europäisch-südostasiatische Kontaktgeschichte vom 17. bis 20. Jahrhundert[1]
Von Vincent Houben
Die europäisch-südostasiatische Kontaktgeschichte erforscht unter anderem die historischen Verbindungen zwischen Europa und den außereuropäischen Weltregionen, die zur Kolonisierung von Großteilen des Südens geführt haben. Im Rahmen der Etablierung und Konsolidierung der europäischen Kolonialstaaten im südostasiatischen Raum fanden wichtige Transfers statt: Die Macht wurde nach europäischem Muster zentralisiert. Die Kolonialstaaten errichteten moderne, rationale Verwaltungsinstitutionen und zogen international anerkannte Grenzen hoch. Anders als in Europa kam der Prozess der allmählichen Beschränkung der Staatsgewalt jedoch lange nicht in Gang und der Mehrheitsbevölkerung wurden keine Bürger- und politischen Mitspracherechte eingeräumt. In den kolonisierten Gebieten mussten die Europäer trotz ihrer Überlegenheit allerdings auch auf einheimische Strukturen und Personen zurückgreifen, was dem Kolonialstaat einen eigenartigen, hybriden Charakter verlieh.
Die Geschichte Indonesiens zeigt exemplarisch, wie sich die Kontaktgeschichte zwischen Ost und West inhaltlich gestaltet hat, und wie im Projekt der Kolonisierung schon die Voraussetzungen für die Dekolonisierung angelegt waren. Die Beziehung zwischen Niederländern und Indonesiern lief nach einer Phase der gegenseitigen Interaktion auf eine Verschärfung und Politisierung der Verhältnisse hinaus, weil die Unterworfenen sich der Ungleichheit der Machtverhältnisse immer bewusster wurden. Aufgrund des Zugangs zur westlichen Bildung bildete sich eine einheimische Intelligenzija, welche die westlichen Ideen der Nation und der nationalen Unabhängigkeit auf den durch die Kolonisierung geschaffenen Raum projizierte und eine breite Emanzipationsbewegung ins Rollen brachte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dadurch eine Restauration der Kolonialhegemonie verunmöglicht. Die Errichtung eines unabhängigen Staates war damit unausweichlich geworden.
Historisch ist das europäisch-südostasiatische Verhältnis zum einen durch Prozesse der Polarisierung und Abgrenzung gekennzeichnet, zum anderen durch Prozesse des Kulturtransfers und der Vermischung zwischen Europa und Asien und zwischen (einheimischer) Tradition und (europäischer) Moderne. Eine besondere, in der Historiografie Südostasiens bisher aber kaum beachtete, Rolle spielten dabei die Indo-Europäer oder europäisch-einheimischen Mestizos („Mischlinge“).
Die ersten Niederländer ließen sich in Indonesien im 17. Jahrhundert nieder. Damals untersagte die holländische Handelskompanie europäischen Frauen die Überfahrt nach Asien. Den holländischen Kaufleuten und Soldaten war es jedoch erlaubt, eine einheimische Frau als Partnerin zu nehmen. Bedingung für die offizielle Heirat war, dass die Frau dem Christentum beitrat und der Mann über den Grad von Wohlstand verfügte, der eine für Europäer angemessene Lebensführung gestattete. Da die meisten Europäer mit ihren einheimischen Frauen im Konkubinat lebten, stammten die Indo-Europäer mehrheitlich aus nicht vom Staat und der Kirche sanktionierten Beziehungen. In der Umgebung der ersten Handelsplätze und Festungen der Europäer bildeten sich ethnisch gemischte Siedlungen, in denen neben Chinesen, Arabern, Indern und Javanern auch Indo-Europäer oder „Mestizos“ lebten.
Da bis Ende des 19. Jahrhunderts die Zahl der europäischen Männer die der Frauen weit übertraf, wurde bis dahin das so genannte europäische Element in der niederländischen Kolonialgesellschaft vom „Mestizo“ geprägt. Tatsächlich schon im 18. Jahrhundert, formal-gesetzlich aber erst seit 1854 wurde zwischen Europäern, Einheimischen und „fremden Östlichen“ unterschieden. Innerhalb der indo-europäischen Gemeinschaft wurde eine Trennlinie gezogen zwischen denjenigen, die durch einen europäischen Vater nach der Geburt als Nachkommen anerkannt wurden und deshalb den Status von Europäern erworben hatten, und denjenigen, denen eine solche Anerkennung fehlte und die deshalb den Einheimischen zugerechnet wurden. Eine weitere soziale Kluft entstand am Ende des 19. Jahrhunderts, als aufgrund der verbesserten Transportmöglichkeiten mehr europäische Frauen in Indonesien eintrafen, die eine bürgerlich-europäische Moral mitbrachten und die einheimischen Konkubinen aus dem Haus verbannten. Damit wurde innerhalb der Kolonie eine neue soziale Barriere zwischen den „weißen Europäern“ und den „braunen Europäern“ errichtet.
Mit der Entstehung der indonesischen Nationalbewegung wuchs der Abstand zwischen Europäern und einheimischen Indonesiern, was die Indo-Europäer weiter ins Abseits brachte und ihnen letztendlich die Wahl aufzwang, sich entweder für oder gegen einen Zusammenschluss mit den Europäern zu entscheiden. 1912 wurde, unter dem Motto „Indien für die Inder“ die Indische Partei gegründet, welche die niederländische Kolonisierung radikal ablehnte und die Selbständigkeit unter der Herrschaft aller ‚Einheimischen’ – Indonesier, Chinesen und Indo-Europäer – einforderte. Die Partei, die primär ein Ausdruck der eigenständigen Emanzipationsbewegung von Indo-Europäern war, wurde jedoch verboten. Ihre Anführer wurden verbannt. Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde 1919 der Indo-Europäische Verbund errichtet, mit dem Ziel, die soziale, intellektuelle und wirtschaftliche Entwicklung dieser Bevölkerungsgruppe zu fördern. Die Partei baute stark auf der niederländischen Kolonialpolitik und Kultur auf. Diese Tendenz verschärfte sich im Zuge der Radikalisierung der Nationalbewegung.
Die Entwicklung der niederländischen Kolonialpolitik war für die gesellschaftliche Rolle der Indo-Europäer im 20. Jahrhundert von entscheidender Bedeutung. 1901 wurden die bisherigen offiziellen Leitprinzipien „Beherrschung“ und „Abschöpfung“ ersetzt durch die Konzepte „Entwicklung“ und „Selbstverwaltung“. Das war die Wende zur „ethischen Politik“, womit ein Programm bezeichnet wurde, das den gesamten indonesischen Archipel und seine Bevölkerung unter niederländischer Leitung und nach westlichem Vorbild zur Selbstverwaltung führen sollte. Die Konkretisierung und Umsetzung dieser Prinzipien erfolgte jedoch nur halbherzig, insbesondere durch eine zweckorientierte Wohlfahrtspolitik, die zu einer Erweiterung von Bildungsmöglichkeiten und einer Ausweitung von Reisfeldern durch die Verbesserung der Bewässerungsanlagen führte. Die Entwicklungspolitik wurde von den meisten Kolonialpolitikern nicht zu Ende gedacht, da eine zeitliche Begrenzung der Kolonialherrschaft nicht beabsichtigt war. Als die indonesische Emanzipationsbewegung zunehmend politische Forderungen stellte, wurde das „ethische Prinzip“ als Leitfaden der Kolonialpolitik aufgegeben und abgelöst von einer repressiven Herrschaft. Die Begründung dafür lautete, dass die Indonesier noch nicht über den notwendigen Entwicklungsstand für die Selbstverwaltung verfügten.
Von der konservativen Haltung der Kolonialbehörden unterschied sich nur die Stuw (Staudamm)-Gruppe, die sich von 1930 bis 1933 für eine Weiterverfolgung der „ethischen Prinzipien“ einsetzte. Die Stuw-Gruppe, der hohe Beamte der niederländischen Kolonial- und Staatsverwaltung, wie H. J. van Mook, F. M. van Asbeck und Th. A.
Fruin, angehörten, befürwortete eine Loslösung von Indonesien aus der niederländischen Kolonialherrschaft innerhalb absehbarer Zeit und wandte sich gegen den Versuch, die indonesische Nationalbewegung zu unterdrücken. Die Stuw-Bewegung konnte sich jedoch nicht gegen das herrschende politische Klima durchsetzen und zerbrach nach wenigen Jahren.
Th. A. Fruin, Professor an der Rechtshochschule in Batavia und Vorsitzender der Stuw-Gruppe bezog in seinen 1931 veröffentlichten „Bemerkungen zum Indo-Problem“[2]Stellung zu Fragen der Kolonialgesellschaft und ihrer Zukunft sowie der Rolle der Indo-Europäer. Fruin war zwar für seine Zeit fortschrittlich, aber immer noch den orientalistischen Schemata des Gegensatzes von Ost und West verhaftet. So stand auch für ihn der Westen für Rationalismus und Fortschritt, während der Osten Emotionalität und Stillstand repräsentierte. In einer ‚dualistischen’ Wirtschaft vertraten somit die Europäer und Chinesen die Dynamik der Moderne, die Indo-Europäer und Indonesier eine extensive Tradition.
Fruin hat in seinem Essay die Zukunft zum Großteil richtig vorhergesagt. Er schätzte die grundlegende Bedeutung der indonesischen Nationalbewegung richtig ein, indem er die fortschreitende Emanzipation der Indonesier als historische Notwendigkeit bewertete. Zugleich aber war er zu Recht pessimistisch, was die Möglichkeit der Indo-Europäer, sich zum Bindeglied zwischen Europa und Asien zu entwickeln, betraf. Aufstrebende westlich ausgebildete Indonesier sollten sie aus dieser Rolle verdrängen. Nur in einem Punkt hat Fruin sich geirrt: Die Zukunft der Indo-Europäer lag seiner Ansicht nach in der Assimilation mit den Indonesiern. Seine Einschätzung war damit von einer gewissen, unter damaligen Europäern üblichen Geringschätzung der „Mestizo“-Bevölkerung geprägt. Nach 1950 ist, wie wir jetzt wissen, die Mehrheit der Indo-Europäer dann aber nicht im indonesischen Volk aufgegangen, sondern in die Niederlande, nach Australien und Nordamerika ausgewandert und damit Teil der westlichen Moderne geworden.
[1] Essay zur Quelle Nr. 4.1, Thomas Anthonij Fruin über die Rolle und Zukunft der Indo-Europäer in den Niederländischen Kolonien Südostasiens (1931).
[2] Vgl. Quelle Nr. 4.1.
Literaturhinweise:
Bosma, Ulbe; Raben Remco, De oude Indische wereld 1500-1920, Amsterdam 2003
Wedema, Steven, „Ethiek“ und Macht. Die niederländisch-indische Kolonialverwaltung und indonesische Emanzipationsbestrebungen 1901-1927, Stuttgart 1998
Willems, Wim (Hg.), Indische Nederlanders in de ogen van de wetenschap, Leiden 1990