Das deutsch-spanische Kulturabkommen von 1939[1]
Von Falk-Thoralf Günther
Mit dem Kulturabkommen vom 19. Januar 1939 vereinbarten Spanien und das Deutsche Reich Studentenaustauschprogramme, Buchausstellungen oder die Einrichtung von entsprechenden Sprachkursen an den höheren Schulen, um die Beziehungen beider Länder zu vertiefen.[2] Das Abkommen beruhte auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit zwischen zwei augenscheinlich gleichberechtigten Partnern. Am Anfang dieser Beziehungen hat allerdings ein Hilferuf Francos an Hitler gestanden.
Am 23. Juli 1936 schickte Francisco Franco den deutschen Geschäftsmann Johannes Bernhardt zu Hitler. Bernhardt sollte den „Führer“ davon überzeugen, die Truppen des revoltierenden spanischen Generals mit Waffen und Flugzeugen zu unterstützen. Der am 18. Juli 1936 von Franco und einigen spanischen Offizieren initiierte Militärputsch war bereits einige Stunden nach seinem Beginn quasi gescheitert, da große Teile der Armee, der Polizei und der Bevölkerung sich ihm nicht angeschlossen hatten, sondern auf der Seite der gewählten republikanischen Regierung geblieben waren. Die Putschisten Francisco Franco und Emilio Mola waren dessen ungeachtet wild entschlossen, den Kampf nicht aufzugeben und wenn es sein musste, bis zum Äußersten zu gehen. Und das Äußerste war für die aus nationalistischen, konservativen und faschistischen Kreisen bestehenden Aufständischen der Bürgerkrieg.
Franco und die anderen aufständischen Offiziere konnten die Militäroffensive, mit der sie Spanien unter ihre Kontrolle zu bringen hofften, jedoch nur mit ausländischer Hilfe durchführen. Franco selbst stand mit seinen kampferprobten Söldnereinheiten, denen eine hohe strategische Bedeutung in den bevorstehenden Kämpfen zugedacht war, in Spanisch-Marokko. Da sich sowohl Marine als auch Luftwaffe auf die Seite der Republik gestellt hatten, war ein Übersetzen der Franco-Truppen auf die Iberische Halbinsel unmöglich. Für den General gab es nur eine Lösung: Das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland mussten helfen! Da Franco zu diesem Zeitpunkt noch über keinerlei verlässliche politische Kontakte in diese beiden Länder verfügte, musste er unkonventionell vorgehen. Er bat den ihm bekannten, in Spanisch-Marokko ansässigen deutschen Geschäftsmann Johannes Bernhardt, die fehlenden Kontakte nach Deutschland aufzubauen.
Bernhardt war Mitglied der Auslandsorganisation der NSDAP (NSDAP/AO) und konnte mithilfe seines Ortsgruppenleiters dem Unternehmen einen parteiamtlichen Charakter verleihen. Es gelang ihm schließlich auch, Hitler davon zu überzeugen, dass eine Unterstützung Francos Erfolg versprechend sei. Nach seiner Rückkehr aus Deutschland gründete Bernhardt mit der Genehmigung Francos am 31. Juli 1936 die „Compania Hispano-Marroqui de Transports“, kurz HISMA genannt, die er in der Folgezeit auch leitete. Die HISMA war zunächst als Tarnorganisation gegründet worden, um die mit deutschen Flugzeugen abgewickelten Truppentransporte von Spanisch-Marokko auf das spanische Festland zu verschleiern.
Durch die Hilfe aus dem Deutschen Reich, welches Waffen, Flugzeuge und später auch Soldaten – die berühmt-berüchtigte „Legion Condor“ – nach Spanien entsandte, gelang es Franco, nicht nur das spanische Festland zu erreichen, sondern auch – von Westen kommend – den Zusammenschluss mit den anderen aufständischen Militärverbänden aus dem Norden und Nordwesten zu realisieren. Dadurch wurde der zweiten spanischen Republik nach und nach Raum entzogen. Im März 1939 zogen die Rebellen schließlich in Madrid ein.[3]
Das Kulturabkommen mit Deutschland kam zu einer Zeit zustande, als das Franco-Regime noch nicht fest im Sattel saß und der General sich der Rückendeckung anderer faschistischer und autoritärer Regierungen vergewissern musste. Für Hitler hingegen ging es eher um Einflussnahme, wodurch die Position des Deutschen Reiches in Europa gestärkt werden sollte. Dem NS-Regime waren ab 1936 einige außenpolitische Coups gelungen, wie die Remilitarisierung des Rheinlandes, womit die Regelungen des Versailler Vertrags und des Locarnopakts negiert wurden, und die Eingliederung der mehrheitlich von Deutschen bewohnten Gebiete Böhmens und Mährens (damals als „Sudentenland“ bezeichnet) sowie Österreichs in das Deutsche Reich, wodurch Europa bereits 1938 an den Rand eines Krieges gedrängt worden war. Um nicht noch isolierter dazustehen und die eigene Lage sichern zu können, war es für Hitler notwendig, seinen Einflussbereich in Europa zu erweitern. Und das sollte auch auf kultureller Ebene geschehen, wofür das deutsch-spanische Kulturabkommen den Weg bereiten sollte. Mittelfristig wollte das Deutsche Reich Spanien in die so genannte „Achse Berlin-Rom“ einbinden, um damit das zunächst auf sich selbst konzentrierte autoritäre Regime Francos in die Machtpolitik des faschistisch-nationalsozialistischen Blocks einzubinden.
Dies geschah freilich nicht nur aus rein politischen Motiven, sondern war auch durch die Rohstoffversorgung des Reiches begründet. Schon Ende 1936, kurz nachdem Hitler und Mussolini die Regierung Francos anerkannt hatten, sandte Deutschland den Direktor des Berliner Ibero-Amerikanischen Instituts, Wilhelm Faupel, als Sonderbotschafter nach Spanien. „Wenn Spanien rot wird“, schrieb Propagandaminister Goebbels damals in sein Tagebuch, „dann ist Portugal und ein großer Teil von Südamerika kaum noch zu retten. Damit verlieren wir unsere Rohstoffbasis. Das darf um keinen Preis geschehen. Darum weitere Unterstützung.“[4]
Ähnlich drückte sich Wilhelm Faupel in seiner Denkschrift „Zur Spanienpolitik“ vom April 1938 aus, worin er gleich am Anfang auf die strategische Bedeutung der Iberischen Halbinsel einging, die als „Stütz- und Ausgangspunkt für [eine] weitere bolschewistische Ausbreitung in West-Europa, Nord-Afrika und Ibero-Amerika“ hätten dienen können. Er wies darin besonders auf die seit dem deutschen Engagement im Bürgerkrieg guten Möglichkeiten für einen kulturellen, militärischen und wirtschaftlichen Austausch mit Spanien hin.[5] Es ist freilich davon auszugehen, dass diese vermeintliche kommunistische Gefahr lediglich konstruiert war, um die geostrategischen und wirtschaftlichen Ambitionen des Deutschen Reiches zu verschleiern, die ohne Zweifel im Mittelpunkt der Bemühungen um Spanien standen. Demnach ist es der deutschen Führung vielmehr darum gegangen, die spanischen und lateinamerikanischen Rohstoffe abzuschöpfen, sich einen Markt zu erschließen und Großbritannien im besten Fall von diesem Handelsplatz fern zu halten.
Das Primat der wirtschaftlichen Interessen des Deutschen Reichs an Spanien kam in der Gründung der „Rohstoff- und Wareneinkaufsgesellschaft (ROWAK)“ im Jahr 1936 zum Ausdruck, die als Pendant zu der von Johannes Bernhardt geleiteten HISMA zu sehen ist. HISMA und ROWAK übernahmen im Zusammenspiel das Monopol im auf Kompensationsgeschäften beruhenden Handel zwischen dem Deutschen Reich und den von Franco kontrollierten spanischen Gebieten. Sinn und Zweck von HISMA und ROWAK war es hauptsächlich, möglichst viele Rohstoffe und Lebensmittel von Spanien nach Deutschland zu transferieren. Die HISMA erwarb zudem immer mehr Bergbaurechte in Spanien und konnte damit einen großen Teil der Versorgung des Deutschen Reiches mit wehrwirtschaftlich relevanten Ressourcen gewährleisten. Das iberische Land wurde dadurch aus deutscher Sicht ein immer wichtigerer Rohstofflieferant, der zudem nicht mit raren Devisen bezahlt werden musste. In Anbetracht dessen muss die vorgeschobene kommunistische Gefahr, die von Spanien ausgehen sollte, tatsächlich bloß als unkomplizierte Variante zur Legitimierung des deutschen Eingreifens in Spanien verstanden werden. Faupels Aufgabe als deutscher Geschäftsträger bei Franco sollte es also auch nicht sein, sich in die Belange Spaniens einzumischen. Vielmehr hatte er dafür zu sorgen, dass nach einem Ende des Bürgerkriegs die Außenpolitik des Landes, egal welches politische System in Spanien herrschen würde, vom Deutschen Reich beeinflusst wurde – und nicht von Frankreich, Großbritannien oder der Sowjetunion.[6]
Das Kulturabkommen steht im Kontext dieser Ereignisse und sollte auf der kulturellen Ebene den Schulterschluss mit Spanien vervollständigen. Bis auf kürzere Passagen, durch die geregelt wurde, dass politische Emigranten aus einem der beiden Partnerländer im jeweils anderen Land nicht publizieren und regimekritische Bücher nicht in den Handel oder in öffentliche Bibliotheken gelangen durften, ist der Kulturvertrag sprachlich sehr neutral gehalten. Das allein ist noch nicht so bemerkenswert, denn diplomatische Texte werden in der Regel unverfänglich formuliert. Vielmehr sind es die Mittel, mit denen die kulturellen Beziehungen zementiert werden sollten, denen einige Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Studentenaustauschprogramme und Stipendien waren ebenso Bestandteil des Kulturabkommens wie der Austausch im Bereich von Film und Theater. Ebenso sollten deutsche bzw. spanische Schulen im jeweils anderen Land entstehen, deren Zeugnisse volle Anerkennung bekommen sollten.
Auswärtige Kulturpolitik geht bekanntlich selten ohne weitere Absichten über den Nutzen des kulturellen Engagements für andere Politikfelder vonstatten. Im Dritten Reich war die auswärtige Kulturpolitik eng mit der nationalsozialistischen Kulturpropaganda verbunden. Was unter der Bezeichnung „Studentenaustausch“ sehr harmlos daher kommt, birgt die Idee der ideologischen und kulturellen Einflussnahme auf die künftigen spanischen Eliten in sich und bekommt, gepaart mit dem Ansatz der Kulturpropaganda, einen aggressiven Beigeschmack. Auch der Austausch im filmischen Bereich bekommt eine deutlich politische Konnotation, wenn dabei berücksichtigt wird, dass gerade die Nationalsozialisten den Wert des Films für Propagandazwecke sehr früh erkannt und davon auch intensiv Gebrauch gemacht haben.
Eine der wichtigen Stellen, über die diese Kulturaustauscharbeit in Deutschland lief, war das Ibero-Amerikanische Institut in Berlin. Nachdem Wilhelm Faupel 1938 als Direktor an das Institut zurückgekehrt war, wurde dem iberischen Raum, vor allem Spanien, mehr Aufmerksamkeit geschenkt. In der seit etwa 1938 bestehenden Betreuungsabteilung des Instituts kümmerte man sich in zunehmendem Maße auch um spanische Gäste, zu denen nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges besonders die Angehörigen der „Blauen Division“, einer spanischen Freiwilligeneinheit, gehörten.
Das deutsch-spanische Kulturabkommen lehnte sich in Grundzügen an den bereits am 23. November 1938 unterzeichneten deutsch-italienischen Kulturvertrag an. Die Vereinbarungen, die das Deutsche Reich und Italien darin getroffen hatten, waren in vielen Belangen umfangreicher. Vor dem Hintergrund der bereits seit Längerem bestehenden intensiven Kontakte zwischen beiden autoritären Staaten dürfte das kaum verwundern. So unterstützte das nationalsozialistische Deutschland Italien nicht nur durch Rohstofflieferungen im Abessinienkrieg 1935, sondern vereinbarte mit ihm auch eine intensive deutsch-italienische Zusammenarbeit, für die Mussolini die griffige Bezeichnung „Achse Berlin-Rom“ prägte. Dadurch, dass das deutsch-spanische Abkommen den Vereinbarungen zwischen Deutschland und Italien so ähnlich war, die sozusagen einen Teil des Präludiums für den 1939 geschlossenen „Stahlpakt“ und die Allianz der so genannten „Achsenmächte“ im Zweiten Weltkrieg darstellten, wird erkennbar, welche Tragweite diesem Abkommen – zumindest von deutscher Seite – beigemessen wurde: Aus Italien, Spanien und dem Deutschen Reich sollte wenigstens schon einmal auf kulturpolitischer Ebene eine faschistische Front gebildet werden, durch die die expansionistische Politik Deutschlands und zumindest auch Italiens vorbereitet werden konnten. Allerdings zeigte sich Francisco Franco nicht unbedingt als der treue Verbündete, den sich die deutsche Führung gewünscht hatte, denn trotz der deutschen und italienischen Unterstützung im Bürgerkrieg und des darauf aufbauenden Kulturabkommens gelang es nicht, Spanien stärker in den Kreis der Achsenmächte einzubinden. Die Folgen des verheerenden Bürgerkriegs waren in Spanien noch so deutlich zu spüren, dass eine Kriegsteilnahme des Landes, bis auf die Entsendung der „Blauen Division“, zu riskant erschien.
Franco gelang es, bis zu seinem Tode 1975 in Spanien an der Macht zu bleiben, wozu neben der äußerst repressiven Innenpolitik auch die offizielle Neutralität des Landes während des Zweiten Weltkrieges beigetragen hat. Nach dem Krieg war Spanien zunächst außenpolitisch isoliert; aufgrund seiner geostrategischen Lage und bedingt durch den Kalten Krieg gelang es Franco jedoch diese Isolation zu durchbrechen und sein Land enger an die Vereinigten Staaten zu binden. Im Jahre 1954 kam es zu einem erneuten deutsch-spanischen Kulturabkommen, welches nun die Bundesrepublik Deutschland mit dem Franco-Regime schloss und das ebenfalls Studentenaustauschprogramme als ein probates Mittel der interkulturellen Verständigung kannte.
[1] Essay zur Quelle: Deutsches Nachrichtenbüro (DNB), Meldung zum deutsch-spanischen Kulturabkommen (19. Januar 1939); [Auszüge].
[2] In den Quellen des Auswärtigen Amtes wird die Unterzeichnung des Kulturabkommens erst auf den 24. Januar 1939 datiert. Vgl. Schmitt, Bernadotte E. u.a. (Hgg.), Akten zur deutschen auswärtigen Politik 1918-1945 aus dem Archiv des deutschen Auswärtigen Amtes, Serie D (1937-1945), Bd. III, Baden-Baden 1951, S. 697-704.
[3] Vgl. Eickhoff, Georg, Das Charisma der Caudillos. Cárdenas, Franco, Perón, Frankfurt am Main 1999, S. 77-133.
[4] Zitiert nach: Fröhlich, Elke (Hg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil 1, Bd. 3, München 2001, S. 302; vgl. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 61227, Denkschrift „Zur Spanienpolitik“ vom April 1938.
[5] Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, R 61227, Denkschrift „Zur Spanienpolitik“ vom April 1938.
[6] Vgl. Bernecker, Walther L., Krieg in Spanien 1936-1939, Darmstadt 1991, S. 50-62.
Literaturhinweise:
Abendroth, Hans-Henning, Hitler in der spanischen Arena. Die deutsch-spanischen Beziehungen im Spannungsfeld der europäischen Interessenpolitik vom Ausbruch des Bürgerkrieges bis zum Ausbruch des Weltkrieges 1936-1939, Paderborn 1973.
Bernecker, Walther L., Krieg in Spanien 1936-1939, Darmstadt 1991.
Schauff, Frank, „Der Spanische Bürgerkrieg“, Göttingen 2006.
Seidel, Carlos Collado, Der Spanische Bürgerkrieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, München 2006.
Whealey, Robert H., Hitler and Spain. The Nazi Role in the Spanish Civil War 1936-1939, Lexington 1989.