Lehrformen der deutschen Universität des 19. Jahrhunderts als Vorbild für Reformen in Frankreich? Das Beispiel der Geschichtswissenschaft

In der historiografiegeschichtlichen Forschung hielt sich lange Zeit die Vorstellung, die französische Geschichtswissenschaft habe sich im 19. Jahrhundert nicht nur hinsichtlich ihrer Forschungs- und Darstellungsmethoden, sondern auch bei ihren institutionellen Formgebungen am ,Deutschen Modell‘ orientiert, das heißt Strukturen der deutschen Geschichtswissenschaft importiert. Empirische Studien belegen aber eher die Eigenständigkeit der französischen historischen Disziplin, die insbesondere im tertiären Bildungssektor große Unterschiede zu ihrem deutschen Pendant aufwies. Letztlich war der französische Rekurs auf das deutsche System von den eigenen Interessen und Vorstellungen bezüglich der Weiterentwicklung der Disziplin geprägt. Der Verweis auf Deutschland fungierte als Katalysator in der Reformdiskussion, als Diskurs.[...]

Lehrformen der deutschen Universität des 19. Jahr­hunderts als Vorbild für Reformen in Frankreich? Das Beispiel der Geschichtswissenschaft

Von Gabriele Lingelbach

In der historiografiegeschichtlichen Forschung hielt sich lange Zeit die Vorstellung, die französische Geschichtswissenschaft habe sich im 19. Jahrhundert nicht nur hinsichtlich ihrer Forschungs- und Darstellungsmethoden, sondern auch bei ihren institutionellen Formgebungen am ,Deutschen Modell‘ orientiert, das heißt Strukturen der deutschen Geschichtswissenschaft importiert. Empirische Studien belegen aber eher die Eigenstän­digkeit der französischen historischen Disziplin, die insbesondere im tertiären Bildungs­sektor große Unterschiede zu ihrem deutschen Pendant aufwies. Letztlich war der franzö­sische Rekurs auf das deutsche System von den eigenen Interessen und Vorstellungen bezüglich der Weiterentwicklung der Disziplin geprägt. Der Verweis auf Deutschland fungierte als Katalysator in der Reformdiskussion, als Diskurs. Als Diskurs war das ,Deutsche Modell‘ wirkungsmächtig, weniger aber als konkretes Vorbild, denn die sehr spezifische institutionelle Strukturierung des französischen Universitäts- und Spezial­schulsystems verhinderte einen ,Import‘ ausländischer Modelle weitgehend.

Au sein de la recherche historiographique, l’idée que les sciences historiques françaises du 19ème siècle s’étaient inspirées du « modèle allemand » non seulement du point de vue des méthodes de recherche et de présentation mais aussi de ses formes institutionnelles a prévalu pendant longtemps. En somme, elles auraient tout simplement importé les struc­tures de la science historique allemande. Pourtant, des études empiriques prouvent l’autonomie de la discipline historique française ainsi que des différences considérables par rapport à son homologue allemande, notamment dans l’enseignement supérieur. En fin de compte, la référence au système allemand était motivée principalement par des intérêts et considérations nationaux quant à l’évolution à donner à la discipline. La réfé­rence à l’Allemagne servait de catalyseur dans les débats d’horizon intellectuel, si l’on veut. En tant que tel, le « modèle allemand » avait beaucoup d’efficacité, beaucoup moins, par contre, comme exemple concret, car l’articulation institutionnelle très spécifi­que du système français autour des universités et des grandes écoles empêchait dans une large mesure l’« importation » de modèles étrangers.

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Während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – genauer: seit den späten 1860er Jahren bis etwa zur Jahrhundertwende – erlebte der französische tertiäre Bildungssektor eine grundlegende Reform.[1] Es entstanden neue Institutionen wie etwa die École Pratique des Hautes Études oder die École Libre des Sciences Politiques. Gleichzeitig wurden mehrere bereits bestehende Bildungseinrichtun­gen bedeutenden Änderungen unterzogen, vor allem die französischen Fakultäten, deren Finanzierungsgrundlage, deren institutionelle Struktur, deren Curricula und Karrieremuster durch die neue republikanische Staatsführung umgestaltet wurden. Diese Reformen dienten zum einen dazu, den tertiären Bildungssektor den neuen Erfordernissen im Rahmen des wissenschaftlichen und technologischen Wandels anzupassen, zum anderen, die französische Wissenschaftslandschaft im internati­onalen Konkurrenzkampf insbesondere mit dem ehemaligen Kriegsgegner Deutschland wettbewerbsfähiger zu machen. Im Zuge dessen änderten sich auch die Lernziele und die Lehrmethoden an einigen Institutionen des französischen Bildungssektors.[2] Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob man sich bei diesen Reformen – bei der Umgestaltung der Lehrformen bzw. der didakti­schen Praktiken – an deutschen Vorbildern orientierte. Dies soll am konkreten Beispiel der französischen Geschichtswissenschaft nachvollzogen werden[3], von der in der Forschung oft behauptet wurde, sie sei während der letzten drei bis vier Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts stark von ihrem deutschen Pendant beeinflusst gewesen.[4]

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es an deutschen Universitäten – an eini­gen früher, an anderen später – zu einer Umgestaltung bzw. Erweiterung der Lehr­formen auch im Bereich der Geschichtswissenschaft.[5] Zuvor hatte die akromati­sche Lehrform, also die Vorlesung vorgeherrscht, in der der Dozent einen Vortrag hielt, die Studierenden diesem zuhörten. Doch die Vorlesung als dominie­rende universitäre Unterrichtsform wurde angesichts neuer Lehrinhalte und -ziele immer inadäquater. Das zu vermittelnde Wissen wurde umfangreicher und klein­teiliger, man wies außerdem der Philosophischen Fakultät in zunehmendem Maße die Funktion zu, Wissen nicht nur wie in der Schule zu verbreiten, sondern zugleich neues Wissen zu erschaffen; Forschung wurde zusätzlich in ihren Aufga­benbe­reich integriert. Dies verdeutlichte sich auch im Bereich des Geschichts­unter­richts: Unter anderem im Zeichen der zunehmenden Spezialisierung der Disziplin und der so genannten empirischen Wende gegen die philosophischen Universal­historiker der Aufklärungszeit, begannen an der Universität lehrende Historiker zu Beginn des 19. Jahrhunderts neben den allgemein gehaltenen Über­blicksvorlesun­gen private Historische Übungen zu veranstalten, die zunächst meist in der Woh­nung der Dozenten stattfanden.[6] Leopold Rankes Historische Übung in Berlin, die er seit 1825 anbot, gilt – neben der von Georg Waitz in Göttingen, die erstmals 1849 abgehalten wurde – als die bekannteste. Aber bereits 1809 lässt sich an der Universität Leipzig eine mit historischen Studien befasste seminaristische Gesell­schaft nachweisen, die vom Geschichtsdozenten Hans Karl Dippold geleitet wurde. Diese Lehrveranstaltung war im Vorlesungsverzeichnis als societas histo­rica angekündigt und hatte als Ziele eine „engere Vereinigung von Docenten und Studierenden“, den „Austausch der Ideen und Kenntnisse“, der so besser stattfin­den könne als durch Vorlesungen sowie die Erstellung von „rein historische[n] Darstellungen, die, so weit es jedes Mitgliedes anderweitiger Beruf und Zeit zu­lassen, aus den Quellen geschöpft werden.“[7] Hier waren bereits all jene Elemente angelegt, die die späteren Historischen Seminare als Lehrform zumin­dest idealiter bestimmen sollten: Sie standen im Gegensatz zur Vorlesung bzw. waren deren Gegenstück und Ergänzung; sie waren dialogisch und nicht akroma­tisch ausge­richtet; Dozenten und Studierende erarbeiteten gemeinsam ein Thema, wobei der Dozent als primus inter pares agierte, die Studierenden aber ebenfalls ihre eige­nen Ideen und Erkenntnisse einbrachten; ihr Ziel war, nicht nur bereits bekanntes Wissen zu reproduzieren, sondern zusätzlich neues Wissen zu gewin­nen, und dies mit Hilfe einer quellennahen Vorgehensweise. Die Teilnehmer erlernten so in einem ‚learning-by-doing‘-Prozess unter Aufsicht des Professors das epistemolo­gische und praktische ‚Handwerkszeug‘, welches ein Vertreter der sich von der Philologie emanzipierenden jungen Disziplin benötigte. Diese Form des zumin­dest in Ansätzen enthierarchisierten gemeinsamen Forschens war keine völlige Neuerfindung, sondern knüpfte einerseits an ihre philologischen Vorläu­fer, ande­rerseits an Praktiken der historisch ausgerichteten Gelehrten Gesell­schaften der Aufklärung an.[8] Motiv ihrer Gründung war anfangs nicht nur, den Studierenden eine fachwissenschaftliche Ausbildung zu ermöglichen, vielmehr ging es zugleich darum, zukünftige Geschichtslehrer auf ihre Aufgabe vorzube­reiten, um so das philologische Monopol für den Lehrerberuf aufbrechen zu kön­nen. Die didakti­sche Ausbildung geriet allerdings langsam ins Hintertreffen, während die fachwis­senschaftliche Initiation der Nach­wuchs­wis­sen­schaft­ler immer stärker in den Vor­dergrund rückte.

Zunächst waren die frühen Seminare – meist ‚Historische Gesellschaft‘ oder ‚Historische Übung‘ genannt – Privatveranstaltungen und wurden nicht durch den Staat dotiert. Bei vielen deutschen Historikern blieb dies auch so, Ranke und Waitz lehnten beispielsweise eine festere Anbindung an die Universität und eine Reglementierung durch Statuten, mithin eine definitivere Institutionalisierung ihrer Übungen in Form universitärer Historischer Seminare ab. An anderen Uni­versitäten aber wurden solche staatlich anerkannten und finanziell unterstützten Seminare eingerichtet, zunächst 1832 in Königsberg, dann in den 1840ern in Breslau, in den 1850ern folgten München und Würzburg usw. Die beiden letzten deutschen Universitäten, die solche institutionalisierten Historischen Seminare ins Leben riefen, waren in den 1880er Jahren Berlin und Heidelberg.[9] Spät – erst seit den 1870ern – kam es dann zur Einrichtung selbständiger Räumlichkeiten und eigener Seminarbibliotheken, die die Qualität der seminaristischen Unterrichts­form nochmals entscheidend beeinflussten. Im weiteren Verlauf löste sich die Veranstaltungsform zunehmend von der institutionellen Struktur des Universitäts­seminars, d.h. man veranstaltete Seminare auch außerhalb der ‚Historischen Seminare‘ bzw. ‚Institute‘.In Frankreich war man über die Entwicklung in Deutschland relativ intensiv informiert.[10] Um sich ein Bild von der deutschen universitären Geschichtswissen­schaft zu machen, gab es mehrere Wege: Zum einen konnten französische Histo­riker nach Deutschland reisen, um sich an Ort und Stelle über die Lehrformen und didaktischen Praktiken des Nachbarn und Konkurrenten zu informieren.[11] Aller­dings war die Zahl französischer Nachwuchshistoriker, die tatsächlich intensiver in Deutschland studierten und Seminare besuchten, schmaler, als dies so manche Darstellung zur Historiografiegeschichte glauben machen will: Insgesamt waren es in der Reformphase wohl nur sechs Historiker, die den universitären Geschichtsunterricht in Deutschland aus eigener ausführlicherer Anschauung heraus kannten. Doch waren diejenigen Geschichtswissenschaftler, die reisten, auch diejenigen, die bald zu den bestimmendsten der französischen Zunft aufstei­gen sollten, wie etwa Gabriel Monod, Camille Jullian, Émile Bourgeois oder Charles Seignobos. Doch man musste nicht selbst nach Deutschland reisen, um sich über die dort praktizierten Lehrformen zu informieren, denn es gab zahlrei­che, an zentraler Stelle erscheinende Berichte über deutsche Universitäten. So hatte die französische Regierung bereits in den 1860er Jahren und dann abermals in den 1880ern Beobachter nach Deutschland geschickt, die ihre Eindrücke von den deutschen Universitäten detailliert vor allem in der Revue internationale de l’enseignement schilderten.[12] Historiker schrieben ebenfalls solche Berichte, etwa Charles Seignobos 1881 oder Abel Lefranc 1888.[13] Bezeichnenderweise aber lobten die französischen Beobachter weder das gesamte deutsche Universitäts­system, noch hießen sie alle didaktischen Formen, die ihnen präsentiert worden waren, für gut. Auf struktureller Ebene kritisierte man etwa den sozialen Ausle­semechanismus über die Privatdozentur, in didaktischer Hinsicht fanden die Beobachter an den deutschen Vorlesungen keinen Gefallen – besonders die Histo­riker kritisierten den Chauvinismus ihrer deutschen Kollegen, so etwa Monod, der Vorlesungen von Johann Gustav Droysen besucht hatte:

„Droysen est amusant et curieux à entendre comme représentant du Boroussianisme outré – mais il est bien superficiel et affecté. D’après lui le nom d’Epoque de la Révolution est faux – il est plus juste de dire, Epoque des Réformes libérales, à la tête desquelles se trouve la Prusse.“[14]

Teilweise rieben sich französische Geschichtswissenschaftler an der Unfähigkeit ihrer deutschen Pendants, Wissen zu synthetisieren und zu strukturieren, es didaktisch aufzuarbeiten:

„Et comme c’est le propre de l’esprit allemand de ne pas classer les faits par ordre d’importance et de ne rien savoir sacrifier, on encombre la leçon de menus détails; aucune idée générale qui puisse guider l’auditeur [...].“[15]

Gelobt wurden vor allem zwei Elemente der deutschen universitären Geschichts­wissenschaft: Zum einen die institutionelle Struktur des Seminars, das heißt die For­schungsabteilung innerhalb der Universität mit einer eigenen Bibliothek, zum Teil auch mit eigenen archäologischen Sammlungen, mit Arbeitsplätzen für die fortge­schrittenen Studenten und gegebenenfalls der Verfügungsgewalt über finan­zielle Ressourcen seitens des Seminarleiters.[16] Zum anderen hob man die Unterrichts­form des Seminars hervor. So besuchte Abel Lefranc 1888 eine Semi­narsitzung Maurenbrechers in Leipzig und würdigte, dass die Studierenden dort Referate hielten, die von den Kommilitonen und dem Dozenten kommentiert würden. Hier sah Lefranc ein Vorbild, das man in Frankreich nach­ahmen solle:

„Ces séances [...] exercent sûrement une influence des plus salutaires sur les jeunes historiens de Leipzig. Elles contribuent à leur donner le goût de l’histoire moderne, à les familiariser avec les sources et les procédés de critique […]. C’est là un mouvement qui fait un peu défaut chez nous, il faut bien l’avouer.“[17]

Die Herausstellung sowohl positiver als auch negativer Elemente der deutschen Wissenschaftslandschaft weist auf die ambivalente Stellung der französischen Beobachter hin. Auf der einen Seite konnten sie gegenüber dem Kriegsgegner und Konkurrenten Deutschland nicht kritiklos sein, wollten sie sich nicht dem Vor­wurf der Germanophilie und Angriffen vor allem durch konservative und nationa­listische Kreise aussetzen. Aus diesem Grund gehörte die affirmative Erwähnung zu bewahrender französischer Vorzüge und Traditionen ins Repertoire der Berichte über Deutschland. Auf der anderen Seite mussten die Beobachter den Sinn und Ertrag ihrer Reisen belegen und durch den Verweis auf positive Ele­mente in Deutschland Reformvorschläge suggerieren. Schließlich verdeutlichten diese Verweise, dass es sich bei den formulierten Zielvorgaben für die Reformen um durchaus realisierbare Vorhaben handelte, denn das Beispiel Deutschlands zeigte, dass deren Umsetzung möglich war.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass derjenige, der sich über die deutsche Unterrichtspraxis im Fach Geschichte informieren wollte, dies in Frankreich durch direkte und indirekte Beobachtung recht ausführlich tun konnte und ein doch im Großen und Ganzen korrektes Bild der deutschen Geschichtslehre prä­sentiert bekam. Gleichzeitig aber war dieses Bild keineswegs durchweg positiv gefärbt und darüber hinaus selektiv, da es die Institution des deutschen Seminars sehr stark betonte, andere konstitutive Elemente universitärer Lehre in Deutsch­land aber vernachlässigte. Zugleich war dieses Bild eine Art ‚Momentaufnahme‘, da es die historischen Wurzeln des deutschen Historischen Seminars und damit seine ursprüngliche Aufgabenstellung, auch zukünftige Geschichtslehrer auszu­bilden, nicht registrierte. Dementsprechend beschrieb man nur die fachwissen­schaftlichen Abteilungen der Historischen Seminare, nicht aber die durchaus noch existierenden fachdidaktischen.

Wenn die Perzeption der deutschen Geschichtslehre zwar selektiv aber den­noch intensiv war, so heißt dies noch lange nicht, dass man das Beobachtete in Frankreich auch rezipierte. Vielmehr muss gefragt werden, was tatsächlich von dem Wahrgenommenen übernommen wurde und wenn dies der Fall war, wie diese Rezeption von statten ging. Betrachtet man die Rezeption der deutschen Geschichtswissenschaft in Frankreich auf dem Gebiet der Lehrformen genauer, so stößt man auf ein sehr vielgestaltiges Bild, das die allgemeine Rede von der an­geblichen Orientierung der französischen Geschichtswissenschaft am so genann­ten ‚Deutschen Modell‘ doch stark relativiert, denn man muss deutlich differenzie­ren: Je nachdem, an welcher Institution Geschichtsunterricht gegeben wurde, je nachdem was durch wen wo gelehrt wurde, kann von einer mehr oder weniger großen Ähnlichkeit mit dem deutschen universitären Geschichtsunterricht gespro­chen werden.[18]

Dies zeigt ein erster Blick auf eine der ältesten Institutionen des französischen Bildungssektors, an der Geschichtsunterricht gegeben wurde, die École Normale Supérieure (ENS).[19] Die ENS war die Ausbildungsstätte für die Elite zukünftiger Sekundarschullehrer. An diesem Ausbildungsziel orientierten sich die in ihr prak­tizierten Unterrichtsformen im Fach Geschichte:[20] Im Jahrgangsstufenverband wurde den zukünftigen Geschichtslehrern in kleinen Klassen jenes Wissen beige­bracht, das sie später würden unterrichten müssen. Dementsprechend oberfläch­lich, synthetisierend und an Schulbuchwissen orientiert war das, was sie zu hören bekamen.[21] Ein Schüler und Kollege Monods, der in der Rue d’Ulm für den Unter­richt in mittelalterlicher und Neuerer Geschichte zuständig war, verdeutlichte dies anhand dessen Lehre:

„Il [= Monod] a fait des cours sur les institutions françaises à toutes les époques, mérovin­gienne, carolingienne, capétienne, période des Valois; il a exposé comment le despotisme s’établit en France au XVIe siècle; il a étudié l’organisation du royaume au XVIIIe siècle. Il a consacré plusieurs leçons à la Réforme, à ses lointaines origines depuis le grand schisme, à sa propagation en Allemagne, en France, en Angleterre, dans les pays scandinaves [...]. Il s’est aussi attaqué à la Révolution française [...].“[22]

Darüber hinaus erhielten die normaliens didaktische Anweisungen. Der Unter­richt verfolgte zwei Ziele: Zum einen sollten gute Geschichtslehrer dabei heraus­kommen, zum anderen – und eng verbunden mit diesem Ziel – sollten die norma­liens möglichst gut bei den beiden staatlichen Lehramtsprüfungen – der licence nach dem ersten oder zweiten Studienjahr und der agrégation nach dem dritten – abschneiden.[23] Diese Ziele bestimmten die Unterrichtsform. Zum einen dozierten die maîtres de conférences oft sehr monologisch über bestimmte Epochen, wäh­rend die Schüler eifrig Notizen machten. Zum anderen wurde Wissen abgefragt und reproduziert, das heißt man beteiligte die Schüler oft aktiv am Unterricht, wie Fustel de Coulanges als Direktor der ENS berichtete:

„Le mode d’enseignement qui est pratiqué ici ne peut se concilier qu’avec un nombre d’élèves assez restreint. Nous faisons des conférences [...] et non pas des cours. Le maître s’adresse à quelques jeunes gens, que son regard voit tous, qu’il connaît tous personnelle­ment. Aussi sa parole est-elle simple, intime, personnelle. [...] Dans nos conférences, les élè­ves parlent; ils discutent; nous voulons qu’ils soient toujours actifs.“[24]

Außerdem hatten die normaliens öfters Essays zu schreiben, die inner- oder außerhalb des Unterrichts besprochen und kritisiert wurden. Und sie durchliefen Prüfungssimulationen, um möglichst gut auf die licence und die agrégation vor­bereitet zu sein. Da sich die Unterrichtsziele während der Reformen nicht änder­ten, kam es im Verlauf der letzten drei bis vier Jahrzehnte des 19. Jahrhun­derts auch kaum zu einem Wandel der Lehrformen an der ENS. Das Forschungs­semi­nar, in dem Nachwuchswissenschaftler nah an den Quellen zu einem kleine­ren Ausschnitt der Geschichte unter der Anleitung des Dozenten als primus inter pares neues Wissen generieren und in dem mithin idealiter Lehre und Forschung miteinander verbunden sind, fand an der ENS eher nicht statt.

Ähnlich sah dies an einer anderen traditionsreichen Institution aus, an der Wissen über Geschichte vermittelt wurde, der École des Chartes.[25] Auch sie berei­tete ihre Schüler in erster Linie auf einen bestimmten Beruf vor, den des Archi­vars, und danach richteten sich die Lehrformen: Wie in der ENS wurde im Klas­senverband unterrichtet, die Lerngruppe war klein. Mehrheitlich lauschte man den Erläuterungen des Dozenten, der hin und wieder Fragen stellte, um zu wiederho­len, abzufragen oder den eigenständigen Lernprozess voranzubringen. Des Weite­ren gab es praktische Übungen, an der sich die Schüler aktiv beteiligten, wie etwa im Unterricht von Léon Gautier:

„Le principe du cours de paléographie est la lecture incessante de fac-similés. [... Elle …] ne se fait pas toujours à vue; au commencement de l’année, les élèves sont chargés de les prépa­rer; alors les interrogations du professeur se parsèment dans l’auditoire. Lorsque les notions élémentaires sont acquises, M. L. Gautier ouvre sa leçon par des exercices de lecture à vue: au bout de quatre mois les élèves parviennent à lire les documents très couramment.“[26]

Unterrichtsgegenstand war das für zukünftige Archivare praxisrelevante Wissen: Quellenkritik und -exegese, Aufbau und Entwicklung mittelalterlicher Institutio­nen, Kunstgeschichte und Archäologie vor allem des Mittelalters usw.[27] Wenn hier mit Quellen gearbeitet wurde, so diente dies nicht der Gewinnung neuer Kenntnisse über einen bestimmten Gegenstand, sondern dem Erlernen einer berufsrelevanten Technik. Da sich die Aufgabenstellung der École des Chartes wie die der ENS während der Reformen nicht veränderte, fand an ihr ebenfalls kein bedeutsamer Wandel in den Lehrformen statt.

Nicht weniger statisch sah dies beim Collège de France aus.[28] Es hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts dieselben Funktionen zu erfüllen wie an dessen Ende: Zum einen zur Allgemeinbildung und Unterhaltung eines städtischen Bür­gertums beizutragen, zum anderen als Innovationsinstitution neuen Disziplinen oder Forschungsprogrammen eine organisatorische Basis zu bieten. Die Lehre beschränkte sich auf die Vorlesungen der Lehrstuhlinhaber vor einem allgemeinen Publikum – am Collège gab es keine immatrikulierten Studierenden, vielmehr konnte in die Vorlesungen gehen, wer wollte. Da keine berufsrelevante Ausbil­dung stattfand, gab es keine Prüfungen, denn das Collège war nicht in das Berechtigungswesen eingebunden. Daher blieb Ende des 19. Jahrhunderts alles so, wie es zu Beginn des Säkulums gewesen war: Ein Dozent hielt monologisch einen Vortrag, das Publikum rezipierte diesen passiv und ging anschließend wieder seines Weges. Kein Dialog, kein Austausch, kein forschendes Lernen. Die Vorle­sungen konnten, mussten aber nicht der Verbreitung neuen, gerade erst durch Forschung erarbeiteten Wissens dienen.Während also an drei wesentlichen Institutionen der französischen Geschichtswissenschaft kein wirklicher Wandel stattfand, sah dies an den Facultés des Lettres anders aus: Hier bewirkten die Reformen mehr, da sich das staatlich vorgegebene Lernziel änderte. Lange Zeit hatten die Facultés des Lettres ähnlich wie das Collège de France einer stadtbürgerlichen Schicht zur Allgemeinbildung und Unterhaltung gedient, als zweite Aufgabe oblag ihnen die Prüfung von Kan­didaten auf die licence, die agrégation und das doctorat, vor allem aber auf das baccalauréat. Ihre Zeit verbrachten die Geschichtsdozenten dementsprechend während der ersten zwei Drittel des 19. Jahrhunderts mit dem Halten allgemeiner, synthetisierender Überblicksvorlesungen eher rhetorischen Charakters sowie mit der Abnahme von Prüfungen. Geschichtswissenschaftliche Forschung fand hier kaum statt, ebenso wenig wie eine Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuch­ses. Die Ausbildung zukünftiger Geschichtslehrer war hier ebenfalls nur in be­grenztem Umfang institutionalisiert, da diese sich entweder autodidaktisch auf die notwendigen Prüfungen vorbereiteten oder an der ENS studierten. Seit den 1870er Jahren aber bestand die Intention seitens des Bildungsministeriums, die Leh­rerausbildung ebenso wie die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses an die Fakultäten zu ziehen und in begrenztem Maße Forschung zu einem ihrer Betätigungsfelder zu machen.[29] Die Facultés des Lettres profitierten dabei beson­ders von der extensiv angelegten allgemeinen Schulreform, da der Bedarf an gut ausgebildeten Schullehrern stark gesteigert wurde, was den Facultés eine bessere Finanz- und Personalausstattung und eine wachsende Klientel einbrachte.[30] Entspre­chend der Veränderungen in der Zielsetzung wandelten sich die Unter­richtsformen im Fach Geschichte: Zum einen hielt man an der Tradition der gene­ralisierenden Überblicksvorlesungen für das allgemeine Publikum fest, wie aus der Beschreibung des belgischen Historikers Eugène Lameere aus dem Jahr 1895 deutlich wird:

„[...] il existe de grands cours auxquels est admis qui veut se donner la peine de diriger ses pas jusqu’à la Sorbonne. Aussi y rencontre-t-on presque toutes les classes sociales. […] Aux cours publics, les privilégiés [...] sont les étudiants [...], leurs places sont réservées [...]. Ils constituent, en général, la minorité de l’auditoire, ils jugent les cours publics, nous a-t-il sem­blé, comme un hors-d’œuvre et n’y attachent pas grande importance. […] Pour tous ces cer­veaux disparates et inégaux, le professeur ne peut faire de la science pure, il doit se borner aux généralités [...].“[31]

Neben die grandes leçons traten aber zunehmend Veranstaltungen, die exklusiv immatrikulierten Studierenden vorbehalten waren, die so genannten cours fermés, vorlesungsartige Veranstaltungen für einen kleineren Kreis von Zuhörern. Außer­dem gab es die so genannten conférences, eine Art praktischer Übungen. Mithin wurden drei Unterrichtsformen angeboten, die der Mediävist Achille Luchaire folgendermaßen voneinander unterschied:

„L’enseignement de l’histoire [...] est organisé pour donner satisfaction à la fois: 1° Aux exi­gences légitimes du grand public qui doit être tenu, par le moyen d’une exposition synthéti­que, au courant des progrès de la science sur les questions d’intérêt général; 2° Aux besoins particuliers des candidats à la licence d’histoire et au diplôme [...] exigé pour l’agrégation; 3° Au devoir essentiel du professeur de Faculté qui est d’initier les étudiants les plus capables à la recherche scientifique en les associant collectivement à des travaux d’érudition d’un caractère désintéressé.“[32]

Bei den cours fermés war die Dozenten-Studierenden-Relation günstiger als bei den grandes leçons, es wurden kleinteiligere Themen behandelt, das vermittelte Wissen war aktueller. Aber ob sie oder die noch kleineren und praxisbezogeneren conférences tatsächlich Seminare im forschungstechnischen Sinne waren, ist zu bezweifeln, denn das Lernziel stand funktional der Ausrichtung auf eine Einheit von Forschung und Lehre entgegen: In den Unterrichtsstunden ging es darum, den Studierenden, die in ihrer großen Mehrheit den Schullehrerstatus anstrebten, die nötigen inhaltlichen und habituellen Kenntnisse beizubringen, um durch die Prü­fungen der licence und der agrégation zu kommen. Somit richteten sich die Lehrinhalte und -formen nach den Prüfungen aus, die ihrerseits im Zeitverlauf reformiert wurden.[33] Die licence-Prüfung fragte dabei in erster Linie Schulbuch­wis­sen ab:

„L’institution de la licence en histoire et en géographie a pour objet de donner à nos collèges, et même, en certain cas, à nos lycées, des professeurs d’histoire et de géographie qui aient reçu, en même temps qu’une culture littéraire distinguée, une instruction historique et géo­graphique générale. […] on demandera aux candidats à la licence de faire preuve seulement de connaissances générales. […] il ne portera que sur les faits principaux et sur les grands évènements; et les questions devront être posées à l’examen d’écrit et à l’examen oral de façon que le candidat fasse preuve d’intelligence autant que de mémoire. [...] Il conviendra d’éviter toutes les questions d’érudition pure [...].“[34]

Die conférences für die Studienanfänger waren daher weiterhin auf die Vermitt­lung dieses oberflächlichen Wissens angelegt, was gemeinsames Forschen im Unterricht von vornherein ausschloss.

Die agrégation ‚verwissenschaftlichte‘ sich dagegen zunehmend. Zwar gab es weiterhin Prüfungsteile, die mnemotechnische Fähigkeiten erforderten, da hier Schulbuchwissen parat sein musste, auf der anderen Seite mussten die Kandidaten Quellen interpretieren. Da aber die in der Prüfung eventuell vorkommenden Quellen viele Monate im voraus veröffentlicht wurden, entwickelten sich die con­férences d’agrégation zu Vorbereitungskursen auf diese potenziellen Prü­fungs­themen, in denen die Studierenden dazu angehalten waren, möglichst inten­siv die Erläuterungen des Dozenten zu den Quellen mitzuschreiben und auswen­dig zu lernen, um in den Prüfungen brillieren zu können, wie sich der zeitgenössi­sche Historiker Charles-Victor Langlois beschwerte:

„[...] les textes au programme étaient laborieusement expliqués et commentés par les maîtres de conférences [...] pendant l’année: les candidats recueillaient ces commentaires et les apprenaient par cœur; tant bien que mal, pour les plaquer le jour du concours; ils faisaient ainsi l’apprentissage, non de la critique personnelle et sincère; mais de la fraude et de l’art de jeter de la poudre aux yeux.“[35]

Die Jury, die die Quellentexte bestimmte, lenkte somit sowohl Inhalt als auch Form der geschichtswissenschaftlichen Unterrichtsstunden, denn ab dem Zeit­punkt, da das offizielle Mitteilungsblatt informierte, welche Autoren und Quellen abgeprüft werden sollten, mussten die Leiter derjenigen Lehrveranstaltungen, die auf diese Prüfungen vorbereiteten, diese Texte in ihren Stunden behandeln – der Unterrichtsinhalt synchronisierte sich für das ganze Land.[36] So konnten sich die conférences d’agrégation kaum zu wirklichen Seminaren entwickeln, zumal sie außerdem auf den Prüfungsbestandteil der ‚leçon‘ vorbereiten mussten, in denen die Studenten vor der Jury eine simulierte Schulunterrichtsstunde halten mussten. Somit kam den Hochschuldozenten die zusätzliche Aufgabe zu, didaktisches Wis­sen bzw. Strategien zu vermitteln, mit deren Hilfe sie glaubten, dass die Prüf­linge die betreffende Jury beeindrucken könnten.

Erst mit der Einführung des diplôme d’études supérieures im Jahre 1894 änderte sich diese Situation. Dieser Prüfungsteil verlangte von den Kandidaten auf die agrégation das Erforschen eines eng umgrenzten Themas und das schriftliche Abfassen einer diesbezüglichen längeren Abhandlung. Erst jetzt wurden die Stu­denten der Facultés des Lettres zu eigener Forschung oder zumindest zum selbst­ständigen Erarbeiten eines Themas animiert, erst jetzt wurde die Einführung in diesen Forschungsprozess ein Bestandteil der geschichtswissenschaftlichen Lehr­ver­anstaltungen. Der Dekan der Pariser Faculté des Lettres beschrieb die positiven Effekte dieser Prüfungsreform auch im Hinblick auf die deutsche Praxis:

„[...] pour les étudiants, des études plus libres [...]; pour les professeurs, plus d’indépendance et des facilités plus grandes pour leurs travaux personnels; pour les Facultés enfin, la possibi­lité d’organiser auprès d’elles [...] ces séminaires historiques [...], qui ont tant contribué à la vitalité des Universités allemandes. […] nos futurs agrégés, qui seront désormais rattachés à leurs maîtres par une collaboration plus intime, nous aurons la satisfaction de les voir, tout en préparant leur examen, contribuer pour leur part au développement des études historiques et géographiques dans notre patrie.“[37]

Am Beispiel der 1894 erfolgten Prüfungsreform zeigt sich deutlich die Lenkungs­funktion eines Staates, der über die Änderung staatlicher Prüfungsverfahren die inhaltliche und didaktische Ausgestaltung des universitären Unterrichts steuern konnte. Da eben dieser Staat aber in erster Linie an gut ausgebildeten Schulleh­rern und erst in zweiter Linie an der Entwicklung von Nachwuchswissenschaftlern interessiert war, blieb der Nachweis der Befähigung zu eigenständigem Forschen ein Nebenaspekt der Staatsexamina und damit ein Nebenaspekt des Geschichts­unterrichts an den Universitäten. Alles in allem blieb letzterer daher weit von dem Ideal entfernt, welches man zu Beginn der Reformära aufgestellt hatte und wel­ches man zumindest teilweise – insbesondere in Form des Historischen Seminars – an deutschen Universitäten verwirklicht gesehen zu haben glaubte. Dies lag vor allem daran, dass die licence nicht und die agrégation nur wenig verändert wur­den und die Lehre mithin weiterhin auf die bereits beschriebenen Prüfungsinhalte vorbereiten musste. Die Einführung des diplôme d’études supérieures brachte Linderung, nicht aber eine grundsätzliche Besserung der Situation.

Neben den Interessenlagen des Staates lag ein weiterer Grund für diese nur halbherzige Veränderung der Lehrformen an den Universitäten in der 1868 er­folgten Gründung einer Institution, die sich gänzlich auf die Forschung konzen­trierte: die École Pratique des Hautes Études. Sie war vom neuen Bildungsminis­ter Victor Duruy ins Leben gerufen worden, um auf die Fakultäten Veränderungs­druck in Richtung eines Verwissenschaftlichungsprozesses auszuüben:

„[...] on ne réforme pas les vieux corps malgré eux; d’ailleurs je n’ai pas d’argent; pour réor­ganiser les Facultés, il faudrait beaucoup d’argent; pour créer l’École que je rêve, il suffit d’une plume et d’une feuille de papier [...]. Il faut, pour faire comprendre une idée aux Fran­çais, trouver un nom qui frappe l’esprit. Il suffira de créer une école nouvelle et d’y mettre des hommes dévoués à l’idée [...] pour que [...] elle agisse et transforme tout autour d’elle. L’École des hautes études est un germe que je dépose dans les murs lézardés de la vieille Sorbonne; en se développant il les fera crouler.“[38]

Langfristig bewirkte die Existenz dieser neuartigen Institution aber eher das Gegenteil, da Forschungstätigkeit auf die Dauer aus den Facultés abgezogen wurde. Dies zeigte sich auch am Geschichtsunterricht innerhalb der historisch-philologischen Abteilung:[39] Hier fand in Kleingruppen an eng begrenzten Themen tatsächlich eine seminarähnliche Unterrichtsform statt, bei der die Studierenden in den Forschungsprozess eingebunden waren, dem Dozenten bei der Bearbeitung und Edition von Quellen halfen sowie von ihnen monografische, entrhetori­sierte, mit Fußnoten gespickte Abhandlungen geschrieben wurden. Ein Dozent beschrieb Ende der 1880er Jahre seine Unterrichtsform:

„Pendant l’année scolaire 1887–1888 j’avais pris pour sujet de l’une de mes conférences le règne de Charles le Chauve [...]. Je m’étais appliqué à montrer par des exemples comment des investigations patientes, l’étude, l’analyse et la comparaison minutieuse des sources, ainsi que la critique des travaux déjà faits, étaient susceptibles de conduire à des résultats nouveaux et spécialement à des rectifications chronologiques assez nombreuses [...].“[40]

Der belgische Beobachter Lameere schilderte seinen Eindruck von der Histori­schen Sektion der École Pratique folgendermaßen:

„[...] la plus grande partie de chaque leçon est presque toujours faite par les auditeurs qui ren­dent compte à leurs professeurs du résultat de leurs recherches personnelles. L’étudiant apprend ainsi à travailler par lui-même.“[41]

Hier wurde dem wissenschaftlichen Nachwuchs mithin das Handwerkszeug bei­gebracht, das er für eine zukünftige Karriere als Forscher unter anderem für die Promotion würde benutzen müssen. Dabei verwies man in den offiziellen Ver­lautbarungen auf die Parallele zu den deutschen Seminaren, so auch Monod 1876:

„À Paris, l’École des hautes études a inauguré un enseignement pratique semblable à celui des séminaires d’Allemagne [...].“[42]

Und wenige Jahre später schrieb er an Duruy:

„C’est à Paris, Bréal & moi qui avons avec l’assistance de M. Renier organisé le système qui s’est développé depuis [la fondation] & qui fonctionne encore aujourd’hui. Nous avons pris pour modèles les séminaires allemands.“[43]

Und tatsächlich kam der Geschichtsunterricht an der École Pratique dem am nächsten, was man sich in Frankreich unter einem deutschen Seminar vorstellte, wenngleich andere Beobachter die Spezifizität selbst dieser Einrichtung betonten:

„Gabriel Monod a pu s’inspirer de l’enseignement des séminaires allemands, il ne les a pas servilement imités: la formation première du jeune Français était trop différente de celle de ses maîtres étrangers. Et puis tout était si dissemblable! Le local, le public.“[44]

Allerdings muss bezüglich des Wirkungsradius der École Pratique eine Ein­schränkung gemacht werden: Betrachtet man ihre studentische Klientel, so wird deutlich, dass sich diese zu einem großen Teil aus Ausländern und Ausländerin­nen, vielfach Amerikanern rekrutierte. In mehreren Geschichtsseminaren waren die Franzosen in der Minderheit.[45] Unter den einheimischen Studierenden fanden sich viele chartistes und normaliens, des Weiteren Studierende der Facultés des Lettres, die sich zusätzlich an der École Pratique immatrikulierten. Die Ausbil­dung eines Teils der Geschichtsstudenten in Paris verteilte sich mithin auf min­destens zwei Institutionen: An der einen Einrichtung wurden sie auf eine be­stimmte Prüfung vorbereitet – an der École des Chartes auf die des archiviste-paléographe, an der ENS und den facultés des Lettres auf die licence bzw. die agrégation – an der anderen, der École Pratique, erlernten diejenigen, die dies wollten, zusätzlich das Handwerk der Forschungsarbeit. Bis 1894 waren dies vor allem Nachwuchshistoriker, die eine Promotion und mithin eine wissenschaftliche Karriere im tertiären Bildungssektor anstrebten. Nach 1894 kamen noch diejeni­gen hinzu, die das diplôme d’études supérieures absolvieren mussten und sich darauf speziell vorbereiten wollten.

Nur hier, an der École Pratique des Hautes Études kam man im späten 19. Jahrhundert nah an das heran, was man als das deutsche Seminar zuvor kon­struiert hatte; zumindest bis 1894, wohl auch darüber hinaus, nahm aber die Mehrheit der Geschichtsstudenten an diesen seminarähnlichen Veranstaltungen gar nicht teil, weil sie sich nicht an der École Pratique einschrieben – hier ist unter anderem an die Studenten der Facultés des Lettres in der Provinz zu denken. So­mit war derjenige Ort, wo man sich am deutlichsten von deutschen Modellen des Geschichtsunterrichts inspirieren ließ, eher am Rande des institutionellen Spekt­rums angesiedelt, das Studium daselbst ein Minderheitenphänomen.

Folgendes Fazit lässt sich aus diesen Beobachtungen ziehen: Das, was franzö­sische Historiker an deutschen Lehrformen als besonders vorteilhaft und nachah­menswert dargestellt hatten – das Seminar – wurde in Reinform nur an einer ein­zigen Institution eingeführt und zwar an einer Neugründung.[46] Die älteren Institutio­nen änderten hingegen ihre Lehrformen gar nicht oder nur graduell und langsam, die Facultés des Lettres scheiterten letztlich mit dem Versuch, ihre Lehr­formen völlig umzumodulieren. Dies verweist zum einen auf die Pfadabhän­gig­keit institutioneller Strukturen: Haben sich Institutionen erst einmal durch eine längere Phase der Existenz etabliert, sich Traditionen aufgebaut, an denen die Betei­ligten ihre Identität festmachen, wurden außerdem in den Institutionen Funk­tionen etabliert und Interessen investiert, so setzt dies ihrer Reformierbarkeit enge Grenzen. Institutionen sind ‚träge‘, es ist schwer, sie durch politische Direkti­ven tatsächlich vorhandenen oder auch nur angenommenen neuen Anforderungen an­zupassen.[47] Zum anderen verweist die lediglich selektive Rezep­tion als ‚deutsch‘ gedachter Lehrformen auf die Spezifizität des fran­zö­sischen Bildungs­wesens: Dieses war im 19. Jahrhundert in seiner extrem arbeitsteiligen Strukturie­rung das Gegenteil des einheitlichen deutschen Systems, das sich erst im späten 19. Jahr­hundert auszudifferenzieren begann. Frankreichs Bildungssystem reprä­sentierte in großen Teilen ein durch spezielle Aufnahme­ver­fahren (concours) geprägtes Spe­zialschulmodell, in welchem jede Institution eine eigene Aufgabe hatte und eine spezielle Fachausbildung anbot, wobei sie auf den Ausbildungsbe­darf seitens des Staates oder der Wirtschaft reagierte. Dieses Bildungssystem war einerseits effi­zient, andererseits aber zugleich fragmentarisiert und damit anfällig für Reform­blockaden. Spezifisch war es darüber hinaus durch die im Vergleich zu Deutsch­land sehr enge Anbindung der Facultés académiques an das Sekundar­schulwesen. Die Hauptaufgabe besonders der Facultés des Lettres bestand in der Ausbildung von Schullehrern, dementsprechend richteten sich Lehrinhalte und Lehrformen an den für das Schullehrerzertifikat notwendigen Prüfungen aus. Selbst jene Nach­wuchswissenschaftler, die eigentlich nicht in den Schuldienst wollten, mussten diese Prüfungen absolvieren: Eine Karriere an der Universität ohne agrégation war etwa für Historiker kaum möglich. In Deutschland gab es dagegen zwar eben­falls eine Verbindung zwischen Schule und Universität, doch war diese nicht so eng wie in Frankreich, wodurch sich der Forschungsimperativ zumindest poten­ziell hier leichter im universitären Unterricht durchsetzen konnte als in Frank­reich.

Eine allerletzte Beobachtung bzw. Frage ließe sich anschließen: Wie ‚deutsch‘ war das Seminar als Unterrichtsform eigentlich? In der Forschung geht man zumeist von der Pionierfunktion der deutschen Universitäten aus, doch lässt sich diese Annahme durchaus anzweifeln, interpretiert man das, was sich teilweise an den Universitäten in Form der conférences und deutlicher an der École Prati­que des Hautes Études als Unterrichtsform durchsetzte, als eine Weiterentwick­lung indigener Ansätze. Das dialogische Erarbeiten von Themen in der Klein­gruppe war an der ENS bereits praktiziert worden bevor es in Leipzig, Königs­berg oder Berlin eingeführt wurde oder zumindest bevor man in Frankreich über die Unterrichtsformen in Deutschland informiert war. Darauf wies Fustel de Coulanges bereits 1879 hin:

„Ce genre d’enseignement [= das Historische Seminar] n’est pas inconnu en France; nous le possédons depuis longtemps, nous l’avions même avant l’Allemagne. Il existe depuis soixante ans à l’École normale. [...] Elle ressemble à un séminaire allemand [...]. La confé­rence se réunit dans une très petite salle; quelques jeunes gens sont assis autour d’un maître. Le maître fait quelquefois une leçon [...]. Le plus souvent, c’est l’élève lui-même qui parle. Il a étudié un sujet indiqué d’avance et il apporte le résultat de ses recherches personnelles. [...] Quand il a fini, les autres élèves argumentent et discutent. Enfin, le professeur approuve ou blâme la méthode suivie, rectifie ou ajoute, conclut la discussion. C’est exactement ce qui se passe dans des séminaires allemands.“[48]

Um aus diesem Unterrichtsmodus ein tatsächliches ‚Seminar‘ zu entwickeln, brauchte man lediglich den Forschungsaspekt hinzuzufügen, das heißt die Studie­renden auch neues Wissen generieren und gegebenenfalls publizieren zu lassen. Eventuell könnte man das, was die Geschichtslehrer an den Facultés des Lettres und der École Pratique seit Beginn der Reformära unter Duruy praktizierten, als deren Weiterentwicklung von etwas interpretieren, was sie während ihrer eigenen Aus­bildungszeit an der Rue d’Ulm – denn ehemalige normaliens waren sie fast alle – kennen gelernt hatten.[49]

Aus diesem Blickwinkel stellt sich der öffentliche Verweis auf das angeblich überlegene deutsche Seminar weniger als eine tatsächliche Nachahmung deut­scher Modelle dar, sondern eher als Strategie zur Durchsetzung eigener Vorstel­lungen und Interessen. So schrieb Jullian, der wie viele seiner Kollegen die Ab­hängigkeit des universitären Geschichtsunterrichts von den Prüfungen sehr kri­tisch betrachtete:

„Cependant, s’il était question d’établir chez nous quelque chose d’analogue [zu den deut­schen Seminaren], ces conférences [an den Facultés des Lettres] pourraient bien servir de cadres: il suffirait de peu pour en faire de vrais séminaires [...]. Il suffit que les professeurs [...] se préoccupent moins d’examens et de concours que de science et d’érudition. Si cela était, nos conférences de Faculté n’auraient rien à envier aux séminaires des Universités alle­mandes.“[50]

Diese und weitere zeitgenössische Aussagen verdeutlichen, dass man in Frank­reich nicht nur selektiv auf deutsche Universitätsstrukturen verwies, sondern dass darüber hinaus dieser selektive Verweis das Ziel haben konnte, eigene Reform­vorstellungen zu lancieren und voranzubringen. Oder man benutzte ihn, um finan­zielle Ressourcen zu mobilisieren, um Missstände im eigenen Erziehungswesen zu beseitigen.[51] Das Konkurrenzverhältnis zum ehemaligen Kriegsgegner Deutsch­land spielte als rhetorisches Element dabei eine zentrale Rolle.[52]

Der angebliche Rückstand gegenüber Deutschland konnte mithin als Argu­ment eingesetzt werden, um die Interessen des tertiären Bildungssektors im All­gemeinen oder des Fachs im Besonderen voranzubringen. Der Verweis auf Deutschland implizierte dabei noch nicht automatisch, dass man dessen universi­täre Strukturen beispielsweise auf dem Gebiet der Lehrformen auch wirklich nachahmte. Zum Teil sagte man sogar explizit, dass es nicht darum ginge, Deutsch­land zu imitieren, beispielsweise Monod:

„Cet exemple [= der deutschen Universitäten] peut nous être utile, non pour copier servile­ment les institutions étrangères, entreprise aussi impraticable que dangereuse, mais pour nous rendre compte de ce qui nous manque et du but auquel nous devons tendre.“[53]

Für den eher strategischen Einsatz des Verweises auf das Ausland spricht des Weiteren, dass nicht nur Deutschland, sondern auch andere Länder dazu dienten, mit der Anspielung auf die eigenen Reformblockaden Änderungen einzufordern. So deutete Duruy in einem Bericht an Napoleon III. auf den Rückstand hin, den insbesondere die französische Geschichtswissenschaft und die Philologie hinter anderen Nationen aufwiesen und nannte Deutschland in diesem Zusammenhang nicht einmal an erster Stelle:

„Toutefois, les efforts accomplis à l’étranger pour renouveler les études d’histoire et de phi­lologie, ceux qu’on fait partout, à cette heure, en Amérique comme en Allemagne, en Russie comme en Angleterre, pour constituer, à grands frais, ces arsenaux de la science qu’on appelle des laboratoires, les écoles enfin qui se forment autour des maîtres renommés et qui assurent la perpétuité du progrès scientifique, sont une sérieuse menace contre une de nos ambitions les plus légitimes.“[54]

Das ‚deutsche Modell‘ war im Fall der Geschichtswissenschaft ein Katalysa­tor in der Reformdiskussion, ein Diskurs. Als Diskurs war es wirkungsmächtig, weniger aber als konkretes Vorbild, denn die Spezifizität der institutionellen Strukturierung der französischen Wissenschaftslandschaft verhinderte eine Reform besonders der bereits bestehenden Institutionen nach einem ausländischen Modell.



[1] Einführend in die französische Universitätsgeschichte: Bruneau, William A., The French facul­ties and universities 1870–1902, Ph.D. Dissertation, University of Toronto 1977; Karady, Victor, Les universités de la Troisième République, in: Verger, Jacques (Hg.), Histoire des universités en France, Toulouse 1986, S. 325–365; Weisz, George, The emergence of modern universities in France 1863–1914, Princeton 1983.

[2] Einen internationalen Vergleich zwischen den geschichtswissenschaftlichen Lehrmethoden im 19. und 20. Jahrhundert bietet Lingelbach, Gabriele (Hg.), Vorlesung, Seminar, Repetito­rium. Universitäre geschichtswissenschaftliche Lehre im internationalen Vergleich, München 2006.

[3] Zur Geschichte der französischen universitären Geschichtswissenschaft siehe u.a. Boer, Pim den, History as a profession. The study of history in France, 1818–1914, Princeton 1998; Keylor, William, Academy and community. The foundation of the French historical profes­sion, Cambridge 1975; Lingelbach, Gabriele, Klio macht Karriere. Die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts, Göttingen 2003; Simon, Christian, Staat und Geschichtswissenschaft in Deutsch­land und Frankreich 1871–1914. Situation und Werk von Geschichtsprofessoren an den Uni­versitäten Berlin, München, Paris, Frankfurt am Main 1988.

[4] Als einer der ersten formulierte Claude Digeon den Gedanken einer Beeinflussung Frank­reichs durch Deutschland, siehe Ders., La crise allemande de la pensée française 1870–1914, Paris 1959. Eine Kritik an der These vom Einfluss Deutschlands im Bereich der Geschichts­wissenschaft hat für die Zeit bis etwa 1885 bereits Charles-Olivier Carbonell geübt, siehe Ders., La réception de l’historiographie allemande en France (1866–1885). Le mythe du modèle importé, in: Espagne, Michel; Werner, Michael (Hg.), Transferts. Les relations inter­culturelles dans l’espace franco-allemand, Paris 1988, S. 327–344.

[5] Zur Geschichte der deutschen Universitäten existieren u.a. folgende Einführungen: Ellwein, Thomas, Die deutsche Universität, Königstein 1985; Jarausch, Konrad H., Universität und Hochschule, in: Berg, Christa (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 4: 1870–1918, München 1991, S. 313–345; Turner, R. Steven, Universitäten, in: Jeismann, Karl-Ernst; Lundgreen, Peter (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 3: 1800–1870, München 1987, S. 221–249. Zur historischen Didaktik bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts siehe Pandel, Hans-Jürgen, Historik und Didaktik. Das Problem der Distribution historiographisch erzeugten Wissens in der deutschen Geschichtswissenschaft von der Spät­aufklärung zum Frühhistorismus (1765–1830), Stuttgart 1990.

[6] 6 Dies und Folgendes v.a. nach Huttner, Markus, Historische Gesellschaften und die Entste­hung historischer Seminare – zu den Anfängen institutionalisierter Geschichtsstudien an den deutschen Universitäten des 19. Jahrhunderts, in: Middell, Matthias; Lingelbach, Gabriele; Hadler, Frank (Hg.), Historische Institute im internationalen Vergleich, Leipzig 2001, S. 39–83; sowie Pandel, Hans-Jürgen, Von der Teegesellschaft zum Forschungsinstitut. Die histori­schen Seminare vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Kaiserreichs, in: Blanke, Horst Walter (Hg.), Transformation des Historismus. Wissensorganisation und Bildungspoli­tik vor dem Ersten Weltkrieg, Waltrop 1994, S. 1–31.

[7] Zit. n. Huttner (Anm. 6), S. 54f.

[8] Zur Geschichte der Geschichtsvereine siehe Clemens, Gabriele B., Sanctus amor patriae. Eine vergleichende Studie zu deutschen und italienischen Geschichtsvereinen im 19. Jahrhundert, Tübingen 2004; Voss, Jürgen, Akademien, gelehrte Gesellschaften und wissenschaftliche Vereine in Deutschland, 1750–1850, in: François, Etienne (Hg.), Sociabilité et Société bour­geoise en France, en Allemagne et en Suisse, 1750–1850, Paris 1987, S. 149–166.

[9] Gründungsdaten einzelner Historischer Seminare finden sich in: Brocke, Bernhard vom, Wege aus der Krise. Universitätsseminar, Akademiekommission oder Forschungsinstitut. Formen der Institutionalisierung in den Geistes- und Naturwissenschaften 1810–1900–1995, in: König, Christoph (Hg.), Konkurrenten in der Fakultät. Kultur, Wissen und Universität um 1900, Frankfurt am Main 1999, S. 191–215.

[10] Zur Perzeption deutscher Universitätsstrukturen in Frankreich siehe Charle, Christophe, L’élite universitaire française et le système universitaire allemand (1880–1900), in: Espagne, Michel; Werner, Michael (Hg.), Transferts. Les relations interculturelles dans l’espace franco-allemand, Paris 1988, S. 345–358; Lingelbach, Gabriele, Der amerikanische und der französische Blick auf die deutschen Universitäten im 19. Jahrhundert, in: Fuchs, Eckhardt (Hg.), Bildung international. Historische Perspektiven und aktuelle Entwicklungen, Würzburg 2006, S. 61–86; Werner, Michael, Die Auswirkungen der preußischen Universitätsreform auf das französische Hochschulwesen (1850–1900), in: Schubring, Gert (Hg.), „Einsamkeit und Freiheit neu besichtigt“. Universitätsreformen und Disziplinbildung in Preußen als Modell für Wissenschaftspolitik im Europa des 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1990, S. 99–114.

[11] Zu den Deutschlandreisen französischer Historiker siehe Carbonell, Charles-Olivier, Les historiens universitaires français en Allemagne dans la seconde moitié du XIXe siècle, in: Parisse, Michel (Hg.), Les échanges universitaires franco-allemands du Moyen âge au XXe siè­cle, Göttingen 1991, S. 181–192; Motte, Olivier, Le voyage d’Allemagne. Lettres inédites sur les missions d’universitaires français dans les universités allemandes au XIXe siècle, Teil III: Sur le départ de Gabriel Monod en Allemagne, in: Francia 17 (1990) 3, S. 110–119.

[12] So beispielsweise Blondel, Georges, Notes sur l’enseignement des sciences sociales dans les universités allemandes, in: Revue internationale de l’enseignement 29 (1895), S. 133–145; Collignon, Maxime, L’enseignement de l’archéologie classique et les collections de moulages dans les universités allemandes, in: Revue internationale de l’enseignement 3 (1882), S. 256–270; Durkheim, Emile, La philosophie dans les universités allemandes, in: Revue internatio­nale de l’enseignement 13 (1887), S. 313–338, 423–440. Siehe außerdem die vor der Grün­dung der Revue internationale de l’enseignement erschienenen ersten beiden Bände des Bul­letin de la Société pour l’étude des questions de l’enseignement supérieur.

[13] Lefranc, Abel, Notes sur l’enseignement de l’histoire dans les universités de Leipzig et de Berlin, in: Revue internationale de l’enseignement 15 (1888), S. 239–262; Seignobos, Charles, L’enseignement de l’histoire en Allemagne, in: Revue internationale de l’enseignement 1 (1881), S. 563–600. Siehe außerdem: Lavisse, Ernest, Universités allemandes et universités françaises (1884), in: Ders., Questions d’enseignement national, Paris 1885, S. 211–264.

[14] Brief Monod an Geffroy, Berlin, 18.11.1867; Bibliothèque Nationale, Département des manus­crits, Nachlass Geffroy, NAF 12925.

[15] Seignobos (Anm. 13), S. 575.

[16] Siehe u.a. Jullian, Camille, Notes sur les séminaires historiques et philologiques des universi­tés allemandes, in: Revue internationale de l’enseignement 8 (1884), S. 289–310, 403–424.

[17] Lefranc (Anm. 13), S. 247. Dass sich Lefranc am Ende dieses Zitats für sein Lob des deut­schen Seminars fast schon entschuldigte, kann nur ganz nebenbei angemerkt werden.

[18] Ein zeitgenössischer Eindruck vom Geschichtsunterricht an den verschiedenen Institutionen des Enseignement supérieur findet sich in: Frédéricq, Paul, L’enseignement supérieur de l’histoire. Notes et impressions de voyage, Paris 1899.

[19] Zur Entwicklung der ENS siehe Jeannin, Pierre, Deux siècles à Normale sup‘. Petite histoire d’une grande école, Paris 1994. Siehe außerdem Werner, Michael, L’École normale. Un sémi­naire à l’allemande, in: Espagne, Michel (Hg.), L’École normale supérieure et l’Allemagne, Leipzig 1995, S. 77–88.

[20] Rioux, Rémy; Viallaneix, Paul, Belle époque. Clio normalienne, in: Sirinelli, Jean-François (Hg.), École normale supérieure. Le livre du bicentenaire, Paris 1994, S. 293–320; Siegel, Martin, Clio at the École normale supérieure. Historical studies at an elite institution in France 1870–1904, in: Storia della storiografia 8 (1985), S. 37–49. Zum philologischen Unter­richt in der Rue d’Ulm siehe Hummel, Pascale, Humanités normaliennes. L’en­sei­gne­ment classique et l’érudition philologique dans l’École normale supérieure au XIXe siècle, Paris 1995.

[21] Zu Inhalt und Form des schulischen Geschichtsunterrichts siehe Hery, Evelyne, Un siècle de leçons d’histoire. L’histoire enseignée en lycée de 1870 à 1970, Rennes 1999.

[22] Pfister, Christian, Gabriel Monod, in: Revue historique 110 (1912), S. XIII–XXIII, hier S. XVII.

[23] Zu den staatlichen Prüfungen in Frankreich siehe u.a. Chervel, André, Histoire de l’agrégation. Contribution à l’histoire de la culture scolaire, Paris 1993.

[24] Fustel de Coulanges, Rapport, 1880, in: Archives nationales, 61 AJ 162.

[25] Zur allgemeinen Geschichte der École des Chartes siehe Bercé, Yves-Marie; Guyotjeannin, Olivier; Smith, Marc (Hg.), L’École des chartes. Histoire de l’école depuis 1821, Paris 1997 (darin auch speziellere Artikel zur Geschichte des Geschichtsunterrichts an der École).

[26] Dies ein Ausschnitt aus einem Bericht eines belgischen Beobachters: Lameere, Eugène, Les études historiques à Paris, in: Revue de l’Université de Bruxelles 1 (1895/96), S. 553–560, 745–758, hier S. 750.

[27] Das Curriculum der École ist wiedergegeben in: École des chartes, Programmes des cours, in: Revue internationale de l’enseignement 52 (1906), S. 192–201, 294–299, 380–387, 496–500.

[28] Charle, Christophe, Le Collège de France, in: Nora, Pierre (Hg.), Les lieux de mémoire II, La nation, Bd. 3, Paris 1986, S. 389–424.

[29] Über die reformierten Lehrformen an der Faculté des Lettres geben u.a. die Jahresberichte des Dekans Auskunft (Académie de Paris, Conseil général des facultés, Conseil académique, Rapports sur la situation de l’enseignement supérieur, Rapport de M. le doyen de la Faculté des lettres de Paris, 1882ff.). Weitere Eindrücke vermitteln u.a. Bréal, Michel, Les conféren­ces de la Faculté des Lettres de Paris, in: Revue internationale de l’enseignement 4 (1882), S. 70–75; Langlois, Charles-Victor, L’enseignement des sciences auxiliaires de l’histoire du moyen âge à la Sorbonne, in: Bibliothèque de l’École des chartes 49 (1888), S. 609–629; Lavisse, Ernest, L’enseignement historique en Sorbonne et l’éducation nationale, in: Revue des deux mondes 49 (1882), S. 870–897; Luchaire, Achille, L’enseignement de l’histoire du moyen âge à la Sorbonne, in: Revue internationale de l’enseignement 38 (1899), S. 484–489; Seignobos, Charles, L’enseignement de l’histoire dans les facultés, in: Revue internationale de l’enseignement 6 (1883), S. 1076–1088 und 8 (1884), S. 97–111.

[30] Zur Schulreform und deren Auswirkung auf den akademischen Arbeitsmarkt siehe Karady, Victor, Les professeurs de la République. Le marché scolaire, les réformes universitaires et les transformations de la fonction professorale à la fin du XIXe siècle, in: Actes de la recher­che en sciences sociales 47/48 (1983), S. 90–112.

[31] Lameere (Anm. 26), S. 554. Das Festhalten an der grande leçon als Unterrichtsform ent­sprach der starken klassisch-humanistischen Tradition in Frankreich mit ihrer Betonung von Rhetorik und Stilistik.

[32] Luchaire (Anm. 29), S. 484.

[33] Siehe dazu Lingelbach, Gabriele, Institutionelle Rahmenbedingungen disziplinärer Stan­dar­di­sie­rungsprozesse, in: Eckel, Jan; Etzemüller, Thomas (Hg.), Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, erscheint demnächst.

[34] Instruction relative à la licence ès lettres des Bildungsministeriums vom 05.08.1881; in: Circu­laires et instructions officielles relatives à l’instruction publique, Bd. 8, S. 532f.

[35] Langlois, Charles-Victor, L’agrégation d’histoire et la préparation professionnelle à l’enseignement de l’histoire, in: L’enseignement de l’histoire, Paris 1907, S. 25–56, hier S. 27f. Bereits mehrere Jahre zuvor hatte Langlois konstatiert: „[...] l’exercice de séminaire se transforme donc alors en monologue ex cathedra; l’explication devant le jury se transforme en composition de récitation; et tout le monde est enchanté.“ (Langlois, Charles-Victor, Remar­ques à propos de l’agrégation d’histoire, in: Revue universitaire 1 (1892) 2, S. 11–26, hier S. 22).

[36] Langlois, Remarques (Anm. 35), S. 19f.

[37] Académie de Paris, Conseil général des facultés, Conseil académique, Rapports sur la situa­tion de l’enseignement supérieur, Rapport de M. le doyen de la Faculté des lettres de Paris (1893/94), S. 84.

[38] Dies ist eine Paraphrase Monods eines Ausspruchs von Duruy in: Monod, Gabriel, Victor Duruy, in: Revue internationale de l’enseignement 28 (1894), S. 481–489, hier S. 487. Zu den Reformversuchen Duruys siehe Horvath-Peterson, Sandra, Victor Duruy and French educa­tion. Liberal reform in the Second Empire, Baton Rouge 1984.

[39] Einführend: Lot, Ferdinand, L’histoire à l’École des hautes études, in: Célébration du cinquante­naire de l’École pratique des hautes études, Paris 1922, S. 24–30.

[40] Giry, Arthur, Préface, in: Lot, Ferdinand, Les derniers carolingiens, Paris 1891, S. IX–XII, hier S. IX.

[41] Lameere (Anm. 26), S. 758.

[42] Monod, Gabriel, De la possibilité d’une réforme de l’enseignement supérieur, Paris 1876, S. 8.

[43] Brief von Monod an Duruy, 06.11.1878; Archives Nationales, Nachlass Duruy, 114 AP 1, Dossier ‚Lettres concernant l’enseignement supérieur‘.

[44] Lot (Anm. 39), S. 25.

[45] Dies ergibt sich aus den Jahresberichten der École Pratique, in denen Teilnehmerlisten abge­druckt sind: École pratique des hautes études (Hg.), Rapports, 1868ff.

[46] Eine weitere Neugründung war die École Libre des Sciences Politiques, die 1871 ins Leben gerufen wurde. Auch hier fand Geschichtsunterricht statt. Dieser hatte aber in erster Linie die Aufgabe, die Studenten auf die Aufnahmeprüfungen für die zentralen staatlichen Verwal­tungs­institutionen bzw. für den diplomatischen Dienst vorzubereiten (siehe dazu Osborne, Thomas R., The recruitment of the administrative elite in the third French republique, 1870–1905. The system of the École libre des sciences politiques, Ann Arbor 1974). Die Lehre diente hier dazu, bereits bekanntes Wissen möglichst effektiv zu vermitteln, nicht aber dazu, forschend neues Wissen zu generieren. Zum Geschichtsunterricht an der Sciences-Po siehe u.a. Ridel, Charles, L’enseignement de l’histoire et les historiens de l’École libre des sciences politiques (1871–1914), Mémoire de D.E.A. de l’École des hautes études en sciences socia­les, Paris 1996.

[47] Zum Zusammenhang zwischen institutioneller Strukturgebung und kognitiver Ausrichtung von Bildungseinrichtungen siehe Middell, Matthias; Lingelbach, Gabriele; Hadler Frank, Institutionalisierung historischer Forschung und Lehre. Einführende Bemerkungen und Fragen, in: Dies. (Anm. 6), S. 9–37; Raphael, Lutz, Organisational frameworks of university life and their impact on histo­riographical practice, in: Torstendahl, Rolf; Veit-Brause, Irmline (Hg.), History-Making. The intellectual and social formation of a discipline, Stockholm 1996, S. 151–167.

[48] Fustel de Coulanges, N.D., De l’enseignement supérieur en Allemagne, in: Revue des deux mondes, 3ème période 34 (1879), S. 813–833, hier S. 831. Sicherlich muss diese Aussage quellenkritisch relativiert werden, war doch Fustel nicht nur sehr nationalistisch eingestellt, sondern zugleich als Direktor der ENS für diese voreingenommen.

[49] Es stimmt auch nachdenklich, dass 1860 der deutsche Historiker Droysen in seiner Bitte an das preußische Kultusministerium um die Finanzierung eines neu zu gründenden Historischen Seminars auf die École des Chartes verwies, die hier Vorbildliches geleistet habe (diese In­formation bei Huttner [Anm. 6], S. 41).

[50] Jullian (Anm. 16), S. 423.

[51] So schrieb etwa Monod über die im Vergleich zu den französischen Subventionen sehr gute finanzielle Ausstattung der deutschen Universitäten: „Aujourd’hui, il [= der französische Staat] ne dépense pas pour l’enseignement supérieur tout entier le quart de ce que coûte à l’Allemagne une seule de ses universités.“ (Monod [Anm. 42], S. 35).

[52] Zum Verhältnis französischer Historiker zu Deutschland nach dem Krieg von 1870/71 siehe Völkel, Markus, Geschichte als Vergeltung. Zur Grundlegung des Revanchegedankens in der deutsch-französischen Historikerdiskussion von 1870/71, in: Historische Zeitschrift 257 (1993), S. 63–107.

[53] Monod (Anm. 42), S. 19.

[54] Victor Duruy, Rapport à l’Empereur à l’appui de deux projets de décret relatifs aux labora­toire d’enseignement et de recherches et la création d’une École pratique des hautes études, in: Statistique de l’enseignement supérieur 1865–1868, Paris 1868, S. 711–733, hier S. 711.

Für das Themenportal verfasst von

Gabriele Lingelbach

( 2007 )
Zitation
Gabriele Lingelbach, Lehrformen der deutschen Universität des 19. Jahrhunderts als Vorbild für Reformen in Frankreich? Das Beispiel der Geschichtswissenschaft, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2007, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1443>.
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