Identität durch Konkurrenz: Techniktransfer als Bindeglied des frühneuzeitlichen Europa
von Marcus Popplow
Ein trinkender Schwan, ein musizierender Zyklop, eine Nymphe, die auf Delphinen ihre Bahnen zieht. Imitationen des Lebendigen, durch versteckte Automatenkonstruktionen in Gang gehalten: Sie sollten Besucher fürstlicher Gärten um 1600 belustigen, faszinieren, aber auch die Macht des Hausherrn über die gebändigte Natur demonstrieren. Entwürfe dieser Art zeigt die für diesen Essay ausgewählte Quelle – das 1615 von Salomon de Caus in inhaltlich identischer deutscher und französischer Version veröffentlichte Maschinenbuch „Von gewaltsamen Bewegungen“ / „Les raisons des forces mouvantes“.[1] Auf den ersten Blick mag dieses Werk damit eher in ein Kuriositätenkabinett als in ein Themenportal zur europäischen Geschichte gehören. Doch es repräsentiert ebenso wie die Biografie seines Autors[2] die vielfältigen Austauschprozesse technischen Wissens im frühneuzeitlichen Europa. Dieses Wissen wurde seit dem späten 15. Jahrhundert zunehmend medial dokumentiert und kommuniziert: durch Zeichnungen, dreidimensionale Modelle, Notizbücher, sowie technische Traktate in Form von Manuskripten und gedruckten Büchern. Gerade die gedruckten Publikationen dienten ihren Autoren im Kampf um lukrative Anstellungen nicht zuletzt als Nachweis kultureller Kompetenzen.
Konkurrenz um technische Expertise bestand im frühneuzeitlichen Europa jedoch nicht nur auf dem Gebiet der Ingenieurtechnik, sondern auch in zahlreichen Gewerben von überregionaler Bedeutung. Im Verlauf der frühen Neuzeit übernahmen einzelne Gewerberegionen in Oberdeutschland, in Norditalien, den Niederlanden und schließlich in England auf der Basis innovativer Technologien phasenweise eine Führungsrolle innerhalb Europas. Doch in der Regel schloss die Konkurrenz nach einigen Jahrzehnten auf der Basis der vielfältigen Kommunikationswege innerhalb Europas auf. Diese Austauschprozesse, die sich schon seit dem Hochmittelalter verdichteten, sind aus technik- und wirtschaftshistorischer Perspektive umfassend beschrieben:[3] Ingenieurtechnische Experten und Architekten arbeiteten seit der Zeit des Kathedralenbaus vielfach für unterschiedliche Auftraggeber; Städte förderten die Ansiedlung auswärtiger Handwerker, sofern sie den Einheimischen keine Konkurrenz machten, sondern die lokalen Gewerbe ergänzten; im Schiffbau verschmolzen unterschiedliche Bautraditionen von Küstenschiffen der Nord- und Ostsee und des Mittelmeers; um Geheimnisse, wie bestimmte Färbetechniken von Textilien, metallurgische Verfahren oder die venezianische Glasherstellung, wurde mit Abwanderungsverboten ebenso wie mit Spionage erbittert gerungen.
Paradoxerweise, so lässt sich argumentieren, mündete dieser kontinuierliche Techniktransfer langfristig in eine einheitliche Marschroute technischer Entwicklungen in Europa. Er erweiterte das gemeinsame Fundament technischer Kompetenzen in den europäischen Kernregionen und schuf damit die Möglichkeit, dass sich Innovationen wie beispielsweise der Buchdruck rasch ausbreiten konnten. Gegenüber dem kulturellen Austausch zwischen den europäischen Territorien, gefördert durch strategische Heiratspolitik, waren vergleichbare Prozesse im Bereich der Technik als Kohäsionsfaktor der europäischen Geschichte demnach alles andere als politisch intendiert. Ganz im Gegenteil verliefen sie konträr zu den Interessen der Territorialherren um militärische, ökonomische und kulturelle Vorrangstellung.[4]
Frühneuzeitliche Innovationskulturen
Erst in den letzten Jahren findet in diesem Panorama das Ensemble frühneuzeitlicher Medien, Institutionen und Praktiken zur Förderung technischer Neuerungen verstärkte Beachtung. Territorialherren begannen seit dem späten 15. Jahrhundert, Innovationsprozesse über die Anstellung vielversprechender auswärtiger Experten hinaus institutionell zu verstetigen – dieses Ziel lag dem frühen Patentschutz ebenso zugrunde wie ersten Versuchen des Aufbaus von Ingenieurakademien in Italien, Spanien und den Niederlanden um 1600. Auch die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gegründeten wissenschaftlichen Akademien beschäftigten sich häufig mit agrarischen oder gewerblichen Innovationen. Im 18. Jahrhundert vervielfachten sich solche Ansätze, das spezialisierte Handwerk rückte mit öffentlichkeitswirksamen Publikationsprojekten wie der Encyclopédie von Diderot und d'Alembert in das Blickfeld von Kameralisten, Technologen und „aufgeklärten“ Verwaltungsbeamten. Hinzu kamen informelle Zirkel, die in England Techniker und Unternehmer in Kaffeehäusern oder Clubs zusammenführten. Kontinentaleuropäische Herrscher wiederum suchten dem agrarischen und gewerblichen Vorsprung Englands durch systematische, wissensbasierte Initiativen zu begegnen. Sie unterstützten ökonomische Sozietäten zur Verbreitung agrarischer Innovationen ebenso wie die Gründung von Zeichenakademien. Letztere sollten helfen, Anschluss an den raschen Modewechsel des Designs von Textilien und Gebrauchsgegenständen zu gewinnen, denn Impulse für technische Entwicklungen resultierten zunehmend aus der Nachfrage immer breiterer Schichten nach ästhetisch ansprechenden Konsumgütern. Deutschsprachigen Lesern brachte ab 1786 das „Journal des Luxus und der Moden“ solche Trends aus Paris und London nahe. Innovationsbestrebungen dieser Art setzten eine länderübergreifende Perspektive geradezu voraus, vielfach war die Kommunikation eingebettet in die Korrespondenznetze der europäischen „Gelehrtenrepublik“.[5] Deren Protagonisten scheint beim territorienübergreifenden Informationsaustausch der unmittelbare Prestigegewinn wichtiger gewesen zu sein als mögliche Risiken, dem ökonomischen Konkurrenten mittelfristig Vorteile zu verschaffen – war doch das jeweils ausgetauschte Wissen in der Regel ohnehin nur mittelbar in die technische Praxis umzusetzen.
All diese frühneuzeitlichen Initiativen lassen sich durchaus treffend als „Innovationskulturen“ bezeichnen. Dieser Begriff mag zunächst übertrieben modernisierend klingen, denn in der gängigen Verwendung wird er mit Nationalstaaten, Großbetrieben und technisch-wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen erst Akteuren der Hochindustrialisierung des 19. Jahrhunderts zugeordnet. Doch seine Anwendung ist auch für die hier angesprochenen Formen der obrigkeitsnahen Förderung von Technik in der frühen Neuzeit hilfreich, die das „spontane” Aufkommen von Innovationen zu verstetigen und systematisieren suchten.[6] Solche Innovationskulturen umschließen damit auch ein Schaubuch wie das von Salomon de Caus, dessen Herstellung nicht zuletzt von der finanziellen Unterstützung seiner Dienstherren abhing.
Salomon de Caus (1576-1626) und sein Maschinenbuch
Die erste Phase des Aufbaus obrigkeitsnaher Innovationskulturen konzentrierte sich seit dem Ausgang des Mittelalters auf eine kleine Schicht von Architekten und Ingenieuren, deren berühmteste Galionsfigur in der Moderne Leonardo da Vinci werden sollte. Wie schon mittelalterliche Belagerungstechniker und Büchsenmeister waren gerade herausragende Ingenieure – der Begriff ist in den romanischen Sprachen ab dem Hochmittelalter verbreitet – von unterschiedlichen Herrscherhäusern umworben. Mobilität war für sie unabdingbar, denn über eine handwerkliche Lehre hinaus gab es zunächst keine institutionalisierte Ausbildung für die Durchführung militärischer und ziviler Großprojekte. Ob Salomon de Caus, aufgewachsen in der Normandie, tatsächlich eine Bildungsreise nach Italien unternahm, ist allerdings umstritten. Dennoch wurde er nördlich der Alpen zum Vermittler der italienischen Gartenkultur, insbesondere deren Ausstattung mit mechanischen Überraschungseffekten. Ein wichtiges Vorbild waren die von Bernardo Buontalenti entworfenen Grotten und Automatentheater von Pratolino, einer Gartenanlage der Herzöge der Toskana bei Florenz. Überhaupt waren italienische Architekten und Ingenieure in den Jahrzehnten um 1600 hoch angesehen, sie wurden für mechanische Anlagen, Festungsbauten und im Wasserbau von Spanien über die deutschen Territorien bis nach Russland engagiert. De Caus gehört zu den Ingenieuren, die nördlich der Alpen solche Anregungen aufnahmen und mit eigenständigen Traditionen zusammenführten. Seinen Arbeiten an den Coudenberg-Gärten am Hofe der Habsburger in Brüssel folgten Gartenentwürfe für die Stuarts in London und 1614 bis 1619 die Anlage des berühmten Hortus Palatinus für den pfälzischen Kurfürsten in Heidelberg. Die letzten Jahre seines Lebens war de Caus schließlich in Paris für die Infrastruktur der Wasserver- und Entsorgung zuständig.
Um Salomon de Caus rankt sich in der Forschung manche Heroengeschichte: So enthält sein Maschinenbuch erstmals Kupferstiche „solarbetriebener“ Brunnen und frühe Reflexionen zur Nutzung der Dampfkraft. Interessieren soll an dieser Stelle demgegenüber seine Strategie, sich durch die Publikation technischer Traktate als gelehrter Ingenieur zu präsentieren. Schon sein 1612 erschienenes Werk „La perspective“ – das seinen Geometrieunterricht für die Kinder des englischen Königs popularisierte – zeigt, wie wichtig de Caus der Status als Autor war. Schließlich war jederzeit damit zu rechnen, aufgrund politischer Umwälzungen oder des Verlustes der Gunst seiner Auftraggeber eine neue Stellung suchen zu müssen. Sein Maschinenbuch veröffentlichte de Caus dann 1615 bei zwei unterschiedlichen Druckern mit identischen Kupferstichen auf Deutsch und Französisch. Er wollte offensichtlich sowohl in der Sprache seines neuen Heidelberger Dienstherren publizieren, als sich auch die Verbindungen zu seiner alten Heimat sichern – nicht ohne Erfolg, wie seine spätere Indienststellung in Paris zeigt.
Bereits seit dem Spätmittelalter kursierten Manuskripte mit innovativen maschinentechnischen Entwürfen, die vielfach kopiert wurden. Die ab den 1570er Jahren gedruckten Maschinenbücher zielten dann von vornherein auf einen europäischen Abnehmerkreis. Das 1578 erschienene Maschinenbuch von Jacques Besson wurde rasch in mehrere Sprachen übersetzt, das von Fausto Veranzio (1595/1615) enthielt beschreibende Texte in fünf Sprachen. Hinzu kommen wechselseitige Verweise innerhalb dieser Werke: Für de Caus war es selbstverständlich, in der Vorrede seines Maschinenbuches antike Autoren technischer Schriften ebenso zu nennen wie die europaweit bekanntesten seiner Zeit. Technische Traktate in unterschiedlichen Sprachen finden sich dann auch in erhaltenen Inventaren fürstlicher Bibliotheken wie in Bücherlisten zeitgenössischer Ingenieure und Architekten verzeichnet. Diesen europäischen Kommunikationshorizont dokumentiert etwa zeitgleich mit dem Maschinenbuch von de Caus eine beiläufige Notiz des württembergischen Landesbaumeisters Heinrich Schickhardt: Er vermerkte auf einem Blatt, das eine Skizze des neuen Pumpwerks zur Wasserversorgung von Schloss Hellenstein bei Heidenheim zeigte: „Ist ein künstlich nutzlich werkh, der gleichen wenig oder gar keins dieser Zeit weder in Italien, Franckhreich oder Teütschland gefunden wirt“.[7] Zu diesem Schluss kam Schickhardt aufgrund seiner eigenen Reisen, die ihn von seinen wichtigsten Dienstorten Stuttgart und Montbéliard bis in die Niederlande und Italien führten, wie auch auf der Basis seines privaten Archivs technischer Zeichnungen und eines umfassenden Bücherbesitzes.
Mit Blick auf ihre Rezipienten standen Autoren technischer Werke im öffentlichen Diskurs stets unter der Maßgabe, innovative Inhalte oder Formen zu erproben. So erweiterte de Caus die traditionelle Struktur der Schaubücher der Maschinentechnik mit ihren aufwendigen Abbildungen unterhaltsamer und nützlicher Maschinen durch einen längeren theoretischen Vorspann. Schon der Titel seines Werkes betonte, dass es ihm über faszinierende Maschinen hinaus auch um die Prinzipien ihres Funktionierens ging. „Wissenschaft“ war zu seiner Zeit beim Vergleich technischer Innovationen zunehmend gefragt: Weit weniger im Sinne der Anwendung von Naturgesetzen auf Ingenieurtechnik, Handwerk und Gewerbe, als vielmehr im Sinne von Bemühungen, die verwirrende Vielfalt und Komplexität technischer Varianten durch die Aufstellung allgemeiner Regeln und Verfahrensweisen einzugrenzen. Als Königsweg galt es, komplexe Maschinen wie Mühlwerke und Wasserhebeanlagen auf die „Einfachen Maschinen“, insbesondere Hebel und Waage, zurückzuführen und so mit Theoremen der zeitgenössischen Mechanik erklärbar zu machen. De Caus diskutierte jedoch darüber hinaus auf der Basis der antiken Elementenlehre die möglichen Antriebskräfte von Maschinen: Ihn interessierten die Modalitäten der Nutzung von Erde, Feuer, Wasser und Luft, um durch Maschinen „gewaltsame Bewegungen” zu verrichten, die gegen die jeweils „natürliche“ Bewegungsrichtung der Elemente wirkten.
Doch de Caus ging es nicht nur um das systematische Verständnis solcher Phänomene. Er gehört zu der ersten Generation ingenieurtechnischer Experten, die in ihrer Selbstdarstellung im gedruckten Buch ein kohärentes Bild des Ingenieurs prägten, das sich als äußerst langlebig erweisen sollte: Mit den Schlagworten „neu, nützlich und erfindungsreich” wurde die Ingenieurtechnik als außergewöhnliche Leistung auf der Basis theoretischen Wissens charakterisiert, die den Auftraggebern ebenso von Nutzen sein sollte wie dem allgemeinen Wohl.
Technik in den Europa-Debatten der historischen Forschung
Salomon de Caus' zweisprachig veröffentlichtes Maschinenbuch war Teil einer obrigkeitsnahen Innovationskultur, die im Verlauf der frühen Neuzeit vielfach Leitbildern wie der „Verwissenschaftlichung” oder auch der „Nützlichkeit” folgen sollte. Wie bereits angemerkt ist die europäische Dimension des Techniktransfers, der diesen Bemühungen zugrunde lag, seit langem gründlich erforscht. Dennoch wird Technik in den geschichtswissenschaftlichen Europadebatten kaum als konstituierendes Element der Identität Europas in der frühen Neuzeit reflektiert. Hier wird mit Handwerkermigration, Postwesen oder beschleunigten Transportwegen in der Regel eher unsystematisch auf einzelne „grenzüberschreitende” Phänomene verwiesen. Vielleicht liegt dies auch daran, dass technikinduzierte Aspekte der europäischen Identität Ergebnis erbitterter Konkurrenz waren und dementsprechend nicht an ausformulierten Europavisionen ablesbar sind.
So wird Technik bislang nur in einer vergleichsweise eigenständigen Debatte als zentrales Element des frühneuzeitlichen Europa verstanden: In der Diskussion um den „Sonderweg“, den die europäischen Territorien im Kulturvergleich insbesondere mit China, Indien und dem arabischen/osmanischen Herrschaftsgebiet als spezifischen Entwicklungspfad in die industrialisierte Moderne einschlugen.[8] Technische Neuerungen spielten in diesem Prozess demnach unbestritten eine ebenso maßgebliche wie im Detail unklare Rolle. Fragen nach dem Zeitpunkt, den Ursachen und den Modalitäten dieses Sonderwegs kommen bislang nicht ohne „Europa“ als vereinheitlichende Kategorie aus – trotz aller Einwände, dass aus wirtschafts- und technikhistorischer Sicht spezifische Agrarlandschaften bzw. Gewerberegionen sicherlich gewinnbringender vergleichbar sind als monolithische Blöcke wie „Europa“ oder „China”. Insofern in Europa bis weit in das 18. Jahrhundert zahlreiche technische Neuerungen aus China, Indien und dem arabischen Raum übernommen wurden, war zumindest der viel beschworene „Erfindungsreichtum“ sicherlich kein genuin europäisches Charakteristikum. Vielmehr stellt sich die Frage nach dem „spezifisch Europäischen“ in der Adaption und Weiterentwicklung solcher Importe aus dem Nahen und Fernen Osten. Die im Verlauf der europäischen frühen Neuzeit immer engmaschigeren Innovationskulturen mit ihrer medialen und institutionellen Basis, in die Werke wie das von Salomon de Caus eingebettet waren, sind sicher einer der interessantesten Kandidaten für detailliertere Vergleiche – gerade weil beispielsweise in China ebenfalls obrigkeitliche Initiativen zur Förderung von Innovationen oder formal vergleichbare technische Traktate nachweisbar sind.[9] Für eine eingehendere Analyse mögen sich neuere wissenshistorische Ansätze besonders eignen – die traditionelle Dichotomie von „Technik” und „Wissenschaft” hingegen ist der Komplexität dieser frühneuzeitlichen Innovationskulturen innerhalb Europas sicher ebenso wenig angemessen wie dem interkulturellen Vergleich.[10]
Unabhängig von solchen Perspektiven gilt Europa im Mainstream der Forschung meist frühestens ab etwa 1850 als Produkt technischer Entwicklungen. Im 20. Jahrhundert beschritten die europäischen Staaten dann eindeutig den Weg in eine technikbasierte Konsumgesellschaft – auf der Basis vielfältiger wirtschaftlicher und intellektueller Austauschprozesse innerhalb Europas, aber zunehmend auch mit den USA. Am deutlichsten manifestierte sich dies in den konkreten, länderübergreifenden Infrastrukturen von Eisenbahnen über Stromnetze bis zu Telekommunikationssystemen, aber auch bezüglich des Austausches technischen Wissens in der Hochschulausbildung sowie nach dem Zweiten Weltkrieg in europäischen Großforschungsanlagen. Zwar trennte der eiserne Vorhang durchaus auch unterschiedliche technische Systeme, in ihrer Konkurrenz verfolgten sie jedoch häufig ein- und dieselben Leitbilder von der Raumfahrt über die Individualmotorisierung bis zur Informationstechnologie. Jüngere Forschungsverbunde wie „Tensions of Europe“ haben vielfältige Erkenntnisse zu solchen Aspekten erbracht und dabei die technikhistorische Community Europas selbst stärker vernetzt.[11] Der vielfältige überregionale Techniktransfer in der frühen Neuzeit und die Ansätze, ihn systematisch zu steuern, bleiben dabei jedoch unterbelichtet. Warum jedoch die Erforschung dieser Facette der europäischen Identität erst mit der Hochindustrialisierung des 19. Jahrhunderts beginnen soll, bedarf noch einer überzeugenden Begründung.
[1] Caus, Salomon de, Von Gewaltsamen Bewegungen: Beschreibung etlicher, so wol nützlichen alß lustigen Machiner …, Franckfurt 1615, . Auch die französische Ausgabe ist im Internet zugänglich: Ders., Les Raisons Des Forces Movvantes: Auec diuerses Machines Tant vtilles que plaisantes ..., Francfort 1615, und (16.03.2009).
[2] Zu Salomon de Caus vgl. zuletzt: Hepp, Frieder; Leiner, Richard; Mach, Rüdiger; Popplow, Marcus (Hgg.), Magische Maschinen. Salomon de Caus’ Erfindungen für den Heidelberger Schlossgarten, 1614-1619, Neustadt a.d. Weinstraße 2008; Stiftung Schloss und Park Benrath (Hg.), Wunder und Wissenschaft. Salomon de Caus und die Automatenkunst in Gärten um 1600, Düsseldorf 2008.
[3] Vgl. z. B. Davids, Karel, Shifts of technological leadership in Early Modern Europe, in: Ders.; Lucassen, Jan (Hgg.), A miracle mirrored. The Dutch Republic in European perspective, Cambridge 1995, S. 338-366; Hilaire-Perez, Liliane; Verna, Catherine, Dissemination of Technical Knowledge in the Middle Ages and the Early Modern Era, in: Technology and Culture 47 (2006), S. 536-565; Epstein, Stephan R.; Prak, Maarten, Guilds, Innovation, and the European Economy, Cambridge 2008.
[4] Vgl. zu dieser These ausführlicher und mit weiteren Literaturangaben Popplow, Marcus, Europa wider Willen? Konkurrenz um technische Innovationen als integratives Element des frühneuzeitlichen Europa, in: Oster, Angela (Hg.), Europe en mouvement. Mobilisierungen von Europa-Konzepten im Spiegel der Technik, Berlin 2008, S. 19-39.
[5] Vgl. zuletzt Dauser, Regina; Hächler, Stefan; Kempe, Michael; Mauelshagen, Franz; Stuber, Martin (Hg.), Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts, Berlin 2008.
[6] Vgl. zum Begriff Reith, Reinhold, Einleitung: Innovationsforschung und Innovationskultur. Ansätze und Konzepte, in: Innovationskultur in historischer und ökonomischer Perspektive. Modelle, Indikatoren und regionale Entwicklungslinien, Ders.; Pichler, Rupert; Dirninger, Christian (Hgg.), Innsbruck 2006, S. 11-20; Argumente in diese Richtung auch bei Mokyr, Joel, The Intellectual Origins of Modern Economic Growth, The Journal of Economic History 65 (2005), S. 285-351.
[7] Online zugänglich über Hauptstaatsarchiv Stuttgart, Nachlass Heinrich Schickhardt. Architekt und Ingenieur, (unter der Ortssuche „Heidenheim“, Signatur: N 220 T 149 01) oder über Lefèvre, Wolfgang; Popplow, Marcus, database machine drawings, (unter Auswahl des Bildkürzels „sk149a“ im Feld „Picture ID“ auf der Seite „Simple Search“) (16.03.2009).
[8] Die Forschung zu dieser Frage ist ebenso vielfältig wie verstreut publiziert. Der Aspekt der Technik wird häufig nicht gesondert behandelt und zumeist aus ökonomischer Perspektive reflektiert. Vgl. Sieferle, Rolf Peter, Der Europäische Sonderweg. Ursachen und Faktoren, 2. Aufl., Stuttgart 2003; Mitterauer, Michael, Warum Europa? Mittelalterliche Grundlagen eines Sonderwegs, München 2003. Einen guten Eindruck von der Komplexität des erreichten Standes der Diskussion geben mehrere Beiträge im Canadian Journal of Sociology 33 (2008): Goldstone Jack A., Capitalist origins, the advent of modernity, and coherent explanation: A response to Joseph M. Bryant, S. 119-133; Langlois, Rosaire, The closing of the sociological mind?, S. 134-148; Bryant, Joseph M., A new sociology for a new history? Further critical thoughts on the Eurasian similarity and great divergence theses, S. 149-167; Elvin, Mark, Defining the explicanda in the 'West and the Rest' debate: Bryant's critique and its critics, S. 168-185.
[9] Zu letzterem Bray, Francesca; Dorofeeva-Lichtmann, Vera; Métailié, Georges (Hgg.), Graphics and Text in the Production of Technical Knowledge in China: The Warp and the Weft. Leiden 2007.
[10] Vgl. programmatisch Vogel, Jakob, Von der Wissenschafts- zur Wissensgeschichte. Für eine Historisierung der „Wissensgesellschaft“, in: Geschichte und Gesellschaft 30 (2004), S. 639-660 sowie z. B. die Beiträge in Roberts, Lissa; Schaffer, Simon; Dear, Peter (Hgg.), The mindful hand. Inquiry and invention from the late Renaissance to early industrialization, Amsterdam 2007.
[11] (16.03.2009). Programmatisch dazu: Misa, Thomas J.; Schot, Johan, Inventing Europe. Technology and the Hidden Integration of Europe, in: History and Technology 21 (2005), S. 1-19.
Literaturhinweise:
Davids, Karel, Shifts of technological leadership in Early Modern Europe, in: Ders.; Lucassen, Jan (Hgg.), A miracle mirrored. The Dutch Republic in European perspective, Cambridge 1995, S. 338-366.
Epstein, Stephan R.; Prak, Maarten (Hgg.), Guilds, Innovation, and the European Economy, Cambridge 2008
Popplow, Marcus, Unsichere Karrieren. Ingenieure in Mittelalter und Früher Neuzeit 500-1750, in: Kaiser, Walter; König, Wolfgang (Hgg.), Geschichte des Ingenieurs. Ein Beruf in sechs Jahrtausenden, München 2006, S. 71-125.
Roberts, Lissa; Schaffer, Simon; Dear, Peter (Hgg.), The mindful hand. Inquiry and invention from the late Renaissance to early industrialization, Amsterdam 2007.
Sieferle, Rolf Peter, Der Europäische Sonderweg. Ursachen und Faktoren, 2. Aufl., Stuttgart 2003.