Die Auferstehung des Kriegshelden aus dem Bett des Offiziers. Die Konstruktion kolonialer Maskulinität im Ersten Weltkrieg Beitrag zum Themenschwerpunkt „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“

Am 8. August 1914 brach der Erste Weltkrieg auch im von Europa weit entfernten Ostafrika aus. Deutsche Truppen überschritten die Grenze zur benachbarten britischen Kolonie und britische Schlachtschiffe bombardierten die Hauptstadt der deutschen Kolonie, Dar es Salaam. Vor allem in der Zivilverwaltung und von den Missionen gab es erheblichen Widerstand gegen die Pläne der Militärs, den europäischen Krieg auch in Afrika auszufechten. Sowohl der deutsche Gouverneur Heinrich Schnee als auch sein britisches Gegenüber Sir Henry Conway Belfield fürchteten den Zusammenbruch der europäischen Kolonialordnung infolge der Wirren des Krieges. So sahen die ersten Wochen des Krieges einen hektischen Depeschenwechsel zwischen den Kolonien und den Metropolen, in denen die Gegner des Krieges auf afrikanischem Boden auf die Einhaltung der Kongo-Akte von 1885 pochten. Die damals unterzeichnenden Kolonialmächte hatten im Falle eines europäischen Krieges den Kolonien in Afrika die Neutralität zugesichert. [...]

Die Auferstehung des Kriegshelden aus dem Bett des Offiziers. Die Konstruktion kolonialer Maskulinität im Ersten Weltkrieg[1]

Von Michael Pesek

Am 8. August 1914 brach der Erste Weltkrieg auch im von Europa weit entfernten Ostafrika aus. Deutsche Truppen überschritten die Grenze zur benachbarten britischen Kolonie und britische Schlachtschiffe bombardierten die Hauptstadt der deutschen Kolonie, Dar es Salaam. Vor allem in der Zivilverwaltung und von den Missionen gab es erheblichen Widerstand gegen die Pläne der Militärs, den europäischen Krieg auch in Afrika auszufechten. Sowohl der deutsche Gouverneur Heinrich Schnee als auch sein britisches Gegenüber Sir Henry Conway Belfield fürchteten den Zusammenbruch der europäischen Kolonialordnung infolge der Wirren des Krieges. So sahen die ersten Wochen des Krieges einen hektischen Depeschenwechsel zwischen den Kolonien und den Metropolen, in denen die Gegner des Krieges auf afrikanischem Boden auf die Einhaltung der Kongo-Akte von 1885 pochten. Die damals unterzeichnenden Kolonialmächte hatten im Falle eines europäischen Krieges den Kolonien in Afrika die Neutralität zugesichert.

Doch wie in Europa schien es auch in Ostafrika kaum eine Chance zu geben, den Ausbruch von Kampfhandlungen zu verhindern. Die Militärs in den Metropolen und in den Kolonien hatten schon seit der Jahrhundertwende Pläne für den Krieg in den Kolonien parat. Das britische Kriegsministerium sah die kriegswichtigen Nachschublinien nach Indien durch deutsche Schlachtschiffe im Indischen Ozean bedroht, das Ministerium für die Kronkolonie Indien und das Kolonialministerium hofften auf ein leichtes Spiel gegen die schwachen deutschen Kräfte in Ostafrika. Mit Paul von Lettow-Vorbeck war am Vorabend des Krieges ein ebenso ambitionierter wie fähiger Militär in der deutschen Kolonie angekommen, der kaum ein Zweifel daran ließ, dass er es als oberste patriotische Pflicht jedes Deutschen ansehe, den Feind auch in Afrika zu bekämpfen. Gouverneur Schnee jedoch sah mehr die Risiken des Krieges und als formeller Oberbefehlshaber der Truppen in der Kolonie hielt er es zunächst für ratsamer, die Kolonie gegen britische Angriffe, vor allem aber vor dem Ausbruch von Aufständen der afrikanischen Bevölkerung zu schützen. Doch Lettow-Vorbeck weigerte sich, den Befehlen Schnees zu folgen und in einem stillen Militärputsch stellte er den Gouverneur ins Abseits. Unumstritten war Lettow-Vorbeck allerdings nicht, denn der Krieg war unter den Deutschen in der Kolonie nicht sonderlich populär. Spätestens als die Rekrutierungen der wehrpflichtigen Männer begannen und manche Farmersfrau nun ohne den Gatten eigenständig Familie und Hof zu führen hatte, forderte der Krieg seinen ersten Tribut an die Deutschen.

Der in den Ruhestand versetzte Polizeibeamte Hoffmeister, dessen Tagebuchaufzeichnungen in diesem Beitrag herangezogen werden, dürften zu den ersten Freiwilligen gehört haben, die zu Beginn des Krieges eingezogen wurden. Als Polizeibeamter hatte er zumindest eine rudimentäre militärische Ausbildung genossen. Ob er sich freiwillig meldete oder eher unwillig in den Krieg zog, wissen wir zwar nicht. In seinen Aufzeichnungen, die nur in Auszügen veröffentlicht wurden, herrscht aber ein durchaus kriegsbegeisterter Ton vor.

Im Sommer 1914 konnten sich die Europäer noch einer gewissen Illusion hingeben, dass der Krieg kaum katastrophale Dimensionen erreichen würde, denn in den ersten Wochen war er ein eher gemütlich dahinplätscherndes Ereignis und forderte nur wenig Todesopfer. Er begann mit kleinen Patrouillengefechten entlang der Grenzen der Kolonie, vor allem im Nordosten, im Kilimanjaro-Gebiet und im Pare-Gebirge. Aber auch im Westen kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen deutschen und belgischen Truppen des benachbarten Kongo. Mit dem Ausklang des Jahres wurde der Krieg härter und die Gefechte begannen größere Dimensionen einzunehmen. Zu den ersten größeren Gefechten kam es Anfang November 1914 als die Briten einen Landungsversuch bei Tanga sowie einen Vorstoß am Kilimanjaro unternahmen. Beide Gefechte endeten für die Briten in einem Fiasko mit hohen Verlusten an Soldaten und Material. Die Deutschen erbeuteten eine Vielzahl von Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenständen. Bis Anfang 1916 erlangten sie die strategische Initiative. Doch dann wendete sich das Blatt und so verloren die Deutschen bis Ende 1916 nahezu das gesamte Territorium ihrer Kolonie. Anfang 1917 kam die alliierte Offensive aufgrund gravierender Probleme in der Versorgung und Gesundheit der Truppen sowie heftiger Regenfälle zum Erliegen. Im November 1917 mussten sich die Deutschen vor einer erneuten Offensive der Alliierten aus ihrer Kolonie zurückziehen und auf das Gebiet Portugiesisch-Ostafrikas fliehen. Ihr Etappensystem war völlig zusammengebrochen, sie verfügten kaum noch über Nahrung und Munition. Die lokale Bevölkerung, die in der Vorkriegszeit gerade in dieser Region zum Opfer regelrechter Vernichtungsfeldzüge kolonialer Truppen geworden war, verweigerte den Deutschen jede Unterstützung. Nahezu ein halbes Jahr verfolgten die Briten die Deutschen durch das portugiesische Territorium. Die Belgier hatten ihre Truppen abgezogen und auch die Südafrikaner waren größtenteils nach Hause zurückgekehrt. Im September 1918 kehrten die Deutschen auf das Gebiet der deutschen Kolonie zurück. Am 23. November 1918, fast zwei Wochen nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandes in Europa, ergab sich Lettow-Vorbeck südlich des rhodesischen Städtchens Abercorn.

Gouverneur Schnees Widerstand gegen den Krieg in der Kolonie entsprang nicht so sehr den mageren Aussichten auf den Sieg. Seine Sorge galt vielmehr der europäische Kolonialordnung und dem Prestige der Europäer in Afrika. Ihm ging es explizit um die europäische Kolonialordnung, weniger um eine spezifisch deutsche. Mit Beginn des Krieges begann ein veritabler Krisendiskurs über die möglichen Folgen des Krieges, der sowohl auf deutscher als auch auf britischer Seite geführt wurde. Die Argumente beider Seiten glichen sich erheblich: Sei der koloniale Staat als Hüter der kolonialen Ordnung infolge der Wirren des Krieges geschwächt, würden die Afrikaner sich gegen die Europäer erheben. Bereits in den ersten Tagen des Krieges in den britischen und der deutschen Kolonie kursierende Gerüchte und Prophezeiungen über das Ende der europäischen Herrschaft schienen diese Ängste zu bestätigen.

Für die Kriegsbefürworter wie für die Kriegsgegner war das Verhalten der afrikanischen Bevölkerung in diesem Krieg die große Unbekannte. Die Phase kolonialer Eroberung war in den belgischen, britischen und deutschen Kolonien mancherorts kaum beendet. Zu Beginn des Krieges waren Einheiten der belgischen Force Publique und der britischen King’s African Rifles gegen aufständische Afrikaner immer noch im Feld. Auch in der deutschen Kolonie waren die Verwüstungen, die die Kolonialtruppen bei der Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes von 1908 und der Ndungtse-Rebellion von 1912 hinterlassen hatten, weithin sichtbar. Mehr noch war das Wissen über die afrikanischen Subjekte ihrer Herrschaft seitens der Kolonialherren aus Europa beschränkt. Oft ging das Wissen des kolonialen Staates über die bloße Anzahl der Hütten zwecks Steuererhebung kaum hinaus. Welches Verhältnis ein Großteil der afrikanischen Bevölkerung zur kolonialen Herrschaft hatte, war somit, jenseits der kolonialen Rituale, in denen die Europäer die großzügigen Zeremonienmeister und die Afrikaner die willigen Claqueure spielten, für die Verantwortlichen kaum zu erahnen. Bis zu Beginn des Krieges neigten Briten, Belgier und Deutsche im Zweifelsfalle dazu, das Verhältnis von Kolonialherren und Kolonisierten mit einer Strafexpedition zu klären. Wie unsicher sich die Kolonialherren waren, zeigte sich in ihren oft falschen Vermutungen über die Haltung der Afrikaner im Krieg. Nichts fürchtete Gouverneur Schnee mehr als eine Rebellion der Afrikaner in der Kolonie. Kaum einen Zweifel hegten auch die Briten, dass genau dies passieren würde. Doch die Ängste Schnees und die Hoffnungen der Briten, die sich durch einen Aufstand der Afrikaner in der deutschen Kolonie eine Schwächung der Deutschen erhofften, erwiesen sich als nahezu falsch. Erst im dritten Jahr des Krieges kam es zu offenen Rebellionen gegen die Deutschen. Bis dahin hatte eine Grabesruhe in der Kolonie geherrscht, erzwungen durch ein brutales Regime, das auf jedes noch so kleine Zeichen von Dissens mit harter Hand reagierte. Anstelle dessen waren die Briten mit wohl einem der größten Aufstände des Krieges, der Chilembwe-Rebellion von 1914, konfrontiert.

Viele Europäer, die sich die Frage nach der Haltung der afrikanischen Bevölkerung stellten, suchten die Antwort paradoxerweise bei sich selbst, indem sie über den Wandel des Europabildes des afrikanischen Publikums sinnierten. Dies war gleichwohl eher ein narzisstisches Unterfangen, denn was die Afrikaner über die Europäer wirklich dachten, spielte in diesem Selbstbespiegelungsdiskurs kaum eine Rolle. Nicht nur die europäische Kolonialordnung sahen die Kriegskritiker im Wanken, sondern auch deren wichtigste Repräsentation: den Körper des Europäers. Welche Bedeutung der europäische Körper für die Repräsentation kolonialer Ordnung in den Vorkriegsjahren hatte, ermisst sich allein schon an den Strafexpeditionen, die dem gewaltsamen Tod eines Europäers folgten.

Insgesamt war der koloniale Alltag auf die Aufrechterhaltung der Differenzen zwischen Schwarz und Weiß ausgerichtet. Dem diente die koloniale Stadtplanung, die die Europäerviertel von denen der Afrikaner trennte, dem diente die koloniale Rechtsprechung mit ihrer unterschiedlichen Gerichtsbarkeit für Europäer und Afrikaner und dem diente die Politik des kolonialen Staates, der die Zugänge zu den Ressourcen von Macht und Reichtum in der Regel Afrikanern verwehrte. War in der kolonialen Vorkriegsordnung der Körper des Europäers qua seiner Hautfarbe ein ebenso sichtbares wie sakrosanktes Symbol kolonialer Ordnung, so suspendierte der Krieg mit einem Mal die europäische - oder mit anderen Worten rassische - Dimension dieses Symbols wie auch dessen scheinbare Unverwundbarkeit. Nunmehr stand nicht Europa gegen Afrika, sondern eine europäische Nation gegen die andere, unterstützt von ihren afrikanischen Verbündeten. Allein der Umstand, dass Europäer nun von der Hand eines Afrikaners, mochte er auch in europäischer Uniform stecken, sterben sollten und dies noch in großer Zahl, erregte die Besorgnis manch eines Europäers in Ostafrika.[2] Wie sehr sich die koloniale Ordnung wandelte, zeigt beispielhaft der Umgang mit dem toten Körper des Europäers, der sich während des Krieges dramatisch veränderte. Begruben die Deutschen die gefallenen Briten und Deutschen nach der Schlacht von Tanga noch getrennt von denen der gefallenen afrikanischen und indischen Soldaten, so machten sich die Deutschen seit dem dritten Kriegsjahr kaum noch diese Mühe.

Die Tagebuchaufzeichnungen des Vizewachtmeisters der Reserve Dr. Hoffmeister beschreiben diesen Wandel während der Kriegsjahre. Sie beziehen sich auf die Ereignisse Mitte des Jahres 1916, als die Deutschen von den Alliierten in zähen Gefechten bis an die Mittellandbahn, der wichtigsten Bahnlinie der Kolonie, die Dar es Salam an der Küste mit Kigoma am Tanganyika-See verband, zurückgeworfen wurden. Mittlerweile waren die europäischen Freiwilligeneinheiten aufgelöst worden und die Offiziere und Soldaten den regulären Kompanien der Schutztruppe zugeteilt worden. Die Deutschen litten unter einem großen Mangel an Offizieren und Unteroffizieren. Die Kämpfe des Frühjahrs und des Sommers 1916 hatten gerade unter dem europäischen Offizierskorps hohe Verluste gefordert. Aus Tausenden neuer Rekruten hatte Lettow-Vorbeck neue Kompanien formen lassen, deren Ausbildungstand gering und deren Motivation oft noch geringer waren. Zwar besetzten die Freiwilligen automatisch die Offiziers- und Unteroffiziersränge der Kompanien, es gab jedoch auch eine ganze Anzahl von Deutschen, die im Rang eines einfachen Soldaten kämpften. Laut dem deutschen Arzt Hauer hatte es um die Stellung der europäischen Freiwilligen Mitte 1915 heftige Konflikte zwischen Lettow-Vorbeck und Gouverneur Schnee gegeben, als die Matrosen des versenkten Kreuzers „Königsberg“ laut Befehl Lettow-Vorbecks die gleichen Uniformen und Sold wie die afrikanischen Soldaten bekommen sollten. Schnee hatte sich vehement gegen dieses Vorhaben gewehrt, weil er einen irreparablen Schaden für das Ansehen der Europäer befürchtete. Lettow-Vorbeck setzte sich mit seinem Pragmatismus durch.[3] Welche Stellung Hoffmeister, der vor dem Krieg keinen aktiven Offiziersrang bekleidet hatte, innehielt, ist schwer zu sagen. Dessen ungeachtet ist die Frage der Autorität des Europäers gegenüber Afrikanern in Uniform ein zentrales Thema seiner Aufzeichnungen, zumal von der kolonialen Welt der Differenzierungen zwischen Schwarz und Weiß, wie sie vor dem Krieg bestanden hatte, nicht viel übrig geblieben war. Weder waren die militärischen Ränge noch klar zwischen Afrikanern und Europäern aufgeteilt, noch gab es erhebliche Unterschiede in den Lebensumständen. Hoffmeisters Erinnerung, dass er oft mit seinen Leuten aus dem gleichen Topf gegessen habe, spiegelt dies eindrücklich wieder. Auch der Körper des Europäers war bedroht. Im dritten Kriegsjahr seien die Kämpfe erbitterter, teilweise sogar „roh” geworden. Besonders die europäischen Offiziere seien dabei ins Visier gekommen. Den geheimen Schießbefehl gegen Offiziere, den er erwähnt, gab es auch auf belgischer und britischer Seite. Nahezu apokalyptisch ist auch sein Hinweis, dass im Falle einer Verwundung dem Europäer drohte, von Raubtieren oder „mordenden Schwarzen” getötet zu werden.

Insgesamt weicht Hoffmeisters Bericht erheblich vom bisweilen heute noch gern gepflegtem Bild des „sauberen“ und „ritterlichen“ Krieges in Ostafrika ab. Dieser ritterliche Krieg beinhaltet ein anderes Konstrukt von Männlichkeit und zwar eine durch Regeln gezähmte, sich in der Einhaltung gewisser Regeln auch ausdrückende Männlichkeit in einem fairen, gerechten Kampf von Mann zu Mann. So kam es zu einer Idealisierung von Kampf und Krieg. Eine solche Darstellung des Krieges war älter als der Erste Weltkrieg und immer mit Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit verbunden: Sollte der Gegner diskreditiert werden, wurden im häufig weibliche Attribute zugeschrieben, er wurde feminisiert. Als ritterlich wurden Kriege bezeichnet, wenn sich gegenseitig respektierende Gegner gegenüberstanden, die sich selbst in der Kriegsführung Schranken auferlegten. Vor 1914 wurden Kriegsteilnehmer besonders dann als „ritterlich“ charakterisiert, wenn ihr Handeln den Anschein von Humanität erweckte, etwa Kriegsgefangenen medizinische Versorgung gewährte.[4]

An einem solchen Bild für den Krieg in Ostafrika haben vor allem Lettow-Vorbeck und die auf Seiten der Briten kämpfenden Offiziere sowie eine ganze Reihe anglophoner Historiker der letzten fünfzig Jahre gewebt. Der Mythos des „ritterlichen“ Krieges, in dem sich die Europäer mit Respekt und Anstand begegnet wären, diente freilich dazu, die Auswirkungen des Krieges für die koloniale Ordnung zu verschleiern. Denn selbst die größten Befürworter des Krieges auf afrikanischem Boden sahen wohl die Probleme für die Legitimität der europäischen „Zivilisierungsmission“[5] in Afrika. Hoffmeister mochte dieses Bild eines ritterlichen Krieges nicht geteilt haben, doch reagierte auch er mit dem Zeugnis seiner Auferstehung zum Helden auf die Bedrohung Europas kolonialer Ordnung. War diese Ordnung im Alltag des Krieges kaum noch sichtbar, so verkörperte doch der Offizier mit seiner Person und Persönlichkeit den Anspruch des Europäers auf die oberen Ränge in der Hierarchie.

Hoffmeister frönte hier zweifellos dem Kult des Kolonialpioniers, wie er in der Kolonialliteratur des Kaiserreichs seit Beginn des kolonialen Abenteuers so gern gepflegt wurde. Dieser Kult war unübersehbar eine auf Geschlecht bezogene Angelegenheit: Afrika wurde dabei zum Feld der Ehre des europäischen Mannes, ob als Krieger oder reisenden Wissenschaftler, emporgehoben. Hier musste sich der europäische Mann als Vertreter eines als überlegen antizipierten Europas erweisen, dies war zu der Zeit die Forderung eines Hermann Wissmann oder eines Carl Peters gewesen. Die Qualitäten dieses Männlichkeitsideals waren unbeugsamer Wille und Charakterstärke, physische Fitness und militärisches Können. Diese Heroisierung des Kolonialpioniers als eines maskulinen historischen Akteurs hatte eine lange Geschichte im europäischen Denken. Schließlich waren es die „großen Männer“, die Nationen und Imperien gründeten.

Michel Foucault spricht von der Geburt der Geschichte im Licht des Krieges. Die Prinzipien dieses Geschichtsbildes sein in „rohen Tatsachen“ gesehen worden: „Körperkraft, Energie, Vermehrung einer Rasse, Schwäche einer andern [...]“.[6] Kolonialpioniere verkörperten dieses Geschichtsbild in exemplarischer Weise. Mit der Konstruktion Afrikas als eines „jungfräulichen“ Kontinents, der der europäischen Entdeckung und dann Eroberung harrte, waren die Weichen für einen kolonialen Diskurs gestellt, der das koloniale Projekt als ein zutiefst männliches Abenteuer deuten konnte. Afrika erschien dabei als der Kontinent der unbegrenzten Möglichkeiten, dessen Unberührtheit von scheinbar jeglicher Geschichte den Kolonialpionieren ungezügelte Freiheit nicht zuletzt auch von den Normen der bürgerlichen Gesellschaften daheim versprach. Was nimmt es Wunder, dass viele der Kolonialpioniere die Metapher Jungfräulichkeit auch auf die weibliche Bevölkerung des Kontinents ausdehnten.

Doch im Diskurs des Kolonialpioniers gab es auch ein Moment, das der ungezügelten männlichen Freiheit Grenzen zu setzen schien. Denn (Selbst-)Disziplin war hier eine ebenso wichtige Kategorie wie das Versprechen der Freiheit. Sie garantierte das Überleben und die Distanz zwischen Europäern und Afrikanern. Eine rationale Lebensweise sollte den Kolonialpionier vor Tropenkrankheiten und den Auswirkungen des Klimas schützen und seine Fähigkeit zur Repräsentation europäischer Zivilisation vor den Augen der Afrikaner bewahren helfen.[7]

Wir können die Grundzüge des Kolonialpioniers nahezu vollständig bei Hoffmeister nachlesen. Allerdings gab es auch einige Unterschiede und sie sind vor allem den Entwicklungen der unmittelbaren Vorkriegsjahre geschuldet. Seit der Jahrhundertwende war der Glanz des Kolonialpioniers verblasst. In Berlin 1907 hatte mit Bernhard Dernburg der erste Bürgerliche den Stuhl des obersten Kolonialbeamten eingenommen. Zwei Jahre zuvor war Wissmann bei einem Jagdunfall ums Leben gekommen. Carl Peters war 1897 unehrenhaft aus dem Dienst entlassen und nach England geflohen. In der Kolonie ging die Zeit der unumschränkten Herrschaft der Militärs ihrem Ende entgegen. Sie wurden nach und nach durch Beamte ersetzt. In den kolonialen Städten zog der Geist des Kolonialpioniers aus und die bürgerliche Lebenswelt ein. Die europäische Zivilisation hatte die Kolonie erreicht, zumindest das Wohnzimmer des Kolonisierenden. An die Stelle einer von den Militärs praktizierten Kolonialpolitik, die sich an den einfachen Fragen von Macht und Unterwerfung orientiert hatte, trat nunmehr ein diffizilerer und komplexerer Diskurs über die Legitimation europäischer Kolonialherrschaft, der den Unterschied zwischen Kolonisierenden und Kolonisierten nun vor allem in Kategorien der Zivilisation und Rasse formulierte und sie auch im Alltag durchzusetzen versuchte. Nicht umsonst sahen die Vorkriegsjahre in den deutschen Kolonien, wie übrigens auch in den britischen Kolonien, eine Reihe von Verordnungen und Gesetzesvorlagen, die den sexuellen Kontakt der Europäer mit lokalen Frauen für illegitim erklärten. Auch die Kolonisierenden sollten zivilisiert, das heißt in die Normen der bürgerlichen Metropole gebannt werden.

Die Konstruktion kolonialer Männlichkeit blieb dennoch widersprüchlich, vor allem deshalb weil sie letztlich Ausdruck eines tiefliegenden Konflikts zwischen der militärischen und der bürokratischen Tradition deutscher Kolonialpolitik war. Während die Kolonialmilitärs die Beamten des „Assessorismus“, also des weltfremden Insistierens auf bürokratische Normen, bezichtigten, versuchten die Beamten ihrerseits die Eigenmächtigkeit der Militärs zu zügeln. Dieser Konflikt wurde in Metaphern ausgetragen, die in besonderer Weise geschlechtlich konnotiert waren. Die Offiziere sahen in der neuen Politik eine allzu weiche Sentimentalität der afrikanischen Bevölkerung am Werk. Die Beamten verbannten den Kriegerethos der Kolonialpioniere in eine einst zwar notwendige aber nun doch anrüchig erscheinende Vergangenheit. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges kehrte der Konflikt zwischen beiden Traditionen wieder auf die Tagesordnung zurück und fand mit Lettow-Vorbeck und Schnee zwei prominente Gallionsfiguren.

Hoffmeister konnte daher nicht nahtlos an die Zeit der Kolonialpioniere anknüpfen, ihm ging es nunmehr auch um die Verteidigung der Schranken zwischen Schwarz und Weiß. Es war im Grunde ein Reinheitsdiskurs. Für Hoffmeister verlief die Frontlinie in diesem Kampf quer durch das Bett des Offiziers. Die Kolonialpioniere der ersten Stunde wie Carl Peters oder Hermann Wissmann pflegten die sexuellen Beziehungen zu afrikanischen Frauen oder auch zu Männern nonchalant in ihren Memoiren und Zeitungsartikeln zu vernachlässigen. Peters wurde infolgedessen jedoch immerhin wegen der Ermordung seiner Konkubine vor ein deutsches Gericht gestellt. Hoffmeister dagegen predigte Enthaltsamkeit. Er dürfte damit ein ziemlich einsamer Rufer in der Wüste gewesen sein. Sexuelle Kontakte mit afrikanischen Frauen waren für die deutschen Offiziere während des Krieges wohl nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Einige Quellen verweisen auf kaum mehr verheimlichte Beziehungen von Deutschen mit Afrikanerinnen während des Krieges, andere Quellen sprechen von Zwangsprostitution und regelrechten Raubzügen deutscher Truppen auf Frauen. Hoffmeisters Insistieren auf die Jungfräulichkeit des Kolonialpioniers war mithin ein Krisendiskurs, der auf die schwindenden Grenzen zwischen Deutschen und Afrikanern reagierte. Es war nicht nur das gemeinsame Mahl, sondern auch die auf den Schlachtfeldern wartende Erkenntnis, dass die Afrikaner dem einstmals unbesiegbar scheinenden Europäer nun in wenigem nachstanden. Wenn es nun nicht mehr ihre militärischen Fähigkeiten waren, die Europäer von Afrikanern schieden, dann war es die Frage einer vermeintlich höheren ethischen Haltung.

Doch der Krieg hatte seine eigenen Regeln und auf den Schlachtfeldern waren Reinheitsdiskurse eine unwirkliche Übung. Hoffmeister deutet die Alltäglichkeit sexueller Kontakte deutscher Offiziere mit afrikanischen Frauen an, die so wenig in die etablierten Diskurse der Metropole über die unüberwindbaren Schranken zwischen Schwarz und Weiß passen wollten. Die Metropole hatte in den Vorkriegsjahren das Verhalten ihrer nach Afrika entsandten Beamten und Offiziere argwöhnisch beäugt. Deutsche Zeitungen wussten immer wieder von Skandalen über Amtsmissbrauch zu berichten, die auch mit einer Prise Sex garniert wurden. Prügelnden und mordenden Deutschen wurden auch immer wieder illegitime Beziehungen zu afrikanischen Frauen oder Männern nachgesagt. Die Beschuldigten verteidigten sich dabei stets mit Hinweis auf die besondere Situation in Afrika.[8] Hoffmeister stand in dieser Debatte also wohl eher auf der Seite der Metropole. Bemerkenswert ist seine Begründung für die Forderung vom „schwarzen Weib zu lassen“, denn – so Hofmeister - mit dem „feinen Instinkt des Naturkindes“ würde sie hinter die Maske europäischer Repräsentation schauen können. Würde sie möglicherweise den zweiten Körper des männlichen Kolonialherren sehen, um den berühmten Begriff von Ernst Kantorowicz auf die koloniale Situation umzumünzen? Würde sie das Theater um den besonderen Nimbus des Kolonialherren und damit dessen Männlichkeit desavouieren? Hoffmeister scheint dies zu befürchten und mit ihm etwa auch der britische Kolonialbeamte Hobley, der zusammen mit dem Krieg auch die Zeit, in der die Europäer die Afrikaner mit den vermeintlich unüberwindlichen Grenzen zwischen Schwarz und Weiß noch bluffen konnten, zu Ende gehen sah.[9] War also der weibliche Instinkt der afrikanischen Frau eine Dekolonisierungsinstanz? Die Antwort auf diese Frage ist zwiespältig, denn mit einem genauso „feinen Gefühl“ des „Schenzi“, also des „Wilden“, vermochten die männlichen Afrikaner dem Theater um den besonderen Nimbus des deutschen Offiziers einen Sinn abzugewinnen. Noch vor den eigenen deutschen Kameraden würden sie, so Hoffmeister, die Persönlichkeit des Offiziers quasi wittern.

Hoffmeisters Aufzeichnung bergen jedoch noch eine weitere interessante Erkenntnis. Trotz allen nationalistischen Geplänkels, mit dem dieser Krieg auch auf dem Papier geführt wurde und dies auch als er längst schon auf den Schlachtfeldern offiziell beendet war, insistierte Hoffmeister auf dem Begriff „Europäer“. Man sollte sich hierbei hüten, diesem „Europa“ allzu eilfertig eine rassische Konnotation anzudichten. Immerhin verwendet Hoffmeister gerade eben nicht Kategorien des Körperlichen, um den europäischen Offizier zu beschreiben. Vielmehr geht es ihm um Persönlichkeit. Ebenso sollte man sich hüten, auf den ostafrikanischen Schlachtfeldern das Fortbestehen einer europäischen männlichen Identität zu sehen. Eine klare Erkenntnis mag uns Hoffmeister jedoch erlauben: Für Europas koloniale Herrschaft in Afrika war der Erste Weltkrieg ein Gang auf des Messers Schneide. Denn dieser Krieg barg eine Reihe von Gefahren für die Legitimation kolonialer Herrschaft und für die dazugehörigen Konstruktionen kolonialer Männlichkeit, die vor dem Krieg von Deutschen, Briten und Belgiern, wie auch immer vage, auch – und zwar letztlich häufiger als gemeinhin angenommen – in einer europäischer Dimension gedacht worden war.



[1] Essay zur Quelle: Aufzeichnungen des Vizewachtmeisters d. Res. Dr. Hoffmeister (ca. 1916/1931).

[2] Schnee, Heinrich, Deutsch-Ostafrika im Weltkriege – wie wir lebten und kämpften, Leipzig 1919, S. 121; Heye, Artur, Vitani: Kriegs- und Jagderlebnisse in Ostafrika, 1914-1916, Leipzig 1922, S. 43.

[3] Hauer, August, Kumbuke. Erlebnisse eines Arztes in Deutsch-Ostafrika, Berlin 1923, S. 49.

[4] Zur diskreditierenden Feminisierung des Gegners vgl. Prugl, Elisabeth, Gender and War: Causes, Constructions, and Critique, in: Perspectives on Politics 1 ( 2003), S. 335-342, bes. 336, 339-341; zu den Vorstellungen von Ritterlichkeit vor 1914 vgl. Wilkinson, Glenn R., Depictions and Images of War in Edwardian Newspapers, 1899-1914, Basingstoke 2003, bes. S. 21, 31, 36-39, 48-50, 68.

[5] Vgl. allgemein Barth, Boris; Osterhammel, Jürgen (Hgg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert (Historische Kulturwissenschaften; 6), Konstanz 2005.

[6] Foucault, Michel, Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte, Berlin 1986, S. 17.

[7] Cooper, Frederik, Between Metropole and Colony. Rethinking a research agenda, in: Ders.; Stoler, Ann L. (Hgg.), Tensions of empire: colonial cultures in a bourgeois world, Berkeley 1997, S. 1-57.

[8] Bösch, Frank, Öffentliche Geheimnisse. Skandale, Politik und Medien in Deutschland und Großbritannien 1880-1914, München 2009, S. 265ff.

[9] Hobley, C.W., Bantu Beliefs and Magic, London 1922, S. 286-287.


Literaturhinweise:

  • Hodges, Geoffrey; Roy Griffin, Kariakor: The Carrier Corps: The Story of the Military Labour Forces in the Conquest of German East Africa, 1914 to 1918, Nairobi 1999.
  • Liulevicius, Vejas Gabriel, War Land on the Eastern Front. Culture, National Identity, and German Occupation in World War I, Cambridge 2000.
  • Paice, Edward, World War I. The African Front, New York 2008.
  • Pesek, Michael, Koloniale Herrschaft in Deutsch-Ostafrika. Expeditionen, Militär und Verwaltung seit 1880, Frankfurt am Main 2005.
  • Pesek, Michael, Das Ende eines Kolonialreiches. Deutsch-Ostafrika und der Erste Weltkrieg, 1914-1918. Frankfurt am Main 2010.

Aufzeichnungen des Vizewachtmeisters d. Res. Dr. Hoffmeister (ca. 1916/1931)[1]

Dem Feind war es unter schweren Kämpfen und Verlusten gelungen, uns vom Kilimandscharo und von der Nordbahn zurückzudrängen. Er hatte eine vielfache Übermacht, fünf- bis zehnfach, eingesetzt und drückte über Umbugwe-Ufione auf Kondoa und damit auf die Mittellandbahn vor.[2] Aber auch von Muansa[3] her waren die Truppen im Vormarsch, die einen Anschluß mit den von Kigoma kommenden Belgiern suchten. Im Süden kämpften wir gegen die Rhodesialeute und die Portugiesen.[4] Auch die Küste wurde ständig bombardiert. Also wirklich Feinde ringsherum. Wir verloren den Mut nicht. Als der Krieg ausbrach, rechneten wir bis Weihnachten 1914 mit Friedensschluß. Waren doch sämtliche militärischen und zivilen Autoritäten in der Heimat der Ansicht, daß ein langer Krieg mit den Millionenheeren unmöglich sei. Aber es war möglich. Wir fochten gegen Briten, Neuseeländer, Iren, Australier, Südafrikaner, Buren, gegen Inder aller Kapillar, Jamaikaneger, Goldküstenmohren, Kameruner, Kapboys und Senegalesen.[5] Die Belgier brachten mit ihren gesellschaftlich gescheiterten europäischen Parteigängern die wilden Manyemas.[6] Alle aber wurden von unseren Europäern und braven Askari[7] verhauen. Die letzteren waren einzig. Von den alten Askari war es ja selbstverständlich, daß sie treu uns zu hielten, aber die Rekruten waren mir oft ein Rätsel. Meist waren sie zum Askaridienst gepreßt, hatten Entbehrungen aller Art zu erdulden und wurden Gegnern gegenübergestellt, die sie mit den Mitteln eines modernen Krieges bekämpften. Man muss es erlebt haben, wie wenig ihnen Flugzeuge, Minenwerfer und Handgranaten ausmachten. Da staunten die Europäer mehr als die Schwarzen. Desertieren gab es bis zum Fall der Zentralbahn[8] so gut wie nicht. Der Kampf wurde auf beiden Seiten rücksichtslos, zum Teil roh geführt. Der Europäer, der verwundet im Patrouillengefecht fiel, war erledigt. Entweder holte ihn nachts das Raubzeug, oder er fiel mordenden Schwarzen in die Hände. Im Gefecht selbst, das naturgemäß meist Nahgefecht war, wurden die Europäer aufs Korn genommen. Es waren in dieser Beziehung auch heimliche Befehle erlassen worden und das war auch richtig. Der Europäer war der Mann, der das Gefecht hielt. Mit seinem Fall war meist auch der Sieg entschieden. So trat die Persönlichkeit des Einzelnen in den Vordergrund. Er musste Farbe bekennen, und für seine Eigenschaften hatte der Askari wie der Schenzi[9] ein feines Gefühl. Er wußte eher wie der Kamerad, welcher Art der Mann war, vor allem, ob er stand oder nicht. Da galt es erstmal sehr strenge gegen sich selbst sein, ehe man es gegen seine Leute war. Wer gut schoß, feste draufging, der konnte von seinen Leuten etwas verlangen, und ihm folgten sie durch dick und dünn. Essen und Trinken war meist sehr mäßig. Wie oft aß man mit den Leuten auf Patrouille aus dem gleichen Topf, trank man dieselbe Pombe.[10] Das schadete nichts. Eine gewisse Schranke hielt der Anständige immer, und die fiel nicht. Fiel sie, dann war der Einfluß des Europäers zum Teufel, mochte er noch so tüchtig sein. Diese Schranke bildete vielfach das Weib. Ich bin kein Tugendbold, gewiß nicht. Aber ich habe im Frieden und im Kriege die Erfahrung [66] gemacht, daß es besser ist, vom schwarzen Weibe zu lassen. Ich glaube daran, dass das Weib mit dem feinen Instinkt des Naturkindes und der Eva Einblicke in das Tun und Lassen des Europäers tut, von denen die schlechtesten am besten behalten werden. Diese werden den Boys, den Askaris durch die Freundinnen mitgeteilt, der Europäer wird lächerlich gemacht, und damit ist der Nimbus weg. Und einen gewissen Nimbus muss man um sich schaffen. Ich weiß, dass ich auffiel, weil ich kein Weib hatte. Die Schwarzen vermuteten, dass ich verheiratet sei, – obwohl das leider für viele Europäer kein Hindernis ist, schwarze Frauen zu haben –, dass ich impotent sei, und dass ich keinen Gefallen an den schwarzen Weibern fände. Im Frieden schlossen sie aus der Weiberlosigkeit meine starke Tätigkeit besonders im Impfen und meine Ausdauer im Marschieren, Jagen und Reiten – und im Ochsen bändigen. Das imponierte ihnen. Im Krieg imponierte ihnen die Schußfertigkeit, das dauernde und erfolgreiche Patrouillengehen und das Einsetzen der Person. Man hat englischerseits Leute gedungen, die mich abschießen sollten. Sie taten es aber nicht, obwohl Gelegenheit dazu da war. Ich hatte erbitterte Feinde unter den Eingeborenen und jeder andere Europäer wäre ermordet oder vergiftet worden; um mich hatte sich ein Nimbus gebildet, der mich mehr wie einmal rettete. Und es ist meine feste Meinung, dass ich dies nur meiner Enthaltsamkeit zu verdanken habe. Mit den Askaris stand ich auf besten Fuße. Ich aß mit ihnen, trank mit ihnen, war aber im Dienst „kali kabissa“ (sehr streng). Jahrelang später freuten sich die Leute, wenn sie mich wiedersahen, und manchmal waren es diejenigen, welche die härtesten Strafen erlitten hatten. [...] Es war sicher nicht das Gefühl der Liebe, was die Askari zu mir hinzog. Es war das Gefühl der Autorität, das Gefühl, das der schwarze Mann dem Vertreter der weißen Rasse gegenüber haben soll. Leider waren sehr viele Auswüchse vorhanden, sie schadeten dem Ansehen der Europäer sehr, aber ich glaube nicht, daß sie der weißen Rasse als solcher geschadet haben. Vorläufig nimmt der Mohr den Weißen immer noch persönlich, da die verhältnismäßige Zahl der Europäer es zuläßt. [...][67]


[1] Aufzeichnungen des Vizewachtmeisters d. Res. Dr. Hoffmeister, in: Foerster, Wolfgang; Greiner, Helmuth; Witte, Hans (Hgg.), Kämpfer an vergessenen Fronten. Feldzugsbriefe und Berichte, Berlin 1931, S. 66-68, hier S. 66f..

[2] Die Mittellandbahn, kurz vor Krieg fertiggestellt, verband Dar es Salaam an der Küste des Indischen Ozeans mit Kigoma und Ujiji am Ufer des Tanganyikasees und war die wichtigste Verkehrsader der Kolonie. [Diese und alle folgenden Anmerkungen von Michael Pesek]

[3] Stadt am Südufer des Viktoria-See.

[4] Portugal trat offiziell im März 1916 in den Krieg in Ostafrika ein. Doch bereits seit Beginn des Krieges hatte es einen kleinformatigen Grenzkrieg zwischen Deutschen und Portugiesen gegeben.

[5] Seit dem Beginn der Offensive von 1916 setzten die Briten auch Truppen aus Britisch-Nyassaland und Nordrhodesien sowie aus ihren westafrikanischen Kolonien Nigeria und die Goldküste ein. Kamerun war bis zu Kriegsbeginn deutsche Kolonie, wurde aber Anfang 1916 von alliierten Truppen erobert. „Kapboys“ bezieht sich auf Afrikaner, die in südafrikanischen Truppen meist als Träger dienten. Der Verweis auf „Jamaikaneger“ ist unklar.

[6] Manjema bezeichnete ursprünglich eine Region östlich des Tanganjika-Sees, wo die Belgier einen großen Teil ihrer Soldaten für die Force Publique rekrutierten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde sie auch zu einer Bezeichnung für die heterogene Bevölkerung der Region bis sie dann von den Europäern zur Ethnie deklariert wurde. In Ostafrika sagte man der Bevölkerung vom Ostufer des Tanganjika-Sees seit den Tagen des Sklavenhandels eine Neigung zum Kannibalismus nach.

[7] Afrikaner in deutscher Uniform.

[8] Siehe Mittellandbahn.

[9] Swahili für „Wilde“. Die Deutschen erbten dieses Bezeichnung für alle Afrikaner jenseits der Küste von den Swahili-Händlern.

[10] Lokal gebrautes Bier meist aus Bananen oder Hirse.


Für das Themenportal verfasst von

Michael Pesek

( 2009 )
Zitation
Michael Pesek, Die Auferstehung des Kriegshelden aus dem Bett des Offiziers. Die Konstruktion kolonialer Maskulinität im Ersten Weltkrieg Beitrag zum Themenschwerpunkt „Europäische Geschichte – Geschlechtergeschichte“, in: Themenportal Europäische Geschichte, 2009, <www.europa.clio-online.de/essay/id/fdae-1497>.
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